12.017 Botschaft zur Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» vom 18. Januar 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen die Botschaft und den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» und beantragen Ihnen, diese Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Januar 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-2704

637

Übersicht Die Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» wurde am 21. März 2011 mit 113 005 gültigen Unterschriften von den JungsozialistInnen Schweiz (JUSO) eingereicht. Sie verlangt, dass niemand in einem Jahr weniger verdient als der bestbezahlte Manager im gleichen Unternehmen in einem Monat. Dazu soll in der Verfassung ein Artikel verankert werden, gemäss dem in einem Unternehmen der höchste bezahlte Lohn nicht höher sein darf als das Zwölffache des tiefsten Lohns.

Mit ihrer Forderung wollen die Initiantinnen und Initianten die Löhne der TopManager begrenzen, zur Anhebung der Tiefstlöhne beitragen sowie für eine bessere Verteilung der Lohnsumme zwischen den Beschäftigten sorgen und auf diese Weise gesamtschweizerisch eine Verringerung der Lohnungleichheit erreichen.

Der Bundesrat weist an dieser Stelle darauf hin, dass sich die Löhne und Einkommen in der Schweiz seit den 1990er-Jahren gemäss den verfügbaren Informationen ziemlich ausgewogen entwickelt haben. Was dagegen die sehr hohen Löhne betrifft, geht er mit den Initiantinnen und Initianten einig, dass die in den letzten Jahren beobachteten Exzesse zu sozialen und wirtschaftlichen Problemen führen könnten.

Dennoch ist der Bundesrat der Ansicht, dass das angestrebte Ziel mit der von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagenen Massnahme nicht erreicht werden kann und dass die Massnahmen im Bereich der Lohnbildung und der Umverteilung der Einkommen, die bereits getroffen wurden oder zurzeit entwickelt werden, dafür besser geeignet sind.

Die Lohnbildungspolitik in der Schweiz basiert auf bewährten Grundsätzen. Bei den niedrigen und mittleren Löhnen spielen die Sozialpartnerschaft und die Gesamtarbeitsverträge eine wichtige Rolle. Mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung unterstützt die öffentliche Hand die Bestrebungen der Sozialpartner, mit Gesamtarbeitsverträgen auf Branchenebene Mindestarbeitsbedingungen festzulegen. Mit der Einführung der flankierenden Massnahmen zum Personenfreizügigkeitsabkommen im Jahr 2004 wies man den Gesamtarbeitsverträgen bei der Bekämpfung von Lohnunterbietungen eine zentrale Rolle zu. In Bereichen, in denen kein Gesamtarbeitsvertrag existiert und wiederholt Missbräuche festgestellt wurden, können die tripartiten Kommissionen Normalarbeitsverträge erlassen. Zudem strebt das Bundesgesetz gegen die
Schwarzarbeit die Eindämmung der Schattenwirtschaft und damit prekärer Arbeitsverhältnisse an.

Die Festlegung der hohen und höchsten Saläre ist Sache der Unternehmen. Der Staat sieht von direkten Eingriffen in die Festsetzung von Löhnen bei privaten Unternehmen ab, doch stellt er durch das Aktien- und Rechnungslegungsrecht Leitplanken in Bezug auf die Corporate Governance auf. Der Bundesrat ist jedoch überzeugt, dass die aktienrechtlichen Bestimmungen zur Corporate Governance im Allgemeinen und die Bestimmungen zu den Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften im Speziellen verbessert werden müssen. Er unterstützt ausdrücklich den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates. Dieser Gegenvorschlag sieht insbesondere vor, dass die Generalversammlung das Vergütungsreglement genehmigt

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(einschliesslich des maximal zulässigen Verhältnisses zwischen Grundvergütung und zusätzlicher Vergütung), dass der Vergütungsbericht mit den Vergütungen an die Mitglieder des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates veröffentlicht wird, dass Abgangsentschädigungen und Vorauszahlungen grundsätzlich zu verbieten sind, dass die Rückerstattung effizienter geregelt wird und dass Vergütungen über 3 Millionen Franken im Falle eines Jahresverlusts oder einer Unterdeckung des Aktienkapitals oder der gesetzlichen Reserven grundsätzlich verboten sind. Dieser indirekte Gegenvorschlag befindet sich gegenwärtig im Parlament noch im Differenzbereinigungsverfahren.

Nach der Finanzkrise von 2008 wurden neue Regelungen erlassen, um die Vergütungen in den Finanzinstituten besser eingrenzen zu können. Die FINMA hat am 21. Oktober 2009 das Rundschreiben 2010/1 über «Vergütungssysteme» erlassen.

Damit soll die Corporate Governance bei den Vergütungen verbessert werden, wobei der Schwerpunkt auf der Verantwortung des Verwaltungsrates und auf den Kontrollfunktionen des Unternehmens liegt. Besteht die Gefahr, dass ein Unternehmen aufgrund seines Vergütungssystems nicht mehr in der Lage ist, den Kapitalund Liquiditätsanforderungen der FINMA nachzukommen, kann diese eine Anpassung des Vergütungssystems oder der vorgeschlagenen Beträge verlangen.

Mit der Änderung vom 30. September 2011 des Bankengesetzes (too big to fail) wurde ferner ein neuer Artikel 10a eingeführt. Dieser berechtigt den Bundesrat, Massnahmen im Bereich der Vergütungen anzuordnen, sofern und solange einer systemrelevanten Bank oder ihrer Konzernobergesellschaft staatliche Beihilfe gewährt wird. Ihm steht unter anderem die Möglichkeit offen, die Auszahlung variabler Vergütungen zu verbieten und eine Anpassung des Vergütungssystems anzuordnen.

Im öffentlichen Sektor legt der Staat (Bund und Kantone) als Arbeitgeber oder Eigner öffentlich-rechtlicher Anstalten Höchstgrenzen für die Löhne fest. Mit Ausnahme einiger weniger marktorientierter bundesnaher Unternehmen (z.B. Post, SBB und RUAG) wird das von der Initiative angestrebte Lohnverhältnis eingehalten.

Für den Lebensstandard der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist das letztlich verfügbare Einkommen von Bedeutung. Damit spielen neben den Löhnen auch die Abgaben und die Transfereinkommen
eine Rolle. Der Staat strebt mit dem Steuersystem und mit zahlreichen Transferleistungen im sozialen Bereich einen Ausgleich der Einkommensverteilung an.

Die bestehenden und die in Entwicklung befindlichen politischen Massnahmen dürften überzeugendere Resultate bringen, ohne die negativen Effekte der von der Volksinitiative vorgeschlagenen Lösung zu haben. Die Initiative vermag die von ihr gesteckten Ziele nicht zu erreichen. Sie mindert die Standortattraktivität der Schweiz für Branchen, die in der Schweiz eine relativ grosse Bedeutung haben, erheblich.

Wichtige Grundsätze der Schweizer Arbeitsmarktpolitik werden verletzt. Eine Annahme hätte eine gravierende Signalwirkung. Die Initiative lässt sich mit der Lohnbildungspolitik und dem Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit schlecht vereinbaren. Ihre Umsetzung hätte letztlich auch zahlreiche Probleme rechtlicher und praktischer Natur zur Folge und würde hohe administrative Kosten verursachen.

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Aus all diesen Gründen beantragt der Bundesrat, die Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» hat den folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 110a (neu)

Lohnpolitik

Der höchste von einem Unternehmen bezahlte Lohn darf nicht höher sein als das Zwölffache des tiefsten vom gleichen Unternehmen bezahlten Lohnes. Als Lohn gilt die Summe aller Zuwendungen (Geld und Wert der Sach- und Dienstleistungen), welche im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit entrichtet werden.

1

2

Der Bund erlässt die notwendigen Vorschriften. Er regelt insbesondere: a.

die Ausnahmen, namentlich betreffend den Lohn für Personen in Ausbildung, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Menschen mit geschützten Arbeitsplätzen;

b.

die Anwendung auf Leiharbeits- und Teilzeitarbeitsverhältnisse.

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Art. 197 Ziff. 8 (neu)2 8. Übergangsbestimmung zu Art. 110a (neu) (Lohnpolitik) Tritt die Bundesgesetzgebung nicht innerhalb von zwei Jahren nach Annahme von Artikel 110a durch Volk und Stände in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen bis zum Inkrafttreten der Bundesgesetzgebung auf dem Verordnungsweg.

1 2

SR 101 Da die Volksinitiative keine Übergangsbestimmung ersetzen will, erhält die Übergangsbestimmung zum vorliegenden Artikel erst nach der Volksabstimmung die endgültige Ziffer, und zwar aufgrund der Chronologie der in der Volksabstimmung angenommenen Verfassungsänderungen. Die Bundeskanzlei wird die nötigen Anpassungen vor der Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts (AS) vornehmen.

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1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» wurde am 22. September 20093 von der Bundeskanzlei vorgeprüft und am 21. März 2011 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 14. April 2011 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 113 005 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.4 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 21. März 2012 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 21. September 2013 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 2 und 3 der Bundesverfassung (BV).

­

Sie ist als ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

­

Sie betrifft ausschliesslich die Frage der Löhne und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

­

Sie verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Die Initiative ist deshalb für gültig zu erklären.

2

Ausgangslage

2.1

Verteilung der Löhne und Einkommen in der Schweiz

Die Initiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» spricht ein Thema von hohem gesellschaftlichem Interesse an. Die Auszahlung extrem hoher Löhne ist für einen grossen Teil der Bevölkerung nicht nachvollziehbar, und solche Zahlungen werden von vielen Menschen als unfair angesehen. Sehr hohe Lohn- und Bonuszahlungen, die sich nur ungenügend am längerfristigen Unternehmenserfolg orientieren, stellen zudem ein Problem der Corporate Governance dar. Derart ausgestaltete Lohnsysteme können mit dazu beitragen, dass das Management zu hohe Risiken eingeht.

An einer guten Entwicklung der Löhne im mittleren und unteren Bereich der Lohnverteilung besteht ein gesellschaftlich und sozialpolitisch motiviertes Interesse.

3 4 5

642

BBl 2009 6681 BBl 2011 3725 SR 171.10

Erwerbsarbeit soll möglichst vielen Menschen ein gutes Auskommen ermöglichen.

Eine starke Auseinanderbewegung von hohen und tiefen Haushaltseinkommen kann den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft beeinträchtigen. Die Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen spielt dabei als wichtigste Einkommensquelle der meisten Haushalte auch eine bedeutende Rolle.

Die Schweiz gehört gemäss OECD sowohl bei den Primäreinkommen als auch beim verfügbaren Einkommen (d.h. nach Berücksichtigung von Steuern, Sozialabgaben und staatlichen Transfers) zu den Ländern mit unterdurchschnittlicher Ungleichheit der Haushaltseinkommen. Die Verteilung wies gemessen am Gini-Index seit Anfang der 1980er-Jahre auch keine steigende Tendenz auf.6 Bestätigt wird dieser Befund für den Zeitraum 1998­2008 anhand standardisierter Daten des Bundesamtes für Statistik (BFS) zu den Haushaltseinkommen von Erwerbshaushalten. Zwischen 1998 und 2003 sank der Gini-Index der Primäreinkommen leicht, um danach bis 2008 wieder auf das Niveau von 1998 anzusteigen. Die Verteilung der verfügbaren Einkommen, d.h. nach Abzug sozialer Transfers, war 2008 sogar leicht ausgeglichener als im Jahr 1998.7 Auch die Lohnverteilung war in der Schweiz in den letzten rund 20 Jahren relativ stabil. Zwar stiegen die Löhne von hoch qualifizierten Arbeitskräften seit Anfang der 1990er-Jahre leicht überdurchschnittlich an. Diese Entwicklung war aber in allen industrialisierten Staaten zu beobachten. Sie erklärt sich primär mit der rasch wachsenden Nachfrage der Unternehmen nach gut qualifizierten Fachkräften im Zuge des technologischen Wandels und der fortschreitenden internationalen Arbeitsteilung.8 Auch die umfangreichen Daten der schweizerischen Lohnstrukturerhebung bestätigen, dass das Lohnwachstum im oberen Bereich der Lohnverteilung in den letzten 16 Jahren überdurchschnittlich ausfiel. Zwischen 1994 und 2010 stieg der standardisierte Brutto-Monatslohn im 9. Dezil der Lohnverteilung pro Jahr um durchschnittlich 1,8 %, gegenüber 1,3 % beim Medianlohn.9 Andererseits hielten die Löhne am unteren Ende der Lohnverteilung in ihrer Entwicklung mit den mittleren Lohnniveaus mit. Die Löhne des 1. Dezils wuchsen zwischen 1994 und 2010 mit durchschnittlich 1,4 % pro Jahr leicht stärker als der Medianlohn. Dieses Ergebnis ist v.a.

in sozialpolitischer Hinsicht sehr bedeutsam
und positiv. Im Zusammenhang mit der schrittweisen Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes gegenüber der EU kam dabei den flankierenden Massnahmen eine grosse Bedeutung zu (vgl. Kapitel 4.1.1).

Insgesamt und vor dem Hintergrund einer stark wachsenden Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften darf die Lohnentwicklung in der Schweiz über einen weiten Bereich der Lohnverteilung hinweg als ausgewogen bezeichnet werden.

Ausserordentlich war in den letzten Jahren dagegen die Entwicklung bei sehr hohen Lohnbezügerinnen und -bezügern. 1997 verdienten gemäss AHV-Einkommens6

7 8

9

OECD (2011), «Redistribution Policy and Inequality Reduction in OECD Countries ­ What has changed in Two Decades?», Social, Employment and Migration Working Papers No. 122, S. 35 ff. Für langfristige Vergleiche müssen unterschiedliche Datenquellen herangezogen werden.

BFS (2011), Statistischer Sozialbericht Schweiz 2011, Neuchâtel: BFS, S. 42 Wyss, Simone (2008), «Ist die relative Schlechterstellung niedrigqualifizierter Arbeitskräfte Mythos oder Realität? ­ Eine Analyse der Schweizer Disparität von Lohn- und Arbeitslosenquote nach Qualifikation», WWZ-Studie 06/08, Universität Basel.

Das 9. Dezil der Lohnverteilung entspricht dem Lohn, der durch 90 % der Grundgesamtheit unterschritten wird. Je 50 % der Grundgesamtheit verdient mehr bzw. weniger als den Medianlohn. Quelle: BFS/Spezialauswertung der Lohnstrukturerhebung (2011).

643

statistik rund 2900 Arbeitnehmende mehr als eine halbe Million Franken pro Jahr.

2009 waren es rund 10 700. Ihr Anteil am Total der Arbeitnehmenden verdreifachte sich von 0,08 % auf 0,24 %.

Zuverlässige statistische Auswertungen darüber, in welchen Branchen am häufigsten sehr hohe Einkommen bezahlt werden, sind auf der Grundlage öffentlicher Datenquellen nicht möglich. Aus den Auswertungen des BFS, basierend auf der Lohnstrukturerhebung, zur Lohnverteilung nach Branchen sowie zu den Löhnen im TopManagement kann man aber schliessen, dass sehr hohe Lohneinkommen im Kreditgewerbe sowie bei mit dem Kredit- und Versicherungsgewerbe verbundenen Tätigkeiten am häufigsten vorkommen. Überdurchschnittliche Anteile an Hochlohnbezügerinnen und -bezügern dürften zudem die Branchen Chemie und Pharma, Versicherungen, Nachrichtenübermittlung, Forschung und Entwicklung, Unternehmens- und Informatikdienstleistungen sowie Grosshandel und Handelsvermittlung aufweisen.10 Ausländische Arbeitnehmende sind bei den Bezügerinnen und Bezügern sehr hoher Einkommen gemäss AHV-Statistik übervertreten. Dies verdeutlicht, dass hohe Löhne häufig in multinationalen Unternehmen bezahlt werden. Es kann auch ein Hinweis dafür sein, dass sich in den letzten Jahren viele Unternehmen oder Unternehmensteile mit hohen Einkommensbezügerinnen und -bezügern in der Schweiz neu angesiedelt haben. Der relevante Arbeitsmarkt für Top-Manager multinationaler Unternehmen ist global ausgerichtet, und auch die Entlöhnung orientiert sich entsprechend an den international üblichen Marktbedingungen.

Betrachtet man die Lohnsituation am unteren Ende der Lohnverteilung, so stellt man fest, dass in Branchen mit vergleichsweise hohen Anteilen an sehr hohen Lohnbezügerinnen und -bezügern auch Arbeitnehmende, die einfache und repetitive Tätigkeiten verrichten, überdurchschnittlich gut entlöhnt sind. Dieser Zusammenhang wird aus den Daten der Lohnstrukturerhebung 2008 des BFS deutlich.11

2.2

Grundsätze der Lohnbildungspolitik

Die Lohnbildungspolitik in der Schweiz basiert auf bewährten Grundsätzen: a) Bei den niedrigen und mittleren Löhnen spielen die Sozialpartnerschaft und die Gesamtarbeitsverträge eine wichtige Rolle. Mit der Personenfreizügigkeit wurden flankierende Massnahmen gegen das Lohndumping ergriffen. b) Die Festlegung der hohen und höchsten Saläre ist Sache der Unternehmen. Der Staat greift in den Lohnbildungsmechanismus nur sehr zurückhaltend und in begründeten Ausnahmefällen von öffentlichem Interesse ein (vgl. Ziff. 4.1).

Die Schweiz fährt mit dieser Politik ausgesprochen gut. Unser Arbeitsmarkt schneidet nicht nur bezogen auf die Arbeitsmarktintegration (hohe Erwerbsbeteiligung, tiefe Erwerbslosigkeit) ausgezeichnet ab, er bringt im internationalen Vergleich auch eine relativ ausgewogene Lohnverteilung hervor. Diese positiven Eigenschaften 10

11

644

Die Aufzählung erfolgt ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die genannten Branchen gehörten gemäss Lohnstrukturerhebung 2008 entweder zu den Branchen mit Bruttolöhnen der Top-Manager über 30 000 Franken pro Monat bzw. zu den Branchen mit vergleichsweise hohen Löhnen im 9. Dezil der Branchen-Lohnverteilung. Vgl. BFS (2010), Schweizerische Lohnstrukturerhebung 2008, Neuchâtel, S. 11ff.

Vgl. BFS (2010), Die Lohnstrukturerhebung 2008, Neuchâtel, S. 23.

werden dem Schweizer Arbeitsmarkt auch von internationalen Organisationen zugeschrieben. Die in den letzten Jahren beobachteten Exzesse bei den sehr hohen Löhnen könnten aber durchaus zu sozialen und wirtschaftlichen Problemen führen.

2.3

Geltendes Recht

Der Lohn ergibt sich in der Regel aus einem gemäss Artikel 319 ff. des Obligationenrechts12 (OR) erstellten Arbeitsvertrag. Nach Artikel 322 Absatz 1 OR hat der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der vereinbart oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist. Bei der Festlegung des Lohns gilt für die Parteien somit in erster Linie Vertragsfreiheit. Eingeschränkt wird diese hauptsächlich durch die von den Sozialpartnern in den Gesamtarbeitsverträgen (GAV) festgelegten Bestimmungen. Viele GAV sehen Mindestlöhne vor, die die Gesamtarbeitsvertragsparteien (Art. 357 OR) oder alle Arbeitgeber und Arbeitnehmenden des betreffenden Wirtschaftszweigs oder Berufes binden, falls der Gesamtarbeitsvertrag als allgemeinverbindlich erklärt wurde (Art. 1 des BG vom 28. Sept. 195613 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen). Gemäss den Artikeln 360a und 360d Absatz 2 OR können zwingende Mindestlöhne auch in Normalarbeitsverträgen festgelegt werden, wenn Löhne wiederholt in missbräuchlicher Weise unterboten werden.

Abgesehen davon ist die Vertragsfreiheit der Parteien praktisch unbeschränkt. Einschränkungen bestehen einzig im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung oder im Falle eines offenbaren Missverhältnisses zwischen der Leistung und der Gegenleistung. So kann der vereinbarte Lohn korrigiert werden, wenn er den Grundsatz der Gleichstellung von Männern und Frauen missachtet (Art. 8 Abs. 3 BV; Art. 3 Abs. 2 des Gleichstellungsgesetzes vom 24. März 199514).

Staatsangehörige der Europäischen Union, die in der Schweiz arbeiten, dürften gemäss Artikel 2 des Personenfreizügigkeitsabkommens vom 21. Juni 199915 (FZA) nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Artikel 9 von Anhang 1 FZA legt fest, dass ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Entlöhnung, nicht anders behandelt werden darf als die inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Lohn von Ausländerinnen und Ausländern aus Nichtmitgliedstaaten der EU muss ebenfalls den orts-, berufs- und branchenüblichen Lohnbedingungen
entsprechen (Art. 22 des Ausländergesetzesgesetzes vom 16. Dezember 200516). Der übliche Lohn ist in der Aufenthaltsgenehmigung festgelegt, und der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer steht gemäss Artikel 342 Absatz 2 OR17 ein zivilrechtlicher Anspruch auf Erfüllung zu. Falls in der Schweiz kein allgemeiner Mindestlohn besteht18, darf der Lohn indes kein offenbares Missverhältnis zur Gegenleistung aufweisen und nicht aus der Ausbeutung einer 12 13 14 15 16 17 18

SR 220 SR 221.215.311 SR 151.1 SR 0.142.112.681 SR 142.20 Die Rechtsprechung nach altem Recht bleibt gültig: BGE 129 III 618, E. 5; 122 III 110, E. 4d.

Vgl. auch die Volksinitiative «Für den Schutz fairer Löhne (Mindestlohn-Initiative)»

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Schwächesituation der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers hervorgehen (Art. 21 OR und Art. 157 Strafgesetzbuch19). Bei der Lohnobergrenze sind die Parteien dagegen völlig frei. Hier besteht keine zwingende gesetzliche Regelung.

Die Entlöhnung kann auch auf einem Auftrag basieren (Art. 394 ff. OR). Namentlich die Verwaltungsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind durch ein mandatsähnliches Vertragsverhältnis an das Unternehmen gebunden.20 Auch in diesem Fall sind die Vertragsparteien bei der Festlegung der Entlöhnung frei.

Zudem wurde die Bankenregulierung aufgrund der Erfahrungen mit der letzten Finanzkrise verschärft. Die Exzesse bei den Salären der Finanzinstitute sind Gegenstand spezifischer Massnahmen. So hat die FINMA am 21. Oktober 2009 eine Weisung betreffend die Entlöhnungssysteme beschlossen. Zudem hat das Parlament die sogenannte «too big to fail»-Vorlage in der Herbstsession 2011 verabschiedet.

Der Bund hat die Möglichkeit erhalten, bei den systemrelevanten Banken, die öffentliche Stützung beanspruchen, Einfluss auf die Entlöhnung zu nehmen (neuer Art. 10a des Bankengesetzes; Änderung vom 30. September 2011, «Too big to fail»21).

3

Inhalt und Ziel der Initiative

3.1

Inhalt der Initiative

Die Initiative will, dass niemand in einem Jahr weniger verdient als die bestbezahlte Managerin oder der bestbezahlte Manager im gleichen Unternehmen in einem Monat. Sie will deshalb in der Verfassung verankern, dass der tiefste Lohn in einem Unternehmen nicht mehr als zwölf Mal tiefer als der höchste sein darf.

Der Bund soll Ausnahmen regeln, namentlich betreffend Personen in Ausbildung, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Menschen mit geschützten Arbeitsplätzen, und er soll auch die Anwendung auf Leiharbeits- und Teilzeitarbeitsverhältnisse regeln.

3.2

Ziele der Initiantinnen und Initianten

Die Initiative zielt in erster Linie auf sehr hohe Entschädigungen von Top-Managern in grossen, meist multinational tätigen Unternehmen in der Schweiz. Die maximal zulässige Entschädigung würde nach Unternehmen variieren. Liegt der tiefste Lohn beispielsweise bei monatlich 4000 Franken, so dürfte der höchste Lohn 48 000 Franken pro Monat oder 576 000 Franken pro Jahr nicht übertreffen.

Gemäss den Ausführungen der Initiantinnen und Initianten22 erhoffen sie sich von der Regelung: ­

19 20 21 22

646

dass die Löhne von sehr hoch bezahlten Managern nach unten angepasst würden;

SR 311.0; vgl. z.B. BGE 130 IV 106.

Insbesondere BGE 130 III 213, E. 2.1; 128 III 129, E. 1a.

BBl 2011 7487 www.juso.ch/files/091006_Argumentarium-1_12-Initiative.pdf

­

dass Tiefstlöhne angehoben würden bzw. dass die Lohnsumme zwischen den Beschäftigten besser verteilt würde;

­

dass sich die Lohnungleichheit gesamtschweizerisch verringern würde.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Rolle des Staates bei der Lohnbildung

Die Verantwortung für den Lohnbildungsprozess in der Schweiz liegt in erster Linie bei den Sozialpartnern. Die Rolle des Staates besteht darin, günstige Rahmenbedingungen für eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft zu schaffen. Entsprechend übt der Staat eine zurückhaltende Rolle aus.

4.1.1

Gesamtarbeitsverträge und flankierende Massnahmen zum freien Personenverkehr CH-EU

Der wichtigste Baustein der Sozialpartnerschaft ist das ausgebaute System von Gesamtarbeitsverträgen (GAV). Mit den GAV stellen die Sozialpartner Regeln auf, die direkt für die unterstellten Arbeitsverhältnisse der Branche gelten. Zwischen den Parteien des Gesamtarbeitsvertrages gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit. Die GAV bedürfen weder von der Form noch vom Inhalt her einer staatlichen Genehmigung, sie sind direkt gültig und anwendbar.

Mit der schrittweisen Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweiz und der EU sind am 1. Juni 2004 flankierende Massnahmen eingeführt worden, die verhindern sollen, dass die üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz aufgrund der Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes unter Druck geraten. Seit ihrer Einführung wurden die flankierenden Massnahmen und ihr Vollzug mehrfach verstärkt. Heute umfassen sie im Wesentlichen die folgenden Regelungen:

23

­

Das Entsendegesetz vom 8. Oktober 199923 verpflichtet ausländische Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen einer grenzüberschreitenden Dienstleistung in die Schweiz entsenden, zur Einhaltung minimaler Arbeits- und Lohnbedingungen, die in Bundesgesetzen, in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen und in Normalarbeitsverträgen vorgeschrieben sind.

­

Bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung können Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages, die Mindestlöhne, Arbeitszeiten und den paritätischen Vollzug betreffen, leichter allgemeinverbindlich erklärt werden.

Diese Massnahme gilt sowohl für inländische Betriebe als auch für ausländische Betriebe, die Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden (Entsendebetriebe).

­

In Branchen, in denen es keinen Gesamtarbeitsvertrag gibt, können bei wiederholter missbräuchlicher Lohnunterbietung Normalarbeitsverträge mit SR 823.20

647

zwingenden Mindestlöhnen erlassen werden. Diese Massnahme gilt für alle Betriebe der jeweiligen Branche.

Für das System der flankierenden Massnahmen sind allgemeinverbindlich erklärte GAV von zentraler Bedeutung, weil diese unter anderem verbindliche Mindestlöhne enthalten, die auch von Entsendebetrieben eingehalten werden müssen. Das Interesse an allgemeinverbindlich erklärten GAV und deren Durchsetzung hat daher sowohl bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch bei einheimischen Gewerbebetreibern zugenommen.

Ein wachsendes Netz von (allgemeinverbindlich erklärten) GAV, eine intensive Beobachtung und Kontrolle des Arbeitsmarktes durch die tripartiten Kommissionen (in Branchen ohne allgemeinverbindlich erklärten GAV) bzw. die paritätischen Kommissionen (in Branchen mit allgemeinverbindlich erklärten GAV) und das Entsendegesetz trugen mit dazu bei, dass die üblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen in den betroffenen Branchen trotz erhöhter Zuwanderung kaum unter Druck geraten sind.

Das System in der Schweiz, wonach die Mindestlohnfestsetzung den Sozialpartnern überlassen wird, wirkt sich ausgleichend auf die Lohnverteilung aus. Die Sozialpartner können die Mindestbedingungen den Möglichkeiten der Branchen anpassen.

Damit können sie auch deutlich über die Standards hinausgehen, die beispielsweise ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn bieten könnte.

Der Wirtschaftsfreiheit kommt in der Schweiz eine grosse Bedeutung zu. Die Arbeitsgesetzgebung ist zurückhaltend und gibt den Sozialpartnern einen grossen Spielraum für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Mit dem Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von GAV und mit den flankierenden Massnahmen unterstützt und stärkt der Staat die Sozialpartnerschaft.

Schliesslich gilt es anzumerken, dass mit der Einführung des Bundesgesetzes vom 17. Juni 200524 gegen die Schwarzarbeit, die von einer Sensibilisierungskampagne und verschärften Kontrollen begleitet wurde, der Kampf gegen die informelle Wirtschaft und die Lohnunterbietung verstärkt werden konnte.

4.1.2

Verbesserung der Corporate Governance

4.1.2.1

Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts

Der Staat sieht von direkten Eingriffen in die Festsetzung von Löhnen bei privaten Unternehmen ab, doch stellt er durch das Aktien- und Rechnungslegungsrecht Leitplanken in Bezug auf die Corporate Governance auf. Eine gute Corporate Governance soll den Aktionärinnen und Aktionären in Bezug auf die Vergütungen von Organen einer Gesellschaft Transparenz und Einflussmöglichkeiten gewähren.

Der Bundesrat ist allerdings der Ansicht, dass die aktienrechtlichen Bestimmungen zur Corporate Governance im Allgemeinen und die Bestimmungen zu den Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften im Speziellen verbessert werden müssen.

24

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SR 822.41

In der Botschaft vom 21. Dezember 200725 zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts schlug er daher bereits etliche Verbesserungen vor. In der Botschaft vom 5. Dezember 200826 zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» komplettierte er diese Bestimmungen mit zusätzlichen Regeln zu den Vergütungen der Organmitglieder bei börsenkotierten Aktiengesellschaften.

Auch die Volksinitiative «gegen die Abzockerei», die am 26. Februar 2008 eingereicht wurde, will Vergütungen, die von den Initiantinnen und Initianten als überhöht empfunden werden, Einhalt bieten. Dieses Ziel wird ebenfalls primär durch die Verbesserung der Corporate Governance angestrebt. Der Bundesrat lehnte die Volksinitiative jedoch ab, da die Bestimmungen in einigen Punkten zu restriktiv und starr sind.

Die Anliegen des Bundesrates wurden schliesslich von der parlamentarischen Initiative der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (10.443: Indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei») übernommen. Diese sieht neue Bestimmungen zu den Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften vor (z.B. Erlass eines Vergütungsreglements, Erstellung eines Vergütungsberichts, Kompetenz der Generalversammlung zur Genehmigung der Vergütungen, grundsätzliches Verbot von Abgangsentschädigungen) oder präzisiert oder verschärft bestehende Bestimmungen des geltenden Rechts (z.B. Offenlegung der Vergütungen, Konkretisierung der Sorgfaltspflicht, verschärfte Rückerstattungsklage).

Der indirekte Gegenvorschlag der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats, der sich gegenwärtig im Parlament noch im Differenzbereinigungsverfahren befindet, beinhaltet insbesondere die folgenden Regelungen27: ­

Vergütungsreglement Bei Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind (börsenkotierte Gesellschaften), erlässt der Verwaltungsrat ein Reglement über die Vergütungen für die Mitglieder des Verwaltungsrates, für die mit der Geschäftsführung betrauten Personen (Geschäftsleitung) und für die Mitglieder des Beirates (Vergütungsreglement). Der Verwaltungsrat unterscheidet dabei zwischen der Grundvergütung und einer allfälligen zusätzlichen Vergütung und legt das maximal zulässige Verhältnis zwischen diesen fest. Er unterbreitet der Generalversammlung das Vergütungsreglement zur Genehmigung.

­

Vergütungsbericht Bei börsenkotierten Gesellschaften erstellt der Verwaltungsrat jährlich einen schriftlichen Vergütungsbericht. Darin legt er Rechenschaft ab über die Einhaltung des Gesetzes, des Vergütungsreglements und gegebenenfalls der Statuten. Im Vergütungsbericht sind zudem die Vergütungen an den Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung und den Beirat offenzulegen (vgl. den geltenden Art. 663bbis OR).

25

26 27

Botschaft vom 21. Dezember 2007 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht und Rechnungslegungsrecht sowie Anpassungen im Recht der Kollektiv- und der Kommanditgesellschaft, im GmbH-Recht, Genossenschafts-, Handelsregister- sowie Firmenrecht) v, BBl 2008 1589, hier 1606 ff.

Botschaft vom 5. Dezember 2008 zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» und zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2009 299, hier 316 ff.

BBl 2010 8253

649

­

Vergütungen des Verwaltungsrates und des Beirates Bei börsenkotierten Gesellschaften beschliesst die Generalversammlung jährlich über die Genehmigung des Gesamtbetrags der Vergütungen, den der Verwaltungsrat für sich und den Beirat beschlossen hat.

­

Vergütungen der Geschäftsleitung Bei börsenkotierten Gesellschaften beschliesst die Generalversammlung jährlich über die Genehmigung des Gesamtbetrags der Vergütungen, den der Verwaltungsrat für die Geschäftsleitung beschlossen hat. Die Statuten können allerdings vorsehen, dass der Verwaltungsrat abschliessend über die Geschäftsleitungsvergütungen beschliesst.

­

Unzulässige Vergütungen Bei börsenkotierten Gesellschaften sind Abgangsentschädigungen und Vergütungen, die im Voraus ausgerichtet werden, an Mitglieder des Verwaltungsrates, der Geschäftsleitung und des Beirates grundsätzlich untersagt.

Der Verwaltungsrat kann der Generalversammlung Ausnahmen beantragen, sofern diese im Interesse der Gesellschaft sind.

­

Konkretisierung der Sorgfaltspflicht Bei börsenkotierten Gesellschaften wird die Sorgfaltspflicht der Mitglieder des Verwaltungsrates sowie Dritter, die mit der Geschäftsführung befasst sind (Art. 717 OR), in Bezug auf die Festlegung der Vergütungen konkretisiert.

­

Anzeigepflichten der Revisionsstelle Die Anzeigepflichten der Revisionsstelle (Art. 728c OR) werden in Bezug auf Verstösse gegen das Vergütungsreglement erweitert.

­

Rückerstattungsklage Die Regelung der Rückerstattungsklage (Art. 678 OR) wird griffiger ausgestaltet. Neu sollen neben den Mitgliedern des Verwaltungsrates auch die mit der Geschäftsführung befassten Personen sowie die Mitglieder des Beirates zur Rückerstattung verpflichtet sein. Voraussetzung für die Rückerstattungsklage gemäss Artikel 678 Absatz 2 OR ist fortan nur noch das offensichtliche Missverhältnis zwischen der Leistung der Gesellschaft und der erbrachten Gegenleistung. Das Erfordernis des offensichtlichen Missverhältnisses zwischen der Leistung und der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft wird gestrichen.

­

Bestimmungen zu den «sehr hohen Vergütungen» Der indirekte Gegenvorschlag der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates wurde zudem noch durch zusätzliche aktien- und steuerrechtliche Bestimmungen zu den sehr hohen Vergütungen (d.h. Vergütungen von mehr als 3 Millionen Franken) komplettiert. Danach sollen sehr hohe Vergütungen grundsätzlich unzulässig sein, wenn die Erfolgsrechnung einen Jahresverlust aufweist oder wenn das Aktienkapital und die gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt sind. Zudem gelten sehr hohe Vergütungen steuerrechtlich nicht mehr als geschäftsmässig begründeter Aufwand und würden daher die Gewinnsteuer der Gesellschaft erhöhen.

650

Der Bundesrat hat die Verbesserung der aktienrechtlichen Corporate Governance durch den indirekten Gegenvorschlag der Kommission für Rechtsfragen in seinen Stellungnahmen vom 17. November28 und 3. Dezember 201029 ausdrücklich begrüsst.

4.1.2.2

Vergütungen in Finanzinstituten

Nach der Finanzkrise von 2008 wurden neue Regelungen erlassen, um die Vergütungen in den Finanzinstituten besser einschränken zu können.

Die FINMA hat am 21. Oktober 2009 das Rundschreiben 2010/1 über «Vergütungssysteme» erlassen. Die darin festgelegten Mindeststandards orientieren sich an den Vorgaben des Financial Stability Board auf internationaler Ebene. Die FINMA will verhindern, dass das Vergütungssystem für die Mitarbeitenden Anreize schafft, unangemessene Risiken einzugehen. Das Vergütungssystem soll die langfristigen Interessen des Unternehmens fördern (Rz 1) und das Risiko, die Kapitalverwendung und die Unternehmensleistungen widerspiegeln. Das Rundschreiben soll die Corporate Governance bei den Vergütungen verbessern, wobei der Schwerpunkt auf der Verantwortung des Verwaltungsrates und auf den Kontrollfunktionen des Unternehmens (internes Audit, Risikomanagement, Compliance usw.) liegt.

Der Verwaltungsrat und die Kontrollfunktionen müssen für ein angemessenes Vergütungssystem und die Einhaltung der Vergütungsgrundsätze sorgen. So sieht das Rundschreiben vor, dass der Verwaltungsrat die Hauptverantwortung für das Vergütungssystem trägt und die Geschäftsleitung in diesem Bereich beaufsichtigt. Der Verwaltungsrat erlässt ein Vergütungsreglement (Rz 16) und berichtet jährlich über die Umsetzung der Vergütungspolitik (Rz 61). Die variablen Vergütungen müssen langfristig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gedeckt sein (Rz 39) und anhand nachhaltiger Kriterien zugeteilt werden (Rz 44).

Das Rundschreiben legt weder die Höhe der Vergütungen noch spezifische Limiten fest, da diese Entscheidungen in der Kompetenz des Verwaltungsrates liegen.

Besteht allerdings die Gefahr, dass ein Unternehmen aufgrund seines Vergütungssystems nicht mehr in der Lage ist, den Kapital- und Liquiditätsanforderungen der FINMA nachzukommen, kann diese eine Anpassung des Vergütungssystems oder der vorgeschlagenen Beträge verlangen.

Adressaten des Rundschreibens sind Banken, Effektenhändler, Finanzgruppen und -konglomerate, Versicherungsunternehmen, Versicherungsgruppen und -konglomerate sowie Bewilligungsträger nach Artikel 13 Absätze 2 und 4 des Kollektivanlagegesetzes vom 23. Juni 200630 (KAG). Zwingend anwenden müssen das Rundschreiben Unternehmen, die Eigenmittel von mindestens 2 Milliarden Franken halten. Die Umsetzung hatte bis spätestens 1. Januar 2011 zu erfolgen. Den anderen Finanzinstituten wird es als Good-Practice empfohlen.

28

29

30

Parlamentarische Initiative, Indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei», Bericht vom 25. Oktober 2010 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, Stellungnahme des Bundesrates vom 17. November 2010, BBl 2010 8323.

Parlamentarische Initiative, Indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei», Zusatzbericht vom 22. November 2010 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, Stellungnahme des Bundesrates vom 3. Dezember 2010, BBl 2011 243.

SR 951.31

651

Mit der Änderung vom 30. September 201131 des Bankengesetzes wurde ein neuer Artikel 10a eingeführt. Dieser berechtigt den Bundesrat, Massnahmen im Bereich der Vergütungen anzuordnen, sofern und solange einer systemrelevanten Bank oder ihrer Konzernobergesellschaft direkt oder indirekt staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln gewährt wird (Abs. 1). Der Bundesrat kann insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Bank und der beanspruchten Unterstützung die Auszahlung variabler Vergütungen ganz oder teilweise verbieten (Abs. 2 Bst. a) und Anpassungen des Vergütungssystems anordnen (Abs. 2 Bst. b). Die betroffenen Finanzinstitute sind verpflichtet, in ihren Vergütungssystemen einen Vorbehalt anzubringen, wonach gemäss dieser Bestimmung der Anspruch auf eine Vergütung beschränkt werden kann (Abs. 3).

4.1.3

Der Staat als Arbeitgeber

Nach Artikel 15 Absatz 1 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 200032 (BPG) bemisst sich der Lohn nach Funktion, Erfahrung und Leistung. Die Rahmenverordnung BPG vom 20. Dezember 200033 bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie die Fachstellen Ausführungsbestimmungen erlassen oder Gesamtarbeitsverträge abschliessen. Artikel 7 Absatz 1 der Rahmenverordnung BPG legt den Mindestlohn fest. Dieser beläuft sich nach Aufrechnung der für die Bundesverwaltung vorgenommenen Lohnanpassungen (Teuerungsausgleich und Reallohnerhöhung) auf 41 747 Franken. Es ist jedoch immer auch eine Frage der Definition, welchen Lohn die Arbeitgeber ­ Bund, bundesnahe Unternehmen, Kantone und Städte ­ jeweils als Mindestlohn für die Berechnung heranziehen.

4.1.3.1

Bundesverwaltung

Der Bundesrat als Arbeitgeber für das Personal der Bundesverwaltung hat die Höchstbeträge der Lohnklassen in Artikel 36 der Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 200134 festgelegt. Hinzu kommt je nach Arbeitsort ein Ortszuschlag. Für Bern beträgt dieser 5476 Franken. Als Mindestlohn wird in der Regel das Maximum der Lohnklasse 1 verwendet. Dieses beträgt 65 518 Franken (60 042 Franken zuzüglich Ortszuschlag). Es handelt sich um das Mindesteinkommen, das bei genügender Leistung nach einigen Anstellungsjahren erzielt wird. Das Maximum der Lohnklasse 38 beläuft sich auf 371 638 Franken (366 162 Franken zuzüglich Ortszuschlag).

Dies entspricht nicht ganz dem Sechsfachen des Mindestlohnes.

31 32 33 34

652

BBl 2011 7487 SR 172.220.1 SR 172.220.11 SR 172.220.111.3

4.1.3.2

Bundesnahe Unternehmen und Anstalten

Bei diesen Arbeitgebern fehlen genauere Angaben über die Mindestlöhne. Sie haben unterschiedliche Funktionengefüge und Lohnsysteme, sodass als einheitliche Berechnungsbasis der Mindestlohn von 41 747 Franken nach Artikel 7 Absatz 1 Rahmenverordnung BPG verwendet wird.

Bei den verselbstständigten Einheiten ist grundsätzlich das oberste Leitungsorgan (Institutsrat, Verwaltungsrat) für die Festsetzung der Löhne des obersten Kaders zuständig. Oft sind allerdings die Obergrenzen in den Personalstatuten vorgegeben, die der Bundesrat genehmigt. In anderen Fällen, unter anderem bei der Post, den SBB und der privatrechtlichen RUAG, beschliesst der Verwaltungsrat ohne derartige Einschränkungen.

Artikel 6a Absätze 1­5 BPG beauftragt den Bundesrat, Grundsätze über den Lohn des obersten Kaders der Unternehmen und Anstalten des Bundes zu erlassen. Diese Grundsätze müssen in Befolgung von Artikel 6a Absatz 6 BPG auch von den privatrechtlichen Unternehmen angewendet werden, die der Bund stimmen- und kapitalmässig beherrscht. Der Bundesrat hat die Grundsätze in der Kaderlohnverordnung vom 19. Dezember 200335 (KadLV) konkretisiert und die zuständigen Departemente mit dem Vollzug beauftragt. Bei der Festlegung der Entlöhnung haben die Unternehmen und Anstalten die in Artikel 7 KadLV aufgeführten Bemessungskriterien zu berücksichtigen.

Bei den Gesetzgebungsarbeiten, die zum Einfügen von Artikel 6a in das BPG führten, wehrte sich der Bundesrat gegen die Absicht des Parlaments, für die Kaderlöhne Eckwerte festzulegen.36 Er verwarf das Anliegen sowohl wegen grundsätzlicher Überlegungen als auch wegen praktischer Schwierigkeiten. Einer der Ansätze hätte mit dem Verhältnis der Höchst- zu den Mindestlöhnen gearbeitet. Das Eidgenössische Personalamt und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation kamen bei der Vorprüfung zum Schluss, dass diese Methode Schwächen hat. Denn die am tiefsten eingereihten Funktionen können je nach Aufgabenstruktur, organisatorischer Stellung, Marktorientierung und Ertragslage der verselbstständigten Einheiten unterschiedlich entlöhnt werden. Es hätte somit auch bei den Kaderlöhnen zu einem uneinheitlichen Gefüge unter den Unternehmen und Anstalten des Bundes kommen können. Zudem hätte man bei Anpassungen in den untersten Lohnhierarchien im Verlaufe der Zeit
auch mit vielleicht unerwünschten Veränderungen bei den Kaderlöhnen rechnen müssen. Artikel 6a BPG und die KadLV enthalten nun keine Eckwerte.

Anhand des Kaderlohnreportings 201037 über die Umsetzung der KadLV lassen sich in Bezug auf das Verhältnis Mindestlohn zu Höchstlohn zur Vereinfachung die folgenden Kategorien bilden: ­

Verhältnis 1:7 bis etwa 1:8 Einheiten mit grosser Selbstständigkeit wie die ETH Zürich und Lausanne (je rund 336 500 Franken), die Anstalten des ETH-Bereichs, das IGE, die Swissmedic (je rund 300 000 Franken) und ähnliche Anstalten.

35 36 37

SR 172.220.12 Siehe Stellungnahme des Bundesrates vom 29. Mai 2002 zum Bericht vom 25. April 2002 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates, BBl 2002 7519.

Veröffentlicht unter www.epa.admin.ch/dokumentation/zahlen/00273/index.html

653

­

Verhältnis 1:19 bis 1:20 Marktorientierte, grosse Unternehmen: Post (847 000 Franken), SBB (842 000 Franken) und RUAG (775 400 Franken).

Ferner gibt es kleinere Einheiten mit einer verhältnismässig einheitlichen Aufgabenstruktur, die tiefere Werte aufweisen. Beispiele sind die Pensionskasse PUBLICA (287 077 Franken) mit einem Verhältnis von rund 1:7 und das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung (195 534 Franken) mit einem Verhältnis von rund 1:5. Eine Mittelstellung nehmen die FINMA (528 400 Franken) und die Skyguide (477 000 Franken) ein; bei ihnen liegt das Verhältnis bei rund 1:12. Die variablen, erfolgsabhängigen Lohnbestandteile (Bonifikationen) sind bei ihnen ebenso wie bei den marktorientierten, grossen Unternehmen eingerechnet.

4.1.3.3

Kantone und Grossstädte

Bei den Kantonen und grossen Städten ist eine gewisse Variationsbreite festzustellen. Im Durchschnitt liegt das Verhältnis bei 1:5 bis 1:8. Auch hier hängt die Spannweite davon ab, welcher Lohn als Mindestlohn für die Berechnung herangezogen wird.

Üblicherweise sind die Mindest- und die Höchstlöhne in einem Anhang zum Lohngesetz oder in einer Verordnung festgelegt. Häufig ergibt sich das Verhältnis zwischen Mindest- und Maximallohn durch Beschlüsse des Parlaments. Aber auch die Exekutive kann Entscheidkompetenzen haben.

4.2

Sozialer Ausgleich durch Umverteilung

Die Lohnverhandlungen zwischen den Sozialpartnern sind ein wichtiges Element des sozialen Ausgleichs. Da sich die Löhne jedoch an der Produktivität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer messen, sind sie nicht das geeignete Mittel, um in allen Fällen sozialpolitisch erwünschte Einkommensniveaus zu erreichen. Aus diesem Grunde kommen im Sozialstaat Umverteilungsmechanismen zum Tragen.

Die wichtigsten darunter sind die progressiven Steuern sowie die Sozialtransfers.

4.2.1

Die Besteuerung

Soweit es die Art der Steuer zulässt, sind bei der Besteuerung insbesondere die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu beachten (Art. 127 Abs. 2 BV). Beim Leistungsfähigkeitsprinzip gibt es eine horizontale und eine vertikale Dimension. Entsprechend wird zwischen horizontaler und vertikaler Steuergerechtigkeit unterschieden. Horizontale Steuergerechtigkeit bedeutet gleiche Steuerlasten für gleichartige Sachverhalte (Gleichbehandlungsgebot). Bei der vertikalen Steuergerechtigkeit geht es demgegenüber um die Frage, inwieweit Steuerpflichtige unterschiedlicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich besteuert werden sollen. Der Steuertarif bestimmt ­ zusammen mit der Bemessungsgrundlage ­, wie

654

die Steuerlast auf die einzelnen steuerpflichtigen Personen mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit verteilt wird.

Die direkte Bundessteuer weist einen ausgeprägt progressiven Tarif auf. In der Steuerperiode 2007 verfügte das oberste Perzentil der Steuerpflichtigen über 12,2 % des steuerbaren Einkommens und trug 40,8 % zum Aufkommen der direkten Bundessteuer bei. Die obersten 10 % der Pflichtigen erreichten einen Anteil von 35,8 % am steuerbaren Einkommen und bezahlten 77,3 % der direkten Bundessteuer. Die obersten 50 % der Pflichtigen erzielten 82 % des steuerbaren Einkommens und bezahlten 97,5 % der direkten Bundessteuer. Auch in den Kantonen und Gemeinden werden die Einkommen meistens mit einem direkt progressiven Tarif besteuert.

Aufgrund des interkantonalen Steuerwettbewerbs ist die Progression jedoch weniger ausgeprägt als bei der direkten Bundessteuer. Bei den Kantonen und Gemeinden kommt jedoch die Vermögenssteuer hinzu, die ebenfalls progressiv ausgestaltet ist.38 Zu beachten ist, dass die effektive Umverteilung einer Steuer nicht nur vom Tarif und der Definition der Bemessungsgrundlage (und damit von den Steuerabzügen), sondern auch vom Volumen der Steuer sowie von der zahlenmässigen Besetzung der Einkommensklassen abhängt. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur über Steuern, sondern auch im Rahmen der Sozialversicherungen eine Umverteilung von Einkommen erfolgt.39 AHV-Beiträge auf den Lohn oberhalb des rentenbildenden Maximums beispielsweise haben reinen Steuercharakter und implizieren eine Umverteilung von Einkommen von den Bezügerinnen und Bezügern hoher Arbeitseinkommen zu den Bezügerinnen und Bezüger tiefer Einkommen.

4.2.2

Sozialtransfers

Haushalte mit erwerbstätigen Personen können verschiedene Sozialtransfers beanspruchen. Dazu gehören die Verbilligungen für die Krankenversicherungsprämien, verschiedene Vergünstigungen (beispielsweise Kinderbetreuung) und gegebenenfalls die Sozialhilfe. Es handelt sich dabei in der Regel um bedarfsorientierte, gezielte Massnahmen.

Gemäss dem statistischen Sozialbericht 2011 des Bundesrates beziehen die 20 % der Erwerbshaushalte mit den niedrigsten Einkommen ein Viertel des Einkommens durch Sozialtransfers und Übertragungen von anderen Haushalten. Durch das Steuersystem und die Sozialtransfers kann die Ungleichheit gemessen anhand der verfügbaren Einkommen spürbar reduziert werden. Während beispielsweise die 10 % der Personen mit dem niedrigsten bedarfsgewichteten Primäreinkommen 2,3 % der Einkommen erzielen (vor Sozialtransfers), kommen ihnen 3,5 % des verfügbaren Äquivalenzeinkommens (nach Sozialtransfers) zu. Der Bericht kommt denn auch zum Schluss, dass das Hauptziel der Umverteilung, nämlich die Verringerung der Ungleichheit, erreicht wird.

38

Zur Verteilungswirkung der direkten Steuern (direkte Bundessteuer, kantonale und kommunale Einkommen- und Vermögensteuer) vgl. z.B. Ecoplan, Verteilung des Wohlstands in der Schweiz, Bern 2004, Tab. 4­2, S. 91.

39 Vgl. z.B. Künzi, Kilian und Schärrer, Markus, Wer zahlt für die Soziale Sicherheit und wer profitiert davon? Eine Analyse der Sozialtransfers in der Schweiz, 2004.

655

5

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Eine Annahme der Initiative würde einen sehr starken Eingriff in die Lohnbildungspolitik bedeuten. Sie hätte eine Abkehr von der bisherigen Ausrichtung des Schweizer Arbeitsrechts zur Folge, das auf einer niedrigen Regulierungsdichte und einer starken Sozialpartnerschaft basiert. Es stellen sich dabei unter anderem die Fragen, inwieweit die Initiative ihre deklarierten Ziele erreichen würde, welche Nebenwirkungen sie hätte und ob und wie sie sich in der Praxis umsetzen liesse.

5.1

Auswirkungen auf die (sehr) hohen Löhne

Gemäss AHV-Statistik verdienten 2009 rund 10 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweiz über 500 000 Franken, 2008 waren es sogar noch über 12 000. Die Zahl der von der Initiative direkt betroffenen Personen mit sehr hohen Einkommen dürfte (aufgrund von Plausibilitätsüberlegungen zur Lohnstruktur innerhalb der Unternehmen) mindestens in dieser Grössenordnung liegen. Am stärksten betroffen wären voraussichtlich Finanzdienstleistungsunternehmen; aber auch Unternehmen der Branchen Chemie und Pharma, Nachrichtenübermittlung, Forschung und Entwicklung, Unternehmens- und Informatikdienstleistungen sowie Grosshandel und Handelsvermittlung wären relativ stark tangiert. Darüber hinaus dürften Unternehmenssitze multinationaler Unternehmen sehr unterschiedlicher Branchen relativ häufig von den Einschränkungen der Initiative betroffen sein.

Die Zahlen zeigen, dass zum einen einige Branchen betroffen wären, die für die Schweizer Wirtschaft traditionell eine sehr grosse Bedeutung haben, wie beispielsweise die Banken und Versicherungen oder die Pharmaindustrie. Zum anderen handelt es sich teils um stark international ausgerichtete und international sehr mobile Unternehmen wie Finanzdienstleistungsunternehmen, Handelsunternehmen oder Unternehmenssitze, auf welche die Schweiz in den letzten Jahren eine grosse Attraktivität ausgeübt hat.

Dass die betroffenen Unternehmen ihre Lohnpolitik an eine nationale Regulierung der Schweiz anpassen könnten, erscheint angesichts ihrer internationalen Ausrichtung unplausibel. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmen die Regulierung durch Verlegung des Standorts umgehen würden. Ein wichtiger Standortfaktor ist die Fähigkeit der Unternehmen, geeignete Führungskräfte rekrutieren zu können.

Diese Fähigkeit würde durch eine Lohnbeschränkung, wie sie die Initiative verlangt, massiv eingeschränkt.

Mit einem Wegzug multinationaler Unternehmen oder von Teilen davon wäre für die Schweizer Volkswirtschaft ein Verlust an Wertschöpfung verbunden. Entsprechend gingen auch in erheblichem Umfang Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren. Bei Verlagerungen wären zudem nicht nur direkte, sondern auch indirekte negative Auswirkungen auf vor- und nachgelagerte Branchen sowie auf den Konsum in der Schweiz insgesamt zu erwarten.

656

5.2

Auswirkungen auf die niedrigen und mittleren Löhne

Neben einer Beschränkung hoher Entschädigungen erhoffen sich die Initiantinnen und Initianten eine positive Wirkung auf die Lohnentwicklung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterhalb des Top-Kaders. Diese Erwartungen dürften aus verschiedenen Gründen mehrheitlich enttäuscht werden.

Zum einen dürfte die Anpassung der Kaderlöhne für viele Unternehmen keine realistische Option sein. Mit dem Wegzug von Unternehmen oder der Verlegung von Firmensitzen würde die Lohnentwicklung der verbleibenden Belegschaft vermutlich eher negativ als positiv beeinflusst. Unternehmen mit hohen Entschädigungen ihrer Top-Kader bezahlen im Durchschnitt auch ihren übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern überdurchschnittliche Löhne. Es drohte somit auch auf mittleren und tieferen Qualifikationsstufen ein Verlust von Arbeitsplätzen mit überdurchschnittlich guten Arbeitsbedingungen und hoher Wertschöpfung.

Theoretisch könnte ein Unternehmen durch Anhebung des tiefsten Lohnes im Unternehmen den Spielraum zur Bezahlung höherer Löhne gemäss Initiative ausweiten. In der Praxis dürfte dieser Effekt jedoch eine untergeordnete Rolle spielen.

Die Löhne von Top-Kaderleuten liegen vielfach zu deutlich über dem Faktor 12 des tiefsten Lohnes. In gewissen Fällen könnten Unternehmen versucht sein, durch Auslagerung bestimmter Tätigkeiten (bspw. Reinigungsarbeiten) die 1:12-Regel zu entschärfen.

5.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Eine Annahme der Initiative würde eine Abkehr von den Grundsätzen der schweizerischen Arbeitsmarktpolitik nach sich ziehen. Die geringe Regulierungsdichte und die starke Sozialpartnerschaft haben unserem Land ausgezeichnete Arbeitsmarktergebnisse sowohl hinsichtlich des Beschäftigungs- als auch hinsichtlich des Lohnniveaus gebracht. Kein anderer Staat der OECD kennt eine ähnlich strikte Regelung, wie sie die Initiative fordert. Die Annahme derart strikter Regelungen würde einen wesentlichen Standortvorteil der Schweiz preisgeben.

5.4

Finanzielle und Personelle Auswirkungen auf der Ebene von Bund und Kantonen

Bei einer Annahme der Initiative wäre mit einem Wegzug von Personen mit sehr hohen Einkommen sowie von Unternehmen zu rechnen, was mit erheblichen Einnahmeausfällen bei den Steuern und bei den Sozialversicherungen verbunden wäre.

Wegen teils schwieriger Abgrenzungsprobleme und notwendiger Vorkehrungen zur Verhinderung von Umgehungen wären bei den Arbeitsmarktbehörden auch bedeutende Mehraufwendungen für den Vollzug und die Kontrolle der Regelungen zu erwarten. Einnahmenausfälle und Mehrausgaben würden sowohl auf der Ebene des Bundes wie auch auf kantonaler Ebene anfallen.

657

5.5

Durchführbarkeit

Eine Umsetzung der Initiative wäre mit erheblichen regulatorischen und praktischen Problemen verbunden. Bezüglich der regulatorischen Ausgestaltung stellten sich unter anderem die Fragen, welche Definition des Unternehmens beigezogen werden sollte, welche Arbeitnehmenden (Lehrlinge, Praktikantinnen und Praktikanten, geschützte Arbeitsplätze) auszunehmen wären und wie die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter berücksichtigt werden könnten. Auch viele Vollzugsfragen wären schwierig zu lösen: Wie könnte die Einhaltung der Regeln überprüft und wie könnte die Nicht-Einhaltung sanktioniert werden? Den Initiantinnen und Initianten schwebt sogar vor, gewisse Umgehungsaktivitäten von Unternehmen (wie bspw. eine Auslagerung bestimmter Unternehmenseinheiten) zu verbieten. Hier stellen sich sehr grundsätzliche Fragen der Durchsetzbarkeit. Die Liste der Umsetzungsprobleme macht deutlich, dass eine Umsetzung der Initiative einen sehr hohen administrativen Aufwand generieren würde und grosse Rechtsunsicherheiten schaffen könnte.

5.5.1

Übergangsrecht

Es müssen keine speziellen Übergangsbestimmungen für die Initiative verabschiedet werden. Wird die Initiative angenommen, so müssen bei Inkrafttreten des neuen Artikels 110a BV sowie der Ausführungsbestimmungen die Vergütungssysteme in der Schweiz diesen neuen Bestimmungen entsprechen.

5.5.2

Probleme bei der Umsetzung

Wie in Artikel 110a Absatz 2 vorgesehen, bedingt die Initiative die Verabschiedung einer Ausführungsgesetzgebung. So müssen die Ausnahmen (Personen in Ausbildung, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Menschen mit geschützten Arbeitsplätzen) sowie die Anwendung auf Leiharbeits- und Teilzeitarbeitsverhältnisse festgelegt werden. Andere Punkte werden wohl auch noch präzisiert werden müssen, wie der Begriff des Unternehmens, der gemäss der Initiative auch juristische Personen ohne wirtschaftlichen Zweck (Verbände, Stiftungen) umfasst.40 Es stellt sich somit die Frage, ob die Regelung ausschliesslich für juristische Personen gilt oder auch für Einheiten ohne Rechtspersönlichkeit oder für natürliche Personen, die Personen entgeltlich beschäftigen. Ebenfalls noch zu klären ist die Frage der abgedeckten Rechtsverhältnisse. Es kann sich namentlich um Arbeitsverhältnisse, Aufträge oder Verträge mit Unternehmen handeln. Die Initiative erfasst jede Erwerbstätigkeit, ohne zu präzisieren, ob nur die unselbstständige Erwerbstätigkeit gemeint ist (Arbeitsvertrag). Zudem muss definiert werden, welche vergüteten Tätigkeiten von der Regelung betroffen sind. So kann ein Arbeitgeber Personen dauerhaft oder temporär anstellen. Ein Vergleich der Vergütungen zwischen festangestellten Lohnbezügerinnen und -bezügern und Beauftragten oder mit bestimmten Aufgaben betrauten Unternehmern könnte sich als schwierig erweisen. Auch der Begriff des Unternehmens muss noch genauer ausgeführt werden, beispielsweise bei Unternehmensgruppen. Welche Einheit wäre in diesem Fall für den Lohnvergleich ausschlag40

658

Argumentarium der JUSO Schweiz zugunsten der Initiative (www.juso.ch/files/091006_Argumentarium-1_12-Initiative.pdf), S. 4.

gebend? Die Initiative scheint sich nicht auf die Rechtseinheit beschränken zu wollen, zumal sie eine Holding und die Gesellschaften, an denen diese beteiligt ist, als ein einziges «Unternehmen» betrachtet.41 Ausserdem muss noch geregelt werden, wie die Anwendung der durch die Initiative auferlegten Regelung kontrolliert und wie diese Kontrolle umgesetzt wird. Dies könnte bedeutende finanzielle Mittel erfordern, und zwar sowohl auf Seiten der Behörden als auch auf Seiten der kontrollierten Unternehmen.

Diese Fragen, bei denen unter Umständen noch grosser Klärungsbedarf besteht und die zu langen Diskussionen führen könnten, müssen gemäss der Initiative innerhalb von deutlich weniger als zwei Jahren vom Parlament geregelt werden, sodass die Initiative und die Ausführungsgesetzgebung (einschliesslich allfälliger Ausführungsverordnungen) zwei Jahre nach einer möglichen Annahme in Kraft treten könnten.

Diese zwei Jahre scheinen nicht realistisch, zumal für die Unternehmen eine Übergangsfrist definiert werden muss, während der sie ihre Vergütungssysteme mit der neuen Regelung in Einklang bringen können.

6

Kein direkter Gegenentwurf oder indirekter Gegenvorschlag

Der Bundesrat empfiehlt, die Initiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung vorzulegen. Seiner Meinung nach sollte vielmehr die Umsetzung der bestehenden und der in Entwicklung befindlichen Massnahmen im Bereich der Lohnbildung und der Umverteilung der Einkommen vorangetrieben werden.

7

Schlussfolgerungen

Der Bundesrat ist der Meinung, dass die in den letzten Jahren beobachteten Exzesse bei den sehr hohen Löhnen durchaus zu sozialen und wirtschaftlichen Problemen führen können. Dennoch ist er der Ansicht, dass das angestrebte Ziel mit der von den Initiantinnen und Initianten vorgeschlagenen Massnahme nicht erreicht werden kann und dass die bereits bestehenden oder die in Entwicklung befindlichen Massnahmen im Bereich der Lohnbildung und der Umverteilung der Einkommen dafür besser geeignet sind.

Die Lohnbildungspolitik in der Schweiz basiert auf bewährten Grundsätzen. Bei den niedrigen und mittleren Löhnen haben die Sozialpartnerschaft und die Gesamtarbeitsverträge eine grosse Bedeutung. Mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung unterstützt die öffentliche Hand die Bestrebungen der Sozialpartner, mit Gesamtarbeitsverträgen auf Branchenebene Mindestarbeitsbedingungen festzulegen. Mit der Einführung der flankierenden Massnahmen zum Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU im Jahr 2004 wies man den Gesamtarbeitsverträgen bei der Bekämpfung von Lohnunterbietungen eine zentrale Rolle zu. In Bereichen, in denen kein Gesamtarbeitsvertrag existiert und wiederholt Missbräuche festgestellt wurden, können die tripartiten Kommissionen Normalarbeitsverträge festlegen. Zudem strebt 41

Argumentarium der JUSO Schweiz zugunsten der Initiative (www.juso.ch/files/091006_Argumentarium-1_12-Initiative.pdf), S. 4.

659

das Bundesgesetz gegen die Schwarzarbeit die Eindämmung der Schattenwirtschaft und damit prekärer Arbeitsverhältnisse an.

Die Festlegung der hohen und höchsten Saläre ist Sache der Unternehmen. Der Staat sieht von direkten Eingriffen in die Festsetzung von Löhnen bei privaten Unternehmen ab, doch stellt er durch das Aktien- und Rechnungslegungsrecht Leitplanken in Bezug auf die Corporate Governance auf. Der Bundesrat ist jedoch der klaren Ansicht, dass die aktienrechtlichen Bestimmungen zur Corporate Governance im Allgemeinen und die Bestimmungen zu den Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften im Speziellen verbessert werden müssen. Er hat bereits 2007 in der Botschaft zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts sowie erneut 2008 in der Botschaft zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» mehrere Verbesserungsvorschläge unterbreitet. 2010 begrüsste der Bundesrat ausdrücklich die zwei Dokumente des indirekten Gegenvorschlags zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei» der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, die mehrere seiner Vorschläge aufnehmen.

Zudem wurde die Bankenregulierung aufgrund der Erfahrungen mit der letzten Finanzkrise verschärft. Die Exzesse bei den Salären der Finanzinstitute sind Gegenstand spezifischer Massnahmen. So hat die FINMA am 21. Oktober 2009 eine Weisung betreffend die Entlöhnungssysteme beschlossen. Zudem hat das Parlament die sogenannte «Too big to fail»-Vorlage in der Herbstsession 2011 verabschiedet.

Der Bund hat die Möglichkeit erhalten, bei den systemrelevanten Banken, die öffentliche Stützung beanspruchen, Einfluss auf die Entlöhnung zu nehmen (neuer Art. 10a des Bankengesetzes, Änderung vom 30. September 2011, «Too big to fail»).

Der Staat ist selber ein grosser Arbeitgeber oder Eigner von Anstalten des öffentlichen und des privaten Rechts. Auch er hat bei der Besetzung von Führungspositionen das Ziel, geeignete Führungskräfte zu gewinnen und zu halten. Trotzdem setzt er, und setzen mit ihm viele Kantone, bei den Spitzenlöhnen klare Grenzen.

Mit Ausnahme einiger weniger marktorientierter bundesnaher Unternehmen (z.B.

Post, SBB und RUAG) wird das von der Initiative angestrebte Lohnverhältnis eingehalten.

Für den Lebensstandard der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers ist das letztlich verfügbare Einkommen von Bedeutung. Damit
spielen neben den Löhnen auch die Abgaben und die Transfereinkommen eine Rolle. Der Staat strebt mit dem Steuersystem und mit zahlreichen Transferleistungen im sozialen Bereich einen Ausgleich der Einkommensverteilung an.

Die bestehenden und die in Entwicklung befindlichen politischen Massnahmen dürften nach Meinung des Bundesrates daher überzeugendere Resultate bringen, ohne die negativen Effekte der von der Volksinitiative vorgeschlagenen Lösung zu haben. Die Initiative vermag die von ihr gesteckten Ziele auch nicht zu erreichen.

Sie mindert die Standortattraktivität der Schweiz für Branchen, die in der Schweiz eine relativ grosse Bedeutung haben, erheblich. Wichtige Grundsätze der Schweizer Arbeitsmarktpolitik werden verletzt. Eine Annahme hätte eine gravierende Signalwirkung. Die Initiative lässt sich mit der Lohnbildungspolitik und dem Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit schlecht vereinbaren. Ihre Umsetzung hätte letztlich auch zahlreiche Probleme rechtlicher und praktischer Natur zur Folge und würde hohe administrative Kosten verursachen.

660

Aus all diesen Gründen beantragt der Bundesrat, die Volksinitiative «1:12 ­ Für gerechte Löhne» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

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