Bericht des Bundesrates zur Abschreibung der Motion Schweiger (07.3856): Ausgewogeneres und wirksameres Sanktionssystem für das Schweizer Kartellrecht vom 15. Februar 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2007 M

07.3856

Ausgewogeneres und wirksameres Sanktionssystem für das Schweizer Kartellrecht (N 20.12.07, Schweiger; S 21.9.10)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Februar 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-2798

1835

Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Motion Schweiger (07.3856): Ausgewogeneres und wirksameres Sanktionssystem für das Schweizer Kartellrecht

Am 20. Dezember 2007 reichte Ständerat Schweiger zusammen mit 33 Mitunterzeichnenden den nachstehend im Wortlaut wiedergegebenen Vorstoss ein: Der Bundesrat wird beauftragt, im Kartellgesetz durch eine ausdrückliche Regelung sicherzustellen, dass Unternehmen, welche ein hohen Anforderungen genügendes Programm zur Beachtung der kartellgesetzlichen Regelungen betreiben, mit einer reduzierten beziehungsweise beim Vorliegen von (im Gesetz hierfür vorzusehenden) Voraussetzungen mit keiner Verwaltungssanktion belegt werden können. Zur Stärkung der Compliance-Anstrengungen der Unternehmen sollen im Kartellgesetz gleichzeitig Strafsanktionen für natürliche Personen im Fall ihrer aktiven Beteiligung an Kartellabsprachen mit Wettbewerbern verankert werden.

1.2

Stellungnahme des Bundesrates

In seiner Stellungnahme beantragte der Bundesrat die Ablehnung der Motion. Er machte geltend, dass bereits nach der geltenden gesetzlichen Regelung ComplianceProgramme (und ein damit einhergehendes geringeres Verschulden) im Rahmen der Artikel 3 und 6 der KG-Sanktionsverordnung als sanktionsmindernd, wenn auch nicht als sanktionsausschliessend berücksichtigt werden können. Zur strafrechtlichen Verfolgung natürlicher Personen führte er aus, dass im Sinne der Prävention grundsätzlich zu begrüssen wäre, wenn eine direkte Strafbarkeit von natürlichen Personen kumulativ zur Sanktionierbarkeit des Unternehmens hinzutreten würde. Im Rahmen der laufenden Evaluation des KG werde diese Frage denn auch thematisiert. Der Bundesrat machte allerdings auch geltend, es könnte sich als schwierig erweisen, dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin, der oder die für eine Kartellabrede verantwortlich ist, den im Strafrecht geforderten Vorsatz nachzuweisen. Unter dem Strich bliebe dann nur die Sanktionsreduktion wegen des Compliance-Programms. Weiter könnte die Einführung strafrechtlicher Sanktionen die Einschaltung von Strafgerichten bedingen und so die Kartellverfahren komplizieren.

1.3

Überweisung der Motion in der Fassung des Nationalrates

In ihrer ursprünglichen Form forderte die Motion, dass rechtsgenügende Compliance-Programme nicht nur zur Sanktionsminderung führen sollten, sondern unter gewissen gesetzlich festzulegenden Bedingungen sogar zur Sanktionsbefreiung.

Dem Nationalrat ging diese Schwächung des KG zu weit; er änderte die Motion in diesem Punkt und sah neu nur noch eine Minderung der Sanktion vor. Am 21. Sep-

1836

tember 2010 überwies auch der Ständerat die Motion mit der vom Nationalrat beschlossenen Änderung.

Vorher war die Motion in Folge eines Ordnungsantrages Schweiger vom 21./22. Juni 2010 bezüglich der Einführung von Strafsanktionen gegen natürliche Personen im Kartellrecht nochmals in der Wirtschafts- und Abgabenkommission des Ständerates (WAK-S) beraten worden. Diese konnte sich dabei auf eine ausführliche Diskussionsunterlage der Verwaltung abstützen, welche vier Umsetzungsvarianten für den zweiten Teil der Motion Schweiger gegeneinander abwog.1 Obwohl das zuständige Departement am Antrag des Bundesrates auf Ablehnung festhielt, wollte die WAK-S auch diesen Teil der Motion überwiesen sehen.

1.4

Vertiefende strafrechtliche Abklärungen

Angesichts der sich abzeichnenden Überweisung der Motion Schweiger wandte sich das zuständige Departement parallel zu eigenen Abklärungen im ersten Quartal 2010 an zwei Strafrechtsexperten, um aufzeigen zu lassen, wie genau sich die Motion Schweiger am besten umsetzen liesse. Das entsprechende Gutachten wurde von den Strafrechtsprofessoren Günter Heine, Universität Bern, und Robert Roth, Universität Genf, erstellt.2 Professor Heine3 nahm sich in erster Linie der materiell-rechtlichen Bestimmungen an, Professor Roth der verfahrensrechtlichen Bestimmungen.

Die Gutachter betonen, dass bei Einführung von Kriminalstrafen sowohl materiellrechtlich als auch verfahrensrechtlich besondere rechtsstaatliche Voraussetzungen zu gewährleisten seien: In materiell-rechtlicher Hinsicht sei insbesondere zu beachten, dass Gesetzesbestimmungen, deren Verletzung Freiheitsstrafen nach sich ziehen sollen, einen hohen Grad an rechtlicher Bestimmtheit aufweisen müssen. Weiter stelle sich die Herausforderung, dass nicht nur die Beteiligung am Verstoss, sondern auch vorsätzliches Vorgehen nachgewiesen werden müssen. Anspruchsvolle Fragen ergäben sich ferner hinsichtlich der Umschreibung der Voraussetzungen, die zur Tatbestandserfüllung vorliegen müssen, der Definition des Täterkreises sowie der zu wählenden Deliktsfigur.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht müsse der natürlichen Person, gegen die ermittelt wird, das Recht zugestanden werden, nicht zur eigenen Verurteilung beitragen zu müssen. Besondere Vorsicht sei auch gegenüber der natürlichen Person erforderlich, welche das Unternehmen im Verfahren gegen dieses Unternehmen vertritt. Diese könne sich im Rahmen ihrer Rolle als Vertreterin des Unternehmens zu Aussagen veranlasst sehen, die sie einer Strafverfolgung aussetzen könnten.

Der Koordination mit der Verfolgung des Unternehmens müsse jedenfalls grösste Beachtung geschenkt werden. Wenn, wie hier zur Diskussion gestellt werde, die Verfahren und die verfahrensführenden Behörden vollkommen getrennt seien, 1 2

3

Vgl. www.seco.admin.ch/themen/02860/04210/index.html?lang=de.

Das Gutachten von Günter Heine/ Robert Roth ist im Internet wie folgt abrufbar: www.seco.admin.ch/themen/02860/04210/index.html?lang=de . Es ist auch als Band Nr. 20 unter dem Titel:«Kartellrechtsrevision 2010: Rechtsgutachten zu Fragen der Sanktionierung von natürlichen Personen und Unternehmen» in der Studienreihe des SECO «Grundlagen der Wirtschaftspolitik» erschienen.

Professor Günter Heine verstarb am 25. Juni 2011.

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würden die oben genannten Risiken allerdings wesentlich verkleinert. Die Risiken blieben aber angesichts der Verpflichtung zur Zusammenarbeit, der diese Behörden unterliegen, nicht weniger real und die Zusammenarbeit bedürfe deshalb einschlägiger gesetzlicher Regelungen. Überdies dürfte sich auch die Entwicklung einer sinnvollen Verteidigungsstrategie sowohl für ein bestimmtes Unternehmen als auch für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Anwältinnen und Anwälte als äusserst komplexes Unterfangen erweisen.

Es sei daher zu befürchten, dass ­ entgegen der Zielsetzung der Motion Schweiger ­ durch die Einführung von Verwaltungsmassnahmen oder Strafsanktionen die Wirksamkeit der gegen Kartelle gerichteten Bestimmungen verringert werden könnte.

Problematisch bleibt für die Gutachter zudem die Bonusregelung. Der Ermittlungsnotstand, die stärkere Berücksichtigung von Zweckmässigkeitsüberlegungen im neueren schweizerischen Strafrecht, der Rechtsgedanke des Artikels 13 im Verwaltungsstrafrecht und die normative Kraft des Faktischen, nämlich das Bestehen einer Bonusregelung für Unternehmen, sprächen wohl für eine Zulässigkeit der Bonusregelung für natürliche Personen, auch weil im Kartellrecht keine Verbrechen auf der Agenda stünden. Gleichwohl ist gemäss den Gutachtern zu erkennen, dass sich der Charakter des Kriminalstrafrechts schleichend wandelt, wenn für Mitarbeit in der Strafuntersuchung Straffreiheit eingehandelt werden kann.

1.5

Verworfene Umsetzungsvarianten

Verschiedene andere Umsetzungsvarianten wurden geprüft. Verworfen wurde beispielsweise die Idee, dass nur verfolgt werden soll, wer in Verletzung von gesetzlichen oder vertraglichen Treuepflichten gegenüber dem Unternehmen vorsätzlich und durch aktive Handlungen gehandelt hat4. Dies gäbe in einer strafrechtlichen Frage zu viel Gestaltungsmöglichkeiten in die Hand der Unternehmen. Nur diejenigen natürlichen Personen zu verfolgen, welche an einer Abrede unter Unternehmen mit einem bestimmten Marktanteil (z. B. 30 Prozent) mitwirken, kommt ebenfalls nicht in Frage: Denn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können diese Einschätzung der Marktanteile, die oft schon den Unternehmen schwerfallen, kaum vornehmen.

Einer solchen Strafbestimmung würde es deshalb an der rechtlichen Bestimmtheit mangeln.

1.6

Erfahrungen des Auslands

Kartellrechtswidriges Verhalten wird weltweit uneinheitlich sanktioniert. Während in den meisten europäischen Staaten Kartellrecht über verwaltungsrechtliche Verfahren und Sanktionsmechanismen durchgesetzt wird, sehen zum Beispiel die USA eine stark ausgestaltete privatrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung sowie die Möglichkeit von Kriminalstrafen gegen natürliche Personen vor. Obwohl auch in einzelnen Mitgliedstaaten der EU Strafsanktionen gegen natürliche Personen wegen 4

So etwa vorgesehen in der Parlamentarischen Initiative Kaufmann (08.443): «Existenzgefährdung infolge Kartellbussen verhindern». Die in der Pa.Iv. ebenfalls geforderte vollständige Sanktionsbefreiung bei Compliance-Programmen hat das Parlament bereits im Rahmen der Überweisung der Mo. Schweiger verworfen und sich für eine Sanktionsminderung entschieden, welche im KG-Revisionsprojekt vorgesehen ist.

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Kartellrechtsverstössen verankert sind oder zumindest zur Diskussion stehen, sind die europäischen Kartellrechtsordnungen grundsätzlich darauf ausgerichtet, primär Unternehmen und nicht Individuen ins Recht zu fassen. Ein solches Verständnis widerspiegelt auch die geltende Kartellrechtsordnung in der Schweiz.

In den USA sah bereits der Sherman Act von 1890 die Möglichkeit von Geld- und Freiheitsstrafen sowohl bei Verstössen gegen das Verbot unzulässiger Wettbewerbsabreden (Section 1 Sherman Act) als auch bei rechtswidriger Monopolisierung (Section 2 Sherman Act) vor. Heute werden in den USA Strafsanktionen gegen natürliche Personen v. a. in Fällen von Hardcore-Kartellen (v. a. bei Preiskartellen und Submissionsabsprachen) verhängt, wobei natürliche Personen mit Geldstrafen bis zu einer Million US-Dollar und Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren bestraft werden können5. Aufgrund der geltenden Kronzeugenregelung kommt es allerdings nur zu Anklagen, wenn die in der Leniency-Bekanntmachung festgehaltenen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Section 2 Clayton Act). Gleichwohl sind Verurteilungen von Managern wegen kartellrechtswidrigem Verhalten in den USA nichts Aussergewöhnliches.

Anders verhält es sich im angelsächsisch geprägten europäischen Rechtsraum. Zwar besteht in Grossbritannien6 und Irland7 die Möglichkeit von strafrechtlichen Sanktionen (Geldstrafen in unbegrenzter Höhe bzw. 4 Millionen Euro. und Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren) für Individuen, die an Hardcore-Kartellen beteiligt oder für solche verantwortlich sind. Die praktische Relevanz der Bestrafung natürlicher Personen in diesen beiden Staaten ist aber bislang gering. Festzuhalten ist, dass in Grossbritannien Kronzeugen Strafimmunität gewährt werden kann.

Von den durch die kontinental-europäische Rechtstradition geprägten Staaten bestraft Frankreich natürliche Personen für die Beteiligung an kartellrechtswidrigen Vereinbarungen oder den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung mit Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren und Geldbusse von bis zu 75 000 Euro8. Wie im britischen Recht muss der Täter oder die Täterin in betrügerischer Absicht Einfluss auf den Kartellrechtsverstoss genommen haben, wofür allerdings strenge Massstäbe angelegt werden. Aus diesem Grund sind strafrechtliche Sanktionen im französischen Kartellrecht
von untergeordneter Bedeutung. Weiter kennen in der EU Estland, die Slowakische Republik und Zypern kartellrechtliche Kriminalstraftatbestände, welche die Androhung von Freiheitsstrafen vorsehen9.

Breit gefasste kriminalstrafrechtliche Tatbestände für Wettbewerbsverstösse fehlen hingegen in Deutschland. Wie in Österreich und Ungarn stehen nur Submissionsabsprachen unter Strafandrohung und zwar einerseits durch § 298 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bzw. mit Geldstrafe oder durch den allgemeinen Betrugstatbestand (§ 263 StGB). Verurteilungen von Submittenten kommen jedes 5

6 7 8 9

Seit dem Criminal Fine Enforcement Act von 1984 besteht alternativ die Möglichkeit, das Höchstmass der Geldstrafe auf das Doppelte des Verletzergewinns oder des Schadens festzusetzen, vgl. Section 3571 (d) United States Code Title 18 (Crimes and Criminal Procedures).

Vgl. Enterprise Act 2002, durch den strafrechtliche Sanktionierung kartellrechtswidrigen Verhaltens eingeführt wurde.

Vgl. insb. Section 8 Competition Act 2002.

Art. L420-6 Code de commerce.

Die OECD hat sich im Jahre 2005 für eine mit Freiheitsstrafen bedrohte Kriminalisierung jedenfalls der schwersten Kartellrechtsverstösse ausgesprochen (OECD, Hard Core Cartels, Third Report, 2005, 26 ff., 39 f.).

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Jahr vor. Für Verstösse gegen alle andern kartellrechtlichen Tatbestände können in Deutschland immerhin Geldbussen des Ordnungswidrigkeitenrechts nicht nur den Unternehmen, sondern auch den verantwortlichen Individuen auferlegt werden.

In Belgien wurde die Einführung strafrechtlicher Sanktionen gegen natürliche Personen unlängst diskutiert. Eine Empfehlung der belgischen Wettbewerbskommission von 2010 zeigt verschiedene damit verbundene Schwierigkeiten u. a. betreffend Informationsaustausch und Bindung des Strafrichters an die verwaltungsrechtlichen Kartellentscheide. Die Kommission stellte in ihrem Avis insbesondere fest, verwaltungsrechtliche Massnahmen wie Tätigkeitsverbote seien oft angebrachter und sachdienlicher als strafrechtliche Sanktionen10. Strafrechtliche Sanktionen gar abgeschafft haben die Niederlande im Jahre 1997. Indes kam es per 1. Oktober 2009 zu einer Rekriminalisierung in dem Sinne, dass natürliche Personen, welche bezüglich eines Kartells Instruktionen geben oder de facto Leadership ausüben, sanktioniert werden können. Eine Entkriminalisierung fand mit der Aufhebung strafrechtlicher Sanktionen für kartellrechtlich unzulässige Verhaltensweisen ­ unter Ausnahme von Submissionsabsprachen ­ im Jahre 2002 in Österreich statt. In Luxemburg schliesslich wurden die als Ungehorsamkeitstatbestände ausgestalteten kartellrechtlichen Strafsanktionen im Jahre 2004 abgeschafft11.

Schliesslich sieht das EU-Recht keine strafrechtlichen oder administrativen Sanktionen gegen die verantwortlichen Individuen vor: Nach Artikel 23 VO 1/2003 können nur Unternehmen mit einer Geldbusse belegt werden. Ohne Bedeutung blieb bisher die Ausnahme der Sanktionsmöglichkeit, wenn eine natürliche Person die rechtlichen Voraussetzungen des Status als Unternehmen erfüllt. Für eine generelle Einführung administrativer oder strafrechtlicher Sanktionen gegen natürliche Personen im EU-Recht sind derzeit keine Anzeichen erkennbar12. Dies dürfte wesentlich auch darin begründet sein, dass die EU selber keine strafrechtlichen Kompetenzen besitzt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Situation bezüglich kartellrechtlicher Strafsanktionen gegen natürliche Personen uneinheitlich ist. Während sie in den USA ein zentrales und funktionierendes Element des Sanktionssystems bilden, kennen in Europa zwar einzelne Staaten
entsprechende Sanktionen, stellen an deren Ausfällung aber hohe Anforderungen oder sind mit Schwierigkeiten bei der Umsetzung konfrontiert, sodass die praktische Relevanz der Bestrafung von Individuen für kartellrechtlich unzulässiges Verhalten gering ist. Schliesslich ist in gewissen Staaten auch eine Entkriminalisierung des Kartellrechts zu beobachten. Insofern ist in Europa weder eine einheitliche Tendenz betreffend die Sanktionierung natürlicher Personen erkennbar noch besteht in denjenigen europäischen Ländern, die solche 10

11

12

Commissie voor de mededinging/Commission de la concurrence, Avis sur l'introduction de sanctions pénales dans le droit belge de la concurrence (CCE 2010-0233 DEF MED), 04.02.2010, abrufbar unter www.ccecrb.fgov.be/txt/fr/doc10-233.pdf.

Vgl. dazu die Bestandesaufnahme bei Heinemann Andreas, Kriminalstrafrechtliche Individualsanktionen im Kartellrecht?, in: Kunz Peter V., Herren Dorothea, Cottier Thomas, Matteotti René (Hrsg.), Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis ­ Festschrift für von Büren Roland, Basel 2009, 587­624.

Vgl. Baudenbacher Carl, Gutachten zur Evaluation bestimmter Aspekte des schweizerischen Kartellgesetzes: Institutionelles Setting ­ Vertikalbeschränkungen ­ Individualsanktionen ­ Private Enforcement, 118, mit Verweis auf Lowe Philip, Preventing and Sanctioning Anticompetitive Conduct: Effective Use of Administrative and Criminal Sanctions, Leniency: and Private Action in the EU, in: Barry Hawk, International Antitrust Law & Policy (2007), 96.

1840

Strafsanktionen vorsehen, eine für die Zwecke der Umsetzung der Motion Schweiger auswertbare Fallpraxis.

2

Vernehmlassung zur Umsetzung der Motion Schweiger

Nachdem auch der Ständerat die Motion in der Form des Nationalrates überwiesen hatte, schritt der Bundesrat rasch zu einer Vernehmlassung über die Umsetzung der Motion Schweiger. Bezüglich Verfolgung natürlicher Personen wurden zwei Varianten in die Vernehmlassung gegeben, einerseits eine Variante, die verwaltungsrechtliche Massnahmen gegen die beteiligten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vorschlug (Tätigkeitverbote und Einzug von Lohnbestandteilen, die auf die Kartellabrede zurückgehen), anderseits eine strafrechtliche Variante, die Geld- und Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vorsah13. Das Vernehmlassungsverfahren zur Umsetzung der Motion Schweiger wurde am 30. März 2011 eröffnet und am 6. Juli 2011 beendet.

Die nachstehende Zusammenfassung folgt der Zusammenfassung im Ergebnisbericht, den der Bundesrat am 16. November 2011 verabschiedet hat. Die Stellungnahmen der einzelnen Vernehmlassungsteilnehmenden lassen sich diesem Bericht entnehmen.

2.1

Beteiligung am Vernehmlassungsverfahren

Zur Vernehmlassung eingeladen wurden alle Kantonsregierungen, die politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft sowie weitere interessierte Organisationen und Personen.

Insgesamt 72 Vernehmlassungsteilnehmende haben eine Stellungnahme eingereicht.

Die Stellungnahmen der Konsumentenorganisationen (SKS, FRC und acsi) wurden einzeln gezählt, obwohl sie weitgehend übereinstimmen. Ebenfalls separat gezählt wurde jene des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, der mit economiesuisse zusammengearbeitet hat und auf eine eigene Stellungnahme verzichtet.

2.2

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

Im Allgemeinen wird die Revisionsvorlage von den Teilnehmenden nicht begrüsst.

Die Mehrheit lehnt die Vorlage ab, lediglich eine Minderheit stimmt ihr zu. Breite Kreise stehen ihr mit gemischten Gefühlen gegenüber oder akzeptieren lediglich einen der beiden unterbreiteten Vorschläge, vorzugsweise die Sanktionsminderung für Unternehmen, weniger die Einführung von Sanktionen gegen natürliche Personen. Wo die strafrechtliche Sanktionierung natürlicher Personen Unterstützung findet, werden meist Anpassungen am Vorschlag verlangt, der Gegenstand der Vernehmlassung war.

13

Die Vernehmlassungsunterlagen sind auf folgender Internetseite einsehbar: www.news.admin.ch/dokumentation/00002/00015/ index.html?lang=de&msg-id=38365.

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Fast die Hälfte der Teilnehmenden, die eine Sanktionierung natürlicher Personen ablehnen, zeigten sich der Einführung von verwaltungsrechtlichen Massnahmen gegenüber beteiligten natürlichen Personen nicht völlig abgeneigt, würde strafrechtliche Sanktionen aber unter keinen Umständen unterstützen. Ablehnend sind namentlich die Mehrheit der Kantone, die WEKO, zwei Parteien (SP und GPS) und eine Reihe von Wirtschaftsverbänden (vor allem Bau- und Gewerbekreise, westschweizerische Unternehmerorganisationen, sowie die Organisationen der Beschäftigten [KV Schweiz und der SGB]). Eine gewisse Bereitschaft, allenfalls verwaltungsrechtliche Massnahmen einzuführen, zeigen der SGV, die WEKO und zwei Kantone. Unter den Teilnehmenden, die die Verfolgung natürlicher Personen grundsätzlich unterstützen, spricht sich der Grossteil für die Variante mit Strafsanktionen aus. Befürwortend sind insbesondere drei Parteien (FDP, SVP, CVP), vier Kantone, economiesuisse, Swissmem, Swiss Retail Federation, wobei economiesuisse hervorhebt, dass bei einer Weiterverfolgung von Kriminalstrafen eine fundamentale Überarbeitung der Gesetzesartikel erfolgen müsste.

Von der Mehrheit der Teilnehmenden, die sich gegen die Einführung von Sanktionen gegen natürliche Personen aussprechen, werden namentlich folgende Argumente ins Feld geführt: Das Kartellrecht muss im Missbrauchsfall den Wettbewerb wiederherstellen. Dabei müssen die Verhaltenskorrektur beim Unternehmen und dessen Sanktionierung weiterhin im Vordergrund stehen. Gewisse Teilnehmende, namentlich die Organisationen der Beschäftigten, befürchten entsprechend, dass bei Verfolgung auch der beteiligten Personen die Unternehmensführung die Verantwortung auf die Mitarbeitenden abschieben würde. Für mehrere Vernehmlassungsteilnehmer widerspricht die Kriminalisierung der Mitarbeitenden unserer Rechtstradition. Einige Vernehmlassungsteilnehmer, so die beiden Appenzell, verwiesen darauf, dass solche Sanktionen gegen natürliche Personen im Rahmen des KG bereits heute möglich sind, nämlich im Fall der Wiederholung des Verstosses auf dem Wege des Verwaltungsstrafrechts. Mehrere Teilnehmende geben zu bedenken, dass der Nachweis des Vorsatzes schwierig zu erbringen sein würde und dies bei unsicheren Fällen zu langen und komplexen Verfahren führen könnte (so vor allem die Kantone, aber auch
einige Wirtschaftsverbände wie economiesuisse). Kreise wie die WEKO halten die Einführung einer Bonusregelung, wie sie bereits für Unternehmen besteht, auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als unabdingbar. Dass die Einführung einer solchen Regelung auch für natürliche Personen einen Bruch mit der Rechtstradition bedeuten würde, wird von den Vernehmlassungsteilnehmenden als notwendiges Übel hingenommen. Schon eher wird die Befürchtung geäussert, dass die Bonusregelung für Unternehmen nicht mehr gleich gut funktionieren könnte. Namentlich könnte sich die oder der Betroffene, anstatt zu kooperieren, auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen und Beweise vernichten. Viele Teilnehmende halten die Koordination der Verfahren gegen Unternehmen und natürliche Personen für schwierig. Ein solches System würde nur funktionieren, wenn die gerichtliche Beurteilung der natürlichen Personen erst nach der endgültigen Verurteilung des Unternehmens stattfindet; dies würde aber bedeuten, dass die natürlichen Personen Jahre auf ihren Urteilsspruch warten müssten.

Von den Dachverbänder der Wirtschaft und den weiteren interessierten Kreisen, die eine Sanktionierung natürlicher Personen befürworten, lehnt ­ wie einleitend ausgeführt ­ die überwiegende Mehrheit die konkret in die Vernehmlassung gegebene Lösung ab. Es wird insbesondere kritisiert, dass der Täterkreis nicht in genügend genauer Weise umschrieben sei, dass die Ausgestaltung als Gefährdungsdelikt auf 1842

ein «Per-se»-Verbot dieser Arten von Absprachen hinauslaufe und dass es problematisch sei, auch Unterlassungshandlungen strafrechtlich zu verfolgen. Bezüglich der Haltung der weiteren Vernehmlassungsteilnehmer gilt es hervorzuheben, dass die Mehrheit der politischen Parteien die Sanktionierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt und ausdrücklich die strafrechtliche Variante bevorzugt.

Viele Vernehmlassungsteilnehmer, seien sie für oder gegen eine Verfolgung natürlicher Personen, verlangen eine Ausnahme für KMU. Schliesslich findet eine Reihe von Vernehmlassungsteilnehmern, zuerst müsse sich die Sanktionspraxis gegenüber Unternehmen noch besser herausbilden, bevor eine Ausweitung der kartellrechtlichen Verfolgung auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Auge zu fassen sei.

3

Vorgehensentscheid des Bundesrates vom 16. November 2011 bezüglich Kartellgesetzrevision

Nachdem insgesamt drei Vernehmlassungen zur Revision des Kartellgesetzes durchgeführt worden waren, entschied der Bundesrat am 16. November 2011 über die Eckwerte einer dem Parlament zu beantragenden Kartellgesetzrevision14. Neben einer auch für die Motion Schweiger relevanten Institutionenreform entschied er, mehrere materiell-rechtliche Änderungen in die Botschaft aufzunehmen, die das schweizerische Kartellrecht demjenigen der angrenzenden Staaten weiter annähern würden. Bezüglich der Umsetzung der Motion Schweiger kam er zum Schluss, nur einen Teil in die Botschaft aufzunehmen.

3.1

Umsetzung des ersten Teils der Motion Schweiger (Sanktionsreduktion dank Compliance-Programmen)

Das erste Anliegen der Motion Schweiger, eine sanktionsmindernde Berücksichtigung von Compliance-Programmen, soll nach Auffassung des Bundesrates durch eine Ergänzung von Artikel 49a KG umgesetzt werden. Der Bundesrat hatte sich der Überweisung der Mo. Schweiger zwar seit ihrer Einreichung im Jahr 2007 widersetzt, u. a. mit Hinweis auf die Möglichkeiten im bestehenden Recht. Doch hatte die Vertreterin des Bundesrates in der Debatte im Ständerat im Herbst 2010 auch eine gewisse Bereitschaft signalisiert, einen Schritt in Richtung eines im Gesetz vorgesehenen Anspruchs auf Sanktionsreduktion zu machen, wenn genügend gute Compliance-Programme vorliegen. Die klare Überweisung der Motion spricht für eine Wertung des nicht eindeutigen Vernehmlassungsergebnisses im Sinne des Parlamentsauftrags. Anzupassen ist die in der Vernehmlassung vorgeschlagene Formulierung, wonach der Geschäftstätigkeit und der Branche angemessene Vorkehrungen zur Verhinderung von Kartellrechtsverstössen sanktionsmindernd zu berücksichtigen sind, «wenn sie und deren Wirksamkeit von den Unternehmen hinreichend dargetan werden».

14

Vgl. www.seco.admin.ch/themen/02860/04210/index.html?lang=de.

1843

3.2

Ausarbeitung eines Berichts in Beantwortung des zweiten Teils der Motion Schweiger (Sanktionierung natürlicher Personen)

Ausgehend vom ungünstigen Ausgang des Vernehmlassungsverfahrens und angesichts seiner bekannten ablehnenden Haltung gegenüber der Sanktionierung natürlicher Personen beschloss der Bundesrat dagegen, in Form eines Berichts dem Parlament die Abschreibung des zweiten Teils der Motion zu beantragen. Im Rahmen dieses Berichts solle dem Parlament dennoch in Form der strafrechtlichen Variante der Vernehmlassungsunterlage vom 30. März 2011 eine Lösung zur erweiterten Einführung von Strafsanktionen gegen Mitarbeitende, die an Kartellabreden beteiligt sind, zur Verfügung gestellt werden.

Als Vorgaben für eine solche gesetzliche Lösung sollte der Gesetzgeber gemäss Bundesrat die nachstehend dargelegten Festlegungen beachten: Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass sich die institutionellen und verfahrensrechtlichen Strukturen in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung (d. h. Wettbewerbskommission mit zugehörigem Sekretariat) nicht für die Einführung von Geld- und Freiheitsstrafen gegenüber Angehörigen von Unternehmen eignen, die sich kartellrechtswidrig verhalten haben. Auch eine Wettbewerbskommission, die sich aus unabhängigen Mitgliedern zusammensetzt, wäre nicht geeignet, Freiheitsstrafen zu verhängen.

Es braucht folglich neue Lösungen, um Sanktionen gegen natürliche Personen einzuführen. Dies hat in einer Weise zu geschehen, die eine Gefährdung der Wirksamkeit der bestehenden Durchsetzungsinstrumente des KG möglichst ausschliesst.

Der Wechsel ins Verwaltungsstrafrecht und ins Unternehmensstrafrecht auch bei der Verfolgung des Unternehmens, um gegen Unternehmen und beteiligte natürliche Personen in einem einzigen Verfahren vorzugehen, fallen für den Bundesrat deshalb ausser Betracht.

Beim Verwaltungsstrafrecht ist das Risiko zu gross, dass die simultane Verfolgung der Unternehmen und all ihrer beteiligten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine Komplexität des Verfahrens ergibt, die zum Scheitern der ganzen Untersuchung führt, und dies namentlich auch, weil zum Nachweis der Beteiligung neu auch der Nachweis des Vorsatzes hinzutreten müsste, was bei den natürlichen Personen zu langwierigen Sachverhaltsabklärungen innerhalb der Unternehmen Anlass gäbe.

Bei einem Wechsel zum Unternehmensstrafrecht würde sich zusätzlich eine Verlagerung der Verantwortlichkeit vom Unternehmen zu den beteiligten Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen ergeben. Zwar kennt das Unternehmensstrafrecht die Verfolgung von Unternehmen losgelöst von der Verfolgung der Unternehmensangehörigen, etwa bei Korruptionsfällen. Das Unternehmensstrafrecht harrt aber weiterhin einer praktischen Erprobung. Es wäre nicht zu verantworten, durch einen Wechsel des Verfahrensrechts die eingespielten Verfahren der Kartellrechtsdurchsetzung einer massiven Gefährdung auszusetzen.

1844

Diese Feststellungen zu einem Wechsel ins Verwaltungsstrafrecht oder ins Unternehmensstrafrecht bei der Verfolgung der Unternehmen stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass das Bundesgericht die heutige, auf dem Verwaltungsverfahrensgesetz gründende Lösung mit Verwaltungssanktionen schützt.15 Nachdem im Ergänzungsbericht zuhanden der WAK-S mit diesen und weiteren Argumenten ein Wechsel ins Verwaltungsstrafrecht oder ins Unternehmensstrafrecht verworfen worden war, waren ­ wie ausgeführt ­ noch eine strafrechtliche und eine verwaltungsrechtliche Variante zur Umsetzung der Motion Schweiger Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens. Zu diesen ist Folgendes zu bemerken: Da die verwaltungsrechtliche Variante vor allem von denjenigen Kreisen bevorzugt wurde, die an sich gegen eine Erfassung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Kartellverfahren sind, kann sie nach Auffassung des Bundesrates derzeit mangels Befürwortern nicht weiterverfolgt werden. Es wird immerhin zu prüfen sein, ob die Instrumente, die als Administrativmassnahmen vorgesehen waren, im Zusammenhang mit der Würdigung von Compliance-Programmen eine Bedeutung erlangen sollen. Die Tatsache, dass ein Unternehmen sich von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen trennt, die gegen ein Compliance-Programm oder das Kartellgesetz verstossen haben, und eine arbeitsvertraglich vorgesehene Rückforderung von Boni in diesem Fall auch durchsetzt, könnte als ein Ausdruck adäquater ComplianceAnstrengungen gewertet werden.

Somit bleibt die zweite in die Vernehmlassung gegebene Umsetzungsvariante im Raum, welche die Mo. Schweiger wörtlich versteht und für natürliche Personen im Fall ihrer Mitwirkung an Kartellabreden mit Wettbewerbern strafrechtliche Sanktionen vorsieht. Sie kennt die folgenden wesentlichen Elemente, an denen auch nach der Vernehmlassung festgehalten werden sollte: ­

das geltende, die Unternehmen betreffende Verfahren wird belassen;

­

für die Verfolgung der an der Kartellabrede beteiligten natürlichen Personen wird ein eigener Straftatbestand geschaffen;

­

eine strafrechtliche Verfolgung soll nur bei Beteiligung an harten Horizontalabreden erfolgen (d. h. Preis-, Gebiets- und Mengenabreden unter Unternehmen der gleichen Marktstufe);

­

der Tatbestand sollte möglichst klar und bestimmt sein (Rechtssicherheit);

­

die Verfolgung der natürlichen Personen soll durch die Bundesanwaltschaft erfolgen und vor das Bundesstrafgericht führen;

­

der Strafrahmen soll Geld- oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren betragen;

­

auch für natürliche Personen soll eine Bonusregelung vorgesehen werden.

Im Besonderen ist festzuhalten, dass sich die Vernehmlassungsteilnehmenden für eine konsequente Bonusregelung ausgesprochen haben: Wenn die beteiligten natürlichen Personen an der Aufdeckung und Beseitigung der Wettbewerbsabrede mitwirken, soll die Strafverfolgung eingestellt oder von einer Bestrafung ganz oder teilweise abgesehen werden.

15

Dafür spricht u. a. das Urteil des BGer 2A.368/2000 vom 22.11.2000 aus dem Bereich des FMG.

1845

Gegenüber der Vernehmlassungsunterlage sollte immerhin eine Änderung geprüft werden, nämlich die Streichung von Artikel 53b Absatz 3 letzter Satz und Absatz 7.

Die erste Bestimmung soll sicherstellen, dass kein Urteil gegen eine natürliche Person ergeht, solange das Verfahren gegen das Unternehmen nicht abgeschlossen ist. Die zweite Bestimmung sieht vor, dass es ohne Verurteilung des Unternehmens auch keine Verurteilung der natürlichen Person geben kann. Wie von verschiedenen Vernehmlassungsteilnehmenden angemerkt, könnten diese beiden Bestimmungen dazu führen, dass die strafrechtlich verfolgten Mitarbeitenden während eines allenfalls EMRK-widrig langen Zeitraums auf ihr Urteil warten müssen, und dies selbst dann, wenn sie mit dem Urteil einverstanden sind. Der Gesetzesvorschlag aus der Vernehmlassung enthält genügend Vorkehren, um uneinheitliche Urteile gegen Unternehmen und natürliche Personen zur selten bis nie eintretenden Ausnahme zu machen.

Nicht eingetreten werden sollte auf die Ansinnen aus der Vernehmlassung, den Täterkreis anders zu umschreiben, vom Konzept eines Gefährdungsdelikts abzuweichen oder den Tatbestand der Unterlassung von der Strafverfolgung freizustellen. In allen drei Fällen wurden in der Vernehmlassungsunterlage einfach in der Schweiz geltende allgemeine strafrechtliche Prinzipien umgesetzt.

Auch der Forderung gewisser Kreise, die Situation der KMU besonders zu berücksichtigen, kann nach Auffassung des Bundesrates nicht entsprochen werden. Dieselbe Submissionsabrede kann z. B. sowohl KMU wie grössere Betriebe umfassen.

Es wäre ein schwerwiegender Verstoss gegen das Gebot einer rechtsgleichen Behandlung, wenn das gleiche Verhalten im gleichen Fall einmal strafrechtlich verfolgt würde, einmal nicht, nur weil im zweiten Fall der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin einem Unternehmen mit geringer Beschäftigtenzahl oder geringerem Umsatz angehören.

Schliesslich ist auch das Ansinnen gewisser interessierter Kreise abzulehnen, den Entscheid über die strafrechtliche Verfolgung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Hand des Unternehmens zu geben. Denn auch dies könnte zu stossenden Ungerechtigkeiten führen: Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin, von dem oder der sich das Unternehmen sowieso trennen will, wird angezeigt, das für die Kartellabrede möglicherwiese hauptverantwortliche,
im Betrieb mitarbeitende Familienmitglied des Chefs nicht. Dem Unternehmen stehen bereits nach geltendem Recht zivil- und strafrechtliche Instrumente zur Verfügung, um selektiv gegen fehlbare Mitarbeitende vorzugehen.

Heikel bei der Einführung von Strafsanktionen gegen natürliche Personen, die sich an Preis-, Gebiets- und Mengenabsprachen beteiligt haben, ist die Frage der Ausdehnung der für Unternehmen geltenden Bonusregelung auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Unter dem Aspekt der Durchsetzungsfähigkeit des Kartellrechts ist diese Ausweitung unbedingt nötig, konfligiert aber mit der Absenz von Kronzeugenregelungen im Kernstrafrecht. Der Bundesrat zieht aus diesem Konflikt allerdings nicht die Folgerung, dass strafrechtliche Sanktionen gegen natürliche Personen wegen Kartellrechtsverstössen ohne Ausdehnung der Bonusregelung eingeführt werden sollten, sondern dass auf die Umsetzung des zweiten Teils der Motion Schweiger zu verzichten ist. Die Durchsetzung des geltenden Kartellgesetzes würde nämlich massgeblich geschwächt, käme es zur Einführung von Strafsanktionen gegen natürliche Personen ohne gleichzeitige Ausdehnung der Bonusregelung auf diese. Denn eine freiwillige Selbstanzeige von Kartellrechtsverstössen durch ein beteiligtes Unternehmen, welches immer durch natürliche Personen handelt, 1846

erscheint weitgehend illusorisch, wenn damit zwar das Unternehmen von der Sanktion befreit würde, die beteiligten Mitarbeitenden im Unternehmen, darunter wahrscheinlich auch die die Meldung einreichende natürliche Person selbst, im Gegenzug jedoch in jedem Fall zu bestrafen wären. Da das Verfahren gegen das Unternehmen das primäre Verfahren ist und der Erfolg dieses Verfahrens vorgeht, sollte auf die Erweiterung des kartellrechtlichen Instrumentariums um Strafsanktionen gegen beteiligte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verzichtet werden.

In Sachen Ausdehnung der Bonusregelung zu ergänzen ist zudem, dass bei der Ausarbeitung der Vernehmlassungsvorlage eine Reihe von Fragen aufgetreten sind, die, wenn überhaupt, nur mit grossem legislatorischem Aufwand zu bewältigen sind.

Obwohl im Strafrecht unüblich, müsste wegen der Zahl der nötigen Bestimmungen auf Verordnungsrecht zurückgegriffen werden. Es geht z. B. um die adäquate rechtliche Ausdifferenzierung der folgenden drei Situationen: a) die Situation, in der ein Organ des Unternehmens sich selber anzeigt und dabei Straffreiheit zumindest für die Mitglieder des Organs erreichen will; b) die Situation des Managers oder der Managerin, der oder die der Geschäftsleitung aus dem Ruder gelaufen ist und entgegen einem differenzierten Compliance-Programm das Unternehmen in eine Kartellabrede hineingezogen hat und deshalb aus Sicht des Unternehmens strafrechtlich verfolgt werden sollte, ohne dass das Unternehmen eine Sanktion trifft, die über den Einzug der Kartellrente hinausgeht; schliesslich c) die Situation, in der das Mitglied eines Organs, das sich selber anzeigt, das Organ selber nicht dazu bewegen konnte, sich selber anzuzeigen, weshalb es unbillig wäre, dass wegen der Anzeige dieses Mitglieds des Organs das ganze Organ straffrei davonkommen sollte. Probleme wirft aber auch die Frage auf, bei wem Antrag auf eine Bonusregelung gestellt werden kann und wer eine solche mit welcher Verbindlichkeit gewähren könnte, dies einerseits gegenüber dem Unternehmen, anderseits gegenüber den beteiligten natürlichen Personen, und dies gestützt auf eine mehr oder minder koordinierte Meldung von Unternehmen und Beteiligten.

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Antrag des Bundesrates

Gegeben seine Haltung, dass Mitwirkung bei der Strafaufklärung nicht zur vollständigen Sanktionsbefreiung führen soll, und gegeben der grosse gesetzgeberische Aufwand, der eine Ausdehnung der bestehenden Bonusregelung für Unternehmen auf die an der Kartellabrede beteiligten natürlichen Personen mit sich bringen würde ­ bei zudem unsicherem Erfolg ­, beantragt der Bundesrat dem Parlament, auf die Umsetzung des zweiten Teils der Motion Schweiger zu verzichten, und dies, obwohl sich eine Mehrheit der Parteien und ausgewählter Wirtschaftskreise dafür ausgesprochen haben. Neben den bereits angeführten Gründen sprechen folgende weitere Gründe für diesen Verzicht: Erstens darf die Ausweitung der Sanktionierbarkeit auf natürliche Personen nicht dazu führen, dass sich die Verantwortlichkeit für Kartellverstösse von den Unternehmen auf ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verlagert; die Forderungen der Motion Schweiger, beinhalten dieses Risiko.

Zweitens darf die Ausweitung der kartellrechtlichen Verfahren auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wie unter Ziffer 3.2 dargelegt, nicht dazu führen, dass der funktionierende und sich positiv auf den Wettbewerb der Schweiz auswirkende Vollzug des geltenden Kartellrechts gegen die Unternehmen ins Stocken gerät. Auch 1847

wenn zu diesem Zweck zwei getrennte Verfahren eingeführt werden, ist dieses Risiko nicht ausgeräumt.

Drittens ist der Zusatzaufwand zu bedenken, der mit der Ausweitung des kartellrechtlichen Instrumentariums einhergeht. Die Vernehmlassungsunterlage nannte insgesamt zehn Stellen. Die Ausweitung des Instrumentariums ohne namhafte zusätzliche Ressourcen für die Behörden würde gleichfalls eine Schwächung des Wettbewerbsrechts bedeuten, da weniger Fälle aufgegriffen werden könnten. Auch für die Wirtschaft ergäbe sich ein Zusatzaufwand, da sich die in das Verwaltungsverfahren involvierten Unternehmen und ihre in ein Strafverfahren involvierten Mitarbeitenden zwecks wirksamer Verteidigung verschiedene Anwälte und Anwältinnen nehmen müssten.

Viertens sind Beeinträchtigungen des guten Funktionierens des Kooperationsabkommens mit der EU im Bereich Wettbewerb zu bedenken, würde doch neu der Kreis der Sanktionierbaren zwischen der EU und der Schweiz auseinanderlaufen; zur Aushandlung eines solchen Abkommen hat der Bundesrat indes am 18. August 2010 ein Verhandlungsmandat verabschiedet.

Stellt man diese Punkte einer verbesserten präventiven Wirkung des KG gegenüber, so ist das Verhältnis von Nutzen und Kosten für den Bundesrat klar negativ. Dies gilt verstärkt, wenn man bedenkt, dass das geltende Kartellgesetz schon die Verfolgung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in einem verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren kennt, sobald es sich um einen wiederholten Verstoss des Unternehmens gegen das Kartellgesetz handelt, also die strafrechtlich geforderte rechtliche Bestimmtheit der Gesetzesnorm auch für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eindeutig gegeben ist.

Der Bundesrat macht schliesslich darauf aufmerksam, dass er die erste Forderung der Motion, die Sanktionsminderung für Unternehmen bei genügender Durchsetzung von Programmen zur Einhaltung der kartellgesetzlichen Bestimmungen, in seine Botschaft vom 22. Februar 2012 zu einer Kartellgesetzrevision aufgenommen hat.

Er erfüllt die Motion deshalb zumindest teilweise.

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Anhang

Modell für eine strafrechtliche Regelung Die Wirtschafts- und Abgabenkommission des Ständerates wünschte in ihren Beratungen vom Herbst 2010, über die Weiterverfolgung des zweiten Teils der Motion Schweiger in Kenntnis einer ausformulierten gesetzlichen Lösung entscheiden zu können. Nachstehend sind deshalb die beiden Artikel wiedergegeben, die als Umsetzungsvorschlag für eine strafrechtliche Regelung in die Vernehmlassung gegeben worden waren. Zusätzlich müsste in Artikel 57 klargestellt werden, dass sich die dortigen Verfahrensregeln nur auf die Artikel 54 und 55 beziehen.

Kurz gefasst enthalten die verschiedenen Absätze der beiden Artikel das Folgende (für einlässlichere Ausführungen sei auf den Erläuternden Bericht der Vernehmlassung verwiesen16): Art. 53a Absatz 1 bildet die eigene Strafnorm für natürliche Personen; mit dieser wird die Verfolgung der natürlichen Person von der primären Verfolgung des Unternehmens und den Argumenten, die das Unternehmen in diesem Verfahren vorbringt, abgekoppelt, und es wird eine strafrechtlich hinreichende Bestimmtheit der Norm erreicht («per se»-Verbot harter horizontaler Abreden).

Nach Absatz 2 wird der Versuch von der Strafbarkeit freigestellt, weil die Ausgestaltung des Vorstosses nach Absatz 1 als abstraktes Gefährdungsdelikt es gestattet, ein Verfahren zu führen, auch wenn der Marktgegenseite aus anderen Gründen und trotz erfolgter Abrede kein materieller Schaden entstanden ist (z. B. liegt eine Submissionsabrede vor, der Zuschlag ging aber an einen Dritten).

Absatz 3 ist die Grundlage für die Ausdehnung der für Unternehmen geltenden Bonusregelung auf natürliche Personen. Die Probleme im Zusammenspiel beider Bonusregelungen müssten auf Stufe Verordnung gelöst werden.

Absatz 4 stellt namentlich sicher, dass die im Widerspruchsverfahren erreichte Befreiung eines Unternehmens von der Sanktionsdrohung auch bezüglich der strafrechtlichen Bedrohung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gilt.

Absatz 5 löst u. a. das Problem, dass wenn im Ausland ein Gebietskartell dahingehend abgeschlossen wird, dass die Schweiz von einem bestimmten Hersteller oder Händler nicht beliefert werden soll, trotz fehlendem direktem Anknüpfungspunkt in der Schweiz ein Verfahren eröffnet werden kann.

Art. 53b Absatz 1 bezeichnet die untersuchenden und urteilenden Instanzen und
damit das zu verwendende Verfahrensrecht bei der Verfolgung natürlicher Personen und schliesst durch Einführung der Bundesstrafgerichtsbarkeit eine Aufsplitterung der Verfahren auf verschiedene Kantone aus.

Absatz 2 stellt sicher, dass die Bundesanwaltschaft nur Fälle aufgreift, die nach Einschätzung der Wettbewerbsbehörde relevant genug sind, um ein Verfahren gegen 16

Vgl. www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/22603.pdf.

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das entsprechende Unternehmen zu rechtfertigen, und bringt so zum Ausdruck, dass die Verfolgung der Unternehmen primär bleibt. Überdies kann in Fällen, in welchen die Wettbewerbsbehörde z. B. aufgrund ökonomischer Rechtfertigungsgründe von einem Verfahren gegen ein Unternehmen absieht, ein Strafverfahren gegen natürliche Personen verhindert werden. Diese Regelung ist wichtig als Korrektiv für die unterschiedlich formulierten Tatbestände betreffend Unternehmen und natürliche Personen.

Die Absätze 3 und 4 verpflichten Bundesanwaltschaft und Wettbewerbsbehörde zur Zusammenarbeit, und zwar während der ganzen Dauer der Verfahren (Abs. 4), namentlich aber schon anlässlich der ersten Verfahrensschritte; dies damit nicht durch die Untersuchungshandlungen der einen Behörde die Erfolgsaussichten der Untersuchungshandlungen der anderen Behörde beeinträchtigt werden (Abs. 3). Die Opportunität des zweiten Satzes von Absatz 3 (wie auch jene von Abs. 7) ist offen, denkt man an die in der Vernehmlassung geäusserten Bedenken, dass die betroffene Person während einer unbillig langen Zeit auf die Rechtskraft ihres Urteils warten müsste.

Absatz 5 schafft soweit möglich Voraussetzungen, dass eine natürliche Person gegenüber der Wettbewerbsbehörde Aussagen machen kann, die für die Gewährung der Bonusregelung zugunsten des Unternehmens notwendig sind, ohne dass ihr diese Aussagen in einem gegen sie gerichteten strafrechtlichen Verfahren direkt zum Nachteil gereichen. Denn mit solchen Aussagen belastet sich diese natürliche Person selbst, was sie einerseits in strafrechtlicher Hinsicht der Verfolgung durch die Bundesanwaltschaft aussetzen würde, ihr aber andererseits gleichzeitig auch ein Aussageverweigerungsrecht gewähren würde.

Absatz 6 sieht einen Schlichtungsmechanismus für den Fall vor, dass sich Wettbewerbsbehörde und Bundesanwaltschaft bei der Koordination ihrer Verfahren nicht finden.

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