Anhang

Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 28. Oktober 2011

2012-0841

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Zusammenfassung Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats hat die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit der Untersuchung der Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat beauftragt. Ziel ist die Beurteilung der strategischen politischen Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat in den letzten beiden Legislaturperioden (Dezember 2003 bis März 2011). Gegenstand der Untersuchung sind die strategische Analyse und die strategische Planung der einzelnen Sozialversicherungen durch den Bundesrat als Teil des gesamten politischen Steuerungsprozesses. Neben der Erarbeitung von Grundlagen zur Weiterentwicklung der Gesetzgebung soll untersucht werden, wie der Bundesrat seinen Handlungsspielraum beim Erlass von strategisch relevanten Ausführungsbestimmungen in seinem Kompetenzbereich (Verordnungen, Weisungen) ausgeschöpft hat. Die Subkommission EDI/UVEK-S hat entschieden, die Untersuchung hauptsächlich anhand von Fallstudien zur Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), zur Invalidenversicherung (IV), zur beruflichen Vorsorge (BV) und zur Krankenversicherung (KV) vorzunehmen. Vorliegender Bericht stützt sich auf die Ergebnisse der Fallstudien, die in einem separaten Materialienband dokumentiert sind.

Strategische Steuerung Mit der strategischen Steuerung der Sozialversicherungen soll der Bundesrat im Sinne seiner Staatsleitungsfunktion eine langfristig ausgerichtete, koordinierte, zielund wirkungsorientierte Weiterentwicklung der Bundespolitik anstreben. Dabei sollen Bundesrat und Verwaltung aktuelle und zukünftige Herausforderungen erkennen, eine Vorstellung darüber formulieren, wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist, sowie entsprechende Massnahmen einleiten. Die Orientierung an einem langfristig ausgerichteten, dabei aber flexiblen strategischen Ordnungsrahmen bildet einen wichtigen Erfolgsfaktor in einem Umfeld, das von Komplexität, Ungewissheit und Dynamik geprägt ist. Anspruchsvolle institutionelle und politische Rahmenbedingungen, insbesondere die Abhängigkeit von Entscheiden des Parlaments und des Volks, sowie der Einfluss wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen auf die Sozialversicherungen verhindern in dieser Sicht strategische Steuerung nicht; sie erfordern sie vielmehr.

Grundsätzlich positiv ...

Die Fallstudien zeigen, dass die strategische
Steuerung der AHV, der IV, der BV und der KV durch den Bundesrat insgesamt grundsätzlich positiv zu beurteilen ist.

Der Bundesrat hat die sich in diesen Sozialversicherungen stellenden Herausforderungen grösstenteils rechtzeitig und angemessen erkannt, mehrheitlich aktiv kohärente Gesetzesrevisionen vorbereitet und seine Entscheide transparent kommuniziert. Damit hat er seine Führungsverantwortung in wichtigen Steuerungsaufgaben überwiegend wahrgenommen und seinen Handlungsspielraum in der Weiterentwicklung der Gesetzgebung grösstenteils angemessen ausgeschöpft.

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... aber bedeutende Schwächen Die strategische Steuerung der untersuchten Sozialversicherungen durch den Bundesrat weist jedoch bedeutende Schwächen auf: Erstens besteht bei den Datengrundlagen, der Forschung und prospektiv ausgerichteten Wirkungsanalysen Verbesserungsbedarf. Zweitens waren die grundlegenden Strategien des Bundesrates zur Bewältigung der längerfristigen Herausforderungen in den untersuchten Sozialversicherungen bis 2011 nicht ausreichend geklärt und dokumentiert. Drittens fehlte eine übergreifende ziel- und wirkungsorientierte Planung, insbesondere auch betreffend Ausführungsbestimmungen. Viertens verhielt sich der Bundesrat teilweise auf strategischer Ebene, bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung und beim Erlass von Ausführungsbestimmungen reaktiv und zu wenig vorausschauend.

Strategische Analyse: Gutes Instrumentarium mit Verbesserungsbedarf Die Bundesbehörden verfügen über ein breites, grundsätzlich geeignetes und kohärentes Instrumentarium zur Analyse der Herausforderungen und der Auswirkungen von Massnahmen. Die Instrumente sind in den letzten Jahren ausgebaut und verfeinert worden. Der Bundesrat hat die sich stellenden strategischen Herausforderungen mehrheitlich rechtzeitig und angemessen erkannt. Bei den Analyseinstrumenten bestehen jedoch verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten, vor allem bei den Datengrundlagen (v.a. BV) und in der Forschung (v.a. AHV und BV), wobei die Entwicklung hier in die richtige Richtung zeigt. Verbesserungsmöglichkeiten bestehen auch bezüglich prospektiv ausgerichteter Wirkungsanalysen von geplanten und längerfristig in Betracht gezogenen Massnahmen. Zudem könnten sich die Bundesbehörden besser auf das Erkennen von dynamischen Entwicklungen (z.B. der Finanzmärkte) und deren Folgen für die Sozialversicherungen (v.a. BV) vorbereiten und wichtige politische Akteure im Sinne der jüngsten Anstrengungen noch stärker und systematischer in die Erarbeitung der strategischen Analyse miteinbeziehen (v.a. KV). Zudem könnten die Ergebnisse der strategischen Analyse in einer periodisch aktualisierten Gesamtsicht dargestellt werden.

Schwächen bei den strategischen Zielen, den Strategien des Bundesrates zur Bewältigung der Herausforderungen und der politischen Planung Die strategischen Ziele des Bundesrates stimmen in hohem Masse mit den identifizierten
Herausforderungen überein. Sie sind jedoch grösstenteils allgemein formuliert. Bei den Strategien des Bundesrates, d.h. bei der Definition von Stossrichtungen und möglichen Massnahmen zur Erreichung der strategischen Ziele bestehen verschiedene Schwächen: Erstens verfügte der Bundesrat bis 2011 nicht über explizite, aktualisierte und öffentlich zugängliche Strategiepapiere.1 Zweitens sind die Strategien zur längerfristigen Weiterentwicklung der Gesetzgebung teilweise nicht geklärt. Beispielsweise sind die längerfristig erforderlichen Massnahmen zur Konsolidierung der AHV und der BV nicht klar. Drittens enthielten die strategisch relevanten Dokumente des Bundesrates bis 2011 kaum Aussagen zu den auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen verfolgten Stossrichtungen. Bei den untersuchten 1

Das aktuelle Strategiepapier des Bundesrates zur Gesundheitspolitik (Dokument des EDI vom 22. Juni 2011) ist im Juni 2011 publiziert worden.

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Sozialversicherungen ist die Position des Bundesrates grösstenteils nur in Bezug auf die kurz- und mittelfristigen Gesetzesrevisionen klar. Viertens hat der Bundesrat teilweise reaktiv und wenig vorausschauend gesteuert. Insbesondere waren keine Strategien zur Bewältigung der Folgen einer negativen Entwicklung der Finanzmärkte vorbereitet (betrifft v.a. BV). Die politische Planung des Bundesrates zur Konkretisierung und Etappierung seiner Strategie ist ebenfalls verbesserungsfähig.

Insbesondere fehlte bis 2011 eine Planung, die neben den Gesetzesrevisionen auch den strategisch relevanten Spielraum bei den Ausführungsbestimmungen umfasst.

Die Legislaturplanungen erfüllen die Anforderungen an eine ziel- und wirkungsorientierte Planung nicht.

Mehrheitlich aktive, rasche und kohärente Vorbereitung von Gesetzesrevisionen Der Bundesrat hat die Gesetzesrevisionen nach der Ablehnung von vorangehenden Vorlagen oder als Reaktion auf sich verändernde wirtschaftliche Faktoren und parlamentarische Aufträge in der Regel sehr rasch geplant. Hervorzuheben sind insbesondere die umfassenderen Planungen von Gesetzesrevisionen nach Grundsatzentscheiden des Bundesrates (z.B. Richtungsentscheide zur AHV und zur IV aufgrund des «Panoramas der Sozialversicherungen» im Jahr 2004) und die rasche Erarbeitung der vom Parlament geforderten 6. IV-Revision. Zudem definierte er in der Regel die Ausrichtung, den Inhalt und die Etappierung der auszuarbeitenden Vorlagen. Damit hat er seine Führungsverantwortung in der Weiterentwicklung der Gesetzgebung grundsätzlich wahrgenommen. Der Bundesrat bezog wichtige politische Akteure grösstenteils angemessen in die Vorbereitungsarbeiten mit ein. Die Gesetzesvorlagen waren in der Regel auf die strategischen Ziele und die Planung des Bundesrates abgestimmt, in sich sowie untereinander kohärent und grundsätzlich auf andere Sozialversicherungen und Politikbereiche (z.B. Arbeitsmarktpolitik) abgestimmt. Zudem wiesen die Vorlagen die finanziellen (AHV, IV, BV) bzw. kostenseitigen (KV) Folgen aus.

Zu wenig aktive und zu wenig umfassende Ausschöpfung des Handlungsspielraums bei den Ausführungsbestimmungen Auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen ist der strategisch relevante Handlungsspielraum des Bundesrates in den untersuchten Sozialversicherungen sehr unterschiedlich. Die Kompetenzen des
Bundesrates sind insbesondere in der KV von grosser strategischer Bedeutung. Der Bundesrat hat seinen Handlungsspielraum bei den Ausführungsbestimmungen jedoch zu wenig aktiv, vergleichsweise spät und noch zu wenig umfassend ausgeschöpft. Er hat grösstenteils auf politischen Druck reagiert und seine Möglichkeiten nicht systematisch ausgeschöpft.

Systematische Information mit Verbesserungsbedarf Die Bundesbehörden haben die Entscheide und die Ergebnisse der strategischen Planung über Medienmitteilungen und Fachartikel systematisch kommuniziert. Hervorzuheben sind zudem die systematische Veröffentlichung der Grundlagen zu Gesetzesvorlagen (v.a. Berichte und Botschaften) und der direkte Kontakt mit wichtigen politischen Akteuren im Rahmen von parlamentarischen Beratungen, Anhörungen und Dialogen. Bei der Information besteht jedoch Verbesserungsbedarf:

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Erstens könnte eine Gesamtsicht der Ergebnisse der strategischen Analyse erarbeitet, periodisch aktualisiert und veröffentlicht werden, zum Beispiel im Rahmen einer entsprechend ergänzten Berichterstattung gemäss Artikel 76 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts. Zweitens könnte der Bundesrat seine Strategie zur Bewältigung der Herausforderungen in den untersuchten Sozialversicherungen dokumentieren, bei Bedarf aktualisieren und veröffentlichen.

Drittens sollte der Bundesrat die Auswirkungen von geplanten Massnahmen in den Botschaften noch umfassender darstellen.

Aktive Rolle des Bundesratskollegiums nicht ersichtlich Angesichts der grossen finanziellen und politischen Bedeutung der Sozialversicherungen für den Bund drängt sich eine aktive Rolle des Bundesratskollegiums auf.

Soweit aus den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zugänglichen Informationen ersichtlich, hat der Bundesrat als Kollegialbehörde die Weiterentwicklung der untersuchten Sozialversicherungen nicht aktiv vorangetrieben. Das Bundesratskollegium beschäftigte sich soweit ersichtlich nicht kontinuierlich und systematisch mit der Weiterentwicklung der Sozialversicherungen.

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Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung

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Abkürzungsverzeichnis

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1 Einleitung 1.1 Strategische Steuerung als Untersuchungsgegenstand 1.2 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung 1.3 Datengrundlage 1.4 Beurteilungsmethodik 1.5 Zusammenarbeit mit externen Experten 1.6 Aufbau des Berichts

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2 Handlungsspielraum des Bundesrates

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3 Strategische Analyse 3.1 Durchführung der strategischen Analyse 3.2 Beurteilung der strategischen Analyse

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4 Strategische Planung 4.1 Durchführung der strategischen Planung 4.1.1 Ziele, Strategie und politische Planung 4.1.2 Vorbereitung von Gesetzesrevisionen 4.1.3 Erlass von Ausführungsbestimmungen 4.1.4 Einfluss der beteiligten Akteure 4.1.5 Information 4.2 Beurteilung der strategischen Planung 4.2.1 Ziele, Strategie und politische Planung 4.2.2 Vorbereitung von Gesetzesrevisionen 4.2.3 Erlass von Ausführungsbestimmungen 4.2.4 Information

8937 8937 8937 8942 8944 8945 8948 8948 8948 8953 8955 8956

5 Gesamtbeurteilung

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Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner

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Materialien- und Dokumentenverzeichnis

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Impressum

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Abkürzungsverzeichnis AHV ALV ATSG BAG BSV BV BVG EO GPK IV IVG KV KVG OECD PVK WHO WZW

Alters- und Hinterlassenenversicherung Arbeitslosenversicherung Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts Bundesamt für Gesundheit Bundesamt für Sozialversicherungen Berufliche Vorsorge Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge Erwerbsersatzordnung Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Invalidenversicherung Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung Krankenversicherung Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung Organization for Economic Cooperation and Development Parlamentarische Verwaltungskontrolle World Health Organization Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit

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Bericht Der vorliegende Bericht enthält die wesentlichen Ergebnisse der Evaluation. Eine ausführliche Beschreibung der Analysen und Bewertungsgrundlagen sowie die Fallbeispiele finden sich in den Materialien2.

1

Einleitung

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats hat die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Rahmen ihrer Jahresplanung 2010 mit einer Untersuchung der strategischen Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat beauftragt. Das grosse finanzielle Gewicht der Sozialversicherungen für den Bundeshaushalt wie auch die Bedeutung der anstehenden Herausforderungen bilden den Hintergrund des Auftrags. Dabei ist umstritten, welche Steuerungsmöglichkeiten der Bundesrat in den Sozialversicherungen hat, wie er seinen Handlungsspielraum ausschöpft und inwiefern er eine angemessene Steuerung der Sozialversicherungen vornimmt. Die Untersuchung schliesst an die Ergebnisse von früheren Inspektionen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) und der PVK an, welche sich mit der strategischen Steuerung des Bundesrates befassten.3

1.1

Strategische Steuerung als Untersuchungsgegenstand4

Die strategische politische Steuerung entspricht im Wesentlichen der Staatsleitungsfunktion des Bundesrates.5 Sie dient der langfristig ausgerichteten, koordinierten, ziel- und wirkungsorientierten Weiterentwicklung der Bundespolitik. Mittels strategischer Steuerung sollen der Bundesrat und die Verwaltung aktuelle und zukünftige Herausforderungen erkennen, eine Vorstellung darüber formulieren, wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist und entsprechende Massnahmen in die Wege leiten.

Angesichts ihrer finanziellen und politischen Bedeutung sind die Sozialversicherungen ein zentraler Gegenstand dieser langfristig ausgerichteten, ziel- und wirkungsorientierten Steuerung.

Bei der Weiterentwicklung der Sozialversicherungen sieht sich der Bundesrat mit einer zumindest in zweierlei Hinsicht anspruchsvollen Ausgangslage konfrontiert:

2

3

4 5

PVK (2011): Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat. Materialien zum Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 28. Oktober 2011. Die Materialien finden sich unter: www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Parlamentarische Verwaltungskontrolle> Veröffentlichungen.

Zum Beispiel: PVK (2009): Die strategische politische Steuerung des Bundesrates.

Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 15. Oktober 2009.

Vgl. Materialien A 2 Artikel 174 BV; vgl. Materialien A 2.2.1 sowie PVK 2009.

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­

Einerseits handelt es sich bei den Sozialversicherungen um einen komplexen Politikbereich, der stark von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen geprägt ist, die nicht vollständig vorhersehbar und nur zum Teil steuerbar sind.

­

Andererseits bewegt sich der Bundesrat in einem anspruchsvollen politischinstitutionellen Umfeld. Die Abhängigkeit des Bundesrates von Entscheiden des Parlaments und des Volkes erhöht die Anforderungen an die strategische Steuerung. Die veränderten politischen Kräfteverhältnisse im Parlament («Polarisierung») und die zunehmende Knappheit der Mittel komplizieren die Ausgangslage zusätzlich.6

Die Wissenschaft betont den Nutzen strategischer Steuerung in einer solchen Ausgangslage.7 Komplexität, Ungewissheit und Dynamik verhindern strategische Steuerung nicht; sie erfordern sie vielmehr. Die Orientierung an einem strategischen Ordnungsrahmen schafft gerade in einem solchen Umfeld Vorteile. Im Unterschied zu einem primär reaktiven ad-hoc-Vorgehen wird gestaltendes, kohärentes und kontinuierliches Steuern eher möglich.

Aktuelle Konzepte strategischer Steuerung in der Politik entsprechen dieser Vorstellung. Anders als ältere Planungskonzeptionen gehen sie nicht von der Vorstellung einer umfassenden Plan- und Beherrschbarkeit gesellschaftspolitischer Prozesse aus. Strategische Steuerung ist zwar langfristig ausgerichtet, sie beinhaltet aber weder genaue Prognosen der Zukunft noch im Detail geplante Massnahmen. Vielmehr definiert sie auf der Basis kontinuierlicher Situationsanalysen und Entwicklungsszenarien strategische Ziele sowie entsprechende Stossrichtungen und zentrale Massnahmen in mittlerer und längerer Frist. Eine derart konzipierte Steuerung erlaubt es, unter sich permanent verändernden Umweltbedingungen gezielt «nachzujustieren» und gegebenenfalls auch kurzfristig Kurskorrekturen vorzunehmen.

Strategische Steuerung garantiert zwar nicht den Erfolg, sie verbessert aber die Erfolgsaussichten staatlichen Handelns. Strategie liefert einen Orientierungsrahmen, an dem sich das Handeln von steuernden Akteuren ausrichtet, und der es ihnen erlaubt, auf einer systematischen Grundlage auf relevante Umfeldveränderungen zu reagieren. Ohne systematischen strategischen Ansatz ist es schwieriger, bei Misserfolgen den Korrekturbedarf zu erkennen. Deshalb ist es besser, eine falsche Strategie zu haben als gar keine.

Das dargestellte Verständnis von strategischer Steuerung in der Politik ist auch gut mit den gesetzlichen Grundlagen und weiterführenden Überlegungen des Bundesrates zu vereinbaren, welche die Umsetzung der verfassungsmässigen Staatsleitungsfunktion im Allgemeinen und für die Sozialversicherungen im Besonderen konkretisieren.8 Abbildung 1 zeigt das aus der Staatsleitungsfunktion des Bundesrates und der Fachliteratur abgeleitete Konzept strategischer Steuerung, das zur Strukturierung der vorliegenden Untersuchung verwendet wurde. Die zentralen Elemente dieses

6

7 8

Die strategische politische Steuerung muss die Entwicklung sachgerechter und wirksamer Problemlösungen (Policies) mit der Sicherstellung der für deren Realisierung notwendigen politischen Mehrheiten verbinden (Politics).

Vgl. dazu Materialien A 2.1 mit entsprechenden Literaturverweisen.

V.a. Bundesverfassung, Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (SR 172.010), Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Sozialversicherungen (ATSG, SR 830.1), Parlamentsgesetz (SR 171.10), vgl. auch Materialien A 2.2

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Modells bauen inhaltlich aufeinander auf und ergeben einen durchgängigen Steuerungskreislauf, sind aber nicht als Elemente einer linearen Kausalkette zu verstehen.9 Abbildung 1 Strategische politische Steuerung

Die strategische Steuerung durch den Bundesrat10 wird als kontinuierlicher Prozess verstanden, der folgende Kernelemente beinhaltet (vgl. Grafik 1): ­

9 10

Die strategische Analyse beinhaltet die Identifikation der politisch relevanten Herausforderungen und die Beurteilung der Auswirkungen geplanter oder vorgeschlagener (prospektive Analyse) sowie umgesetzter Massnahmen (retrospektive Analyse).

Vgl. Materialien A 2.3 Mit «Bundesrat» ist der Gesamtbundesrat in seiner Funktion als Kollegialbehörde gemeint. Da die Entscheide des Bundesrates in der Regel auf Stufe Departement und Ämter vorbereitet werden, werden diese beiden Ebenen der Bundesverwaltung auch in die Untersuchung einbezogen.

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11

­

Die strategische Planung umfasst mehrere aufeinander bezogene Entscheidungsprozesse: ­ Festlegung von strategischen Zielen anhand der Ergebnisse der strategischen Analyse. Strategische Ziele beschreiben den Zustand, der aus der Sicht des Bundesrates in einem zu planenden Bereich mittel- bis langfristig erreicht werden soll. Beispiele für strategische Ziele wären etwa die Sicherstellung der mittel- und längerfristigen Finanzierung der Sozialwerke oder die Flexibilisierung des Rentenalters.

­ Definition der Strategie zur Bewältigung der Herausforderungen. Eine Strategie beschreibt die Stossrichtung und skizziert die mittel- und längerfristigen Massnahmen, mit denen die Ziele erreicht werden sollen.

Zum Beispiel müsste die Strategie im Bereich der AHV klären, ob die längerfristige Finanzierung der AHV durch eine Erhöhung des Rentenalters, eine Veränderung des Anpassungsmechanismus der Renten und/oder zusätzliche Einnahmen (z.B. Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der Lohnbeiträge) sichergestellt werden soll. Bei der Erarbeitung der Strategie zur Bewältigung der mittel- und längerfristigen Herausforderungen ist der Handlungsspielraum, den das geltende Recht dem Bundesrat lässt, zu berücksichtigen. Dabei ist insbesondere zu entscheiden, ob die Massnahmen ­ über Ausführungsbestimmungen (Verordnungen, Weisungen) umgesetzt werden können, die in der Kompetenz des Bundesrates liegen (z.B.: Erlass von Bestimmungen im Bereich der Tarife und Preise für Arzneimittel, Mittel und Gegenständen sowie Laboranalysen in der KV), oder ­ Gesetzesrevisionen bedingen (Weiterentwicklung der Gesetzgebung).

­ Politische Planung: Die politische Planung konkretisiert die Strategie, indem sie die zu ergreifenden Massnahmen konkreter definiert und deren Umsetzung zeitlich plant. Dabei sind auch die vom Parlament erteilten Aufträge an die Regierung und die politischen Diskussionen im Parlament einzubeziehen. Die politische Planung umfasst die Planung der politischen Geschäfte (Gesetzesrevisionen und Ausführungsbestimmungen)11 und die Vorbereitung von Gesetzesrevisionen zuhanden des Parlaments. Die politische Planung ist dabei laufend anzupassen, beispielsweise hat der Bundesrat nach dem Scheitern der 11. AHVRevision rasch ein angepasstes Gesetzgebungspaket geplant und vorbereitet.

­

Die strategische Planung wird über den Erlass von generell-abstrakten Normen konkretisiert bzw. umgesetzt. Die Aufgabe des Bundesrates besteht auf dieser Ebene im Erlass von Ausführungsbestimmungen in eigener Kompetenz (Verordnungen, Weisungen). Die vom Bundesrat verabschiedeten Vorlagen zur Weiterentwicklung der Gesetzgebung werden vom Parlament beraten und verabschiedet (vgl. die grau schattierte Fläche in Grafik 1). Da diese Entscheidungen nicht in die Kompetenz des Bundesrates fallen, sind sie nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Ergebnisse sind die Legislaturplanung mit Richtliniengeschäften, der Legislaturfinanzplan, die Jahresziele und allenfalls auch weitere Gesamt- und Teilplanungen.

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Die Information über die Grundlagen und Entscheide der strategischen Steuerung gegenüber verschiedenen Anspruchsgruppen (Parlament, Kantone, Öffentlichkeit) ist bei allen Hauptaufgaben relevant. Der Bundesrat hat eine einheitliche, frühzeitige und kontinuierliche Information über seine Lagebeurteilungen, Planungen, Entscheide und Vorkehrungen zu gewährleisten.

Die strategische politische Steuerung wird durch externe Faktoren wie die Wirtschaftsentwicklung und die demografische Entwicklung beeinflusst. Die Entscheidung über den Umgang mit derartigen Umfeldveränderungen ist die eigentliche Kernaufgabe strategischer politischer Steuerung. Entsprechend ist es der Zweck der strategischen Analyse, die Umfeldentwicklung zu beobachten und daraus Handlungsbedarf und konkrete Massnahmen abzuleiten.

Neben den grundlegenden Vorgaben in Verfassung und Gesetz finden sich auch in den Sozialversicherungsgesetzen konkrete Bestimmungen, die den Bundesrat auf Elemente des hier beschriebenen Modells strategischer Steuerung verpflichten.

Diese Bestimmungen betreffen vor allem die strategische Analyse. Beispielsweise ­

obliegt dem Bundesrat die Berichterstattung über die Festlegung des Umwandlungssatzes im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge in den kommenden Jahren (Art. 14 Abs. 3 des Bundesgesetz vom 25. Juni 198212 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, BVG);

­

hat der Bundesrat periodisch prüfen zu lassen, ob sich die finanzielle Entwicklung der AHV im Gleichgewicht befindet. Nötigenfalls hat er Antrag auf Änderung des Gesetzes zu stellen (Art. 43quater des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 194613 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung);

­

ist der Bundesrat verpflichtet, wissenschaftliche Untersuchungen zur Durchführung und zu den Wirkungen der IV (Art. 68 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 195914 über die Invalidenversicherung, IVG), der Beruflichen Vorsorge (BV, Art. 97 Abs. 1bis BVG) und der Krankenversicherung (KV, Art. 32 der Verordnung vom 27. Juni 199515 über die Krankenversicherung) durchführen zu lassen.

1.2

Untersuchungsgegenstand und Fragestellung

Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht die Beurteilung der strategischen politischen Steuerung der einzelnen Sozialversicherungen durch den Bundesrat in den letzten beiden Legislaturperioden (1. Dezember 2003 bis 31. März 2011). Die strategische Steuerung der Sozialversicherungen wird primär anhand von vier Fallstudien untersucht. Die Subkommission EDI/UVEK-S hat die AHV, die IV, die BV und die KV für die Fallstudien ausgewählt. Dabei handelt es sich um die vier Sozialversicherungen mit dem grössten finanziellen Gewicht.16

12 13 14 15 16

Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (SR 831.40) Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (SR 831.10) Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (SR 831.20).

Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (SR 832.102).

Wird bei der BV nur der obligatorische Teil betrachtet, in dem der Bundesrat wesentlich weitergehende Kompetenzen hat, ist die finanzielle Bedeutung der BV geringer.

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Ergänzend wird bei den übrigen Sozialversicherungen die strategische Steuerung beschrieben, summarisch analysiert und soweit möglich beurteilt. Diese Grobanalyse umfasst die Arbeitslosenversicherung (ALV), die Erwerbsersatzordnung (EO), die Ergänzungsleistungen zu AHV und IV, die Familienzulagen (EL), die Unfallversicherung (UV) und die Militärversicherung (MV).

Ausgehend von den Zielen der Untersuchung und der Definition der strategischen politischen Steuerung durch den Bundesrat stellen sich dabei folgende Fragen:17 1.

Wie ist die strategische Analyse der Sozialversicherungen durch den Bundesrat zu beurteilen? (vgl. Kap. 3) 1.1 Verfügen die Bundesbehörden über geeignete, ausreichende und kohärente Instrumente und Prozesse zur Analyse der Herausforderungen und der Auswirkungen der Massnahmen?

1.2 Hat der Bundesrat die sich stellenden strategischen Herausforderungen rechtzeitig und angemessen erkannt? Haben die Bundesbehörden das Parlament, die Kantone und die Öffentlichkeit angemessen über die Ergebnisse der strategischen Analyse informiert?

2.

Wie ist die strategische Planung des Bundesrates (inkl. Erlass von Ausführungsbestimmungen) zu beurteilen? (vgl. Kap. 4) 2.1 Sind die Ziele und die Strategie des Bundesrates kohärent? Ist die politische Planung des Bundesrates ziel- und wirkungsorientiert ausgerichtet und kohärent?

2.2 Hat der Bundesrat die Gesetzesrevisionen aktiv vorangetrieben und Dritte ausreichend in die Erarbeitung miteinbezogen? Sind die Reformvorlagen auf die Ergebnisse der strategischen Analyse, die Strategie des Bundesrates, in sich und zu anderen Sozialversicherungen abgestimmt?

Wie sind die Vorlagen hinsichtlich zeitlicher Erbringung, inhaltlicher Prioritätensetzung und Wirkungsorientierung zu beurteilen?

2.3 Sind die erlassenen Ausführungsbestimmungen auf die Ergebnisse der strategischen Analyse, die Strategie des Bundesrates, Massnahmen in anderen Sozialversicherungen und untereinander abgestimmt? Wie sind die Planung und der Erlass der Bestimmungen hinsichtlich zeitlicher Erbringung, inhaltlicher Prioritätensetzung und Wirkungsorientierung zu beurteilen? Hat der Bundesrat seinen Handlungsspielraum bei den Ausführungsbestimmungen angemessen ausgeschöpft? Haben die Bundesbehörden die Kantone und weitere betroffene Akteure angemessen miteinbezogen?

2.4 Haben die Bundesbehörden, das Parlament, die Kantone und die Öffentlichkeit angemessen über ihre strategische Planung und die erlassenen Ausführungsbestimmungen informiert?

17

Der vollständige Fragekatalog (inkl. deskriptive Fragen) findet sich in den Materialien A 3.

8925

3.

Wie ist die strategische Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat insgesamt zu beurteilen? (vgl. Kap. 5) 3.1 Ist die strategische Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat im Hinblick auf die Anforderungen geeignet und zielführend?

3.2 Welches sind die Stärken und Schwächen der strategischen Steuerung der Sozialversicherungen? Welcher Verbesserungsbedarf besteht?

1.3

Datengrundlage

Die empirischen Grundlagen wurden anhand einer Dokumentenanalyse und qualitativer Interviews erhoben: ­

Die Dokumentenanalyse war eine zentrale Grundlage zur Beschreibung und zur Beurteilung der strategischen Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat. Neben Dokumenten zu übergeordneten Steuerungsinstrumenten und -prozessen (z.B. Legislaturplanungen des Bundesrates) wurden in den Fallstudien vor allem Dokumente zu Gesetzesrevisionen (z.B. Botschaften) und zu den erlassenen Ausführungsbestimmungen ausgewertet.

Zudem wurden auch die vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) zuhanden des Bundesrates erstellten Aussprachepapiere und Informationsnotizen analysiert, die das EDI als relevant für die strategische Steuerung erachtet.18

­

Zur Ergänzung der Dokumentenanalyse wurden 17 Interviews mit Vertretenden von Bundesämtern (Bundesamt für Sozialversicherungen [BSV] und Bundesamt für Gesundheit [BAG]), des Generalsekretariats des EDI, parlamentarischer Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit, Expertenkommissionen, kantonaler Konferenzen und Interessensverbänden geführt.

1.4

Beurteilungsmethodik

Angesichts der weiter oben angeführten grundsätzlichen Schwierigkeiten der strategischen Steuerung in der Politik, insbesondere der Einflussmöglichkeiten von Parlament und Volk, sowie der damit zusammenhängenden Tatsache, dass die Strategieentwicklung allein noch keine Erfolgsgarantie darstellt, kann die strategische Steuerung des Bundesrates auch nicht anhand erfolgter Gesetzesrevisionen oder deren Wirkungen bewertet werden. Im Vordergrund des Interesses stehen deshalb die Beurteilung der Konzeption der strategischen politischen Steuerung sowie die Handhabung dieser Konzeption im konkreten Anwendungsfall.

Die Beurteilung der strategischen Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat erfolgt nach den Massstäben, die sich aus den gesetzlichen Grundlagen und der Fachliteratur ergeben (Soll/Ist-Vergleich). Nachfolgend sind die Beurteilungskriterien und die entsprechenden Anforderungen aufgeführt.19

18 19

Die für die Analyse verwendeten Dokumente sind in den Materialien aufgeführt.

Materialien A 2.4

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Tabelle 1 Beurteilungskriterien und Anforderungen Kriterien

Anforderungen

Vollständiges Steuerungskonzept

Die strategische Steuerung sollte die zentralen Elemente eines vollständigen und durchgängigen Steuerungskreislaufs umfassen (im Sinne des in Kap. 1.2 beschriebenen Modells).

Aktive und vorausDer Bundesrat nimmt eine aktive und vorausschauende Fühschauende Steuerung rungsrolle wahr.

Angemessener Einbe- Der Bundesrat bezieht die Bundesverwaltung und wichtige zug weiterer Akteure politische Akteure angemessen in die Steuerung mit ein.

Rechtzeitigkeit

Die Aufgaben der strategischen Analyse sollten im Sinne eines effektiven und effizienten Steuerungsprozesses rechtzeitig erbracht werden.

Politische Relevanz

Die strategische Steuerung sollte auf die Ziele der Sozialversicherungen und die sich stellenden Herausforderungen abgestimmt sein.

Wirkungsorientierung Die Wirkungsdimension sollte in der strategischen Steuerung angemessen berücksichtigt sein.

Kohärenz

Die einzelnen Elemente der strategischen Steuerung sollten zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sein.

Der Bundesrat sollte in der strategischen Steuerung Entwicklungen in anderen Sozialversicherungen und Politikbereichen angemessen berücksichtigen und die Steuerung auf entsprechende Vorhaben zeitlich und inhaltlich angemessen abstimmen. Allfällige unerwünschte Auswirkungen der vorgeschlagenen Massnahmen auf andere Politikbereiche sind transparent aufzuzeigen und möglichst zu begrenzen.

Die Strategie des Bundesrates sollte auf seinen Handlungsspielraum abgestimmt sein und diesen angemessen ausschöpfen.

Transparenz

1.5

Die Bundesbehörden dokumentieren die Ergebnisse der strategischen Analyse und kommunizieren diese in transparenter und angemessener Form.

Zusammenarbeit mit externen Experten

Für die Durchführung der vorliegenden Untersuchung hat die PVK zwei externe Büros beigezogen, INFRAS Forschung und Beratung (Zürich) und Büro Vatter, Politikforschung & -beratung (Bern), die namentlich die vier in den Materialien dokumentierten Fallstudien erstellten. Die vorliegende Synthese wurde von INFRAS, Büro Vatter und PVK gemeinsam erarbeitet.

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1.6

Aufbau des Berichts

Vorliegender Bericht basiert im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Fallstudien zur AHV, IV, BV und KV, die in den Materialien dokumentiert sind.20 Ergänzend nimmt der Bericht Bezug auf die Steuerung in den übrigen Sozialversicherungen, sofern die Ergebnisse der entsprechenden Grobanalyse21 von jenen der Fallstudien abweichen oder diese deutlich unterstützen.

Kapitel 2 stellt den Handlungsspielraum des Bundesrates bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung und beim Erlass von strategisch bedeutenden Ausführungsbestimmungen in den untersuchten Sozialversicherungen dar. Der Handlungsspielraum des Bundesrates ist eine wesentliche Grundlage zur Beurteilung der strategischen Steuerung.

Kapitel 3 befasst sich mit der strategischen Analyse der AHV, IV, BV und KV durch den Bundesrat. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Durchführung der strategischen Analyse (vgl. Kap. 3.1) nimmt Kapitel 3.2 eine vergleichende Beurteilung der strategischen Analyse der untersuchten Sozialversicherungen vor.

Kapitel 4 behandelt die strategische Planung der untersuchten Sozialversicherungen durch den Bundesrat. In Kapitel 4.1 wird die strategische Planung in diesen Sozialversicherungen zusammenfassend beschrieben. In Kapitel 4.2 wird die strategische Planung der AHV, IV, BV und KV vergleichend beurteilt.

Kapitel 5 stellt in Form einer Gesamtbeurteilung die Stärken und die Schwächen der strategischen Steuerung der untersuchten Sozialversicherungen dar und weist auf den Verbesserungsbedarf hin.

Für eine ausführliche Darstellung und Beurteilung der strategischen Analyse der AHV, IV, BV und KV wird auf die in den Materialien dokumentierten Fallstudien verwiesen.

2

Handlungsspielraum des Bundesrates

In der strategischen Steuerung der AHV, IV, BV und KV ist zu unterscheiden zwischen dem Handlungsspielraum des Bundesrates bei der Vorbereitung von Gesetzesrevisionen und dem Erlass von strategisch relevanten (d.h. langfristig und auf die übergeordneten Ziele der jeweiligen Sozialversicherungen ausgerichteten) Ausführungsbestimmungen.

Der Handlungsspielraum des Bundesrates auf Gesetzesebene ist zwar beschränkt, weil die Entscheidungskompetenz zum Erlass von Gesetzen beim Parlament bzw.

beim Volk liegt. Der Handlungsspielraum des Bundesrats besteht hier in einer möglichst guten Wahrnehmung seiner Kompetenzen im Rahmen der Vorbereitung der Gesetzgebung ­ also bei der in Kapitel 1.1 skizzierten strategischen Analyse und Planung im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Gesetzgebung.

20

21

Die Fallstudien in den Materialien sind nach der gleichen Systematik wie der vorliegende Bericht aufgebaut und nummeriert. Vertiefende Informationen zu den Ausführungen im vorliegenden Bericht können somit unter den entsprechenden Kapitelnummern der Fallstudien nachgelesen werden.

Die zugrundeliegende Grobanalyse zur Steuerung ist in den Materialien dokumentiert.

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Über zusätzliche, direktere Einflussmöglichkeiten verfügt der Bundesrat durch seine Kompetenz, Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Abhängig von den jeweiligen Vorgaben in Verfassung und Gesetz verfügt er dabei in den vertieft untersuchten Sozialversicherungen über einen sehr unterschiedlichen strategisch relevanten Handlungsspielraum. Während der Spielraum bei der AHV sehr gering und bei der BV gering ist und sich im Wesentlichen auf deren obligatorischen Teil beschränkt, verfügt der Bundesrat bei der IV über etwas grössere und bei der KV über bedeutende Möglichkeiten zur strategischen Einflussnahme:

22

23 24

­

In der AHV sind die strategisch relevanten Handlungsmöglichkeiten des Bundesrates auf Verordnungsebene sehr begrenzt. Die Vollzugsaufgaben des Bundesrates sind vor allem technischer Art (z.B. Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung).

­

Das BVG ist ein Rahmengesetz, das vor allem Grundsätze und Mindestvorschriften über die Durchführung der beruflichen Vorsorge enthält. Daneben überträgt es dem Bundesrat einzelne strategisch relevante Steuerungsaufgaben, insbesondere die Festlegung und Überprüfung des Mindestzinses (Art. 15 Abs. 2 und 3 BVG) und einzelne Ermächtigungen, bei Bedarf gewisse Massnahmen zu treffen.22

­

Aufgrund des beträchtlichen Ermessensspielraums der IV-Stellen bei der Abklärung der Leistungspflicht ist die fachliche, administrative und finanzielle Aufsicht dieser Stellen durch den Bund von strategischer Bedeutung.

Zudem ist der Bund in der IV für die Festsetzung von Tarifen und die Zusammenarbeit auf Vertragsbasis mit verschiedenen medizinischen Akteuren (z.B. Ärzteschaft etc.) zuständig. Dabei ist ein zentraler Aspekt die Preisbildung bei der Beschaffung von Hilfsmitteln, die von der IV (teil-)finanziert werden.

­

Bei der KV verfügt der Bundesrat auf Ebene der Ausführungsbestimmungen in mehreren Bereichen über einen beträchtlichen strategisch relevanten Handlungsspielraum: ­ Erstens kann der Bundesrat auf die Tarife und Preise Einfluss nehmen.

Ein grosser Handlungsspielraum besteht vor allem bei den Tarifen und Preisen für Arzneimittel, Analysen, Mittel und Gegenstände (Art. 52 des Bundesgesetzes vom 18. März 199423 über die Krankenversicherung, KVG).

­ Zweitens verfügt der Bundesrat über Einflussmöglichkeiten bei der Definition und der Überprüfung der obligatorisch versicherten Leistungen (Art. 33 KVG)24 sowie der kostenpflichtigen Arzneimittel, Mittel und Gegenstände (Art. 52 KVG). Zudem kann er über die Regelung der Zulassung von bestimmten Leistungserbringern (z.B. Chiropraktor/

Z.B. Möglichkeit, Berufsgruppen von Selbständigerwerbende auf Antrag ihrer Berufsverbände dem Obligatorium zu unterstellen (Art. 3 BVG); Anpassung von Grenzbeträgen (Eintrittsschwelle, koordinierter Lohn) an die AHV-Rente und die allgemeine Lohnentwicklung (Art. 9 BVG).

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (SR 832.10).

Vgl. dazu Bericht der PVK vom 21. August 2008: Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (BBl 2009 5589 ff), den entsprechenden Bericht der GPK-S vom 26. Januar 2009 (BBl 2009 5577 ff) sowie die Stellungnahme des Bundesrates vom 24. Juni 2009 (BBl 2009 5649 ff).

8929

­ ­

innen, Hebammen, Laboratorien) das Angebot der Leistungen beeinflussen (Art. 38 KVG).

Drittens kann der Bundesrat im Bereich der Qualitätssicherung entsprechende Qualitätsanforderungen festlegen (Art. 58 KVG) und die Zulassung von Leistungen an Bedingungen knüpfen (Art. 33 KVG).

Viertens kann der Bundesrat durch die Bestimmung von Franchisestufen, Selbstbehalten und Kostenbeteiligungen auf die Finanzierung der Leistungen Einfluss nehmen (Art. 60­76 KVG).

3

Strategische Analyse

3.1

Durchführung der strategischen Analyse

Die strategische Analyse der Sozialversicherungen wird in erster Linie von den Bundesämtern erarbeitet. Sie basiert einerseits auf expliziten gesetzlichen Aufträgen (vgl. Kapitel 2). Andererseits geht die Initiative für Arbeiten zur strategischen Analyse fallweise vom zuständigen Amt, dem Departement (EDI), dem Bundesrat, dem Parlament oder von beteiligten Akteuren aus. Analysen, Berichte und Forschungsprojekte werden zum Teil ad hoc aufgrund konkreter Bedürfnisse erstellt. Ein explizites Konzept für die Durchführung der strategischen Analyse besteht in keiner der untersuchten Sozialversicherungen.

Die strategische Analyse der AHV, IV, BV und KV wird anhand verschiedener Instrumente vorgenommen. Die wichtigsten Analyseinstrumente sind Statistiken (Administrativdaten), Monitorings von Leistungs- und Kostendaten, Modellrechnungen, die Forschung sowie verwaltungsintern erarbeitete Analysen und Berichte25. Internationale Berichte (z.B. der OECD) und Indikatorensysteme werden ebenfalls für die strategische Analyse genutzt. Zudem können parlamentarische Vorstösse, Gerichtsentscheide, Rückmeldungen der Vollzugsstellen und beteiligte Akteure auf wichtige Herausforderungen hinweisen. Das Wissen und die Erfahrung der zuständigen Ämter (BSV und BAG) sind für die strategische Analyse von grosser Bedeutung.

Von den Berichten der Bundesbehörden sind vor allem die Botschaften zu Gesetzesrevisionen von Bedeutung. In den Botschaften nimmt der Bundesrat in der Regel eine Lageanalyse vor und stellt die Auswirkungen der vorgeschlagenen Massnahmen dar. Die im Rahmen von Standortbestimmungen und Aussprachepapieren des EDI vorgenommenen strategischen Analysen sind wichtige Grundlagen für die Richtungsentscheide des Bundesrates. Diese Auslegeordnungen wurden meistens aufgrund konkreter Ereignisse (z.B. Ablehnung von Gesetzesvorlagen durch das Volk oder Parlament) erarbeitet. Der Jahresbericht zu den Sozialversicherungen gemäss Artikel 76 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ermöglicht einen Überblick über die Entwicklungen und die Perspektiven der Sozialversicherungen. Die Berichte des Perspektivstabs der Bundesverwaltung nehmen eine Lage- und Umfeldanalyse vor und stellen die strategischen Herausforderungen für die Bundespolitik dar. Aus Sicht der Ämter sind die

25

Z.B. Berichte in Erfüllung von parlamentarischen Vorstössen und Aufträgen oder Berichte interdepartementaler Arbeitsgruppen.

8930

Perspektivberichte für die strategische Analyse von untergeordneter Bedeutung, da sie das ohnehin vorhandene Wissen der Ämter bloss abbilden.

Die verschiedenen Analyseinstrumente hatten für die untersuchten Sozialversicherungen in der Untersuchungsperiode einen unterschiedlichen Stellenwert:

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­

In der AHV wurde die strategische Analyse vor allem anhand der AHV-Statistik, der Perspektivrechnungen und verwaltungsintern erarbeiteter Analysen und Berichte vorgenommen. Die Forschung hatte im Vergleich zu den anderen Sozialversicherungen, u.a. aufgrund des im Jahr 2003 abgeschlossenen Forschungsprogramms IDA ForAlt eine geringere Bedeutung.26

­

In der IV waren das Monitoring der Rentenentwicklung, die Kontrolle der wichtigsten Finanzdaten, die Sichtung und die Auswertung sämtlicher kantonaler und nationaler Gerichtsentscheide sowie Informationen, die im Rahmen von Audits der IV-Stellen anfallen und die Forschung zentral. Auch Entwicklungen im Ausland und Untersuchungen der OECD wurden verarbeitet. Perspektivrechnungen sind auch in der IV eine wichtige Grundlage für die Analysen. Die IV-Statistik und die zugrundeliegenden Daten der zentralen Ausgleichsstelle liefern Informationen über die Leistungen und die Kosten der IV, die auch von der Forschung genutzt werden. Die Forschung hat stark an Bedeutung gewonnen: Im Rahmen von Forschungsprogrammen wurden die Ursachen der Rentenzunahme untersucht und die Wirkungen von Massnahmen evaluiert. Vereinzelt wurden auch prospektive Wirkungsanalysen von geplanten Massnahmen durchgeführt.

­

Zentrale Instrumente für die strategische Analyse der BV waren der jährliche Bericht über die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen und der Lebensversicherer in der beruflichen Vorsorge, die Pensionskassenstatistik des BFS, Modellrechnungen sowie Experten-, Forschungs- und Evaluationsberichte.

­

Für die strategische Analyse der KV waren vor allem die Forschung (insbesondere retrospektive Wirkungsanalysen und Evaluationen), verschiedene Statistiken, Datengrundlagen und Indikatoren, das Monitoring Kostenentwicklung und das Kostenprognosemodell von Bedeutung. Ergänzend wurden bereits vor der Untersuchungsperiode erstellte Analyse und Berichte27, internationale Berichte28 und Berichte in Erfüllung von parlamentarischen Vorstössen29 genutzt.

­

Bei der Übersicht zu den übrigen Sozialversicherungen fällt auf, dass abgesehen von den regelmässig erstellten Statistiken strategische Analysen fast ausschliesslich im Hinblick auf Gesetzesvorlagen erstellt bzw. in den entsprechenden Botschaften publiziert werden. Eine wichtige Ausnahme stellen diesbezüglich die zahlreichen Untersuchungen zu den arbeitsmarktlichen Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung dar.

Seit Mitte 2011 hat sich die Forschungstätigkeit des BSV in der AHV verstärkt.

V.a. Wirkungsanalyse des KVG, Expertenberichte im Rahmen der damals geplanten 3. KVG-Revision.

Namentlich: OECD/WHO: OECD Reviews of Health Systems ­ Switzerland, Paris 2006.

Diese Berichte betrafen v.a. Fragen zur Spitalfinanzierung.

8931

Die Analyseinstrumente sind in den letzten Jahren weiterentwickelt und ausgebaut worden. Insbesondere ­

hat die Verwaltung die statistischen Grundlagen in der BV (Pensionskassenstatistik des BFS, Bericht des BSV über die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen und der Lebensversicherer) massgeblich weiterentwickelt;

­

sind die Datengrundlagen und Statistiken mit Bezug zur KV ausgebaut worden. Weiterentwickelt wurden auch das Monitoring der Kostenentwicklung, das Kostenprognosemodell und die Qualitätsindikatoren;

­

konnte die Forschung in der IV aufgrund neuer spezialgesetzlicher Grundlagen (4. IV-Revision) bedeutend ausgebaut werden. In der KV sind die Forschungsaktivitäten in den letzten Jahren ebenfalls ausgebaut worden (v.a.

auch bezüglich Wirkungsanalysen und Evaluationen);

­

hat das BSV die Perspektivrechnungen der AHV verfeinert und die Annahmen zur wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung periodisch aktualisiert;30

­

sind in den letzten Jahren vermehrt interdepartemental erarbeitete Berichte und Strategien publiziert worden, die einen Bezug zur Alterssicherung aufweisen.

Die strategische Analyse der AHV, IV, BV und KV wurde massgeblich durch die Bundesbehörden (v.a. durch die zuständigen Bundesämter) geprägt. Das Parlament, ausserparlamentarische Kommissionen, betroffene politische Akteure, Expertenkommissionen und die Durchführungsstellen übten ebenfalls einen gewissen Einfluss auf die strategische Analyse der untersuchten Sozialversicherungen aus:

30

31 32

­

Das Parlament forderte über parlamentarische Vorstösse und Aufträge zu allen untersuchten Sozialversicherungen Berichte zu spezifischen Fragestellungen. Die Berichte betrafen Finanzierungsfragen, teilweise Auswirkungen von geplanten Massnahmen auf die Politikbegünstigten und Fragen zu jeweils spezifischen Themen.

­

Die vom Bundesrat eingesetzten ausserparlamentarischen Kommissionen (Eidg. AHV/IV-Kommission und Eidg. BVG-Kommission) nahmen u.a. zu Standortbestimmungen der Bundesbehörden Stellung.31 Teilweise unterstützten sie das BSV zudem in der Durchführung der strategischen Analyse.32

­

Die weiteren politischen Akteure (Kantone, politische Parteien, Sozialpartner, weitere Interessensgruppen) konnten sich in der Regel im Rahmen von Konsultationen zu Richtungsentscheiden des Bundesrates (z.B. in der AHV) und Vernehmlassungsverfahren zu Gesetzesrevisionen zur Lageanalyse des Bundesrates äussern. In der KV wurden die verschiedenen Akteure des

Im Mai 2011 hat das BSV neue Finanzperspektiven der AHV veröffentlicht. Die Grundlagen für die Perspektivrechnungen der AHV gelten jeweils auch für die Perspektivrechnungen der IV und der EO.

Z.B. Stellungnahme der Eidg. AHV/IV-Kommission zum Vorgehen nach dem Scheitern der 11. AHV-Revision im Jahr 2004.

Z.B. Mitarbeit der Eidg. AHV/IV-Kommission bei der Aktualisierung der Perspektivrechnungen im Jahr 2004.

8932

Gesundheitswesens (v.a. Kantone und Versicherer) zudem in die Erarbeitung der Analyseinstrumente miteinbezogen.33 ­

Der Bundesrat setzte in der BV ad-hoc Expertenkommissionen ein, die analytische Grundlagen für Gesetzesrevisionen erarbeiteten.

­

Die statistischen Grundlagen in der AHV und IV werden in Zusammenarbeit mit den Durchführungsstellen erarbeitet (Administrativdaten).

Der Vorsteher des EDI will die betroffenen politischen Akteure zukünftig stärker in die Erarbeitung der Grundlagen für die strategische Analyse miteinbeziehen. Beispielsweise sollen die interessierten Kreise (v.a. die politischen Parteien und die Sozialpartner) explizit in die Erarbeitung der Grundlagen der geplanten neuen AHVReform einbezogen werden.34 In der KV besteht ebenfalls die Absicht, die betroffenen Akteure stärker als bisher in die Analyse miteinzubeziehen.

Die Bundesbehörden informieren das Parlament, die interessierten Kreise (politische Parteien, Kantone, Sozialpartner, betroffene Akteure) und die Öffentlichkeit über verschiedene Kanäle und Instrumente über die Ergebnisse der strategischen Analyse.

Die Ergebnisse (Statistiken, Analysen, Berichte, etc.) werden in der Regel systematisch mit einer Medienmitteilung publiziert und sind auf den Webseiten der Behörden verfügbar. Zudem informieren die Behörden über Beiträge in Fachpublikationen (v.a. Zeitschrift Soziale Sicherheit) und über direkte Kanäle wie Anhörungen und Kommissionssitzungen.

3.2

Beurteilung der strategischen Analyse

Instrumente Die Bundesbehörden verfügen über ein breites und grundsätzlich geeignetes Instrumentarium zur Analyse der sich in den untersuchten Sozialversicherungen stellenden Herausforderungen sowie der Auswirkungen von bestehenden und geplanten Massnahmen. Positiv hervorzuheben sind die statistischen (Daten-) Grundlagen, die Modellrechnungen, die Forschung und die verwaltungsintern erarbeiteten Analysen und Berichte. Zu bemängeln ist, dass keine Konzeptpapiere bestehen, welche die Ziele, die Instrumente, die Organisation, die Ressourcen und den Weiterentwicklungsbedarf der strategischen Analyse in den Sozialversicherungen aufzeigen. Durch eine entsprechende Übersicht könnte die Transparenz der Durchführung der strategischen Analyse verbessert und der Weiterentwicklungsbedarf systematischer begründet werden.

Der Ausbau und die Verfeinerung der Analyseinstrumente in allen untersuchten Sozialversicherungen sind positiv zu würdigen. Die Weiterentwicklung der Instrumente ermöglicht es den Bundesbehörden, die Herausforderungen genauer und die Auswirkungen der Massnahmen umfassender zu analysieren. Die Ergebnisse weisen jedoch auf folgende Schwächen und Lücken bei den Instrumenten hin:

33 34

Z.B. gemeinsame Erarbeitung des Kostenprognosemodells (BAG, Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK und Santésuisse).

Gemäss der am 5. Oktober 2011 neu aufgeschalteten Internetplattform www.ahv-gemeinsam.ch sind die Sozialpartner, die politischen Parteien und die Kantone bereit, gemeinsam mit dem EDI die nächsten Reformschritte anzugehen.

8933

­

In der AHV wurden in den Jahren 2004 bis 2010 nur wenige Forschungsprojekte durchgeführt. Seit Anfang 2011 hat das BSV die Forschungsaktivitäten in der AHV jedoch im Hinblick auf die geplante Reform verstärkt.35

­

In der IV bestehen noch gewisse Lücken bei der systematischen Erfassung der Wirkungen im Bereich der Eingliederung. Für die Steuerung, aber auch für die politische Legitimation der IV könnte sich ein systematisches Wirkungsmonitoring als hilfreich erweisen. Zudem ist die übergreifende Forschung mit der integralen Bearbeitung der Themen Arbeit, Gesundheit und Arbeitsmarktintegration noch wenig entwickelt.

­

In der BV erfolgten die Forschungs- und Evaluationsaktivitäten eher ad hoc und punktuell, in Abhängigkeit des politisch artikulierten Abklärungsbedarfs. Die entsprechenden Aktivitäten sind weder systematisiert noch genügend ausgebaut. Insbesondere fehlen systematische Erhebungen zur Analyse der wirtschaftlichen Situation der Versicherten und der Leistungsbezügerinnen und -bezüger sowie der sozialpolitischen Verteilungswirkungen. Obwohl die Transparenz über die Kosten der Vermögensverwaltung mindestens seit 2002 Gegenstand der politischen Diskussion war, liess das BSV erst 2010 empirisch fundierte Analysen zu dieser Frage vornehmen.

­

In der KV bestanden im Untersuchungszeitraum erstens Lücken bei den Datengrundlagen (v.a. betreffend ambulante Leistungen und Entwicklung der Medikamentenpreise). Mangels verfügbarer Daten können die Kosten und die Qualität der Leistungen (insbesondere in der ambulanten Versorgung) nicht sehr differenziert analysiert werden. Teilweise kann dies darauf zurückgeführt werden, dass dem Bund bis zur Reform der Spitalfinanzierung diesbezüglich ausreichende gesetzliche Grundlagen fehlten.36 Zudem sind die verfügbaren Datengrundlagen heute zu fragmentiert, um eine Gesamtsicht der Kostenentwicklung zu ermöglichen. Zweitens bestehen bei prospektiv ausgerichteten Wirkungsanalysen Lücken. Weiter weist die Fallstudie auf einen Forschungsbedarf in der KV hin. Beispielsweise sind verschiedene im Forschungskonzept 2008­2011 aufgeführte Themen wenig oder gar nicht bearbeitet worden.

­

Der Überblick zu den nicht vertieft in Fallstudien untersuchten Sozialversicherungen weist darauf hin, dass der Schwerpunkt der vorliegenden Analysen auf die Finanzierungsfragen gelegt wird. Die (sozialpolitischen) Wirkungen der Massnahmen auf Zielgruppen und Betroffene werden hingegen bestenfalls punktuell oder nur sehr summarisch behandelt. Eine wichtige Ausnahme stellt diesbezüglich die Arbeitslosenversicherung dar. Die Wirkungen der arbeitsmarktlichen Massnahmen wurden hier mittels zahlreicher Studien und Evaluationen wissenschaftlich abgeklärt.

Die Instrumente der strategischen Analyse sind grösstenteils auf die Ziele bzw. die Herausforderungen der untersuchten Sozialversicherungen ausgerichtet, bauen aufeinander auf und beziehen andere Sozialversicherungen sowie relevante Politikbereiche grundsätzlich mit ein. Die Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass die 35

36

Geplant (bzw. teilweise bereits in Auftrag gegeben) sind Forschungsprojekte zu den Themen «Altersrücktritt im Kontext der demografischen Entwicklung», «Steuerungsmechanismen in der AHV» und «Demografie und Babyboomer 2050».

Mit der KVG-Revision im Bereich der Spitalfinanzierung wurden die Voraussetzungen geschaffen, die wichtigsten Datenlücken in Zukunft zu schliessen.

8934

Auswirkungen der bestehenden und der geplanten Massnahmen auf die Betroffenen und die Interdependenzen zwischen den einzelnen Sozialversicherungen und anderen Sozialversicherungen (u.a. auch die Sozialhilfe) und Politikbereiche noch verstärkt untersucht werden könnten. Beispielsweise deuten die von den parlamentarischen Kommissionen im Zusammenhang mit Gesetzesrevisionen bzw. den Botschaften des Bundesrates verlangten Zusatzberichte darauf hin, dass die Auswirkungen der geplanten Massnahmen nicht umfassend genug analysiert worden sind.

Positiv zu würdigen ist dabei, dass jüngst (August 2011) die ersten Resultate aus dem neu eingeführten Monitoring der Systemübergänge zwischen der Sozialhilfe, der Arbeitslosenversicherung und der Invalidenversicherung publiziert wurden. Im Bereich der KV wurden im Rahmen des Monitorings und der Wirkungsanalysen der umgesetzten Massnahmen vor allem die Kostenentwicklung untersucht. Demgegenüber wurden Analysen zur Verbesserung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses des Gesundheitssystems vernachlässigt. Dies ist unter anderem auf fehlende Daten zur Qualität der Leistungen zurückzuführen.

Zuständigkeiten und Prozesse Die Zuständigkeiten und die Prozesse der strategischen Analyse durch die Bundesbehörden sind grundsätzlich geeignet und kohärent. Die starke Stellung der Bundesämter bei der Erarbeitung von Grundlagen ist im Sinne von Kompetenzzentren der Verwaltung zweckmässig. Wichtige politische Akteure werden heute vermehrt in die strategische Analyse miteinbezogen. Bei einzelnen Sozialversicherungen besteht jedoch Verbesserungsbedarf: Insbesondere könnten in der KV die gesundheitspolitischen Akteure (Kantone, Versicherer, Leistungserbringer) noch stärker und systematischer in die strategische Analyse miteinbezogen werden.37 Damit könnte verstärkt versucht werden, im Dialog einen Konsens betreffend die strategische Analyse zu erzielen und damit eine breiter abgestützte Grundlage für die Erarbeitung von Gesetzesrevisionen zu schaffen.

Erkennen der Herausforderungen Die Bundesbehörden haben die sich für die untersuchten Sozialversicherungen stellenden strategischen Herausforderungen mehrheitlich rechtzeitig und angemessen erkannt. Die vom Bundesrat gesetzten Prioritäten stimmen insgesamt in hohem Masse mit den Herausforderungen gemäss strategischer Analyse überein. Schwächen
der strategischen Analyse zeigten sich jedoch bei der Antizipation der Möglichkeit dynamischer Entwicklungen. So waren die Bundesbehörden in der BV bis im Jahr 2003 kaum auf eine negative Entwicklung der Anlagemärkte vorbereitet. In der IV ­ in der zuverlässige Vorhersagen allerdings besonders schwierig sind ­ erwiesen sich frühere Projektionen der Rentenzunahme als zu optimistisch. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit der Bundesrat in der KV aufgrund der Fokussierung auf das Kosteneindämmungsziel andere Herausforderungen (z.B. Qualität der Versorgung) nicht angemessen erkannt hat.

Das Erkennen der Herausforderungen durch den Bundesrat kann in den einzelnen Sozialversicherungen wie folgt beurteilt werden: ­

37

In der AHV und der BV hat der Bundesrat die strukturellen finanziellen Herausforderungen aufgrund der demografischen Entwicklung bereits früh Wie in Kapitel 3.1 erwähnt, hat das EDI bereits entsprechende Absichtserklärungen abgegeben.

8935

erkannt und als prioritär eingestuft. Der Bundesrat hat die Sicherstellung der mittel- und längerfristigen Finanzierung der AHV und der finanziellen Stabilität der BV rechtzeitig als zentrale Herausforderung der Altersvorsorge bezeichnet. Der Bundesrat hat zudem erkannt, dass die AHV den sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen ist. Die tendenziell zu pessimistische Einschätzung der finanziellen Lage der AHV ist auf die Unterschätzung der Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte und des Strukturwandels in der Schweizer Wirtschaft zurückzuführen. Durch die in den letzten Jahren vorgenommene Verfeinerung des Berechnungsmodells und aktualisierte Annahmen zur demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung konnten die Perspektivrechnungen verbessert werden.

­

In der BV waren die Bundesbehörden zunächst nur schlecht auf das Szenario einer negativen Entwicklung der Anlagemärkte vorbereitet, wie sie sich ab dem Jahr 2000 einstellte. Die Instrumente zur Analyse der Situation, zur Beurteilung der möglichen Folgen für die zweite Säule und zur Bewältigung der Herausforderungen mussten erst entwickelt werden. Auch fundierte Analysen der politisch umstrittenen Verwaltungskosten wurden erst nach der Referendumsabstimmung über die Vorlage zur Anpassung des Umwandlungssatzes in Auftrag gegeben. Diesbezüglich war die strategische Analyse wenig vorausschauend und antizipativ ausgestaltet.

­

In der IV hat der Bundesrat die mit der Zunahme der Rentenbezügerinnen und -bezüger (v.a. psychisch erkrankter Personen) verbundenen finanziellen Herausforderungen in den Jahren 2003 und 2004 erkannt und die finanzielle Sanierung der IV als prioritär erklärt. Die Unterfinanzierung der IV war bereits seit den 1990er-Jahren bekannt und die Sanierung der IV ein politisches Ziel des Bundesrates. Die Rentenzunahme bis 2003 fiel allerdings stärker aus, als gemäss den Projektionen zu erwarten war. Frühere Sanierungsbemühungen stellten sich damit als ungenügend heraus.

­

In der KV hat der Bundesrat das Problem des Kostenwachstums aufgrund einer steigenden Zahl an Leistungsanbietern, von Fehlanreizen zu Mehrleistungen und des medizinisch-technischen Fortschritts ebenfalls rechtzeitig erkannt und als prioritär eingestuft. Aufgrund der starken Fokussierung auf das Kosteneindämmungsziel stellt sich jedoch die Frage, inwieweit andere Herausforderungen übersehen wurden. Beispielsweise weist die Fallstudie darauf hin, dass andere Kostentreiber und ein allfälliger Handlungsbedarf bei den anderen Zielen des KVG (v.a. Qualität der Versorgung) nicht systematisch analysiert und diskutiert wurden.

­

Dass Projektionen zum Teil in relevantem Masse von den tatsächlichen Entwicklungen abweichen, zeigte sich auch bei weiteren Sozialversicherungen (ALV, EL).

Information Die Information der Bundesbehörden über die Ergebnisse der strategischen Analyse ist insgesamt positiv zu werten. Hervorzuheben ist insbesondere die systematische Veröffentlichung der Analysen und Berichte über Medienmitteilungen, die Webseite der Behörden und die Fachzeitschrift Soziale Sicherheit. Zudem informiert der Bundesrat in Botschaften zu Gesetzesrevisionen, in parlamentarischen Prozessen und im direkten Kontakt mit weiteren Anspruchsgruppen (z.B. Anhörungen von Kantonen, 8936

Sozialpartner und Interessenvertretern) über die Ergebnisse der strategischen Analyse.

Aus Sicht der strategischen Steuerung weisen die vorliegenden Ergebnisse jedoch auch auf gewisse Verbesserungsmöglichkeiten hin: ­

Erstens könnte die Gesamtsicht zu den Ergebnissen der strategischen Analysen zu den Sozialversicherungen verbessert werden. Die Informationen werden von den Bundesbehörden jeweils im Hinblick auf konkrete Revisionsprojekte aufbereitet, finden sich teilweise in einzelnen Analysen und Berichten und werden zum Teil in zusammenfassender Form im Jahresbericht zu den Sozialversicherungen gemäss Artikel 76 ATSG dargestellt. Eine periodische und systematische Gesamtsicht (inkl. Analyse der Bezüge zu anderen Sozialversicherungen und Politikbereichen) dürfte es dem Bundesrat und interessierten Kreisen erleichtern, ein aktuelles Bild über die strategischen Herausforderungen und die Erkenntnisse zu den Auswirkungen von beschlossenen und geplanten Massnahmen zu machen.

­

Zweitens wird von den im Rahmen dieser Untersuchung Befragten vereinzelt Kritik an den in den Botschaften enthaltenen strategischen Analysen geäussert. Insbesondere wird bemängelt, dass die Analyse in den Botschaften zu KVG-Revisionen teilweise nicht ausführlich genug seien. Beispielsweise wird kritisiert, dass die möglichen Auswirkungen der neuen Spitalfinanzierung im Voraus nicht ausreichend untersucht worden sind. Unterstützt wird diese Kritik durch die über parlamentarische Vorstösse zu verschiedenen Sozialversicherungen (v.a. AHV, KV) geforderten Zusatzberichte, vor allem zu den Auswirkungen der geplanten Massnahmen.

4

Strategische Planung

4.1

Durchführung der strategischen Planung

4.1.1

Ziele, Strategie und politische Planung

Strategische Ziele Im Rahmen der Botschaft zur 11. AHV-Revision vom 2. Februar 2000 definierte der Bundesrat aufgrund einer Gesamtbetrachtung «generelle Leitlinien» für die künftige Entwicklung des Sozialversicherungssystems, die in den einzelnen Sozialversicherungszweigen (u.a. auch AHV, IV, BV und KV) umgesetzt werden sollten. Grundsätzlich hielt der Bundesrat fest, dass am heutigen System der sozialen Sicherheit festgehalten und die einzelnen Säulen im Rahmen des Gesamtsystems vorangetrieben werden sollen. Primäres Ziel des Bundesrates ist die leistungsseitige und finanzielle Konsolidierung der Sozialversicherungen. In den untersuchten Sozialversicherungen definierte der Bundesrat folgende strategischen Ziele: ­

Abgeleitet vom übergeordneten Ziel der Konsolidierung der Sozialversicherungen soll in der AHV primär die mittel- und längerfristige Finanzierung sichergestellt werden. Zudem wird die Flexibilisierung des Rentenalters angestrebt. Mit Ausnahme des Zeitpunkts, zu dem die Finanzierung der AHV sichergestellt werden soll, sind die strategischen Ziele in den Legislaturplanungen jedoch nicht konkretisiert oder ausdifferenziert.

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­

In der IV zielt der Bundesrat in erster Linie auf die finanzielle Sanierung ab.

Dieses Ziel findet sich in den Legislaturplanungen und der Botschaft zur 5.

IV-Revision. Leistungsseitig hat der Bundesrat im Rahmen der 5. IV-Revision das Ziel gesetzt, die Anzahl der Neurenten gegenüber 2003 um zwanzig Prozent zu senken.

­

In der BV zielt der Bundesrat primär darauf ab, das System institutionell und finanziell zu konsolidieren, um die Stabilität der zweiten Säule vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen zu gewährleisten. Dieses Ziel geht aus der im Jahr 2000 vorgelegten 1. BVG-Revision und der im Januar 2003 beschlossenen «Agenda zur Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge» hervor. Gemäss Bundesrat sollen die Renten der AHV und der BV zusammen rund 60 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens erreichen, wobei als Richtgrösse für die zweite Säule ein eigenes Leistungsziel von 40 Prozent vorgesehen ist. Das Ziel wird durch das in der Legislaturplanung 2007­2011 formulierte Ziel 8 «Sozialwerke sanieren und sichern» in genereller Hinsicht bekräftigt. Aktuell ist eine neue Auslegeordnung der beruflichen Vorsorge in Arbeit, die Ende 2011 vorliegen soll.

­

Die strategischen Ziele des Bundesrates in der KV sind in den Legislaturplanungen 2003­2007 und 2007­2011 definiert. Primäres Ziel ist ­ gemäss den Ergebnissen der Wirkungsanalyse des KVG ­ die Kosteneindämmung.

Flankierend dazu sollen die bestehende Solidarität unter den Versicherten und die qualitativ hoch stehende Versorgung erhalten bleiben. In seiner Klausur vom Januar 2002 beschloss der Bundesrat die Ziele «Systemkonsolidierung» und «Systemoptimierung» zur Kosteneindämmung. Im Oktober 2010 hat der Vorsteher des EDI im Rahmen einer Medienkonferenz neue strategische Ziele in der Gesundheitspolitik formuliert. Das EDI hat diese Ziele im Juni 2011 in einem Strategiepapier konkretisiert, das vom Bundesrat genehmigt wurde. Neu stehen die Verbesserung der Qualität, der Transparenz und der Effizienz im Vordergrund, wodurch ebenfalls die Kosten der Krankenversicherung eingedämmt werden sollen ohne dabei das Solidaritäts- und Versorgungsziel zu gefährden.

­

Bei den übrigen Sozialversicherungen sind in der Legislaturplanung vor allem die strategischen Ziele der ALV abgebildet.

Strategien Die Fallstudien zeigen erstens, dass der Bundesrat in den untersuchten Sozialversicherungen bis 2011 über keine expliziten und öffentlich zugänglichen Strategiepapiere verfügte, in denen die Stossrichtungen zur Bewältigung der Herausforderungen gesamthaft dokumentiert und aktualisiert werden.38 Zweitens wird deutlich, dass die Strategien des Bundesrates in den untersuchten Sozialversicherungen unterschiedlich ausdifferenziert und über unterschiedliche Prozesse und Instrumente erarbeitet worden sind ­ darauf deuten auch die Ergebnisse zu den nicht im Rahmen von Fallstudien untersuchten Sozialversicherungen hin. Drittens zeigen die Fallstudien, dass der Bundesrat zur Bewältigung der Herausforderungen vor allem auf 38

«Die Strategie des Bundesrates in der Gesundheitspolitik» ist vom EDI im Juni 2011 veröffentlicht worden.

8938

etappierte Gesetzesrevisionen setzt. Mit Ausnahme der KV hat der Erlass von Ausführungsbestimmungen auf der Grundlage bestehender Gesetze eine untergeordnete Bedeutung in den Strategien des Bundesrates. Die Ebene der Ausführungsbestimmungen wird in der Regel in den strategisch relevanten Dokumenten des Bundesrates nicht thematisiert (AHV; IV; BV, KV wie auch übrige Sozialversicherungen).

Viertens haben sich die Strategien des Bundesrates über die Jahre erst entwickelt (IV) oder weiterentwickelt (v.a. KV). Die Strategien und deren Grundlagen können in den untersuchten Sozialversicherungen wie folgt zusammengefasst werden:

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In der AHV verfügt der Bundesrat über keine ausformulierte und dokumentierte Strategie zur Bewältigung der längerfristigen strukturellen Herausforderungen. Der Bundesrat beabsichtigte bisher, die Finanzierung der AHV über etappierte Gesetzesrevisionen sicher zu stellen.39 Die entsprechenden Massnahmen auf der Leistungs- und der Finanzierungsseite sind grundsätzlich bekannt. Die Strategie des Bundesrates zur Sicherstellung der längerfristigen Finanzierung der AHV ist jedoch nicht klar. Der Bundesrat stellte entsprechende Vorschläge mehrmals im Rahmen der geplanten 12. AHVRevision in Aussicht. Aktuell plant der Bundesrat, die Strategie zur Sicherstellung der Finanzierung der AHV in Zusammenarbeit mit den interessierten Kreisen zu erarbeiten, um einen Konsens hinsichtlich der geplanten AHV-Reform zu erzielen.

­

Die Strategie des Bundesrates zur Sanierung der IV hat sich im Zusammenhang mit den verschiedenen IV-Revisionen entwickelt und konsolidiert. Die Strategie erschliesst sich aus den Botschaften zu den verschiedenen Gesetzesrevisionen. Die ab 2003 entwickelte Strategie stellt durch ihre Betonung leistungsseitiger Massnahmen eine Zäsur zu früheren Sanierungsbemühungen des Bundesrates dar. Auf der Leistungsseite will der Bundesrat dem Grundsatz «Eingliederung vor Rente» mehr Nachachtung verschaffen.

Neben der Verstärkung der Eingliederungsbemühungen der IV sollen die Hürden für die Berentung durch eine strengere und einheitlichere Auslegung des Gesetzes (Aufsicht) und eine Einengung des Invaliditätsbegriffs erhöht werden. Zudem sollten Mehreinnahmen zur Sanierung der IV beitragen.

Ergänzende Stossrichtungen sind Leistungskürzungen, die Straffung der IVAbklärungsverfahren und die Verstärkung der Aufsicht des BSV über die kantonalen IV-Stellen. Die Strategie des Bundesrates ist durch das Parlament verändert worden. Da das Parlament weniger Mehreinnahmen als geplant für die IV bewilligte, sah sich der Bundesrat stärker zu leistungsseitigen Sanierungsmassnahmen gezwungen. Der Erlass von Ausführungsbestimmungen mit strategischer Relevanz ist nicht expliziter Teil der bundesrätlichen Strategie.

­

Die Strategie des Bundesrates zur Konsolidierung der BV basiert auf der im Herbst 2003 vom Parlament verabschiedeten 1. BVG-Revision und der Ende Januar 2003 vom Bundesrat präsentierten «Agenda Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge». Mit der «Agenda» reagierte der Bundesrat einerseits auf die sich aufgrund der veränderten Situation an den Die 11. AHV-Revision (bzw. deren Neufassung) verstand der Bundesrat als erste Etappe einer schrittweisen umfassenden AHV-Reform. Mit der ersten Etappe wollte der Bundesrat u.a. das finanzielle Gleichgewicht der AHV kurz- und mittelfristig (Zeithorizont: 10­15 Jahre) sichern.

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Finanzmärkten resultierende Unterdeckung zahlreicher Vorsorgeeinrichtungen und entsprechende parlamentarische Vorstösse. Andererseits plante er, die Schwachstellen im System der beruflichen Vorsorge zu analysieren und mittel- bis längerfristig zu beheben. Die «Agenda» umfasst kurzfristige Vorkehren zur Sicherstellung der finanziellen Stabilität der BV (Sanierungsmassnahmen, Anpassung des Mindestzinssatzes), mittelfristige Prüfaufträge (Neuordnung der Aufsicht über die berufliche Vorsorge) und langfristige Vorschläge zur finanziellen Konsolidierung (Diskussion um eine Erhöhung des Rentenalters). Anstelle einer umfassenden Reform setzte der Bundesrat auf mehrere etappierte Gesetzesrevisionen. Bezüglich der mittel- und längerfristigen Massnahmen sollten zuerst die entsprechenden Entscheidungsgrundlagen erarbeitet werden.

­

Die Strategie des Bundesrates zur Bewältigung der Herausforderungen in der KV erschliesst sich aus den Legislaturplanungen (2003­2007, 2007­ 2011) und der Botschaft zur Wiederaufnahme der Revisionsbegehren der gescheiterten 2. KVG-Revision.40 In den Jahren 2003­2007 zielte der Bundesrat zur Kosteneindämmung vor allem auf die Stärkung der ökonomischen Anreize und die Beseitigung von Fehlanreizen ab. Die Reform der KV sollte in Paketen und Etappen umgesetzt werden, die im Rahmen einer Gesamtstrategie koordiniert waren. Die Gesamtstrategie umfasste Reformvorhaben zu folgenden Themen: Pflegefinanzierung, Vertragsfreiheit, Prämienverbilligung, Kostenbeteiligung, Spitalfinanzierung und Managed Care. Zur Erhaltung der Solidarität unter den Versicherten und der qualitativ hochstehenden Versorgung sollten laufend Feinanpassungen vorgenommen werden, vor allem auf Verordnungsebene. Als die parlamentarischen Beratungen zu den Vorlagen nur langsam voran gingen, legte der Bundesrat einen Schwerpunkt auf kostensenkende Massnahmen auf Verordnungsebene (Senkung von Tarifen und Preisen, Überprüfung des Leistungskatalogs hinsichtlich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit). Bezüglich der Massnahmen auf Verordnungsebene bestand jedoch keine ausformulierte Strategie (Schwerpunkte, Stossrichtung und Zeitplan für Anpassungen). Im Oktober 2009 legte der Bundesrat seine Qualitätsstrategie vor. Im Juni 2011 hat das EDI ein Strategiepapier zur Gesundheitspolitik publiziert, das vom Bundesrat am 23. Juni 2011 genehmigt wurde. Das Strategiepapier enthält Ziele und Leitlinien der Gesundheitspolitik sowie drei Hauptstossrichtungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene, mit denen die Ziele erreicht werden sollen.

Die Hauptstossrichtungen sind die Stärkung der Aufsicht, kurzfristige Sparmassnahmen und mittel- bis langfristige Reformen.

Politische Planung Bei der Planung der politischen Geschäfte des Bundesrates sind verschiedene Ansätze zu unterscheiden: ­

40

Grundsätzlich plant der Bundesrat die politischen Geschäfte über die Legislaturplanungen und davon abgeleitet über die Jahresziele des Bundesrates und der Departemente. In den Legislaturplanungen sind die laufenden und die geplanten Gesetzesrevisionen aufgeführt. Beispielsweise sind in der Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Strategie und dringliche Punkte) vom 26. Mai 2004, BBl 2004 4259 ff.

8940

Legislaturplanung 2003­2007 die Botschaften zur KVG-Revision mit den zwei Gesetzgebungspaketen und Reformpunkten als Richtliniengeschäft ersichtlich. Die Ziele der Legislaturplanungen betreffend die Gesetzesvorlagen können sich aufgrund von politischen oder wirtschaftlichen Faktoren ändern.41 ­

Die Entscheide zur politischen Planung fällte der Bundesrat vor allem nach Aussprachen in Form von «Richtungsentscheiden» (AHV und IV), einer «Agenda» (BV) oder einer «Gesamtstrategie» (KV).42 Auslöser waren politische Entscheide (z.B. Ablehnung der 11. AHV-Revision, Scheitern der 2. KVG-Teilrevision) und wirtschaftliche Ereignisse (Handlungsbedarf in der BV aufgrund der veränderten Situation an den Finanzmärkten).

­

Neben diesen umfassenderen Planungen von Gesetzesrevisionen initiierte der Bundesrat einzelne Gesetzesrevisionen aufgrund von parlamentarischen Aufträgen43 und aufgrund seiner Lageanalyse44. Die Fallstudien zeigen, dass der Bundesrat zudem Grundsatzdiskussionen mit Bezug zur Planung im Zusammenhang mit Gesetzesvorlagen, Berichten in Erfüllung parlamentarischer Vorstösse oder sporadisch aufgrund des aktuellen Geschehens oder im Zusammenhang mit verwandten Geschäften führte. In den übrigen, nicht im Rahmen von Fallstudien untersuchten Sozialversicherungen scheint die Bedeutung von Gesetzesrevisionen, welche durch Dritte ausgelöst wurden, noch grösser zu sein. Die Vorlagen zu den Familienzulagen und Mutterschaftsentschädigung (EO) wurden nicht vom BR initiiert.

Die Planung der politischen Geschäfte des Bundesrates bezog sich bei allen Sozialversicherungen vor allem auf die Weiterentwicklung der Gesetzgebung. Strategisch relevante Ausführungsbestimmungen wurden meist im Anschluss an Gesetzesrevisionen (z.B. IV, BV) oder aufgrund von Lageanalysen (v.a. BV) erlassen. Hinweise auf eine gewisse Planung auf Ebene der Ausführungsbestimmungen finden sich vor allem in der KV und in der ALV. So enthalten die Jahresziele des Bundesrates und des EDI neben den Gesetzesrevisionen auch Massnahmen auf Verordnungsebene zur Kosteneindämmung. Daneben nahm der Bundesrat die Themen Erhaltung der Solidarität zwischen den Versicherern und Qualitätssicherung in seine Jahresplanungen auf.

41

42

43 44

Beispielsweise wurden die Vorbereitungsarbeiten zur 12. AHV-Revision aufgrund des Entscheids des Bundesrates, dem Parlament nach dem Scheitern der 11. AHV-Revision rasch eine Neufassung vorzulegen, im Vergleich zur Legislaturplanung weniger rasch vorangetrieben.

Massgebende Meilensteine zur Weiterentwicklung der Gesetzgebung in den untersuchten Sozialversicherungen waren die Richtungsentscheide des Bundesrates vom Juni 2004 aufgrund einer Gesamtsicht der Sozialversicherungen («Panorama der Sozialversicherungen»), die vom Bundesrat Ende Januar 2003 präsentierte «Agenda Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge» und die am 25. Februar 2004 vom Bundesrat verabschiedete Gesamtstrategie zur KVG-Revision.

IV: 5. und 6. IV-Revision; BV: Vorlagen über den Mindestumwandlungssatz und zur Sanierung öffentlich-rechtlicher Pensionskassen; KV: Aufsichtsgesetz.

Z.B. dringliche Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung in der KV aufgrund der stark gestiegenen Krankenversicherungsprämien.

8941

4.1.2

Vorbereitung von Gesetzesrevisionen

Nachfolgend werden die vom Bundesrat von 2003­2011 dem Parlament vorgelegten Gesetzesrevisionen zur AHV, IV, BV und KV zusammenfassend dargestellt.45 Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) Nach Ablehnung der 11. AHV-Revision am 16. Mai 2004 durch das Volk verabschiedete der Bundesrat am 21. Dezember 2005 zwei Botschaften zur Neufassung der 11. AHV-Revision. Die Botschaften enthielten leistungsseitige Massnahmen und die Einführung einer Vorruhestandsregelung. Mit der Neufassung der 11. AHVRevision wollte der Bundesrat vor allem das finanzielle Gleichgewicht der AHV kurz- und mittelfristig sichern und die Möglichkeiten für einen flexiblen und sozialverträglichen Altersrücktritt erhöhen. Nach dem Scheitern der Neufassung der 11. AHV-Revision im Parlament (1. Oktober 2010) kündigte der Bundesrat noch am selben Tag eine Neulancierung der AHV-Reform an. Am 3. Dezember 2010 verabschiedete er die Botschaft zur Verbesserung der Durchführung der AHV, die technische Gesetzesänderungen umfasst. Gleichzeitig entschied er, die Grundlagen für eine tief greifende AHV-Revision vorzubereiten. Die Vorlage zur Verbesserung der Durchführung der AHV wurde am 17. Juni 2011 vom Parlament angenommen.

Invalidenversicherung (IV) In der IV legte der Bundesrat dem Parlament vier Gesetzesrevisionen vor:

45

­

Am 4. Mai 2005 verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zur Verfahrensstraffung der IV. Die entsprechenden Massnahmen wurden vom Parlament mit einzelnen Anpassungen noch im Jahr 2005 beschlossen.

­

Am 22. Juni 2005 verabschiedete der Bundesrat die Botschaften zur 5. IVRevision und zur Zusatzfinanzierung der IV. Die 5. IV-Revision zielte vor allem auf die Reduktion der Zunahme der Neuberentungen und die Korrektur von negativen finanziellen Anreizen. Sie wurde am 6. Oktober 2006 vom Parlament beschlossen und in der Referendumsabstimmung vom 17. Juni 2007 vom Volk angenommen. Die Vorlage zur Zusatzfinanzierung wurde vom Parlament von der 5. IV-Revision abgespaltet und separat beraten. Das Parlament einigte sich im Juni 2008 auf eine befristete und im Vergleich zum Vorschlag des Bundesrates geringere Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Gleichzeitig verabschiedete es ein Sanierungsgesetz, das die Schaffung eines von der AHV unabhängigen IV-Ausgleichsfonds vorsah und den Bundesrat verpflichtete, bis Ende 2010 die 6. IV-Revision mit primär ausgabenseitigen Massnahmen vorzulegen. Die Zusatzfinanzierung wurde am 27. September 2009 von Volk und Ständen angenommen.

­

Am 24. Februar 2010 legte der Bundesrat die erste Botschaft (Teil a) zur 6. IV-Revision vor. Die IV-Revision 6a umfasst eher kurzfristig realisierbare Massnahmen. Stossrichtungen sind die Förderung der Eingliederung von Rentnerinnen und Rentnern, die Neuregelung des Finanzierungsmechanismus, die Schaffung von mehr Wettbewerb beim Erwerb von Hilfsmitteln und die Einführung eines Assistenzbeitrags. Das Parlament beschloss die Die Gesetzesvorlagen sind in den einzelnen Fallstudien (siehe Materialien zu vorliegendem Bericht) ausführlicher dargestellt. Für die wichtigsten Vorlagen in den übrigen Sozialversicherungen wird ebenfalls auf die Materialien verwiesen.

8942

IV-Revision 6a im März 2011 mit geringfügigen Änderungen. Die zweite Botschaft zur 6. IV-Revision (Teil b) verabschiedete der Bundesrat am 13. Mai 2011. Ziel dieses Massnahmenpakets ist die nachhaltige Sanierung der IV und die vollständige Tilgung der Schulden der IV beim AHV-Fonds.

Wichtige Elemente der IV-Revision 6b sind die Einführung eines stufenlosen Rentensystems, die Verstärkung der Eingliederungsbemühungen, die Anpassung der Elternrente, die Einführung eines Interventionsmechanismus zur langfristigen Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts und die verstärkte Betrugsbekämpfung.

Berufliche Vorsorge (BV) In der BV lancierte der Bundesrat vier Gesetzesrevisionen: ­

Am 19. September 2003 stellte der Bundesrat die Botschaft über Massnahmen zur Behebung von Unterdeckungen dem Parlament zu. Das Parlament beschloss diese Massnahmen am 18. Juni 2004 mit geringfügigen Anpassungen der bundesrätlichen Vorlage.

­

Am 22. November 2006 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft über den Mindestumwandlungssatz. Die Senkung des Umwandlungssatzes wurde nach anfänglichem Widerstand am 19. Dezember 2008 vom Parlament deutlich angenommen, jedoch am 7. März 2010 vom Volk verworfen.

­

Am 15. Juni 2007 legte der Bundesrat dem Parlament die Botschaft über die Strukturreform vor. Die Strukturreform zielt darauf ab, das System der Aufsicht über die berufliche Vorsorge zu verbessern. Die Botschaft enthielt eine Vorlage 1 zur Strukturreform und eine Vorlage 2 mit Massnahmen zugunsten älterer Arbeitnehmender. Die beiden Vorlagen wurden vom Parlament am 11. Dezember 2009 (Vorlage 2) und am 19. März 2010 (Vorlage 1) mit verschiedenen Anpassungen angenommen.

­

Am 19. September 2008 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft über die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen, in der er die rechtliche, finanzielle und organisatorische Verselbständigung öffentlichrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen sowie den Übergang zur Vollkapitalisierung vorschlug. Das Parlament verabschiedete die Vorlage am 17. Dezember 2010, begnügte sich jedoch anstelle der vom Bundesrat vorgeschlagenen Vollkapitalisierung mit einem Deckungsgrad von 80 Prozent als Zielgrösse.

Krankenversicherung (KV) 2004 lancierte der Bundesrat zwei Gesetzgebungspakete zur Reform des KVG sowie eine Vorlage zur Pflegefinanzierung. 2009 schlug er dem Parlament zudem dringliche Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung vor.46 Die Vorlagen des Bundesrates wurden vom Parlament teilweise stark verändert oder bereits abgelehnt.

Zudem sind einige gewichtige Vorlagen nach wie vor im Parlament hängig: ­

46

Am 15. September 2004 legte der Bundesrat dem Parlament das erste Gesetzgebungspaket vor, das vier Botschaften umfasste. Die Botschaft zur Strategie und zu dringlichen Massnahmen (z.B. Verlängerung des Risikoausgleichs) wurde vom Parlament am 8. Oktober 2004 weitgehend angenommen. Die Vorlagen zur Vertragsfreiheit und zur Kostenbeteiligung sind Im Jahr 2011 eröffnete er zudem eine Vernehmlassung zum neuen Aufsichtsgesetz.

8943

zurzeit noch hängig. Im Bereich Prämienverbilligung nahm das Parlament am 18. März 2005 einen abweichenden Entwurf an.

­

Das zweite Gesetzgebungspaket verabschiedete der Bundesrat am 15. September 2004. Betreffend Spitalfinanzierung nahm das Parlament am 21. Dezember 2007 einen vom Bundesrat abweichenden Vorschlag an. Die Vorlage zu Managed Care wurde vom Parlament stark erweitert und am 30. September 2011 angenommen. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zur Eindämmung der Medikamentenkosten wurden am 1. Oktober 2008 vom Nationalrat abgelehnt.

­

Die Botschaft zur Pflegefinanzierung verabschiedete der Bundesrat am 15. Februar 2005. Im Juni 2008 einigten sich die beiden Räte auf einen abweichenden Vorschlag.

­

Die vom Bundesrat am 29. Mai 2009 verabschiedete Vorlage zu dringlichen Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung wurde im Parlament mehrfach abgeändert. Der resultierende Gesetzesentwurf wurde am 1. Oktober 2010 vom Parlament verworfen.

4.1.3

Erlass von Ausführungsbestimmungen

Für den Erlass von Ausführungsbestimmungen (Verordnungen, Weisungen) auf der Grundlage der bestehenden Gesetze verfügt der Bundesrat bei den untersuchten Sozialversicherungen über einen aus strategischer Sicht sehr unterschiedlichen Handlungsspielraum (vgl. Kap. 2). Entsprechend war der Bundesrat zwischen 2003 und 2011 in der KV am aktivsten:47

47 48

­

In der KV hat der Bundesrat ab 2005/2006 vor allem den Erlass von Bestimmungen im Bereich der Tarife und Preise für Arzneimittel, Mittel und Gegenständen sowie Laboranalysen, der Aufsicht über die Krankenversicherer und Genehmigung der Prämien und im Bereich der Qualitätssicherung vorangetrieben. Zudem setzte der Bundesrat auch einzelne Massnahmen zur Überprüfung des Leistungskatalogs um.48

­

In der BV passte der Bundesrat den Mindestzinssatz viermal an und erliess im Anschluss an Gesetzesrevisionen verschiedene Bestimmungen zur Behebung der Unterdeckung und zur Optimierung der Aufsicht. Weiter beschloss er auf dem Verordnungsweg Massnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktbeteiligung von älteren Arbeitnehmenden (Möglichkeit zur Vorsorge in der Säule 3a bei Weiterarbeit über das ordentliche Rentenalter hinaus), führte Verbesserungen für atypische Arbeitnehmende ein (vor allem Flexibilisierung der minimalen Anstellungsdauer als Voraussetzung für die Unterstellung unter die BV) und nahm Anpassungen an den auf Verordnungsebene

Die Aktivitäten des Bundesrates auf Ebene der Ausführungsbestimmungen sind in den Fallstudien (siehe Materialien) ausführlicher dargestellt.

Bei den ärztlichen Leistungen gilt der Pflichtleistungscharakter bis zum Beweis der Verletzung der Grundsätze der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW). Der Bundesrat ist verpflichtet, die WZW-Kriterien regelmässig zu überprüfen und setzt dies um, soweit die Ressourcen der Verwaltung dies zulassen (vgl. hierzu ausführlicher die Berichte gemäss Fussnote 24).

8944

geregelten Anlagebestimmungen für Pensionskassen, Freizügigkeitsstiftungen und Säule 3a-Stiftungen vor.

­

In der IV erliess der Bundesrat erstens Ausführungsbestimmung zum Vollzug der 4. und 5. IV-Revision.49 Zweitens verstärkte er die Aufsicht über die IV-Stellen durch verschiedene Vorgaben. Drittens setzte er verschiedene Massnamen im Bereich der Preise für Hilfsmittel (Tarifverträge für Hörgeräte), der Stellung der Medizinischen Abklärungsstellen (MEDAS) und der interinstitutionellen Zusammenarbeit (Projekt IIZ-MAMAC) um.

4.1.4

Einfluss der beteiligten Akteure

Vorsteher des EDI Die Fallstudien zeigen, dass die strategische Planung vor allem im Zusammenspiel zwischen dem Vorsteher des EDI und den zuständigen Ämtern erarbeitet wurde. Der Vorsteher des EDI nahm in den untersuchten Sozialversicherungen mehrheitlich eine wichtige Rolle bei der Planung und der Erarbeitung der Gesetzesvorlagen ein.

Er stand einerseits in laufendem Kontakt mit den zuständigen Ämtern (BSV und BAG). Dabei nahm er periodisch Standortbestimmungen vor und diskutierte mit den Ämtern mögliche Strategien und Massnahmen. Andererseits brachte er strategische Fragen in den Bundesrat ein und priorisierte die Geschäfte in Absprache mit den Ämtern. Aufgrund der in den Fallstudien vorliegenden Informationen muss vermutet werden, dass der Bundesrat als Kollegialbehörde die Weiterentwicklung der untersuchten Sozialversicherungen nicht aktiv vorantrieb, sondern jeweils auf Antrag des Vorstehers des EDI Grundsatzfragen diskutierte und entsprechende Entscheide fällte. Die im Rahmen der Fallstudien gesichteten Aussprachepapiere und Botschaften weisen darauf hin, dass sich das Bundesratskollegium nicht kontinuierlich und systematisch, sondern unregelmässig und ad hoc mit der Weiterentwicklung der Sozialversicherungen beschäftig hat.50 Die Departementsvorsteher waren in der Untersuchungsperiode jedoch aktiv und setzten wichtige strategische Impulse. Teilweise reagierten sie auch auf Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds und auf parlamentarische Vorstösse: ­

49

50

Nach dem Scheitern von Revisionsvorlagen im Volk oder im Parlament gab der Departementsvorsteher jeweils sehr rasch Auslegeordnungen in Auftrag und veranlasste im Bundesrat strategische Diskussionen, die zu Richtungsentscheiden führten. Diese Grundsatzentscheide waren aus strategischer Sicht und im Hinblick auf die Planung der Vorlagen von sehr grosser Bedeutung. Beispiele für das rasche Reagieren des Bundesrates sind die Richtungsentscheide aufgrund des «Panoramas der Sozialversicherungen» nach dem Scheitern der 11. AHV-Revision und die «Gesamtstrategie» zur Revision

V.a. betreffend die Regionalen Ärztlichen Dienste (RAD), Pilotprojekte (Assistenzbeiträge und Eingliederung), Betrugsbekämpfung und Massnahmen der Früherfassung, der Frühintervention und der Eingliederungsmassnahmen.

Grundlage dieser Aussage sind die vom EDI im Hinblick auf die strategische Steuerung als relevant erachteten und für die vorliegende Untersuchung zur Verfügung gestellten Dokumente.

8945

des KVG nach der Ablehnung der 2. KVG-Teilrevision.51 Der Departementsvorsteher reagierte auch auf Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds und auf parlamentarische Vorstösse. Beispiel dafür ist die «Agenda zur Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge», die auf einem Aussprachepapier des EDI basiert. Zudem initiierte der Departementsvorsteher die dringlichen Massnahmen zur Kosteneindämmung.

­

Der Departementsvorsteher nahm massgebend auf die Erarbeitung der Revisionsvorlagen Einfluss. Einerseits veranlasste er teilweise Anhörungen von politischen Akteuren, an denen er sich auch beteiligte. Andererseits prägte er die Revisionsvorlagen aus inhaltlicher Sicht. Beispielsweise prägte der Departementsvorsteher den Prozess zur Erarbeitung der Neufassung der 11. AHV-Revision.

Auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen war der Einfluss des Departementsvorstehers in der Ausschöpfung des Handlungsspielraums weniger prägend. Beispielsweise erarbeitete er in der KV in einzelnen Kompetenzbereichen zusammen mit dem BAG Strategien (Qualitätsstrategie). Die Massnahmen wurden jedoch eher ad hoc, in Folge ersichtlicher Probleme und unter Berücksichtigung von politischen Faktoren (vgl. nächster Abschnitt) ergriffen.

Einfluss des Parlaments und weiterer Akteure Das Parlament und weitere Akteure (Expertenkommissionen, Kantone, politische Parteien, Sozialpartner und Interessenvertreter) beeinflussten und prägten die strategische Planung des Bundesrates auf verschiedenen Ebenen:

51

­

Vorgehensentscheide: Erstens übte das Parlament durch Vorstösse und im Rahmen seiner gesetzgeberischen Tätigkeit teilweise einen direkten Einfluss auf Grundsatzentscheide und die Planung von Vorlagen des Bundesrates aus. Beispiele sind die parlamentarischen Vorstösse zur BV im Vorfeld der «Agenda Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge», der parlamentarische Auftrag, eine Vorlage zur Sanierung öffentlich-rechtlicher Pensionskassen auszuarbeiten und das Sanierungsgesetz in der IV, das den Bundesrat zur Ausarbeitung der 6. IV-Revision beauftragte. Zweitens führte der Bundesrat im Hinblick auf Grundsatzentscheide zum weiteren Vorgehen teilweise Konsultationen von betroffenen und beteiligten Akteuren durch.

Beispiele dafür sind die nach dem Scheitern der 11. AHV-Revision und der Neufassung der 11. AHV-Revision durchgeführten Anhörungen und die im Hinblick auf die «Gesamtstrategie» zur KVG-Reform durchgeführten Anhörungen.

­

Gesetzliche Massnahmen: Das Parlament und die weiteren Akteure nahmen im Vorfeld der Botschaften über verschiedene Kanäle auf die vom Bundesrat vorgeschlagenen gesetzlichen Massnahmen Einfluss. Erstens berücksichtigte der Bundesrat in seinen Vorlagen in der Regel parlamentarische Vorstösse. Zweitens wurden die Vorlagen teilweise von Expertenkommissionen vorbereitet, vor allem in der BV. Drittens bezog der Bundesrat die Eidg.

Weitere Bespiele sind die Präsentation eines Aussprachepapiers durch den Vorsteher des EDI zur finanziellen Lage der IV und zu entsprechenden Sanierungsmassnahmen kurz nach Ablehnung der 11. AHV-Revision oder der rasche Entscheid des Departementsvorstehers zum weiteren Vorgehen nach dem Scheitern der Neufassung der 11. AHV-Revision.

8946

AHV/IV-Kommission und die Eidg. BVG-Kommission sowie in der KV die Akteure des Gesundheitswesens (v.a. Kantone und Versicherer) in die Arbeiten mit ein. Viertens konnten sich die Akteure (Kantone, politische Parteien, Sozialpartner, Interessenvertreter, etc.) in der Regel im Rahmen von Vernehmlassungen oder Anhörungen zu den Vorschlägen des Bundesrates äussern. Teilweise waren die Fristen jedoch sehr knapp.52 Der Bundesrat berücksichtigte die Einwände und Vorschläge der Vernehmlassungsteilnehmenden in seinen Botschaften teilweise. Vereinzelt wurden die Gesetzesvorlagen auch von Bundesgerichtsurteilen beeinflusst.53 Mit Blick auf die übrigen, nicht im Rahmen von Fallstudien untersuchten Sozialversicherungen fällt auf, dass das Parlament verschiedene Gesetzesrevisionen in eigener Regie vorantrieb (Familienzulagen, Mutterschaftsversicherung nach früherem Scheitern der bundesrätlichen Vorlage).

­

52 53

54

55 56

57 58 59

Ausführungsbestimmungen: Die Planung und der Erlass von Ausführungsbestimmungen wurde teilweise stark vom Parlament beeinflusst. Beispielsweise übte das Parlament in der KV bei den Medikamentenpreisen, der Qualitätssicherung und der Transparenz der Aufsicht über entsprechende Vorstösse und Empfehlungen der GPK54 einen grossen politischen Druck aus. In der IV beauftragte das Parlament den Bundesrat zur Erarbeitung einer Gesamtstrategie für eine verstärkte Aufsicht. Anstösse für den Erlass von Ausführungsbestimmungen kamen zudem von Untersuchungen verschiedener Stellen55 sowie von Bundesgerichtsentscheiden.56 Vereinzelt zeigte sich der Bundesrat auch offen gegenüber Impulsen der Branche.57 Der Bundesrat bezog teilweise Expertenkommissionen58 in die Erarbeitung der Ausführungsbestimmungen ein und konsultierte teilweise weitere Akteure (z.B. Sozialpartner in der BV; Kantone und Versicherer in der KV). Zudem hat das Parlament verschiedentlich von seinem Recht auf Konsultation zu Verordnungsentwürfen Gebrauch gemacht (z.B. im Rahmen der Umsetzungsverordnungen zur Strukturreform BV).59

Z.B. bei den dringlichen Massnahmen zur Kosteneindämmung und zum Aufsichtsgesetz in der KV.

Beispiele: Verschiedene Bundesgerichtsurteile dienten dem Bundesrat als Grundlage für die Anpassung des Invaliditätsbegriffs im Rahmen der 5. IV-Revision; ein Leiturteil des Bundesgerichts betreffend Rentenrevisionen (Anpassung von laufende Renten, die wegen somatoformer Schmerzstörungen, Fibromyalgie und ähnlichen Sachverhalten zugesprochen wurden) dürfte dazu beigetragen haben, dass in der 6. IV-Revision eine entsprechende Grundlage geschaffen wurde.

Brief der GPK-S vom 13.11.2007 an den Bundesrat (Evaluation über die Rolle des Bundes bei der Qualitätssicherung nach KVG); Brief an den Bundesrat vom 26.01.2009 (Inspektion «Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung». Die GPK formuliert in diesen Briefen Empfehlungen an den Bundesrat auf der Grundlage entsprechender Untersuchungen der PVK.

Untersuchungen des Preisüberwachers (2003) und der Eidgenössischen Finanzkontrolle (2007) zu den Hörgerätepreisen in der IV.

Z.B. Hinweise des Bundesgerichts auf gewisse institutionell-organisatorische Defizite im Zusammenhang mit der Qualität von ärztlichen Gutachten für die IV und der Rolle der MEDAS.

Z.B. Revision der Anlagebestimmungen (BV) als Reaktion auf Anfragen von Vorsorgeeinrichtungen an das BSV.

Z.B. BVG-Kommission, Eidg. Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) und Eidg. Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände (EAMGK).

Artikel 151 Parlamentsgesetz (SR 171.10).

8947

4.1.5

Information

Wichtigstes Instrument des Bundesrates zur Kommunikation der strategischen Planung waren die Botschaften zu Gesetzesrevisionen. Teilweise veröffentlichte er auch strategische Grundsatzdokumente.60 Wichtige Entscheide und Positionen kommunizierte der Bundesrat (bzw. das EDI) in der Regel über Medienmitteilungen. Die Medienmitteilungen wurden meistens mit zusätzlichen Dokumenten veröffentlicht (z.B. Faktenblätter, Berichte etc.). Die Informationen und Dokumente zu Revisionsprojekten und zu den Ausführungsbestimmungen finden sich auf den Webseiten der Behörden.61 Zudem informierten die Ämter bei Bedarf über Standortbestimmungen des Bundesrates, Revisionsprojekte und neue Ausführungsbestimmungen in Fachpublikationen (z.B. Soziale Sicherheit, Mitteilungen über die berufliche Vorsorge).

Weitere wichtige Kommunikationsinstrumente waren informelle Konsultationen (bzw. Anhörungen) von Kantonen, politischen Parteien und Interessenvertretern (Sozialpartner, Akteure des Gesundheitswesens, Fachverbände) vor Vorgehensentscheiden des Bundesrates zur Revision der AHV und der KV, Vernehmlassungsverfahren im Zusammenhang mit Gesetzesrevisionen, Informationen des Bundesrates in Sitzungen parlamentarischer Kommissionen oder in Erfüllung von parlamentarischen Vorstössen, strategische Diskussionen mit politischen Parteien (z.B. im Rahmen der von Wattenwyl-Gespräche) und die nationalen Dialoge Sozialpolitik und Gesundheitspolitik.

4.2

Beurteilung der strategischen Planung

4.2.1

Ziele, Strategie und politische Planung

Strategische Ziele Die vom Bundesrat gesetzten strategischen Ziele sind grundsätzlich positiv zu werten. Die strategischen Ziele sind auf die Herausforderungen abgestimmt und in sich kohärent. Der Bundesrat hat die Konsolidierung der Sozialversicherungen in den «generellen Leitlinien» für die künftige Entwicklung des Sozialversicherungssystems bereits frühzeitig als strategisches Ziel definiert. Die Fokussierung auf die Sicherstellung der Finanzierung der AHV und der IV auf die Systemstabilisierung der BV sowie auf die Kosteneindämmung in der KV entspricht dem vom Bundesrat bei den Herausforderungen gesetzten Prioritäten (vgl. Kap. 3.2).

Aufgrund der Fallstudien lassen sich jedoch drei Kritikpunkte an der Definition der strategischen Ziele anbringen: ­

60

61

Erstens sind die strategischen Ziele des Bundesrates grösstenteils allgemein formuliert und werden in den grundlegenden Dokumenten (z.B. Legislaturplanungen) nicht weiter konkretisiert ­ diese Feststellung trifft auf den gesamten Sozialversicherungsbereich zu. Beispielsweise werden in der KV Z.B. «Gesamtstrategie» zur Reform des KVG; «Agenda Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge» (Übersicht über die geplanten Massnahmen als Anhang zu einer Medienmitteilung, die auf einem Aussprachepapier des Bundesrates beruhte).

Zum geplanten AHV-Reformprozess informiert der Bund ab 5. Oktober 2011 über die Internetplattform www.ahv-gemeinsam.ch.

8948

die angestrebte Qualität und Effizienz des Gesundheitssystems nicht präzisiert. In der BV vermisst die Vorsorgebranche die Vorgabe einer klaren strategischen Richtung, an der sie sich orientieren kann.

­

Zweitens betonte der Bundesrat vor allem bei der KV im Vergleich zu den Herausforderungen etwas einseitig das Ziel der Kosteneindämmung. Die vom EDI kürzlich kommunizierten neuen strategischen Ziele in der Gesundheitspolitik mit Fokus auf die Qualität, die Transparenz und die Effizienz sind diesbezüglich positiv zu würdigen. Sie legen das Gewicht darauf, dass sich die Anstrengungen im Bereich der Kosteneindämmung nicht zu Ungunsten der anderen beiden Ziele (Zugang zu hochstehenden Leistungen und Solidarität zwischen den Versicherten) auswirken.

­

Neben finanzierungsbezogenen Zielen ist das anzustrebende finanzielle Leistungsniveau teilweise definiert, namentlich in der AHV und der BV in Form von Richtgrössen (vgl. Kap. 4.1.1). In der IV hat der Bundesrat im Rahmen der 5. IV-Revision das Ziel gesetzt, die Anzahl der Neurenten gegenüber 2003 um zwanzig Prozent zu senken. Weitere Wirkungsziele, die das anzustrebende Leistungsniveau und den bei den Begünstigten anvisierten Zustand definieren, fehlen weitgehend. Dieser Eindruck ergibt sich auch aus der Grobanalyse der strategischen Steuerung in den übrigen Sozialversicherungen.

Strategien Bei den Strategien des Bundesrates zur Bewältigung der Herausforderungen bestehen verschiedene Schwächen:

62

­

Erstens verfügte der Bundesrat bis 2011 über keine expliziten und öffentlich zugänglichen Strategiepapiere.62 Auch dem Parlament wurden keine entsprechenden Strategiepapiere zur Verfügung gestellt. Die Strategie des Bundesrates in den jeweiligen Sozialversicherungen muss aus verschiedenen Dokumenten (v.a. Botschaften) erschlossen werden.

­

Zweitens sind die Strategien des Bundesrates in den untersuchten Sozialversicherungen nicht vollständig geklärt. Während die kurz- und mittelfristigen Schwerpunkte auf gesetzlicher Ebene grösstenteils klar sind, bestehen bei der längerfristigen Weiterentwicklung der Gesetzgebung und bei den Stossrichtungen auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen Lücken. Entsprechend hat der Bundesrat seine Führungsverantwortung auf strategischer Ebene noch nicht in ausreichendem Masse wahrgenommen.

­

Drittens ist der Bundesrat bei der Definition der Strategien teilweise reaktiv vorgegangen. Insbesondere war er bis 2003 nicht auf das Szenario einer negativen Entwicklung der Finanzmärkte vorbereitet und musste in der Folge zunächst eine Strategie für den Umgang mit dieser für die BV zentralen Veränderung des Umfelds erarbeiten. In der IV hat der Bundesrat seine Strategie laufend entwickelt und konsolidiert. Dabei hat er u.a. auch auf parlamentarischen Druck reagiert. Zudem ist bei den Ausführungsbestimmungen keine explizite Strategie des Bundesrates erkennbar. Das Beispiel der KV

Die «Strategie des Bundesrates in der Gesundheitspolitik» ist im Juni 2011 vom EDI publiziert worden.

8949

zeigt, dass der Bundesrat beim Erlass von Ausführungsbestimmungen pragmatisch und tendenziell reaktiv vorgegangen ist.

Die vom Bundesrat in den untersuchten Sozialversicherungen auf Gesetzesebene verfolgten kurz- und mittelfristigen Strategien über etappierte Revisionen scheinen jedoch richtig und zielführend zu sein. Erstens sind grössere Reformprojekte teilweise gescheitert (z.B. 2. KVG-Teilrevision). Zweitens zeigt die Etappierung von abgestimmten Reformvorlagen in verschiedenen Sozialversicherungen Erfolge (v.a.

IV und KV). Zudem sind die mit den bisherigen Gesetzesrevisionen vorgeschlagenen Stossrichtungen und Massnahmen grundsätzlich auf die strategischen Ziele des Bundesrates ausgerichtet. Dieser Eindruck ergibt sich auch aus der allerdings nur summarischen Analyse der nicht im Rahmen von Fallstudien untersuchten Sozialversicherungen. Die positive Beurteilung der kurz- und mittelfristigen Strategien relativiert die grundsätzliche Kritik an den Strategien des Bundesrates teilweise.

Die vom Bundesrat in den vertieft untersuchten Sozialversicherungen verfolgten Strategien lassen sich wie folgt beurteilen:

63

­

In der AHV verfügt der Bundesrat über keine Strategie zur Sicherstellung der längerfristigen Finanzierung. Dies stellt eine bedeutende Lücke in der strategischen Steuerung dar. Die Absicht des Bundesrates, eine entsprechende Strategie in Zusammenarbeit mit interessierten Kreisen zu erarbeiten, ist zu begrüssen. Positiv zu erwähnen sind das vom Bundesrat geplante Vorgehen über etappierte Gesetzesrevisionen und die Kohärenz der bisher in Gesetzesrevisionen vorgeschlagenen kurz- und mittelfristigen Massnahmen.

­

In der IV hat der Bundesrat seine Strategie anhand verschiedener Revisionsprojekte laufend entwickelt und konsolidiert. Mit der Botschaft zur IV-Revision 6b ist auch klar, wie der Bundesrat die IV längerfristig nachhaltig sanieren will. Die Strategie des Bundesrates ist auf die Herausforderungen ausgerichtet, in sich kohärent und insgesamt auf das politische Umfeld abgestimmt. Der Bundesrat hat konsequent auf die finanzielle Sanierung der IV hingewirkt. Er hat die Strategie im Laufe der Jahre über die Arbeit an Revisionsprojekten und in Austausch mit dem Parlament entwickelt. Dabei hat er sich als anpassungsfähig erwiesen und auf parlamentarischen Druck rasch reagiert. Die Stossrichtung «Eingliederung vor Rente» hat wesentlich zur Weiterentwicklung der Gesetzgebung beigetragen. Zudem erwiesen sich die vom Bundesrat gewählte Paketbildung der Vorlagen (5. IV-Revision) und die Terminierung der Vorlagen grundsätzlich als richtig. Kritisch zu vermerken ist, dass die Stossrichtungen auf Ebene der Ausführungsbestimmungen nicht expliziter Teil der Strategie sind und sich der Bundesrat (bzw. die Verwaltung) in gewissen Bereichen zu passiv verhalten hat (Hilfsmittelpreise und Diskussion um die Unabhängigkeit der Medizinischen Abklärungsstellen).

­

Der Bundesrat verfügte bis 2011 über keine ausformulierte Strategie für die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen der BV.63 Die «Agenda zur Sicherung und Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge» diente als strategische Auslegeordnung und als Planungsgrundlage für diverse GesetEin Bericht zur beruflichen Vorsorge mit einer umfassenden Auslegeordnung der Situation ist 2011 in Arbeit und wird die Basis für die künftige Weiterentwicklung der zweiten Säule bilden.

8950

zesrevisionen und weitere Massnahmen. Sie hat jedoch nicht den Charakter eines umfassenden, übergeordneten und langfristig ausgerichteten strategischen Konzepts für die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen der beruflichen Vorsorge. Ein solches Konzept müsste zumindest im Sinne von allgemeinen Stossrichtungen darlegen, wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen der beruflichen Vorsorge zu gestalten sind, welche Instrumente den Vorsorgeeinrichtungen und den Aufsichtsbehörden zur Verfügung gestellt werden sollten, um sicherzustellen, dass die Vorsorgeeinrichtungen auch bei systemrelevanten Umfeldveränderungen (Demographie, negative Entwicklung der finanziellen Anlageperspektiven) weiterhin in der Lage sind, das vorgesehene Leistungsziel der beruflichen Vorsorge zu gewährleisten. Dabei ist auch die Vorbereitung von verschiedenen Szenarien für allfällige Anpassungen der technischen Parameter der beruflichen Vorsorge (Umwandlungssatz, Mindestzinssatz) denkbar. Der Bundesrat erarbeitete die Stossrichtungen der Gesetzesvorlagen schrittweise und reagierte auf parlamentarische Vorstösse. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich auf die Herausforderungen abgestimmt und kohärent. Allerdings erfolgte die Steuerung vor allem reaktiv, ereignisbezogen und wenig vorausschauend. Bis 2003 waren keine Szenarien für den Umgang mit den Konsequenzen einer negativen Entwicklung der Finanzmärkte vorbereitet. Wie in der AHV sind die längerfristig erforderlichen Massnahmen zur Konsolidierung der BV nicht klar.

­

Die Strategie des Bundesrates in der KV war bis Mitte 2011 nur teilweise explizit ausgeführt und dokumentiert. Während die Strategie des Bundesrates auf Gesetzesebene klar war, bestand auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen im Rahmen der bestehenden Gesetze keine explizite Strategie.

Die Stossrichtungen des Bundesrates zur Weiterentwicklung des KVG waren auf die Herausforderungen ausgerichtet und in sich kohärent. Die Paketbildung und die Etappierung der Vorlagen sind aufgrund der Erfahrung mit der Vorlage zur 2. KVG-Teilrevision ebenfalls positiv zu werten. Obwohl die Massnahmen auf Ebene der Ausführungsbestimmungen inhaltlich gut auf die gesetzten Prioritäten abgestimmt waren, ist rückblickend nicht erkennbar, inwieweit dieses Vorgehen auf einer strategischen Grundlage beruhte. Der Bundesrat scheint in Bereichen mit grösserem Handlungsspielraum (Preise und Überprüfung des Leistungskatalogs) pragmatisch und tendenziell reaktiv vorgegangen zu sein. Damit stellt sich die Frage, ob der Bundesrat die Stossrichtungen zur Kosteneindämmung im Rahmen einer Gesamtstrategie langfristiger und systematischer hätte planen sollen, u.a. um einen entsprechenden politischen Druck aufzubauen. Die im Juni 2011 veröffentlichte Strategie des Bundesrates in der Gesundheitspolitik stellt eine Verbesserung der strategischen Planung dar. Sie beinhaltet Massnahmen auf Gesetzesebene und auf Ebene der Ausführungsbestimmungen zur Erreichung der definierten Leitlinien und Ziele.

Politische Planung Die politische Planung des Bundesrates auf übergeordneter Ebene über die bisherige Legislaturplanungen weist verschiedene Schwächen auf. Erstens sind die Ziele in der Legislaturplanung allgemein formuliert und erfüllen damit die Anforderungen an eine ziel- und wirkungsorientierte Planung nicht. Zweitens enthält die Legislaturplanung kaum strategische Prioritäten bei den Massnahmen auf Ebene der Gesetzgebung (inkl. Wirkungsziele). Drittens enthält die Legislaturplanung kaum Angaben zu 8951

den geplanten strategisch relevanten Ausführungsbestimmungen. Viertens haben sich die Legislaturplanungen aufgrund von politischen Entscheiden (z.B. zu Revisionsvorlagen) und der Entwicklung wirtschaftlicher Faktoren als nur bedingt relevant erwiesen. Die vom Bundesrat in Aussicht gestellten Änderungen an der Legislaturplanung (verstärkte Prioritätensetzung durch den Bundesrat, Konkretisierung der Ziele und der Massnahmen) sind zu begrüssen.

Die Planung der einzelnen Gesetzesrevisionen durch den Bundesrat in den untersuchten Sozialversicherungen ist überwiegend positiv zu beurteilen: ­

Erstens handelte der Bundesrat nach politischen Entscheiden zu Gesetzesvorlagen (AHV, IV, KV) oder aufgrund sich verändernden wirtschaftlichen Faktoren (BV) jeweils sehr rasch und plante anhand von Aussprachepapieren das weitere Vorgehen. Die Entscheide des Bundesrates in Form von «Richtungsentscheiden» (AHV, IV), einer «Agenda» (BV) oder einer «Gesamtstrategie» (KV) umfassten die längerfristige Planung von Gesetzesrevisionen sowie teilweise auch die Planung der Erarbeitung entsprechender Grundlagen (v.a. BV). Der Bundesrat plante die Gesetzesrevisionen in inhaltlicher (Paketbildung) und zeitlicher Sicht (Etappierung). Bei den unverzüglich auszuarbeitenden Gesetzesvorlagen (z.B. Neufassung der 11. AHV-Revision) definierte er Vorgaben zu den Zielen und den Massnahmen. Mit diesen umfassenderen Planungen nahm der Bundesrat seine Führungsverantwortung in der Weiterentwicklung der Gesetzgebung wahr.

Dem Departementsvorsteher des EDI kam dabei eine Schlüsselrolle zu (vgl.

Kap. 4.1.4).

­

Zweitens reagierte der Bundesrat auf parlamentarische Aufträge und auf eine Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds vergleichsweise rasch mit einzelnen Gesetzesrevisionen (z.B. 6. IV-Revision, dringliche Massnahmen zur Kostensenkung in der KV).

­

Drittens stimmte der Bundesrat seine Vorgehensentscheide auf das politische Umfeld ab. Dabei berücksichtigte er parlamentarische Vorstösse (v.a.

BV und IV) und die in Anhörungen geäusserten Meinungen wichtiger politischer Akteure (v.a. AHV, KV).

­

Viertens war die Planung der Gesetzesrevisionen auf die Herausforderungen bzw. die strategischen Ziele in den untersuchten Sozialversicherungen abgestimmt; diese bauten aufeinander auf (vgl. Kap. 4.2.2).

Auf der Ebene der strategisch relevanten Ausführungsbestimmungen weist die Planung des Bundesrates Schwächen auf. Abgesehen von Bestimmungen, die der Bundesrat in direktem Zusammenhang mit Gesetzesrevisionen erliess (z.B. IV), verhielt sich der Bundesrat mehrheitlich passiv und reagierte vor allem auf politischen Druck seitens des Parlaments (vgl. Kap. 4.1.4). Der Bundesrat hat seine vor allem in der KV bestehenden Möglichkeiten auf Ebene der Ausführungsbestimmungen im Untersuchungszeitraum nicht systematisch ausgeschöpft.64 Das Strategiepapier des EDI zur Gesundheitspolitik vom 22. Juni 2011 enthält jedoch auch Massnahmen auf Ebene der Ausführungsbestimmungen.

64

Auch im Bereich der übrigen Sozialversicherungen war der Bund auf in der politischen Planung von Ausführungsbestimmungen nicht sehr aktiv. Eine Beurteilung bedürfte aber einer vertiefteren Analyse der entsprechenden Handlungsspielräume.

8952

4.2.2

Vorbereitung von Gesetzesrevisionen

Die Vorbereitung der Gesetzesrevisionen durch den Bundesrat ist in den untersuchten Sozialversicherungen mehrheitlich positiv zu beurteilen: ­

Der Bundesrat nahm bei den Gesetzesrevisionen seine Führungsverantwortung mehrheitlich wahr. In der Regel definierte er aufgrund von Grundsatzentscheiden die Ausrichtung, den Inhalt und die Etappierung der auszuarbeitenden Gesetzesgrundlagen.

­

Der Bundesrat berücksichtigte in seinen Vorlagen in der Regel parlamentarische Vorstösse. Über Konsultationen und Vernehmlassungen bezog er die jeweils wichtigen politischen Akteure grösstenteils angemessen mit ein. Er berücksichtigte die Einwände und Vorschläge dieser Akteure teilweise (vgl.

Kap. 4.1.4).

­

Die Revisionsvorlagen sind grundsätzlich auf die Herausforderungen und die strategischen Ziele des Bundesrates sowie auf seine Strategie und seine Planung bezüglich Weiterentwicklung der Gesetzgebung abgestimmt. Beispiele sind die konsequente Ausrichtung der IV-Revisionen auf das Sanierungsziel, die Erarbeitung der KVG-Revisionen entsprechend den in der «Gesamtstrategie» definierten Gesetzespaketen und die Orientierung der Gesetzesrevisionen in der BV an den strategischen Zielen.

­

Die Vorlagen waren grösstenteils gut ausgearbeitet, bauten auf früheren Vorlagen auf und waren zeitlich sowie inhaltlich aufeinander abgestimmt.

Beispielsweise orientierte sich der Bundesrat bei den KVG-Revisionen an Massnahmen, die im Zusammenhang mit der 2. und der geplanten 3. KVGRevision erarbeitet wurden. In der Neufassung der 11. AHV-Revision übernahm der Bundesrat einige Elemente der zuvor gescheiterten Revisionsvorlage.

­

Die Gesetzesvorlagen waren soweit notwendig auf andere Sozialversicherungen und andere Reformvorhaben abgestimmt. Beispiele sind die in der Neufassung der 11. AHV-Revision vorgeschlagene Anpassungen der Ergänzungsleistungen auf die Vorruhestandsleistungen sowie die Abstimmung zwischen der AHV-Revision und der BVG-Revision und den Massnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktbeteiligung von älteren Arbeitskräften. Die vorliegenden Ergebnisse zu den nicht im Rahmen von Fallstudien untersuchten Sozialversicherungen sprechen dafür, dass zumindest die offensichtlich notwendige Koordination erfolgt ist.

­

Die Vorlagen waren mehrheitlich inhaltlich und zeitlich gut etappiert.

­

Die Botschaften analysieren die Auswirkungen der Massnahmen auf die finanzielle Entwicklung der Versicherungen (AHV, IV, BV) bzw. auf die Gesundheitskosten (KV) und auf die Betroffenen in der Regel. Auch bei den übrigen Sozialversicherungen werden die finanziellen Folgen von Revisionen in der Regel im Rahmen der Botschaften thematisiert, allerdings in unterschiedlicher Genauigkeit.

8953

Zu erwähnen ist jedoch, dass verschiedene Vorlagen des Bundesrates im Parlament scheiterten65 oder vom Volk abgelehnt wurden66. Zudem wurden mehrere Vorlagen vom Parlament stark beeinflusst67 oder sind seit längerer Zeit hängig68 (vgl. auch Kap. 4.1.2). Positiv zu erwähnen ist, dass der Bundesrat (bzw. der Departementsvorsteher) nach dem Scheitern von Gesetzesvorlagen und bei parlamentarischen Aufträgen69 jeweils rasch reagierte.

Die Fallstudien und zum Teil auch die Grobanalyse der übrigen Sozialversiche-rungen weisen auf folgende Schwächen in der Vorbereitung von Gesetzesrevisionen durch den Bundesrat hin:

65 66 67

68 69 70 71

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Ausschöpfen des Handlungsspielraums: Im Rahmen der 5. IV-Revision war die Rechtsprechung des Bundesgericht ein wichtiger Impulsgeber für die erfolgte Verschärfung des Invaliditätsbegriffs. Diesbezüglich kann bemängelt werden, der Bundesrat und die Verwaltung hätten sich in einem finanziell relevanten und für viele Versicherte existenziellen Spielraum zu lange nicht festgelegt und die Verantwortung den Gerichten überlassen.

­

Einbezug weiterer Akteure: Vereinzelt wird kritisiert, dass die weiteren Akteure ihre Interessen in den Vorbereitungsarbeiten zu Revisionsvorlagen nicht ausreichend hätten einbringen können (z.B. Kantone im Rahmen der 6. IV-Revision).70 Zudem werden die Vernehmlassungsfristen teilweise als zu knapp erachtet (z.B. bei den dringlichen Massnahmen und dem Aufsichtsgesetz in der KV).

­

Qualität der Entscheidungsgrundlagen: Es bestehen Hinweise, dass die im Rahmen von Botschaften und Berichten enthaltenen Informationen zu den Auswirkungen der Massnahmen in einzelnen Fällen nicht ausreichend gewesen sind (v.a. bei Vorlagen zur Revision des KVG).

­

Ausgestaltung der Massnahmen: In einzelnen Fällen hielt der Bundesrat in seinen Botschaften an stark umstrittenen Massnahmen fest. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob die entsprechende Vorlage hätte konsensorientierter ausgestaltet werden sollen (z.B. dringliche Massnahmen zur Kosteneindämmung in der KV).

­

Wirkungsorientierung: Die (messbaren) Ziele der Gesetzesrevisionen waren vor allem finanziell (bzw. kostenbezogen) und teilweise leistungsbezogen71 ausgerichtet. Eine auf den bei den Politikbegünstigten anvisierten Zustand bezogene Wirkungszielsetzung blieb in den untersuchten SozialversicherunZ.B. Neufassung der 11. AHV-Revision, Vorlage zu dringlichen Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung in der KV.

Z.B. Vorlage zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes in der BV.

Z.B. Vorlagen zur Prämienverbilligung, zur Spitalfinanzierung und zu den dringlichen Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung in der KV; Vorlage zur Zusatzfinanzierung der IV.

Z.B. Vorlagen zur Vertragsfreiheit, zur Kostenbeteiligung und zu Managed Care in der KV.

Z.B. Verpflichtung im Rahmen des IV-Sanierungsgesetzes, eine 6. IV-Revision auszuarbeiten.

Der Informationsaustausch in der IV mit den verschiedenen Parteien ist jedoch unter dem neuen Departementsvorsteher des EDI ausgedehnt worden.

Beispielsweise die Reduktion der Neurenten in der IV um 20 Prozent: Dieses leistungsbezogene Ziel war jedoch auch auf das (finanzielle) Hauptziel in der IV ausgerichtet (Sanierung der IV).

8954

gen weitgehend aus (AHV, IV, BV, KV aber soweit ersichtlich auch übrige Sozialversicherungen). Beispielsweise wurden im Rahmen der 5. IV-Revision keine quantitativen Eingliederungsziele formuliert, sondern erst im Rahmen der 6. IV-Revision für einen Teilbereich (eingliederungsorientierte Rentenrevisionen).

4.2.3

Erlass von Ausführungsbestimmungen

Der Bundesrat hat seinen strategischen Handlungsspielraum auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen grundsätzlich erkannt. Er hat seinen Handlungsspielraum jedoch zu wenig aktiv, vergleichsweise spät und noch zu wenig umfassend ausgeschöpft: ­

Der Bundesrat setzte in den untersuchten Sozialversicherungen vor allem auf Gesetzesrevisionen und verhielt sich bezüglich strategisch relevanter Ausführungen grösstenteils passiv. Hinweise darauf sind fehlende Strategien und Planungen in diesem Bereich (vgl. Kap. 4.2.1) und der grosse Einfluss des Parlaments sowie von Untersuchungen Dritter auf den Erlass von Ausführungsbestimmungen (vgl. Kap. 4.1.4).

­

In der KV begann der Bundesrat seinen Handlungsspielraum auf Verordnungsebene erst auszuschöpfen, als sich die parlamentarischen Beratungen der Revisionsvorlagen in die Länge zogen und durch parlamentarische Vorstösse, Empfehlungen der GPK sowie Untersuchungen Dritter (Eidgenössische Finanzkontrolle, Preisüberwacher) ein entsprechender politischer Druck bestand. Während der Bundesrat seinen Handlungsspielraum im Bereich Tarife und Preise für Arzneimittel, Mittel und Gegenstände und Laboranalysen über die letzten Jahre weitgehend ausgeschöpft hat, steht er bei der Überprüfung des Leistungskatalogs und der Entwicklung von Instrumenten zur Überprüfung der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) der Leistungen erst am Anfang. Im Bereich der Qualitätssicherung ist der Bundesrat aufgrund des externen Drucks zunehmend aktiv geworden. Es besteht jedoch ebenfalls weiterer Handlungsbedarf (v.a. Verbesserung der WZW-Kriterien und deren Anwendung). Die Fallstudie zeigt, dass der Bundesrat in allen Bereichen (inkl. Kontrollfunktion in der Aufsicht) hätte früher aktiv werden können.

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In den übrigen vertieft untersuchten Sozialversicherungen (BV, IV, AHV) ist der strategische Handlungsspielraum des Bundesrates auf Ebene der Ausführungsbestimmungen deutlich geringer. In der BV hat der Bundesrat insbesondere den Mindestzinssatz viermal angepasst, Verbesserungen für atypische Arbeitnehmende eingeführt und die Verordnungen zur Umsetzung der Strukturreform verabschiedet. In der IV hat der Bundesrat die mit der 4. und 5. IV-Revision eingeführten Instrumente und Vorgaben rasch und grundsätzlich in Ausrichtung auf das Sanierungsziel umgesetzt. Bezüglich der Hilfsmittelpreise und der Diskussion um die Unabhängigkeit der Medizinischen Abklärungsstellen hat er sich hingegen passiv verhalten und erst auf grossen Druck von Dritten reagiert. Damit bestehen Zweifel, ob der Bundesrat seine entsprechenden Handlungsmöglichkeiten ausreichend ausgeschöpft hat. Erstaunlich ist ferner, dass das zentrale Ziel der 5. IV-Revision (Reduktion der Neurenten um zwanzig Prozent) bereits vor dem 8955

Inkrafttreten dieser Revision weit übertroffen war. Dies dürfte nicht primär auf die 4. IV-Revision zurückzuführen sein, sondern auch auf eine strengere Praxis der IV-Stellen vor dem Hintergrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der politischen Debatte über die IV. Dies deutet auf bedeutende Ermessensspielräume in der IV auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen hin.

4.2.4

Information

Die Information der Bundesbehörden zur strategischen Planung ist überwiegend positiv zu beurteilen. Hervorzuheben sind die systematische Kommunikation wichtiger Entscheide über Medienmitteilungen, die umfassende Information zu Gesetzesvorlagen in Botschaften und Fachartikeln sowie die direkten Kontakte des EDI mit interessierten Kreisen (Kantone, politische Parteien, Expertenkommissionen, Interessenvertreter etc.). Die Informationen im Zusammenhang mit Gesetzesrevisionen (v.a. Botschaften und Berichte) werden grösstenteils als umfassend und informativ beurteilt. Vereinzelt werden die Botschaften jedoch als zu knapp empfunden (z.B.

Vorlage zu dringlichen Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung). Die Bemühungen und Absichten des Departementsvorstehers des EDI, die Information und den Austausch mit wichtigen politischen Akteuren (insbesondere Kantone) zu verstärken, sind zu begrüssen.

Verbesserungsbedarf besteht vor allem bei der Kommunikation der längerfristigen Strategie des Bundesrates zur Bewältigung der Herausforderungen in den untersuchten Sozialversicherungen. Die längerfristigen Strategien sind nicht vollständig geklärt und nicht ausreichend dokumentiert (vgl. Kap. 4.2.1). Es fehlen entsprechende Strategiepapiere und deren aktive Kommunikation durch den Bundesrat.

5

Gesamtbeurteilung

Die strategische Steuerung der AHV, der IV, der BV und der KV durch den Bundesrat ist insgesamt grundsätzlich positiv zu beurteilen. Der Bundesrat verfügt über ein breites und geeignetes Instrumentarium zur Analyse der Herausforderungen und der Auswirkungen der Massnahmen, hat die sich in den untersuchten Sozialversicherungen stellenden Herausforderungen grösstenteils rechtzeitig und angemessen erkannt, mehrheitlich aktiv kohärente Gesetzesrevisionen vorbereitet und seine Entscheide transparent kommuniziert. Damit hat er seine Führungsverantwortung in wichtigen Steuerungsaufgaben überwiegend wahrgenommen und seinen Handlungsspielraum in der Weiterentwicklung der Gesetzgebung grösstenteils angemessen ausgeschöpft.

Die strategische Steuerung der untersuchten Sozialversicherungen durch den Bundesrat weist jedoch auch bedeutende Schwächen auf: Erstens besteht bei den Datengrundlagen, der Forschung, prospektiv ausgerichteten Wirkungsanalysen und dem Erkennen von dynamischen Entwicklungen Verbesserungsbedarf. Zweitens waren die grundlegenden Strategien des Bundesrates zur Bewältigung der längerfristigen Herausforderungen in den untersuchten Sozialversicherungen bis 2011 nicht ausreichend geklärt und dokumentiert. Drittens fehlte eine ziel- und wirkungsorientierte Planung, die neben den anvisierten Gesetzesrevisionen auch die geplanten Ausführungsbestimmungen umfassen. Viertens hat sich der Bundesrat teilweise auf strate8956

gischer Ebene, bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung und beim Erlass von Ausführungsbestimmungen reaktiv und zu wenig vorausschauend verhalten.

Angesichts der grossen finanziellen und politischen Bedeutung für den Bund drängt sich eine aktive Rolle des Bundesratskollegiums in der strategischen Steuerung der Sozialversicherungen auf. Soweit aus den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zugänglichen Informationen ersichtlich, trieb der Bundesrat als Kollegialbehörde die Weiterentwicklung der untersuchten Sozialversicherungen nicht aktiv voran, sondern diskutierte jeweils auf Antrag des Vorstehers des EDI Grundsatzfragen und fällte entsprechende Entscheide. Das Bundesratskollegium beschäftigte sich soweit ersichtlich nicht kontinuierlich und systematisch mit der Weiterentwicklung der Sozialversicherungen.

Stärken Die strategische Steuerung der AHV, der IV, der BV und der KV durch den Bundesrat weist folgende Stärken auf: ­

Die strategische Analyse der untersuchten Sozialversicherungen ist mehrheitlich positiv zu würdigen. Erstens verfügen die Bundesbehörden über ein breites, grundsätzlich geeignetes und kohärentes Instrumentarium zur Analyse der Herausforderungen und der Auswirkungen der Massnahmen. Die Instrumente sind in den letzten Jahren ausgebaut und verfeinert worden.

Zweitens beziehen die zuständigen Bundesämter die politischen Akteure vermehrt in die Analyse mit ein. Drittens haben die Bundesbehörden die sich stellenden strategischen Herausforderungen mehrheitlich rechtzeitig und angemessen erkannt. Die vom Bundesrat gesetzten Prioritäten und strategischen Ziele stimmen in hohem Masse mit den Herausforderungen gemäss strategischer Analyse überein.

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Die Planung und die Vorbereitung der Gesetzesrevisionen in den untersuchten Sozialversicherungen sind grösstenteils positiv zu beurteilen. Erstens hat der Bundesrat die Gesetzesrevisionen nach der Ablehnung von vorangehenden Vorlagen oder aufgrund von sich verändernden wirtschaftlichen Faktoren sehr rasch geplant und kommuniziert. Positiv zu erwähnen sind insbesondere die umfassenderen Planungen von Revisionen nach Grundsatzentscheiden des Bundesrates. Zudem definierte er in der Regel die Ausrichtung, den Inhalt und die Etappierung der auszuarbeitenden Vorlagen. Damit hat er seine Führungsverantwortung in der Weiterentwicklung der Gesetzgebung grundsätzlich wahrgenommen. Zweitens bezog der Bundesrat wichtige politische Akteure grösstenteils angemessen in die Vorbereitungsarbeiten mit ein. Drittens waren die Gesetzesvorlagen in der Regel auf die strategischen Ziele und die Planung des Bundesrates abgestimmt, in sich sowie untereinander kohärent und grundsätzlich auf andere Sozialversicherungen und Politikbereiche (z.B. Arbeitsmarktpolitik) abgestimmt. Viertens wiesen die Vorlagen die finanziellen (AHV, IV, BV) bzw. kostenseitigen (KV) Folgen aus.

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Insgesamt ist die Information der Bundesbehörden zur strategischen Steuerung ebenfalls positiv zu werten. Hervorzuheben sind insbesondere die Kommunikation wichtiger Entscheide und Ergebnisse über Medienmitteilungen und Fachartikel in der BSV-Publikation Soziale Sicherheit, die systematische Veröffentlichung umfassender Grundlagen der strategischen 8957

Analyse und zu Gesetzesvorlagen (v.a. Statistiken, Monitorings, Analysen, Berichte und Botschaften) und der direkte Kontakt mit wichtigen politischen Akteuren im Rahmen von parlamentarischen Beratungen, Anhörungen und Dialogen.

Aufgrund der summarischen Grobanalyse der übrigen Sozialversicherungen ergeben sich keine gewichtigen Hinweise, welche die dargestellten Stärken in Frage stellen würden. Im Gegenteil bestätigt die Grobanalyse im Hinblick auf die Planung und notwendige inhaltliche Abstimmung von Gesetzesvorlagen die positive Beurteilung der Fallstudien.

Schwächen Die Schwächen der strategischen Steuerung der untersuchten Sozialversicherungen durch den Bundesrat betreffen vor allem den Verbesserungsbedarf in der strategischen Analyse, die Strategien des Bundesrates und die politische Planung sowie die Ausschöpfung des Handlungsspielraums auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen:

72

­

Bei den Instrumenten der strategischen Analyse besteht ein Verbesserungsbedarf bei den (statistischen) Datengrundlagen (v.a. BV), der Forschung (v.a. AHV und BV) sowie prospektiv ausgerichteten Wirkungsanalysen von konkret geplanten und längerfristig in Betracht gezogenen Massnahmen.

Zudem könnten sich die Bundesbehörden besser auf das Erkennen von dynamischen Entwicklungen (z.B. betreffend Finanzmarkt) und deren Folgen für die Sozialversicherungen vorbereiten. Schliesslich könnte der Bundesrat wichtige politische Akteure noch stärker und systematischer in die Erarbeitung der strategischen Analyse miteinbeziehen (v.a. KV), was er gemäss seiner jüngeren Ankündigungen bereits anstrebt.

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In der strategischen Planung bestehen Schwächen auf Ebene der Strategien und der politischen Planung sowie im Hinblick auf die Nutzung des Handlungsspielraums für Ausführungsbestimmungen: ­ Bei den Strategien des Bundesrates zur Bewältigung der Herausforderungen bestehen verschiedene Schwächen: Erstens verfügte der Bundesrat bis 2011 nicht über explizite, aktualisierte und öffentlich zugängliche Strategiepapiere.72 Zweitens sind die Strategien zur längerfristigen Weiterentwicklung der Gesetzgebung teilweise nicht geklärt. Drittens enthielten die strategisch relevanten Dokumente des Bundesrates (z.B.

Legislaturplanung, Richtungsentscheide, Botschaften) kaum Aussagen zu den auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen verfolgten Stossrichtungen. Bei den untersuchten Sozialversicherungen ist die Position des Bundesrates grösstenteils nur in Bezug auf die kurz- und mittelfristigen Gesetzesrevisionen klar und transparent. Viertens hat der Bundesrat teilweise reaktiv und wenig vorausschauend gesteuert. Insbesondere waren keine Szenarien und entsprechende Strategien zur Bewältigung der Folgen einer negativen Entwicklung der Finanzmärkte vorbereitet.

Die «Strategie des Bundesrates in der Gesundheitspolitik» ist vom EDI im Juni 2011 veröffentlicht worden.

8958

­

­

Die politische Planung des Bundesrates ist ebenfalls verbesserungsbedürftig. Insbesondere fehlt eine übergreifende Planung, die neben den Gesetzesrevisionen auch den strategisch relevanten Spielraum bei den Ausführungsbestimmungen umfasst. Die Legislaturplanungen erfüllen die Anforderungen an eine ziel- und wirkungsorientierte Planung nicht: Die Ziele sind in den Legislaturplanungen zu allgemein formuliert.

Zudem enthält die Legislaturplanung kaum Angaben zu den prioritär umzusetzenden Massnahmen und den geplanten Ausführungsbestimmungen. Positiv zu vermerken ist jedoch, dass das im Juni 2011 publizierte Strategiepapier zur Gesundheitspolitik auch Massnahmen auf Ebene der Ausführungsbestimmungen umfasst.

Der Bundesrat hat seinen Handlungsspielraum bis 2011 bei den strategisch relevanten Ausführungsbestimmungen zu wenig aktiv, vergleichsweise spät und noch zu wenig umfassend ausgeschöpft. Er hat die Ausschöpfung der entsprechenden Möglichkeiten nicht vorausschauend und systematisch geplant, sondern jeweils grösstenteils auf politischen Druck reagiert. Zumindest in der KV sind die Möglichkeiten des Bundesrates auf der Ebene der Ausführungsbestimmungen von grosser strategischer Bedeutung.

Zudem bestehen folgende weitere Schwächen in der strategischen Steuerung der untersuchten Sozialversicherungen: ­

Die strategischen Ziele des Bundesrates sind grundsätzlich positiv zu werten. Sie sind jedoch grösstenteils allgemein formuliert.

­

Bei den Arbeiten zur Vorbereitung von Gesetzesrevisionen weisen die Fallstudien bei einzelnen Vorlagen punktuell auf Schwächen hin, beispielweise betreffend den ungenügenden Einbezug einzelner Akteuren, knappe Vernehmlassungsfristen73 und die Qualität der Entscheidungsgrundlagen.

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Bei der Information durch die Bundesbehörden bestehen ebenfalls gewisse Schwächen: Erstens könnte eine Gesamtsicht der Ergebnisse der strategischen Analyse erarbeitet, periodisch aktualisiert und veröffentlicht werden, zum Beispiel im Rahmen einer entsprechend ergänzten Berichterstattung gemäss Artikel 76 ATSG. Zweitens könnte der Bundesrat seine Strategie zur Bewältigung der Herausforderungen in den untersuchten Sozialversicherungen dokumentieren, bei Bedarf aktualisieren und veröffentlichen. Drittens könnte der Bundesrat die Auswirkungen von geplanten Massnahmen in den Botschaften noch umfassender darstellen.

Aufgrund der summarischen Grobanalyse der übrigen Sozialversicherungen ergeben sich keine Hinweise, welche die dargestellten Schwächen in Frage stellen oder bedeutende andere Schwächen identifizieren. Vielmehr weisen die Ergebnisse in einzelnen Punkten in die gleiche Richtung. Dies betrifft insbesondere das Fehlen von prospektiv ausgerichteten Wirkungsanalysen von geplanten Massnahmen, die zum Teil eher reaktive Handlungsweise sowie die fehlende bzw. nicht erkennbare politische Planung von Ausführungsbestimmungen.

73

Das EDI hält der Kritik an kurzen Vernehmlassungsfristen entgegen, dass Gesetzesvorlagen heute viel rascher erstellt würden. Dies bedinge einen viel engeren Zeitrahmen für die Verwaltung und fordere die Vernehmlassungsteilnehmenden stärker.

8959

Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner Bättig Benno Camenzind Rolf du Bois-Reymond Alard Gärtner Ludwig Hilber Kathrin Kuster Marc Frey Claude Gredig Werner Indra Peter Kaiser-Ferrari Martin Kaufmann Stefan Konrad Hanspeter Kuprecht Alex Lüthi Ruth Nova Colette Maillard Pierre-Yves Meyer-Kaelin Therese Pfammatter Jürg Ritler Stefan Rohrbasser Benoît Rossier Yves Schmid Walter Schneider Sandra Streit Anton Strupler Pascal Zeltner Thomas

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Generalsekretär EDI, 20.4.2011 Leiter Kommunikation des BSV, 27.4.2011 ehem. Leiter Geschäftsfeld IV des BSV, 13.4.2011 Leiter Geschäftsfeld Familie, Generationen und Gesellschaft des BSV, 27.4.2011 Präsidentin SODK, 8.4.2011 Finanzen und Controlling des BSV, 27.4.2011 Präsident Eidg. BVG-Kommission, 21.4.2011 Leiter Geschäftsfeld Mathematik, Analysen, Statistik, 27.4.2011 Ehem. Leiter Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung (KUV) des BAG, 29.4.2011 Leiter Geschäftsfeld Alters- und Hinterlassenenvorsorge des BSV, 27.4.2011 Direktor Santésuisse, 13.4.2011 Direktor Schweizerischer Pensionskassenverband ASIP, 4.4.2011 Ständerat, Präsident SGK-S, 3.5.2011 Präsidentin Eidg. AHV/IV-Kommission, 20.4.2011 Leiterin Geschäftsfeld Internationale Angelegenheiten des BSV, 27.4.2011 Präsident GDK, 19.4.2011 Nationalrätin, Präsidentin SGK-N, 13.4.2011 Fachreferent Gesundheit und Soziales, Generalsekretariat EDI, 20.4.2011 Leiter Geschäftsfeld IV des BSV, 27.4.2011 und 15.6.2011 Leiter Geschäftsfeld Planung, Prozesse und Ressourcen des BSV, 27.4.2011 Direktor BSV, 27.4.2011 Präsident SKOS, 28.4.2011 Stellvertreterin Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung (KUV), Leiterin Abteilung Leistungen des BAG, 8.4.2011 Amtsexperte Alters- und Hinterlassenenvorsorge des BSV (ehem. Leiter Geschäftsfeld Alters- und Hinterlassenenvorsorge des BSV), 13.4.2011 und 27.4.2011 Direktor BAG, ehem. Generalsekretär EDI, 8.4.2011 ehem. Direktor BAG, 19.4.2011

Materialien- und Dokumentenverzeichnis Die Literatur, die verwendeten Dokumente und die Online-Datenquellen sind in den Materialien aufgeführt (Steuerung der Sozialversicherungen durch den Bundesrat.

Materialien zum Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 28. Oktober 2011). Die Materialien finden sich unter: www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Parlamentarische Verwaltungskontrolle > Veröffentlichungen.

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Impressum Durchführung der Untersuchung Christoph Bättig, PVK (Projektleitung ab 15.3.2011) Katja Dannecker, PVK (Projektleitung bis 15.3.2011) Stephan Hammer, INFRAS (externe Projektleitung) Christian Rüefli, Büro Vatter (stv. externe Projektleitung) Dr. Christian Bolliger, Büro Vatter Judith Trageser, INFRAS Andreas Tobler, PVK

Kontakt Parlamentarische Verwaltungskontrolle Parlamentsdienste CH-3003 Bern Tel. +41 31 323 09 70 Fax +41 31 323 09 71 E-Mail: pvk.cpa@parl.admin.ch www.parlament.ch > Organe und Mitglieder > Kommissionen > Parlamentarische Verwaltungskontrolle

Originalsprache des Berichts: Deutsch 8962