Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Malama 10.3045 vom 3. März 2010 Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen vom 2. März 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren In Erfüllung des Postulats Malama vom 3. März 2010 (10.3045 «Innere Sicherheit.

Klärung der Kompetenzen») unterbreiten wir Ihnen den vorliegenden Bericht zur Kenntnisnahme.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. März 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-0243

4459

Übersicht Seit Jahren geniessen Fragen der inneren Sicherheit erhöhte Aufmerksamkeit; im Fokus des Interesses steht dabei meist die komplexe, nicht ohne weiteres nachvollziehbare Ausgestaltung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit. Zunehmend ist in diesem Zusammenhang die einschlägige Gesetzgebungspraxis des Bundes Gegenstand der politischen Diskussion, aber auch der Kritik in der Lehre geworden. Auch die diversen sicherheitsrelevanten Unterstützungsleistungen des Bundes zugunsten der Kantone haben zu Kontroversen geführt und waren Anstoss für zahlreiche parlamentarische Vorstösse.

Der Bundesrat legt diesen Bericht in Erfüllung des Postulats Malama vom 3. März 2010 (10.3045 «Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen») vor. Das Postulat hat folgenden Wortlaut: «Der Bundesrat wird aufgefordert, zu prüfen und bis Ende 2010 zu berichten, 1.

welche Rechtsetzungs- und welche Rechtsanwendungskompetenzen die geltende Bundesverfassung dem Bund im Bereich der inneren Sicherheit einräumt;

2.

inwiefern der Bund die Kantone dauerhaft oder vorübergehend bei deren Aufgaben zur Wahrung der inneren Sicherheit unterstützt;

3.

ob die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit den heutigen Umständen und Herausforderungen genügt;

4.

wie eine allfällige umfassende Revision der Bundesverfassung im Bereich der inneren Sicherheit auszusehen hätte.»

An der Auftragsstruktur des Postulats orientiert sich denn auch der Aufbau des vorliegenden Berichts: Der erste Teil enthält eine rechtliche Analyse des IstZustandes sowie eine Bestandesaufnahme der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen in der Praxis. In einem weiteren Schritt werden die Schwachstellen des heutigen Systems aufgezeigt und anhand dieser Problemanalyse Vorschläge für mögliche Lösungsansätze präsentiert. Ziel des Berichts ist es, eine Gesamtübersicht zu erstellen und dabei den Hauptakzent auf die verfassungsrechtliche Fragestellung zu legen. Das federführende Bundesamt für Justiz hat für die Erarbeitung des Berichts eine Begleitgruppe eingesetzt, in der alle betroffenen Ämter wie auch Vertreterinnen und Vertreter der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren sowie der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz Einsitz hatten.

Die im Bericht vorgenommene Auslegeordnung hat im Bereich der inneren Sicherheit eine Reihe von Mängeln zutage gefördert. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse erscheint die Kompetenzausscheidung zwischen den Sicherheitsakteuren in verschiedener Hinsicht als verbesserungsbedürftig. Konkret wurden folgende Sachbereiche einer eingehenden Prüfung unterzogen:

4460

­

Sicherheitsaufgaben der Armee

­

Sicherheitsaufgaben im Grenz- und Zollbereich

­

Sicherheits-, kriminalpolizeiliche und gerichtspolizeiliche Aufgaben

­

völkerrechtliche Schutzpflichten

­

Luftfahrt

­

Staatsschutz

­

Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Private

­

Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen.

Die festgestellten Unzulänglichkeiten und Mängel, die einer rechtlichen Bereinigung bedürfen, machen eine Anpassung oder Präzisierung der gesetzlichen Vorschriften notwendig; zum Teil sind aber auch Anpassungen auf verfassungsrechtlicher Ebene erforderlich.

Der Bundesrat ist sich der ausserordentlichen Bedeutung einer reibungslosen und effizienten Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit bewusst. Er ist daher bereit, die notwendigen Klärungen und Verbesserungen an die Hand zu nehmen. Wo er Handlungsbedarf auf Gesetzesstufe festgestellt hat, die Auswirkungen auf laufende Gesetzgebungsverfahren haben, ist er dafür besorgt, dass die Empfehlungen des vorliegenden Berichts direkt in die laufenden Projekte einfliessen. In den übrigen sanierungsbedürftigen Punkten wird mit konkreten Aufträgen zugewartet, bis der Bericht im Parlament diskutiert worden ist und allfällige Aufträge an den Bundesrat erteilt worden sind.

4461

Inhaltsverzeichnis Übersicht

4460

Abkürzungsverzeichnis

4468

1 Auftrag und Organisation der Arbeiten 1.1 Einleitung 1.1.1 Ausgangslage 1.1.2 Zeithorizont 1.1.3 Vorgehen 1.2 Auftrag 1.2.1 Inhalt 1.2.2 Schnittstellen zu anderen Berichten und Projekten 1.2.2.1 Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz 1.2.2.2 Bericht «Polizeiliche Lücke» der KKJPD 1.2.2.3 Delegation von Sicherheitsaufgaben an private Sicherheitsunternehmen 1.2.2.4 Rolle der Militärischen Sicherheit 1.2.2.5 Aufgabenabgrenzung zwischen Polizeibehörden und Zollverwaltung 1.2.2.6 Sicherheitsverbund Schweiz 1.2.2.7 Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen 1.2.2.8 Nationale Strategie für Cyber-Defense 1.2.2.9 Integrierte Grenzverwaltung

4470 4470 4470 4471 4471 4472 4472 4472

2 Innere Sicherheit ­ Darstellung und Analyse des Ist-Zustandes 2.1 Begriffe 2.1.1 Innere Sicherheit 2.1.2 Äussere Sicherheit 2.1.3 Umfassender Sicherheitsbegriff 2.1.4 Sicherheitsbegriff im vorliegenden Kontext 2.2 Verfassungsrechtliche Kompetenzordnung 2.2.1 Einleitung 2.2.2 Gesetzgebungs-, Rechtsanwendungs- und Vollzugskompetenzen der Kantone 2.2.2.1 Polizeihoheit der Kantone 2.2.2.2 Aufgabenautonomie der Kantone 2.2.2.3 Interkantonale Rechtsetzung 2.2.2.4 Vollzug von Bundesrecht durch die Kantone 2.2.2.5 Vertragliche Übertragung von kantonalen Aufgaben auf den Bund 2.2.3 Gesetzgebungs- und Rechtsanwendungskompetenzen des Bundes 2.2.3.1 Genereller Auftrag nach Artikel 57 Absatz 1 BV 2.2.3.2 Tragweite von Artikel 57 Absatz 2 BV 2.2.3.3 Explizite Kompetenzgrundlagen des Bundes

4476 4476 4476 4477 4477 4478 4478 4478

4462

4472 4473 4473 4474 4474 4474 4475 4475 4475

4479 4479 4480 4480 4483 4483 4485 4485 4486 4487

2.2.3.4 Implizite Kompetenzgrundlagen des Bundes 2.2.3.5 Zuständigkeit des Bundes zum Schutz der verfassungsmässigen Ordnung der Kantone nach Artikel 52 BV (eidgenössische Intervention) 2.2.3.6 Zuständigkeit des Bundes bei engen Bezügen zu den auswärtigen Angelegenheiten nach Artikel 54 BV 2.2.3.7 Aus der Organzuständigkeit abgeleitete Kompetenzen des Bundes 2.2.3.7.1 Massnahmen, die vom Bundesrat getroffen werden können 2.2.3.7.2 Massnahmen, die von der Bundesversammlung getroffen werden können 2.2.4 Kompetenzverteilung beim Abschluss und bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge 2.2.4.1 Kompetenzverteilung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge 2.2.4.1.1 Kompetenzen des Bundes 2.2.4.1.2 Kompetenzen der Kantone 2.2.4.2 Mitwirkungsrechte der Kantone 2.2.4.3 Kompetenzverteilung bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge 2.2.5 Innere Sicherheit unter dem Blickwinkel der NFA 2.2.6 Gesetzgebungspraxis des Bundes im Bereich der inneren Sicherheit ­ aktuelle Beispiele 2.2.6.1 Zollgesetz 2.2.6.2 Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit 2.2.6.3 Verordnung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund 2.2.6.4 Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme 2.2.6.5 Zwangsanwendungsgesetz 2.2.6.6 Bundesgesetz über die Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes 2.2.6.7 Schengen-Informationsaustausch-Gesetz 2.2.6.8 Videoüberwachungsverordnung ÖV 2.2.6.9 Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr 2.2.6.10 Vorentwurf Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit 2.2.6.11 Vorentwurf Polizeiaufgabengesetz 2.2.6.12 Vorentwurf Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz 2.2.6.13 Vorentwurf Bundesgesetz über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen 2.3 Aufgabenteilung und Aufgabenwahrnehmung im Sicherheitsbereich 2.3.1 Einleitung 2.3.2 Einzelne Aufgabenfelder

4487 4488 4488 4489 4489 4490 4491 4491 4491 4491 4492 4492 4492 4493 4493 4494 4494 4495 4495 4496 4496 4496 4497 4497 4498 4498 4498 4499 4499 4499 4463

2.3.2.1 Staatsschutz 2.3.2.1.1 Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen 2.3.2.1.2 Kantonale Staatsschutzorgane 2.3.2.1.3 Aufsicht über die Staatsschutzorgane 2.3.2.1.4 Zusammenfassung 2.3.2.2 Sicherheits-, kriminal- und verwaltungspolizeiliche Aufgaben 2.3.2.2.1 Sicherheitspolizeiliche Aufgaben 2.3.2.2.1.1 Schutz von Personen und Gebäuden 2.3.2.2.1.2 Völkerrechtliche Schutzpflichten 2.3.2.2.2 Kriminal- und gerichtspolizeiliche Aufgaben 2.3.2.2.3 Verwaltungspolizeiliche Aufgaben 2.3.2.2.4 Polizeiliche Datenbanken des Bundes 2.3.2.2.5 Polizeieinsätze in internationalen Friedensoperationen 2.3.2.3 Sicherheitsleistungen der Armee 2.3.2.3.1 Einleitung 2.3.2.3.2 Aufgaben der Armee 2.3.2.3.3 Unterstützung der zivilen Behörden 2.3.2.3.3.1 Allgemein 2.3.2.3.3.2 Subsidiarität 2.3.2.3.4 Einsatzarten der Armee 2.3.2.3.4.1 Friedensförderungsdienst 2.3.2.3.4.2 Assistenzdienst 2.3.2.3.4.3 Aktivdienst 2.3.2.3.5 Rechtsrahmen für den Einsatz von Truppen im Bereich der inneren Sicherheit 2.3.2.3.6 Weitere Unterstützungsleistungen der Armee 2.3.2.3.6.1 Luftgestützte Überwachungssysteme der Armee 2.3.2.3.6.2 Funkaufklärungs- und Sendeleistungen der Armee 2.3.2.3.6.3 Unterstützungsleistungen der Militärischen Sicherheit 2.3.2.3.6.3.1 Einsatz der Militärischen Sicherheit für andere Bundesstellen ausserhalb des Assistenzdiensts 2.3.2.3.6.3.2 Schutzdetachement Bundesrat (SDBR) 2.3.2.3.6.4 Unterstützung mit Armeematerial 2.3.2.4 Bevölkerungs- und Zivilschutz 2.3.2.4.1 Bevölkerungsschutz 2.3.2.4.2 Zivilschutz 2.3.2.5 Sicherheitsaufgaben im Zoll- und Grenzbereich 2.3.2.5.1 Fiskalische und wirtschaftliche Aufgaben 2.3.2.5.2 Beitrag zur Sicherheit / Strafverfolgung 2.3.2.5.3 Umfang der originären Kompetenzen der EZV

4464

4499 4499 4501 4501 4502 4502 4503 4503 4504 4505 4506 4507 4508 4509 4509 4510 4511 4511 4512 4513 4513 4513 4515 4515 4516 4516 4517 4517 4519 4520 4521 4522 4522 4523 4523 4524 4524 4525

2.3.2.5.4 Zusammenarbeit mit den Kantonen 2.3.2.5.4.1 Allgemeines 2.3.2.5.4.2 Bereiche der Zusammenarbeit und delegierte Aufgaben 2.3.2.6 Sicherheit in öffentlichen Transportunternehmen 2.3.2.7 Sicherheit in der Luftfahrt 2.3.2.7.1 Luftfahrzeuge und Flughäfen 2.3.2.7.2 Luftraum 2.3.2.8 Strafverfolgung und Rechtshilfe 2.3.2.8.1 Kantonale Gerichtsbarkeit 2.3.2.8.1.1 Rechtsquellen im Allgemeinen 2.3.2.8.1.2 Originäre und delegierte kantonale Gerichtsbarkeit 2.3.2.8.1.3 Sachliche und funktionelle Zuständigkeit der kantonalen Strafbehörden 2.3.2.8.2 Bundesgerichtsbarkeit 2.3.2.8.2.1 Abgrenzung von Bundesgerichtsbarkeit im engeren und weiteren Sinn 2.3.2.8.2.2 Bundesgerichtsbarkeit im engeren Sinn 2.3.2.8.3 Zuständigkeit für erste Ermittlungen 2.3.2.8.4 Rechtshilfe in Strafsachen 2.3.2.8.4.1 Nationale Rechtshilfe 2.3.2.8.4.2 Internationale Rechtshilfe 2.3.2.9 Internationale Polizeikooperation 2.3.2.9.1 Grenzüberschreitende Tätigkeit durch die Polizei 2.3.2.9.2 Globale Kooperation 2.3.2.9.3 Bilaterale Kooperation 2.3.2.9.4 Euro-Regionale Kooperation 2.3.3 Jedermannsrechte 2.3.4 Private Sicherheitsunternehmen 2.3.4.1 Staatliches Gewaltmonopol 2.3.4.2 Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private 2.3.4.3 Rechtsgrundlagen und rechtliche Schranken 2.3.4.4 Gesetzgebungstätigkeit von Bund und Kantonen 2.3.4.4.1 Regelungen im Bund 2.3.4.4.2 Regelungen in den Kantonen 2.3.4.4.3 In ausländischen Krisen- und Konfliktgebieten tätige private Sicherheitsunternehmen 2.3.4.4.4 Entwicklungen auf der internationalen Ebene 3 Brennpunkte im Sicherheitsbereich 3.1 Kritik an der jüngeren Entwicklung in Rechtsetzung und Praxis 3.1.1 Artikel 57 Absatz 2 BV als Auffangnorm im Bereich der polizeilichen Aufgaben des Bundes 3.1.2 Weitere Kritikpunkte

4526 4526 4528 4529 4530 4530 4531 4532 4532 4532 4532 4533 4533 4533 4533 4534 4534 4534 4534 4535 4535 4536 4536 4537 4539 4540 4541 4541 4543 4546 4546 4547 4548 4549 4550 4550 4550 4552

4465

3.2 Brennpunkte in der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen 3.2.1 Sicherheitsleistungen der Armee 3.2.1.1 Aufgaben der Armee 3.2.1.2 Assistenzdienst: Beispiele 3.2.1.2.1 Amba Centro 3.2.1.2.2 Lithos 3.2.1.2.3 Tiger/Fox 3.2.1.2.4 WEF 3.2.1.3 Rolle der Militärischen Sicherheit 3.2.1.4 Fazit 3.2.2 Zollverwaltung 3.2.2.1 Einleitende Bemerkungen 3.2.2.2 Aus dem Bundesrecht abgeleitete Kompetenzen 3.2.2.2.1.1 Aus der Zollgesetzgebung abgeleitete Kompetenzen 3.2.2.2.1.2 Aus anderen Erlassen des Bundes abgeleitete Kompetenzen 3.2.2.3 Beurteilung 3.2.2.3.1 Kompetenzen des Bundes im Bereich des Vollzugs von Bundesrecht 3.2.2.3.2 Auf dem Zollgesetz beruhende Polizeiaufgaben 3.2.2.3.3 Durch die Kantone delegierte Aufgaben 3.2.2.3.3.1 Delegation von Aufgaben, die den Kantonen durch das Bundesrecht übertragen wurden 3.2.2.3.3.2 Delegation von Aufgaben, welche die Kantone nicht mit eigenen Kräften erfüllen können oder für die eine Zusammenarbeit mit der EZV sinnvoll ist 3.2.2.4 Fazit 3.2.3 Sicherheits-, gerichts- und kriminalpolizeiliche Aufgaben des Bundes 3.2.3.1 Sicherheitspolizeiliche Aufgaben 3.2.3.2 Völkerrechtliche Schutzpflichten 3.2.3.3 Gerichtspolizeiliche Aufgaben 3.2.3.4 Kriminalpolizeiliche und unterstützende Aufgaben 3.2.3.4.1 Polizeiliche Datenbanken 3.2.3.4.2 Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) 3.2.3.5 Weiteres Vorgehen betreffend Polizeiaufgabengesetz 3.2.3.6 Fazit 3.2.4 Luftfahrt: Tiger/Fox 3.2.4.1 Ausgangslage 3.2.4.2 Beurteilung 3.2.4.3 Fazit

4466

4553 4554 4554 4554 4555 4556 4556 4556 4558 4558 4559 4559 4560 4560 4561 4563 4563 4564 4565 4565

4566 4567 4567 4567 4568 4569 4570 4573 4574 4575 4576 4577 4577 4579 4581

3.2.5 Staatsschutz 3.2.5.1 Fazit 3.2.6 Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private 3.2.6.1 Delegation öffentlicher Sicherheitsaufgaben 3.2.6.2 Übertragung privater Sicherheitsaufgaben 3.2.6.3 Fazit 3.2.7 Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen 3.2.7.1 Feststellung 3.2.7.2 Stand der Gesetzgebung 3.2.7.3 Private und öffentliche Sicherheitsaufgaben im halböffentlichen Raum 3.2.7.3.1 Sicherheitsaufgaben des Stadionbetreibers 3.2.7.3.2 Sicherheitsaufgaben der Polizei 3.2.7.4 Fazit

4581 4584 4584 4584 4585 4586 4587 4587 4588 4589 4589 4589 4590

4 Ausblick auf eine mögliche Neuordnung der Kompetenzen im Sicherheitsbereich 4.1 Einleitung 4.2 Thesen und Schlussfolgerungen

4591 4591 4591

Anhang

4600

4467

Abkürzungsverzeichnis BGMK

Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes BGST Bundesgesetz vom 18. Juni 2010 über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr BPI Bundesgesetz vom 13. Juni 2008 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes BV Bundesverfassung BWIS Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit BZG Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz vom 4. Oktober 2002 DAP Dienst für Analyse und Prävention EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelgenheiten EU Europäische Union EZV Eidgenössische Zollverwaltung fedpol Bundesamt für Polizei FUB Führungsunterstützungsbasis GSG Bundesgesetz vom 22. Juni 2007 über die von der Schweiz als Gaststaat gewährten Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen sowie finanziellen Beiträge GWK Grenzwachtkorps IBM Integrated Border Management IKAPOL Vereinbarung über die kantonalen Polizeieinsätze IPAS Informatisierte Personennachweis-, Aktennachweis- und Verwaltungssystem im Bundesamt für Polizei IRSG Rechtshilfegesetz vom 20. März 1981 JANUS Informationssystem der Bundeskriminalpolizei KKJPD Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren KKM SVS Konsultations- und Koordinationsmechanismus des Sicherheitsverbundes Schweiz KKPKS Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz KOBIK Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität LFG Luftfahrtgesetz vom 21. Dezember 1948 LFV Luftfahrtverordnung vom 14. November 1973 MG Militärgesetz vom 3. Februar 1995 MIG Bundesgesetz vom 3. Oktober 2008 über die militärischen Informationssysteme Mil Sich Militärische Sicherheit MP Militärpolizei MPAD Militärpolizei Abschirmdetachement MP Spez Det Militärpolizei Spezialdetachement

4468

NDB NFA PolAG RIPOL RK MZF RVOG SDBR SDMP SIaG SIPOL B SIS SKI SND StGB StPO VBS VEKF VEMZ VES VEV VEZG V-NDB VST VüV-ÖV ZAG ZeugSG ZG ZGB ZNDG

Nachrichtendienst des Bundes Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen Vorentwurf Bundesgesetz über die polizeilichen Aufgaben des Bundes (Polizeiaufgabengesetz) Automatisierte Polizeifahndungssystem Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz, Feuerwehr Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 Schutzdetachement Bundesrat Sicherheitsdienst Militärpolizei Schengen-Informationsaustausch-Gesetz vom 12. Juni 2009 Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz Schengener Informationssystem Schutz kritischer Infrastrukturen Strategischer Nachrichtendienst Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Verordnung vom 15. Oktober 2003 über die elektronische Kriegführung Verordnung vom 8. Dezember 1997 über den Einsatz militärischer Mittel für zivile und ausserdienstliche Tätigkeiten Verordnung vom 31. Oktober 2007 über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund Verordnung vom 22. Oktober 2008 über die Einreise und die Visumerteilung Verordnung vom 6. Juni 2008 über Einsätze des Zivilschutzes zugunsten der Gemeinschaft Verordnung vom 4. Dezember 2009 über den Nachrichtendienst des Bundes Verordnung vom 17. August 2011 über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr Videoüberwachungsverordnung ÖV vom 4. November 2009 Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 2008 Vorentwurf Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz Zollgesetz vom 18. März 2005 Zivilgesetzbuch Bundesgesetz vom 3. Oktober 2008 über die Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes

4469

Bericht 1

Auftrag und Organisation der Arbeiten

1.1

Einleitung

1.1.1

Ausgangslage

Mit dem vorliegenden Bericht erfüllt der Bundesrat das Postulat Malama vom 3. März 2010 (10.3045 «Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen»). Das Postulat hat folgenden Wortlaut: «Der Bundesrat wird aufgefordert zu prüfen und bis Ende 2010 zu berichten, 1.

welche Rechtsetzungs- und welche Rechtsanwendungskompetenzen die geltende Bundesverfassung dem Bund im Bereich der Inneren Sicherheit einräumt;

2.

inwiefern der Bund die Kantone dauerhaft oder vorübergehend bei deren Aufgaben zur Wahrung der Inneren Sicherheit unterstützt;

3.

ob die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Inneren Sicherheit den heutigen Umständen und Herausforderungen genügt;

4.

wie eine allfällige umfassende Revision der Bundesverfassung im Bereich der Inneren Sicherheit auszusehen hätte.»

Im Begleittext wird zur Begründung des Postulats Folgendes ausgeführt: «Seit Jahren geniessen Fragen der Inneren Sicherheit erhöhte Aufmerksamkeit; unter anderem weil moderne Bedrohungsformen oder Herausforderungen vor Kantons- oder Landesgrenzen keinen Halt mehr machen. Die bundesstaatliche Kompetenzaufteilung ist auf diesem Gebiet verschiedentlich zu einem eigentlichen Zankapfel geworden. Dabei bildet die Gewährleistung der Inneren Sicherheit eine der Grundaufgaben des Staates schlechthin. Allfällige Sicherheitslücken dürfen gar nicht erst entstehen. Umgekehrt geniesst die Respektierung der Verfassungsordnung im Bereich der Inneren Sicherheit ­ Kompetenzordnung und Grundrechte ­ eine besondere Bedeutung.

Die Totalrevision der Bundesverfassung führte zwar formell zu neuen Sicherheitsartikeln, nicht aber zu inhaltlichen Neuerungen. Die Rolle des Bundes beschränkt sich jedoch längst nicht mehr auf jene eines Helfers in der Not, wie dies 1848 noch vorgesehen war. Systematisch müsste Artikel 57 BV den verfassungsrechtlichen Dreh- und Angelpunkt im Bereich der Inneren Sicherheit bilden; der Artikel schafft jedoch selber keine Bundeskompetenzen, sondern setzt solche voraus, wie etwa die Bundesintervention oder Bundeskompetenzen in anderen Sachgebieten, welche Bezüge zur Inneren Sicherheit aufweisen.

Trotz teilweise fehlender Kompetenzen legiferiert der Bund in zunehmendem Ausmass im sicherheitspolizeilichen Aufgabengebiet und höhlt dadurch einen primär kantonalen Kompetenzbereich aus. Umgekehrt vernachlässigen einzelne Kantone ihre Aufgaben im Bereich der Inneren Sicherheit im Vertrauen auf Bundeshilfe.

Zumindest eine Klärung der Zuständigkeiten im Bereich der Inneren Sicherheit ist heute notwendig; ein Revisionsbedarf scheint jedoch ausgewiesen.» 4470

Der Bundesrat hat in seiner Antwort vom 28. April 2010 die Annahme des Postulats beantragt. Das Postulat wurde am 18. Juni 2010 vom Nationalrat angenommen.

1.1.2

Zeithorizont

Das Postulat Malama verlangt die Erstellung des Berichts bis Ende 2010. Die Arbeiten zur Umsetzung des Postulats wurden unverzüglich aufgenommen, anschliessend jedoch während eines längeren Zeitraums sistiert, sodass die vorgesehene Frist nicht eingehalten werden konnte. Die Sistierung der Arbeiten erfolgte aus folgenden Gründen: Im Jahr 2010 musste über wegweisende Berichte und Projekte im Bereich der Sicherheitspolitik, die in engem sachlichem Zusammenhang mit dem vorliegenden Bericht stehen, beschlossen werden. Dazu gehörten der Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 23. Juni 20101 über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2010), der Armeebericht 2010 vom 1. Oktober 20102 sowie das Gesetzesprojekt «Bundesgesetz über die polizeilichen Aufgaben des Bundes». Angesichts der thematischen Verquickung mit den im Rahmen des Postulats Malama zu klärenden Fragen erschien es als sachdienlich, zunächst die aus den genannten Projekten erzielten Resultate und Schlussfolgerungen abzuwarten. Die aus diesen Berichten und Vorlagen gewonnenen Erkenntnisse fliessen denn auch in den vorliegenden Bericht ein.

Hinsichtlich des Polizeiaufgabengesetzes hat der Bundesrat zwischenzeitlich beschlossen,3 den vorliegenden Bericht abzuwarten, um dann anhand der Ergebnisse des Berichts zu beurteilen, ob und inwieweit den von den Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmern vorgebrachten Änderungs- und Erweiterungsanträgen zur Vorlage zum Polizeiaufgabengesetz Rechnung getragen werden soll.

1.1.3

Vorgehen

In der Bundesverwaltung sind zahlreiche Bundesstellen mit Sicherheitsfragen befasst. Entsprechend war es für die Erfüllung des Postulats unerlässlich, auf deren Fachwissen in Theorie und Praxis zurückzugreifen. Dies umso mehr, als das Postulat Malama nicht nur eine rechtliche Analyse der kompetenzrechtlichen Problematik, sondern auch eine Darstellung des faktischen Ist-Zustandes im Bereich der inneren Sicherheit verlangt. Das federführende Bundesamt für Justiz setzte deshalb eine Begleitgruppe ein, die sich aus Fachpersonen von fedpol, des NDB, der EZV, des Stabs Sicherheitsausschuss des Bundesrates, des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, des Generalsekretariats des VBS, der Direktion für Völkerrecht des EDA und der Politischen Direktion des EDA zusammensetzte.

Die Fragestellung des Postulats Malama berührt Belange der inneren Sicherheit und damit einen Sachbereich, der im Besonderen die Kompetenzen der Kantone tangiert.

In der Begleitgruppe vertreten war daher auch eine Delegation aus KKJPD und der

1 2 3

BBl 2010 5133 BBl 2010 8871 Bundesratsbeschluss vom 30. März 2011.

4471

KKPKS, welche die Sichtweise der Kantone einbrachte und das Bundesamt für Justiz bei den Vorbereitungs- und Redaktionsarbeiten fachlich unterstützte.

1.2

Auftrag

1.2.1

Inhalt

Mit dem Postulat Malama wird der Bundesrat beauftragt, einen Bericht über die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung und die tatsächliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit zu erstellen und dabei zu prüfen, ob die bestehende Kompetenzaufteilung (noch) zweckmässig ist und den heutigen Herausforderungen genügt. Schliesslich soll der Bericht die Frage beantworten, wie eine allfällige verfassungsrechtliche Neuordnung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit auszusehen hätte.

An dieser Auftragsstruktur orientiert sich der Aufbau des vorliegenden Berichts: Der erste Teil enthält eine rechtliche Analyse des Ist-Zustandes sowie eine Bestandesaufnahme der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen in der Praxis. In einem weiteren Schritt werden die Schwachstellen des heutigen Systems aufgezeigt und anhand dieser Problemanalyse Vorschläge für mögliche Lösungsansätze präsentiert.

Fragen der Sicherheit sind in jüngster Zeit ­ meist unter einem fachspezifischen Blickwinkel ­ in diversen Berichten und Analysen thematisiert worden. Ziel des vorliegenden Berichts ist es, unter Beizug des vorhandenen Materials eine Gesamtsicht zu erstellen und dabei den Hauptakzent auf die verfassungsrechtliche Fragestellung zu legen.

1.2.2

Schnittstellen zu anderen Berichten und Projekten

Sowohl auf Kantons- als auch auf Bundesebene haben sich mehrere Projekte mit Sicherheitsfragen befasst; dabei wurde auch die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen thematisiert. Die Erkenntnisse aus abgeschlossenen, aber immer noch aktuellen Projekten wurden bei der Erarbeitung des vorliegenden Berichts berücksichtigt. Ebenso wurde die Schnittstellenproblematik bei laufenden Projekten, die in thematischem Zusammenhang mit dem vorliegenden Bericht stehen, im Auge behalten und die Koordination zwischen dem vorliegenden und parallel laufenden Projekten sichergestellt. Die wichtigsten Projekte, Berichte und Analysen werden nachfolgend erwähnt:

1.2.2.1

Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz

Der Bundesrat präsentiert in regelmässigen Abständen Berichte zur Sicherheitspolitik der Schweiz. Die Berichte geben jeweils die Leitlinien für die Ausgestaltung der Sicherheitspolitik der nächsten Jahre vor. Der jüngste sicherheitspolitische Bericht

4472

stammt aus dem Jahr 2010.4 Der Bundesrat kommt in dem Bericht zum Schluss, dass im sicherheitspolitischen Umfeld zwar Akzentverschiebungen stattgefunden haben, dass sich die Bedrohungslage aber nicht fundamental geändert hat. Die bisherige Strategie der Schweiz soll daher ­ mit gewissen Kurskorrekturen ­ weitergeführt werden. Zu den neuen wesentlichen Elementen des Berichts gehört unter anderem die Verbesserung der sicherheitspolitischen Kooperation zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden, die im Rahmen des Sicherheitsverbunds Schweiz erfolgen soll.

1.2.2.2

Bericht «Polizeiliche Lücke» der KKJPD

Die KKJPD hat an der Frühjahrsversammlung 2011 einen Bericht verabschiedet, der sich mit der Entwicklung der Polizeiaufgaben und der Polizeibestände in der Schweiz befasst. Darin werden auch die Schnittstellen und die notwendigen Rollenklärungen im Bereich der inneren Sicherheit thematisiert.5 Im Vordergrund stehen aus Sicht der KKJPD die Zukunft der ständigen und der nichtständigen subsidiären Sicherungseinsätze der Armee und die Zusammenarbeit der Kantonspolizeibehörden mit dem Grenzwachtkorps.

Neben den nachfolgend separat aufgeführten Schnittstellen werden im Bericht die folgenden Themen behandelt: ­

Einsatz internationaler Friedensexperten; Zusammenarbeit EDA/KKJPD

­

Einsätze des Schutzdetachements Bundesrat

­

Bundesbeschluss zur Sicherheit im Luftverkehr (Tiger/Fox)

­

Aufgabenabgrenzung zwischen Polizeibehörden und Transportpolizeien privater Transportunternehmen.

1.2.2.3

Delegation von Sicherheitsaufgaben an private Sicherheitsunternehmen

Die KKJPD hat an der Herbstversammlung 2007 festgehalten, dass die Tätigkeit der Polizei eine der Grundaufgaben des Staates darstellt. Eine Entlastung der Polizeikorps durch die Delegation von Aufgaben an private Sicherheitsunternehmen ist deshalb höchst sensibel und nur in Bezug auf ganz bestimmte Tätigkeiten zulässig.

Die KKJPD hat zu dieser Problematik eine konsolidierte Haltung, die sie im Herbst 2007 auf Antrag der KKPKS in Form einer Empfehlung verabschiedet hat.6

4 5 6

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 23. Juni 2010 über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2010), BBl 2010 5133.

Bericht KKJPD «Polizeiliche Lücke» aus dem Jahr 2011.

«Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private», Empfehlungen der KKPKS zuhanden der KKJPD, genehmigt am 16. November 2007.

4473

1.2.2.4

Rolle der Militärischen Sicherheit

Die Plattform KKJPD/VBS/EJPD erarbeitete im Februar 2008 einen Bericht zur Rolle der Militärischen Sicherheit.7 Er befasst sich insbesondere mit der Aufgabenteilung von Kantonspolizeibehörden und der Militärischen Sicherheit.

1.2.2.5

Aufgabenabgrenzung zwischen Polizeibehörden und Zollverwaltung

Im Hinblick auf das Inkrafttreten des Schengener Übereinkommens8 einigten sich die KKJPD und das Eidgenössische Finanzdepartement auf eine Mustervereinbarung, in der festgelegt wurde, welche Polizeiaufgaben die EZV bzw. das GWK selbständig oder in Zusammenarbeit mit den kantonalen Polizeibehörden wahrnehmen sollen. Inzwischen haben alle Grenzkantone und einige Binnenkantone Vereinbarungen gestützt auf diese Mustervereinbarung mit der EZV abgeschlossen.

Im Weiteren legte die Plattform KKJPD/GWK im Mai 2008 in verschiedenen strittigen Bereichen fest, welche Rolle das GWK künftig wahrnehmen soll.9

1.2.2.6

Sicherheitsverbund Schweiz

Der Sicherheitsverbund Schweiz vereinigt und koordiniert alle nationalen Sicherheitsakteure, so dass die Schweiz flexibel, umfassend, rechtzeitig und wirkungsvoll auf sicherheitspolitische Bedrohungen und Gefahren reagieren kann.10 Er soll dazu dienen, die etablierte Zusammenarbeit von Bund, Kantonen und Gemeinden weiterzuentwickeln, ohne in deren angestammte Kompetenzen einzugreifen. Im Rahmen des neu geschaffenen Koordinations- und Konsultationsmechanismus Sicherheitsverbund Schweiz (KKM SVS) wurde von Bundesrat, KKJPD und Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz, Feuerwehr (RK MZF) das Ziel formuliert, innerhalb einer Pilotphase bis Ende 2012 eine Rollenklärung im Bereich der inneren Sicherheit herbeizuführen.11 Insbesondere soll ein neues Konzept für den Schutz der ausländischen Vertretungen in der Schweiz ausgearbeitet werden.

7 8 9 10 11

«Rolle der Militärischen Sicherheit», Bericht vom Februar 2008 zuhanden der KKJPD.

Bilaterale II, BBl 2004 5965 Kernsätze zu den Aufgaben des Grenzwachtkorps, von der Plattform KKJPD EZV, genehmigt am 21. Mai 2008.

SIPOL B 2010, Ziffer 4.3.1; BBl 2010 5133 Grundlagenpapier KKM SVS für die Pilotphase 2011­2012, durch KKJPD und Bundesrat verabschiedet am 11. November 2010 bzw. 19. Januar 2011; die Pilotphase muss möglicherweise verlängert werden.

4474

1.2.2.7

Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen

Der Bundesrat hat am 5. Juni 2009 die Grundstrategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (SKI) verabschiedet. Diese legt unter anderem die Ziele, Definitionen, Grundsätze und Arbeitsweise des SKI-Programms fest und bezeichnet vier Umsetzungsmassnahmen (SKI-Inventar, integrale Schutzkonzepte, Forschungsgrundlagen, Risikokommunikation). Die entsprechenden Arbeiten werden durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz koordiniert und in einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, in der auch zwei Kantone vertreten sind, abgestimmt. Die Grundstrategie wird bis Frühjahr 2012 umgesetzt, überprüft und in eine nationale Strategie überführt werden. Basierend auf dem SKI-Inventar, welches auf nationaler Ebene ab Mitte 2012 vorliegen wird, und einer Bedrohungsbeurteilung können zukünftig Einsatzmittel von Bund, Kantonen und Betreiberinnen und Betreibern von Kritischen Infrastrukturen priorisiert werden.

1.2.2.8

Nationale Strategie für Cyber-Defense

Mit Bundesratsbeschluss vom 10. Dezember 2010 wurde das VBS beauftragt, unter Einbezug aller betroffenen Akteure aus den anderen Departementen, Schlüsselbereichen und Aufsichtsbehörden eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die bis Anfang 2012 eine gesamtheitliche Strategie des Bundes gegen die tendenziell steigenden CyberRisiken erarbeitet. Das Hauptaugenmerk der nationalen Strategie ist darauf gerichtet, eine Auslegeordnung zu den aktuellen und potentiellen Cyber-Risiken im CyberBereich zu machen (inkl. Berücksichtigung der internationalen Diskussion). Weiter muss die Strategie aufzeigen, wie der Bund und die Schweiz bzw. die Betreiberinnen und Betreiber kritischer Informationsinfrastrukturen gegen die Cyber-Risiken gerüstet sind, wo Handlungsbedarf besteht bzw. wo die Mängel liegen und wie man diese am effektivsten und effizientesten beheben kann. Letztlich sollen anhand der nationalen Strategie für Cyber-Defense die Fragen zum eigenen Ambitionsniveau, den bestehenden und eventuell zu erarbeitenden rechtlichen Grundlagen und zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Wirtschaft beantwortet werden.

1.2.2.9

Integrierte Grenzverwaltung12

Mit Beschluss vom 2. Februar 2011 setzte der Bundesrat eine verwaltungsinterne, interdepartementale Strategiegruppe mit Kantonsbeteiligung ein und beauftragte diese mit der Ausarbeitung der integrierten Grenzverwaltungsstrategie der Schweiz.

Es handelt sich dabei um die Umsetzung einer Empfehlung, die auf der Evaluation der schweizerischen Schengen-Aussengrenze beruht. Die involvierten Behörden des Bundes und der Kantone sollen gemeinsam ein Modell zur effizienten und koordinierten Bekämpfung der illegalen Migration und der grenzüberschreitenden Kriminalität, zur Erleichterung der legalen Migration und zur gesetzes- und menschenrechtskonformen Ausgestaltung der Grenzverwaltung erarbeiten. Die EU sieht vier Filter vor: Massnahmen in Drittstaaten, Massnahmen der Kooperation im Schengen12

Englisch: Integrated Border Management (IBM)

4475

Raum, Massnahmen bei der Grenzkontrolle und Massnahmen im Binnenraum.

Insbesondere der vierte, teilweise auch der dritte Filter steht in direktem Zusammenhang mit der in diesem Bericht behandelten Thematik.

Im Rahmen der Bestandesaufnahme der heutigen Grenzverwaltungslandschaft identifizierte die Strategiegruppe verschiedene Bereiche, in denen klarer Optimierungsbedarf geortet wurde. Einige dieser Problemfelder stehen dabei auch in einem mehr oder weniger klaren Zusammenhang mit der bestehenden Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen. Mit Blick auf die Arbeiten der Arbeitsgruppe Postulat Malama hat sich die Strategiegruppe entschieden, in ihrem Bericht lediglich auf diese Probleme hinzuweisen, ohne dem Bundesrat selbst strukturelle, auf eine Änderung der bestehenden Kompetenzordnung abzielende Vorschläge zu unterbreiten.

2

Innere Sicherheit ­ Darstellung und Analyse des Ist-Zustandes

2.1

Begriffe

Die Bundesverfassung (BV)13 unterscheidet zwischen den Begriffen «innere» und «äussere» Sicherheit, ohne jedoch die Begriffe zu definieren. Der Sicherheitsartikel (Art. 57 Abs. 1 BV) nimmt keine Unterscheidung zwischen innerer und äusserer Sicherheit vor. Die Differenzierung findet sich hingegen in Artikel 57 Absatz 2 BV sowie in den Bestimmungen der Artikel 173 Absatz 1 Buchstaben a und b und 185 Absätze 1 und 2 BV, welche die Kompetenzen von Bundesversammlung und Bundesrat umschreiben. Verfassungsrechtlich ist die heute als weitgehend überholt angesehene, aber vom Gesetzgeber und von der Praxis14 noch unlängst gemachte Unterscheidung insbesondere für die Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen von Bedeutung.

2.1.1

Innere Sicherheit

Der inneren Sicherheit sind alle Sicherheitsbereiche zuzurechnen, die nicht in Zusammenhang mit auswärtigen Angelegenheiten stehen. Der Begriff der inneren Sicherheit knüpft im Wesentlichen an die Begriffsbestimmung der Bundesverfassung von 1874 an,15 welche die innere Sicherheit als Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung bezeichnete. Er umfasst im Wesentlichen den Schutz des Staates in seiner Existenz sowie den Schutz seiner Institutionen und Organe. Zu diesem staatsschützerischen Element gesellt sich der polizeirechtliche Aspekt, welcher auf den Schutz der Polizeigüter (insbesondere Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum) ausgerichtet ist und zur Hauptsache auf die Gefahrenabwehr abzielt. Ausserhalb dieses engeren polizeilichen Bereichs beinhaltet der Begriff der inneren Sicherheit

13 14

15

SR 101 Vgl. etwa Art. 4, 5 und 8 Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS; SR 120) sowie BBl 1994 II 1137 ff. und dortige Hinweise.

Vgl. Art. 2, 85 und 102 aBV

4476

auch die Klärung der strafrechtlichen Verantwortung, namentlich durch die Strafverfolgung.

Die innere Sicherheit ist damit gleichbedeutend mit der präventiven und reaktiven Abwehr von Gefahren, welche die öffentliche Ordnung und den Staat als solchen bedrohen.16 Soweit die BV dem Bund keine spezifischen (expliziten oder impliziten17) Kompetenzen zuweist, ist die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit primär Sache der Kantone.18

2.1.2

Äussere Sicherheit

Als Gegenstand der äusseren Sicherheit sind demgegenüber diejenigen Aufgabenfelder zu betrachten, die in engem Zusammenhang mit den auswärtigen Angelegenheiten und der damit verbundenen Wahrung der Unabhängigkeit nach Artikel 54 BV stehen. Diese Norm weist die Befugnisse in auswärtigen Angelegenheiten ausdrücklich dem Bund zu; von der Kompetenzzuweisung erfasst wird auch die äussere Sicherheit.19 Dem Bund kommt indessen keine ausschliessliche Kompetenz zu. Die Kantone verfügen auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten ebenfalls über Befugnisse.20

2.1.3

Umfassender Sicherheitsbegriff

Angesichts der vielfältigen und grenzüberschreitenden Bedrohungen und Gefahren erweist sich die Abgrenzung zwischen innerer und äusserer Sicherheit zunehmend als schwierig. Die Vernetzung der Gefahrenlage mit ihren Wechselwirkungen auf die jeweiligen Sicherheitsfelder lässt die starre Trennung zwischen innerer und äusserer Sicherheit als fragwürdig erscheinen. Die innere Sicherheit weist heute einen ausgeprägt internationalen Bezug auf.21 Von Teilen der Lehre wird die strikte Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen denn auch als überholt und untauglich beschrieben.22 Bereits im Sicherheitspolitischen Bericht 200023 wurde ein neuer Sicherheitsbegriff («umfassende Sicherheit») geprägt, der sowohl die innen- als auch die aussenpolitischen Aspekte der Sicherheit beinhalten soll. Der neue Sicherheitspolitische Bericht 16 17 18 19

20 21 22

23

Statt vieler: R.J. Schweizer, in: St. Galler Kommentar, Zürich/St. Gallen 2008, Art. 57, Rz. 5; Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 399.

Siehe hierzu unten Ziffer 2.2.3.3 und 2.2.3.4.

Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 236.

A. Ruch, Äussere und innere Sicherheit, in: Verfassungsrecht der Schweiz, D. Thürer/ J.-F. Aubert/J.-P. Müller (Hrsg.), Zürich 2001, S. 892, Rz. 8 f.; R.J. Schweizer/G. Küpfer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Vorbemerkungen zur Sicherheitsverfassung, S. 1052, Rz. 12; Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 399.

Vgl. unten Ziffer 2.2.4 ff.

Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und zur Volksinitiative «S.O.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei», BBl 1994 II 11278.

Vgl. etwa R.J. Schweizer/G. Küpfer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Vorbemerkungen zur Sicherheitsverfassung, Rz. 4; M. Mohler/P. Gattelin/R. Müller, Unsicherheit über Sicherheit, in: NZZ vom 24.8.2007.

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 7. Juni 1999 über die Sicherheit der Schweiz, BBl 1999 7657.

4477

aus dem Jahr 2010 hält an dieser Ausrichtung fest: Anstelle einer Trennung zwischen innerer und äusserer Sicherheit empfiehlt der Bericht eine Einteilung in vier Sicherheitsbereiche, um die Zuordnung von Zuständigkeiten und Aufgaben zu klären.24 Die Sicherheitsbereiche werden wie folgt umschrieben: a.

polizeiliche Gefahrenabwehr, Staatsschutz und Strafverfolgung

b.

Vorbeugung, Vorsorge und Bewältigung von natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und Notlagen

c.

Abhalten und Abwehr eines militärischen Angriffs

d.

Wahrung der Interessen der Schweiz im Ausland und Beiträge zum internationalen Krisenmanagement.

Angesichts der Volatilität im sicherheitspolitischen Bereich ist die Umschreibung der Sicherheit mit einer generellen, umfassenden Begriffsbestimmung, die eine gesamtheitliche Betrachtung der Sicherheitsproblematik suggeriert, sachdienlich.

Dabei darf aber nicht ausser Betracht gelassen werden, dass das neue, auf breite Kooperation zwischen den einzelnen Staatsebenen setzende Sicherheitsverständnis nach geltendem Recht keine adäquate Abbildung in der Bundesverfassung findet.

Die Umsetzung der umfassend verstandenen Sicherheitsaufgaben folgt nach wie vor der verfassungsrechtlichen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen, welche die ­ in der Praxis schwierige ­ Ausscheidung der Zuständigkeiten nach den Kriterien «innere» und «äussere» Sicherheit vornimmt. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsorgane kann daher nur im Rahmen der verfassungsrechtlich vorgegebenen Zuständigkeiten von Bund und Kantonen erfolgen.

2.1.4

Sicherheitsbegriff im vorliegenden Kontext

Das Postulat Malama wirft Fragen auf, die sich vornehmlich auf einen Sachbereich konzentrieren, welcher dem traditionellen Begriff der inneren Sicherheit entspricht.

Der im vorliegenden Bericht verwendete Terminus technicus ist daher im Sinne der unter Ziffer 2.1.1 festgehaltenen Definition der inneren Sicherheit zu verstehen ­ wobei nach dem Gesagten zu berücksichtigen ist, dass eine messerscharfe Abgrenzung zwischen den Begriffen «innere Sicherheit» und «äussere Sicherheit» nicht möglich ist.

2.2

Verfassungsrechtliche Kompetenzordnung

2.2.1

Einleitung

Artikel 3 BV regelt das System der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen und bestimmt, dass die Kantone alle Rechte ausüben, die nicht dem Bund übertragen sind. Artikel 42 Absatz 1 BV führt den Grundsatz weiter aus und bestimmt, dass der Bund diejenigen Aufgaben erfüllt, die ihm die Bundesverfassung zuweist. Der Bund darf demnach nur in jenen Bereichen tätig werden, in welchen die Bundesverfassung ihn für zuständig erklärt und ihm die Kompetenz zum Tätig-

24

SIPOL B 2010

4478

werden erteilt (Prinzip der Einzelermächtigung).25 Insoweit hat Artikel 3 BV die Funktion einer subsidiären Generalklausel zugunsten der Kantone. Alle nicht dem Bund zugewiesenen Kompetenzen verbleiben den Kantonen (lückenlose Kompetenzaufteilung). Entsprechend wäre es unzulässig, für eine in der Bundesverfassung nicht genannte Aufgabe ­ zum Beispiel wegen ihres zunehmend kantonsübergreifenden Charakters ­ eine Lücke anzunehmen und die Aufgabe aus diesem Grund als Bundeskompetenz zu qualifizieren.26 Ebenso wenig können Vereinbarungen mit rechtsetzendem Charakter zwischen Bund und Kantonen zu einer Verlagerung der Kompetenzordnung führen.27 In Zusammenhang mit Artikel 3 BV sind zudem das in Artikel 5a BV statuierte und in Artikel 43a BV konkretisierte Subsidiaritätsprinzip zu beachten: Danach soll der Bund ­ selbst wenn eine Kompetenznorm zu seinen Gunsten vorliegt ­ nur jene Bereiche an sich ziehen, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder die einer einheitlichen Regelung bedürfen.28 Der Bund ist somit gehalten, keine Aufgaben zu übernehmen, welche die Kantone ebenso gut erfüllen können. Auch das in Artikel 43a Absatz 5 BV verankerte Gebot der Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit bei der Erfüllung von staatlichen Aufgaben führt nicht zu einer Verschiebung der verfassungsmässigen Aufgabenzuweisungen: Selbst wenn der Bund eine Leistung volkswirtschaftlich effizienter erbringen kann als die Kantone, kann dies allein nicht bestimmend sein für eine Zuweisung der Aufgabe an den Bund.29 Artikel 46 BV schliesslich legt als Grundsatz fest, dass in der Regel die Kantone berechtigt und verpflichtet sind, das Bundesrecht umzusetzen. Nach Massgabe von Verfassung oder Gesetz kann jedoch etwas anderes gelten.30

2.2.2

Gesetzgebungs-, Rechtsanwendungs- und Vollzugskompetenzen der Kantone

2.2.2.1

Polizeihoheit der Kantone

Die Zuständigkeit der Kantone, auf ihrem Hoheitsgebiet für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sorgen, gilt als originäre Kompetenz der Kantone.31 Die Kantone verfügen auf ihrem Territorium über die Polizeihoheit und damit über die entsprechende Rechtsetzungskompetenz im Hinblick auf die Wahrnehmung des umfassenden Gefahrenabwehrauftrags.32 Der Grundsatz der primären Verantwortung der Kantone für die Sicherheit auf ihrem Territorium ist in der Lehre

25

26 27 28 29 30 31 32

B. Knapp, La répartition des compétences et la coopération de la Confédération et les cantons, in: Verfassungsrecht der Schweiz, D. Thürer/J.- F. Aubert/J.P. Müller (Hrsg.), Zürich 2001, §29, Rz. 3 ff.; P. Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Auflage, Stämpfli Verlag AG, Bern 2007, § 19, Rz. 1 ff.

U. Häfelin/W. Haller/H. Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Auflage, Schulthess Juristische Medien AG, Zürich, Basel, Genf 2008, Rz. 1057.

Vgl. hierzu Ziffer 2.2.2.5.

Botschaft NFA, BBl 2002 2458; G. Biaggini, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 5a BV, Rz. 5.

R.J. Schweizer/L. Müller, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 43a, Rz. 24 f.

Siehe dazu Ziffer 2.2.2.4.

Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 236.

C. Linsi, in: LeGes 2006/2, S. 10.

4479

wie auch in der Rechtsprechung unbestritten.33 Der Bundesrat seinerseits hat in konstanter Praxis festgehalten, dass die Gesetzgebung im Polizeibereich grundsätzlich den Kantonen obliege.34 Der Umstand, dass dem Bund kein allgemeiner Auftrag zur Gefahrenabwehr obliegt, widerspiegelt sich auch in institutioneller Hinsicht: Während jeder der 26 Kantone über ein eigenes Polizeikorps verfügt, existiert auf Bundesebene keine umfassend tätige Polizeibehörde.

2.2.2.2

Aufgabenautonomie der Kantone

Sieht die Bundesverfassung in einem bestimmten Sachbereich keine Kompetenzzuweisung an den Bund vor, so fällt die Zuständigkeit auf diesem Gebiet nach den allgemeinen Zuständigkeitsregeln den Kantonen zu. Für die Kantone bedeutet dies, dass sie alle Kompetenzen wahrnehmen dürfen, die nicht dem Bund übertragen worden sind. Wo auf dem Gebiet der Sicherheit somit keine spezifischen Kompetenzen des Bundes ausgewiesen sind, verbleibt die Kompetenz primär bei den Kantonen.

Artikel 43 BV präzisiert, dass die Kantone bestimmen, welche Aufgaben und wie sie diese Aufgaben im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen wollen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt: Die Kantone sind auch in Ausübung ihrer Zuständigkeiten nicht immer frei, ihre Aufgaben und deren Ausgestaltung zu bestimmen, namentlich dann nicht, wenn die Verfassung ihnen spezifische Aufgaben überträgt oder ihnen vorgibt, wie sie eine Aufgabe zu erfüllen haben. In diesen Fällen wird die kantonale Autonomie insoweit eingeschränkt, als die Verfassung bestimmte Anforderungen bezüglich der Erfüllung der Aufgaben stellt.35 Ein solches Beispiel findet sich in Artikel 57 Absatz 1 BV; auch die von der Bundesverfassung garantierten Grundrechte (Art. 35 BV) begrenzen den Handlungsspielraum der Kantone.36

2.2.2.3

Interkantonale Rechtsetzung

Sachbereiche, welche die Bundesverfassung nicht dem Bund zuweist, stehen nach dem Gesagten in der Regelungsbefugnis der Kantone. Innerhalb ihres Kompetenzbereiches können die Kantone zudem Verträge mit verschiedensten Zwecken, darunter auch solche mit rechtsetzendem Charakter, untereinander abschliessen und gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Gegenstand der interkantonalen Vereinbarungen können Aufgaben aus dem originären und übertragenen Wirkungsbereich der Kantone sein. Die interkantonalen Verträge haben Vorrang vor dem kantonalen Recht (Art. 48 Abs. 5 BV), hingegen geht das Bundesrecht dem Konkordatsrecht vor (Art. 49 BV). Artikel 48 BV legt die Voraussetzungen und Schranken der interkantonalen Rechtsetzung fest: Danach dürfen die Verträge zwischen den 33

34 35 36

R.J. Schweizer/G. Küpfer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 57, Rz. 5; A. Ruch, Äussere und innere Sicherheit, in: Verfassungsrecht der Schweiz, a.a.O., S. 898, Rz. 33; BGE 117 Ia 292.

Vgl. z.B. BBl 2007 6477 5928, BBl 2006 645, BBl 2004 660, BBl 1994 I 1166 J. F. Aubert/P. Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération Suisse, Art. 43, Rz. 2.

U. Häfelin/W. Haller/H. Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, a.a.O., Rz. 1070.

4480

Kantonen weder dem Recht und den Interessen des Bundes noch den Rechten anderer Kantone zuwider laufen. Im Weiteren müssen die kantonalen Vereinbarungen dem Bund zur Kenntnis gebracht werden.37 Als wichtigste Zeugnisse der interkantonalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit gelten die vier Polizeikonkordate (Westschweiz, Nordwestschweiz, Zentralschweiz, Ostschweiz). Alle Kantone mit Ausnahme der Kantone Zürich und Tessin gehören einem der vier Konkordate an. Von wachsender Bedeutung ist die Vereinbarung über die interkantonalen Polizeieinsätze aus dem Jahr 2006 (IKAPOL); welche die Kantone im Fall von grösseren Ereignissen zur Zusammenarbeit verpflichtet. IKAPOL regelt die Zuständigkeiten, die Organisation und die Abgeltung bei diesen interkantonalen Polizeieinsätzen.

Die polizeiliche Zusammenarbeit basiert auf einer Eskalationsmethodik: Wenn ein Kanton ein Ereignis nicht mit eigenen Polizeikräften bewältigen kann, kann er auf die Unterstützung aus dem Polizeikonkordat zurückgreifen. Genügt auch diese Unterstützung nicht, kann er einen interkantonalen Polizeieinsatz beantragen. Die entsprechenden Rahmenbedingungen, die Entscheidwege und die Gremien auf operativer und politischer Ebene sind klar definiert. Zudem wird eine Polizeikommandantin oder ein Polizeikommandant bestimmt, die oder der die IKAPOL-Einsätze leitet.

In Artikel 48 Absatz 1 Satz 2 BV wird hervorgehoben, dass die Kantone namentlich Aufgaben von «regionalem Interesse» gemeinsam wahrnehmen können. Die Formulierung «namentlich» legt nahe, dass damit gesamtschweizerische Verträge nicht ausgeschlossen sind, die Bundesverfassung die interkantonale Rechtsetzung aber in erster Linie als Instrument zur Erfüllung regionaler Aufgaben sieht.38 In der Botschaft zur neuen Bundesverfassung findet sich hierzu der klare Hinweis, dass sich der Weg der Bundesgesetzgebung aufdrängt, wenn eine einheitliche eidgenössische Regelung angestrebt wird.39 Dieser Auffassung wird von Teilen der Lehre beigepflichtet.40 Die Kritik an einer Rechtsvereinheitlichung mittels gesamtschweizerischer Konkordate richtet sich dabei vornehmlich gegen die beschränkte demokratische Abstützung und den mangelnden Einbezug der Öffentlichkeit beim Zustandekommen von Konkordatsrecht. Die interkantonalen Regelungen werden ­ sofern es sich nicht um rechtsetzende Konkordate
handelt ­ oft unter Ausschluss der Kantonsvertretungen durch die Regierungen erlassen, so dass der Einfluss der demokratischen Basis auf Inhalt und Ausgestaltung der Konkordate gering ist und nebst der fehlenden Mitwirkungsmöglichkeit auch die parlamentarische Kontrolle eingeschränkt ist. In gewissen Kantonen bestehen allerdings bereits Lösungsansätze zur Behebung dieses Demokratiedefizits, teilweise sind entsprechende Bestrebungen im Gange, namentlich durch die Schaffung von parlamentarischen Kommissionen, die an der Ausarbeitung interkantonaler Vereinbarungen beteiligt sind.41 Schliesslich

37 38 39 40

41

Art. 48 Abs. 3 BV U. Abderhalden, Verfassungsrechtliche Überlegungen zur interkantonalen Rechtsetzung, LeGes 2006/1, S. 17.

Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 214.

U. Häfelin/W. Haller/H. Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, a.a.O., Rz. 1290; R. Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, 2003 Basel/Genf/München, Rz. 816; L. Mader, Erfahrungen und Erwartungen auf dem Gebiet des kooperativen Föderalismus ­ einige Fragen und Anmerkungen aus Sicht eines Vertreters des Bundes, in: Institut für Föderalismus (Hrsg.), Freiburg i.Ü., 1. Nationale Föderalismuskonferenz (2005).

Siehe U. Abderhalden, a.a.O., S. 13 f.; s. auch Art. 65 Verfassung des Kantons St. Gallen vom 10. Juni 2001 (SR 131.225).

4481

wird aber auch die Schwerfälligkeit der interkantonalen Verträge, die sich nicht zuletzt bei der Revision von multilateralen Vereinbarungen zeigt, moniert.

Demgegenüber wird in der Lehre aber auch die Meinung vertreten, dass gesamtschweizerische Konkordate gegenüber einer Bundesregelung Vorteile aufweisen können. So wird festgestellt, dass die gemeinsamen Interessen von 26 Kantonen sich von denjenigen des Bundes unterscheiden könnten; über den Konkordatsweg liessen sich daher unter Umständen die adäquateren und bedarfsgerechteren Lösungen erzielen. Hervorgehoben wird auch die Möglichkeit eines jeden Kantons, einen missliebig gewordenen interkantonalen Vertrag zu kündigen; nach Erlass eines Bundesgesetzes fällt diese Option naturgemäss weg.42 Vorbehalte gegen gesamtschweizerische Konkordate vermochten die eidgenössischen Räte unlängst bei der Einführung einer Reihe von Massnahmen zur Bekämpfung des Hooliganismus, für die keine ausreichende Bundeskompetenz vorzuliegen schien43 und die daher nur befristet im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit44 statuiert worden waren, nicht zu überzeugen. Nach Ablauf der Befristung entschied sich das Parlament gegen die über eine Verfassungsänderung zu realisierende Bundeslösung, so dass der Weg für ein gesamtschweizerisches Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen frei wurde.45 Die im Rahmen der Föderalismusreform neu geschaffenen Instrumente ermöglichen es dem Bund ferner, die Kantone unter bestimmten Voraussetzungen zur Zusammenarbeit zu verpflichten. So sieht Artikel 48a BV für gewisse (abschliessend aufgezählte) Aufgabenbereiche vor, dass der Bund interkantonale Vereinbarungen allgemein verbindlich erklären oder Kantone zur Beteiligung an solchen Verträgen anhalten kann.

Artikel 48 Absatz 2 BV ermächtigt den Bund, sich an interkantonalen Verträgen zu beteiligen. Ein Beitritt des Bundes zu rechtsetzenden Konkordaten kommt indessen nur im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Zuständigkeit in Betracht. Der Bund muss somit in dem konkordatrechtlich zu regelnden Aufgabengebiet über eine Kompetenz verfügen.46 Mögliche Kompetenzbereiche für die Nutzung dieser Form von Verträgen sind somit solche, in denen Bund und Kantone über parallele Kompetenzen verfügen oder in denen konkurrierende, nachträglich
derogierende Kompetenzen vorliegen.47 Die Ermächtigung von Artikel 48 Absatz 2 BV erstreckt sich auch auf die Beteiligung des Bundes an gemeinsamen Organisationen und Einrichtungen im Sinne von Artikel 48 Absatz 1 BV.

42 43 44 45 46

47

Vgl. hierzu etwa U. Abderhalden, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 48, Rz. 24.

Es handelte sich dabei um folgende Massnahmen: Rayonverbot, Meldeauflage und Polizeigewahrsam.

BWIS, SR 120; BBl 2005 5639 Dem am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen sind alle 26 Kantone beigetreten.

Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 214; U. Abderhalden, a.a.O., S. 11; U. Häfelin/W. Haller/H. Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, a.a.O., Rz. 1277.

Bei nachträglich derogierenden Kompetenzen sind die Kantone zuständig, solange der Bund seine Kompetenz nicht nutzt. Macht der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch, verdrängt das Bundesrecht das vorbestehende kantonale Recht.

4482

2.2.2.4

Vollzug von Bundesrecht durch die Kantone

Artikel 46 BV stellt einen wichtigen Grundsatz für die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen auf. Gemäss Absatz 1 setzen die Kantone das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um; nach Absatz 3 desselben Artikels belässt der Bund den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung. Insbesondere sollen die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren angemessen berücksichtigt werden.48 Unter Umsetzung ist sowohl die Konkretisierung von Bundesrecht durch die kantonale Gesetzgebung als auch der eigentliche Vollzug durch Verwaltungstätigkeit zu verstehen.49 Die Umsetzungs- und Vollzugsaufgaben haben die Kantone in der Regel aus ihren eigenen finanziellen Ressourcen zu bestreiten.

In Artikel 46 ist das Prinzip des Vollzugsföderalismus verankert, welches seinerseits ein besonderer Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips darstellt. Dieses Prinzip besagt, dass der Bund den Vollzug nur dann selbst regeln soll, wenn eine einheitliche Regelung für die Ausführung der Aufgabe notwendig ist; die Bundesverfassung stellt mit dieser Norm die Vermutung des Vollzugs zugunsten der Kantone auf. Diese Vermutung ist jedoch im Unterschied zu Artikel 3 BV verfassungsrechtlich nicht absolut garantiert; Artikel 46 Absatz 1 BV belässt dem Bundesgesetzgeber die Freiheit, anders zu entscheiden (Umsetzung durch den Bund; gemeinsame Umsetzung durch den Bund und die Kantone, indem sich der Bund z.B. die Erfüllung bestimmter Aufgaben vorbehält). Das Bundesgericht hielt hierzu fest, dass ­ unter Vorbehalt einer anders lautenden Verfassungsregelung ­ der Bundesgesetzgeber zu bestimmen hat, inwieweit die Kantone in einem Gebiet mit dem Vollzug des Bundesrechts betraut werden sollen.50

2.2.2.5

Vertragliche Übertragung von kantonalen Aufgaben auf den Bund

Im geltenden Verfassungsrecht bestehen nur rudimentäre Vorschriften über Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Kantonen. Generelle Bestimmungen zum vertraglichen Zusammenwirken zwischen Bund und Kantonen finden sich einzig in Artikel 46 Absatz 2 BV und in Artikel 48 Absatz 2 BV. Artikel 46 Absatz 2 BV regelt die Umsetzung von Bundesrecht durch die Kantone mittels Programmvereinbarungen. Dabei handelt es sich um Verträge zwischen Bund und Kantonen, in denen Umsetzungsziele definiert und finanzielle Beihilfen des Bundes für die Durchführung der Programme zur Erreichung der Umsetzungsziele festgelegt werden. Mit Artikel 48 Absatz 2 BV wird dem Bund die Möglichkeit eingeräumt, sich an interkantonalen Verträgen zu beteiligen. Lediglich im Bereich des Hochschulwesens sieht die Verfassung sodann Verträge zwischen Bund und Kantonen vor: Artikel 63a Absatz 4 BV bestimmt, dass Bund und Kantone zur Erfüllung der Koordinationsaufgaben im schweizerischen Hochschulwesen Verträge abschliessen und bestimmte Befugnisse auf gemeinsame Organe übertragen können.

48 49 50

Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 212.

Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 228.

BGE 127 II 49

4483

Über diese Bestimmungen hinaus lässt sich aus der Verfassung bezüglich der Zulässigkeit von bilateralen Verträgen zwischen Bund und Kantonen, der Vertragsart (rechtsgeschäftlich oder rechtsetzend), des möglichen Vertragsinhalts, des Abschlussverfahrens und der Abschlusskompetenz,51 der Beschwerdemöglichkeit und der Möglichkeiten zur Prüfung der Völkerrechts- und Verfassungskonformität dieser Verträge nichts ableiten. Unbestritten dürfte in diesem Zusammenhang nur sein, dass vertragliche Regelungen eine hinreichende Rechtsgrundlage im Recht der jeweiligen Vertragspartner haben müssen, zumal der Vertrag eine fehlende gesetzliche Grundlage für das behördliche Handeln nicht ersetzen kann. Obwohl nach wie vor vieles ungeklärt ist, hat die Praxis die Frage nach der Zulässigkeit von Verträgen zwischen Bund und Kantonen ausserhalb von Verbundaufgaben (Art. 46 BV) und ausserhalb des Hochschulrechts vorweggenommen und ­ wenn auch in bescheidenem Umfang ­ Schritte in Richtung einer vertraglichen Zusammenarbeit unternommen.52 Aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch erscheinen die Vereinbarungen zwischen Bund und Kantonen, die eine Übertragung von originären Kompetenzen53 der Kantone an den Bund zum Inhalt haben, was konkret nichts anderes bedeutet, als dass auf dem Vertragsweg eine Kompetenzverschiebung zwischen den beiden Staatsebenen stattfindet. Die verfassungsrechtliche Problematik stellt sich bei der vertragsweisen Rückdelegation von Vollzugsaufgaben, welche der Bund den Kantonen übertragen hat, nicht: Nach geltendem Verfassungsrecht entscheidet der Bundesgesetzgeber, ob und inwieweit er die Kantone auf einem Gebiet mit dem Vollzug des Bundesrechts betrauen will. Der Bund kann daher Vollzugsaufgaben jederzeit an sich ziehen; dies muss aber in einem Rechtssatz erfolgen. Die Verschiebung von Vollzugsaufgaben zwischen den Gemeinwesen beschlägt somit die in der Verfassung festgelegte Kompetenzordnung nicht. Die Gesetzesgrundlagen dürfen in solchen Fällen aber einer Aufgabenübertragung nicht entgegenstehen und müssen allenfalls angepasst werden. Dies gilt auch, wenn der Bund in einem Sachbereich den Vollzug nicht explizit geregelt hat, so dass die Vollzugsaufgaben automatisch den Kantonen obliegen würden.

In der Lehre fokussiert sich die Diskussion auf die inhaltliche Komponente; namentlich wird die
Frage gestellt, ob das Gebot des partnerschaftlichen Zusammenwirkens zwischen Bund und Kantonen dahingehend interpretiert werden kann, dass die Kantone vertraglich originäre Kompetenzen an den Bund übertragen können. Die Lehrmeinung zu dieser ­ auch im vorliegenden Kontext hochaktuellen ­ Fragestellung ist geteilt. Mehrheitlich wird die Auffassung vertreten, dass die verfassungs51

52

53

Zur Problematik des Demokratiedefizits bei Verträgen Bund-Kantone s. Bericht des Bundesrates vom 27. Mai 2002 über rechtsetzende Verträge zwischen Bund und Kantonen (in Erfüllung des Postulates «Ständerat.01.32426 Staatspolitische Kommission SR (99.436). Rechtsetzende Verträge zwischen Bund und Kantonen» vom 27. August 2001), www.bj.admin.ch > Themen > Staat & Bürger > Föderalismus.

Vgl. z.B. Art. 97 Zollgesetz (ZG; SR 631.0); der Bundesrat hat im Weiteren am 16. September 2011 eine materiellrechtliche Grundlage in der Verordnung über die Informatik und Telekommunikation in der Bundesverwaltung (Bundesinformatikverordnung; SR 172.010.58) für den Abschluss einer Vereinbarung zwischen Bund und Kantonen zur Harmonisierung der Polizeiinformatik geschaffen.

Unter originären Kompetenzen sind all jene Befugnisse zu verstehen, für die nach der geltenden verfassungsmässigen Komptenzaufteilung keine Bundeskompetenz besteht und die daher in die Zuständigkeit der Kantone fallen. Dies im Unterschied zum übertragenen Wirkungskreis der Kantone; dabei handelt es sich um Kompetenzen, die der Bund an die Kantone delegiert hat (Vollzugsaufgaben).

4484

mässige Kompetenzordnung zwischen Bund und Kantonen zwingender Natur sei und dass aus diesem Grund selbst eine freiwillige Übertragung von Kompetenzen von den Kantonen auf den Bund nur auf dem Weg einer Verfassungsrevision möglich sei. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei es daher nicht zulässig, die bestehende Kompetenzverteilung mit Vereinbarungen zwischen Bund und Kantonen abzuändern.54 Einzelne Autoren lehnen diese Betrachtungsweise als zu undifferenziert ab und erachten die vertragliche Übertragung von Kompetenzen als rechtmässig, sofern der Bund und die Kantone in einem Bereich über parallele Kompetenzen verfügen. Da in einem Gebiet paralleler Kompetenzen sowohl der Bund als auch die Kantone über Kompetenzen verfügten, verstosse die Übertragung einer Kompetenz mittels Vereinbarung nicht gegen das Verbot, die verfassungsmässige Kompetenzverteilung abzuändern.55 Der Bundesrat hat sich dieser Meinung in seiner Botschaft über ein neues Zollgesetz56 angeschlossen. Er begründete die mit Artikel 97 ZG eingeführte Möglichkeit der vertraglichen Übertragung von kantonalen Aufgaben auf den Bund (Erfüllung polizeilicher Aufgaben im Grenzraum) damit, dass die Verfassung mit Artikel 48 BV zum Ausdruck bringe, dass der Bund dort einen Vertrag mit den Kantonen abschliessen könne, wo er über verfassungsmässige Rechtsetzungskompetenzen verfüge.57

2.2.3

Gesetzgebungs- und Rechtsanwendungskompetenzen des Bundes

2.2.3.1

Genereller Auftrag nach Artikel 57 Absatz 1 BV

Artikel 57 BV gilt als zentrale Bestimmung der Sicherheitsverfassung. Nach Artikel 57 Absatz 1 BV sorgen der Bund und die Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. Was angesichts der systematischen Einordnung58 als kompetenzzuweisende Norm erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als Verfassungsbestimmung, die einen Handlungsauftrag erteilt, ohne jedoch hinsichtlich der Adressaten eine klare Kompetenzabgrenzung vorzunehmen. Artikel 57 Absatz 1 BV bestimmt, dass sowohl der Bund als auch die Kantone im Bereich der Sicherheit des Landes und des Bevölkerungsschutzes gewisse Aufgaben erfüllen. Welcher Art diese Aufgaben sind und welche staatliche Ebene für welchen Teilbereich dieses gemeinsamen Schutzauftrags zuständig ist, besagt Artikel 57 Absatz 1 BV hingegen nicht. Die Norm bleibt in 54

55

56 57 58

U. Häfelin/W. Haller/H. Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Auflage, Zürich 2008, Rz. 1265, 1277; P. Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Auflage, Bern 2007, §25, Rz. 19; R. Schweizer/M. Mohler, Die polizeilichen Ausgleichsmassnahmen des Bundes und der Kantone nach dem Wegfall der Personenkontrollen an der Landesgrenze in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 124.

H.G. Nussbaum, Möglichkeiten der Übertragung kantonaler Aufgaben auf den Bund am Beispiel der Polizeivereinbarungen der Grenzkantone mit dem Grenzwachtkorps, in: Leges 2002/2; R. Rhinow, Grundzüge des Schweizerischen Verfassungsrechts, Basel, Genf, München 2003, Rz. 844; U. Abderhalden, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 48, Rz. 35.

BBl 2004 659 f.

Art. 48 Abs. 2 BV besagt, dass sich der Bund «im Rahmen seiner Zuständigkeiten» an Verträgen zwischen Kantonen beteiligen könne.

Art. 57 BV steht in der BV im 2. Kapitel (des 3. Titels) «Zuständigkeiten».

4485

dieser Hinsicht unbestimmt und programmatisch.59 Artikel 57 Absatz 1 BV ist somit keine kompetenzbegründende Bestimmung und kann nicht als Verfassungsgrundlage für ein Tätigwerden des Bundes auf dem Gebiet der inneren Sicherheit herangezogen werden. Vielmehr muss eine andere ausdrückliche oder implizite Verfassungsnorm die Befugnisse des Bundes im Bereich der Sicherheit umschreiben, damit der Bund auf diesem Gebiet legiferieren oder sonstwie tätig werden kann. Wo keine solche Kompetenzzuweisung vorliegt, kommen primär die Kantone zum Zug.

2.2.3.2

Tragweite von Artikel 57 Absatz 2 BV

Nach Artikel 57 Absatz 2 BV müssen der Bund und die Kantone ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit koordinieren. Diese Bestimmung verankert somit eine Koordinationspflicht; eine explizite Kompetenzzuweisung an den Bund enthält sie hingegen nicht. Sinn und Tragweite von Artikel 57 Absatz 2 BV sind bislang nicht abschliessend geklärt worden. Es ist unklar, inwieweit die Koordinationspflicht über die allgemeine Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Sinne von Artikel 44 BV hinausgeht, und ob die Norm auch eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes einschliesst. In der Lehre wird diese Frage bislang mehrheitlich eher verneint.60 Der Bundesrat hat die Frage jedoch verschiedentlich positiv beantwortet.61, 62 Nach Auffassung des Bundesrates begründet Artikel 57 Absatz 2 BV nicht bloss eine Koordinationspflicht; die Verfassungsbestimmung hat zudem ­ wenn auch in einem eng begrenzten Sinn ­ kompetenzbegründenden Charakter. Würde es sich bei Artikel 57 Absatz 2 BV lediglich um eine Verpflichtung zum Zusammenwirken und zur Koordination bei der Aufgabenerfüllung handeln, so hätte Artikel 57 Absatz 2 BV keine eigenständige Bedeutung, ist doch dieses Grundprinzip der bundesstaatlichen Organisation bereits in Artikel 44 BV enthalten.

Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Zusammenhang mit der in Artikel 57 Absatz 2 BV statuierten Koordinationspflicht ist allerdings nur dann gegeben, wenn es sich um Sicherheitsbelange handelt, die mindestens teilweise in die Zuständigkeit des Bundes fallen und die aus dessen Sicht eine Koordination unter Einbezug oder Leitung des Bundes erfordern. Bei jüngeren Gesetzesvorhaben63 hat der Bundesrat seine Praxis dahingehend präzisiert, dass die Zuständigkeit des Bundes in solchen Fällen nicht bloss marginale Bedeutung haben dürfe. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann der Bund in Ausübung der auf Artikel 57 Absatz 2 BV gestützten Gesetzgebungskompetenz auch Belange regeln, die an sich in den Zuständigkeitsbereich der Kantone fallen. Nur in diesem engen Sinn ist die Bestimmung für den Bund kompetenzbegründend.64

59 60 61 62 63 64

Siehe R.P. Müller, Innere Sicherheit Schweiz, Rechtliche und tatsächliche Entwicklungen im Bund seit 1848, Thesis Verlag, Egg b. Einsiedeln, 2009, S. 419 mit Verweisen.

Zu den Lehrmeinungen s. unten Ziffer 3.1.1.

Vgl. die unten unter Ziffer 2.2.5 aufgeführten Beispiele.

Zur Kritik an dieser Praxis s. unten Ziffer 3.1.

Siehe erläuternder Bericht zum Vorentwurf Polizeiaufgabengesetz.

Siehe dazu auch Ziffer 3.1.1.

4486

2.2.3.3

Explizite Kompetenzgrundlagen des Bundes

Im Bereich der inneren Sicherheit kommen dem Bund nach dem Gesagten lediglich Teilzuständigkeiten zu. Die BV enthält diverse Normen, die dem Bund ausdrücklich Gesetzgebungskompetenzen in sicherheitsrelevanten Sachgebieten zuweisen. Dazu gehören die Bestimmungen über den Armeeeinsatz zum Schutz der inneren Sicherheit (Art. 60 BV in Verbindung mit Art. 58 BV), über den Zivilschutz (Art. 61 BV), über Waffen und Kriegsmaterial (Art. 107 BV) und über das Strafrecht (Art. 123 BV). Der Bund verfügt in diesen Bereichen über eine umfassende, nicht auf die Grundsatzgesetzgebung beschränkte Regelungsbefugnis.

2.2.3.4

Implizite Kompetenzgrundlagen des Bundes

Massgebend für die Frage, ob die Bundesverfassung dem Bund eine Kompetenz zuweist, ist nicht allein der Verfassungstext. Neben den darin ausdrücklich genannten Kompetenzen bestehen implizite Kompetenzen des Bundes. Zu den impliziten Kompetenzen gehören einerseits Kompetenzen, die zwar nicht ausdrücklich in der Verfassung verbrieft sind, die jedoch mit expliziten Kompetenzen aufs Engste verbunden oder unausweichlich sind, um dem Bund die Erfüllung der ihm explizit zugewiesenen Aufgaben zu ermöglichen. Die Bundesverfassung enthält diverse Bestimmungen, die dem Bund umfassende Gesetzgebungskompetenzen einräumen und ihn damit ermächtigen, in solchen sektoriellen Gesetzgebungen auch Belange der Sicherheit zu regeln. Sicherheitsrelevante Teilzuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs finden sich namentlich im Bereich des Strassen65-, Eisenbahn-, Seilbahn-, Schifffahrts- und Luftverkehrs66 und gestützt auf die Zollhoheit des Bundes.67 Andererseits zählen zu den impliziten Kompetenzen solche, die sich aus der Existenz des Staates ergeben und die sinnvollerweise dem Bund zukommen müssen (sogenannte inhärente Kompetenzen). So gilt es als inhärente Kompetenz des Bundes, im Innern und im Äussern die notwendigen Massnahmen zu seinem eigenen Schutz bzw. zum Schutz seiner Institutionen und Organe zu treffen. Diese Zuständigkeit fällt dem Bund wegen seiner Staatlichkeit als notwendige primäre Staatsaufgabe zu und ist im Bestand des schweizerischen Gemeinwesens als solchem begründet.68 Auf die inhärente Kompetenz des Bundes stützt sich insbesondere das BWIS, welches überwiegend staatsschützerische Belange regelt, aber z.B. auch der Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die polizeilichen Aufgaben des Bundes.69 Die ungeschriebene Verfassungsnorm kann auch als Verfassungsgrundlage für einzelne sicherheitsrelevante Bestimmungen in anderen Erlassen herangezogen werden, so z.B. für die Vorschriften über die Ausübung des Hausrechts in Artikel 62f Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz70 und Artikel 69 Parlamentsgesetz71.

65 66 67 68 69 70 71

Art. 82 BV Art. 87 BV Art. 133 BV BGE 117 Ia 202 mit Verweisen; A. Auer/G. Malinverni/M. Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Bd. I, Bern 2006, S. 348, Rz. 992.

PolAG, Vorentwurf vom November 2009, S. 95.

RVOG, SR 172.010 ParlG, SR 171.10

4487

Die Existenz von ungeschriebenem Verfassungsrecht gilt in der Verfassungslehre als gesichert. Es gibt aber auch kritische Stimmen: In Zusammenhang mit der im Rahmen der Bahnreform 272 präsentierten Vorlage «Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr» wurde namentlich seitens der Kantone die (implizite) Kompetenz des Bundes zum Erlass von transportpolizeilichen Vorschriften bestritten.

2.2.3.5

Zuständigkeit des Bundes zum Schutz der verfassungsmässigen Ordnung der Kantone nach Artikel 52 BV (eidgenössische Intervention)

Dem Bund kommt gegenüber der primären Zuständigkeit der Kantone im Bereich der inneren Sicherheit eine subsidiäre Zuständigkeit gestützt auf Artikel 52 Absatz 2 BV zu. Diese Norm bestimmt, dass der Bund die verfassungsmässige Ordnung der Kantone schützt und eingreift, wenn die Ordnung in einem Kanton gestört oder bedroht ist und der betroffene Kanton sie nicht selber oder mit Hilfe anderer Kantone schützen kann. Der Bund hat demnach erst dann im Interesse des betroffenen Kantons zu intervenieren, wenn dessen eigenen Kräfte und die angeforderte Unterstützung durch die anderen Kantone nicht ausreichen. Bei der eidgenössischen Intervention handelt es sich um eine Kompetenz des Bundes, die auch gegenüber der Beistandspflicht der Kantone untereinander subsidiär ist. Voraussetzung für die Bundesintervention ist eine Störung oder Bedrohung der verfassungsmässigen Ordnung; angesichts der für die Kantone sehr einschneidenden, als ultima ratio eingesetzten Massnahme muss die Störung äusserst bedrohlich und ernsthaft sein.73 Die Massnahme hat ausserordentlichen Charakter und ist nicht mit subsidiären Einsätzen der Armee nach Artikel 58 Absatz 2 BV zu verwechseln. Wenn eine eidgenössische Intervention mittels der Armee erfolgt, handelt es sich um Ordnungsdienst74 (Art. 83 MG).

2.2.3.6

Zuständigkeit des Bundes bei engen Bezügen zu den auswärtigen Angelegenheiten nach Artikel 54 BV

Die Bundesverfassung weist in Artikel 54 BV die Verantwortung für die auswärtigen Angelegenheiten dem Bund zu. Es handelt sich um eine allgemeine und umfassende Bundeskompetenz. Diese verschafft dem Bund ­ neben der Staatsvertragskompetenz ­ auch eine Verfassungsgrundlage für rechtsetzende innerstaatliche Akte75, wenn enge Bezüge zu den auswärtigen Angelegenheiten bestehen.76 Dabei gilt es zu beachten, dass der Bund bei der Untätigkeit eines Kantons die völkerrechtliche Haftung trägt, insbesondere wenn die Schweiz durch dieses Versäumnis völ72 73

74 75 76

Zusatzbotschaft zur Bahnreform 2, BBl 2007 2681.

Seit 1848 erfolgten lediglich rund ein Dutzend Bundesinterventionen, im 20. Jahrhundert ausserhalb der Grenzbesetzung 1914­1918 und des Aktivdienstes 1939­1945 nur eine, nämlich 1932 in Genf.

B. Ehrenzeller, St. Galler Kommentar zu Art. 52 BV, Rz. 17.

P. Mahon, Petit Commentaire de la Constitution fédérale, p. 460, N 5; B. Ehrenzeller, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 54, Rz. 15.

R. Schweizer/G. Küpfer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Vorbemerkungen zur Sicherheitsverfassung, S. 1052 f., Rz. 12.

4488

kerrechtliche Verpflichtungen verletzt. Geht es um völkerrechtliche Verpflichtungen können zudem die Versäumnisse eines Kantons eine nicht unerhebliche Wirkung auf die Aussenpolitik der Schweiz und somit auf die entsprechenden Kompetenzen des Bundesrates nach Artikel 54 BV haben.

Eine extensive Auslegung von Artikel 54 BV zur Begründung einer Bundeskompetenz im Bereich der inneren Sicherheit ist allerdings nicht zulässig. Entsprechend muss ein enger Bezug zu den auswärtigen Angelegenheiten bestehen, damit eine Kompetenzgrundlage im Bereich der inneren Sicherheit gegeben ist. Ist letzteres der Fall, so verfügt der Bund mit Artikel 54 Absatz 1 BV über eine ­ subsidiäre ­ Kompetenzgrundlage, um auch im Bereich der inneren Sicherheit legislativ tätig zu werden.77

2.2.3.7

Aus der Organzuständigkeit abgeleitete Kompetenzen des Bundes

Den Organen des Bundes stehen Möglichkeiten offen, direkt gestützt auf die Verfassung Massnahmen zu ergreifen:

2.2.3.7.1

Massnahmen, die vom Bundesrat getroffen werden können

Artikel 184 Absatz 3 sowie 185 Absatz 3 BV sehen vor, dass der Bundesrat verfassungsunmittelbar Verfügungen und befristete Verordnungen erlassen kann, wenn bestimmte Umstände dies erfordern. In Artikel 184 Absatz 3 BV wird dabei Bezug auf das Landesinteresse genommen («Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen. Verordnungen sind zu befristen.»), während Artikel 185 Absatz 3 BV mit einer wesentlich präziseren Formulierung die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Verfassungsnorm definiert («Der Bundesrat kann, unmittelbar gestützt auf diesen Artikel, Verordnungen und Verfügungen erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen. Solche Verordnungen sind zu befristen.»). Die Verordnungen können gesetzesvertretenden oder gesetzesergänzenden Charakter haben, müssen aber notwendig, zeitlich dringend, durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt und verhältnismässig sein.78 Die beiden Bestimmungen unterscheiden sich trotz ihrer inhaltlichen Nähe durch den unterschiedlichen Anwendungsbereich; während bei Artikel 185 Absatz 3 BV vor allem polizeirechtliche Massnahmen im Vordergrund stehen, liegt der Schwerpunkt bei Artikel 184 Absatz 3 BV auf Massnahmen, die aussenpolitisch motiviert sind. Solche Massnahmen sind oft weniger klar fassbar als jene, die dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen. Dem Element der politischen Einschätzung einer Massnahme durch den Bundesrat kommt daher bei Artikel 184 Absatz 3 77 78

Vgl. in diesem Zusammenhang auch unten Ziffer 3.2.3.4.

Für die Geltungsdauer der gestützt auf die Organzuständigkeit des Bundes erlassenen Verordnungen und Verfügungen vgl. Art. 7c­7e Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG; SR 172.010).

4489

BV ein grösseres Gewicht zu als bei Artikel 185 Absatz 3 BV, dessen Anwendungsbereich schon vom Wortlaut her wesentlich enger gesteckt ist. In der Praxis wird Artikel 184 Absatz 3 BV denn auch so verstanden, dass dem Bundesrat ein erheblicher Spielraum zukommt, um die aussenpolitischen Interessen der Schweiz möglichst umfassend wahren zu können. Demgegenüber lässt sich Artikel 185 Absatz 3 BV als Rechtsgrundlage für Massnahmen des Bundesrates ausschliesslich dann heranziehen, wenn die ordentlichen staatlichen Problembewältigungsmechanismen nicht (mehr) funktionieren. Die Norm ist nur dann anwendbar, wenn die üblichen staatlichen Mittel versagen und bereits eingetretene oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der Öffentlichkeit nicht anders begegnet werden kann.79 Aufgrund des Ausnahmecharakters von Artikel 185 Absatz 3 BV darf von dieser Zuständigkeit somit nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Da die Bestimmung nur für ausserordentliche Fälle geschaffen wurde, kann sie nicht als Grundlage für eine generelle und dauernde Zuständigkeit des Bundesrates im Bereich der inneren Sicherheit angerufen werden.

Weist ein Sachverhalt, der ein sofortiges und dringliches Tätigwerden des Bundesrates erfordert, sowohl innen-, als auch aussenpolitische Aspekte auf, ist eine Abstützung der zu erlassenden Verordnung oder Verfügung auf beide Verfassungsnormen denkbar. So hat der Bundesrat die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen80, 81 mit Berufung auf Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 BV erlassen.

2.2.3.7.2

Massnahmen, die von der Bundesversammlung getroffen werden können

Nach Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV kann auch die Bundesversammlung bei Vorliegen ausserordentlicher Umstände Massnahmen zur Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit treffen; die Verfassung weist ihr für solche Fälle die Kompetenz zu, Verordnungen oder einfache Bundesbeschlüsse zu erlassen. Auch für das Parlament gelten die für die Artikel 184 und 185 BV entwickelten Grundsätze, so dass bei der Anwendung von Artikel 173 Absatz 1 BV ebenfalls Zurückhaltung geboten ist.

79

80 81

Vgl auch K. Eichenberger, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1847, Aubert/Eichenberger/Müller/Rhinow/Schindler (Hrsg.), Basel/Zürich/Bern 1987­1996, Art. 102, Rz. 150.

SR 122 Die mittlerweile drei Mal verlängerte Verordnung des Bundesrates soll durch eine auf Art. 173 Abs. 1 Bst. c BV basierende Verordnung der Bundesversammlung abgelöst werden; vgl. Botschaft zur Verordnung der Bundesversammlung über das Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen, BBl 2011 4495.

4490

2.2.4

Kompetenzverteilung beim Abschluss und bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge

2.2.4.1

Kompetenzverteilung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge

2.2.4.1.1

Kompetenzen des Bundes

Nach Artikel 54 Absatz 1 BV sind die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes. Gemäss der Praxis der Bundesbehörden, die in der Lehre heute nicht mehr umstritten ist, erstreckt sich die Kompetenz des Bundes zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf alle Bereiche, einschliesslich jener, für die nach innerstaatlichem Recht die Kantone zuständig sind, wie die Polizei, die Kultur oder das Steuerrecht.

Im Bereich der völkerrechtlichen Verträge gilt somit der Grundsatz, dass der Bund Verträge über beliebige Gegenstände abschliessen kann, unabhängig davon, ob diese nun in die eidgenössische oder in die kantonale Gesetzgebungskompetenz fallen82.

Die Kompetenz des Bundes im aussenpolitischen Bereich geht somit über seine Gesetzgebungskompetenz hinaus. Der Bund muss jedoch Rücksicht auf die Zuständigkeiten der Kantone nehmen und deren Interessen wahren (Art. 54 Abs. 3 BV).

Beim Abschluss von Verträgen, welche die kantonalen Gesetzgebungskompetenzen berühren, übt er deshalb grosse Zurückhaltung. Dies gilt zum Beispiel für Abkommen im Polizeibereich.83

2.2.4.1.2

Kompetenzen der Kantone

Die Kantone verfügen über eine subsidiäre Kompetenz zum Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen (Art. 56 BV), die den folgenden Bedingungen untersteht: ­

Der Vertrag muss in einem kantonalen Zuständigkeitsbereich abgeschlossen werden (Art. 56 Abs. 1 BV).

­

Er darf weder dem Recht und den Interessen des Bundes noch den Rechten anderer Kantone zuwiderlaufen (Art. 56 Abs. 2).

­

Vor dem Abschluss des Vertrags haben die Kantone den Bund zu informieren (Art. 56 Abs. 2 BV).

Eine vierte Bedingung ist zwar nicht in der Bundesverfassung verankert, ergibt sich aber aus der Praxis der Bundesbehörden und wird von der Lehre84 einstimmig anerkannt: Der Bund darf zum betreffenden Gegenstand nicht schon selbst einen völkerrechtlichen Vertrag abgeschlossen haben.

82 83

84

BBl 1994 II 624 Siehe unter anderem Botschaft vom 1. Februar 2006 zu den Abkommen mit Albanien und Mazedonien über die polizeiliche Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Kriminalität, BBl 2006 2177 2191 und Botschaft vom 24. November 1999 über verschiedene Vereinbarungen mit Deutschland sowie mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, BBl 2000 862 913.

Siehe insbesondere T. Pfisterer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 56, Rz. 26.

4491

2.2.4.2

Mitwirkungsrechte der Kantone

Artikel 55 BV räumt den Kantonen die Möglichkeit ein, ihre Interessen beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags selbst zu vertreten, indem ihnen das Recht gewährt wird, informiert zu werden, eine Stellungnahme abzugeben und an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mitzuwirken, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen. Das Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK)85 führt diese Bestimmung näher aus und legt die Pflichten des Bundesrates bei der Anhörung der Kantone fest. So zieht der Bund bei aussenpolitische Vorhaben, die die Zuständigkeiten der Kantone berühren, für die Vorbereitung der Verhandlungsmandate und in der Regel auch für die Verhandlungen Vertreterinnen und Vertreter der Kantone bei (Art. 5 BGMK). Die Spezialgesetzgebung kann für den Bundesrat weitere Konsultationspflichten vorsehen.

2.2.4.3

Kompetenzverteilung bei der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge

Während für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge besondere Zuständigkeitsregeln gelten86, erfolgt die Umsetzung dieser Verträge nach den üblichen Regeln der Kompetenzverteilung. Tritt somit der Bund einem völkerrechtlichen Vertrag bei, dessen Gegenstand in die Zuständigkeit der Kantone fällt, darf er nicht gestützt auf diesen Vertrag die nötigen Vollzugsbestimmungen erlassen. Diese Aufgabe kommt den Kantonen zu. Artikel 7 BGMK sieht überdies vor, dass die Kantone die erforderlichen Anpassungen rechtzeitig vornehmen müssen, soweit die Umsetzung des internationalen Rechts in ihre Zuständigkeit fällt. Liegt der Gegenstand des Vertrags hingegen in der Kompetenz des Bundes, ist dieser berechtigt, ihn umzusetzen. Die Kantone ihrerseits sind verpflichtet, die vom Bund abgeschlossenen Verträge in ihrer Gesetzgebung umzusetzen und zu erfüllen, wie dies auch bei der Bundesgesetzgebung der Fall ist. Bei längerer Untätigkeit eines Kantons kann der Bund, der völkerrechtlich für die Nichterfüllung des Vertrags haftet, im Rahmen der Bundesaufsicht anstelle des säumigen Kantons die gebotenen Massnahmen treffen.

2.2.5

Innere Sicherheit unter dem Blickwinkel der NFA

Die im Rahmen der Föderalismusreform an die Hand genommene NFA strebt eine Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung im Gefüge der bundesstaatlichen Aufgabenerfüllung an.87 Kompetenzen und Zuständigkeiten in der Aufgabenerfüllung sollen ­ wo möglich und sinnvoll ­ integral der einen oder anderen Staatsebene zugeordnet werden. Dabei wird eine möglichst weitgehende Übereinstimmung von Nutzniessern sowie von Kosten- und Entscheidungsträgern angestrebt (Prinzip der fiskalischen Äquivalenz). Als weiterer wichtiger Grundsatz für eine zweckmässige bundesstaatliche Aufgabenzuordnung im Sinne der NFA gilt das Subsidiaritätsprin85 86 87

SR 138.1 Art. 166 Abs. 2 BV, Art. 24 Abs. 2 Parlamentsgesetz, Art. 7a Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz.

Vgl. Botschaft zur Neuausgestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen; BBl 2002 2299

4492

zip (Art. 5a BV). Dieses besagt, dass die übergeordnete Staatsebene nur dann eine Aufgabe übernehmen soll, wenn diese von der untergeordneten Staatsebene nicht auf effiziente und wirksame Weise erfüllt werden kann. Damit soll einerseits die Eigenstaatlichkeit der Kantone gestärkt werden; andererseits ist damit die Erwartung verbunden, dass der Bund sich vermehrt seinen eigentlichen nationalen Aufgaben widmen und in denjenigen Bereichen materiell und finanziell Einfluss nehmen kann, die einer einheitlichen Regelung bedürfen. Die NFA verspricht Kostentransparenz und eine effizientere Verwendung der öffentlichen Mittel.

Als einer der wichtigen Pfeiler der NFA gilt die interkantonale Zusammenarbeit: Aufgaben sollen vermehrt auf interkantonaler Ebene erfüllt werden. Die Zusammenarbeit kann erzwungen werden, indem der Bund einen interkantonalen Vertrag auf Antrag einer bestimmten Anzahl von Kantonen allgemeinverbindlich erklären oder den Beitritt einzelner Kantone anordnen kann (Art. 48a BV).

Bei der Umsetzung der NFA wurde der Bereich der inneren Sicherheit nicht in das Massnahmenpaket einbezogen. Zur Begründung wurde angeführt, die Polizeihoheit obliege im Wesentlichen den Kantonen, während der Bund lediglich Teilbereiche der inneren Sicherheit abdecke. Eine Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung dränge sich daher nicht auf. Im Weiteren wurde geprüft, ob sich die Aufnahme von polizeilichen Aufgaben in den Katalog der Bereiche mit interkantonaler Zusammenarbeit gemäss Artikel 48a BV eignen würde. Auch diese Option wurde indessen verworfen.

Diese beiden Punkte müssen jedoch zu gegebener Zeit neu geprüft werden, falls die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit Gegenstand einer neuen Regelung auf Verfassungsebene werden sollte.

2.2.6

Gesetzgebungspraxis des Bundes im Bereich der inneren Sicherheit ­ aktuelle Beispiele

Obwohl der Schwerpunkt der bundesrechtlichen Zuständigkeiten bei der auswärtigen Sicherheitspolitik liegt, hat der Bund im letzten Jahrzehnt eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen erlassen oder revidiert, die Fragen der inneren Sicherheit regeln. Die nachfolgende Darstellung bietet einen Überblick über die seit Inkrafttreten der neuen Verfassung erlassenen bzw. geänderten sicherheitsrelevanten Gesetze und Verordnungen.

2.2.6.1

Zollgesetz

Das neue Zollgesetz vom 18. März 200588 regelt die Überwachung und die Kontrolle des Personen- und Warenverkehrs über die Zollgrenze, die Erhebung von (Zoll-) Abgaben sowie den Vollzug nichtzollrechtlicher Erlasse des Bundes und die Erfüllung von Aufgaben, soweit sie der Zollverwaltung obliegen (Art. 1 ZG). Die Zollverwaltung erfüllt zollrechtliche Aufgaben (Art. 94 ZG), nichtzollrechtliche Aufgaben (Art. 95 ZG) sowie sicherheitspolizeiliche Aufgaben (Art. 96 ZG).

Gemäss Artikel 96 ZG erfüllt die Zollverwaltung Sicherheitsaufgaben im Grenz88

SR 631.0

4493

raum in Koordination mit der Polizei des Bundes und der Kantone, um zur inneren Sicherheit des Landes und zum Schutz der Bevölkerung beizutragen. Es handelt sich dabei erstmals um einen sicherheitspolizeilichen Auftrag sowie einen Kooperationsauftrag an die Zollverwaltung.

Zugleich wird den Kantonen durch das ZG die Möglichkeit eingeräumt, einen Teil ihrer polizeilichen Aufgaben im Grenzraum mittels Vereinbarung an den Bund zu übertragen (Art. 97 ZG). Das Zollgesetz beruft sich im Ingress auf Artikel 57 Absatz 2 BV, Artikel 101, 121 Absatz 1 und 133 BV.

2.2.6.2

Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit

Kernpunkt der Teiländerung des BWIS89 vom 24. März 2006 (BWIS I) ist die Einführung von Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen. Die Bestimmungen wurden im Hinblick auf die sportlichen Grossanlässe EURO 08 und Eishockey-Weltmeisterschaft 2009, bei denen die Schweiz als Gastgeberland fungierte, im BWIS verankert. Die Gesetzesänderung sah in der ursprünglichen Fassung nebst der Schaffung einer Hooligan-Datenbank (HOOGAN) und einer Ausreisebeschränkung für Personen mit gewalttätigem Verhalten ein kaskadenartiges System von präventivpolizeilichen Massnahmen vor (Rayonverbot, Meldeauflage, Polizeigewahrsam). Die Verfassungsmässigkeit dieser Zwangsmassnahmen, die massgeblich auf Artikel 57 Absatz 2 BV abgestützt wurden, war umstritten, was der Bundesrat in seiner Botschaft selbst einräumte.90 Die Bestimmungen wurden daher mit der Zusicherung befristet, dass bis zum Ablauf der Befristung eine ausreichende, definitive Grundlage geschaffen werde. Dabei standen zwei Optionen zur Verfügung: eine Verfassungsänderung oder ein gesamtschweizerisches Konkordat. Das Parlament gab in der Folge der kantonalen Lösung den Vorzug, so dass die fraglichen Bestimmungen in das am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen überführt wurden. Seit der Teiländerung BWIS I stützt sich das BWIS auf Artikel 54 Absatz 1 und 57 Absatz 2 BV sowie auf die Zuständigkeit des Bundes zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft (inhärente Kompetenz des Bundes) ab.

2.2.6.3

Verordnung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund

Die am 1. Dezember 2007 in Kraft getretene Verordnung vom 31. Oktober 200791 über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund regelt die Mindestanforderungen, die private Sicherheitsunternehmen erfüllen müssen, damit sie für den Bund Sicherheitsaufgaben wahrnehmen dürfen. Sie gilt für alle Bundesbehörden, welche die Ausführung einer Schutzaufgabe an ein privates Sicherheitsunter-

89 90 91

SR 120 BBl 2005 5638 SR 124

4494

nehmen in der Schweiz oder im Ausland übertragen.92 Die Verordnung stützt sich auf Artikel 182 Absatz 2 BV ab.

2.2.6.4

Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme

Das BPI93 beschlägt einen wichtigen Teil der Polizeiarbeit: die Datenbearbeitung.

Mit Inkrafttreten des BPI im Jahre 2008 wurden die Rechtsgrundlagen der drei polizeilichen Datenbanken RIPOL (recherches informatisées de police), IPAS (informatisiertes Personennachweis-, Aktennachweis-, und Verwaltungssystem des Bundesamtes für Polizei) und JANUS (Informationssystem der Bundeskriminalpolizei) in einem Erlasse vereint und gleichzeitig aktualisiert. Im BPI wurde zudem die gesetzliche Grundlage für einen Nationalen Polizeiindex geschaffen, der den Informationsaustausch zwischen Bund und Kantonen wesentlich vereinfacht. Das BPI bildet aber auch die Grundlage für die Einrichtung des nationalen Teils des Schengener Informationssystems.94 Das BPI zieht nebst Artikel 173 Absatz 2 BV ebenfalls Artikel 57 Absatz 2 BV als Verfassungsgrundlage heran.

2.2.6.5

Zwangsanwendungsgesetz

Das 2009 in Kraft getretene ZAG95 regelt die einheitliche Anwendung von polizeilichem Zwang. Ursprünglich als Antwort auf die Forderung der Kantone gedacht, «sie beim Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen Personen aktiv zu unterstützen»,96 wurde der Anwendungsbereich des ZAG in der Folge über den Ausländer- und Asylbereich hinaus auf alle Aufgaben ausgedehnt, bei denen polizeilicher Zwang oder polizeiliche Massnahmen angewendet werden müssen. Dem Geltungsbereich des ZAG unterstehen die Bundesbehörden und in gewissen Fällen auch die kantonalen Behörden (im Bereich Ausländer- und Asylwesen, bei polizeilichen Aufgaben im Bereich der Bundesgerichtsbarkeit und bei Transporten von Personen mit Freiheitsbeschränkungen im Auftrag von Bundesbehörden). Für die Armee gilt das Gesetz nur, soweit sie im Inland Assistenzdienst für zivile Behörden des Bundes leistet. Für die Eidgenössische Zollverwaltung findet das ZAG Anwendung, sofern das Zollgesetz nichts anderes vorsieht. Private unterstehen dem ZAG, wenn sie von den Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben herangezogen werden.97 Das ZAG stützt sich auf Artikel 57 Absatz 2, 121 und 123 Absatz 1 BV.

92

93 94 95 96 97

Zum Gesetzesentwurf, der darauf ausgerichtet ist, die Tätigkeit von privaten Sicherheitsunternehmen zu regeln, die von der Schweiz aus im Ausland tätig sind, vgl. Ziffer 2.2.5.1.13 hiernach.

SR 361 Vgl. hierzu auch C. Linsi, Aktuelle Entwicklungen im Polizeirecht des Bundes, LeGes 2006/2.

SR 364 BBl 2006 2492 Art. 2 ZAG

4495

2.2.6.6

Bundesgesetz über die Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes

Das ZNDG98 hat eine organisatorische Neuregelung der Unterstellungsverhältnisse der zivilen Nachrichtendienste zum Inhalt. Nachdem seit längerer Zeit Mängel in der Zusammenarbeit der beiden zivilen Nachrichtendienste beklagt worden waren, wurden der Inlandnachrichtendienst (Dienst für Analyse und Prävention, DAP) und der Auslandnachrichtendienst (SND) einem einzigen Departement unterstellt. Dies bedingte u.a. eine Herauslösung des SND als zivilen Dienst aus dem Regelwerk der Militärgesetzgebung. Das in organisationsrechtlicher Hinsicht offen gefasste Gesetz lässt aber auch die Möglichkeit einer weitergehenden Zusammenlegung von SND und DAP zu. Der Bundesrat hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und durch die Zusammenführung von DAP und SND eine neue sicherheitspolitische Behörde, den NDB geschaffen. Abgestützt ist das ZNDG auf Artikel 54 Absatz 1 und 173 Absatz 2 BV. Das ZNDG ist Anfang 2010 in Kraft getreten.

2.2.6.7

Schengen-Informationsaustausch-Gesetz

Ebenfalls am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist das SIaG99. Der Erlass setzt den Rahmenbeschluss 2006/960/JI der Europäischen Union (EU) über die Vereinfachung des Datenaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden ins nationale Recht um. Zweck des Erlasses ist es, Informationen zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten vereinfacht auszutauschen. Das Gesetz enthält indessen keine materiellen Bestimmungen, sondern regelt lediglich die Modalitäten des Informationsaustauschs. Das SIaG zieht als Verfassungsgrundlagen Artikel 54 Absatz 1 und 123 Absatz 1 BV heran.

2.2.6.8

Videoüberwachungsverordnung ÖV

Am 1. Januar 2010 sind im Weiteren die neuen Gesetzesbestimmungen zur Videoüberwachung im öffentlichen Verkehr in Kraft getreten (vgl. Art. 16b Eisenbahngesetz100 und Art. 55 Personenbeförderungsgesetz101). Gestützt darauf hat der Bundesrat die VüV-ÖV102 erlassen. Die Verordnung gilt für alle Unternehmen mit einer Personenbeförderungskonzession oder -bewilligung oder mit einer Eisenbahninfrastrukturkonzession. Im Vergleich zur früheren Verordnung103 können die Videoaufzeichnungen wesentlich länger aufbewahrt werden, nämlich bis zu 100 Tage. Gleich geregelt wie bisher ist die Bekanntgabe der Aufzeichnungen. Diese dürfen nur den strafverfolgenden Behörden des Bundes und der Kantone oder den Behörden, bei denen die Unternehmen Anzeige erstatten oder Rechtsansprüche verfolgen, bekannt gegeben werden. Die Aufsicht liegt neu in allen Fällen der Videoüberwachung im

98 99 100 101 102 103

SR 121 SR 362.2 EBG; SR 742.101 PBG; SR 745.1 SR 742.147.2 AS 2003 4751; diese Verordnung galt nur für die SBB.

4496

öffentlichen Verkehr beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten.104

2.2.6.9

Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr

Am 1. Oktober 2011 ist das BGST105 in Kraft getreten, welches das über 130-jährige Bundesgesetz betreffend Handhabung der Bahnpolizei106 abgelöst hat. Das neue Gesetz und die dazugehörige Verordnung107 regeln detailliert die Befugnisse der Sicherheitsorgane. Die Ausübung dieser Befugnisse richtet sich nach dem ZAG. Die Sicherheitsorgane können aus einer Transportpolizei oder einem mit weniger Befugnissen ausgestatteten Sicherheitsdienst bestehen. Das BGST erlaubt die Übertragung von Aufgaben des Sicherheitsdienstes auf private Organisationen. Im Gegensatz zum früheren Recht darf die Transportpolizei nicht mehr auf Dritte übertragen werden. Zulässig bleibt aber, dass ein Transportunternehmen die Leistungen der Transportpolizei bei einem anderen Transportunternehmen bezieht. Das BGST regelt auch die Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane mit den Polizeibehörden.

Letztere können die Transportpolizei zu Einsätzen beiziehen, soweit die Einsatzplanung der Transportpolizei dies zulässt. Zu denken ist z.B. an Fan-Transporte bei Fussballspielen. Die Polizeibehörden müssen dabei der Transportpolizei die für deren Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen mitteilen. Die VST sieht vor, dass die bisherige Bahnpolizei bis zum 30. Juni 2012 in eine Transportpolizei im Sinne des BGST überführt werden muss. Das Gesetz stützt sich auf Artikel 57 Absatz 2, 87 und 92 BV.

2.2.6.10

Vorentwurf Teilrevision des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit

Die Gesetzesvorlage BWIS II «reduziert» enthält im Wesentlichen die unbestrittenen Teile der ursprünglichen Revisionsvorlage «BWIS II», die im Frühjahr 2009 vom Parlament an den Bundesrat zurückgewiesen worden war. Die Vorlage BWIS II «reduziert» beschränkt sich auf notwendige Anpassungen an die veränderte Organisations- und Rechtslage, die Schliessung einzelner Lücken und auf die Umsetzung von Empfehlungen der Aufsichtsbehörden. Die übrigen Bestimmungen der ursprünglichen Revisionsvorlage, namentlich die Einführung der umstrittenen «Besonderen Mittel der Informationsbeschaffung» sollen dem Parlament im Rahmen einer Gesamtkodifikation für die zivilen Nachrichtendienste (Nachrichtendienstgesetz) vorgelegt werden.

104

Vgl. Art. 16a Abs. 3 EBG, Art. 54 Abs. 3 PBG und Art. 6 Abs. 3 BGST. Vor Inkrafttreten dieser Bestimmungen lag die Aufsicht bei gestützt auf kantonale Erlasse vorgenommenen Videoüberwachungen im öffentlichen Verkehr bei den kantonalen Datenschutzbeauftragten.

105 SR 745.2 106 AS 3 422 und BS 7 27; AS 1958 335, 1986 1974 107 Verordnung über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr (VST; SR 745.21).

4497

2.2.6.11

Vorentwurf Polizeiaufgabengesetz

Mit der Schaffung eines Polizeiaufgabengesetzes soll die rechtssystematische Zersplitterung des Polizeirechts des Bundes überwunden werden, indem die heute in zahlreichen Erlassen verankerten Polizeiaufgaben des Bundes in einem einzigen Erlass zusammengefasst werden. Im Weiteren ist vorgesehen, bestehende Rechtsnormen präziser zu fassen und einzelne Rechtslücken zu schliessen. Schliesslich soll punktuell neues Recht geschaffen werden, so z.B. im Bereich der polizeilichen Informationsmittel und der Polizeikooperation (Formulierung eines Allgemeinen Teils). Auch enthält der Vorentwurf eine erweiterte Regelung im Bereich der Übertragung von Polizeiaufgaben des Bundes an private Sicherheitsunternehmen. Der Vorentwurf eines neuen Polizeiaufgabengesetzes vom November 2009 beruft sich auf Artikel 54 Absatz 1, 57 Absatz 2 und 123 Absatz 1 BV sowie auf die inhärente Zuständigkeit des Bundes zur Wahrung der inneren Sicherheit.

2.2.6.12

Vorentwurf Bundesgesetz über den ausserprozessualen Zeugenschutz

Im Jahr 2008 hat die Schweiz das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels vom 16. Mai 2005 unterzeichnet. Die geltende schweizerische Rechtsordnung erfüllt mit einer Ausnahme alle Anforderungen der Konvention; Umsetzungsbedarf besteht lediglich in Bezug auf Massnahmen zum ausserprozessualen Zeugenschutz. Mit dem ZeugSG sollen im Bundesrecht nun die staatlichen Strukturen und die Voraussetzungen für die Durchführung von Zeugenschutzprogrammen geschaffen werden. Der Entwurf eines Zeugenschutzgesetzes stützt sich auf die gleichen Verfassungsgrundlagen ab wie der Vorentwurf PolAG.

2.2.6.13

Vorentwurf Bundesgesetz über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen

Der Gesetzesentwurf ist darauf ausgerichtet, die Tätigkeit von privaten Sicherheitsunternehmen, die von der Schweiz aus im Ausland tätig sind, der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.108 Diese soll durch eine umfassende Meldepflicht gewährleistet werden. Im Weiteren sollen Söldnerfirmen in der Schweiz ganz verboten werden.

Neben der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten im Rahmen eines bewaffneten Konflikts sollen auch weitere Tätigkeiten von privaten Sicherheitsunternehmen im Ausland untersagt werden können, wenn sie gegen Schweizer Interessen verstossen. Der Entwurf basiert auf folgenden Verfassungsbestimmungen: Artikel 54 Absatz 1, 95 Absatz 1 und 173 Absatz 2 BV.

108

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die geltende Verordnung über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund, Ziffer 2.2.5.1.3.

4498

2.3

Aufgabenteilung und Aufgabenwahrnehmung im Sicherheitsbereich

2.3.1

Einleitung

Die aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung scheinbar statischen Aufgabenteilungen und Strukturen im Sicherheitsbereich werden in der Praxis durch ausführende Gesetze, Beschlüsse und Konkordatsvereinbarungen der Fachdirektorenkonferenzen und Vereinbarungen zwischen Bund und Kantonen konkretisiert, ergänzt und teilweise überlagert, so dass sich die Rechtslage in der Praxis komplex und unübersichtlich präsentiert.

Nachfolgend wird versucht, mit einer Darstellung der Aufgabenfelder im Bereich der inneren Sicherheit auch die Verflechtungen und Interdependenzen in der Aufgabenwahrnehmung aufzuzeigen. Ausgangspunkt für die Darstellung sind daher nicht die einzelnen Verwaltungsstellen und Organisationseinheiten, welche polizeiliche Aufgaben erfüllen, sondern die jeweiligen Aufgaben als solche. Diese themenfeldorientierte Darstellung wurde nicht zuletzt auch deshalb gewählt, weil angesichts des engen Zusammenwirkens der einzelnen Sicherheitsträger die Aufgliederung der Aufgaben nicht immer nach Bund und Kantonen getrennt erfolgen kann.

2.3.2

Einzelne Aufgabenfelder

2.3.2.1

Staatsschutz

2.3.2.1.1

Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen

Unter dem Begriff «Staatsschutz» ist der Schutz des Staates in seiner Existenz sowie der Schutz seiner Institutionen und Organe vor besonders schweren Gefährdungen zu verstehen.109 Mit den Organen des Staatsschutzes bekämpft der Staat Gefährdungen für die Sicherheit des Landes, die aufgrund ihres langfristigen strategischen Ausmasses zu massiven Störungen der Gesellschaft führen und den Fortbestand des Landes, seine freiheitliche Gesellschaftsordnung und seine demokratischen Institutionen gefährden können.110 Der Staatsschutz hat präventiven Charakter und umfasst daher ganz wesentlich nachrichtendienstliche Informationsaufgaben. Die nachrichtendienstlichen Nachforschungen bezwecken das frühzeitige Erkennen von politisch-ideologisch motivierten staatsgefährdenden Bestrebungen mit dem Ziel, Massnahmen zu deren Verhinderung und Bekämpfung treffen zu können. Die Hauptaufgabe der Nachrichtendienste besteht somit darin, eine führungsrelevante Nachrichtenlage für Entscheidungsträger aller Stufen zu schaffen, damit diese rechtzeitig Abwehrmassnahmen treffen können.

Die Bundesverfassung enthält keine Bestimmung, die dem Bund ausdrücklich eine Kompetenz im Staatsschutzbereich zuweist. Kompetenzen, die sich aus der Existenz der Eidgenossenschaft als Staat ergeben, fallen indessen auch dann in die Kompe109

A. Lobsiger, Weitere Aufgaben des zivilen Staatsschutzes, in: R.J. Schweizer (Hrsg.), Sicherheits- und Ordnungsrecht des Bundes, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Basel 2008, Bd. III/I, Rz. 81 ff.

110 Siehe dazu «Datenbearbeitung im Staatsschutzinformationssystem ISIS», Stellungnahme des Bundesrates vom 20. Oktober 2010 zum Bericht der GPDel der Eidgenössischen Räte, BBl 2010 7739.

4499

tenz des Bundes, wenn sie in der BV nicht ausdrücklich genannt werden (inhärente Kompetenz111). Der Bund kann Massnahmen zu seinem Schutz und zum Schutz seiner Organe und Institutionen treffen; er hat den Bestand des gesamtschweizerischen Gemeinwesens zu gewährleisten und zu sichern und für die Abwehr von Gefahren zu sorgen, die dieses Gemeinwesen existenziell bedrohen. Zu diesem Zweck kann der Bund auch gesetzgeberisch tätig werden. Das angesprochene Kriterium der gesamtschweizerischen Bedeutung einer Gefahr ist gerade hinsichtlich der präventivpolizeilichen Informationsbeschaffung und -bearbeitung offensichtlich. Die Dimension einer Störung oder die Relevanz einer Information zeigt sich vielfach erst dann, wenn in einzelnen Kantonen angefallene Informationen zusammengeführt und ausgewertet werden. Der Staatschutz umfasst sowohl Elemente der inneren wie der äusseren Sicherheit. In Bezug auf letztere verfügt der Bund gestützt auf Artikel 54 BV über eine allgemeine Kompetenz, die auch umfassende Rechtsetzungsbefugnisse beinhaltet. Für den Bereich des Staatsschutzes ergibt sich daher insgesamt eine praktisch ausschliessliche Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung.112 Den Kantonen verbleibt somit ­ ausser der Kompetenz zum Erlass der Vollzugsgesetzgebung ­ die Befugnis zur Regelung der Staatsschutztätigkeit auf ihrem Gebiet, sofern überhaupt kantonale Staatsschutzbedürfnisse vorhanden sind.

Gestützt auf seine Zuständigkeit hat der Bund das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit113 sowie das Bundesgesetz über die Zuständigkeit im Bereich der zivilen Nachrichtendienste114 erlassen. Das massgeblich die Vorschriften zur inneren Sicherheit enthaltende BWIS begrenzt den Aktionsradius der Staatsschutzorgane auf die Gebiete Terrorismus, gewalttätiger Extremismus, verbotener Nachrichtendienst und Handel mit Waffen, radioaktiven Materialien und sensibler Technologie (Proliferation).

Das BWIS regelt im Weiteren die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit. Nach den in Artikel 4 BWIS verankerten Grundsätzen sind in erster Linie die Kantone für die innere Sicherheit auf ihrem Gebiet verantwortlich. Sie leisten dem Bund Amts- und Vollzugshilfe, soweit dieser für die innere Sicherheit verantwortlich ist; namentlich die aktive Informationsbeschaffung
gehört zu den wichtigen Aufgaben der zuständigen kantonalen Behörden.

Artikel 5 Absatz 1 BWIS weist dem Bundesrat eine Leitungsfunktion im Bereich der inneren Sicherheit zu, die er wahrnimmt indem er unter anderem periodisch die Bedrohungslage beurteilt, die Informationsrechte und -pflichten festlegt und die Aufträge gegebenenfalls anpasst. Müssen bei der Erfüllung dieser Aufträge mehrere Kantone mitwirken oder ist Gefahr im Verzug, so kann der Nachrichtendienst des Bundes die Leitung übernehmen (Art. 7 Abs. 2 BWIS). Im 3. Abschnitt des BWIS wird die Aufgabenteilung zwischen den zuständigen Behörden des Bundes und der Kantone weiter konkretisiert: Der Nachrichtendienst des Bundes erteilt die Aufträge für die Beschaffung der Informationen und die Kantone beschaffen die Informationen, die sie aufgrund von Aufträgen des Bundes melden müssen (Art. 7 Abs. 4 und Art. 12 BWIS). Die Kantone unterstehen indessen einer weitergehenden Informationspflicht. Sie haben dem Nachrichtendienst des Bundes bestimmte, auf Verord111 112

Vgl. hierzu Ausführungen oben unter Ziffer 2.2.3.4.

Siehe auch A. Ruch, in: Thürer/Aubert/Müller, Verfassungsrecht der Schweiz, a.a.O., § 56, Rz. 34.

113 BWIS, SR 120 114 ZNDG, SR 121. Das ZNDG regelt auch Aspekte der äusseren Sicherheit und stützt sich daher zusätzlich auf Artikel 54 Absatz 1 BV ab.

4500

nungsebene aufgelistete Vorgänge und Feststellungen unaufgefordert zu melden; darüber hinaus erstatten sie dem NDB aber auch unaufgefordert Meldung, wenn sie konkrete Gefährdungen der inneren oder äusseren Sicherheit feststellen (Art. 12 BWIS). Die Bearbeitung der erhobenen Daten, die Zusammenführung und Auswertung der sicherheitspolitisch bedeutsamen Informationen sowie die Einleitung von Massnahmen, die sich gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse als nötig erweisen (Beurteilung der Bedrohungslage, Informierung der zuständigen Behörden im Inund Ausland, Vorschlagen von konkreten Massnahmen zur Eindämmung von Gefahren und Bedrohungen, Alarmierung der obersten Behörden bei schweren Gefährdungen, welche u.a. die Regierungstätigkeit beeinflussen können etc.),115 obliegt demgegenüber vornehmlich dem NDB.116

2.3.2.1.2

Kantonale Staatsschutzorgane

In den Kantonen bestehen spezielle Staatsschutzorgane, die in der Regel organisatorisch der Kriminalpolizei angehören. Der Nachrichtendienst des Bundes ist das Führungsorgan der kantonalen Staatsschutzorgane und erteilt diesen Aufträge im Rahmen des Staatsschutzes des Bundes. In der Schweiz existieren 27 kantonale Staatsschutzorgane (im Kanton Zürich je eines bei der Kantonspolizei und bei der Stadtpolizei Zürich). Die kantonalen Staatsschutzorgane handeln ­ wie oben aufgeführt ­ hauptsächlich in direktem Auftrag des NDB. Sie haben aber auch die Aufgabe, auf ihrem Territorium selbständig für den NDB Informationen zu beschaffen, die der inneren Sicherheit der Eidgenossenschaft dienlich sind.

2.3.2.1.3

Aufsicht über die Staatsschutzorgane

Auf der Stufe Bund wird die Aufsicht über den Nachrichtendienst des Bundes durch die Geschäftsprüfungsdelegation (Oberaufsicht, parlamentarische Kontrolle), die Verwaltungskontrolle durch die nachrichtendienstliche Aufsicht des VBS wahrgenommen (Art. 25 BWIS und Art. 31­34 Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes117).

In den Kantonen untersteht das Personal, das vom Kanton mit BWIS-Aufgaben betraut ist, dem kantonalen Dienstrecht und der kantonalen Dienstaufsicht (Art. 6 Abs. 3 BWIS). Die Dienstaufsicht obliegt denjenigen Stellen, die dem jeweiligen kantonalen Vollzugsorgan vorgesetzt sind (Art. 35 Abs. 1 V-NDB). Die Dienstaufsicht überprüft u.a., wie das Vollzugsorgan die vom Bund erteilten Aufträge erledigt (Art. 35 Abs. 3 Bst. c V-NDB). Der NDB seinerseits kontrolliert die Auftragserledigung der kantonalen Stellen, die BWIS-Aufgaben vollziehen (Art. 31 Abs. 2 V-NDB).

Über die kantonale parlamentarische Kontrolle schweigt sich das Bundesrecht aus; Artikel 25 BWIS enthält hierzu keine ausdrückliche Bestimmung, sondern verweist lediglich auf die Kompetenzen der Geschäftsprüfungsdelegation nach dem 115 116

Vgl. Art. 2 Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes (V-NDB); SR 121.1.

Zur Unterstützung des Nachrichtendienstes des Bundes durch das VBS vgl. Ausführungen unter Ziffer 2.3.2.3.5.3 und 2.3.2.3.5.4.

117 V-NDB; SR 121.1

4501

Geschäftsverkehrsgesetz (heute Parlamentsgesetz). Damit ist eine parlamentarische Kontrolle auf Kantonsebene aber nicht zwingend ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz, dass die kantonale Organisationsautonomie (Art. 47 Abs. 2 BV) auch bei der Umsetzung von Bundesrecht so weit wie möglich zu wahren ist. Soweit sich aus den bundesrechtlichen Staatsschutzerlassen nichts anderes ergibt, obliegt es dem kantonalen Recht, die Aufsicht einschliesslich der parlamentarischen Oberaufsicht zu regeln. Artikel 25 BWIS wurde indessen während Jahren als abschliessende Regelung interpretiert. Erst in jüngerer Zeit entstanden Diskussionen über die kantonale parlamentarische Kontrolle.118

2.3.2.1.4

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Staatsschutz eine Bundesaufgabe ist, soweit er internationale oder gesamtschweizerische Bedeutung hat, d.h.

über das Gebiet einzelner Kantone hinausreicht. Dem Bund kommt im Staatsschutzbereich eine koordinierende Leitungs- und Dienstleistungskompetenz zu.119 Die Tätigkeit der Kantone im Bereich des BWIS lässt sich im Wesentlichen als Vollzugstätigkeit bzw. Vollzugshilfe für den Bund umschreiben. Die Kosten für das kantonale Personal, das insbesondere im Bereich der Informationsbeschaffung tätig ist, trägt denn auch zu einem substanziellen Teil der Bund, indem er den Kantonen eine Pauschale ausrichtet (Art. 28 Abs. 1 BWIS). Diese bemisst sich nach der Anzahl der kantonalen Angestellten im jeweiligen Staatsschutzorgan. Zwar ist der Bund aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht verpflichtet, den Kantonen finanzielle Mittel für die Umsetzung und den Vollzug von Bundesrecht zur Verfügung zu stellen. In der Botschaft begründete der Bundesrat diese direkte Finanzierung von Umsetzungsaufgaben mit den von den Kantonen erhobenen Forderungen und der Notwendigkeit im Hinblick auf eine ordnungsgemässe Erfüllung der betreffenden Aufgaben.120

2.3.2.2

Sicherheits-, kriminal- und verwaltungspolizeiliche Aufgaben

Um das weite Feld der polizeilichen Aufgaben begrifflich einzugrenzen, werden für die nachstehende Darstellung die polizeilichen Hauptaufgaben in drei Kategorien (sicherheits-, kriminal- und verwaltungspolizeiliche Aufgaben) aufgeteilt und definiert. Die Begriffsumschreibungen lehnen sich an die Bezeichnungen im Entwurf Polizeiaufgabengesetz an, die sich ihrerseits wiederum auf die Begriffsbestimmungen in den kantonalen Polizeigesetzen abstützen. Es gilt allerdings zu beachten, dass eine klare Trennung von kriminal- und sicherheitspolizeilichen Aufgaben nicht immer möglich ist. Die Bereiche können sich situativ überlappen, namentlich wenn kriminalpolizeiliche Massnahmen auch gefahrenabwehrende Wirkung entfalten.

118 119

Vgl. hierzu Ziffer 3.2.5 Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und zur Volksinitiative «S.O.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei», BBl 1994 II 1127.

120 BBl 1994 II 1192 und 1199

4502

2.3.2.2.1

Sicherheitspolizeiliche Aufgaben

Sicherheitspolizei bedeutet primär Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die Beseitigung von Störungen. Zur Gefahrenabwehr gehört auch die Prävention. Zur Wahrnehmung ihrer sicherheitspolizeilichen Aufgaben ist die Polizei zur Anwendung von Zwang befugt; sie verfügt überdies über einen Katalog einzelner polizeilicher Massnahmen. In den Kantonen sind diese Massnahmen zentraler Inhalt der kantonalen Polizeigesetze; auf der Stufe Bund übernimmt deren Regelung das Zwangsanwendungsgesetz.

Aufgrund der verfassungsmässigen Kompetenzaufteilung verfügen die Kantone im Bereich der Sicherheitspolizei innerhalb ihrer Territorien über eine umfassende Zuständigkeit. Der Bund verfügt demgegenüber lediglich über sektorielle oder fragmentarische Zuständigkeiten, die sich aus expliziten oder impliziten (inhärenten121) verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisungen an den Bund ergeben.

Gestützt auf seine inhärente Kompetenz, im Innern und Äussern die notwendigen Massnahmen zu seinem eigenen Schutz sowie zum Schutz seiner Institutionen und Organe zu treffen, hat der Bund Vorschriften über den Schutz von Personen (Parlamentarierinnen und Parlamentarier, Magistratspersonen, besonders gefährdete Bundesangestellte) und von Bundesgebäuden erlassen. Die massgebenden Vorschriften über die Schutzpflichten des Bundes sind im BWIS geregelt.

2.3.2.2.1.1

Schutz von Personen und Gebäuden

Nach den Artikeln 22­24 BWIS sorgt das Bundesamt für Polizei in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden für den Schutz der Behörden und der Gebäude des Bundes. In den Schutzauftrag des Bundes eingeschlossen sind das Erstellen von Risikoanalysen und Gefährdungsbeurteilungen. Das Gesetz räumt dem Bundesrat aber die Befugnis ein, «andere geeignete Bedienstete» für die Schutzaufgaben einzusetzen oder bei Bedarf den Kantonen zur Verfügung zu stellen. Auch sieht Artikel 22 Absatz 2 BWIS die Möglichkeit des Einsatzes von privaten Schutzdiensten vor. In concreto wird die Sicherheit innerhalb der Bundesgebäude durch eigenes Personal gewährleistet, während ausserhalb der Bundesgebäude die örtlich zuständige Polizei damit beauftragt ist. Sind mehrere Stellen involviert, übernimmt der Bundessicherheitsdienst eine Koordinationsfunktion.122 Mit dem Kanton und der Stadt Zürich bestehen Verträge über die Durchführung von regelmässig wiederkehrenden oder dauernden Schutzaufgaben im Auftrag des Bundes. Die Kantone Bern und Genf erhalten je eine Pauschalabgeltung.

Im Bereich des Gebäudeschutzes setzt der Bund bei bundeseigenen Gebäuden als Inhaber des Hausrechts eigenes Personal ein. In diesem Zusammenhang gilt es auch den Schutz der Gebäude und Personen auf den Grenzübergängen zu erwähnen. Auf den Zollstellen wird dieser grundsätzlich durch das Grenzwachtkorps ­ als bereits

121 122

Vgl. hierzu oben Ziffer 2.2.3.4.

Art. 6 Abs. 1­3 Verordnung über das Sicherheitswesen in Bundesverantwortung (VSB), SR 120.72.

4503

vor Ort anwesende, bewaffnete und uniformierte Einheit ­ übernommen.123 Für die Gewährleistung des Schutzes des übrigen Eigentums des Bundes sind gemäss Artikel 23 Absatz 3 BWIS die Kantone zuständig.

2.3.2.2.1.2

Völkerrechtliche Schutzpflichten

Die Grundlagen für die völkerrechtlichen Schutzpflichten beruhen auf dem Völkerrecht.124 Diese verpflichten die Schweiz, für die Sicherheit der Personen mit diplomatischem und konsularischem Status sowie der entsprechenden Gebäude und Einrichtungen zu sorgen. Im innerstaatlichen Recht ist die Erfüllung dieser Schutzpflichten zum einen in Artikel 22 Absatz 1 BWIS geregelt; danach sorgt das Bundesamt für Polizei in Zusammenarbeit mit den Kantonen für den Schutz der Personen und Gebäude, für welche der Bund völkerrechtliche Schutzpflichten leisten muss. Die Tatsache, dass dem Bund völkerrechtliche Schutzpflichten obliegen, vermag indessen an der verfassungsmässigen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit nichts zu ändern. Es ist primär Sache der Kantone, auf ihrem Hoheitsgebiet auch die Sicherheit derjenigen Personen und Gebäude zu gewährleisten, die unter völkerrechtlichem Schutz stehen; der Beitrag des Bundesamtes für Polizei hat sich dabei auf eine beratende und koordinierende Funktion zu beschränken.125 Dies geht denn auch klar aus Artikel 24 BWIS hervor, der besagt, dass die Kantone in Absprache mit dem Bundesamt für Polizei die Massnahmen auf ihrem Gebiet treffen, die für die Wahrnehmung der Schutzpflichten der Schweiz erforderlich sind.

Nach Artikel 20 Buchstabe f des Gaststaatgesetzes126 kann der Bund die zuständigen Polizeibehörden beauftragen, zusätzlich zu den im Rahmen der völkerrechtlichen Schutzpflichten der Schweiz getroffenen Massnahmen, wie sie das BWIS vorsieht, weitere Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen. Entsprechend dem Wortlaut dieser Bestimmung und gemäss den Erläuterungen in der Botschaft zum GSG127 handelt es sich dabei um Massnahmen, welche die zuständigen Sicherheitsbehörden nicht in Bezug auf ein erhöhtes Risikos als gerechtfertigt betrachten, die sich aber aus politi123

124

125

126 127

Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass diese Aufgabe als Ordnungsdienst bezeichnet wurde. Es handelt sich dabei aber weder um einen Ordnungsdienst wie ihn die Armee kennt, noch um einen Ordnungsdienst im polizeilichen Sinn. Vielmehr geht es darum, dass im Falle einer Eskalation der Situation auf der Grenze die diensthabenden Grenzwächter ihren Grenzwachtdienst mit einer schwereren Bewaffnung und in einer schwereren Montur leisten, um den geordneten Vollzug der Aufgaben der Zollverwaltung sicher zu stellen bzw. nötigenfalls auch zum Schutz der Personen und Gebäude intervenieren zu können.

Droit international coutumier; Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD, SR 0.191.01), Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK, SR 0.191.02), Übereinkommen über Sondermissionen (SR 0.191.2), Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen (SR 0.351.5) und Sitzabkommen zwischen der Eidgenossenschaft und den in der Schweiz niedergelassenen Organisationen.

Siehe dazu Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und zur Volksinitiative Schweiz ohne Schnüffelstaat vom 7. März 1994, BBl 1994 II 1127: «Der Vollzug dieser Schutzpflichten ist ­ analog der Pflicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf ihrem Gebiet ­ Sache der Kantone.» Bundesgesetz über die von der Schweiz als Gaststaat gewährten Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen sowie finanziellen Beiträge (GSG); SR 192.12.

BBl 2006 8017

4504

schen Anforderungen angesichts internationaler Gepflogenheiten aufdrängen.

Gemäss Artikel 21 des Gaststaatgesetzes kann der Bund die Kantone im Übrigen für weitere im Rahmen des Schutzauftrags getroffene Massnahmen angemessen entschädigen, soweit die Kantone für die Massnahmen nicht aufgrund der verfassungsmässigen Kompetenzaufteilung zuständig sind.

In der Praxis erstellt der Bundessicherheitsdienst zum Schutz ausländischer Vertretungen und internationaler Organisationen wie auch zum Schutz völkerrechtlich zu schützender, ausländischer Besucher eine Gefährdungsanalyse und schlägt der zuständigen kantonalen Polizei die zu treffenden Schutzmassnahmen vor. Diese setzt die Massnahmen in eigener Verantwortung und mit eigenem Personal um.

Beim Schutz ausländischer Vertretungen werden die kantonalen Botschaftsschutzeinheiten der Kantone Bern und Genf indessen bis 2012128 durch Angehörige der Armee unterstützt (Armeeeinsatz «Amba Centro»). Der Einsatz wird durch Angehörige der Militärischen Sicherheit und Durchdienern der Infanterie geleistet. Wie der Schutz ausländischer Vertretungen nach 2012 sichergestellt werden soll, wird derzeit im Rahmen des Koordinations- und Konsultationsmechanismus Sicherheitsverbund Schweiz geprüft.129

2.3.2.2.2

Kriminal- und gerichtspolizeiliche Aufgaben

Als kriminal- oder gerichtspolizeiliche Aufgaben gelten diejenigen Polizeiaufgaben, die der Erkennung, Bekämpfung und Verfolgung begangener Straftaten dienen.

Solange sich die Tätigkeit der Polizei im Bereich der Vorermittlungen bewegt, gilt sie als kriminalpolizeilich. Sobald ein hinreichender Tatverdacht besteht, der die Eröffnung eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens erlaubt, erwachsen der Polizei gerichtspolizeiliche Funktionen, die sie nach den Regeln der Strafprozessordnung auszuüben hat.

Artikel 123 Absatz 1 BV weist die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts dem Bund zu, für die Strafverfolgung sind jedoch gemäss Artikel 123 Absatz 2 BV die Kantone zuständig, soweit gesetzlich nichts anderes vorgesehen ist. Die Strafverfolgung kann somit zur Hauptsache als Domäne der Kantone bezeichnet werden. Der Umfang der Bundesgerichtsbarkeit richtet sich nach Artikel 22­27 der Strafprozessordnung.130 Die dem Bund unterstellten strafbaren Handlungen umfassen das Gebiet des organisierten Verbrechens, der Terrorismusbekämpfung und der Bekämpfung von Geldwäscherei und Korruption sowie von weiteren Bereichen der Fiskal- und Wirtschaftskriminalität. Darüber hinaus unterliegen ­ grob umrissen ­ diejenigen Delikte der Strafverfolgung des Bundes, die sich gegen die Sicherheit des Landes, der Einrichtungen und Funktionen des Staates sowie gegen die Allgemeinheit richten.131 Der Umfang der Bundesgerichtsbarkeit gibt zugleich den Rahmen vor, innerhalb dessen die Organe des Bundes ihre Aufgaben als Kriminal- oder als Gerichtspolizei ausüben dürfen. Entsprechend ist der kriminalpolizeiliche Aufgabenbereich des Bundes fokussiert auf die Früherkennung des organisierten und international tätigen Verbrechens. Die Tätigkeit der

128 129 130 131

BBl 2007 4885 ff.

Vgl. Ziffer 1.2.2.6 StPO; SR 312.0 Vgl. dazu unten Ziffer 2.3.2.8 ff.

4505

durch Gesetz132 und Staatsverträge geschaffenen kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes beinhaltet im Wesentlichen die Erkennung und Bekämpfung der komplexen und oft grenzüberschreitenden Phänomene der Schwerstkriminalität durch Erhebung von Informationen aus dem In- und Ausland, die Koordination von interkantonalen und internationalen Ermittlungen sowie die Sicherstellung des nationalen und internationalen Informationsaustausches. In Erfüllung dieser letztgenannten gesetzlichen Aufgaben geht die Tätigkeit der kriminalpolizeilichen Zentralstellen über die strafrechtliche Bundesgerichtsbarkeit hinaus (vgl. hierzu unten Ziff. 3.2.3.4).

Im kriminalpolizeilichen Bereich ist seit 2001 auch die beim Bundesamt für Polizei angesiedelte Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) tätig. Die Koordinationsstelle wird von Bund und Kantonen gemeinsam betrieben; als rechtliche Grundlage dient eine Vereinbarung zwischen Bund und Kantonen.

Finanziert wird die Koordinationsstelle zu zwei Dritteln durch die Kantone und zu einem Drittel durch den Bund. KOBIK stellt die Koordination und Information im Bereich der Internetkriminalität sicher und dient als nationale Anlaufstelle für Personen, die verdächtige Internetinhalte melden möchten. Die Meldungen werden nach Überprüfung durch die Koordinationsstelle an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland weitergeleitet, wenn sich Hinweise auf strafrechtsrelevante Tatbestände ergeben haben. KOBIK sucht aber auch aktiv im Internet nach strafrechtlich relevanten Inhalten, darunter z.B. im Bereich der Kinderpornographie und der Wirtschaftskriminalität (Kreditkartenbetrug, E-Mail-Pishing, illegaler Datenerwerb, Geldwäscherei usw.).

In ihrer Eigenschaft als Gerichtspolizei führen die Polizeiorgane des Bundes und der Kantone bei Strafverfahren, die in ihre jeweilige Zuständigkeit fallen, die gerichtspolizeilichen Ermittlungen durch und wirken bei Rechtshilfeersuchen des Auslandes mit. Die gerichtspolizeilichen Aufgaben sind in der StPO abschliessend geregelt.

Um im Rahmen von Straf- und Rechtshilfeverfahren die Aufträge der Bundesanwaltschaft und des Bundesamtes für Justiz wie namentlich Zielfahndungen oder Festnahmen von Personen mit erhöhter Gewaltbereitschaft wahrnehmen zu können, wurde im Jahr 2002 eine hierfür spezialisierte Interventionseinheit des Bundes (Einsatzgruppe «Tigris»133) gebildet.

2.3.2.2.3

Verwaltungspolizeiliche Aufgaben

Ein drittes polizeiliches Aufgabengebiet ist die Verwaltungspolizei. Als verwaltungspolizeilich wird die Abwehr von Gefährdungen zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit und anderer Polizeigüter durch den Einsatz verwaltungsrechtlicher Mittel verstanden. Wird der Schutz von Polizeigütern durch verwaltungsrechtliche Instrumente gesichert, fallen die Gesetzgebungsbefugnisse jeweils derjenigen staatlichen Ebene zu, welche für den betreffenden Regelungsbereich sachlich zuständig ist. So ist beispielsweise der Erlass gesundheitspolizeilicher 132 133

Bundesgesetz über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes, ZentG; SR 360.

Nachdem im Jahr 2009 in den Medien Zweifel an der Gesetzmässigkeit der Einsatzgruppe Tigris erhoben worden waren, befand die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates in seinem Bericht «Überprüfung der Einsatzgruppe Tigris» vom 26. November 2009, dass die Tätigkeit der Einsatzgruppe auf genügenden gesetzlichen Grundlagen basiert (BBl 2010 2391).

4506

Massnahmen primär Sache der Kantone, weil nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung hauptsächlich die Kantone für den Schutz der Gesundheit zuständig sind.

Die Aufgaben der Verwaltungspolizei, die in weiten Teilen mit dem traditionellen Begriff «gewerbepolizeilich» bezeichnet werden können, finden sich in den zahlreichen Spezialgesetzen des Bundes und der Kantone aus praktisch der gesamten Bandbreite staatlicher Aufgaben, so z.B. in den Bereichen Gesundheit, Bau, Gewerbe, Tier- und Naturschutz, Waffen und anderen mehr.

Zu den verwaltungspolizeilichen Aufgaben des Bundes mit engem Bezug zur inneren Sicherheit gehören etwa die Massnahmen gegen Gewaltpropaganda (Sicherstellung, Beschlagnahme und Einziehung von Gewaltpropaganda, Sperrung und Löschung von Websites mit Gewaltpropaganda oder von «ch»-Domains bei Missbrauchsverdacht) oder ­ in Zusammenhang mit der Bekämpfung von Gewalt bei Sportveranstaltungen ­ die Ausreisebeschränkungen für gewaltbereite Personen aus der Schweiz.134 Die zuständigen Bundesbehörden können aber auch gegenüber Ausländerinnen und Ausländern, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden, ein Einreiseverbot verhängen. Ebenso kann gegenüber Ausländerinnen und Ausländern zur Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit ein Einreiseverbot oder die Ausweisung aus der Schweiz verfügt werden.135 Auf der Schnittstelle zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht befindet sich das Verwaltungsstrafrecht. Es kommt zum Zug, wenn die Bestimmungen des Verwaltungsrechts nicht durch den Einsatz verwaltungsrechtlicher Mittel, sondern mittels strafrechtlicher Verfolgung durch eine Verwaltungsbehörde durchgesetzt werden.

Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht136 ist ein organisationsrechtlicher: Das Bundesrecht muss die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen gegen verwaltungsrechtliche Bestimmungen einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen, damit das VStrR Anwendung findet. 137 Von erheblicher Bedeutung ist die Strafverfolgung durch Administrativbehörden namentlich im Bereich des Fiskal- und Wirtschaftsrechts. Die Verwaltungsbehörden des Bundes verfügen für diesen Zweck häufig über speziell ausgebildete Fachdienste wie beispielsweise die Zollfahndung der Eidgenössischen Zollverwaltung.138

2.3.2.2.4

Polizeiliche Datenbanken des Bundes

Das Bundesamt für Polizei betreibt mehrere polizeiliche Informationssysteme, einerseits zur Abdeckung eigener Bedürfnisse (Strafverfolgung in Bundeskompetenz, Umsetzung von Bundesrecht wie etwa im Bereich Zoll/Grenzpolizei, Waffen), andererseits ­ und mengenmässig überwiegend ­ als Dienstleistung des Bundes zugunsten der kantonalen Polizeien und Strafverfolgungsbehörden.

134 135 136 137 138

Art. 2 Abs. 4 Bst. e und Art. 24c BWIS Art. 67 und 68 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, AuG; SR 142.20 VStrR; SR 313.0 K. Hauri, Verwaltungsstrafrecht, Bern 1998, S. 3.

Vgl. hierzu Ziffer 2.3.2.5

4507

Zu nennen ist zunächst der polizeiliche Informationssystem-Verbund. In diesem werden Daten aus dem Bereich der gerichtspolizeilichen Ermittlungen des Bundes (d.h. der hängigen Strafverfahren) wie auch aus dem Bereich der polizeilichen Früherkennung (Vor- und Strukturermittlungen) im Bereich der Bundesstrafsachen bearbeitet. Der Verbund umfasst auch das «System internationale und interkantonale Polizeikooperation», mit dem der Informationsaustausch zwischen dem Bund und den Kantonen sowie der Austausch auf internationaler Ebene abgewickelt wird ­ bilateral mit den Polizeibehörden anderer Staaten sowie multilateral im Rahmen von Interpol, Schengen und Europol. In diesem letzteren Informationssystem werden zudem die Personen- und Falldaten zu den einzelnen Finger- und Handballenabdrücken sowie zu den DNA-Profilen bearbeitet. Die Finger- und Handballenabdrücke sowie die DNA-Profile selbst sind in zwei eigenständigen Informationssystemen abgelegt (AFIS bzw. CODIS).

Mit dem automatisierten Fahndungssystem RIPOL werden einheitliche nationale Personen-, Fahrzeug- und Sachfahndungen gewährleistet. Zu den in RIPOL verzeichneten Personenfahndungen gehören im Übrigen auch schweizweit ausgeschriebene internationale Fahndungen (Interpol-Fahndungen). Das zentrale polizeiliche Informationssystem auf europäischer Ebene ist das Schengener Informationssystem (SIS), das der Speicherung internationaler Ausschreibungen dient. Im Rahmen des Schengen-Assoziierungsabkommens ist die Schweiz über den beim Bundesamt für Polizei angegliederten sogenannten nationalen Teil des SIS (N-SIS) an das SIS angeschlossen. Der nationale Polizeiindex schliesslich ermöglicht es, mit einer einzigen Abfrage zu prüfen, ob eine bestimmte Person in den Informationssystemen der kantonalen Polizeibehörden, im polizeilichen Informationssystem-Verbund, in RIPOL oder im N-SIS verzeichnet ist.

Neben diesen Basis-Datenbanken mit breitem Anwendungsbereich betreibt das Bundesamt für Polizei ­ ebenfalls auf gesamtschweizerischer Ebene ­ verschiedene sachlich spezialisierte Informationssysteme. Dazu gehören namentlich GEWA, das Informationssystem der Meldestelle für Geldwäscherei und das Informationssystem HOOGAN, in dem Personen in Zusammenhang mit der Anwendung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen verzeichnet sind, sowie die diversen von der Zentralstelle Waffen betriebenen Datenbanken, die der Umsetzung des Waffenrechts dienen.

2.3.2.2.5

Polizeieinsätze in internationalen Friedensoperationen

Die zivile Friedensförderung bildet einen Schwerpunkt der schweizerischen Aussenund Sicherheitspolitik; dies im Bewusstsein, dass die Schweiz von den Auswirkungen selbst geographisch weit entfernter Konflikte direkt oder indirekt betroffen sein kann. Die Prävention und Bewältigung von neuen, häufig innerstaatlichen Konflikten sowie von Extremismus und Terrorismus kann nicht nur mit militärischen Mitteln geführt werden, sondern erfordert eine breite Palette an Instrumenten.

Ein Instrument der schweizerischen Friedensförderung ist die Entsendung von zivilen Expertinnen und -experten im Rahmen multilateraler Organisationen. Dazu gehört der Einsatz von Schweizer Polizei-, Grenzwacht- und Zollexpertinnen und -experten in Friedensoperationen wie jene der UNO, EU und OSZE. Der vom Parlament verabschiedete Rahmenkredit 2008­2012 sieht aufgrund der gestiegenen 4508

Nachfrage nach professionellen Polizeikräften eine Erhöhung des Schweizer Kontingents auf 30 Entsendungen vor.

Die Rekrutierung und Entsendung von Schweizer Polizeiexpertinnen und -experten für internationale Friedensoperationen ist in den letzten Jahren zunehmend schwierig geworden. Bisher konnten die Vorgaben des Rahmenkredits, bis zu 30 Fachkräfte zu entsenden, nicht erreicht werden. Zurzeit sekundiert die Schweiz ein Total von 8 Polizeiexpertinnen und -experten an die EU- im Kosovo sowie an die UN-Missionen in Liberia und Guinea-Bissau. Nur einer der acht aktuell im Einsatz stehenden Polizeiexperten ist von einem kantonalen Polizeikorps freigestellt; bei den anderen sieben handelt es sich um Polizisten, denen entweder von Kantonal- oder Gemeindepolizeien keine Bewilligung für einen internationalen Einsatz gewährt wurde und die deshalb kündigten, oder die sich in keiner Anstellung befanden. Diese Personen stellen indessen eine Notlösung dar, zumal internationale Organisationen grundsätzlich die Korpsangehörigkeit von Polizistinnen und Polizisten für einen Einsatz voraussetzen.

Aufgrund der föderalen Struktur im Polizeibereich ist das EDA zur Umsetzung seines Auftrages, bis zu 30 Expertinnen und Experten in internationalen Friedensoperationen zu einsetzen, auf das Personal von kantonalen und kommunalen Polizeikorps angewiesen. Während sich die Oberzolldirektion dem EDA gegenüber verpflichtet hat, kontinuierlich 8­12 Grenzwacht- und Zollexpertinnen zur Verfügung zu stellen, ist dies für das Bundesamt für Polizei u.a. aufgrund seines kleinen und spezifischen Personalbestandes nicht möglich. Das EDA ist somit auf die Freistellung von rund 20 Personen durch die kantonalen und kommunalen Polizeikorps dringend angewiesen. Das EDA hat daher im Jahr 2010 mit der KKJPD im Sinne einer koordinierten und strukturierten Zusammenarbeit einen Prozess zur Erarbeitung einer Vereinbarung zur Rekrutierung, Freistellung und Wiederintegration für die benötigten 20 Polizeiexpertinnen und -experten eingeleitet. Eine entsprechende Vereinbarung wurde im November 2011 von der KKJPD und im Dezember 2011 vom Bundesrat verabschiedet und in der Folge am 20. Dezember 2011 in Kraft gesetzt.

Die Vereinbarung zwischen KKJPD und dem Bund sieht die kontinuierliche Freistellung von 20 Expertinnen und Experten durch kantonale
Polizeikorps vor. Das EDA seinerseits verpflichtet sich, die Einsätze inklusive Besoldungen zu finanzieren, die rekrutierten Personen auszubilden und während des Einsatzes zu betreuen.

2.3.2.3

Sicherheitsleistungen der Armee

2.3.2.3.1

Einleitung

Die Armee als sicherheitspolitisches Instrument des Bundes und die Militärverwaltung (Departementsbereich Verteidigung des VBS) haben keine autonomen Kompetenzen im Bereich der Inneren Sicherheit; ihre Rolle ist komplementär. Gestützt auf Artikel 58 Absatz 2 BV und Artikel 1 Absatz 3 MG139 unterstützt die Armee die zivilen Behörden in ausserordentlichen Lagen, wenn deren Mittel nicht mehr ausrei139

Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung, Militärgesetz, MG; SR 510.10.

Der Zweckartikel 1 des MG ist mit Art. 58 BV verknüpft. Chronologisch wurden die Aufgaben der Armee zuerst 1995 im Militärgesetz festgelegt. Daraufhin wurde die Verfassung im Rahmen der Totalrevision angepasst.

4509

chen, bei der Abwehr schwer wiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit oder zur Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Die Rolle der Armee zur Bewältigung von Katastrophen und Notlagen steht nicht im Fokus des Berichts und wird in der Folge nur insoweit thematisiert, als sie für das Gesamtverständnis erforderlich ist.

Das Militärgesetz legt die Voraussetzungen für die Armeeeinsätze fest. Die Einsätze erfolgen in drei verschiedenen Einsatzarten (Friedensförderungsdienst, Assistenzdienst, Aktivdienst). Mit Ausnahme des Sonderfalles Ordnungsdienst werden Unterstützungseinsätze im Assistenzdienst geleistet. Unterstützungsleistungen, die im Rahmen des Ausbildungsdienstes erfolgen, sind nicht Assistenzdienst, sondern fallen unter die VEMZ.140 Ebenfalls ausserhalb des Assistenzdienstes steht die dringliche, befristete Zurverfügungstellung von luftgestützten Überwachungsmitteln.

Der Assistenzdienst wurde mit der Gesetzesrevision 1995 geschaffen, um die Flexibilität der Armee zur Unterstützung der zivilen Behörden zu erhöhen.141 Im Bundesbeschluss zum Armeebericht 2010 vom 29. September 2011 hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, bis Ende 2013 eine Botschaft zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Weiterentwicklung der Armee vorzulegen und dabei Eckwerte für den Bestand, die Aufgaben sowie die Finanzierung mitgegeben.142 Die Aufgaben nach diesen Eckwerten haben Auswirkungen auf Teile dieses Berichts, da das Parlament den Bundesrat beauftragt vorzusehen, dass «die Armee die Kernkompetenz Verteidigung aufrechterhält», «die Armee zur Erfüllung ihrer Aufträge über einen Sollbestand von 100 000 Militärdienstpflichtigen verfügt» und sie «mit dem Gros und einer Ablösung subsidiär die zivilen Behörden unterstützt».143

2.3.2.3.2

Aufgaben der Armee

Die Aufgaben der Armee werden in der Verfassung wie folgt umschrieben: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung.» (Art. 58 Abs. 2, Satz 1 BV). Dabei handelt es sich um die angestammten Aufgaben der Armee, die sie allein ausführt.144 Daneben unterstützt die Armee die zivilen Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, nämlich bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen (Art. 58 Abs. 2 Satz 2 BV).145 Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen (Art. 58 Abs. 2 Satz 3). Obschon damit die BV die Aufgaben der Armee nicht abschliessend festhält, ist der Spielraum des Bundesgesetzgebers nicht unbegrenzt. Im Bereich der inneren Sicherheit kommt aus Kompetenzgründen (Art. 57 BV) «ein weitergehender Einsatz der Armee kaum in 140 141

142 143 144 145

Verordnung über den Einsatz militärischer Mittel für zivile und ausserdienstliche Tätigkeiten, SR 513.74; siehe Ziffer 2.3.2.3.5.5 zu den Unterstützungsleistungen.

Bis dahin mussten die Einsätze der Armee z.B. zum Schutz der Flughäfen Genf-Cointrin und Zürich-Kloten 1970/71 und zum Konferenzschutz z.B. in Genf 1985 (Treffen Reagan ­ Gorbatschow) und 1988 (Arafat vor der UNO-Vollversammlung) in der Einsatzart des Aktivdienstes (Ordnungsdienst) erfolgen.

BBl 2011 7621 So der Wortlaut des Bundesbeschlusses.

Siehe hierzu insbesondere SIPOL B 2010, S. 24: Übersicht über Sicherheitsbereiche und Kernaufgaben sowie S. 35 ff.

H. Meyer in: St. Galler Kommentar, Art. 58 BV, Rz.16

4510

Betracht».146 Das MG nennt in Artikel 1 Absatz 4 und in Artikel 66 die Beiträge zur Friedensförderung im internationalen Rahmen. Diese Einsätze können durchaus bereits aus dem verfassungsmässigen Auftrag zur Friedenserhaltung abgeleitet werden,147 sind aber bis heute die einzige Konkretisierung durch den Gesetzgeber von Artikel 58 Absatz 2 Satz 3 BV.

2.3.2.3.3

Unterstützung der zivilen Behörden

2.3.2.3.3.1

Allgemein

Die Unterstützung der zivilen Behörden kann einerseits bei der Abwehr von schwerwiegenden Bedrohungen der inneren Sicherheit und andererseits bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen erfolgen.

Eine schwerwiegende Bedrohung der inneren Sicherheit wird in erster Linie in Zusammenhang mit der Sicherstellung des friedlichen Zusammenlebens, dem Schutz der staatlichen Institutionen und dem Schutz der Gemeinschaft vor elementaren Bedrohungen gesetzt.

Was als ausserordentliche Lage zu verstehen ist, konkretisiert das Gesetz in Artikel 1 Absatz 3 MG nicht. Das Fehlen ausreichender Mittel der zivilen Behörden für die Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit (Bst. a) sowie für die Bewältigung von anderen ausserordentlichen Lagen, insbesondere im Falle von Katastrophen im In- und Ausland (Bst. b) bzw. die Nicht-Vorhersehbarkeit von Ereignissen oder die Nicht-Planbarkeit von Massnahmen kann zwar ein Indiz für eine ausserordentliche Lage sein, ist mit ihr aber nicht zwingend gleichzusetzen.148 Artikel 67 Absatz 2 MG hält fest, dass die Hilfe nur soweit geleistet wird, als die Aufgabe im öffentlichen Interesse liegt und es den zivilen Behörden nicht mehr möglich ist, ihre Aufgaben in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht zu bewältigen. Das bedeutet, dass die Armee sich darauf beschränken soll, ausserordentliche Belastungsspitzen zu brechen; sie soll nicht permanent Lücken füllen.

In der Praxis wurde unter ausserordentlicher Lage auch eine solche verstanden, wie sie beispielsweise eine Fussball-Europameisterschaft EURO 2008 mit sich brachte.

Solche Ereignisse sind zwar vorhersehbar und Massnahmen zu dessen Bewältigung können geplant werden. Personalmangel in den Kantonen stellt aus rechtlicher Sicht kein hinreichendes Kriterium für das Vorliegen einer ausserordentlichen Lage im Sinne von Artikel 58 BV dar149. Nicht in jedem Fall ist es jedoch sinnvoll, dass die Kantone oder andere Bundesstellen ihre Personalbestände aufstocken. Namentlich 146

G. Biaggini, Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2007, Art. 58 BV, N 7. Siehe auch R. Rhinow, Zur Rechtmässigkeit des Armeeeinsatzes im Rahmen der inneren Sicherheit, in Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2004, Basel/Bern 2004, S. 361, 370: «Auf keinen Fall kann auf diesem Weg die Bundeszuständigkeit zulasten der Kantone ausgeweitet werden».

147 H. Meyer in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 58 BV, Rz.19 148 Gemäss Armeebericht 2010 sind planbar: Einsätze für das WEF, grosse Sportveranstaltungen sowie lange im Voraus angekündigte internationale Gipfeltreffen. Nicht planbar seien dagegen Einsätze bei Naturkatastrophen, bei Terroranschlägen (beziehungsweise bei erhöhter Gefahr für solche) und bei kurzfristig angesetzten internationalen Gipfeltreffen.

149 a.M.: R.Rhinow, Zur Rechtmässigkeit des Armeeeinsatzes im Rahmen der inneren Sicherheit, in Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2004, Basel/Bern 2004, S. 361, 376 f.

4511

aus der Perspektive der Wirtschaftlichkeit ist es nicht sinnvoll, dass die Polizeikorps ihre Bestände auf die Bewältigung singulärer Grossereignisse ausrichten, während Ressourcen des Bundes brachliegen. Umfangreiche Polizeireserven, die ausschliesslich zur Bewältigung von einzelnen Ereignissen dienen, die vielleicht einmal pro Jahr eintreten, sind auch staatspolitisch problematisch.

2.3.2.3.3.2

Subsidiarität

Für einen subsidiären Einsatz der Armee in der inneren Sicherheit liegt ein doppeltes Erfordernis vor (Art. 58 Abs. 2 Satz 2 BV; Art. 1 Abs. 3, Art. 67 Abs. 2 MG):150 Einerseits muss eine ausserordentliche Lage vorliegen und andererseits müssen alle geeigneten zivilen Mittel auf jeder Stufe im Einsatz sein und dabei in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht nicht ausreichen, um die Lage zu meistern. Mit anderen Worten ist die eigentliche Grundlast von den Kantonen zu tragen, die Armee kommt nur subsidiär bei ausserordentlichen Belastungsspitzen zum Einsatz.

Auch wenn in den letzten Jahren von dieser Regel abgewichen wurde, wurde neben der Wichtigkeit der Einsätze auch immer wieder deren Subsidiarität herausgestrichen, so zuletzt im Sicherheitspolitischen Bericht: «In Bezug auf die konkret zu leistenden Einsätze wird die Unterstützung ziviler Behörden für die Armee in den kommenden Jahren voraussichtlich weiterhin im Zentrum stehen. Die Wichtigkeit dieser Leistungen wird dadurch nicht beeinträchtigt, dass solche Einsätze subsidiär erfolgen».151 Ein Dauereinsatz der Armee im Rahmen eines Assistenzdienstes, also ein Einsatz auf nicht absehbare Zeit im Bereich der sicherheitspolizeilichen Grundlast, ist verfassungsrechtlich problematisch, da die Subsidiarität nicht mehr gegeben ist.152 Es gilt: Daueraufgaben sind von den Polizeikräften ohne Beizug der Armee zu erfüllen.153 Festzuhalten ist schliesslich, dass grundsätzlich auch Bundesbehörden zivile Behörden im Sinne von Artikel 58 Absatz 2 BV sein können. Artikel 58 Absatz 2 BV beschränkt die mögliche Hilfestellung der Armee jedoch auf zivile Behörden (d.h.

nicht militärische Behörden), die schwerwiegende Bedrohungen der inneren Sicherheit abwehren oder andere ausserordentliche Lagen bewältigen müssen. Alle Behörden ohne einen solchen Auftrag sind von der Möglichkeit dieser Unterstützung ausgenommen.

150

Siehe dazu gleich nachfolgend die unter Art. 67 Abs. 1 MG möglichen Einsatzfelder des Assistenzdienstes.

151 SIPOL B 2010, Ziffer 5.2.1.2 152 Ebenso: R.J. Schweizer, Verfassungs- und völkerrechtliche Anforderungen an die Verteidigungskompetenz der Armee und das zukünftige Leistungsprofil sowie die ausgewählten Fragen der Militärpflicht, VPB 2010.10 (S. 91­195), S. 145; a.M.: R. Rhinow, Zur Rechtmässigkeit des Armeeeinsatzes im Rahmen der inneren Sicherheit, in Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2004, Basel/Bern 2004, S. 361, 374 ff.

153 P. Sutter, Recht der militärischen Operationen, in: Sicherheit & Recht 1 (2008) 19.

4512

2.3.2.3.4

Einsatzarten der Armee

Im Folgenden soll ein Gesamtüberblick geschaffen werden, zu welchem Zweck die Armee in welcher Einsatzart eingesetzt wird. Nach Artikel 65 MG wird die Armee für Friedensförderungsdienst, Assistenzdienst und Aktivdienst eingesetzt.154

2.3.2.3.4.1

Friedensförderungsdienst

Einsätze zur Friedensförderung können auf der Grundlage eines UNO- oder OSZEMandates angeordnet werden (Art. 66 Abs. 1 MG).155 Gemäss Schweizer Praxis ist ein UNO-Mandat für die Friedensförderung dann vorliegend, wenn entweder die UNO eine Operation im Bereich der Friedensförderung selbst durchführt (decides) oder die Mitgliedstaaten der UNO dazu aufruft, eine solche Operation durchzuführen (calls upon) bzw. die Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, eine solche Operation durchzuführen (authorizes). Internationale Polizeieinsätze wie beispielsweise die Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union können nicht als Friedensförderungseinsätze betrachtet werden.156 Friedensförderungsdienst wird von schweizerischen Personen oder Truppen geleistet, die eigens dafür ausgebildet sind (Art. 66 Abs. 2 MG). Zuständig für die Anordnung eines Friedensförderungseinsatzes ist der Bundesrat. Allerdings ist ein Friedensförderungseinsatz von der Bundesversammlung zu genehmigen, wenn er bewaffnet und mit mehr als 100 Armeeangehörigen erfolgen oder der Einsatz länger als drei Wochen dauern soll (Art. 66b MG).

2.3.2.3.4.2

Assistenzdienst

Die Armee unterstützt gemäss Artikel 1 Absatz 3 MG die zivilen Behörden, «wenn deren Mittel nicht mehr ausreichen ...» und «bei der Bewältigung von anderen ausserordentlichen Lagen, insbesondere im Falle von Katastrophen im In- und Ausland» (Assistenzdienst). Artikel 58 Absatz 2 BV beschränkt die mögliche Hilfestellung der Armee auf zivile Behörden, die im Bereich der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen tätig sind. Voraussetzung für einen Einsatz ist ein Gesuch der zivilen Behörden an den Bundesrat.157 154 155

P. Sutter, Recht der militärischen Operationen, a.a.O., 28.

Siehe auch die Bundesratsverordnung vom 2. Dezember 2005 über das Personal für die Friedensförderung, die Stärkung der Menschenrechte und die humanitäre Hilfe (PVFMH), SR 172.220.111.9.

156 Vgl. BBl 2009 4535; Botschaft zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst im Ausland zur Unterstützung der Operation NAVFOR Atalanta der Europäischen Union sowie zur Änderung des Militärgesetzes vom 22. April 2009.

Unbestritten war, dass Schiffe des World-Food-Programms nach Art. 69 MG hätten geschützt werden können.

157 Für den Bereich Katastrophenhilfe liegt die Kompetenz, über Einsätze zu entscheiden, beim VBS. Die Gesuche werden direkt an die Armee gerichtet; so soll in einem politisch unbestrittenen Bereich ermöglicht werden, dass Unterstützung rasch gewährleistet werden kann. Art. 67 Abs. 1 MG macht deutlich, dass den zivilen Behörden auf deren Verlangen Hilfe durch Truppen geleistet werden kann, darauf aber für keinen Bereich Anspruch besteht.

4513

Zuständig für das Aufgebot zum Assistenzdienst ist der Bundesrat bzw. das VBS bei Katastrophen im Inland. Allerdings ist ein Assistenzdienst von der Bundesversammlung zu genehmigen, wenn er länger als drei Wochen dauern soll oder mehr als 2000 Armeeangehörige aufgeboten werden sollen (Art. 70 MG).

Der Grundsatz der Subsidiarität wird neben der Verfassung (Art. 58 BV) ein weiteres Mal bei der konkreten Ausgestaltung des Assistenzdienstes im Militärgesetz wiederholt. Artikel 67 Absatz 1 MG listet die Einsatzfelder des Assistenzdienstes auf. Truppen können zivilen Behörden auf deren Verlangen Hilfe leisten: ­

zur Wahrung der Lufthoheit;

­

zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen Sachen;

­

zum Einsatz im Rahmen der koordinierten Dienste;

­

zur Bewältigung von Katastrophen;

­

zur Erfüllung anderer Aufgaben von nationaler Bedeutung.

Die Hilfe wird nur soweit geleistet, als die Aufgabe im öffentlichen Interesse liegt und es den zivilen Behörden nicht mehr möglich ist, ihre Aufgaben in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht zu bewältigen (Art. 67 Abs. 2 MG).

Unter «Truppen» werden Angehörige der Armee verstanden. Hinsichtlich des militärischen Berufspersonals präzisiert Artikel 47 Absatz 4 in fine: «Wer zum militärischen Personal gehört, gilt als Angehöriger der Armee.» Damit ist klar, dass das Zur-Verfügung-Stellen von Armeeangehörigen an den Bedingungen des Assistenzdienstes zu messen ist, ein Graubereich unterhalb des Assistenzdienst-Niveaus ist grundsätzlich vom Gesetz her nicht vorgesehen.158 Ebenso wenig kann der Bundesrat einen Assistenzdienst «auf Vorrat» bewilligen.

Ein Bundesratsbeschluss kann also beispielsweise nicht darauf lauten, dass militärisches Personal im Sinne von Artikel 47 MG eine zivile Behörde während einer bestimmten Zeit unterstützen kann, wobei die Höchstzahl Tage zur Unterstützung pro Jahr genau definiert sind.

Gemäss Artikel 69 MG ist auch Assistenzdienst im Ausland möglich: Zur Unterstützung humanitärer Hilfeleistungen können auf Ersuchen einzelner Staaten oder internationaler Organisationen Truppen entsandt sowie Material und Versorgungsgüter der Armee zur Verfügung gestellt werden. Der Assistenzdienst im Ausland ist freiwillig; zur Unterstützung im grenznahen Raum kann er obligatorisch erklärt werden. Soweit schweizerische Interessen zu wahren sind, können Truppen auch zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen Sachen im Ausland eingesetzt werden (z.B. Schutz einer Schweizer Botschaft und des Personals; Rückführung von Schweizer Staatsangehörigen aus Krisengebieten); die Art der Bewaffnung bestimmt der Bundesrat.

Nach Artikel 68 MG können schliesslich auch zur Erhöhung der Bereitschaft der Armee militärische Führungsstäbe oder Truppen im Assistenzdienst aufgeboten werden.

158

Vorbehältlich der Leistungserbringung nach der VEMZ, siehe Ziffer 2.3.2.3.5.5.

4514

2.3.2.3.4.3

Aktivdienst

Aktivdienst wird geleistet, um die Schweiz und ihre Bevölkerung zu verteidigen (Landesverteidigungsdienst), die zivilen Behörden bei der Abwehr von schwerwiegenden Bedrohungen der inneren Sicherheit zu unterstützen (Ordnungsdienst) sowie bei steigender Bedrohung den Ausbildungsstand der Armee zu erhöhen.159 Zuständig für die Anordnung von Aktivdienst ist gemäss Artikel 173 Absatz 1 BV die Bundesversammlung; nur in dringenden Fällen liegt diese Zuständigkeit beim Bundesrat, der aber die Bundesversammlung unverzüglich einberufen lässt, wenn für den Einsatz mehr als 4000 Armeeangehörige aufgeboten werden oder ein Einsatz voraussichtlich länger als drei Wochen dauern wird (Art. 185 Abs. 4 BV).

Schliesslich ist noch auf den Ordnungsdienst einzugehen, der ebenfalls der Unterstützung ziviler Behörden dient (zur Bewältigung einer schwerwiegenden Bedrohung der inneren Sicherheit, welche die Existenz der Schweiz in Frage stellt), aber im Aktivdienst geleistet wird. Aufgrund der historischen Erfahrungen bestehen für solche Einsätze hohe Hürden, die in einer Verordnung festgelegt sind:160 Primär dürfen nur eigens für diese Aufgaben ausgebildete und ausgerüstete Angehörige der Militärischen Sicherheit eingesetzt werden, weitere Truppen nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundesrates. Die Kantone können solche Leistungen beim Bund beantragen.

2.3.2.3.5

Rechtsrahmen für den Einsatz von Truppen im Bereich der inneren Sicherheit

Leistet die Truppe Katastrophenhilfe oder Sicherungseinsätze (wobei der Schutz kritischer Infrastrukturen im Vordergrund steht), handelt es sich um einen Einsatz zur Bewältigung einer ausserordentlichen Lage gestützt auf Artikel 1 Absatz 3, Buchstabe b MG. Der Einsatz erfolgt im Assistenzdienst. Im Bereich der inneren Sicherheit handelt es sich damit um einen subsidiären Sicherungseinsatz. Gemäss Artikel 4 VSPS ernennt der Bundesrat dazu einen Kommandanten. Dieser trägt die Führungsverantwortung und koordiniert die aufgebotenen Truppen, welche den Kantonen zugewiesen werden. Die Unterstellungsverhältnisse werden durch das VBS geregelt. Die Einsatzverantwortung liegt bei den Kantonen.

Müssen Truppen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum eingesetzt werden, weil die Polizeikräfte eine schwer wiegende Bedrohung der inneren Sicherheit nicht alleine abwenden können, so handelt es sich um Ordnungsdienst, gestützt auf Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a MG. Der Einsatz erfolgt im Aktivdienst. Gleichwohl können die Truppen den Kantonen zugewiesen werden, welche gemäss Artikel 83 Absatz 3 MG den Auftrag bestimmen. Die Truppen müssen gemäss VOD für diese Aufgabe ausgebildet und ausgerüstet sein. Gegenwärtig können nur die Formationen der Militärischen Sicherheit eingesetzt werden.

Weitere Truppen müssten zuerst ausgebildet werden, was der Zustimmung des Bundesrates bedarf (Art. 2 Abs. 2 VOD).

159 160

Art. 76 MG Verordnung vom 3. September 1997 über den Truppeneinsatz für den Ordnungsdienst (VOD), SR 513.71.

4515

Der Bundesrat hat sich im sicherheitspolitischen Bericht dazu bekannt, dass Einsätze in der inneren Sicherheit so lange wie möglich subsidiär erfolgen sollen. Der Spezialfall der eidgenössischen Intervention gestützt auf Artikel 52 Absatz 2 BV wurde bereits dargelegt.

Je nach Lage kann es erforderlich sein, gleichzeitig Truppen zum Schutz kritischer Infrastruktur und zum Ordnungsdienst aufzubieten oder letzteren zumindest vorzusehen. In solchen Situationen wird zu beurteilen sein, ob Teile der Armee für Assistenzdienst und Teile für Aktivdienst aufgeboten werden sollen oder vorsorglich das gesamte Truppenaufgebot in der Einsatzart des Aktivdienstes erfolgen soll.

Schliesslich ist anzufügen, dass das Militärgesetz bei grösseren Truppenaufgeboten die Wahl eines Generals vorschreibt (Art. 85 MG), ohne den Umfang des Aufgebotes zu spezifizieren. Daraus ergibt sich, dass auch diese Frage situativ beurteilt werden muss. Wird ein General gewählt, so trägt er die Einsatz- und Führungsverantwortung. Dies ruft nicht nach einer spezifischen Einsatzart, schliesst aber einen subsidiären Einsatz der Armee aus.

Gemäss Armeebericht 2010 soll die Armee in der Lage sein, bis zu 35 000 Angehörige der Armee gleichzeitig zur Unterstützung der zivilen Behörden einzusetzen161.

Auch wenn gegenwärtig keine Anzeichen erkennbar sind, dass ein solcher Einsatz erforderlich wäre, soll gleichwohl der Rechtsrahmen dafür erläutert werden. Er gestaltet sich je nach Aufgabe anders. Die Kompetenz, 35 000 Armeeangehörige aufzubieten, steht in jedem Fall dem Parlament zu. Die Polizeibefugnisse der Truppe für einen solchen Einsatz sollen im Rahmen einer Revision des Zwangsanwendungsgesetzes geklärt werden.

2.3.2.3.6

Weitere Unterstützungsleistungen der Armee

2.3.2.3.6.1

Luftgestützte Überwachungssysteme der Armee

Zur Unterstützung sicherheitspolizeilicher Aufgaben, für die Grenzüberwachung, aber auch im Falle von Naturkatastrophen, Such- und Rettungseinsätze sowie die Überwachung des Verkehrs oder von Veranstaltungen und Demonstrationen mit Gewaltpotenzial können zivile Behörden nach Artikel 181 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 2008162 über die militärischen Informationssysteme (MIG) luftgestützte Überwachungssysteme der Armee anfordern (Drohnen, Helikopter mit Forward Looking Infrared FLIR). Dabei werden technische Leistungen erbracht.

Über solche Unterstützungseinsätze kann die Armee selbständig entscheiden, Einsätze mit besonderer politischer Tragweite genehmigt das VBS. Sie erfolgen gestützt auf die Verordnung über den Einsatz militärischer Mittel für zivile und ausserdienstliche Tätigkeiten (VEMZ).163 Dies folgt dem Grundgedanken, dass die Armee den zivilen Behörden Mittel zur Verfügung stellen kann, über welche diese nicht verfügen. Es wäre unwirtschaftlich, wenn z.B. das GWK oder Polizeikorps eigene luftgestützte Mittel beschaffen würden. Die Modalitäten werden in Verwaltungs- bzw.

161

Im bereits zitierten Bundesbeschluss vom 29. September 2010 zum Armeebericht 2010 (BBl 2011 7621) ist vom Gros der Armee für die subsidiären Einsätze die Rede. Ob dies mit der Militärdienstpflicht vereinbar ist, wäre zu prüfen; vgl. die Ausführungen von R.J. Schweizer unter Ziffer 3.2.1.2.

162 SR 510.91 163 SR 513.74. Der 4. Abschnitt regelt die Lufteinsätze.

4516

Leistungsvereinbarungen164 geregelt. Das VBS berichtet den sicherheitspolitischen Kommissionen jährlich über solche Einsätze.

2.3.2.3.6.2

Funkaufklärungs- und Sendeleistungen der Armee

Im Bereich des Staatsschutzes sind die Funkaufklärungsleistungen der Führungsunterstützungsbasis der Armee (FUB) zu erwähnen.165 Die Elektronische Kriegführung der Armee kann zur Unterstützung berechtigter Stellen des Bundes und der Kantone genutzt werden.166 Berührungspunkte zur inneren Sicherheit können sich bei der FUB im Weiteren daraus ergeben, dass sie das Bundesamt für Kommunikation bei der Kontrolle des Frequenzspektrums unterstützen und dabei auch Störsender identifizieren kann.167 Ferner betreibt die FUB Mittel zur Informationsverbreitung, namentlich Sendeanlagen des nationalen Notrundfunks.168

2.3.2.3.6.3

Unterstützungsleistungen der Militärischen Sicherheit

Die Militärische Sicherheit (Mil Sich) erfüllt gestützt auf Artikel 100 MG sicherheits-, kriminal- und verkehrspolizeiliche Aufgaben in der Armee im In- und Ausland. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben bewegt sich die Militärpolizei im öffentlichen Raum, beispielsweise bei Kontrollen von Angehörigen der Armee an Bahnhöfen. Sind an einem Strassenverkehrsunfall Fahrzeuge der Armee und Fahrzeuge von Zivilpersonen beteiligt, so kann die Aufnahme des Sachverhaltes zuhanden der militärischen Untersuchungsorgane (vorgesetzte Kommandanten, Militärjustiz) durch die zivile Polizei oder die Militärpolizei erfolgen, in der Regel erfolgen diese Einsätze gemeinsam. Dieser pragmatische Ansatz hat sich bewährt.

Bei Assistenz- oder Aktivdiensteinsätzen ist die Militärische Sicherheit Mittel der ersten Stunde; sie kann erste Schutzaufträge übernehmen und weitere aufgebotene Truppen ausbilden (Art. 101 Abs. 2 MG). Im Rahmen von Truppenaufgeboten ist sie stets für die Spionage- und Sabotageabwehr verantwortlich. Zwei Milizformationen der Militärischen Sicherheit erbringen nur in der Einsatzart des Assistenz- oder Aktivdienstes Leistungen: Das Schutzdetachement Bundesrat (SDBR) schützt Magistratspersonen (in der normalen Lage ist dies ausschliesslich Sache der zivilen Polizei im Auftrag des Bundessicherheitsdienstes),169 der Sicherheitsdienst der 164

165

166 167 168

169

Für die Unterstützung der Polizeikorps: Verwaltungsvereinbarung VBS ­ KKJPD ­ SPI vom 31. Mai 2007; für das GWK: Rahmenvereinbarung zwischen dem VBS und dem EFD sowie Leistungsvereinbarungen zwischen dem Führungsstab der Armee und dem Kommando des GWK.

Vgl. Rechtmässigkeit und Wirksamkeit des Funkaufklärungssystems «Onyx» Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte vom 9. November 2007 und das darin zitierte Gutachten des BJ vom 31.8.2004 zur Vereinbarkeit der Kommunikationserfassung im Ausland mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Basis dafür ist die Verordnung über die elektronische Kriegführung (VEKF) vom 15. Oktober 2003, SR 510.292.

Gestützt auf Art. 11 VEKF bzw. Art. 26 Fernmeldegesetz (SR 784.10).

System IBBK ­ Information der Bevölkerung durch den Bundesrat in Krisen mit Radio.

Auch das mobile System IFASS (Integriertes Funkaufklärungs- und Sendesystem) kann dazu eingesetzt werden.

Vgl. Ziffer 3.2.2

4517

Militärpolizei (SDMP) ergänzt die Leistungen im zivilen Bereich der Spionage- und Sabotageabwehr. Die Militärpolizeibataillone stellen die Durchhaltefähigkeit der Berufsformationen sicher.

Die Mil Sich besteht aus Berufs- und Milizformationen. Die vier MP Regionen (Berufsformationen) sind in ihrem Raum verantwortlich für die verkehrs-, kriminalund sicherheitspolizeilichen Aufgaben innerhalb der Armee.

Zudem bestehen Sonderformationen. Diese sind in zwei Berufs- und zwei Milizformationen gegliedert. Die beiden Milizformationen SDBR und SDMP sind dem Kdo Mil Sich unterstellt.

Beide Formationen verfügen über eine Berufsplattform: Das SDBR über das Militärpolizei Spezialdetachement (MP Spez Det), der SDMP über das Militärpolizei Abschirmdetachement (MPAD). Im Rahmen der Reorganisation der Armee wurde das MP Spez Det dem Kommando Spezialeinsatzkräfte (KSK) unterstellt. Für Einsätze im Rahmen der Inneren Sicherheit der Schweiz wird das MP Spez Det für die entsprechenden Einsätze dem Kdo Mil Sich unterstellt, da nur dieses über die entsprechenden polizeilichen Kompetenzen innerhalb der Armee verfügt.

Die Aufgaben der Mil Sich werden in Artikel 100 MG abschliessend aufgeführt:170 ­

Sie beurteilt die militärische Sicherheitslage.

­

Sie sorgt für den Schutz von militärischen Informationen und Objekten sowie die Informatiksicherheit.

­

Sie erfüllt kriminal- und sicherheitspolizeiliche Aufgaben im Armeebereich.

­

Soweit die Armee zu Friedensförderungs-, Assistenz- oder Aktivdienst aufgeboten ist, trifft sie zu deren Schutz vor Spionage, Sabotage und weiteren rechtswidrigen Handlungen präventive Massnahmen und beschafft die dafür erforderlichen Nachrichten.

­

Sie schützt die Mitglieder des Bundesrates, den Bundeskanzler und weitere Personen, wenn seine Angehörigen zu Assistenz- oder zu Aktivdienst aufgeboten sind.

Sollte die Mil Sich weitere Aufgaben übernehmen wollen oder sollen, wäre die gesetzliche Grundlage entsprechend zu ändern. Die Delegation an den Bundesrat in Artikel 100 Absatz 3 MG, die Aufgaben der Mil Sich im Einzelnen und deren Organisation, sowie die Zusammenarbeit mit zivilen Sicherheitsorganen, unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen über den Staatsschutz und den Datenschutz, zu regeln, ändert an dem gesetzlich beschränkten Aufgabenfeld nichts.

Ebensowenig vermag Artikel 101 MG das Aufgabenfeld nach Artikel 100 MG auszuweiten. Gemäss Artikel 101 Absatz 1 MG können Berufsformationen, also beispielsweise die Mil Sich, zur Erfüllung der folgenden Aufgaben gebildet werden, wenn die Bildung von Milizformationen zur Erfüllung dieser Aufträge nicht möglich ist:

170

­

Wahrung der Lufthoheit sowie Durchführung von Transporten und Rettungen mit militärischen Luftfahrzeugen;

­

Sicherstellung der Betriebsbereitschaft von zivilen Führungsanlagen und von militärischen Anlagen; Aufgaben im Rahmen des Assistenzdienstes bleiben vorbehalten.

4518

­

kriminal- und sicherheitspolizeiliche Aufgaben im Armeebereich;

­

Rettungs-, Aufklärungs-, Kampf- und Schutzaufträge, für die eine sofortige Verfügbarkeit oder eine spezielle Ausbildung erforderlich ist.

Wichtig ist die Einschränkung nach Artikel 101 Absatz 3 MG. Die Angehörigen der Mil Sich sind auch für die soeben beschriebenen Einsätze als militärisches Personal angestellt, was mit dem unter Ziffer 2.3.2.3.4.2 bereits dargestellten Artikel 47 Absatz 4 MG grundsätzlich zum Verbot einer Dienstleistung der Mil Sich an andere Stellen ausserhalb eines Assistenzdienstes führt.171 In diesem Bericht spielt der Einsatz der Mil Sich insofern eine wichtige Rolle, als dass häufig Lücken in den kantonalen Polizeibeständen aber auch beim NDB geltend gemacht werden, die von der Mil Sich aufgefüllt werden sollen. Die Verwendung von Angehörigen der Mil Sich zugunsten des NDB und der rechtliche Status dieses Personals sollen im Rahmen des künftigen Nachrichtendienstgesetzes geklärt werden. Vorgesehen ist eine entsprechende Ergänzung von Artikel 100 MG. Die Einzelheiten dieser neuen Regelung werden zurzeit erarbeitet, worunter auch eine formell-gesetzliche Regelung der Bewaffnung fallen würde (vgl. Art. 7 ZAG).

2.3.2.3.6.3.1

Einsatz der Militärischen Sicherheit für andere Bundesstellen ausserhalb des Assistenzdiensts

In den letzten Jahren gab es immer wieder Bestrebungen, Teile der Armee, darunter insbesondere Berufsformationen der Mil Sich anderen Bundesstellen, beispielsweise den Nachrichtendiensten, für Einsätze zur Verfügung zu stellen. Dabei stand stets der Wunsch im Vordergrund, die Einsätze zu ermöglichen, ohne die entsprechenden Kräfte der Mil Sich in den Assistenzdienst versetzen zu müssen, aber auch ohne diese Kräfte organisatorisch aus dem Armeebereich, in dem sie ihre Kernaufgaben erfüllen, herauszulösen. Im Vordergrund stand dabei das MPAD.

Festzuhalten ist zunächst, dass eine Umteilung von Stellen der Mil Sich hin zu anderen Amtsstellen, immer möglich wäre. Es wurde jedoch immer eine Lösung angestrebt, die organisatorisch nahe am Assistenzdienst anzusiedeln ist, ohne dass ein solcher Assistenzdienst vorliegen soll, und nach Artikel 67 ff. MG vom Bundesrat bzw. Parlament zu beschliessen wäre. Um den bereits zitierten Artikel 47 Absatz 4 MG zu vermeiden, sollen Angehörige von Teilen der Berufsformationen als zivile Angestellte des Bundes eingesetzt werden, damit sie nicht mehr als Angehörige der Armee betrachtet werden müssen. Wie unter der vorhergehenden Ziffer aufgezeigt, ist eine Dienstleistung der Mil Sich an andere Bundesstellen ausserhalb eines Assistenzdienstes nach Artikel 101 Absatz 3 i.V.m. Artikel 47 Absatz 4 MG rechtlich aber nicht möglich.172 Das Verhältnis zwischen Zwangsanwendungsgesetz (ZAG) und MG ist bei einem Einsatz der Mil Sich für andere Bundesstellen ausserhalb des Assistenzdiensts unklar, vgl. insbesondere Artikel 2 Absatz 2 ZAG: «Für die Armee gilt das Gesetz 171

Die Botschaft zur Armee XXI führt aus, dass «stets auch ziviles Personal mitarbeitet» (BBl 2002 858, 878); daraus kann jedenfalls nicht geschlossen werden, dass alle Personen zivil angestellt werden können.

172 Die Botschaft zur Armee XXI führt aus, dass «stets auch ziviles Personal mitarbeitet» (BBl 2002 858, 878); daraus kann jedenfalls nicht geschlossen werden, dass alle Personen zivil angestellt werden können.

4519

nur, soweit sie im Inland Assistenzdienst für zivile Behörden des Bundes leistet.» Eine Ausdehnung auf die ganze Armee wird derzeit geprüft. Zusätzlich zu klären wäre die Kommandostruktur, um diesbezügliche Unklarheiten zu vermeiden.173

2.3.2.3.6.3.2

Schutzdetachement Bundesrat (SDBR)

Das SDBR setzt sich aus zivilen Polizisten zusammen und ist für den Personenschutz der Bundesräte und weiterer zu schützender Personen (mit)verantwortlich.

Das SDBR wurde ausser zu Übungszwecken bislang nur wenig eingesetzt und gab im Zusammenhang mit Assistenzdiensten zu Fragen Anlass. Hingewiesen sei auf die Anfrage Lang,174 in der u.a. gefragt wurde, was der Bundesrat zum Vorwurf meint, das Schutzdetachement des Bundesrates entziehe gerade dann den Kantonen die Personenschutzspezialisten, wenn sie diese selber brauchen. Die Antwort des Bundesrates vom 24. November 2004 lautete: «Das Schutzdetachement Bundesrat, das im Rahmen seiner originären militärischen Aufgaben für Einsätze in besonderen und ausserordentlichen Lagen vorgesehen ist, besteht aus Angehörigen ziviler Polizeikorps. Wenn nun dieses Schutzdetachement subsidiär zugunsten ziviler Behörden eingesetzt werden soll, kann dies zu einem gewissen Dilemma führen. Zwar würden diese Polizisten den Polizeikorps fehlen, dafür wären sie in einem einheitlichen, leicht und flexibel führbaren Verband zusammengefasst. Die einsatzverantwortliche zivile Behörde hat sich entsprechend für oder gegen die Option zu entscheiden. Im Fall ziviler Einsätze, welche gleichzeitig mit dem Wiederholungskurs stattfinden, werden die Angehörigen des Schutzdetachements Bundesrat vom Militärdienst dispensiert oder beurlaubt.» In der KKJPD hat im Rahmen der Arbeiten einer Arbeitsgruppe «polizeiliche Lücke» im Frühjahr 2011 eine Grundsatzdiskussion dazu stattgefunden, ob das SDBR in Zukunft zur Unterstützung ziviler Behörden eingesetzt werden soll oder nicht. Die KKJPD gelangte in der Frühjahrsversammlung vom 7. April 2011 zur Auffassung, dass es unredlich wäre, die kantonalen Personenschützer im Rahmen des SDBR ausbilden zu lassen, dem SDBR aber mit Verweis auf die Subsidiarität weiterhin Einsätze zu verweigern. Dies umso mehr als dieselben Angehörigen des SDBR dann als zivile Personenschützer der Polizei zum Einsatz gelangen. Bei der gegebenen Konstellation könnte die Subsidiarität gar nie erfüllt sein. Die KKJPD beantragte dem Bundesrat deshalb einen Einsatz des SDBR im Rahmen des sog.

«Mountain Event» vom 8.­12. Mai 2011. Der Bundesrat lehnte das Begehren mit Hinweis auf die nicht erfüllte Subsidiarität ab.

Die Politische Plattform KKM SVS hat dem Steuerungsausschuss daraufhin im Juni 2011 den Auftrag erteilt, Vorschläge zur Zukunft des SDBR auszuarbeiten. Die Arbeiten sind noch im Gang.

173

Vgl. dazu Art. 71 MG, wonach das für den Assistenzdienst ausdrücklich im Einzelfall geregelt wird.

174 04.1114 Lang, Josef, Aktives Anbieten militärischer Dienste.

4520

Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob das SDBR über die Ausbildungsfunktion hinaus andere Funktionen erfüllen soll, da bei Assistenzdiensten die eingesetzten Soldaten als Polizisten in den eigenen Kantonen fehlen, was gerade zur Notwendigkeit des Einsatzes des SDBR führen kann.

2.3.2.3.6.4

Unterstützung mit Armeematerial

Eine Unterstützung mit Armeematerial, die grundsätzlich eine personelle Unterstützung nicht umfasst, kann gestützt auf zwei Verordnungen erfolgen: Die Verordnung vom 1. Juni 1994175 über die Abgabe von technischem Material und von besonderen Fahrzeugen des Sicherheitsdienstes der Armee an Dritte und die VEMZ176.177 Unter die zuerst aufgeführte Verordnung fällt die Zurverfügungstellung von Spezialfahrzeugen sowie Beobachtungs- und Abhörmaterial der Militärverwaltung und der Armee. Die VEMZ regelt nicht spezifisch die Bedürfnisse der inneren Sicherheit, sondern die ganze Palette von Leistungen (materiellen und personellen) zu Gunsten von zivilen Behörden und Privaten unter bestimmten Voraussetzungen178.

175

SR 510.419; gestützt auf Artikel 62 Absatz 1 des früheren Verwaltungsorganisationsgesetzes und Artikel 10 Absatz 3 des Bundesratsbeschlusses vom 19. Mai 1971 über den Sicherheitsdienst der Armee.

176 SR 513.74; gestützt auf Art. 150 Abs. 1 MG.

177 Siehe auch die Verordnung über Einsätze des Zivilschutzes zugunsten der Gemeinschaft (VEZG, SR 520.14). Gemäss Art. 6 Abs. 1 VEZG stellt der Bund soweit verfügbar das für die Ergänzung der Grundausrüstung des Zivilschutzes notwendige Armeematerial kostenlos zur Verfügung. Benötigt ein Gesuchsteller um einen Einsatz zugunsten der Gemeinschaft zusätzliches Armeematerial, so muss er dieses bei der Logistikbasis der Armee separat anfordern. Die Abgabe dieses zusätzlichen Materials sowie die Vereinbarung des privatrechtlichen Entgelts richten sich nach den entsprechenden Weisungen des VBS (Art. 6 Abs. 2 VEZG).

178 Die Truppe darf nur eingesetzt werden, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a. Die unterstützten zivilen und ausserdienstlichen Tätigkeiten sind von nationaler oder internationaler Bedeutung; die unterstützten zivilen Aufgaben sind von öffentlichem Interesse.

b. Die Gesuchsteller können ihre Aufgaben nachweisbar mit den eigenen Mitteln nicht bewältigen.

c. Die Hilfe kann nachweisbar nicht von militärischen Vereinen, Verbänden, Organisationen oder vom Zivilschutz geleistet werden.

d. Mit dem Einsatz ist ein Ausbildungs- und Trainingseffekt verbunden.

e. Die Truppe ist aufgrund ihrer Ausbildung und Ausrüstung geeignet, die Hilfe zu leisten.

f. Die Ausbildungsprogramme von Schulen und Kursen werden nicht wesentlich beeinträchtigt.

g. Die Einsatzfähigkeit der Truppe und die Bereitschaft der Armee werden nicht beeinträchtigt.

h. Die Hilfe konkurrenziert die zivilen Unternehmen nicht übermässig.

i. Die Truppe wird nicht für Aufgaben eingesetzt, die Polizeigewalt voraussetzen.

k. Die Truppe wird nur im Rahmen der erteilten Bewilligung eingesetzt.

4521

2.3.2.4

Bevölkerungs- und Zivilschutz

Gemäss Artikel 61 Absatz 1 BV ist die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte Sache des Bundes. Gemäss Absatz 2 erlässt der Bund Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen. Somit liegt die Regelungskompetenz im Bereich des Zivilschutzes beim Bund. Es handelt sich um eine umfassende, nachträglich derogatorische Gesetzgebungskompetenz.

Der Bund hat seine Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Zivilschutzes mit dem BZG von 2002 wahrgenommen.179 Da der Bund nur im Bereich des Zivilschutzes legiferieren kann (Art. 61 BV), für alle übrigen zivilen Partnerorganisationen des Bevölkerungsschutzes (Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, technische Betriebe) hingegen die Kantone zuständig sind, enthält das BZG zum Bevölkerungsschutz lediglich neun Artikel (Art. 2 ff), welche sich zudem auf Zusammenarbeitsregelungen und Kompetenzabgrenzungen beschränken. Für den Zivilschutz regelt der Bund die Rechte und Pflichten der Schutzdienstpflichtigen, die Ausbildung, die Bereiche der Alarmierungs- und Telematiksysteme sowie der Schutzbauten.

Gestützt auf Artikel 75 Absatz 1 BZG hat der Bundesrat u.a. die ZSV180, die VEZG181, sowie die Verordnung über die ärztliche Beurteilung der Schutzdienstpflichtigen182 erlassen. Gemäss Artikel 75 Absatz 3 BZG ist der Vollzug «im Übrigen Aufgabe der Kantone».

Betreffend Sirenenalarmierungssystem für die Bevölkerung POLYALERT, welches bis voraussichtlich 2015 in den Kantonen umgesetzt sein wird, sind die Kompetenzen und die Finanzierungsgrundlagen im BZG sowie in der Alarmierungsverordnung (AV) geregelt. Das bis Ende 2013 vollständig aufzubauende Sicherheitsnetz Funk der Schweiz (POLYCOM) für die Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit (BORS) basiert ebenfalls auf dem BZG sowie auf dem Bericht und Beschluss des Bundesrates vom 21. Februar 2001. Die Kompetenzen und die Finanzierung sind bei POLYCOM föderalistisch geregelt. Die genannten Alarmierungsund Telematiksysteme sind für die Krisenbewältigung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit unverzichtbar.

2.3.2.4.1

Bevölkerungsschutz

Zweck des Bevölkerungsschutzes ist es, die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen bei Katastrophen und in Notlagen sowie im Fall bewaffneter Konflikte zu schützen sowie zur Begrenzung und Bewältigung von Schadensereignissen beizutragen (Art. 2 BZG). Der Bevölkerungsschutz stellt Führung, Schutz, Rettung und Hilfe zur Bewältigung der genannten Ereignisse sicher und trägt dazu bei, Schäden zu begrenzen und zu bewältigen. Der Bevölkerungsschutz ist ein modular aufgebautes Verbundsystem, basierend auf den Blaulicht-Organisationen Polizei, Feuerwehr und Gesundheitswesen (inkl. sanitätsdienstliches Rettungswesen), die bei einem grösse179

Bundesgesetz vom 4. Oktober 2002 über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz, Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz, BZG; SR 520.1.

180 Zivilschutzverordnung, SR 520.11.

181 Verordnung vom 6. Juni 2008 über Einsätze des Zivilschutzes zugunsten der Gemeinschaft, SR 520.14.

182 SR 520.15

4522

ren Ereignis durch die technischen Betriebe und den Zivilschutz ergänzt und unterstützt werden. Von Bevölkerungsschutz wird dann gesprochen, wenn ein Ereignis die Partnerorganisationen gemeinsam betrifft und deshalb unter der Führung gemeinsamer Krisenstäbe bewältigt wird.

Zuständig für den Bevölkerungsschutz sind unter Vorbehalt bundesrechtlicher Kompetenzen die Kantone. Ihnen obliegen insbesondere die Massnahmen bei Katastrophen und in Notlagen. Der Bund regelt grundsätzliche Aspekte des Bevölkerungsschutzes und sorgt für die Koordination im Bereich des Bevölkerungsschutzes. So trifft er Anordnungen für den Fall von erhöhter Radioaktivität, Notfällen bei Stauanlagen, Epidemien und Tierseuchen sowie für den Fall eines bewaffneten Konfliktes. Im Einvernehmen mit den Kantonen kann der Bund die Koordination und allenfalls die Führung bei Ereignissen übernehmen, welche mehrere Kantone, die ganze Schweiz oder das grenznahe Ausland betreffen (Art. 5 Abs. 1 BZG).

Die im Rahmen des Bevölkerungsschutzes ergriffenen Massnahmen (u.a. Schutz, Rettung und Betreuung im Ereignisfall, Information der Bevölkerung) leisten im weiteren Sinn einen Beitrag zur inneren Sicherheit, indem sie die Folgen von Katastrophen und Notlagen lindern helfen und somit eine möglichst rasche Rückführung der Gesellschaft in einen Normalzustand ermöglichen. Die Betreuung der betroffenen Personen bei und nach einem Ereignis, wie z.B. bei grossen Migrationsströmen (z.B. anlässlich der Kosovo-Krise 1999), ist unmittelbar für die innere Sicherheit relevant.

2.3.2.4.2

Zivilschutz

Primäre Aufgaben des Zivilschutzes sind der Schutz der Bevölkerung, die Betreuung von Schutz suchenden Personen, die Unterstützung der Führungsorgane und der andern Partnerorganisationen sowie der Schutz der Kulturgüter. Hinzu kommen die Leistung von Instandstellungsarbeiten sowie von Einsätzen zugunsten der Gemeinschaft.

Eine besondere Rolle im Verbundsystem Bevölkerungsschutz hat der Zivilschutz, da er als einzige Partnerorganisation in der Bundesverfassung verankert ist und auf einer nationalen Dienstpflicht basiert (Art. 11 BZG). Der Zivilschutz ist die einzige zivile Organisation, die bei lange andauernden und schweren Ereignissen die Durchhaltefähigkeit gewährleisten und die anderen Organisationen längerfristig unterstützen, verstärken und entlasten kann.

2.3.2.5

Sicherheitsaufgaben im Zoll- und Grenzbereich

Zur EZV gehören ein uniformierter und bewaffneter Teil, das GWK, und ein nicht uniformierte Teil, der sog. zivile Zoll. Beide haben weitgehend den gleichen Grundauftrag und die gleichen Kompetenzen ­ der zivile Zoll schwergewichtig im Handelswarenverkehr und das GWK im Reiseverkehr. Das GWK ist insbesondere auch das Mittel zur Durchsetzung der Aufgaben der EZV. Die EZV verfügt nebst dem Grenzwachtkorps mit der dezentralisiert organisierten Zollfahndung und ihren rund 140 zivilen spezialisierten Fachpersonen über die zweitgrösste Organisation im Bereich der Strafverfolgung auf Bundesstufe nach der Bundeskriminalpolizei. Die Zollfahndung arbeitet nach kriminalpolizeilichen Grundsätzen und verfolgt insbe4523

sondere schwerwiegende Widerhandlungen im Bereich der indirekten Fiskalität. Sie ist überdies breit in die nationale und internationale Polizeikooperation (u.a. Europol) eingebunden.

Die Aufgaben der EZV sind in Artikel 94­99 des Zollgesetzes183 in Verbindung mit den Zielen des Gesetzes geregelt, die in Artikel 1 ZG festgelegt sind. Zu den Aufgaben der EZV gehört nicht nur die Erhebung von Steuern und Zöllen, sondern auch die Umsetzung von über 150 zollrechtlichen und nichtzollrechtlichen Gesetzen und Verordnungen im Rahmen des Zollgesetzes (ZG). Das ZG stützt sich dabei auf Artikel 57 Absatz 2 (Sicherheit), Artikel 101 (Aussenwirtschaftspolitik), Artikel 121 Absatz 1 (Aufenthalt und Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländer) und Artikel 133 (Zölle) der Bundesverfassung. Man kann die vielseitigen Aufgaben der EZV grob in zwei Bereiche aufteilen: zum einen in die fiskalischen und wirtschaftlichen Aufgaben und andererseits in die Aufgaben, mit denen ein Beitrag zur Sicherheit geleistet wird.

2.3.2.5.1

Fiskalische und wirtschaftliche Aufgaben

Die EZV beschafft dem Bund einen namhaften Teil seiner Einnahmen (2010: 23 Mrd. CHF) und leistet einen Beitrag zum Gedeih der Schweizer Wirtschaft.

Gestützt auf Artikel 94 und 95 ZG nimmt sie die folgenden Aufgaben wahr: ­

Erhebung von Abgaben: Darunter fallen insbesondere Zölle, Mehrwertsteuer (MWST) bei der Einfuhr, Mineralöl- Automobil-, Tabak- und Biersteuer, Monopolgebühren auf Alkoholika bei der Einfuhr, Lenkungsabgaben (VOC/ CO2), Schwerverkehrsabgaben und Nationalstrassenabgaben.

­

Vollzug wirtschaftlicher Massnahmen: Dieser umfasst insbesondere die Überwachung des Transitverkehrs sowie der Ein- und Ausfuhr gewisser Waren, einen Beitrag zum Schutz der Landwirtschaft (Kontingentsbewirtschaftung) und zur wirtschaftlichen Landesversorgung, den Schutz von Marken, geografischen Herkunftsangaben, Design- und Urheberrechten, die Erstellung der Statistik des Aussenhandels.

2.3.2.5.2

Beitrag zur Sicherheit / Strafverfolgung

Die EZV trägt mit dem Vollzug von gewissen nichtzollrechtlichen Erlassen zur Sicherheit bei. So überwacht sie den gesamten grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehr mit Ausnahme der Personenkontrollen auf den Flughäfen, die auch durch Kantone wahrgenommen werden (nach Art. 9 Abs. 1 des Ausländergesetzes üben die Kantone die Personenkontrolle auf ihrem Hoheitsgebiet aus. Abs. 2 sieht indessen vor, dass der Bundesrat im Einvernehmen mit den Grenzkantonen die Personenkontrolle durch den Bund regelt. Nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung über die Einreise und die Visumerteilung erledigt das GWK die Personenkontrollen an der Grenze sowohl im Rahmen seiner ordentlichen Aufgaben als auch gemäss den Vereinbarungen zwischen dem Eidgenössischen Finanzdepartement und den Kantonen). Gestützt auf die Bestimmungen von Artikel 95 und 96 ZG, die sie ermächti183

Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG); SR 631.0

4524

gen, Sicherheitsaufgaben im Grenzraum in Koordination mit der Polizei des Bundes und der Kantone zu erfüllen, um zur inneren Sicherheit des Landes und zum Schutz des Bevölkerung beizutragen, nimmt die EZV folgende Aufgaben wahr: ­

Bekämpfung von illegalen Handlungen durch Kontrollen auf der Grenze und im Grenzraum: Dazu gehört die Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität und illegaler Migration ­ z.B. durch Personen- und Fahrzeug und Sachfahndung ­ sowie die Bekämpfung von Betäubungsmittelschmuggel und Dokumentenfälschungen ­ alles unter Berücksichtigung der Schengen-Auflagen bezüglich der Personenkontrollen.184

­

Schutz der Bevölkerung und der Umwelt: Dazu gehören insbesondere Massnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit wie Lebensmittelkontrollen an der Grenze, der Tier-, Pflanzen- und Artenschutz, die Kontrolle des Verkehrs mit gefährlichen Gütern, radioaktiven und giftigen Stoffen sowie Abfällen.

­

Vollzug von Sicherheitsaufgaben: Dazu gehören insbesondere die Kontrolle des Verkehrs mit Kriegsmaterial, Waffen sowie zivil und militärisch verwendbaren Güter, explosionsgefährlichen Stoffen, die Einhaltung der Strassenverkehrsvorschriften anlässlich der Ein- und Ausreisen sowie der Vollzug von Embargomassnahmen.

2.3.2.5.3

Umfang der originären Kompetenzen der EZV

Der Umfang der Kompetenzen der EZV ist in den einschlägigen Erlassen geregelt; er kann sehr unterschiedlich sein. In den meisten Fällen beschränkt sich die Kompetenz der EZV auf die Kontrolle, auf die Feststellung allfälliger Straftaten sowie auf die Pflicht zur Meldung an die zuständigen Behörden. Zudem trifft die EZV die notwendigen Sicherungsmassnahmen. In anderen Fällen hingegen gehen die Kompetenzen der EZV wesentlich weiter: So führt die EZV Verfahren nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (SR 313.0; VStrR)185, wenn sie in Anwendung der Zollgesetzgebung oder in Anwendung von nichtzollrechtlichen Erlassen, die ihr entsprechende Kompetenzen verleihen, als Strafverfolgungsbehörde tätig wird.

Nachfolgend sind zwei weitere Beispiele für umfassendere Kompetenzen aufgeführt: Artikel 23 VEV186 sieht in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 2 AuG187 vor, dass das GWK die Personenkontrollen an der Grenze durchführt, dies sowohl im Rahmen seiner ordentlichen Aufgaben als auch gemäss den Vereinbarungen, die nach Artikel 97 ZG zwischen dem EFD und den Kantonen abgeschlossen werden. Zudem 184

Die Änderungen, die seit dem Inkrafttreten des Schengen-Assoziierungsabkommens im Ablauf der Kontrollen eingetreten sind, werden in Ziff. 5.2 des Berichts des Bundesrates über die Eidgenössische Zollverwaltung vom 26. Januar 2011 beschrieben.

185 Die spezialisierte Zollfahndung verfolgt dabei insbesondere auch gewerbsmässig begangene Widerhandlungen.

186 Verordnung vom 22. Oktober 2008 über die Einreise und die Visumerteilung; SR 142.204.

187 Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer; SR 142.20.

4525

kann das BFM die Grenzkontrollorgane ermächtigen, die Entscheide betreffend Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen auszufertigen und zu eröffnen (Art. 23 Abs. 2 VEV). Die Kantone ihrerseits können das GWK ermächtigen, die Wegweisung nach Artikel 64 AuG auszufertigen und zu eröffnen (Art. 23 Abs. 3 VEV).

Artikel 4 SKV188 ermächtigt die EZV, zusammen mit der Zollprüfung Folgendes zu kontrollieren: den Führer- und den Fahrzeugausweis sowie die Kontrollschilder, den Zustand der Fahrzeugführer und -führerinnen, die Einhaltung der Arbeits-, Lenkund Ruhezeiten, den technischen Allgemeinzustand der Fahrzeuge, die Abmessungen und Gewichte, den Transport von gefährlichen Gütern, das Sonntags- und Nachtfahrverbot, die Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung, die Einhaltung der Vorschriften über die Personenbeförderung und die Zulassung als Strassentransportunternehmung. Im Rahmen dieser Kontrollen kann die EZV die gleichen Massnahmen anordnen wie die kantonalen Polizeiorgane; so kann sie beispielsweise bei den Fahrzeugführern und -führerinnen Kontrollen der Blutalkoholkonzentration durchführen. Artikel 4 Absatz 3 SKV ermächtigt sie auch, Fahrzeugführer und -führerinnen an der Weiterfahrt zu hindern.189 All diese Aufgaben gelten als originäre Aufgaben190 der EZV und können von Gesetzes wegen grundsätzlich im gesamten Zollgebiet, d.h. auf dem gesamten schweizerischen Staatsgebiet, wahrgenommen werden.191 Da es aber darum geht, diese Aufgaben alle synergetisch, in einem Prozess zu erledigen, werden sie nur dort wahrgenommen, wo ein Grenzbezug besteht. Das kann auf einem Grenzübergang, im Grenzraum, auf einem über die oder ab der Grenze fahrenden Zug, einem Postamt oder bei einer Firma sein.

2.3.2.5.4

Zusammenarbeit mit den Kantonen192

2.3.2.5.4.1

Allgemeines

Die Zusammenarbeit der EZV mit den Grenzkantonen im Rahmen von Vereinbarungen besteht bereits seit Jahrzehnten. Sie soll durch eine optimale Ausnützung der Synergien die Sicherheit der Schweiz erhöhen, nicht zuletzt weil es Sinn macht, die 188 189

Verordnung vom 28. März 2007 über die Kontrolle des Strassenverkehrs; SR 741.013 Im Rahmen der Botschaft zu Via Sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr (BBl 2010 8447), ist im Übrigen vorgesehen, das Ordnungsbussengesetz (SR 741.03) dahingehend anzupassen, dass das EFD der EZV gestatten kann, Ordnungsbussen zu erheben. Das EFD informiert die Kantone darüber und schliesst mit ihnen eine entsprechende Vereinbarung ab.

190 Unter originären oder angestammten Aufgaben ­ im Gegensatz zu den von den Kantonen delegierten Aufgaben ­ wird somit das breite Spektrum von Aufgaben verstanden, welches das Bundesrecht (über 150 Gesetze und Verordnungen) der Zollverwaltung direkt zuweist, weil diese Aufgaben zusammen mit den Zollaufgaben im engeren Sinn wahrgenommen werden können. In diesem besonderen Zusammenhang ist der Begriff der originären Aufgabe vom Begriff der originären Kompetenzen zu unterscheiden, wie sie in Fussnote 53 definiert sind.

191 Eine Ausnahme bildet Art. 4 Strassenverkehrskontrollverordnung (SKV; SR 741.013): Verkehrskontrollen dürfen die Zollstellen und das GWK nur bei Fahrzeugen und Fahrzeugführern durchführen, die in die Schweiz einfahren und die die Schweiz verlassen.

192 Dieses Kapitel beruht weitgehend auf den Ziff. 1.3 und 5.2.2 des Berichts des Bundesrates vom 26. Januar 2011 über die Eidgenössische Zollverwaltung (Grenzwachtkorps und ziviler Zoll) oder übernimmt diese gar.

4526

Präsenz der Mitarbeitenden der EZV für weitere Aufgaben zu nutzen, die gleichzeitig mit ihren eigenen Aufgaben wahrgenommen werden können.193 Die Vereinbarungen zwischen der EZV und den Grenzkantonen beruhen auf Artikel 97 ZG. Im Hinblick auf das Inkrafttreten der Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen haben die KKJPD und das EFD eine Mustervereinbarung ausgearbeitet, um die Rahmenbedingungen ihrer Zusammenarbeit möglichst einheitlich zu gestalten. Neben den Grundsätzen sind in der Vereinbarung auch die Bereiche der Zusammenarbeit festgelegt (siehe Ziff. 2.3.2.5.4.2). Die KKJPD hat in diesem Zusammenhang vorgesehen, dass auch die Binnenkantone gewisse Aufgaben auf den Bahnlinien, vor allem den internationalen, an das GWK übertragen können.194 Die Kantone können frei entscheiden, wie weit sie bei der Aufgabendelegation gehen wollen. Die heutigen Kantonsvereinbarungen delegieren der EZV keine neuen Aufgabenbereiche; sie befassen sich nur mit den Bereichen, in denen die EZV von Gesetzes wegen Widerhandlungen auf der Grenze oder im Grenzraum feststellt. Die Zusammenarbeit geht dahin, dass die EZV in einfachen Fällen (einfache Gesetzesverstösse) den Fall nicht der Polizei zur Erledigung übergeben muss, sondern ihn auf Grund der Kantonsvereinbarung direkt mittels Verzeigung oder Busse erledigen kann. Diese delegierten Tätigkeiten der EZV stützen sich auf Artikel 44 Absatz 1 BV (Zusammenwirken von Bund und Kantonen) und Artikel 57 Absatz 2 BV (Sicherheit) sowie auf Artikel 97 ZG (Übernahme kantonaler polizeilicher Aufgaben im Grenzraum).

In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass mehrere Kompetenzen, die früher ausschliesslich auf einer Kompetenzdelegation durch die Kantone beruhten, wie beispielsweise die Personenkontrolle an den Grenzen (siehe Fussnote 183), in den letzten Jahren ausdrücklich als Kompetenz des GWK oder allgemein der EZV in die Bundesgesetzgebung aufgenommen wurden. So beruht zum Beispiel die Befugnis des GWK zur Durchführung der Ausländerkontrolle heute ausdrücklich auf Artikel 23 VEV in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 2 AuG. Diese Entwicklungen manifestieren den Willen des Bundesgesetzgebers, bestimmte Aufgaben, die er gerne in der Zuständigkeit der EZV zuständig sähe, in Bundesgesetzen zu verankern.

Da sich der Gesetzgeber des Problems der Kompetenzverteilung zwischen
Bund und Kantonen im Polizeibereich zweifellos bewusst ist, sieht er zumindest in bestimmten Fällen vor, dass diese Aufgaben in Absprache mit den Kantonen auszuführen sind.

Trotz der Statuierung dieser Kompetenzen in der Bundesgesetzgebung sind einige auch in den Vereinbarungen aufgeführt, was den Eindruck vermittelt, diese Kompetenzen müssten von den Kantonen an die EZV delegiert werden.

193

So delegierten insbesondere alle Grenzkantone ab 1964 die Personenkontrollen an den Grenzen an das GWK (Kreisschreiben des EJPD vom 14. Mai 1964).

194 Dabei handelt es sich um Züge, welche die Grenze überqueren oder ab dem Grenzbahnhof fahren. Eine Zugkontrolle beansprucht eine gewisse Zeit, die Züge halten aber heute kam mehr länger auf der Grenze bzw. entfernen sich meist relativ rasch aus dem Grenzraum. Deshalb werden diese Züge auch als «im Grenzraum im erweiterten Sinn» befindlich betrachtet.

4527

2.3.2.5.4.2

Bereiche der Zusammenarbeit und delegierte Aufgaben

Wie erwähnt geht es bei der Delegation darum, der EZV nach einer Feststellung zu erlauben, in bestimmten Bereichen einfachere Fälle selbstständig zu erledigen, d.h.

allenfalls zu büssen oder zu verzeigen. Dieses Vorgehen bedeutet einen Zeitgewinn und einen reduzierten Aufwand für alle Beteiligten: Die Kantonspolizei muss nicht jeden kleinen Fall übernehmen und sich jeweils einarbeiten; der Mitarbeitende der EZV muss nicht auf die Kantonspolizei warten und kann seinen Übergaberapport, den er sowieso schreiben müsste, gerade als Verzeigung verfassen; und die betroffene Person ­ vor allem wenn es nur um eine Busse geht ­ muss weniger lang warten.

In der Mustervereinbarung sind die Bereiche aufgeführt, in denen diese Aufgaben delegiert werden können (in allen diesen Fällen handelt es sich um Bereiche, die durch die Bundesgesetzgebung geregelt werden): ­

Personen-, Sach- und Fahrzeugfahndung,

­

Widerhandlungen gegen die Ausländergesetzgebung (rechtswidrige Ein- und Ausreise; rechtswidriger Aufenthalt; Erwerb ohne Bewilligung; Schleppertätigkeit; gefälschte, verfälschte oder nicht zustehende Ausweise),

­

gegen das Betäubungsmittelgesetz (Kleinstmengen),

­

gegen die Waffengesetzgebung (Tragen von Waffen und Waffenbestandteile),

­

gegen das Strassenverkehrsrecht (Fahren in fahrunfähigem Zustand; Fahren ohne [den erforderlichen] Führerausweis; Abgelaufene Kontrollschilder; Nichteinhalten der Arbeits- und Ruhezeitverordnung; Gefahrengut; Sonntags- und Nachtfahrverbot; Übermasse und Übergewicht; Radarwarngeräte),

­

gegen den Pilz- und Pflanzenschutz,

­

gegen die Jagd- und Fischereigesetzgebung sowie

­

gegen die Schifffahrtspolizeiliche Vorschriften.

Die meisten Kantonsvereinbarungen haben alle diese Bereiche übernommen. Es gibt keine Kantonsvereinbarung, die der EZV Aufgaben in anderen Bereichen delegiert.

Hingegen sind die Kantonsvereinbarungen sehr unterschiedlich in der Ausgestaltung der Aufgaben bzw. betreffend den Umfang der delegierten Kompetenzen: Zum einen ist zwar klar, dass diese Aufgaben ausschliesslich an der Grenze oder im Grenzraum wahrgenommen werden, doch die Definition des Grenzraums kann von Kanton zu Kanton unterschiedlich sein; darin kommt die kantonale Autonomie im Bereich der inneren Sicherheit zum Ausdruck.195 Entsprechend den Interessen der Kantone werden diese Aufgaben zudem im Bahn- und im Luftverkehr mehr oder weniger intensiv wahrgenommen.

Zum anderen variiert auch der Umfang der delegierten Aufgaben je nach Kanton.

Einige Kantone sehen in ihrer Vereinbarung für die meisten Fälle eine Übergabe an die Polizei vor. Diese Regelung macht eine Vereinbarung fast entbehrlich, so dass 195

Zuweilen kann der Grenzraum einen grossen Teil des Kantonsgebiets abdecken. Dies ist zum Beispiel im Kanton Graubünden der Fall. In Basel-Stadt erstreckt sich der Grenzraum auf den gesamten Kanton.

4528

diese nunmehr für die Festlegung der Zusammenarbeit und der Koordination vor Ort zwischen der Kantonspolizei und den Mitarbeitenden der EZV Sinn macht. Andere Kantone gestatten der EZV (GWK und/oder ziviler Zoll), Ordnungsbussen zu erheben, eine Sicherstellung der Busse oder der Gebühren zu verlangen, eine Befragung durchzuführen, eine Verzeigung vorzunehmen oder auch Zwangsmassnahmen zu treffen (wie zum Beispiel Fernhaltemassnahmen, Verweigerung der Weiterfahrt oder Beschlagnahme eines Vermögenswerts).

2.3.2.6

Sicherheit in öffentlichen Transportunternehmen

Im öffentlichen Verkehr nehmen in erster Linie die Sicherheitsorgane nach dem am 1. Oktober 2011 in Kraft getretenen BGST Sicherheitsaufgaben wahr. Die Sicherheitsorgane bestehen entweder aus einer Transportpolizei mit erweiterten Aufgaben und Befugnissen und einer entsprechenden Ausbildung oder einem ­ allenfalls auch privaten Organisationen übertragenen ­ Sicherheitsdienst; denkbar sind auch beide Varianten gleichzeitig (z.B. Sicherheitsdienst und zusätzlich situativer Einkauf von transportpolizeilichen Leistungen). Ergänzend dazu nehmen die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden Sicherheitsaufgaben wahr. Dies betrifft insbesondere Bereiche, in denen die Sicherheitsorgane keine Kompetenzen haben, wie z.B. zur Verhaftung von Personen.196 Zur Regelung der Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden verpflichtet die VST197 die Transportunternehmen, eine schriftliche Vereinbarung mit den Polizeibehörden zu schliessen. Darin ist auch die Abgrenzung der Aufgabenwahrnehmung z.B. im Bereich der Bahnhöfe zu regeln.

Den Entscheid, ob die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Feuerwaffen tragen dürfen, hat das Parlament an den Bundesrat delegiert. Dieser sieht in der VST vor, dass die Transportpolizei mit Feuerwaffen ausgestattet werden darf. Das Personal der Sicherheitsdienste, das laut Gesetz über weniger Befugnisse verfügt als jenes der Transportpolizei, darf keine Feuerwaffen tragen, kann aber mit der gleichen Ausrüstung ausgestattet werden wie sie die Securitrans AG bis anhin eingesetzt hat (Fesselungsmittel, Schlag- und Abwehrstöcke, Pfeffersprays und Diensthunde). Es obliegt somit den verantwortlichen Eisenbahnunternehmen, ob sie sich für oder gegen das Tragen von Feuerwaffen aussprechen.

Auch wenn durch das BGST die Kompetenzen der Polizeibehörden nicht wesentlich eingeschränkt werden,198 so werden doch gewisse Sicherheitsaufgaben, für die ansonsten allein die Polizeibehörden zuständig sind, primär nicht von den Polizeibehörden, sondern von den Sicherheitsorganen wahrgenommen. Verfassungsrechtliche Grundlage für diese Regelung sind insbesondere zwei Bundesmonopole, nämlich das Eisenbahninfrastrukturmonopol und das Personenbeförderungsregal (Art. 87 und 92 BV). Zum Infrastrukturmonopol gehören u.a. der Bau und Betrieb von Gleisanlagen, Tunnels, Stationen und
Bahnhöfen.199 Das Personenbeförderungsregal umfasst die regelmässige und gewerbsmässige Personenbeförderung auf Eisenbahnen, auf der Strasse und auf dem Wasser sowie mit Seilbahnen, Aufzügen und anderen 196 197 198

Vgl. Art. 4 Abs. 3 BGST SR 745.21 Siehe Ziffer 3.6 des Berichts vom 3. November 2009 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrates betreffend parlamentarische Initiative BGST, BBl 2010 891 897f.

199 Art. 5 und 18 ff. EBG

4529

spurgeführten Transportmitteln.200 Die Existenz von ungeschriebenem Verfassungsrecht gilt in der Verfassungslehre als gesichert. Insbesondere in Zusammenhang mit dem neuen BGST wurde indessen seitens der Kantone die implizite Kompetenz des Bundes zum Erlass von transportpolizeilichen Vorschriften bestritten.

Der Bundesgesetzgeber hat sich ­ in Fortführung des mit dem BGST aufgehobenen Bundesgesetzes betreffend Handhabung der Bahnpolizei201 ­ entschieden, auch im BGST die Konzessionäre zur Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben in diesen Bereichen zu verpflichten. Dies entspricht einer aus der vertragsrechtlichen Beziehung fliessenden Obhutspflicht. Die Wahrnehmung dieser Pflicht kann allerdings nur so weit gehen, als sie nicht mit allgemeinen Polizeiaufgaben kollidiert. Das BGST enthält deshalb bezüglich der Sicherheit im öffentlichen Verkehr eine differenzierte Regelung: Während die Befugnisse des Sicherheitsdienstes sich auf weniger weit gehende Massnahmen wie das Anhalten, Kontrollieren und Wegweisen von Personen beschränken, kann die Transportpolizei überdies Personen vorläufig festnehmen und Gegenstände beschlagnahmen. Diese muss sie möglichst rasch der Polizei übergeben.

Die Übertragung polizeilicher Kompetenzen geht nicht weiter, als sie für die Gewährleistung eines dauerhaft sicheren Betriebs des Personentransports im öffentlichen Verkehr notwendig ist. Umfang und Art der Sicherheitsaufgaben beschränken sich auf diejenigen Leistungen, die zum Schutz der Passagiere, der Angestellten, der transportieren Güter und zur Sicherstellung eines ordnungsgemässen Betriebs erforderlich sind. Die Aufgaben der Transportpolizei oder des Sicherheitsdienstes sind damit als Ergänzung zu der durch die Kantone zu gewährleistende öffentliche Sicherheit zu verstehen.

2.3.2.7

Sicherheit in der Luftfahrt

Unter Luftsicherheit (Security) wird der Schutz vor widerrechtlichen Handlungen, namentlich vor terroristischen Attentaten und Flugzeugentführungen verstanden. Mit den entsprechenden Sicherheitsmassnahmen soll verhindert werden, dass Waffen, Sprengstoffe, gefährliche Stoffe und weitere Gegenstände, die die Zivilluftfahrt gefährden könnten, in Flughäfen und Flugzeuge geschleust werden. Vom Begriff der Luftsicherheit ist der Begriff der Flugsicherheit (Safety) zu unterscheiden: Dieser umfasst die Massnahmen, mit denen die technische und betriebliche Zuverlässigkeit aller Akteure der Zivilluftfahrt gewährleistet werden soll.

2.3.2.7.1

Luftfahrzeuge und Flughäfen

Die Sicherheitsmassnahmen in den Luftfahrzeugen und Flughäfen sind in der Schweiz in verschiedenen Bundeserlassen geregelt (Luftfahrtgesetz vom 21. Dezember 1948202; Luftfahrtverordnung vom 14. November 1973203; Verordnung des UVEK vom 20. Juli 2009204 über Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr), 200 201 202 203 204

Art. 1 Abs. 2 PBG AS 3 422 und BS 7 27, AS 1958 335, 1986 1974 SR 748.0 SR 748.01 SR 748.122

4530

die sich auf die internationalen Vorschriften der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO)205 und der Europäischen Union stützen.

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) setzt diese Regeln im «Nationalen Sicherheitsprogramm Luftfahrt» um, in dem eine umfassende Strategie für die Luftsicherheit festgelegt ist. Das BAZL wird bei dieser Aufgabe vom Nationalen Sicherheitsausschuss Luftfahrt unterstützt, dem Vertreterinnen und Vertreter dieses Bundesamtes, von fedpol, der zuständigen kantonalen Polizeiorgane sowie der betroffenen Flugplatzhalter und der schweizerischen Luftverkehrsunternehmen angehören.

Für die Umsetzung der Sicherheitsmassnahmen sind in erster Linie die Flugplatzhalter und die Luftverkehrsunternehmen zuständig, die ein Sicherheitskonzept erarbeiten müssen. Falls es die Bedrohungslage erfordert, kann die Sicherheit an Bord schweizerischer Luftfahrzeuge durch Sicherheitsbeauftragte gewährleistet werden, die den kantonalen oder kommunalen Polizeikorps, dem Grenzwachtkorps oder der Militärischen Sicherheit angehören («Tigers»). Sicherheitsbeauftragte aus den gleichen Korps können auch in bestimmten Flughäfen im Ausland Überwachungseinsätze leisten («Fox»). Auf diese Tiger-/Fox-Einsätze wird unten in Ziffer 3.2.4 genauer eingegangen.

Die Sicherheit der Flughäfen in der Schweiz wird in der Regel durch die Kantonspolizei des Kantons gewährleistet, auf dessen Gebiet sich der Flughafen befindet. So verfügen die Zürcher und die Genfer Kantonspolizei je über eine «Flughafenpolizei», die namentlich Aufgaben im Bereich Migration (Kontrolle der ein- und ausreisenden Passagiere), Gerichtspolizei und Sicherheitspolizei für das Areal und die Gebäulichkeiten des Flughafens wahrnimmt.

2.3.2.7.2

Luftraum

Bei der Sicherung des Luftraums geht es darum, dafür zu sorgen, dass die angekündigten Flüge nach den Regeln der ICAO durchgeführt werden, die nicht kooperativen Luftfahrzeuge zu erfassen und Massnahmen gegen die unerlaubte Nutzung des schweizerischen Luftraums durch ausländische Militärflugzeuge zu treffen. Dieser Bereich untersteht hauptsächlich der Verordnung vom 23. März 2005 über die Wahrung der Lufthoheit (VWL).206 Die Erfüllung dieser Aufgaben erfolgt in Zusammenarbeit zwischen Skyguide («Schweizerische Aktiengesellschaft für zivile und militärische Flugsicherung») und der Luftwaffe. Skyguide ist für die Kontrolle und Lenkung des zivilen Luftverkehrs zuständig. Die Luftwaffe ihrerseits übernimmt den Luftpolizeidienst, der die folgenden Aufgaben umfasst: Ständige passive Überwachung des Luftraums (täglich rund um die Uhr) mit dem Radarsystem FLORAKO sowie Unterstützung von Luftfahrzeugen, die sich in Schwierigkeiten befinden, Abfangen von Flugzeugen, welche die Luftverkehrsregeln oder die Lufthoheit schwerwiegend verletzen, und Kontrolle der ausländischen Luftfahrzeuge, die für das Überfliegen des schweizerischen Hoheitsgebiets eine «diplomatic clearance» benötigen (Art. 4 VWL).

205

Übereinkommen von Chicago vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt, SR 0.748.0 206 SR 748.111.1

4531

Die Einschränkung des Luftverkehrs kann im Zusammenhang mit dem Schutz von Veranstaltungen erforderlich werden und ist vorliegend in diesem Zusammenhang darzustellen. Dies ergibt eine komplexe Kompetenzordnung, die am Beispiel des Frankophoniegipfels dargestellt werden soll, der vom 20.­24. Oktober 2010 in Montreux durchgeführt wurde.207 Die Einschränkung des zivilen Luftverkehrs beschliesst der Bundesrat gestützt auf Artikel 7 Luftfahrtgesetz autonom; um dies durchzusetzen, brauchte es Mittel der Luftwaffe im Assistenzdienst. Zusammen mit den Bodentruppen, welche die Kantone zur Verstärkung der Polizei beantragt hatten, waren mehr als 2000 Angehörige der Armee erforderlich, so dass die Eidgenössische Räte über diesen subsidiären Sicherungseinsatz zu entscheiden hatten. Dabei unterstützte die Armee mit den Mitteln der Luftwaffe subsidiär das UVEK, mit den Mitteln des Heeres die Kantone Waadt und Genf.208

2.3.2.8

Strafverfolgung und Rechtshilfe209

2.3.2.8.1

Kantonale Gerichtsbarkeit

2.3.2.8.1.1

Rechtsquellen im Allgemeinen

Die Regelung der sachlichen und funktionellen Zuständigkeit im Bereich der Strafgerichtsbarkeit findet sich zunächst in der Bundesverfassung (BV), indem Artikel 123 BV einerseits bestimmt, dass die Strafprozessgesetzgebung Bundessache ist (Abs. 1), die Organisation und Ausübung der Rechtsprechung jedoch eine kantonale Angelegenheit bleibt (Abs. 2). Die näheren Vorschriften zur Abgrenzung der kantonalen von der eidgenössischen Strafverfolgungskompetenz finden sich in Artikel 22­28 StPO.

2.3.2.8.1.2

Originäre und delegierte kantonale Gerichtsbarkeit

Gemäss Artikel 191a BV verbleiben die nicht ausdrücklich in einem Bundesgesetz dem Bund vorbehaltenen Kompetenzen zur Verfolgung und Beurteilung von Straftaten des Bundesrechts den Kantonen. Diese Regel wird von Artikel 22 StPO wiederholt. Der Grossteil der hauptsächlich vorkommenden Delikte, die das StGB unter Strafe stellt, ist somit von den Kantonen zu verfolgen.

Nach Artikel 25 StPO kann die Staatsanwaltschaft des Bundes Bundesstrafsachen, für welche nach Artikel 23 und 24 StPO Bundesgerichtsbarkeit gegeben ist, den kantonalen Behörden zur Verfolgung und Beurteilung übertragen (delegieren). Nicht delegierbar sind Delikte nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe g StPO.

207 208

Botschaft: BBl 2010 2375, Bundesbeschluss: BBl 2010 6893 Weitere Armeeeinsätze der letzten Jahre: EURO 2008, G-8-Gipfel 2003 im französischen Evian. Vgl. zu den Einsätzen den Bericht des Bundesrates an das Parlament über die Überprüfung der Zielsetzungen der Armee (BBl 2008 2413).

209 N. Schmid, Handbuch des schweizerischen Prozessrechts, Dike Verlag AG, Zürich/ St. Gallen 2009, § 29­31 sowie § 34­35.

4532

2.3.2.8.1.3

Sachliche und funktionelle Zuständigkeit der kantonalen Strafbehörden

Besteht kantonale Gerichtsbarkeit, so bestimmen nach Artikel 14 StPO die Kantone unter Beachtung der Artikel 12­21 StPO die Behörden, die zur Ausübung der sich aus der StPO ergebenden Befugnisse berechtigt und verpflichtet sind.

2.3.2.8.2

Bundesgerichtsbarkeit

2.3.2.8.2.1

Abgrenzung von Bundesgerichtsbarkeit im engeren und weiteren Sinn

Die Grundregel, wonach die Organisation der Gerichte und die Rechtsprechung im Bereich des Strafrechts den Kantonen zusteht (Art. 123 Abs. 2 BV, indirekt Art. 191a Abs. 1 BV), ist in verschiedener Hinsicht eingeschränkt. Ausnahmen zugunsten des Bundes finden sich zunächst in den Artikel 23 und 24 StPO. Dazu führen die Strafverfolgungsbehörden des Bundes aufgrund ihrer Zuständigkeit im Bereich der organisierten Kriminalität (Art. 260ter StGB) und der Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies StGB) auch Ermittlungsverfahren zur Bekämpfung terroristischer Organisationen. Man spricht hier von Bundesgerichtsbarkeit im engeren Sinn.

Daneben sind weitere Bereiche der Strafjustiz ­ ausserhalb der Artikel 23 und 24 StPO aufgezählten Tatbestände ­ nach der Spezialgesetzgebung Bundessache (vgl.

Art. 23 Abs. 2 StPO). Man kann diese Bereiche als Bundesgerichtsbarkeit im weiteren Sinn bezeichnen.

2.3.2.8.2.2

Bundesgerichtsbarkeit im engeren Sinn

Die heute in den Artikel 23 und 24 StPO aufgelisteten Fälle von Bundesgerichtsbarkeit i.e.S. fanden sich früher teilweise in der alten BV (etwa in Art. 114 für politische Delikte), näher indessen in den Artikel 336 und 337 StGB. Artikel 23 StPO entspricht dem bisherigen Artikel 336 StGB. Dieser zählt jene Tatbestände auf, die meist seit jeher der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen (verbotener Nachrichtendienst, Sprengstoffdelikte, Angriffe gegen völkerrechtlich geschützte Personen oder strafbare Handlungen von Bundesbediensteten gegen ihre Amtspflichten) und weist diese vorwiegend politischen bzw. gegen die Interessen des Bundes gerichteten Delikte der Bundesgerichtsbarkeit zu. Heute bedeutsamer ist indessen Artikel 24 StPO. Im Gegensatz zur klassischen Bundeskompetenz nach Artikel 23 StPO begründet Artikel 24 StPO die ­ ursprünglich als Artikel 340bis (später Art. 337) StGB ­ im Rahmen der sog. «Effizienzvorlage» (EffVor) per 1. Januar 2002 eingeführte neue Bundesgerichtsbarkeit und ordnet Geldwäscherei, Korruption und Verbrechen krimineller Organisationen der obligatorischen Bundeskompetenz zu, wenn die Straftaten zu einem wesentlichen Teil im Ausland begangen worden sind, oder in mehreren Kantonen begangen worden sind und dabei kein eindeutiger Schwerpunkt in einem Kanton besteht. Der Artikel unterstellt weiter die grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität der subsidiären und fakultativen Bundesgerichtsbarkeit.

4533

2.3.2.8.3

Zuständigkeit für erste Ermittlungen

Artikel 27 Absatz 1 StPO ermächtigt die kantonalen Behörden in Fällen von Bundesgerichtsbarkeit im Sinne von Artikel 23 oder 24 StPO, die ersten unaufschiebbaren Ermittlungen und Untersuchungshandlungen durchzuführen, wenn die Strafbehörden des Bundes noch nicht tätig wurden. Umgekehrt sind die Bundesbehörden bei Straftaten, die ganz oder teilweise in mehreren Kantonen oder im Ausland begangen worden sind und bei denen die Zuständigkeit des Bundes oder eines Kantons noch nicht feststeht, befugt, erste Ermittlungen durchzuführen.

2.3.2.8.4

Rechtshilfe in Strafsachen

2.3.2.8.4.1

Nationale Rechtshilfe

Die Artikel 43­53 StPO regeln die Rechtshilfe in Strafsachen von Behörden des Bundes und der Kantone zugunsten von Strafbehörden anderer Kantone oder des Bundes (Art. 43 Abs. 1 StPO). Als Rechtshilfe wird dabei jede Massnahme betrachtet, um die eine Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Unterstützung ihrer Tätigkeit in einem hängigen Strafverfahren ersucht (Art. 43 Abs. 4 StPO). Die Regeln betreffen indessen nicht nur die von Strafbehörden unter sich zu leistende Unterstützung, sondern sind auch für die von anderen Behörden (z.B. Verwaltungsinstanzen) von Bund, Kantonen und Gemeinden zu leistende Rechtshilfe massgebend. Nicht unter Artikel 43 StPO fällt die von den Strafbehörden zu leistende Unterstützung anderer Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden.

2.3.2.8.4.2

Internationale Rechtshilfe

Die internationale Rechtshilfe ist gemäss Artikel 54 Absatz 1 BV Bundessache. Im Zentrum stehen dabei das Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen210, zahlreiche Staatsverträge (wie zum Beispiel das zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen) sowie gewisse parallel zu diesen erlassene besondere Bundesgesetze. Die StPO statuiert in Artikel 54 den Vorrang dieser bundesrechtlichen Normen. Da das Rechtshilfeverfahren weitgehend im IRSG geregelt ist, beschränkt sich die StPO darauf, die Zuständigkeit für die Behandlung von Rechtsfällen in den Kantonen, etwa im Bereich der sogenannten «kleinen» Rechtshilfe (Art. 63 ff. IRSG), bei der stellvertretenden Strafverfolgung (Art. 85 ff. IRSG) oder bei der Übertragung der Strafvollstreckung (Art. 94 ff. IRSG) zu regeln.

Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes sind insbesondere in den in Artikel 23 und 24 StPO genannten Deliktsbereichen nach Artikel 17 IRSG zuständig zur Durchführung internationaler Rechtshilfe zugunsten ausländischer Strafverfahren.

Am 18. März 2011 hat die Bundesversammlung das Abkommen genehmigt, das die Schweiz und die EU geschlossen haben, um die Grundzüge der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der europäischen Gerichtsbehörde Eurojust festzulegen.

Der Hauptauftrag dieser Behörde besteht darin, die internationale Rechtshilfe und 210

IRSG; SR 351.1

4534

den Vollzug von Auslieferungsersuchen zu erleichtern und die einzelstaatlichen Gerichtsbehörden bei der Bekämpfung der Schwerstkriminalität zu koordinieren.

Dieses Abkommen ist am 22. Juli 2011211 in Kraft getreten.

2.3.2.9

Internationale Polizeikooperation

Unter internationaler Polizeikooperation sind alle Formen der Interaktion zwischen Organen der Sicherheitspolizei sowie der Gerichtspolizei zu verstehen, die verschiedenen Staaten oder verschiedenen Gemeinwesen angehören. Die Zusammenarbeit kann in Form eines Austauschs von Personal, Material und Spezialkenntnissen, von gemeinsamen Polizeieinsätzen oder auch durch Austausch von Personendaten erfolgen. Die Polizeikooperation ist darauf ausgerichtet, Polizeiaufgaben wie die Vorbeugung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die Beseitigung von Störungen sowie die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten zu erleichtern. Diese Kooperation umfasst sowohl die bilaterale Zusammenarbeit mit anderen Ländern im Rahmen internationaler Polizeiverträge, als auch die multilaterale Kooperation im Rahmen von internationalen Organisationen (z.B. Interpol, UNO, OSZE, Europarat), die Umsetzung und Weiterentwicklung der Assoziierung der Schweiz an Schengen sowie die Zusammenarbeit mit der EU im Allgemeinen (z.B. Europol, CEPOL). An dieser Stelle sind auch die Polizeiattachés (PA) zu nennen, die fedpol im Ausland einsetzt. Fedpol pflegt zudem die Beziehungen mit den ausländischen PA in der Schweiz. Schliesslich sind auch die Polizei- und Polizeikooperationszentren (CCPD) in Genf und Chiasso zu erwähnen.

Die auf den polizeilichen Kanälen (Interpol, Europol usw.) zur Verfügung gestellten Informationen können auch direkt in Strafverfahren einfliessen. Eine Ausnahme besteht für die Neubeschaffung von Informationen, die nur mittels Zwangsmassnahmen erhoben werden können. Hierfür ist der Rechtshilfeweg zu beschreiten (vgl.

Art. 75a IRSG).

Zur wirksamen Bekämpfung der verschiedenen Formen der internationalen Kriminalität verfügt die Schweiz über ein breites Spektrum von Instrumenten, die auf drei Pfeilern beruhen: die bilaterale Kooperation, die euro-regionale Kooperation sowie die globale Kooperation.

2.3.2.9.1

Grenzüberschreitende Tätigkeit durch die Polizei

Im Grundsatz ist die polizeiliche Tätigkeit auf fremdem Staatsgebiet völkerrechtswidrig. Das Gesetz stellt die amtliche Tätigkeit von Schweizer Polizeibeamten im Ausland unter Strafe (Art. 299 StGB). Umgekehrt sieht das Recht für ausländische Polizisten, welche die Schweizer Gebietshoheit verletzen, eine Strafandrohung vor (Art. 271 StGB).

211

SR 0.351.6

4535

Von diesem Grundsatz gibt es allerdings Ausnahmen. Recht und Praxis sehen diverse grenzüberschreitende polizeiliche Massnahmen vor wie namentlich die gemeinsamen Ermittlungsgruppen und Einsatzformen (z.B. für Grossveranstaltungen).212 Die rechtlichen Grundlagen für die erwähnten Massnahmen finden sich in den bilateralen Polizeiverträgen, im Schengen-Besitzstand sowie im Zweiten Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (der letztere Text, der sich auf die Rechtshilfe bezieht, dient als Grundlage für gerichtspolizeiliche Massnahmen).213

2.3.2.9.2

Globale Kooperation

Die 1923 gegründete internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol, die heute 190 Mitglieder zählt, ist für die Schweiz die wichtigste internationale Polizeiorganisation auf weltweiter Ebene. Interpol erfüllt vier Hauptfunktionen: die Verbreitung von gerichtspolizeilichen Informationen auf internationaler Ebene, den Betrieb von Datenbanken, die operative Unterstützung der Mitgliedstaaten sowie Training und Ausbildung.

Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Interpol beruht auf Artikel 350­353 StGB sowie auf der Verordnung vom 1. Dezember 1986 über das Nationale Zentralbüro Interpol Bern (Interpol-Verordnung).214 Gemäss Artikel 350 StGB nimmt in der Schweiz das Bundesamt für Polizei die Aufgaben eines nationalen Zentralbüros Interpol wahr. In dieser Funktion vermittelt das fedpol kriminalpolizeiliche Informationen zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat andererseits zum Zweck der Verfolgung von Straftaten, der Vollstreckung von Strafen und Massnahmen sowie der Verhütung von Straftaten (Art. 350 und 351 Abs. 1 und 2 StGB).

Die Polizeibehörden der Kantone können die über Interpol ausgetauschten Daten vergleichen und bearbeiten, um den Aufenthaltsort einer Person zu ermitteln, nach der gefahndet wird, oder um eine unbekannte Person zu identifizieren (Art. 354 StGB).

2.3.2.9.3

Bilaterale Kooperation

Seit 1995 war die Schweiz bestrebt, Abkommen mit ihren Nachbarländern auszuhandeln, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich zu festigen und auszubauen. In den Jahren 1998 und 1999 schloss die Schweiz innerhalb kurzer Zeit mit allen angrenzenden Ländern Polizeikooperationsabkommen.215 Seit 2003 hat sie auch mit verschiedenen Staaten in Ost- und Südosteuropa 212

Siehe zum Beispiel das Abkommen vom 28. Mai 2003 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Französischen Republik über die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten anlässlich des Gipfels von Evian, SR 0.360.349.2.

213 Näheres hierzu vgl. M. Gamma, Die grenzüberschreitende Observation durch die Polizei, in: Peters Dreiblatt, Bern 2010, S. 445­460.

214 SR 351.21 215 Vgl. Botschaften des Bundesrates vom 14. Dezember 1998, BBl 1999 1485 ff., vom 24. November 1999, BBl 2000 862 ff., und vom 7. Dezember 2007, BBl 2008 247 ff.

4536

bilaterale Abkommen im Polizeibereich unterzeichnet.216 Diese Abkommen wurden im Rahmen von Strategien für die internationale Polizeikooperation ausgehandelt, in denen ­ ausgehend von einer Bedrohungsanalyse ­ Länder festgelegt wurden, die in Bezug auf die Entwicklung der Kriminalität in der Schweiz im Vordergrund stehen.

Der Inhalt dieser bilateralen Abkommen ist unterschiedlich, je nachdem, ob sie mit den angrenzenden Ländern oder mit mittel- und südeuropäischen Staaten geschlossen wurden. In den Abkommen mit den Nachbarstaaten kommt das Bedürfnis der Grenzkantone und der Eidgenössischen Zollverwaltung zum Ausdruck, eine enge Zusammenarbeit mit diesen Staaten aufzubauen; diese Abkommen ermöglichen somit grenzüberschreitende Massnahmen wie die Nacheile, die grenzüberschreitende Observation, gemischte Patrouillen usw. Mit Ausnahme der Rechtshilfe in Strafsachen (einschliesslich der Auslieferung) sowie der Aufgabengebiete des Grenzwachtkorps und der Zollbehörden fallen die Regelungsbereiche in den Polizeikooperationsabkommen mit den Nachbarstaaten weitgehend in die Zuständigkeit der Kantone. Daher wurden die Kantone wie auch die EZV eng in die Verhandlungen mit den Nachbarstaaten einbezogen.217 Die Abkommen mit den Staaten in Ost- und Südosteuropa gehen weniger weit. Ihr Ziel besteht darin, die Zusammenarbeit mit Schwerpunktländern über die Möglichkeiten hinaus auszubauen, die Interpol bietet. In Bezug auf die Kompetenzen, die den Kantonen im Polizeibereich zustehen, ändern diese Abkommen nichts, da sich ihre Bestimmungen hauptsächlich auf den Informationsaustausch zwischen den Zentralstellen beziehen.218

2.3.2.9.4

Euro-Regionale Kooperation

Das Europäische Polizeiamt (Europol, European Police Office), das seine Tätigkeit am 1. Juli 1999 aufgenommen hat, ist die europäische Strafverfolgungsbehörde, die mit der Prävention und Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität beauftragt ist. Zwischen der Schweiz und Europol besteht ein Kooperationsabkommen, das am l. März 2006 in Kraft getreten ist.219 Dieses Abkommen ermöglicht den Austausch von strategischen und operativen Informationen sowie von spezifischen 216

Eine Liste dieser Abkommen kann in der Systematischen Sammlung unter den Nummern SR 0.360.123.1 bis SR 0.360.743.1 abgerufen werden. Am 27. März 2009 hat die Schweiz zudem mit Bulgarien, mit dem noch kein bilaterales Polizeikooperationsabkommen bestand, eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU) über die Unterstützung im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit unterzeichnet. Dieses nicht verbindliche Instrument ist insbesondere darauf ausgerichtet, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern im Rahmen von Interpol und Europol zu intensivieren.

217 Siehe zum Beispiel Botschaft über verschiedene Vereinbarungen mit Deutschland sowie mit Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, BBl 2000 862 913. Auch bei der Revision des Polizeikooperationsabkommens mit Frankreich in den Jahren 2005­2007 wurden die Kantone eng einbezogen.

218 Siehe Botschaft vom 1. Februar 2006 zu den Abkommen mit Albanien und Mazedonien über die polizeiliche Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Kriminalität, BBl 2006 2177 2191, und Botschaft vom 1. Februar 2006 zum Abkommen mit Rumänien über die polizeiliche Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Kriminalität, BBl 2006 2217 2231.

219 Abkommen vom 24. September 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Europäischen Polizeiamt, SR 0.362.2. Am 1. Januar 2008 wurde der Anwendungsbereich des Abkommens erweitert und umfasst nun 25 Kriminalitätsbereiche (Briefwechsel vom 7. März 2006/22. November 2007 zwischen der Schweiz und dem Europäischen Polizeiamt Europol, SR 0.362.21).

4537

Kenntnissen. Das Mandat der Zusammenarbeit umfasst aktuell 25 Kriminalitätsbereiche. Darunter fallen namentlich der Terrorismus, der Menschenhandel, der Drogenhandel und einzelne Formen von Wirtschaftskriminalität.

Neben dem Bundesamt für Polizei und weiteren Verwaltungsbehörden des Bundes ziehen auch die kantonalen Polizeibehörden Nutzen aus der Zusammenarbeit, die im Rahmen von Europol aufgebaut wurde. Die Informationen, die sie über Europol übermitteln oder erhalten, müssen über das Bundesamt für Polizei laufen, das im Rahmen von Europol die Rolle der schweizerischen Kontaktstelle übernimmt und in dieser Eigenschaft die Informationsflüsse zentral steuert.

Das 1985 geschlossene Schengener Übereinkommen fördert den freien Personenverkehr, indem die systematischen Identitätskontrollen an den Binnengrenzen der EU aufgehoben werden. Mit Ausnahme von Grossbritannien, Irland, Zypern, Rumänien und Bulgarien beteiligen sich alle Mitglieder der EU an der SchengenKooperation. Norwegen, Island sowie die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein sind als Drittstaaten vollumfänglich assoziiert. Neben der Aufhebung der Identitätskontrollen an den Binnengrenzen und der Verstärkung der Kontrollen an den Aussengrenzen wurden durch das Schengener Übereinkommen von 1985 und das entsprechende Durchführungsübereinkommen (SDÜ) von 1990 zudem Massnahmen eingeführt, um die Sicherheitsstandards zu gewährleisten, insbesondere die Modernisierung der Modalitäten des Informationsaustauschs über Personen und Sachen, nach denen über das Schengen-Informationssystem (SIS) gefahndet wird.

Das Schweizer Volk hat sich am 5. Juni 2005 für das Schengen-Assoziierungabkommen (SAA) ausgesprochen.220 Seit dem 12. Dezember 2008 wird dieses formell angewandt, womit die systematischen Identitätskontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums aufgehoben werden konnten. Auf nationaler Ebene wurde das SIRENE-Büro, das der Einsatzzentrale von fedpol angegliedert ist, mit den operativen Aufgaben und der Verwaltung der Daten des SIS beauftragt. Im Bundesgesetz über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten (Schengen-InformationsaustauschGesetz, SIaG)221 sind die Form- und Verfahrensvorschriften festgelegt, die beim Versand von Ersuchen und Antworten zwischen den
zuständigen Stellen der Schengen-Staaten eingehalten werden müssen.

Die Kantone spielen bei der Durchführung und Umsetzung von Schengen eine zentrale Rolle. Wird die Zahl der Abrufe berücksichtigt, sind zum Beispiel die kantonalen Polizeibehörden nebst dem Grenzwachtkorps die wichtigsten Benutzer des SIS. Da die im Rahmen von Schengen eingeführte Kooperation wichtige Kompetenzen der Kantone berührt (z.B. Souveränität im Justiz- und Polizeibereich), mussten besondere Mechanismen vorgesehen werden, um die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und dem Bund zu regeln. So sieht der Bundesbeschluss vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und Dublin vor, dass Bund und Kantone «die Beteiligung der Kantone an der Umsetzung und Weiterentwicklung des Schengen- und Dublin-Besitzstands [...] in einer Vereinbarung» regeln. Diese Vereinbarung, die sich auf die Bundesverfassung und das Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des

220 221

SR 0.362.31 SR 362.2

4538

Bundes stützt, wurde am 29. September 2006 unterzeichnet.222 Es ermöglicht Vertreterinnen und Vertretern der Kantone, in Brüssel direkt an den Sitzungen der gemischten Ausschüsse und Arbeitsgruppen teilzunehmen, die damit beauftragt sind, jene Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vorzubereiten, die ausschliesslich oder teilweise kantonale Zuständigkeiten betreffen. Die Vertretung der Kantone wird durch die KdK über deren Begleitorganisation Schengen/Dublin (BOSD) gewährleistet. Diese direkte Mitwirkung der Kantone an den Verhandlungen über die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist ein neuer und bisher einmaliger Mechanismus, der zufriedenstellend funktioniert.

2.3.3

Jedermannsrechte

Nach dem Gesagten ergibt sich, dass die Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dem Grundsatz nach dem Staat obliegt. In einer freiheitlich demokratischen Ordnung kann und will der Staat indessen nicht omnipräsent sein. Die Verfassung lässt daher Raum für eine begrenzte Gefahrenabwehr durch die betroffenen Privatpersonen selbst. Basis ist das Prinzip der Selbstverantwortung, das die Verfassung mit dem Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) und der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) anerkennt.

Die strafrechtlichen Selbstschutz- und Selbsthilferechte (Notstand, Notwehr bzw.

Notstandhilfe und Notwehrhilfe; Artikel 15­18 StGB) stehen jedermann zu. Allerdings ist die Ausübung dieser Abwehrrechte nur in engen Grenzen zulässig (Erfordernis der Verhältnismässigkeit) und auf eigentliche Angriffe bzw. aussergewöhnliche und unvorhersehbare Gefahrenlagen beschränkt. Weiter gehören zu den Jedermannsrechten das in der StPO verankerte Festnahmerecht (Art. 218 StPO) wie auch die zivilrechtlichen Rechtfertigungsgründe nach Artikel 701 ZGB (Eingriffe in das Grundeigentum Dritter zur Abwehr von Gefahr und Schaden) und Artikel 926 ZGB (Besitzesschutz).223 Über diese gesetzlich definierten privaten Abwehrrechte hinaus statuiert vor allem das Hausrecht eine wichtige Ausnahme vom Gewaltmonopol. Das Hausrecht fliesst aus dem Recht auf Achtung der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 BV) und aus entsprechenden weiterreichenden kantonalen Verfassungsbestimmungen, aus dem Straftatbestand des Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB), aus den Eigentums- und Besitzrechten des ZGB sowie aus den Persönlichkeitsschutz nach Artikel 27 und 28 ff. ZGB.

Die Inhaberin oder der Inhaber des Hausrechts hat das Recht zu bestimmen, wer sich in bestimmten Räumlichkeiten aufhalten darf.224 Die Hausrechtsinhaberin oder der Hausrechtsinhaber ist befugt, das Hausrecht durch Objektschutz (Innen- und Aussenkontrollen von Liegenschaften), Zutrittsverweigerung und Wegweisung von Personen selber durchsetzen. Das Hausrecht und die damit verbundenen Befugnisse können durch die Hausrechtsinhaberin oder den Hausrechtsinhaber auf andere Personen, aber auch auf private Sicherheitsunternehmen übertragen werden.225 222

Vereinbarung zwischen Bund und Kantonen betreffend Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstands, SR 362.1.

223 Vgl. hierzu W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/ 2007 I.

224 Artikel 186 StGB 225 Zur Problematik der Gefahrenabwehr durch private Sicherheitsunternehmen s. auch unten Ziffer 2.3.4 ff.

4539

Während im öffentlichen Raum somit die Polizei für die Sicherheit zuständig ist, steht dem Hausrechtsinhaber auf privatem Grund die Befugnis zur privaten Gefahrenabwehr zu. Komplex gestaltet sich die Situation im halböffentlichen Raum, d.h.

in privaten, aber der Öffentlichkeit zugänglichen Örtlichkeiten wie z.B. Sportstadien, Vergnügungsparks und Einkaufszentren. Ähnlich verhält es sich mit von Privaten veranstalteten Grossanlässen auf öffentlichem Grund. Wo der Zugang nicht nur einem bestimmten Personenkreis vorbehalten ist, sondern alle Zutritt haben, treffen die polizeilichen Kompetenzen auf die aus dem Hausrecht erwachsenen Selbsthilferechte. In den solchermassen allgemein zugänglichen Orten können somit neben der Polizei auch die Inhaber des Hausrechts bzw. von ihnen beauftragte Personen oder spezialisierte Unternehmen Sicherheitsmassnahmen (Stadionverbot, Eingangskontrolle, Durchsuchung von Taschen, Personen- oder Objektschutz usw.)

ergreifen. Die Tätigkeit der Privaten bzw. der von ihnen beauftragten Sicherheitsunternehmen beschränkt sich dabei strikt auf diejenigen Aufgaben, die ihnen aus dem Hausrecht und kraft ihrer Selbsthilferechte zustehen. Die Aufgabenübertragung auf Private an halböffentlichen Orten kann sich aber auch auf die Einwilligung der Besucher/innen oder Nutzer/innen zum Sicherheitsdispositiv abstützen. Trennscharf lassen sich indessen die Zuständigkeitsbereiche von Polizei und privater Gefahrenabwehr in solchen Situationen nicht voneinander abgrenzen; dem Grundsatz nach verdrängt aber die Polizei die aus den Selbsthilferechten erwachsenen Kompetenzen der Privaten in dem Umfang, in welchem die Polizei selber die nach ihrer Einschätzung im Einzelfall notwendigen Sicherheitsmassnahmen ergreift.226

2.3.4

Private Sicherheitsunternehmen

Als private Sicherheitsunternehmen lassen sich alle nichtstaatlichen Anbieter von Dienstleistungen im Sicherheitsbereich bezeichnen. Auf ihre Organisationsform kommt es dabei nicht an. Denkbar sind sowohl einzelne Personen, die eine entsprechende Geschäftstätigkeit betreiben, aber auch juristische Personen oder Personengesellschaften (Kollektiv- und Kommanditgesellschaften). Zu den privaten Dienstleistungen im Sicherheitsbereich gehören die klassischen Schutz,- Bewachungs- und Überwachungsaufgaben für Personen und Liegenschaften.227 Auf der internationalen Ebene stark an Bedeutung gewonnen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten nebst der Sicherung von humanitären Einsätzen vor allem Sicherheitsdienstleistungen militärischer Art, bei denen die Anbieter in vielfältiger Weise die im Kampfeinsatz stehenden Streitkräfte unterstützen. Ohne den massiven Rückgriff auf Dienstleistungen Privater in den Bereichen Sicherung rückwärtiger Stützpunkte, Transport und Logistik, Kommunikation, und Nachrichtendienst hätten die Interventionsmächte ihre militärischen Operationen im Irak und in Afghanistan nicht führen können. Private Sicherheitsdienstleistungen spielen aber auch im innerstaatlichen Bereich eine zunehmend wichtigere Rolle. Der Bestand der Polizeikorps in den Kantonen und Gemeinden ist zwar stetig gewachsen; in Relation zur Bevölkerungsdichte ist das Wachstum aber nur marginal und vermag mit dem Aufgabenzuwachs nicht Schritt zu halten. Die Aufgaben etwa im Zusammenhang mit der Bekämpfung 226

Vgl. hierzu Gutachten W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 35 ff.; s. auch unten Ziffer 2.3.4.2.

227 Art. 18 Abs. 3 des am 1. Dezember 2011 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über die Abgaben für die Benützung von Nationalstrassen sieht sogar die Möglichkeit der vertraglichen Übertragung der Strafverfolgung an Private vor.

4540

der Kriminalität, der Kontrolle des öffentlichen Raums und der Gewährleistung der Sicherheit von Grossanlässen sind deutlich zahlreicher und komplexer geworden, so dass sich Behörden und private Veranstalter häufiger veranlasst sehen, zur Unterstützung der Polizei private Sicherheitsunternehmen beizuziehen.

2.3.4.1

Staatliches Gewaltmonopol

Eines der Wesenselemente des modernen Staates ist dessen Gewaltmonopol.

Gemäss der im Völker- und Staatrecht gültigen Definition erfordert die Staatlichkeit neben einem definierten Gebiet und einer dort ansässigen Bevölkerung die Ausübung einer effektiven Herrschaftsgewalt.228 Die uns vertraute Konzentration der Gewaltausübung beim Staat ist das Ergebnis eines historischen Prozesses, der mit der Ablösung mittelalterlicher Feudalstrukturen und der Entwicklung der Territorialstaaten im 17. Jahrhundert einsetzte.229 In der Schweiz leitet sich das staatliche Gewaltmonopol aus den Verfassungen des Bundes und der Kantone ab. Indes fehlen explizite Verfassungsnormen in der Bundesverfassung und in fast allen Kantonsverfassungen. Das Gewaltmonopol ist jedoch eine Voraussetzung für zahlreiche Kompetenzen des Bundes und der Kantone in den Bereichen der inneren und äusseren Sicherheit, der Aussenpolitik, der Durchsetzung des Rechts und der Wahrung der öffentlichen Ordnung. Ohne staatliches Gewaltmonopol könnte der Bund keine internationalen Verträge schliessen, da er deren Umsetzung nicht garantieren könnte. Eine funktionierende Strafrechtsordnung setzt ebenfalls voraus, dass die rechtmässige Anwendung von Gewalt bis auf wenige Ausnahmen der Notwehr, des Notstands und des Festhalterechts ausschliesslich vom Staat ausgeht. Vom staatlichen Gewaltmonopol des Bundes und der Kantone hängt schliesslich auch die Gewährleistung der inneren und äusseren Sicherheit und der Ordnung im öffentlichen Raum ab. Das staatliche Gewaltmonopol ist somit inhärenter Bestandteil des Verfassungsrechts des Bundes und der Kantone (vgl. Ziff.

2.2.3.4).

2.3.4.2

Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private

Das staatliche Gewaltmonopol bedeutet nicht, dass der Bund oder die Kantone zur Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben keine Privaten beiziehen können. So sieht Artikel 178 Absatz 3 BV sieht ausdrücklich vor, dass Verwaltungsaufgaben durch Gesetz Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts übertragen werden können, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen.

Das Gewaltmonopol lässt indes nicht zu, dass sich der Staat aus seiner ihn legitimierenden, elementaren Verpflichtung, die Gewaltanwendung im privaten und im öffentlichen Raum umfassend zu regeln und zu kontrollieren und die öffentliche Sicherheit zu garantieren, zurückzieht. Der Staat würde letztlich seine Souveränität einbüssen, «wenn er sich seiner Aufgabe der Friedenssicherung gegen innen und 228

W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 3­18, insb. S. 3 und 13.

229 W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 5­12. Bereits in der Antike gab es allerdings schon Herrschaftsverbände mit einer effektiven Staatsgewalt, so namentlich das Römische Reich.

4541

aussen entledigt».230 Anders als im Bereich wirtschaftlicher Tätigkeiten kann der Staat die Gewährleistung der gesellschaftlichen Sicherheit und Ordnung demnach nicht vollständig privatisieren, d.h. als Aufgabe den Privaten überlassen.231 Dort, wo Private rechtmässig Gewalt anwenden, tun sie dies entweder im staatlichen Auftrag oder unter staatlicher Kontrolle oder ­ im Bereich der privaten Abwehrrechte ­ gestützt auf vom Gesetzgeber genau definierte Rechtfertigungsgründe, die ein ansonsten verbotenes Verhalten ausnahmsweise erlauben.

Der Einbezug Privater durch den Staat zur Erbringung von Sicherheitsdienstleistungen kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Wird privates Sicherheitspersonal in untergeordneten Funktionen eingesetzt, d.h. wird es bei der Ausübung seiner Tätigkeit von staatlichem Personal eng kontrolliert und hat es keine eigenen Handlungsspielräume, so hat man es nicht mit einer Übertragung staatlicher Aufgaben an Private (Delegation) zu tun. In solchen Fällen übt das private Sicherheitspersonal eine blosse Hilfstätigkeit für staatliche Stellen aus. Diese geben die Sicherheitsaufgabe nicht aus der Hand.232 Eine Delegation von Sicherheitsdienstleistungen an Private liegt dann vor, wenn der Staat Sicherheitsaufgaben, die ihm obliegen, zur selbstständigen Erfüllung an Private überträgt, ohne seine Verantwortung für deren wirksame Umsetzung aufzugeben.233 Im Bund spielen solche Delegationen vor allem im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten eine Rolle. So setzt das EDA zur Bewachung seiner diplomatischen und konsularischen Vertretungen sowie der Kooperationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Ausland, aber auch für den Schutz der Dienstwohnungen und des Transports seines dortigen Personals, private Sicherheitsunternehmen ein.234 Erforderlich ist dies namentlich in Staaten, in denen die öffentliche Sicherheit ungenügend garantiert ist. Wenn solche Aufgaben

230

231

232

233

234

So W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 77, mit detailliertem Hinweis auf K. Eichenberger, Die Sorge für den inneren Frieden als primäre Staatsaufgabe, in: Der Staat der Gegenwart: Ausgewählte Schriften, Basel 1980, S. 73 ff., 94.

Von einer Aufgabenprivatisierung oder Vollprivatisierung spricht man, wenn der Staat eine Aufgabe ganz den Privaten überlässt, ohne selber noch eine Verantwortung für deren Erfüllung zu übernehmen, W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 59.

Ein Beispiel ist der Einsatz Privater bei der Personen- und Gepäckkontrolle an Flughäfen an der Seite von Polizeiorganen, wenn die Privaten die Sicherheitstore oder die Gepäckscanner überwachen. Kommt es zu sicherheitsrelevanten Situationen, greifen die staatlichen Organe ein. Am Flughafen Zürich-Kloten werden für Kontrollaufgaben gegenüber Flugpassagieren keine Privatpersonen eingesetzt, sondern bei der Kantonspolizei angestellte Personen, die speziell dafür ausgebildet sind, jedoch keine Polizeiausbildung absolviert haben. Ab 2012 sollen solche Personen auch die Passkontrolle durchführen.

Private kommen dagegen bei der Kontrolle der Zugänge vom nichtsicheren in den sicheren Flughafenbereich zum Einsatz. Sie führen bei den Angestellten des Flughafens auch Sicherheitskontrollen durch. Da der Flughafen Zürich privat betrieben wird, handelt es sich bei dieser Tätigkeit aber nicht um eine Hilfstätigkeit für staatliche Organe, sondern um einen Fall, in welchem Private in einem halböffentlichen Raum Sicherheitsaufgaben wahrnehmen. Beschränken sich diese auf eine äusserliche Kontrolle der betreffenden Personen, sind sie durch das Hausrecht der Flughafenbetreiberin und die Einwilligung der betreffenden Personen gedeckt.

In diesem Fall spricht man von Erfüllungsprivatisierung, vgl. W. Kälin/A. Lienhard/ J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 59.

Vgl. die Antwort des Bundesrates vom 31.08.2005 auf die Ip. 05.3432 von Nationalrätin U. Wyss «Private Sicherheitsfirmen. Kenntnisstand und Massnahmen des Bundesrates».

4542

nicht der Armee übertragen werden,235 bedarf es des Beizugs Privater, damit der Bund in den betreffenden Gebieten präsent sein und die Sicherheit seiner Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter im erforderlichen Mass gewährleisten kann.

Im Inland wird die Übertragung von Schutzaufgaben an Private vor allem im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Sicherheit in halböffentlichen Räumen diskutiert. Solche Räume lassen sich einem Privaten zuordnen, sei es, weil er Eigentümer ist oder sei es, weil er ­ wie häufig bei einem Sportstadion oder einem Lokal für kulturelle Veranstaltungen ­ dessen kommerzieller Betreiber ist. Sie werden aber im Rahmen eines bestimmten Zwecks von der Öffentlichkeit genutzt.236 Die Veranstalter sportlicher und kultureller Grossanlässe sehen sich mit einer wachsenden Gewaltbereitschaft der Nutzer ihrer Angebote konfrontiert. Die Polizei, die sich mit ihren beschränkten Mitteln auf ihre vorrangige Aufgabe konzentriert, die Sicherheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten, ist in den betreffenden Räumen nicht präventiv präsent. Die Sicherstellung einer wirksamen Eingangskontrolle und der Ordnung während der Veranstaltung ist die primäre Verantwortung der Veranstalter.

Sie greifen dabei zunehmend auf private Sicherheitsunternehmen zurück. Sind Eingriffe privater Sicherheitsdienstleister in die Persönlichkeitsrechte der Nutzer halböffentlicher Räume weder durch deren Einwilligung noch durch die privaten Abwehrrechte gedeckt, braucht es eine gesetzlich festgehaltene Aufgabenübertragung durch den Bund oder die Kantone.

2.3.4.3

Rechtsgrundlagen und rechtliche Schranken

Die Gewährleistung von Sicherheit ist eine öffentliche Aufgabe, die von den zuständigen Behörden im Bund und in den Kantonen wahrgenommen werden muss. Der Staat ist aufgrund der Grund- und Menschenrechte verpflichtet, seinen Bürgerinnen und Bürgern Schutz vor Gewaltakten zu gewähren und gegen die Täterschaft vorzugehen. Andererseits darf dies nur in dem von den Grund- und Menschenrechten abgesteckten Rahmen geschehen. Diese sind nicht nur in der BV garantiert; die Schweiz hat sich durch die Ratifizierung verschiedener internationaler Verträge verpflichtet, die Menschenrechte zu schützen (u.a. EMRK, UNO-Pakte I und II).

Diese Konventionen beinhalten verbindliche Vorgaben und Grundwerte, die in unserer Rechtsordnung einen wichtigen Platz einnehmen. Bei der Ausübung der staatlichen Schutzmassnahmen ist es oft unvermeidlich ist, einzelne Grund- und Menschenrechte einzuschränken oder gar zu derogieren. Solche Massnahmen sind jedoch stets von der rigiden Einhaltung verschiedener Voraussetzungen abhängig (Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips, des Diskriminierungsverbots, der Unantastbarkeit von notstandsfesten Garantien, wie sie etwa in Art. 15 EMRK und Art. 4 Abs. 2 UNO-Pakt II umschrieben sind etc.)

235

Vgl. Verordnung über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland (VSPA; SR 513.6).

236 Beispiele solcher Räume sind privat betriebene Fussballstadien, Schulen, (umgrenzte) Sportplätze, Badeanstalten, Restaurants, Messen, Kinos, Diskotheken, Geschäfte und Einkaufszentren, aber auch privat betriebene Transportmittel wie Bus, Tram, Bahn oder Flugzeug; vgl. Bericht des Bundesrates zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen vom 2. Dezember 2005, BBl 2006 623 ff., 648.

4543

Die Übertragung von Sicherheitsaufgaben auf Private erfordert gemäss ausdrücklicher Vorschrift von Artikel 178 Absatz 3 BV eine gesetzliche Grundlage. Die Delegation ist als wichtige rechtssetzende Bestimmung im Sinne von Artikel 164 Absatz 1 BV zu qualifizieren, weshalb sie in einem Gesetz im formellen Sinn enthalten sein muss.237 Auch in den Kantonen setzt eine Übertragung von Sicherheitsaufgaben vom Staat auf Private eine gesetzliche Grundlage voraus, weil die verfassungsrechtlich vorgesehene Erfüllungszuständigkeit des Gemeinwesens durchbrochen wird. Eine Delegation muss überdies im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.238 Nicht jede Sicherheitsaufgabe darf allerdings an Private delegiert werden. Als nicht übertragbar anerkennt die Lehre beispielsweise die militärische Landesverteidigung oder die Strafverfolgung im engeren Sinn.239 Selbst der Erlass einschränkender gesetzlicher Vorschriften, welche die Voraussetzungen, Mittel und Schranken der Dienstleistungserbringung durch Private detailliert regeln, könnten daran nichts ändern. In diesen Fällen würde eine Aufgabenübertragung an Private den Kern der staatlichen Autorität dermassen stark beeinträchtigen, dass sie einer eigentlichen Aufgabenprivatisierung gleichkäme.240 Die qualitativen Anforderungen an die gesetzliche Grundlage hängen von der Art der privaten Sicherheitsdienstleistung, der Intensität allfälliger Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte Betroffener und dem Eskalationsrisiko ab. Zur Festlegung des Umfangs und der Grenzen wenig heikler Sicherheitsdienstleistungen wie etwa Logendienste oder Verkehrsüberwachungen genügt ein Gesetz im materiellen Sinn (Verordnung). Folgende Punkte sprechen dagegen für eine Regelung in einem formellen Gesetz:

237

238 239 240 241

­

die private Sicherheitsdienstleistung ist mit mittelschweren oder schweren Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verbunden. Dies ist z.B. der Fall, wenn bei grossen Sportveranstaltungen oder kulturellen Anlässen im Rahmen der Eingangskontrolle Untersuchungen an Personen vorgenommen werden, die über ein oberflächliches Abtasten in unproblematischen Körperzonen hinausgehen.241

­

die private Sicherheitsdienstleistung erfolgt in einer heiklen Situation, in der eine Eskalation jederzeit möglich ist. Ein Beispiel hierfür sind die Häftlingstransporte mit der Bahn von einem gesicherten Ort an einen anderen, welche

Bericht des Bundesrates zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen vom 2. Dezember 2005, BBl 2006 623 ff., 651; «Zutrittkontrollen in Stadien. Durchsuchungen im Intimbereich», Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 3. Februar 2011, S. 9; W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 61.

G. Biaggini, St. Galler Kommentar, a.a.O., Artikel 178 BV, Rz. 34.

G. Biaggini, (Anm. 144), Rz. 28.

Vgl. Ziffer 2.3.4.2.

Damit befasst sich eingehend das Gutachten des Bundesamtes für Justiz vom 3. Februar 2011 (a.a.O). Das Gutachten kommt zum Schluss, das nicht nur eine körperliche Untersuchung des Intimbereichs auf entblösstem Körper, sondern wohl auch schon das gezielte Abtasten des Intimbereichs über den Kleidern etwa zum Auffinden verbotener Feuerwerkskörper mindestens als mittelschwerer Eingriff zu qualifizieren ist und deshalb in einem formellen Gesetz geregelt werden sollte.

4544

seit 2001 im Auftrag der Kantone von den SBB in Zusammenarbeit mit einem grossen privaten Sicherheitsunternehmen durchgeführt werden.242 ­

das in öffentlichen oder halböffentlichen Räumen eingesetzte private Sicherheitspersonal ist bewaffnet.

Das öffentliche Interesse an einer Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Private ist sorgfältig zu prüfen. Oft geht es um den effizienten Einsatz knapper staatlicher Mittel. Solche Überlegungen sind legitim. So wären die Kantone finanziell überfordert, wenn sie regulären Bestand ihrer Polizeikräfte an sporadisch auftretenden Grossereignissen ausrichten müssten. Es ist deshalb durchaus vernünftig, solche sicherheitsrelevanten Spitzenbelastungen in anderer Weise abzudecken, sei es in Form interkantonaler oder sogar internationaler Kooperation, sei es durch einen Beizug privater Dienstleistungsanbieter. Sinnvoll ist unter Umständen auch die Entlastung staatlicher Sicherheitsorgane von unproblematischen Aufgaben, die auch Private wahrnehmen können, wie etwa im Bereich der Verkehrsüberwachung.

Allerdings sind wirtschaftliche Überlegungen nicht isoliert zu sehen. Aspekte wie die Qualität der Dienstleistung, die wesentlich von der Ausbildung der Dienstleistungserbringer abhängt, die Versorgungssicherheit sowie potentielle rechtsstaatliche Defizite (Rechtsweg) können gegen eine Delegation an Private sprechen.243 Die Wirtschaftlichkeit sollte auch nicht nur ereignisbezogen, sondern längerfristig betrachtet werden.244 Die Verhältnismässigkeit einer Delegation an Private hängt von der konkreten Schutzaufgabe und der Art des Einsatzes ab. Die Verhältnismässigkeit ist gegeben, wenn es sich um wenig problematische Aufgaben handelt, die mit geringfügigen Grundrechtseingriffen verbunden sind. Je gefährlicher eine Aufgabe und je schwerer ein Eingriff in die Grundrechte, desto eher wird man die Verhältnismässigkeit verneinen. Dabei ist nicht nur auf den effektiven Einsatz abzustellen, sondern auch auf das Risiko und das Potential einer allfälligen Eskalation. Dies ist etwa bei der Dele-

242

Für diese Transporte setzen die SBB besondere Züge (sogenannte «Jail Trains») ein, die zwischen Bern und Zürich verkehren; Häftlingstransporte zu anderen Destinationen erfolgen mit Fahrzeugen. Die Häftlinge werden von den Polizei- oder Justizvollzugsorganen zum Zug gebracht und am Zielort von diesen wieder übernommen. In den Zügen halten sie sich in gesicherten Zellen auf und werden von besonders ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des beigezogenen privaten Sicherheitsunternehmens überwacht und betreut. Die Häftlinge sind in der Regel ohne Handschellen, es sei denn, die staatlichen Organe ordnen etwas anderes an. Das private Sicherheitspersonal ist mit Pfeffersprays ausgerüstet. Gewalttätige Gefangene werden nicht mit dem Jail Train, sondern in Polizeifahrzeugen auf der Strasse transportiert.

243 W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 74. Zu Kriterien, die eher für oder gegen eine Übertragung sprechen, vgl. ebenda, S. 75.

244 So lässt sich etwa ein chronischer Unterbestand der Polizeiorgane, die für sämtliche Sicherheitsaufgaben eingesetzt werden können, mittels Beizug Privater, die nur punktuell einsetzbar sind, nicht vollständig kompensieren. Langfristig können so beträchtliche Folgekosten anfallen.

4545

gation von Sicherheitsaufgaben im Umfeld von Grossanlässen mit zu berücksichtigen.245

2.3.4.4

Gesetzgebungstätigkeit von Bund und Kantonen

Regelungen, welche die Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Private und deren Einsatz betreffen, gibt es im Bund und in den Kantonen. Daneben ist im Bund ein Gesetzesprojekt in Erarbeitung, das von der Schweiz aus im Ausland erbrachte private Sicherheitsdienstleistungen regeln soll. Schliesslich beteiligt sich der Bund an internationalen, rechtlich nicht bindenden Initiativen staatlicher und privater Natur, die Minimalstandards und Einsatzbedingungen für private Sicherheitsunternehmen und deren Personal festhalten.

2.3.4.4.1

Regelungen im Bund

Wie bereits erwähnt lässt Artikel 178 Absatz 3 BV die Delegation von Verwaltungsaufgaben an Private zu, wenn dies in einem Gesetz vorgesehen wird.

Artikel 22 Absatz 2 Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS)246 ermächtigt den Bundesrat, die öffentliche Aufgabe des Schutzes der Behörden, der Personen und der Gebäude des Bundes an private Sicherheitsdienste zu delegieren. Die Verordnung vom 27. Juni 2001 über das Sicherheitswesen in Bundesverantwortung (VSB)247 regelt die Aufgaben der in Artikel 22­24 BWIS mit dem Schutz der Personen und Gebäude beauftragten Organe (vgl. Art. 1 VSB).

Gemäss Artikel 3 dieser Verordnung können die zuständigen Behörden zur Überwachung von Bundesbauten «private Schutzdienste» beiziehen, «wenn das eigene Personal verstärkt werden muss» (Abs. 1). Ein Beizug ist auch möglich «für Anlässe des Bundes, gegebenenfalls zur Verstärkung der Polizei» (Abs. 2). Gemäss Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung vom 2. Mai 1990 über den Schutz militärischer Anlagen (Anlagenschutzverordnung)248 kann die Über- und Bewachung militärischer Anlagen auch von vertraglich damit betrauten Personen oder Unternehmen wahrgenommen werden.

Am 1. Dezember 2007 trat die Verordnung vom 31. Oktober 2007 über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund (VES)249 in Kraft. Diese Verordnung ist eine Konsequenz aus dem Bericht des Bundesrates vom 2. Dezember 2005 zu den

245

246 247 248 249

Ein weiteres Beispiel, bei dem dieser Aspekt eine Rolle spielen kann, ist der Einsatz von privatem Sicherheitspersonal in Polizeiräumlichkeiten. Die Stadt Zürich eröffnete 2010 auf der Polizeihauptwache Urania die erste zentrale Ausnüchterungsstelle für Betrunkene in der Schweiz. Die Einsatzleitung obliegt einer Polizistin oder einem Polizisten. Dazu kommen zwei medizinische Fachpersonen und zwei Angestellte eines privaten Sicherheitsunternehmens. Deren Einsatz wurde in juristischen Kreisen zum Teil mit dem Argument kritisiert, bei der Betreuung Betrunkener bestehe ein Eskalationsrisiko, vgl. NZZ am Sonntag vom 03.01.2010. Der Betrieb der Ausnüchterungsstelle funktioniert indes bisher gut.

SR 120 SR 120.72 SR 510.518.1 SR 124

4546

privaten Sicherheits- und Militärfirmen.250 In 19 Artikeln regelt die VES die Mindestanforderungen, denen private Sicherheitsunternehmen und ihr Personal genügen müssen, wenn sie Sicherheitsaufgaben für den Bund wahrnehmen sollen. Sie gilt für Sicherheitsdienstleistungen im In- und Ausland, wobei Artikel 7 für Schutzaufgaben im Ausland Erleichterungen vorsieht, indem Aufträge für maximal sechs Monate auch an Unternehmen erteilt werden können, die die Anforderungen nicht vollständig erfüllen. Die VES enthält keine eigentliche Delegationsklausel, sondern hält in Artikel 3 deklaratorisch fest, dass «[d]ie Behörde ... die Ausführung einer Schutzaufgabe, einschliesslich der Anwendung von Zwang und polizeilicher Massnahmen, nur dann einer privaten Sicherheitsfirma übertragen [darf], wenn dafür eine hinreichende gesetzliche Grundlage besteht». Artikel 8 VES bestimmt, dass die auftraggebende Behörde die Modalitäten der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen im Vertrag mit dem Sicherheitsunternehmen festhalten muss. Das Bundesgesetz vom 20. März 2008 über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (ZAG)251 gilt auch für Private, die von den Bundesbehörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben beigezogen werden (Art. 2 Abs. 1 Bst. e ZAG).

2.3.4.4.2

Regelungen in den Kantonen

Die kantonalen Regelungen hinsichtlich privater Sicherheitsunternehmen variieren stark. Seit längerem gibt es eine interkantonale Vereinbarung aller Westschweizer Kantone, die die Voraussetzungen für die Zulassung und den Einsatz von Sicherheitsunternehmen sowie die Anforderungen an das Sicherheitspersonal regelt («Concordat romand»).252 Das Konkordat statuiert eine doppelte Bewilligungspflicht. Bewilligungspflichtig ist der Betrieb eines Sicherheitsunternehmens oder einer Zweigstelle und die Anstellung von Personal (Art. 7 Abs. 1 Bst. a). Bewilligungspflichtig ist aber auch die Erbringung einer Sicherheitsdienstleistung in einem der Konkordatskantone (Art. 7 Abs. 1 Bst. b). Die Erteilung der Betriebsbewilligung für Unternehmen wird an Voraussetzungen wie die Zahlungsfähigkeit der verantwortlichen Person, ihr Leumund, eine genügende Haftpflichtdeckung und die Ablegung einer Prüfung über die einschlägige Gesetzgebung geknüpft (Art. 8).

Einzelne Deutschschweizer Kantone und der Kanton Tessin haben mit dem «Concordat romand» vergleichbare Regelungen, die eine Bewilligungspflicht für private Sicherheitsfirmen vorsehen. Andere Kantone wie Bern kennen keine Bewilligungspflicht. Angesichts der zunehmend vernetzten Tätigkeit von Sicherheitsunternehmen, die Kantonsgrenzen und gelegentlich auch Landesgrenzen überschreiten, hielt der Bundesrat bereits 2005 eine Harmonisierung für nötig.253 Am 12. November 2010 hiess die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) das Konkordat über private Sicherheitsdienstleistungen gut.254 Gleichzeitig empfahl sie allen Kantonen, innert zweier Jahre diesem Konkordat oder 250 251 252 253

BBl 2006 623 ff.

SR 364 Konkordat vom 18. Oktober 1996 über die Sicherheitsunternehmen.

Bericht vom 2. Dezember 2005 zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen, BBl 2006 623 ff., 678.

254 Der Text ist auf der Internetseite der KKJPD (www.kkjpd.ch) abrufbar.

4547

dem «Concordat romand» beizutreten. Das Konkordat von 2010 regelt die Erbringung von Sicherheitsdienstleistungen durch Privatpersonen bzw. private Unternehmen mittels eines Bewilligungssystems. Eine Bewilligung benötigen alle Personen, die eine Sicherheitsdienstleistung erbringen. Bewilligungspflichtig ist aber auch das Führen sowie der Betrieb eines Sicherheitsunternehmens oder einer Zweigniederlassung (Art. 4 des Konkordats). Persönliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung zur Erbringung einer Sicherheitsdienstleistung sind unter anderem: erfolgreiches Absolvieren einer Grundausbildung für Sicherheitsangestellte, keine im Strafregister eingetragene Verurteilung wegen einer schweren Straftat, Eignung aufgrund des Vorlebens und Verhaltens (Art. 5 Abs. 1 des Konkordats). Für das Führen eines Sicherheitsunternehmens wird eine angemessene Ausbildung verlangt (Art. 5 Abs. 2 Bst. c des Konkordats). Die Erteilung einer Betriebsbewilligung für das Unternehmen erfordert zudem eine genügende Haftpflichtdeckung und die Gewährleistung einer sachgerechten Aus- und Weiterbildung des Personals (Art. 5 Abs. 3 des Konkordats). Mit Blick auf die Handlungsbefugnisse Privater wichtig ist Artikel 10 des Konkordats, der die Beachtung des staatlichen Gewaltmonopols durch Sicherheitsangestellte und Geschäftsführung verlangt. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs wird auf verhältnismässige Eingriffe in Ausübung der Notwehr, des Notstands, der Selbsthilfe, des Hausrechts, der vorläufigen Festnahme sowie mit Zustimmung der Betroffenen begrenzt. Werden staatliche Aufgaben auf Private übertragen, dürfen diese nur unmittelbaren Zwang anwenden, wenn die Eingriffe von «untergeordneter Bedeutung» sind (Art. 10 Abs. 2 Bst. f des Konkordats).

Beide Konkordate erfassen nur in der Schweiz tätige Sicherheitsunternehmen, nicht aber solche, die Dienstleistungen im Ausland erbringen (vgl. dazu Ziff. 2.3.4.4.3).

2.3.4.4.3

In ausländischen Krisen- und Konfliktgebieten tätige private Sicherheitsunternehmen

Am 2. Dezember 2005 verabschiedete der Bundesrat in Erfüllung eines Postulats Stähelin255 zuhanden des Parlaments den «Bericht zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen».256 Der Bericht kommt zum Schluss, dass einzelne in der Schweiz domizilierte Sicherheitsfirmen Aufträge in Krisen- und Konfliktgebieten wahrnehmen. Die Neutralität, die stabile Rechtsordnung und das gute Image der Schweiz könnten ausländische Sicherheitsfirmen veranlassen, von der Schweiz aus tätig zu sein oder in unserem Land Personal zu rekrutieren.

Gestützt auf den Bericht erliess der Bundesrat die Verordnung vom 31. Oktober 2007 über den Einsatz privater Sicherheitsfirmen durch den Bund (VES).257 Diese regelt die Voraussetzungen des Beizugs solcher Firmen.

Zudem sollte geprüft werden, ob Sicherheitsunternehmen, die von der Schweiz aus in Krisen- oder Konfliktgebieten tätig sind, einer Bewilligungs- oder Registrierungspflicht zu unterstellen sind. Gestützt auf einen Bericht des Bundesamtes für Justiz vom 30. Dezember 2010 beschloss der Bundesrat am 16. Februar 2011, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Dieser sollte folgende Elemente enthalten:

255 256 257

Po 04.3267 vom 01.06.2004 BBl 2006 623 ff.

Vgl. Ziff. 2.3.4.4.1

4548

­

Meldepflicht für im Ausland erbrachte Sicherheitsdienstleistungen;

­

Verbot bestimmter Aktivitäten von Gesetzes wegen (z.B. Söldnerwesen);

­

behördliches Verbot weiterer Aktivitäten, wenn sie die Sicherheit des Landes gefährden oder schweizerischen Interessen widersprechen.

Erfasst werden sollen auch Beteiligungsgesellschaften, die von der Schweiz aus im Ausland niedergelassene private Sicherheitsunternehmen kontrollieren. Am 12. Oktober 2011 schickte der Bundesrat den Gesetzesentwurf über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen in die Vernehmlassung.258

2.3.4.4.4

Entwicklungen auf der internationalen Ebene

Am 17. September 2008 verabschiedeten 17 Staaten das auf eine Initiative der Schweiz und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zurückgehende «Montreux Document».259 Der Text rekapituliert die völkerrechtlichen Verpflichtungen privater Militär- und Sicherheitsfirmen, die in bewaffneten Konflikten im Einsatz stehen. Er enthält auch «Good Practices», das heisst Empfehlungen, die den Staaten helfen, geeignete Massnahmen zur Erfüllung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen zu treffen. Das Dokument hat keinen rechtsverbindlichen Charakter.

Bis anhin haben 38 Staaten ihre Unterstützung für das Montreux Dokument erklärt (Stand 1. Dezember 2011).

Zusammen mit internationalen Branchenverbänden war die Schweiz auch wesentlich beteiligt am Zustandekommen des internationalen Verhaltenskodexes für private Sicherheitsdienstleister. Dieser wurde am 9. November 2010 von rund 60 privaten Sicherheitsunternehmen, darunter die grössten international tätigen Akteure, unterzeichnet.260 Die Unternehmen verpflichten sich zu einem Verbot von Offensivhandlungen und zur Begrenzung der Anwendung tödlicher Gewalt auf Fälle der Selbstverteidigung und der Verteidigung des Lebens Dritter. Enthalten ist auch eine Verpflichtung zur Respektierung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Obwohl er keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, ist der Verhaltenskodex ein wichtiges Instrument der Selbstregulierung.

258

Die Vernehmlassung dauert bis 31. Januar 2012, s. unter www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/gesetzgebung/sicherheitsfirmen/html.

259 «Montreux Document on Pertinent International Legal Obligations and Good Practices for States related to Operations of Private Military and Security Companies during Armed Conflict», www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/sicherheit/gesetzgebung/ sicherheitsfirmen.html. Die ursprünglich zustimmenden Staaten waren Afghanistan, Angola, Australien, China, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Irak, Kanada, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Sierra Leone, Südafrika, die Ukraine und die USA.

260 Heute haben bereits 266 Unternehmen aus 47 Staaten den Verhaltenskodex unterzeichnet (Stand 1. Dezember 2011).

4549

3

Brennpunkte im Sicherheitsbereich

3.1

Kritik an der jüngeren Entwicklung in Rechtsetzung und Praxis

3.1.1

Artikel 57 Absatz 2 BV als Auffangnorm im Bereich der polizeilichen Aufgaben des Bundes

Verkürzt dargestellt lässt sich die aktuelle Rechtsetzungspraxis des Bundes im Bereich der inneren Sicherheit ausserhalb der militärischen Belange (Art. 58 BV) wie folgt zusammenfassen: Der Bund erlässt Polizeirecht ­

soweit dies zum Schutz des Staates, seiner Organe, Behörden und Institutionen erforderlich ist (inhärente Kompetenz);

­

soweit es sich um Aufgaben handelt, die mit der Strafverfolgung so eng verknüpft sind, dass sie auf Artikel 123 BV abgestützt werden können;

­

soweit der Erlass von Polizeirecht in engem Sachzusammenhang mit der Zuständigkeit des Bundes im Bereich des Zollwesens sowie des Strassen-, Eisenbahn-, Schifffahrts- und Luftverkehrs steht (implizite Kompetenzen);

­

soweit es sich um Aufgaben handelt, die einen engen Bezug zu den auswärtigen Angelegenheiten aufweisen (Art. 54 BV).

Sind die in der Praxis entwickelten Voraussetzungen261 erfüllt, stützt sich der Bund beim Erlass von Polizeirecht (zusätzlich) auf Artikel 57 Absatz 2 BV ab.

Die Kritik an dieser Gesetzgebungspraxis ist mannigfaltig. Zentraler Punkt ist dabei die Gesetzgebung des Bundes in Zusammenhang mit dem Koordinationsartikel (Art. 57 Abs. 2 BV). Zum Gegenstand politischer Diskussion wurde die Koordinationskompetenz erstmals, als es um die Gewährleistung der Sicherheit von Grossanlässen von nationaler Bedeutung wie die des G8-Gipfels in Evian und des World Economic Forums in Davos ging; die Tragweite von Artikel 57 Absatz 2 BV wurde dazumal denn auch in zahlreichen parlamentarischen Vorstössen thematisiert.262 In der Folge waren es Gesetzesvorlagen, welche die Diskussion um den Koordinationsartikel neu entfachten: Der Mehrzahl der oben unter Ziffer 2.2.6 erwähnten sicherheitsrelevanten Gesetze, die seit Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung erlassen wurden, ist gemein, dass sie im Ingress Artikel 57 Absatz 2 BV als kompetenzbegründende Norm aufführen.

In der Lehre blieb diese Auslegung von Artikel 57 Absatz 2 BV nicht unwidersprochen. Nach Biaggini kommt der Norm keine kompetenzbegründende Wirkung zu, sondern «knüpft an anderweitig begründete (ausdrückliche oder stillschweigende) Kompetenzen an».263 Ebenso Schefer264, der feststellt, Artikel 57 Absatz 2 BV schaffe keine selbständigen Kompetenzen, sondern es bestehe «die Pflicht zur Zusammenarbeit von Bund und Kantonen ­ wie Artikel 57 Absatz 2 BV klar festhält 261 262

Siehe oben Ziffer 2.2.3.2 03.3108 Motion Eberhard, Demonstrationsgesetz; 03.3363 Motion Eberhard, Präventive Massnahmen im Zusammenhang mit Grossdemonstrationen; 03.3444 Motion Eggly Jacques-Simon, Innere Sicherheit, Kohärenz und Solidarität bei Polizeieinsätzen.

263 G. Biaggini, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2007, Art. 57 N.10.

264 M. Schefer, BWIS I: Kompetenzen und Grundrechte, in: digma 2006, S. 60 ff.

4550

­ in den jeweils eigenen Aufgabenbereichen.» Dazu Schweizer265: «Artikel 57 Absatz 2 BV stellt ein blosses Koordinationsgebot (Finalnorm) auf und verpflichtet die Gemeinwesen zur Zusammenarbeit in ihren jeweiligen eigenen Aufgabenbereichen. Bundeskompetenzen vermag Artikel 57 Absatz 2 BV m.E. grundsätzlich nicht zu schaffen.» Auch Mohler kritisiert die diesbezügliche Haltung des Bundesrates.266 Mit der Dynamisierung von Artikel 57 Absatz 2 BV traf der Bundesrat allerdings nur in einem konkreten Fall auf nachhaltigen Widerstand im Parlament: Während der Nationalrat bei der Beratung der Vorlage BWIS I die Verfassungsnorm als ausreichend für die Einführung von präventivpolizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung des Hooliganismus erachtete, stellte sich der Ständerat auf den Standpunkt, die Bestimmungen seien mangels genügender Verfassungsgrundlage auf Dauer nicht haltbar; sie müssten befristet und nach Ablauf der Befristung auf eine rechtlich vertretbare Basis gestellt werden. Der Nationalrat folgte schliesslich in der Differenzbereinigung der Auffassung des Ständerates.

Untrennbar verbunden mit der Frage, ob und wie weit Artikel 57 Absatz 2 BV für ein Tätigwerden des Bundes im Bereich der Sicherheit herangezogen werden kann, ist das Problem der fehlenden ausdrücklichen Bundeszuständigkeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolizei.267 Wie oben unter Ziffer 2.3 aufgezeigt, kann sich der Bund im Bereich der Sicherheitspolizei lediglich auf ungeschriebene Verfassungsgrundlagen stützen; sei es auf seine inhärente Kompetenz im Bereich der inneren Sicherheit, sei es auf stillschweigende Bundeskompetenzen, die sich aus dem Sachzusammenhang heraus ergeben. Wo indessen der Bezug zur primär anzurufenden Verfassungsgrundlage nicht klar ersichtlich ist oder weit hergeholt erscheint, besteht das offensichtliche Bedürfnis, die Bundeszuständigkeit durch die Abstützung auf eine zusätzliche Verfassungsnorm zu legitimieren. Doch auch so ist das gesetzgeberische Handeln des Bundes regelmässig von einer gewissen Unsicherheit bezüglich des Umfangs und der Grenzen der Bundeszuständigkeit behaftet, was auf verschiedenen Ebenen zu Kontroversen führt.

Das Problem der fehlenden expliziten oder ungenügend bestimmten Verfassungsgrundlage für polizeiliche Belange manifestiert sich nicht in allen Bereichen gleichermassen. Während
beispielsweise die Staatsschutzaktivität unbestrittenermassen als Domäne des Bundes gilt, ruft die polizeiliche Tätigkeit des Bundes häufig Kritik hervor, obwohl sie für die Strafverfolgung mit ähnlichen Massnahmen und Mitteln Informationen beschafft und bearbeitet.

In der Lehre wird das Fehlen einer ausdrücklichen Bundeszuständigkeit kritisch betrachtet: Schweizer/Küpfer268 bezeichnen es als einen erheblichen Mangel, dass der Bund zunehmend polizeiliche Aufgaben wahrnehme, während gleichzeitig keine Bestimmung in der BV existiere, welche auf diese verschiedenen polizeilichen Aufgaben des Bundes Bezug nehme. Schweizer/Sutter/Widmer269 vermerken, der Bund nehme immer mehr polizeiliche Aufgaben wahr, wobei dies ohne eine explizite, genügend bestimmte verfassungsrechtliche Grundlage geschehe. Mohler kommt zum Schluss, die derzeitige Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kan265 266

R.J. Schweizer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 57, Rz. 2.

So etwa M. Mohler, in: AJP 7/2007, Unsicherheit über Sicherheit ­ von Verfassungsbegriffen bis zur Rechtsanwendung.

267 Zum Begriff «Sicherheitspolizei» vgl. Definition in Ziffer 2.3.2.2.1.

268 R.J. Schweizer/G. Küpfer, in: St. Galler Kommentar, a.a.O., Art. 57, Rz. 8.

269 R.J. Schweizer/P. Sutter/N. Widmer, Grundbegriffe, in: Sicherheits- und Ordnungsrecht des Bundes, R.J. Schweizer (Hrsg.), Basel 2008, S. 88 f.

4551

tonen im Sicherheitsbereich leide nicht nur an Unklarheit und gelegentlichen Überschneidungen, sondern auch an erheblichen Lücken.270 Auch Müller fordert, die Abgrenzungen zur kantonalen Polizeihoheit müssten klarer durch eine Stärkung des geltenden Artikel 57 Absatz 2 BV erfolgen.271

3.1.2

Weitere Kritikpunkte

Von Teilen der Lehre und der Politik wird im Weiteren die Meinung vertreten, dass der Bund seine Kompetenzen ­ auch über die Gesetzgebungstätigkeit hinaus ­ auf Bereiche ausdehne, die bisher der kantonalen Polizeihoheit zugeordnet wurden. Eine schleichende Verlagerung der föderalistischen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten von den Kantonen hin zum Bund wird vor allem dort geortet, wo die Kantone die gebotenen Sicherheitsmassnahmen und -vorkehren nicht zeitgerecht oder mangels struktureller, personeller und/oder finanzieller Ressourcen nicht selber erfüllen können oder wollen. In der Bundesversammlung setzten sich mehrere parlamentarische Vorstösse mit dieser Thematik auseinander.272 Als problematisch erachtet wird die Übertragung von Vollzugsaufgaben an die Armee; im Blickpunkt stehen dabei Einsätze der Armee zur Unterstützung ziviler Behörden, z.B. bei Sicherungsaufgaben anlässlich von risikobehafteten Grossanlässen (internationale Konferenzen, Sportveranstaltungen), beim Schutz ausländischer Vertretungen und bei der Verstärkung des Grenzwachtkorps (das seinerseits von den Kantonen übertragene Aufgaben erfüllt).273 In diesem Zusammenhang wird einerseits moniert, dass es sich bei den dauerhaften Armeeeinsätzen nicht mehr wirklich um subsidiäre Einsätze handle, und andererseits, dass der Bund mit der Armee über die restriktiven Kriterien für die Bewilligung subsidiärer Einsätze im Inneren hinweg Aufgaben übernimmt, welche die Verfassung den zivilen Sicherheitskräften vorbehalte. Die Entwicklung der Armee zur multifunktional einsetzbaren «Dienstleistungserbringerin» in Sachen Sicherheit stehe mit der geltenden Verfassungsordnung nicht in Einklang. Hinsichtlich der Unterstützung der Militärischen Sicherheit zugunsten des Grenzwachtkorps hat der Bundesrat in der Zwischenzeit beschlossen, diese Einsätze ab dem 31. Dezember 2012 nicht mehr zu verlängern.274

270 271 272

273

274

M. Mohler, Vernetzung von Sicherheit, in: Sicherheits- und Ordnungsrecht des Bundes, R.J. Schweizer (Hrsg.), Basel 2008, S. 594, Rz. 160 und S. 596, Rz. 162­164.

R.P. Müller, Innere Sicherheit Schweiz, a.a.O., S. 503.

Vgl. etwa 11.3297 Motion Allemann, Grenzwachtkorps mit Militärpolizei verstärken; 10.3113 Postulat Segmüller, Bessere polizeiliche Grundversorgung in den Kantonen und Städten; 09.4224 Interpellation Müller, Rechtsgrundlage für sicherheitspolizeiliche Aufgaben des Grenzwachtskorps; 06.3285 Interpellation Banga, Innere Sicherheit. Verfassungsrechtliche Ordnung und Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich Polizeirecht; 06.3013 Motion SPK-NR, Ablösung der Armee beim Schutz ausländischer Vertretungen.

M. Schefer/R. Müller, Schutz der inneren Sicherheit, Sicherheit und Recht, 2/2010, S. 67 f.; R.P. Müller, Innere Sicherheit Schweiz, a.a.O., S. 453, 457, 465 ff.; M. Mohler/ P. Gättelin/R. Müller, Unsicherheit über Sicherheit ­ von Verfassungsbegriffen zur Rechtsanwendung, AJP 7/2007, S. 820; M. Mohler, Wird die Armee zu einer Gendarmerie?, Verfassungsrechtliche Fragen zur jüngsten Entwicklung in Rechtsetzung und Doktrin über den Einsatz der Armee, Referat anlässlich der wissenschaftlichen Tagung 2008 der Schweizerischen Gesellschaft für Gesetzgebung, S. 22 ff.

Bundesratsbeschluss vom 25. Mai 2011.

4552

Im Vordergrund steht weiter die Tätigkeit der Zollverwaltung, soweit sie gestützt auf Vereinbarungen mit den Grenzkantonen sicherheits- und fremdenpolizeiliche Aufgaben in unterschiedlich definierten Grenzräumen ­ in Fernverkehrszügen sogar im Landesinnern ­ wahrnimmt. Diese Übertragung von hoheitlichen Aufgaben der Kantone auf Organe des Bundes wird von vielen Autoren als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen: Der Bund verfüge über keine Verfassungskompetenz zur Erfüllung derartiger Aufgaben durch die Zollverwaltung. Durch den Abschluss von Vereinbarungen könnten die Kantone ihre verfassungsrechtlich vorgegebenen Aufgaben nicht an den Bund abtreten. Es gehe nicht an, gestützt auf vertragliche Grundlagen die verfassungsrechtliche Kompetenzzuweisung in eine politisch gewünschte Richtung auszudehnen.275

3.2

Brennpunkte in der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen

Nachfolgend werden die Brennpunkte, welche aus verfassungsrechtlicher Sicht einer Erörterung bedürfen, die aber auch in der Praxis und in der politischen Diskussion immer wieder Anlass zu Kontroversen gegeben haben, einzeln einer näheren Betrachtung unterzogen.

Bei der Auswahl der Themen hat sich die Arbeitsgruppe auf die wichtigen und aktuellen Brennpunkte beschränkt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem vorliegenden Auftrag stehen. Weitere, ebenfalls prüfenswerte Punkte werden im Bericht nicht behandelt, weil sie nur entfernt einen Konnex zur inneren Sicherheit aufweisen. Der Themenkomplex Internationale Polizeieinsätze weist zwar ebenfalls nur einen entfernten Zusammenhang mit der inneren Sicherheit auf. Er wurde aber in Ziffer 2 dennoch thematisiert, weil diese Einsätze einen wichtigen Beitrag zur schweizerischen Sicherheitspolitik leisten.

Andere Fragestellungen werden im Bericht nicht erörtert, weil zur Zeit der Erstellung des Berichts noch nicht ausreichend Informationen vorlagen, um den Sachverhalt abschliessend zu beurteilen. Als Beispiel sei die Regelung in Artikel 25 StPO genannt, welche die Bundesanwaltschaft ermächtigt, bestimmte276 der Bundesgerichtsbarkeit unterliegende Strafsachen zur Untersuchung und Beurteilung an die Kantone zu übertragen. Eine solche Delegationsmöglichkeit, von der in der Vergangenheit im Übrigen rege Gebrauch gemacht worden ist,277 steht in offensichtlichem Widerspruch zum Bestreben nach einer klaren Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen und muss überdacht werden. Mit Einführung des Strafbefehlsverfahrens per 1. Januar 2011 hat sich die Zahl der übertragenen Straffälle verringert und wird gemäss Prognose der Bundesanwaltschaft mit der Zeit gegen Null tendieren. Die weitere Entwicklung in der Praxis bleibt somit vorderhand abzuwarten. Sollte sich die Prognose der Bundesanwaltschaft aber bewahrheiten, müsste zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden, ob die Delegationsklausel nach Artikel 25 StPO obsolet 275

R.P. Müller, Innere Sicherheit Schweiz, a.a.O., S. 453; M. Mohler/P. Gättelin/R. Müller, Unsicherheit über Sicherheit, a.a.O., S. 826 f.; R.J. Schweizer, Innere Sicherheit, Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, Grenzen und Möglichkeiten, 2. Seminar der SPK-NR.

276 Betrifft die originären Kompetenzen der Bundesanwaltschaft.

277 Die Anzahl delegierter Strafsachen betrug gemäss Angaben der Bundesanwaltschaft im Jahr 2008 insgesamt 498 Fälle, 2009 445 und im Jahr 2010 355 Fälle.

4553

geworden und aus diesem Grund aufgehoben oder deren Anwendungsbereich allenfalls auf klar definierte Ausnahmefälle eingeschränkt werden müsste. Gegenwärtig lassen sich indessen keine schlüssigen Aussagen zur Klärung der Situation machen.

Die Themenauswahl erhebt somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versteht sich als Auswahl, die thematisch auf aktuelle Probleme der inneren Sicherheit fokussiert ist und schwergewichtig Themen aufgreift, die eine ausgeprägt verfassungsrechtliche Problematik beinhalten.

3.2.1

Sicherheitsleistungen der Armee

3.2.1.1

Aufgaben der Armee

Wie unter 2.3.2.3.2 aufgezeigt, hat die Armee angestammte Aufgaben, die sie allein ausführt: Sie dient der Kriegsverhinderung, trägt zur Erhaltung des Friedens bei und verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Daneben unterstützt die Armee die zivilen Behörden bei der Erfüllung bestimmter Aufgaben, nämlich bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Die eigentliche Grundlast dieser Aufgaben tragen im Bereich der inneren Sicherheit gemäss der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung die Kantone. Die Armee kommt erst dann zum Einsatz, wenn es um die Bewältigung der ausserordentlichen Spitzenlast geht.

Aufgrund der heutigen Formulierung in der BV sind Unterstützungsaufträge nicht grenzenlos möglich. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob das Verhältnis zwischen den angestammten Aufgaben der Armee und den weiteren Aufgaben nicht durch eine Revision des MG geklärt werden könnte.

3.2.1.2

Assistenzdienst: Beispiele

Wie vorhergehend ausgeführt, kann die Armee die zivilen Behörden bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen unterstützen (Art. 58 Abs. 2 Satz 2 BV, Art. 1 Abs. 3 MG). Dabei liegt aber ein doppeltes Erfordernis vor: Einerseits muss eine ausserordentliche Lage vorliegen und zugleich dürfen die Mittel der zivilen Behörden nicht mehr ausreichen für deren Bewältigung (Art. 1 und 67 Abs. 2 MG).

Das MG steht im Grundsatz vorhersehbaren und planbaren Lagen im Weg, da die Bestimmung an sich nicht für die Ergänzung kantonaler (Unter-)Bestände vorgesehen war.

Die Praxis der letzten Jahrzehnte geht wiederum in die Richtung einer zunehmenden Erleichterung der Unterstützungsleistungen. Eine weite Auslegung von BV und MG würde auch den subsidiären Einsatz der Armee bei vorhersehbaren und planbaren Lagen ermöglichen, was aber nie gänzlich unumstritten bleiben würde.

Im Gesetz könnte daher eine Präzisierung erfolgen, dass (auch) die auf lange Sicht planbaren Ereignisse, die nicht mit den der kantonalen Polizei zur Verfügung stehenden Mitteln abgesichert werden können, einen Einsatz der Armee rechtfertigen können. Eine solche Regelung würde nicht zuletzt Transparenz vor dem Hintergrund der Praxis der letzten Jahre herstellen. Als Beispiel könnte die Durchführung von Olympischen Spielen in der Schweiz dienen. Ein solches Ereignis würde ohne Zweifel die kantonale Polizei mit ihren Ressourcen überfordern. Wirtschaftlich 4554

erschiene es als nicht sinnvoll, dass die kantonalen Polizeikräfte die entsprechend benötigten Reserven für einen solchen Anlass auf längere Zeit bilden würden.

Gleichfalls wäre eine Anpassung des MG notwendig, sollte ein Dauereinsatz der Armee im Rahmen eines Assistenzdienstes, also ein Einsatz auf nicht absehbare Zeit im Bereich der sicherheitspolizeilichen Grundlast, ermöglicht werden. Eine Anpassung der BV erschiene nicht als zwingend, wäre der Verdeutlichung der Rechtslage aber zuträglich.

Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass die Angehörigen der Armee nicht ohne weiteres für alle Arten von Unterstützungsaufgaben herangezogen werden können, da dies mit der Pflicht zum Militärdienst kaum vereinbar ist. Prof. Rainer Schweizer hat in einem Gutachten278 dazu ausgeführt, dass es zwar langjährige Praxis bei ganz besonderen Ereignissen oder Lagen sei, Truppen im Assistenzdienst auf Begehren von kantonalen Regierungen oder eines oder mehrerer Departemente einzusetzen,279 doch dass das 2004 verstärkte Subsidiaritätsprinzip von Artikel 43a BV nicht dahin verstanden werden solle, dass Personalmangel in den Kantonen den dauernden Einsatz von Armeeangehörigen rechtfertige sowie dass das Völkerrecht in den Menschenrechtsgarantien gegen die Zwangsarbeit dem Einsatz von Militärdienstpflichtigen zu nicht militärischen Zwecken Grenzen setze: Ein länger andauernder Einsatz von Truppen für Bewachungs- und Kontrollaufgaben vor Gebäuden bei normaler Sicherheitslage, anstelle der zuständigen kantonalen Polizei, ist unter den geltenden Verfassungs- und Völkerrechtsvorgaben nicht zulässig.280

3.2.1.2.1

Amba Centro

Wie zuvor dargestellt, ist es primär Sache der Kantone, auf ihrem Hoheitsgebiet auch die Sicherheit derjenigen Personen und Gebäude zu gewährleisten, die unter völkerrechtlichem Schutz stehen.281 Zum Schutz ausländischer Vertretungen (Armeeeinsatz «Amba Centro») arbeitet die Armee dennoch mit den Polizeikorps der Kantone Bern und Genf sowie der Stadt Zürich zusammen. Zu Beginn dieses Einsatzes wurden 1999 WK-Truppen eingesetzt; gegenwärtig wird er durch Angehörige der Militärischen Sicherheit und Durchdiener der Infanterie geleistet (Einsatzart: Assistenzdienst). Es handelt sich um eine Aufgabe, die sich aus den völkerrechtlichen Schutzpflichten ergibt282 und sich auf Artikel 1 Absatz 3 MG und die Verordnung vom 3. September 1997 über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen (VSPS) stützt. Der Bund entschädigt gestützt auf Artikel 28 Absatz 2 BWIS die eingesetzten Polizeikorps für ihre zusätzlichen Aufwendungen.

Da auch Truppen eingesetzt werden, erfolgen diese Entschädigungszahlungen aus

278

279 280

281 282

R.J. Schweizer, Verfassungs- und völkerrechtliche Anforderungen an die Verteidigungskompetenz der Armee und das zukünftige Leistungsprofil sowie die ausgewählten Fragen der Militärpflicht, VPB 2010.10 (S. 91­195), S. 145.

Verordnung vom 3. September 1997 über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen (VSPS, SR 513.73).

R.J. Schweizer, Verfassungs- und völkerrechtliche Anforderungen an die Verteidigungskompetenz der Armee und das zukünftige Leistungsprofil sowie die ausgewählten Fragen der Militärpflicht, VPB 2010, S. 145.

Op. cit., S. 145.

Vgl. Ziffer 2.3.2.2.1.2.

4555

dem VBS-Budget283. Wie diese Aufgabe nach 2012 gelöst werden soll, wird gegenwärtig im Rahmen des Sicherheitsverbundes Schweiz geprüft. In jedem Fall wird für die Jahre 2013 und 2014 eine Übergangsregelung erforderlich sein, die den Einsatz von Truppen miteinschliesst.

3.2.1.2.2

Lithos

Die Verstärkung des Grenzwachtkorps (Armeeeinsatz «Lithos») begann 1997, durch Angehörige des Festungswachtkorps284 (heute Mil Sich).285 Sie stützt sich auf Artikel 1 Absatz 3 MG und die Verordnung vom 3. September 1997286 über den Truppeneinsatz für den Grenzpolizeidienst (VGD), welche die Unterstützung des Grenzwachtkorps und der Polizeikorps durch die Armee allgemein regelt.287 Der Bundesrat hat am 25. Mai 2011 beschlossen, diesen Assistenzdienst Ende 2012 zu beenden. Die künftige Unterstützung des GWK mit luftgestützten Überwachungsmitteln erfolgt nicht mehr aufgrund von Artikel 1 des Militärgesetzes, sondern gestützt auf die Verordnung über den Einsatz militärischer Mittel für zivile und ausserdienstliche Tätigkeiten.288

3.2.1.2.3

Tiger/Fox

Die Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr (Armeeeinsatz «Tiger/Fox») erfolgen seit 2001 und ebenfalls im Assistenzdienst.289 Gesetzliche Grundlage sind neben Artikel 1 Absatz 3 MG, Artikel 12 Absatz 1 des Luftfahrgesetzes290 sowie die Artikel 122c und 122e der Luftfahrtverordnung vom 14. November 1973291 (LFV).

Gegenwärtig werden hierfür maximal zwanzig Angehörige der Militärischen Sicherheit eingesetzt. Dazu kommen Grenzwächter. Das Gros der Einsätze wird durch Polizisten übernommen, die dafür vom Bund entschädigt werden. Wie diese Aufgabe nach 2012 gelöst werden soll, wird gegenwärtig geprüft. Für alle weiteren Ausführungen siehe Ziffer 3.2.4.

3.2.1.2.4

WEF

Das World Economic Forum (WEF) ist eine privatrechtliche Stiftung, die seit gut 40 Jahren das Annual Meeting in Davos als private Veranstaltung durchführt. Der Bundesrat hat mit Beschluss vom 28. Juni 2000 den privatrechtlich organisierten Anlass WEF aufgrund seiner Bedeutung und Auswirkungen für die internationalen 283 284

285 286 287 288 289 290 291

Dazu wurden dem VBS Kreditpositionen übertragen, die zuvor durch das EJPD verwaltet worden waren.

Das Festungswachtkorps wurde 2004 in die Militärische Sicherheit integriert. Angehörige des Festungswachtkorps galten damals nicht als Angehörige der Armee, sondern als Berufspersonal des VBS.

Vgl. Ausführungen unter Ziffer 2.3.2.3.5.4.

SR 513.72 Vgl. dazu auch Ziffer 3.2.6.

SR 513.74 Bundesratsentscheide vom 24. März 2004, 26. Mai 2004 und 5. Oktober 2004.

SR 748.0 SR 748.01, vgl. dazu auch Ziffer 3.2.4.

4556

Interessen der Schweiz als ausserordentliches Ereignis im Sinne von Artikel 4 der BWIS-Abgeltungsverordnung qualifiziert. Aufgrund dieser Qualifizierung hat der Bundesrat die für die Sicherheit des Anlasses zuständige Kantonspolizei Graubünden seit Jahren mit personellen und materiellen Mitteln des Bundes, hauptsächlich in Form eines Assistenzdiensteinsatzes der Armee, unterstützt.292 Für das WEF 04 wurden erstmals mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten, so dass die Bundesversammlung den Einsatz genehmigen musste.293 Zuletzt wurde der Einsatz für das WEF im Jahr 2009 verlängert. Im Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee im Assistenzdienst zur Unterstützung des Kantons Graubünden bei den Sicherheitsmassnahmen im Rahmen der Jahrestreffen des World Economic Forum 2010­2012 in Davos und weitere Sicherheitsmassnahmen vom 7. September 2009 wird einerseits der Einsatz für das WEF im Jahr 2010 mit maximal 5000 Angehörigen der Armee für maximal 15 Tage genehmigt und andererseits im gleichen Rahmen für die beiden nachfolgenden Jahre.294 Was die Qualifizierung des WEF als «ausserordentliches Ereignis» im Sinne von Artikel 4 der BWIS-Abgeltungsverordnung angeht, ist zu beachten, dass dies nicht automatisch gleichzusetzen ist mit ausserordentlicher Lagen im Sinne von Artikel 58 Absatz 2 BV und Artikel 1 Absatz 3 MG. Mit anderen Worten sind für einen Truppeneinsatz die Erfordernisse eines Assistenzdienstes zu erfüllen, auch wenn aufgrund der BWIS-Abgeltungsverordnung eine Abgeltung von gewissen Leistungen der Kantone durch den Bund grundsätzlich möglich wäre.

Die Opportunität der Bundesunterstützung wird bis heute nicht in Frage gestellt.

Obwohl das WEF aus rechtlicher Sicht eine private Organisation ist, weist es wegen der Persönlichkeiten, die jeweils eingeladen werden (amtierende Staatschefs und Minister), einen gemischten Charakter auf. Die Bundesrätinnen und Bundesräte nutzen oft die Gelegenheit, am Rand des WEF politische Treffen zu organisieren.

Ausserdem ist das WEF von grosser symbolischer Bedeutung und löst ein enormes Medienecho aus. Dabei darf nicht ausser Acht gelassen werden, welche Auswirkungen Angriffe auf das WEF für die Schweiz haben könnten. Angesichts des Typus von Personen, die am WEF teilnehmen, und des weltweiten Ansehens, das diese Veranstaltung geniesst, hätte jeder
Zwischenfall unweigerlich rechtliche oder zumindest politische Folgen für die Schweiz und könnte nicht nur die innere Sicherheit, sondern auch die Aussenbeziehungen des Landes gefährden. Die Weiterführung der Unterstützung, die der Bund in diesem Rahmen gewährt, erweist sich somit als wichtig.

292

Gleichzeitig sei darauf hingewiesen, dass beim WEF auch ein sog. IKAPOL-Einsatz stattfindet, nach der Vereinbarung über die interkantonalen Polizeieinsätze (IKAPOL) vom 6. April/9. November 2006. Art. 3 der Vereinbarung lautet: «Ein IKAPOL-Einsatz im Sinne dieser Vereinbarung liegt vor, wenn ein Kanton ein Ereignis oder einen Anlass polizeilich trotz Unterstützung durch Nachbarkantone, durch Konkordatspartner oder bilateral durch einzelne andere Polizeikorps nicht bewältigen kann und deshalb auf zusätzliche Polizeikräfte angewiesen ist.» 293 BBl 2004 5297 5300 294 BBl 2009 6831 f.

4557

3.2.1.3

Rolle der Militärischen Sicherheit

Die Mil Sich ist bei Assistenz- oder Aktivdiensteinsätzen Mittel der ersten Stunde; sie kann erste Schutzaufträge übernehmen und weitere aufgebotene Truppen ausbilden. Die heutige Grenze für Einsätze zugunsten anderer Stellen bildet einerseits der Assistenzdienst und andererseits ­ insbesondere bei einem Ausbau der polizeilichen Aufgaben ­ die kantonale Zuständigkeit im Bereich der inneren Sicherheit.

Soll die Mil Sich auch über den Assistenzdienst hinaus anderen Bundesstellen für Einsätze zur Verfügung stehen, ist das MG anzupassen. Die Verwendung von Mil Sich-Personal zugunsten des NDB und der rechtliche Status dieses Personals sollen im Rahmen des künftigen Nachrichtendienstgesetzes geklärt werden. Vorgesehen ist eine entsprechende Ergänzung von Artikel 100 MG. Die Einzelheiten dieser neuen Regelung werden zurzeit erarbeitet.

3.2.1.4

Fazit

Weiterhin sollen Einsätze der Armee im Assistenzdienst möglich sein, um die Kantone bei der Erbringung von Sicherheitsleistungen zu unterstützen.

Die Einsatzpraxis hat in gewissen Fällen jedoch zu einer Ausweitung der Lesart von Artikel 1 Absatz 3 MG sowie Artikel 67 Absatz 2 MG geführt. Das Erfordernis einer «ausserordentlichen Lage» wurde nicht in allen Fällen erfüllt. Zum Schutz von Konferenzen (G-8, Frankophonie-Gipfel), Sportgrossveranstaltungen (EURO-08) sowie des WEF wurde das Fehlen ausreichender ziviler Mittel der Kantone als hinreichend beurteilt, um mit Truppen zu unterstützen. Grundlage dazu war nicht die aktuelle Lage, sondern das Bedrohungsspektrum.

Um solche Einsätze auch in Zukunft durchführen zu können, sollte der Begriff «ausserordentlich» in Artikel 67 MG näher definiert werden. Damit wird die rechtliche Grundlage solider ausgestaltet. Auch planbare und wiederkehrende Einsätze sollen möglich sein. Für ausserordentliche Spitzenbelastungen soll damit auch dann die Armee eingesetzt werden können, wenn diese wie beispielsweise das WEF einmal im Jahr anfallen. Es wäre unwirtschaftlich, dies den Kantonen zu überbürden, wenn Mittel des Bundes brachliegen. Der partnerschaftliche Dialog im Rahmen des Sicherheitsverbundes Schweiz stellt sicher, dass die sicherheitspolitischen Instrumente effizient und effektiv zusammenwirken und ­ wo nötig ­ angepasst werden.

Die Kantone sollen dabei weiterhin ihre Verantwortung in der inneren Sicherheit wahrnehmen. Auch will der Bund die Kantone befähigen, die erforderlichen Einsätze in eigener Verantwortung durchzuführen. Truppen sollen deshalb so lange wie möglich subsidiär zu Gunsten der Kantone eingesetzt werden.

Eine Beschränkung auf die in der juristischen Lehre unbestrittenen Einsätze erscheint nicht zielführend. Dies würde die Hürde für subsidiäre Sicherungseinsätze zu hoch setzen und entweder dazu führen, dass den Kantonen unwirtschaftliche Lösungen aufgebürdet würden, oder dem Bund den Spielraum zur Wahrnehmung von Aufgaben nationaler Bedeutung deutlich einschränken. Dies betrifft namentlich die Durchführung von internationalen Konferenzen und Sportgrossveranstaltungen.

Solche sollen nicht daran scheitern, dass die Schweiz deren sichere Durchführung nicht garantieren könnte.

4558

Statt die «ausserordentliche Lage» näher zu bestimmen, wäre es auch denkbar, eine weitere Unterstützungsaufgabe zu definieren (Unterstützung in der normalen Lage).

Dazu würde das Militärgesetz in dem Sinne ergänzt werden, dass die Armee grundsätzlich auch dann zum Einsatz gelangen kann, wenn es darum geht, eine ausserordentliche Spitzenlast der zivilen Behörden, die aus rechtlicher Sicht nicht als ausserordentliche Lage bezeichnet werden kann, zu bewältigen, und sofern dies aus Wirtschaftlichkeitsgründen unabdingbar erscheint. Diese neue Unterstützungsaufgabe wäre unabhängig vom Subsidiaritätsprinzip. Ob sie sich noch auf Artikel 58 Absatz 2 letzter Satz stützen könnte oder ob sie eine Änderung auch von Artikel 58 BV nötig machen würde, wäre noch näher zu prüfen. Ebenfalls zu prüfen wäre, ob diese neue Unterstützungsaufgabe auf Gesetzesstufe als Unterart des Assistenzdienstes (für welchen heute das Subsidiaritätsprinzip gilt) oder als neue und eigenständige Einsatzart ohne Bindung an das Subsidiaritätsprinzip auszugestalten wäre.

Konkreter geregelt werden sollte indessen die technische Leistungserbringung zugunsten ziviler Stellen des Bundes und der Kantone, wenn sie nicht in die innere Sicherheit eingreift. Soll die Militärische Sicherheit schliesslich auch über den Assistenzdienst hinaus anderen Bundesstellen für Einsätze zur Verfügung stehen, wäre das MG anzupassen. Dies wird indessen nicht angestrebt.

3.2.2

Zollverwaltung

3.2.2.1

Einleitende Bemerkungen

Die Fragen, die sich in der letzten Zeit bezüglich der Erweiterung der Kompetenzen der EZV gestellt haben, beziehen sich hauptsächlich auf die Aufgaben, die ihr von den Kantonen übertragen wurden. Derartige Delegationen bestehen indessen seit Jahrzehnten. Die Grenzkantone delegieren zum Beispiel die Personenkontrollen an der Grenze seit 1964 an das GWK.295 Diese Delegation wurde unseres Wissens nie bestritten. Seit dem Inkrafttreten der Schengen-/Dublin-Assoziierungsabkommen296 haben die Kantone und der Bund ihre Zusammenarbeit verstärkt; heute erstreckt sie sich auch auf die Binnenkantone. Deshalb werden nicht selten Personenkontrollen im Grenzraum oder über diesen hinaus durch das GWK vorgenommen.297 Diese «territoriale» Übertragung der Aufgaben scheint die Öffentlichkeit für die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen sensibilisiert zu haben. Der Bundesrat hat sich im Übrigen bereits zu diesem Problem geäussert.298 Unseres Erachtens darf sich die Prüfung der Frage jedoch nicht auf die Vereinbarungen beschränken, die zwischen den Kantonen und dem Bund abgeschlossen wurden. Denn wie in Ziffer 2.3.2.5.4.1 erwähnt, wurden mehrere Zuständigkeiten, 295 296

Siehe Fussnote 193.

Die intensivere Zusammenarbeit fällt zwar mit dem Inkrafttreten zusammen, wird jedoch von diesen Abkommen nicht verlangt.

297 Diesbezüglich ist zu beachten, dass die EZV im Rahmen der Erfüllung ihrer originären Aufgaben gestützt auf Art. 30 ZG über die Kompetenz verfügt, Kontrollen auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Eidgenossenschaft durchzuführen.

298 In ihrem Bericht vom 12. Oktober 2010 zur Evaluation der EZV hat die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) den Bundesrat angewiesen, sicherzustellen, dass die GWK nicht zur nationalen Hilfspolizei werde (BBl 2011 1919, Ziff. 2.2). Der Bundesrat seinerseits hat in seiner Stellungnahme vom 26. Januar 2011 zu diesem Bericht anerkannt, dass die sicherheitspolizeilichen Kompetenzen der EZV klarer geregelt werden sollten (BBl 2011 1989, Ziff. 2.3 in fine).

4559

die früher ausschliesslich auf einer Kompetenzdelegation durch die Kantone beruhten, ausdrücklich in die Bundesgesetzgebung aufgenommen. Dies gilt zum Beispiel für die Personenkontrolle, die heute auf Artikel 23 der Verordnung vom 22. Oktober 2008 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV)299 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 2 AuG beruht, oder für die verkehrspolizeilichen Kontrollen, die in Artikel 4 der Verordnung vom 28. März 2007 über die Kontrolle des Strassenverkehrs (SKV)300 ausdrücklich vorgesehen sind. Diese im Bundesrecht geregelten Aufgaben werden zu «originären» Aufgaben der EZV im Sinne von Ziffer 2.3.2.5.3301, obwohl sie weiterhin in den Kantonsvereinbarungen delegiert werden.

Somit könnten Inkohärenzen zwischen dem Gesetzestext und dem Wortlaut der Vereinbarung auftreten. Eine solche Unstimmigkeit besteht in Bezug auf den eigentlichen Grundsatz der Vereinbarungen: Im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut von Artikel 97 ZG wurden zwischen dem Bund und Binnenkantonen Vereinbarungen über die Delegation von Aufgaben auf dem Hoheitsgebiet der Eidgenossenschaft, d.h. über den Grenzraum hinaus, abgeschlossen. Ähnliche Fragen könnten sich zum Beispiel im Bereich des Strassenverkehrs stellen. Artikel 4 SKV beschränkt die Durchführung der Kontrollen ausschliesslich auf Fahrzeuge, die in das Hoheitsgebiet der Eidgenossenschaft einfahren oder es verlassen. Was geschieht, wenn ein Kanton in seiner Vereinbarung eine territoriale Erweiterung des Einsatzes des GWK vorsieht? Dieses Durcheinander von Vorschriften wirft somit die heikle Frage nach der verfassungsmässigen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen auf. So kann beispielsweise die blosse Verankerung von Kompetenzen, die originär den Kantonen zuständen, in der Bundesgesetzgebung keinesfalls das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundes «heilen».

Diese Überlegungen zeigen, dass sich die folgende Analyse nicht auf die Prüfung der an die EZV delegierten Polizeiaufgaben beschränken darf, sondern sich auch auf das Bundesrecht beziehen muss, das Polizeikompetenzen zugunsten der EZV begründet.

3.2.2.2

Aus dem Bundesrecht abgeleitete Kompetenzen

3.2.2.2.1.1

Aus der Zollgesetzgebung abgeleitete Kompetenzen

Zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben ist die EZV insbesondere befugt, den Personenverkehr zu kontrollieren, die Identität von Personen festzustellen, den Warenverkehr zu kontrollieren, im Grenzraum nach Personen und Sachen zu fahnden und den Grenzraum zu überwachen. Zudem kann sie Befragungen und Abtastungen, körperliche Durchsuchungen oder ärztliche Untersuchungen vornehmen (Art. 100­103 ZG302). Sie ist auch befugt, die erforderlichen Massnahmen zur Sicherung von Beweismitteln zu ergreifen, die in einem Strafverfahren verwendet werden können, und Gegenstände und Vermögenswerte zu beschlagnahmen, die voraussichtlich der Einziehung unterliegen. Sie darf zu Kontrollzwecken im Grenzraum Durchsuchungen vornehmen und Personen abführen oder vorläufig festneh-

299 300 301 302

SR 142.204 SR 741.013 Siehe Fussnote 190 SR 631.0

4560

men (Art. 104, 105, 107 ZG). Das GWK darf Waffen tragen und einsetzen (Art. 106). Diese Kompetenzen werden in den Artikel 222 ff. ZV näher ausgeführt.

Die einzige Verfassungsbestimmung, die sich ausdrücklich auf Zollfragen bezieht, ist Artikel 133 BV, der in Verbindung mit Artikel 101 BV betrachtet werden muss.

Er weist dem Bund die ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Zölle und anderen Abgaben auf dem grenzüberschreitenden Warenverkehr zu.303 Eine weitergehende Kompetenz ist nicht vorgesehen.304 Wie in Ziffer 2.3.2.5 dargelegt, geht jedoch das Zollgesetz erheblich über diesen Rahmen hinaus. Es regelt den Vollzug nichtzollrechtlicher Erlasse des Bundes, aber auch die Überwachung und Kontrolle des grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs. In diesem Kontext und gestützt auf Artikel 96 ZG erfüllt die EZV sicherheitspolizeiliche Aufgaben im Grenzraum, die sie in Koordination mit den Polizeiorganen wahrnimmt, um zur inneren Sicherheit des Landes und zum Schutz der Bevölkerung beizutragen.

3.2.2.2.1.2

Aus anderen Erlassen des Bundes abgeleitete Kompetenzen

Soweit die EZV nichtzollrechtliche Erlasse vollzieht, sind ihre Kompetenzen nicht nur im Zollgesetz vorgesehen, sondern beruhen auf weiteren Erlassen. Diese Aufgaben sind zahlreich. Wie bereits erwähnt, betreffen im Übrigen die von den Kantonen delegierten Kompetenzen in der Regel Bereiche, für welche die Kontrollbefugnis der EZV im Bundesrecht verankert ist. Auf die einschlägigen Bereiche wird nachstehend eingegangen.

Waffenrecht Die Zollbehörden verfügen über Kontrollbefugnisse in Zusammenhang mit der Einund Ausfuhr von Waffen, Zubehör und Munition. Die EZV kontrolliert namentlich, ob die Ware den in den Ein- und Ausfuhrdokumenten gemachten Angaben entspricht oder ob die Anmeldungen gemäss der Zollgesetzgebung erfolgt sind (Art. 22c, 23 des Waffengesetzes, WG305, Art. 67 der Waffenverordnung, WV306).

Sie ist auch dafür zuständig, Übertretungen gegen das Waffengesetz zu untersuchen und darüber zu entscheiden, wenn diese bei der Einfuhr von Waffen oder bei der Durchfuhr im Reiseverkehr begangen werden. Im Fall von Vergehen oder Verbrechen beschränkt sie sich hingegen darauf, der Person die Weiterreise zu verweigern, und bietet die Polizei auf (Art. 67 WV).

Das Waffengesetz stützt sich auf Artikel 107 Absatz 2 BV.

303 304

Siehe Ziffer 2.3.2.5.1 Der Gesetzgeber geht jedoch schon lange davon aus, dass es beim Zollwesen um mehr als um die Abgabeerhebung geht. Der Bundesrat wies bereits in seiner Botschaft vom 4. Januar 1924 zum Zollgesetz (BBl 1924 I 21 ff., 63) darauf hin, die Zollverwaltung sei «in allen Materien der Bundesgesetzgebung, welche polizeilichen oder fiskalischen Charakter tragen, soweit es den Verkehr über die Landesgrenzen betrifft, das mitwirkende Vollzugsorgan, ein Mandat, das ihren Wirkungskreis ganz wesentlich kompliziert und sie förmlich zur Bundespolizei stempelt».

305 SR 514.54 306 SR 514.541

4561

Betäubungsmittelrecht Die EZV gewährleistet die Kontrolle der Ein-, Durch- und Ausfuhr sowie die Zollveranlagung der Betäubungsmittel (Art. 5 des Betäubungsmittelgesetzes, BetmG307, Artikel 37­39 der Betäubungsmittelkontrollverordnung vom 25. Mai 2011, BetmKV308). Hingegen ist die Strafverfolgung Sache der Kantone mit Ausnahme der Straftaten, die im Vollzugsbereich des Bundes von den Bundesbehörden festgestellt werden und von diesen in Anwendung des Verwaltungsstrafrechts verfolgt und beurteilt werden. Diese Bestimmungen betreffen die Widerhandlungen bei der Ausfuhr, bei der Einfuhr, die Umleitung nach einem anderen Bestimmungsort und die Lagerung ohne Bewilligung (Art. 28, 28a BetmG, Art. 85 BetmKV).

Das Betäubungsmittelgesetz stützt sich auf Artikel 118 BV.

Ausländerrecht Nach Artikel 9 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG)309 üben die Kantone auf ihrem Hoheitsgebiet die Personenkontrolle aus. Der Bundesrat regelt im Einvernehmen mit den Grenzkantonen die Personenkontrolle durch den Bund im Grenzraum. So sieht Artikel 23 VEV vor, dass das GWK Personenkontrollen an der Grenze sowohl im Rahmen seiner ordentlichen Aufgaben als auch gemäss den Vereinbarungen zwischen der EZV und den Kantonen erledigt. Die Verfolgung von Widerhandlungen obliegt den Kantonen (Art. 120e AuG).

Das Ausländergesetz beruht auf Artikel 121 BV, der eine weitreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes in den folgenden Bereichen begründet: Einreise in die Schweiz, Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern sowie Gewährung von Asyl.

Strassenverkehrsrecht Artikel 57 Absatz 3 Buchstabe b des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG310) weist dem Bundesrat die Kompetenz zu, Bestimmungen über die Kontrolle der Fahrzeuge und ihrer Führer an der Landesgrenze zu erlassen. Nach Artikel 4 SKV sind die Zollstellen und das GWK für die verkehrspolizeilichen Kontrollen der Fahrzeuge sowie der Fahrzeugführer und -führerinnen zuständig, die in die Schweiz einfahren oder die Schweiz verlassen. Sie kontrollieren insbesondere den Führerausweis, den Zustand der Fahrzeugführer und -führerinnen, die Einhaltung der Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten, den technischen Allgemeinzustand der Fahrzeuge, die Abmessungen und Gewichte, den Transport von gefährlichen Gütern
sowie das Sonntags- und Nachtfahrverbot. Sie sind berechtigt, die gleichen Massnahmen anzuordnen wie die kantonalen Polizeiorgane und ein Weiterfahrtsverbot auszusprechen. Bei Widerhandlungen bieten sie die zuständige Polizei auf oder erstellen einen Verzeigungsrapport.

Das Strassenverkehrsrecht beruht auf Artikel 82 BV.

307 308 309 310

SR 812.121 SR 812.121.1 SR 142.20 SR 741.01

4562

Fischereirecht Das Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 über die Fischerei (BGF311) sieht ausdrücklich vor, dass die eidgenössischen Grenzwächter die kantonalen Organe, die mit der Fischereiaufsicht in den schweizerischen Grenzgewässern betraut sind, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen, soweit es der Zolldienst gestattet (Art. 21 Abs. 3).

Dieses Gesetz beruht auf Artikel 78 Absatz 4 und 79 BV, die eine Kompetenz des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung begründen.

3.2.2.3

Beurteilung

3.2.2.3.1

Kompetenzen des Bundes im Bereich des Vollzugs von Bundesrecht

In Ziffer 3.2.2.2.1.2 wurde aufgezeigt, dass die Kompetenzen der EZV nicht nur auf der Zollgesetzgebung, sondern auf einer ganzen Reihe von Gesetzgebungen beruhen, die sich alle auf eine ausreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes abstützen.

Wie in Ziffer 2.2.2.4 ausgeführt wurde, verfügt der Gesetzgeber jedoch gemäss Artikel 46 Absatz 1 BV und unter Vorbehalt des in Artikel 5a und 43a BV verankerten Subsidiaritätsprinzips über die Freiheit, die Kompetenzen im Bereich des Vollzugs von Bundesrecht zu bestimmen.312 Der Vollzug umfasst sowohl gesetzgeberische als auch exekutive und justizielle Tätigkeiten.

Auf dieser Grundlage wird somit anerkannt, dass die EZV über eine Polizeikompetenz verfügt, wenn die polizeilichen Tätigkeiten mit der Präsenz an der Grenze zusammenhängen, insbesondere mit dem Überschreiten der Grenze durch Personen oder Waren, und sich auf die Umsetzung des Bundesrechts beschränken. Derartige Polizeikompetenzen sind heute in den meisten nichtzollrechtlichen Erlassen vorgesehen, welche die EZV vollzieht. Diese Erlasse regeln vor allem die in der vorherigen Ziffer erwähnten Bereiche, die auch den Bereichen entsprechen, in denen die Kantone Aufgaben an die EZV delegieren.

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass ein Bundesgesetz im Lichte von Artikel 46 BV eine Vollzugskompetenz des Bundes in einem Bereich vorsehen kann, in dem der Bund über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt. In diesem Zusammenhang kann man sich fragen, ob diese Möglichkeit zur Regelung der Vollzugskompetenzen uneingeschränkt gilt oder ob im Gegenteil je nach Art der 311 312

SR 923.0 Im System der alten Bundesverfassung war nicht selten die Abgrenzung der Vollzugskompetenzen zwischen Bund und Kantonen in den Verfassungsbestimmungen ausdrücklich vorgesehen. In den einschlägigen Bestimmungen der geltenden Bundesverfassung sind derartige Regelungen grundsätzlich nicht mehr ausdrücklich vorgesehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Verfassungsgeber die Absicht verfolgte; die Aufteilung der Vollzugskompetenzen abzuändern. Vielmehr wollte er Wiederholungen vermeiden und allgemein anwendbare Bestimmungen verwenden, so insbesondere den Art. 46, der besagt, dass es Sache der Kantone ist, das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz umzusetzen. Mit dieser Formulierung soll der Grundsatz der Umsetzung durch die Kantone verankert werden, soweit Verfassung oder Gesetz nicht die Kompetenz einer Bundesbehörde vorsehen und sie die Kantone mit dieser Umsetzung betrauen.

4563

Aufgaben eine Unterscheidung getroffen werden muss. Am Beispiel der Kontrollbefugnisse der EZV im Bereich des Strassenverkehrs lässt sich feststellen, dass diese klar in den Rahmen der Bundesgesetzgebung hineingreifen, für die der Bund über eine weitreichende Gesetzgebungskompetenz verfügt (Bundeszuständigkeit kraft Sachzusammenhangs).

Daraus ergibt sich, dass die Polizeikompetenzen der EZV, die in nichtzollrechtlichen sektoriellen Erlassen geregelt sind, für die der Bund über eine ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz verfügt, nach der geltenden verfassungsrechtlichen Ordnung zulässig sind. In diesem Fall muss das Gesetz klar vorsehen, dass der Bund beziehungsweise eine Bundesbehörde mit dem Vollzug betraut ist. Die zuständigen Bundesbehörden können in einer Verordnung des Bundesrates bestimmt werden.

3.2.2.3.2

Auf dem Zollgesetz beruhende Polizeiaufgaben

Nach dem neuen Zollgesetz kann die EZV Polizeiaufgaben (Personenkontrolle; sicherheitspolizeiliche Aufgaben) im gesamten Grenzraum wahrnehmen (Art. 96 ZG)313 und zwar unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten einen Zusammenhang mit der Grenzüberschreitung und der Umsetzung des Bundesrechts haben. Die Bestimmung sieht allgemein vor, dass diese Aufgaben im Rahmen des Beitrags zur inneren Sicherheit des Landes und zum Schutz der Bevölkerung ausgeübt werden. In der Botschaft des Bundesrates wurde die Einführung dieser Bestimmung wie folgt begründet: «Die Zollverwaltung verfügt bis heute auf Gesetzesstufe über keinen eigenständigen sicherheitspolizeilichen Auftrag. In Anbetracht der Bedeutung des Beitrags, den das Grenzwachtkorps im Bereich der inneren Sicherheit leistet, rechtfertigt sich die Aufnahme einer gesetzlichen Bestimmung (Abs. 1).

Absatz 1 entspricht Teilen von Artikel 19 der Organisationsverordnung vom 11. Dezember 2000 für das Eidgenössische Finanzdepartement (OV-EFD; SR 172.215.1)314. Er erteilt der Zollverwaltung einen eigenständigen sicherheitspolizeilichen und zugleich einen Kooperationsauftrag. Selbstverständlich bleiben die Strafverfolgungskompetenzen von Bundes- und kantonalen Behörden gewahrt; dadurch soll namentlich den Bedenken der Kantone Rechnung getragen werden (Abs. 2). Dem Grenzwachtkorps obliegen keine ermittlungspolizeilichen Aufgaben.» 315 Dieser Artikel ist ­ wie im Übrigen auch Artikel 95 ZG ­ nicht alleine kompetenzbegründend. Es handelt sich bei diesem Artikel um eine Bestimmung, die in erster Linie eine politische Aussage beinhaltet: Er soll klar zum Ausdruck bringen, dass die Zollverwaltung im Rahmen ihrer vielfältigen Aufgaben eine wesentliche Rolle im Bereich der inneren Sicherheit spielt. Er bietet per se keine Grundlage zur Delegation oder Übernahme von Polizeiaufgaben. In seinem derzeitigen Wortlaut kann dieser Artikel jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht als problematisch erscheinen.

Einerseits bleibt unklar, welche «Sicherheitsaufgaben» der EZV mit dieser Bestimmung übertragen werden. Rein grammatikalisch betrachtet könnten damit auch Aufgaben aus dem originären Polizeibereich der Kantone gemeint sein. Das aber 313 314 315

Für den Begriff Grenzraum siehe Ziffer 2.3.2.5.4.2.

Heute Art. 14 Abs. 1 Bst. c.

Botschaft über ein neues Zollgesetz, BBl 2004 567.

4564

wäre verfassungsrechtlich unzulässig. Andererseits sind auch die nichtzollrechtlichen Aufgaben nach Artikel 95 ZG über weite Strecken «Sicherheitsaufgaben». Jene Aufgaben müssen jedoch in den betreffenden Erlassen konkret umschrieben werden.

Artikel 96 ZG erscheint damit als Generalklausel, die das Enumerationsprinzip gemäss Artikel 95 verdrängt. Aus verfassungsrechtlicher und legislatorischer Optik wäre es besser, Artikel 96 ZG zu streichen und stattdessen bestimmte nichtzollrechtliche Erlasse zu ergänzen, soweit sich dies zur Gewährleistung oder inneren Sicherheit des Landes und zum Schutz der Bevölkerung als notwendig erweist.

3.2.2.3.3

Durch die Kantone delegierte Aufgaben

Artikel 97 ZG ermöglicht den Grenzkantonen, der EZV die Erfüllung polizeilicher Aufgaben im Grenzraum zu übertragen. In seiner Botschaft wies der Bundesrat insbesondere darauf hin, dass dieser Artikel an die bestehende verfassungsrechtliche Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen anknüpfe und die Rechtsgrundlage für Fälle bilde, in denen der Vollzug durch das Bundesrecht den Kantonen übertragen worden sei (1), oder für Bereiche, in denen die Praxis gezeigt habe, dass ein Kanton seine Aufgaben im Grenzraum oft nur in Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung sinnvoll erfüllen könne oder dass er den Vollzug nicht mit eigenen Kräften zu leisten vermöge (2).316

3.2.2.3.3.1

Delegation von Aufgaben, die den Kantonen durch das Bundesrecht übertragen wurden

Dieser Delegationstyp stellt einen Verzicht auf die Vollzugsaufgaben dar, die der Bund den Kantonen übertragen hatte. Wie schon in Ziffer 2.2.2.5 erwähnt, ist ein derartiger Verzicht auf dem Vereinbarungsweg möglich und wirft keine verfassungsrechtlichen Probleme auf, selbst wenn die Kantone auf polizeiliche oder strafprozessuale Aufgaben verzichten würden. Gestützt auf diese Argumentation bereitet die Übertragung von Aufgaben, die in den Vereinbarungen im Bereich des Waffen-, Betäubungsmittel- oder Strassenverkehrsrechts vorgesehen sind, keine besonderen Probleme. Es wäre höchstens wünschenswert, die Vereinbarungen zu bereinigen und darin jene Kompetenzen der EZV zu streichen, die bereits in der sektoriellen Gesetzgebung vorgesehen ist.

Auf die Personen- und Fahrzeugfahndung wurde in Ziffer 3.2.2.2.1.2 nicht eingegangen. Die Personenfahndung fällt jedoch in den Rahmen des Strafverfahrens, für das der Bund über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt (Art. 123 Abs. 1 BV). Der Bund hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und die Fahndung sowie die in diesem Bereich zuständigen Behörden in den Artikel 210 ff. der Strafprozessordnung (StPO317) geregelt. An sich hätte er eine Zuständigkeit des GWK vorsehen können, was er jedoch nicht getan hat. Die Kantone können jedoch auf die Vollzugskompetenzen verzichten, die ihnen gemäss der StPO zustehen.

316 317

BBl 2004 567 SR 312.0

4565

Ein Problem könnte sich im Rahmen der Aufgabendelegation auf dem Gebiet der Fischerei, der Jagd und des Waldschutzes stellen, da der Bund in diesen Bereichen nur über eine Kompetenz zum Erlass der Grundsatzgesetzgebung verfügt. In Anbetracht einer Kompetenz zum Erlass der Rahmengesetzgebung begründen die Fischerei-, die Jagd- und die Waldgesetzgebung umfangreiche Vollzugskompetenzen zugunsten der Kantone, vor allem in Bezug auf die Strafverfolgung. Trotz der beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes hätten die Kantone unseres Erachtens die Möglichkeit, auf die Umsetzungskompetenzen zu verzichten, die ihnen das Bundesrecht einräumt. Hingegen können sie nicht auf die Aufgaben verzichten, die sie in diesen Bereichen gestützt auf ihre kantonale Gesetzgebung erfüllen.

Schliesslich ist auf die Frage der Kompetenzen einzugehen, die von den Binnenkantonen für Aufgaben delegiert werden, die während der Kontrollen in den Zügen zu erfüllen sind.318 Derartige Delegationen sind nicht von Vornherein völlig ausgeschlossen, wenn sie den Verzicht auf eine Aufgabe betreffen, die den Kantonen durch das Bundesrecht zugewiesen wird. Hingegen stehen derartige Vereinbarungen wie bereits ausgeführt dem Zollgesetz entgegen, das den Abschluss derartiger Vereinbarungen auf die Grenzkantone für den Grenzraum beschränkt.

3.2.2.3.3.2

Delegation von Aufgaben, welche die Kantone nicht mit eigenen Kräften erfüllen können oder für die eine Zusammenarbeit mit der EZV sinnvoll ist

In seiner Botschaft erwähnte der Bundesrat diesen Delegationstyp als Alternative zur Übertragung von Aufgaben, die den Kantonen durch das Bundesrecht übertragen wurden. Mit einer solchen Auslegung wird nicht ausgeschlossen, dass sich die Kompetenzdelegation auf originäre Polizeikompetenzen der Kantone bezieht. Vereinbarungen, die eine Übertragung von originären Kompetenzen der Kantone vorsehen würden, wären jedoch unter dem Gesichtspunkt ihrer Vereinbarkeit mit der Verfassung problematisch. Denn sie liefen darauf hinaus, dass auf vertraglichem Weg eine Kompetenzübertragung zwischen zwei Behörden erfolgt, obwohl die Aufteilung aus der Verfassung abgeleitet werden muss319. Der Bedarf nach Zusammenarbeit ist zwar zweifellos ein wichtiges Kriterium, das jedoch nicht ausreicht, um die Delegation von kantonalen Aufgaben zuzulassen. Diese Aufgaben müssen den Kantonen zudem durch das Bundesrecht übertragen worden sein.

Es wäre somit sinnvoll, in Artikel 97 ZG klarzustellen, dass die Kantone nur dann in einer Vereinbarung auf die ihnen zustehenden Polizeiaufgaben verzichten können, wenn es sich um Kompetenzen handelt, die ihnen durch den Bundesgesetzgeber in einem Bereich zugewiesen worden sind, in dem dieser über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt.

318

Vereinbarungen mit Binnenkantonen betreffen nur die Kontrollen auf den Zügen; s. dazu auch Fussnote 194.

319 Siehe Ziffer 2.2.2.5.

4566

3.2.2.4

Fazit

Angesichts der obigen Ausführungen erweist sich eine Änderung von Artikel 97 ZG als unerlässlich. Der erste Absatz muss dahingehend angepasst werden, dass das EFD beziehungsweise die EZV ermächtigt wird, Vereinbarungen mit Binnenkantonen abzuschliessen. Denn ohne formelle gesetzliche Grundlage sind die Bundesbehörden nicht berechtigt, derartige Vereinbarungen abzuschliessen. Es genügt nicht, in der Präambel der betreffenden Vereinbarungen auf Artikel 44 BV zu verweisen.

Zudem wäre es wünschenswert, diesen Absatz zu ergänzen und darin festzuhalten, dass die Kantone nur Kompetenzen delegieren können, die ihnen vom Bundesgesetzgeber in Bereichen übertragen wurden, in denen der Bund über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt (eine Delegation von originären Kompetenzen ist erst recht unzulässig).

Schliesslich sollte Artikel 96 ZG überarbeitet werden. Allenfalls wäre es von Vorteil, die nichtzollrechtlichen Erlasse so zu ergänzen, dass darin umfangreichere sicherheitspolizeiliche Kompetenzen der EZV oder im Besonderen des GWK vorgesehen werden, falls sich dies für die Gewährleistung der inneren Sicherheit als notwendig erweisen sollte.

Die mit den Kantonen abgeschlossenen Vereinbarungen sollten ihrerseits revidiert werden: Die Kompetenzen, für welche die EZV oder das GWK gemäss dem Bundesrecht zuständig sind, sollten darin nicht aufgeführt sein. Schliesslich kann man sich fragen, ob es nicht wünschenswert wäre, die nichtzollrechtlichen Erlasse zu ergänzen und darin die polizeilichen Aufgaben, die von den Kantonen im Rahmen der Vereinbarungen systematisch zurück übertragen werden, ausdrücklich als Aufgaben der EZV vorzusehen. Selbstverständlich müssten dabei die verschiedenen anwendbaren Grundsätze, namentlich das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5a BV), berücksichtigt werden. Ein derartiger Mechanismus böte den Vorteil, dass er transparenter wäre als das derzeitige System.

3.2.3

Sicherheits-, gerichts- und kriminalpolizeiliche Aufgaben des Bundes

3.2.3.1

Sicherheitspolizeiliche Aufgaben

Im Bereich der inneren Sicherheit erlauben die inhärenten Kompetenzen dem Bund, ohne explizite Verfassungsgrundlage tätig zu werden; diese ungeschriebenen Kompetenzen des Bundes im Bereich der inneren Sicherheit schliessen auch Gesetzgebungsbefugnisse ein. Die dem Bund innewohnenden Kompetenzen werden gegenüber der Zuständigkeitsregel von Artikel 3 BV als derogierend erachtet. In der Lehre gilt die Existenz von ungeschriebenem Verfassungsrecht als gesichert. Ebenso unbestritten ist, dass der Bund gestützt auf seine inhärenten Kompetenzen befugt ist, die eigenen Organe, Behörden und Institutionen wie auch die Gebäulichkeiten, in denen die Personen untergebracht sind, zu schützen.320 Dennoch ist das Handeln des Bundes in Gesetzgebung und Rechtsanwendung erfahrungsgemäss mit einer gewissen Unsicherheit bezüglich des Umfangs und der Grenzen der inhärenten Bundeszuständigkeit behaftet. Mangels einer ausdrücklichen, 320

Zur Abgrenzung zum Staatsschutz vgl. vorne Ziffer 2.3.2.1.1.

4567

genügend bestimmten Verfassungsgrundlage stellen sich regelmässig Fragen zu seiner Zuständigkeit: Welche Tragweite haben die inhärenten Kompetenzen des Bundes? Bieten die inhärenten Kompetenzen des Bundes z.B. auch eine Grundlage für dessen völkerrechtliche Schutzpflichten oder obliegt diese sicherheitspolizeiliche Aufgabe den Kantonen? Wie weit reichen die Rechtsetzungsbefugnisse des Bundes für die Regulierung dieser sicherheitspolizeilichen Aufgaben?

Die Fragestellungen zeigen auf, dass die sicherheitsrelevanten inhärenten Rechtsetzungskompetenzen des Bundes keine klaren Konturen aufweisen und dass bei der Anwendung des ungeschriebenen Verfassungsrechts hinsichtlich der Regelungsintensität, der Rechtswirkung im Verhältnis zu kantonalen Zuständigkeiten und der Regelungsverpflichtung manches im Unklaren liegt. Es wäre daher der Rechtssicherheit und Transparenz dienlich, wenn für die Zuständigkeiten des Bundes, die sich nach geltender Rechtlage auf seine inhärenten Kompetenzen abstützen, eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen würde.

3.2.3.2

Völkerrechtliche Schutzpflichten

Zu den sicherheitspolizeilichen Aufgaben gehören auch die völkerrechtlichen Schutzpflichten, welche ­ wie oben in Ziffer 2.3.2.2.1.2 ausgeführt ­, im Wesentlichen den Kantonen obliegen. Bei der Aufgabenerfüllung sind indessen in der Praxis unterschiedliche Auffassungen zwischen dem EDA und den Bundes- und Kantonsbehörden festzustellen, die in der Schweiz für die Sicherheit zuständig sind. Letztere gehen teilweise von einem zu eng gefassten Risikobegriff im Zusammenhang mit Personen und Gebäuden aus, die einen besonderen völkerrechtlichen Schutz geniessen, und ihre Beurteilungen sind im Lichte der internationalen Beziehungen nicht immer akzeptabel. Dies könnte gewisse Staaten veranlassen, in ihrem Hoheitsgebiet die Sicherheitsmassnahmen für diplomatische und konsularische Vertretungen der Schweiz abzubauen. Hinsichtlich der Sicherheit von Personen und Gebäuden, die im jeweiligen Hoheitsgebiet einen besonderen völkerrechtlichen Schutz geniessen, hat jeder Staat seine eigene Strategie und seine eigenen Prioritäten. Daraus können sich in Bezug auf die Massnahmen, die angesichts eines bestimmten Risikos konkret ergriffen werden, beträchtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Staaten ergeben. Ausserdem nehmen die Staaten für ihre diplomatischen und konsularischen Vertretungen weltweit sowie bei offiziellen Auslandreisen ihrer politischen Vertreterinnen und Vertreter ihre eigene Risikobeurteilung vor. Ebenso führen die internationalen Organisationen Risikoabschätzungen durch und ergreifen in der Folge die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen. Im Vergleich zu den Sicherheitsmassnahmen, die andere Staaten ­ insbesondere die Nachbarländer der Schweiz ­ ergreifen, werden die in der Schweiz realisierten Massnahmen von gewissen Staaten und auch von einigen internationalen Organisationen als verhältnismässig bescheiden erachtet.

Wenn diese Staaten und internationalen Organisationen ­ ausgehend von ihrer eigenen Risikoanalyse ­ die von der Schweiz ergriffenen Massnahmen als ungenügend erachten, könnten sich insbesondere die Staaten veranlasst sehen, in der Schweiz selber Massnahmen auf öffentlichem Grund Schweiz zu ergreifen, die im Widerspruch zum schweizerischen Recht stehen würden (insbesondere Art. 271 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs321).

321

SR 311.0

4568

Im Weiteren erscheint es wichtig, dass die für den Sicherheitsbereich zuständigen Bundes- und Kantonsbehörden über die Mittel verfügen, die notwendig sind, um rasch auf unerwartete Änderungen der Sicherheitslage aufgrund von internationalen Ereignissen reagieren zu können. Solche Ereignisse erfordern nicht nur eine sofortige Reaktion, sondern in vielen Fällen auch langfristig ausgerichtete Sicherheitsmassnahmen. Wenn ein Kanton nur auf seine eigenen Mittel zurückgreifen kann, besteht die Gefahr, dass er nicht in der Lage ist, die anstehenden Herausforderungen im Sicherheitsbereich erfolgreich zu bewältigen. Dies gilt sowohl im Rahmen des Schutzes vor terroristischen Handlungen und politischen Massnahmen als auch im Zusammenhang mit allgemeinen Schutzmassnahmen. Zu den Gebäuden und Personen, die einen besonderen völkerrechtlichen Schutz geniessen, gehören die diplomatischen Missionen, die ständigen Missionen, die Konsulate und die internationalen Organisationen auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz wie auch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Familienangehörigen des Personals, die Delegierten an internationalen Konferenzen und weitere Personen, die in offizieller Eigenschaft tätig sind.

Im Rahmen seiner verfassungsmässigen Zuständigkeiten, die sich aus Artikel 54 Absatz 1 und 57 Absatz 2 BV ergeben, muss der Bund dafür einstehen, dass alle Massnahmen getroffen werden, welche für die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz erforderlich sind.

3.2.3.3

Gerichtspolizeiliche Aufgaben

Die Rechtsprechung in Strafsachen und damit die Verfolgung der strafbaren Handlungen ist gemäss Artikel 123 Absatz 2 BV Sache der Kantone, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Die Strafprozessordnung überträgt dem Bund denn auch die Strafverfolgungskompetenz für bestimmte Delikte (Art. 23 ff. StPO). Die Zuständigkeit des Bundes wurde mit Inkrafttreten der «Effizienzvorlage»322 auf grenzüberschreitende Schwerstkriminalität, insbesondere organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei und Wirtschaftskriminalität erweitert, womit sich letztlich ein Führungsanspruch des Bundes zur Verfolgung der grenzüberschreitenden und komplexen Schwerstkriminalität verband.323 Zudem wurde im Zuge des UN-Übereinkommens zur Terrorismusfinanzierung die Bundesgerichtsbarkeit in diesem Deliktsbereich eingeführt. Auf Artikel 123 Absatz 1 und 2 BV basieren zwei wichtige Aufgabenbereiche des Bundesamtes für Polizei:324 Zum einen die Gerichtspolizei des Bundes, die bei Straftatverdacht nach den Regeln der Strafprozessordnung Massnahmen zur Verfolgung und Aufklärung von Straftaten ergreift. Dabei handelt es sich um Massnahmen wie Beweismittelbeschaffung, Fahndung, Vorführung, Durchsuchung, vorläufige Festnahme usw. ­ immer vorausgesetzt, dass es sich um Straftaten handelt, die ihrer Deliktkategorie nach in die Bundeszuständigkeit fallen. Um den gerichtspolizeilichen Auftrag auch gegenüber Personen mit erhöhter Gewaltbereitschaft wahrnehmen zu können, wurde im Jahr 2008 eigens eine Einsatzgruppe gebildet, welche bei risikobehafteten Eingriffen beigezogen wird.325 Aus verfas322

Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 22. Dezember 1999, BBl 1998 1529 323 A. Lobsiger, Grundaufgaben der Verwaltung, Polizei und Justiz sowie des zivilen Staatsschutzes, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. III, Basel 2008, Rz. 125.

324 Gerichtspolizeiliche Aufgaben nehmen ­ allerdings in eingeschränktem Umfang ­ auch das GWK (Fiskalbereich) und die Mil Sich (militärische Gerichtsbarkeit) wahr.

325 Einsatzgruppe «Tigris», vgl. dazu oben Ziffer 2.3.2.2.2.

4569

sungsrechtlicher Sicht sind die gerichtspolizeilichen Aufgaben des Bundes in der Strafverfolgungskompetenz des Bundes begründet und lassen sich vollumfänglich auf Artikel 123 Absatz 1 und 2 BV abstützen.

3.2.3.4

Kriminalpolizeiliche und unterstützende Aufgaben

Ebenfalls auf Artikel 123 Absatz 1 und 2 BV beruht die kriminalpolizeiliche Tätigkeit des Bundes, die sich im Vorfeld von Strafverfahren bewegt und zur Verhinderung oder Erkennung von Straftaten dient. Dabei handelt es sich zum einen um Vorabklärungen in konkreten Fällen, die in die Strafverfolgungskompetenz des Bundes fallen, und andererseits um Strategien, die darauf ausgerichtet sind, verbrecherische Organisationen, Strukturen, Kontakte, Tatmittel und Tatvorgehen sowie Täterverhalten, Beuteverwertung usw. aufzuklären, bevor Straftaten offenkundig werden.326 Diese Massnahmen der Informationsgewinnung und -verwertung sind vor allem bei der Früherkennung komplexer und grenzüberschreitender Phänomene der Kriminalität von Bedeutung. Der Bund betreibt zu diesem Zweck unter anderem polizeiliche Zentral- bzw. Koordinationsstellen in den Bereichen Organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Internetkriminalität, Betäubungsmittel, Nonproliferation usw. Darüber hinaus nimmt er vielfältige Koordinations- und Informationsaufgaben zugunsten von in- und ausländischen Behörden wahr. Es ist indessen die informationelle Unterstützung der Behörden von Bund und Kantonen, die als eine der wichtigsten kriminalpolizeilichen Funktionen des Bundes gilt. Der Bund fungiert dabei nicht nur als Drehscheibe für die Weitergabe von sicherheitsrelevanten Informationen, sondern betreibt in eigener Kompetenz eine Reihe von polizeilichen Informationssystemen.

Die Zunahme der Polizeiaufgaben des Bundes und die wachsende Bedeutung der polizeilichen Aktivitäten des Bundes ­ gerade im Bereich des nationalen und internationalen Informationsaustausches ­ haben von verschiedener Seite her den Ruf nach einer ausdrücklichen Polizeizuständigkeit des Bundes in der Bundesverfassung laut werden lassen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind eher pauschal formuliert, machen aber das Unbehagen deutlich, dass eine unbestrittenermassen grosse Aufgabenfülle auf eine vergleichsweise schmale Verfassungsbasis abgestützt wird.

Während die gerichtspolizeilichen Aufgaben des Bundes ­ wie oben ausgeführt ­ auf einer ausreichenden Verfassungsgrundlage basieren, bedarf der kriminalpolizeiliche Bereich einer näheren Betrachtung: Die kriminalpolizeiliche Arbeit erfolgt im Vorfeld von Strafverfahren. Da kein Straftatverdacht als Anknüpfungspunkt besteht,
kommt nur ein Tätigwerden auf polizeirechtlicher (nicht aber auf strafprozessualer) Grundlage in Betracht. Mangels anderweitiger Polizeizuständigkeit in der Verfassung kann der Bund aber Polizeirecht nur erlassen und anwenden, soweit es sich um Aufgaben handelt, die mit der Strafverfolgung so eng verknüpft sind, dass sie auf Artikel 123 BV abgestützt werden können. Wie auch im gerichtspolizeilichen Bereich ist ein kriminalpolizeiliches Tätigwerden des Bundes zudem an die Voraussetzung geknüpft, dass es sich um

326

Vgl. in diesem Zusammenhang den Geltungsbereich des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen grenzüberschreitende organisierte Kriminalität («Palermo-Konvention»; SR 0.311.54).

4570

Sachverhalte handelt, die in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen.327 Im frühen Stadium von kriminalpolizeilichen Abklärungen ist die Strafverfolgungszuständigkeit indessen häufig unklar, stellt sich doch meist erst im Zuge der Ermittlungen heraus, welchem Delikttypus das verdächtige Verhalten zugeordnet werden kann und welche Dimension der Fall aufweist. In diesem dem Strafverfahren vorgelagerten Bereich ist somit eine klare Kompetenzausscheidung oft nicht möglich, gleichzeitig ist aber gerade hier die Tätigkeit der national und international vernetzten Fachbehörden des Bundes, namentlich der Zentralstellen von besonderer Bedeutung.

Die von der BV vorgegebene rechtliche Konstellation, wonach für die Bestimmung der Zuständigkeit in der kriminalpolizeilichen Arbeit an das Kriterium der einzelnen Straftat angeknüpft werden muss (Art. 123 BV328), ist daher in der Praxis nur schwer umsetzbar. Die Schaffung einer hinreichend bestimmten Verfassungsgrundlage, welche den Bund ermächtigen würde, seine Zentralstellenfunktion wahrzunehmen, würde Klarheit in einem Bereich schaffen, der immer wieder im Fokus der Kritik steht.

Als Beispiel für eine zu verstärkende koordinierende Funktion des Bundes kann in diesem Zusammenhang die Bekämpfung des gewerbsmässigen Menschenschmuggels angeführt werden. Diese Straftat wird von in der Schweiz ansässigen und international vernetzten Tätergruppierungen begangen, die für den Transport der Migranten über die Grenze Täterinnen und Täter der unteren Hierarchiestufe einsetzen.

Ungeachtet ihres relativ hohen Organisationsgrades erfüllen diese Tätergruppierungen die Voraussetzungen für die organisierte Kriminalität gemäss Artikel 260ter StGB in der Regel nicht, so dass die Strafverfolgung in die Kompetenz der Kantone fällt. Der Straftatbestand des Menschenschmuggels ist in Artikel 116 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer329 enthalten und somit Bestandteil des Nebenstrafrechts. Dies führt dazu, dass sich in den Kantonen nicht die Kriminalabteilungen der Polizeikorps mit allfälligen Abklärungsaufträgen über den gewerbsmässigen Menschenschmuggel befassen, sondern Angehörige der Sicherheitspolizei oder die Administrativbehörden der Migration330. Zudem besteht in den Kantonen häufig die Auffassung, dass es sich bei diesen Täternetzwerken um organisierte
Kriminalität handelt und wegen der starken interkantonalen und internationalen Bezügen eine Strafverfolgung durch den Bund mehr Aussichten auf Erfolg habe. Erst bei Ermittlungshinweisen im Rahmen der Rechtshilfe oder internationalen Polizeizusammenarbeit in der Schweiz findet eine Bearbeitung durch fedpol statt.

Dabei können häufig zwei Arten von Problemen festgestellt werden:

327

Art. 27 Abs. 2 StPO besagt zwar, dass die Strafbehörden des Bundes erste Ermittlungen durchführen können, wenn eine Straftat ­ gleichgültig ob diese in die Strafverfolgungskompetenz des Bundes oder der Kantone fällt ­ in mehreren Kantonen oder im Ausland begangen worden ist und die Zuständigkeit für die Strafverfolgung noch nicht feststeht.

Mit dieser Regelung wird dem Bedürfnis nach einem sofortigen, koordinierten Einschreiten einer zentralen Behörde nachgekommen. Es geht insbesondere darum, dem Verlust von Beweisen entgegenzuwirken und offene Zuständigkeitsfragen zu klären. Voraussetzung für das Tätigwerden der Bundesbehörden ist indessen eine «begangene» Straftat; fehlt dieses Kriterium, so ist Art. 27 Abs. 2 StPO nicht anwendbar.

328 Art. 123 Abs. 2 BV ist im Übrigen im Lichte von Art. 5a und 43a BV zu betrachten: Der Bund hat unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zu handeln und darf die Bundeszuständigkeit nicht über Gebühr ausdehnen.

329 AuG, SR 142.20 330 Lediglich der Kanton Zürich hat den Dienst für Delikte im Ausländerrecht von der Sicherheits- in die Kriminalpolizei verschoben.

4571

­

Bis die Frage der Ermittlungszuständigkeit mit den Kantonen geklärt ist, haben im Ausland bereits polizeiliche Aktionen stattgefunden. Die entsprechenden Vorermittlungen in der Schweiz erschöpfen sich demzufolge in der Regel auf die reaktive Beantwortung der Fragestellungen des Auslandes.

­

Die Abklärungen werden von Angehörigen der Sicherheitspolizei oder der Migrationsdienste getätigt. Damit werden die Möglichkeiten der Kriminalpolizei nicht genutzt.

Im Ergebnis wird der gewerbsmässige Menschenschmuggel in der Schweiz nur durch routinemässige Befragung von Täterinnen und Tätern der unteren Hierarchiestufe bekämpft, die an der Grenze angehalten werden. Aktive Vorermittlungen auf kriminalpolizeilicher Ebene in Zusammenarbeit mit dem Ausland gegen die im Hintergrund agierenden Tätergruppierungen fehlen in diesem Bereich. Diese Mängel in der Ermittlung sind in ihrer praktischen Auswirkung einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Kantonen gleichzusetzen, der durch die geteilte Strafverfolgungskompetenz in diesem Kriminalitätsbereich erklärt werden kann.

Eine genügend bestimmte Verfassungsnorm zu den kriminalpolizeilichen Kompetenzen im Vorfeld eines Straftatverdachts bzw. eines Strafverfahrens würde helfen, auch in diesem Bereich die Verantwortung für die polizeiliche Früherkennung und die Aufnahme entsprechender Ermittlungen hinreichend klar zuzuordnen.

Angesichts der internationalen Ausrichtung, die ein Grossteil der kriminalpolizeilichen Aufgaben des Bundes ­ namentlich im Bereich des koordinierenden Informationsaustausches (Interpol, Sirene, Schengen usw.) ­ aufweist, besteht neuerdings die Tendenz, die einschlägige Gesetzgebung auf die umfassende Kompetenz des Bundes im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten (Art. 54 Abs. 1 BV) abzustützen. So hat der Gesetzgeber sowohl beim SIaG wie auch beim Vorentwurf PolAG u.a.

Artikel 54 Absatz 1 BV als Verfassungsgrundlage herangezogen.331 Dies mag indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Artikel 54 Absatz 1 BV dem Bund zwar die Befugnis verleiht, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen ­ selbst über Vertragsgegenstände, welche die Kompetenzen der Kantone berühren ­, dass sich die Umsetzung der abgeschlossenen Staatsverträge aber nach Massgabe der bestehenden innerstaatlichen Kompetenzverteilung richtet. Völkerrechtliche Verpflichtungen vermögen somit grundsätzlich keine Bundeskompetenzen zu begründen.332 Einzig wenn die Kantone nicht in der Lage oder nicht willens sind, den von der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, kann der Bund gestützt auf Artikel 54 Absatz 1 BV tätig werden. Diese Kompetenz, die auch Gesetzgebungsbefugnisse einschliesst, ergibt sich aus dem Umstand, dass die völkerrechtliche Verantwortung für die
Beachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen letztlich beim Bund liegt.333 Die diesbezügliche Kompetenz des Bundes hat indessen nur subsidiären Charakter.

Geht man somit davon aus, dass Artikel 54 Absatz 1 BV nicht als tragende Verfassungsgrundlage für die kriminalpolizeiliche Aufgaben des Bundes herangezogen werden kann, Artikel 57 Absatz 2 BV dem Bund ebenfalls keine Rechtsetzungskompetenz im Bereich der inneren Sicherheit verleiht, und will man Artikel 123 BV

331 332 333

Vgl. vorne Ziffer 2.2.5.

Siehe hierzu Ziffern 2.2.4.1.1 und 2.2.4.3.

Siehe hierzu P. MAHON, in: Petit Commentaire de la Constitution fédérale, Art. 54, Rz. 7.

4572

nicht über Gebühr strapazieren, so verbleibt dem Bund in der Tat wenig Handlungsspielraum.

Augenfällig wird dies am Beispiel der Datenbank HOOGAN, einem vom Bund betriebenen elektronischen Informationssystem, in das Daten von Personen aufgenommen werden, die sich an Sportanlässen gewalttätig verhalten haben und daher als Sicherheitsrisiko gelten.334 Die Datenbank soll die (kantonalen) Behörden bei der Umsetzung der Massnahmen zur Verhinderung von Gewalttaten an Sportveranstaltungen dienen. Diese Präventivmassnahmen sind darauf ausgerichtet, die potenzielle Täterschaft durch behördlich verfügten Zwang (Fernhaltemassnahmen) an der Verübung von Straftaten zu hindern; bei dem Massnahmenpaket handelt es sich somit um rein polizeiliche Materie. Entsprechend wurden die gesetzlichen Grundlagen für die Fernhaltemassnahmen denn auch auf Konkordatsebene verankert.335 Einzig die Führung der HOOGAN-Datenbank ist ­ nebst der auf Artikel 54 Absatz 1 BV abgestützten Ausreisebeschränkung für Hooligans ­ in die Zuständigkeit des Bundes gewiesen worden. Dieses Vorgehen erachteten Bundesrat und Parlament als verfassungsrechtlich vertretbar, weil es sich bei der Führung der HOOGAN-Datenbank um eine im gesamtschweizerischen Interesse liegende Aufgabe im Bereich der inneren Sicherheit handelt, die mit einem hohen Koordinationsaufwand verbunden ist.336 Die Bestimmung über die HOOGAN-Datenbank wurde daher im Wesentlichen auf den Koordinationsartikel im Bereich der inneren Sicherheit abgestützt.

Spricht man indessen Artikel 57 Absatz 2 BV den Rechtsetzungscharakter ab, so wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht die Zuweisung dieser Aufgabe in die Bundeszuständigkeit mehr als fraglich.

3.2.3.4.1

Polizeiliche Datenbanken

Gleiches gilt teilweise auch für andere polizeiliche Datenbanken, die der Bund führt.

Die gesetzlichen Grundlagen für die zahlreichen Informationssysteme stützen sich ebenfalls massgeblich auf Artikel 57 Absatz 2 BV ab, zumal sie nebst Daten, die einen engen Bezug zum Strafrecht und Strafprozessrecht aufweisen, auch zahlreiche Daten rein polizeilichen Inhalts enthalten337 (Daten aus dem Bereich der polizeilichen Früherkennung, Daten in Zusammenhang mit der Identifikation von unbekannten Personen und der Suche nach vermissten Personen, Daten hinsichtlich der Anhaltung von Personen bei vormundschaftlichen Massnahmen oder fürsorgerischem Freiheitsentzug usw.). Fällt Artikel 57 Absatz 2 BV als rechtsetzende Verfassungsnorm weg, fehlt dem Bund mangels einer kompetenzbegründenden Verfassungsgrundlage im Polizeibereich zumindest in Teilbereichen die Legitimation zur 334 335

Siehe Art. 24a BWIS.

Die eidgenössischen Räte verwarfen die Option einer Verfassungsänderung und gaben der kantonalen Lösung den Vorzug, vgl. oben Ziffer 2.2.5.1.2.

336 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das unveröffentlichte Gutachten des Bundesamtes für Justiz «Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (BWIS I); verfassungsrechtliche Zuständigkeit des Bundes» vom 11. März 2005.

337 Die gesetzlichen Grundlagen für die polizeilichen Informationssysteme des Bundes finden sich mit Ausnahme des Informationssystems HOOGAN, des DNA-ProfilInformationssystems, des Automatisierten Fingerabdruck-Identifikationssystems, des Informatisierten Staatsschutz-Informations-Systems sowie des Datenverarbeitungssystems zur Bekämpfung der Geldwäscherei sowie der Waffen-Informationsplattform (ARMADA) und des Sprengstoff-Informationssystems (BARBARA) alle im Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes, BPI; SR 361.

4573

Führung der polizeilichen Datenbanken. Dabei entstehen dem Bund für den Betrieb dieser Datenbanken,338 welche namentlich auch der Erfüllung kantonaler Polizeiaufgaben dienen, jährliche Betriebskosten im Umfang mehrerer Millionen Franken, nicht einberechnet die hierfür erforderlichen Kosten für Personal und Weiterentwicklungen. Die Kantone steuern lediglich für die Fingerabdruckdatenbank AFIS einen jährlichen Beitrag von ca. 1 Million Franken an die anfallenden Kosten bei.

Das Interesse an nach einheitlichen Kriterien geführten, sicheren Informationssystemen ist offenkundig. Die Effizienz moderner Informationssysteme wird entscheidend dadurch bestimmt, dass die Daten zentral beschafft und geführt werden und ein gewisses Mass an Einheitlichkeit aufweisen. Die Schaffung und der Betrieb einer nationalen Datenbank bedingen aber einen hohen Koordinationsaufwand der Behörden; so gesehen ist die Führung der polizeilichen Datenbanken durch den Bund zweckmässig und sinnvoll ­ auch wenn die Informationssysteme in Wesentlichen den Kantonen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dienen. Derartige Praktikabilitätserwägungen vermögen indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundeszuständigkeit aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht unbestritten ist und die rechtliche Situation einer Bereinigung bedarf.

3.2.3.4.2

Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK)

Auch ausserhalb der informationellen Unterstützung ist der Bund in polizeiliche Aufgabenbereiche vorgestossen, die ihrer Natur nach in die Zuständigkeit der Kantone fallen. Zur Bekämpfung der Internetkriminalität führt der Bund ­ wie oben unter Ziffer 2.3.2.2.2 dargelegt ­ die Koordinationsstelle KOBIK, die sich schwergewichtig mit Fragen der Pädokriminalität und der strafbaren Pornografie befasst.

Anders als die Bezeichnung der Fachstelle vermuten lässt, beschränkt sich der Bund dabei nicht auf unterstützende, koordinierende Aufgaben zur Bekämpfung von Missbräuchen im Internet, sondern betreibt proaktiv Recherchen im Internet zum Erkennen und Verhindern strafbarer Handlungen, nimmt erste Abklärungen vor (z.B. Ortung der Urheberschaft) und leitet die Verdachtsmeldungen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiter.339 Mit Aufhebung des Bundesgesetzes über die verdeckte Ermittlung (BVE) durch die StPO per 1. Januar 2011 lassen sich verdeckte Ermittlungen, zu denen auch derartige Internetrecherchen gehören ­ soweit eine verdeckte Teilnahme an der Kommunikation stattfindet ­ nicht mehr auf das BVE abstützen, wenn sie vor Eröffnung eines Strafverfahrens durchgeführt werden. Auch die StPO kann nicht als Grundlage verwendet werden, weil deren Artikel 286 Absatz 1 Buchstabe a die verdeckte Ermittlung nur beim Verdacht gestattet, eine Straftat sei begangen worden. Beim Eindringen in Chaträume zur Verhinderung von Straftaten (z.B. sexuellen Handlungen mit Kindern) liegt aber in der Regel zu Beginn der verdeckten Ermittlungshandlungen kein Tatverdacht vor. Die Regelung der präventiven verdeckten Fahndung

338

Es handelt sich um folgende Datenbanken: ARMADA, HOOGAN, JANUS, RIPOL, SIS, SuissePolIndex, AFIS, IPAS und CODIS.

339 Vgl. Verwaltungsvereinbarung zum koordinierten Vorgehen bei der Bekämpfung der Internetkriminalität zwischen dem EJPD und der KKJPD vom 19. Dezember 2001.

4574

muss deshalb im kantonalen Recht erfolgen.340 Da viele Kantone nicht über die entsprechenden polizeirechtlichen Grundlagen verfügten, mussten sie die verdeckten Ermittlungen im Internet bis zur Schaffung der erforderlichen Gesetzesbestimmungen einstellen. Der Bund setzte indessen seine Tätigkeit fort, nachdem er mit dem Kanton Schwyz, der über die einschlägigen (kantonalen) Rechtsgrundlagen verfügt, eine Vereinbarung geschlossen hatte. Die Suche nach strafbaren Inhalten im Internet führte der Bund fortan gestützt auf kantonales Recht weiter.

Unabhängig davon, ob der Bund das Monitoring bzw. verdeckte Ermittlungen und Fahndungen gestützt auf das inzwischen aufgehobene BVE oder in Anwendung von kantonalem Recht vornahm bzw. vornimmt: dem Bund kommt keine eigenständige Befugnis zu, im Bereich der Pädokriminalität und der strafbaren Pornographie Massnahmen der polizeilichen Früherkennung zu ergreifen. Eine solche Kompetenz steht ihm nur zu, wenn es sich um die Erkennung von Straftaten handelt, die in die Strafverfolgungskompetenz des Bundes fallen; die genannten Delikte gehören indessen nicht dazu. Auf die Tätigkeit der Koordinationsstelle KOBIK bezogen bedeutet dies, dass diese gestützt auf Bundesrecht nur ermitteln darf, wenn es um Sachverhalte geht, die der Bundesgerichtsbarkeit zuzuordnen sind.

3.2.3.5

Weiteres Vorgehen betreffend Polizeiaufgabengesetz

Heute sind die Polizeiaufgaben des Bundes in zahlreichen Erlassen verankert: im Zwangsanwendungsgesetz, im Zentralstellengesetz, im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit, im Schengen-InformationsaustauschGesetz, dem DNA-Profil-Gesetz und im Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes. Mit seinem Vorentwurf für ein neues Bundesgesetz über die polizeilichen Aufgaben des Bundes (Polizeiaufgabengesetz; PolAG) will der Bundesrat die rechtssystematische Zersplitterung des Polizeirechts des Bundes überwinden und die allgemeinen polizeilichen Aufgaben einem einzigen Erlass zusammenfassen. Die Vernehmlassungsvorlage konzentriert sich auf die Bündelung der Rechtsquellen, welche die vom Bundesamt für Polizei wahrgenommenen allgemeinen Polizeiaufgaben regeln. Vom PolAG nicht erfasst werden die auf unterschiedlichen Verfassungsaufträgen beruhenden, schon bis anhin spezialrechtlich geregelten Aufgaben, unter anderem im Zoll-, Militär- und Transportbereich, was in der Vernehmlassung zum Teil kritisiert wurde.341 Neben den formellen Anpassungen, welche durch die Zusammenfassung der verschiedenen bestehenden Rechtsgrundlagen vorgenommen werden müssen, beinhaltet der Vorentwurf auch neue Regelungen, die das bisherige Polizeirecht des Bundes punktuell ergänzen. So werden namentlich die kriminalpolizeilichen Aufgaben einschliesslich der koordinierenden, analytischen und ermittlungstechnischen Informationsbearbeitung hinreichend konkret auf Gesetzesstufe verankert und auch neue Ermittlungsformen wie die polizeiliche Observation und der Einsatz von menschlichen Informationsquellen mit der erforderlichen Bestimmtheit und Dichte gesetzlich geregelt. Im Weiteren werden die Grundsätze der Polizeikooperation mit in- und

340

So auch Bericht der Kommission für Rechtsfragen vom 12. Mai 2011 zur Parlamentarischen Initiative «Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung» (08.458 n).

341 www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1787/Vernehmlassungsbericht PolAG de.pdf

4575

ausländischen Behörden umfassend geregelt und die polizeilichen Massnahmen des ZAG erweitert.

Die im Vorentwurf zum PolAG vorgenommenen Konkretisierungen und Klarstellungen im Polizeirecht des Bundes stehen im Einklang mit den Zielsetzungen, die mit dem vorliegenden Bericht verfolgt werden. Wie oben dargelegt, beschlagen die im Rahmen dieses Berichts in Erwägung gezogenen Verbesserungen im allgemeinen Polizeirecht ausschliesslich verfassungsrechtliche Fragen, auf Gesetzesstufe sind keine Änderungen erforderlich. Die vorgängige Schaffung einer ausdrücklichen Verfassungsgrundlage für die sicherheits- und kriminalpolizeilichen Aufgaben des Bundes ist jedoch nicht unabdingbare Voraussetzung für eine Fortsetzung der Gesetzgebungsarbeiten zum Polizeiaufgabengesetz, zumal sein bisheriger Regelungsinhalt einschliesslich der vorgesehenen Neuerungen nicht über den Status quo der in diesem Bericht dargelegten Kompetenzen im Polizeirecht des Bundes hinausgeht. Dies gilt auch dann, wenn allenfalls weitere, bisher spezialrechtlich geregelte Polizeiaufgaben des Bundes aus dem Zoll-, Militär- und Transportbereich in die Vorlage aufgenommen würden.342

3.2.3.6

Fazit

Nach dem Gesagten empfiehlt es sich, den sich aus den inhärenten Kompetenzen des Bundes ergebenden Schutzauftrag des Bundes in der Verfassung positivrechtlich zu erfassen. Dabei ist zu klären, inwieweit der Bund in der Bundesverfassung ausdrücklich ermächtigt werden soll, die notwendigen Massnahmen zu seinem eigenen Schutz bzw. zum Schutz seiner Organe, Behörden und Institutionen zu schaffen und ihn befähigt, gegen Bedrohungen und Gefährdungen vorzugehen.

Zum anderen erscheint es opportun, eine explizite Verfassungsgrundlage zu schaffen, die auf die zahlreichen, angesichts der zunehmenden internationalen Vernetzung wachsenden kriminalpolizeilichen Aufgaben des Bundes, namentlich auf die Zentralstellen- und übrigen unterstützenden Aufgaben des Bundes Bezug nimmt.

Diese Verfassungsnormen sind indessen für die Fortsetzung der Arbeiten am PolAG rechtlich nicht zwingend notwendig: Unabhängig vom Fortschritt bei der Umsetzung der Massnahmen, die in diesem Bericht angeregt werden, können die sistierten Arbeiten zur Ausfertigung des Erlassentwurfs und der Botschaft zum PolAG weitergeführt werden, da sie sich im Rahmen der hier dargelegten verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung bewegen.

Schliesslich ist es angezeigt, die gesetzlichen Massnahmen des Bundes zur Unterstützung der Kantone bei der Erfüllung der völkerrechtlichen Schutzpflichten der Schweiz zu präzisieren; dies namentlich in Fällen, wo Auswirkungen auf die auswärtigen Beziehungen zu erwarten sind.

342

Siehe in diesem Zusammenhang aber Ziffer 3.2.2.4, letzter Absatz.

4576

3.2.4

Luftfahrt: Tiger/Fox

3.2.4.1

Ausgangslage

Die Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr, die heute mit den Begriffen Tiger/Fox bezeichnet werden, bestehen in der Anwesenheit von Sicherheitsbeauftragten an Bord von Flugzeugen («Airmarshals», Operation Tiger) und auf bestimmten Flughäfen im Ausland («Groundmarshals», Operation Fox). Diese Sicherheitsbeamtinnen und -beamten haben die Aufgabe, das Begehen von widerrechtlichen Handlungen zu verhindern, durch welche die Sicherheit an Bord von Flugzeugen gefährdet werden könnte. Den Airmarshals und Groundmarshals kommt eine unterschiedliche Funktion zu und sie absolvieren daher eine andere Ausbildung: Die bewaffneten Flugbegleiter an Bord schweizerischer Luftfahrzeuge haben die Aufgabe, das Verhalten der Fluggäste zu überwachen und jegliche Handlung zu verhindern, welche die Sicherheit des Flugzeugs gefährden könnte. Das unbewaffnete Kontrollpersonal am Boden überwacht die Einhaltung und Umsetzung der Sicherheitsmassnahmen auf bestimmten ausländischen Flughäfen und setzt bei Bedarf die entsprechenden Massnahmen selbst um. Gegenwärtig besteht in Bezug auf die Anwesenheit dieser Sicherheitsbeauftragten auf Flughäfen im Ausland kein internationales Übereinkommen mit den Staaten, auf deren Hoheitsgebiet die betreffenden Flughäfen liegen. Bislang liess sich die Tatsache, dass mit den entsprechenden Staaten kein Übereinkommen geschlossen wurde, damit rechtfertigen, dass die Groundmarshals im ausländischen Hoheitsgebiet keine offiziellen Handlungen vornehmen, sondern sich auf die Wahrnehmung einer Beobachterrolle beschränken.

Die Tiger/Fox-Einsätze beruhen ausschliesslich auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts: Artikel 12 Absatz 1 des Bundesgesetzes vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt343 (im Folgenden LFG) und Artikel 122a­122o der Luftfahrtverordnung344 (im Folgenden LFV).

Die Sicherheitsbeauftragten, die für die Tiger/Fox-Missionen eingesetzt werden, werden hauptsächlich unter den Angehörigen kantonaler und städtischer Polizeikorps rekrutiert. Hinzu kommen Angehörige des Grenzwachtkorps und seit 2002 der Militärischen Sicherheit (Art. 122e Abs. 3 LFV). Der Einsatz von Angehörigen der Militärischen Sicherheit für Tiger/Fox-Missionen beruht auf mehreren aufeinanderfolgenden Entscheiden des Bundesrates und wurde von der Bundesversammlung

343 344

SR 748.0 SR 748.01

4577

genehmigt.345 Die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und dem Bund im Zusammenhang mit dem Einsatz von Angehörigen kantonaler und städtischer Polizeikorps für Tiger/Fox-Missionen wird durch die Vereinbarung vom 12. Dezember 2005 zwischen der KKJPD und der schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch das EJPD, geregelt. Mit dieser Vereinbarung haben sich die Kantone verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die kantonalen und städtischen Polizeikorps dem Bund jedes Jahr eine gewisse Mindestzahl ihrer Angehörigen zur Verfügung stellen, wobei die Kosten vom Bund übernommen werden. Trotzdem besteht nach wie vor ein Unterbestand von rund 20 Sicherheitsbeauftragten. Diese Differenz muss mit Angehörigen des Grenzwachtkorps und der Militärischen Sicherheit ausgeglichen werden. Seit dem 1. Januar 2008 werden maximal 20 Spezialisten der Militärischen Sicherheit zur Unterstützung für die Tiger/Fox-Missionen eingesetzt (s. auch Ziff.

3.2.1.2.3 oben). Gegenwärtig wird die Weiterführung dieses Einsatzes der Armee für den Unterstützungsdienst über den 31. Dezember 2012 hinaus geprüft. Ganz allgemein erörtern die zuständigen Behörden derzeit die künftigen Modalitäten der Tiger/Fox-Einsätze, insbesondere in Bezug auf die Kompetenzen und die Finanzierung. Eine der in Betracht gezogenen Stossrichtungen besteht in einem vermehrten Engagement der Angehörigen des GWK.

Auf Bundesebene teilen sich das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) und fedpol die Aufgaben, die mit der Organisation der Tiger/Fox-Missionen zusammenhängen.

Das BAZL hat die Oberaufsicht über den Einsatz der Sicherheitsbeauftragten; es übernimmt die Kosten im Zusammenhang mit den Sicherheitsbeauftragten, die von den kantonalen und städtischen Polizeikorps gestellt werden (Art. 122e Abs. 4 und 122n LFV). Fedpol ist für den Einsatz der Sicherheitsbeauftragten zuständig; über den Bundessicherheitsdienst und nach Rücksprache mit dem BAZL bestimmt es auf der Grundlage einer Risiko- und Bedrohungsanalyse Ort, Zeit und Art des Einsatzes (Art. 122h LFV). Fedpol ist auch für die Ausbildung der Sicherheitsbeauftragten zuständig (Art. 122g LFV) und sorgt für die notwendige Ausrüstung (Art. 122i LFV). In Zusammenarbeit mit dem BAZL erstellt fedpol im Weiteren Richtlinien über die Aufgaben der Sicherheitsbeauftragten und legt deren Rechte und Pflichten fest
(Art. 122f LFV).

Gemäss Artikel 21 Absatz 1bis LFG und Artikel 122c Absatz 2bis LFV sind die Sicherheitsbeauftragten berechtigt, an Bord von Luftfahrzeugen polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anzuwenden. Die entsprechenden Modalitäten sind im

345

Siehe zunächst den Entscheid des Generalstabschefs vom 21. Juni 2001, mit dem der Einsatz von Angehörigen des Festungswachtkorps (seit dem 1. Januar 2004: Militärische Sicherheit) zugunsten des Bundessicherheitsdienstes (EJPD) und des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (UVEK) für Tiger/Fox-Missionen genehmigt wurde; s. anschliessend den Beschluss des Bundesrates vom 24. März 2004 (im Rahmen des Berichts USIS-IV), weiterhin Armeeangehörige für Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr einzusetzen; von der KKJPD wurde die Weiterführung dieser Mission ebenfalls genehmigt; s. im Weiteren den Beschluss des Bundesrates vom 26. Mai 2004, mit welchem dem Armeechef die Kompetenz eingeräumt wurde, für die Sicherheit im Luftverkehr maximal 90 Armeeangehörige zur Verfügung zu stellen, sowie den Bundesbeschluss vom 5. Oktober 2004 über den Einsatz der Armee zugunsten der Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr, mit dem das entsprechende Engagement bis Ende 2007 genehmigt wurde, BBl 2004 5513; s. schliesslich den Beschluss des Bundesrates vom 30. Mai 2007 über den Einsatz der Armee zur Unterstützung ziviler Behörden beim Schutz ausländischer Vertretungen und den Bundesbeschluss vom 19. Dezember 2007 über den Einsatz der Armee zugunsten der Sicherheitsmassnahmen im Luftverkehr, BBl 2008 173.

4578

Zwangsanwendungsgesetz346 (ZAG) geregelt. Was die an den Flughäfen eingesetzten Sicherheitsbeauftragten betrifft, erfordert die Art ihres Auftrags weder das Tragen einer Waffe noch die Anwendung von Zwangsmassnahmen.

Während der Ausbildung und des Einsatzes bleiben die Sicherheitsbeauftragten dienst- und disziplinarrechtlich den Vorschriften ihres jeweiligen Arbeitgebers unterstellt (Art. 122j Abs. 1 LFV). Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstehen sie der Weisungsbefugnis des fedpol (Art. 122j Abs. 2 LFV), und an Bord von Luftfahrzeugen unterstehen sie der Bordgewalt des Flugkapitäns (Art. 122j Abs. 3 LFV).

3.2.4.2

Beurteilung

Nach Artikel 87 BV ist die Gesetzgebung über die Luftfahrt Sache des Bundes.

Dabei handelt es sich um eine umfassende Kompetenzzuweisung, auf deren Grundlage der Bund alle Bereiche regeln kann, die mit der Sicherheit, dem Angebot und der Infrastruktur im Bereich des Luftverkehrs zusammenhängen.347 Bislang wurde davon ausgegangen, dass diese Bundeskompetenz auch die Sicherheitskontrolle für abfliegende Passagiere und den Schutz vor strafbaren Handlungen an Bord von schweizerischen Luftfahrzeugen im internationalen kommerziellen Luftverkehr beinhaltet, die im Rahmen der Tiger/Fox-Einsätze gewährleistet werden. Auf dieser Grundlage erliess der Bund Vorschriften, mit denen die Bereitstellung, die Organisation und die Tätigkeit der Sicherheitsbeauftragten geregelt werden (siehe oben Ziff.

3.2.4.1).

Aus verfassungsrechtlicher Sicht werfen die Tiger/Fox-Einsätze eine Reihe von Fragen auf, da bei dieser Konstellation einer Bundeskompetenz in einem bestimmten Bereich (Luftfahrt) eine allgemeine kantonale Kompetenz (Kompetenz im Polizeibereich) entgegensteht. Bei einer solchen Ausgangslage gestaltet es sich schwierig, eine Abgrenzung zwischen den beiden Kompetenzen vorzunehmen. Aus diesem Grund muss auf die allgemeinen Grundsätze von Artikel 5a und 43a BV zurückgegriffen werden ­ insbesondere auf das Subsidiaritätsprinzip ­ und Artikel 87 BV im Lichte dieser allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden.

Geht man davon aus, dass Artikel 87 BV den Bund ermächtigt, die Sicherheitspolizei an Bord von Luftfahrzeugen zu regeln, so kann der Bund den Vollzug des Bundesrechts selbst wahr nehmen oder diesen vollständig oder teilweise den Kantonen übertragen. Was die Gewährleistung der Sicherheit im Bereich des Luftverkehrs anbelangt, könnte der Bund somit entscheiden, diese Aufgabe selbst zu erfüllen, indem er entweder (ziviles) Bundespersonal einsetzt oder ein privates Sicherheitsunternehmen beauftragt. Im vorliegenden Fall hat der Bund in Absprache mit der KKJPD beschlossen, die Wahrnehmung dieser Aufgabe hauptsächlich kantonalen und städtischen Polizeikorps zu übertragen. Diese Vorgehensweise ist verfassungsmässig.

Falls man die Frage der richtigen Auslegung von Artikel 87 BV endgültig klären möchte, könnte diese Norm dahingehend präzisiert werden, dass der Bund auch für die Regelung der Sicherheit an Bord von Luftfahrzeugen zuständig ist.

346 347

SR 364 Siehe dazu BGE 122 I 70, E. 2b und 3a.

4579

Der Einsatz von Angehörigen der Militärischen Sicherheit zur Unterstützung für die Tiger/Fox-Missionen ist mit besonderen Problemen verbunden. Wir verweisen diesbezüglich auf die Ausführungen unter den Ziffern 3.2.1.2.3 bis 3.2.1.4.

Die Regelung des Tiger/Fox-Dispositivs wirft im Übrigen Fragen hinsichtlich der Einhaltung des Legalitätsprinzips auf.

So stellt sich die Frage, ob nicht eher der Bundesgesetzgeber über den Einsatz der Angehörigen von kantonalen und städtischen Polizeikorps für die Tiger/Fox-Missionen hätte entscheiden sollen statt wie im vorliegenden Fall der Bundesrat im Rahmen der LFV. Denn grundsätzlich muss die Aufteilung von Vollzugsaufgaben zwischen dem Bund und den Kantonen zumindest auf formellgesetzlicher Ebene geregelt werden. Die LFV verpflichtet indessen die Kantone nicht, Einsatzkräfte für die Tiger/Fox-Missionen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr haben die Kantone der Bereitstellung von Sicherheitspersonal im Rahmen der Vereinbarung zwischen KKJPD und Bund freiwillig zugestimmt. Da der Bund den Kantonen in diesem Zusammenhang keine Verpflichtung auferlegt, ist keine formelle gesetzliche Grundlage erforderlich.

Es stellt sich weiter die Frage, ob die Finanzierung der Kosten durch den Bund, die mit dem Einsatz von Sicherheitsbeauftragten aus kantonalen und städtischen Polizeikorps zusammenhängen, nicht eher in einem Gesetz als ­ wie vorliegend ­ in einer Verordnung geregelt werden sollte. Denn nach dem Legalitätsprinzip, das auch für die Ausrichtung von Leistungen gilt, erfordert die Auszahlung von Entschädigungen an die Kantone grundsätzlich eine formellgesetzliche Grundlage. Die Schaffung einer solchen formellen Gesetzesgrundlage könnte beispielsweise über eine Änderung des LFG vorgesehen werden.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendung von polizeilichem Zwang durch Sicherheitsbeauftragte, die eindeutig eine formelle gesetzliche Grundlage erfordert, auf Gesetzesebene geregelt ist.

Hinsichtlich des Inhalts der Regelung ist eine gewisse Vermischung der Kompetenzen im Bereich der Unterstellungsverhältnisse festzustellen, zumal die Sicherheitsbeauftragten sowohl den Weisungen von fedpol als auch jenen des Flugkapitäns unterstellt sind. Gleichzeitig unterstehen sie auch den dienst- und disziplinarrechtlichen Vorschriften ihres jeweiligen Arbeitgebers. In der
Praxis scheint diese Konstellation jedoch keine grösseren Probleme zu verursachen, so dass sich auf den ersten Blick keine Änderung dieser Regelung aufdrängt.

Was die Fox-Missionen anbelangt, so wirft die Anwesenheit von schweizerischen Sicherheitsbeauftragten auf gewissen Flughäfen im Ausland auch Fragen in Bezug auf die Rechtmässigkeit auf, da diese Einsätze nicht Gegenstand eines Abkommens mit den betreffenden Staaten sind. Im Allgemeinen muss bei einer Entsendung von Personal, das offizielle Aufgaben in einem Drittstaat erfüllt, ein Abkommen mit dem betreffenden Staat geschlossen werden. Die Groundmarshals, die im Rahmen von Fox-Missionen eingesetzt werden, erfüllen diese Bedingungen. Der Umstand, dass sie nicht bewaffnet sind oder nicht selbst die Gepäckkontrolle durchführen, ist diesbezüglich nicht massgebend. Die blosse Tatsache, dass sie die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch die Sicherheitsdienste des jeweiligen Flughafens überwachen, entspricht bereits einer Amtshandlung. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass diese Missionen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf einer ungenügenden rechtlichen Grundlage beruhen. Gegebenenfalls müssen gesetzliche Grundlagen

4580

geschaffen werden, die den Bundesrat ermächtigen, die erforderlichen internationalen Abkommen zu schliessen.

3.2.4.3

Fazit

Damit der Bund die Sicherheit an Bord von Flugzeugen gewährleisten kann, ist keine Verfassungsänderung erforderlich. Eine Ausnahme könnte unter Umständen die Beteiligung von Angehörigen der Militärischen Sicherheit bilden, wie dies unter Ziffer 3.2.1.4 erläutert wurde.

Im Weiteren empfiehlt es sich, bei der nächsten Revision des LFG eine gesetzliche Grundlage für die Finanzierung der Beteiligung der Kantone an den Sicherheitsmissionen im Luftverkehr durch den Bund zu schaffen.

Abgesehen von diesem spezifischen Aspekt der Beziehungen zwischen Bund und Kantonen wäre es wünschenswert, die Finanzierung der Tiger/Fox-Missionen umfassend zu regeln, auch hinsichtlich der Verteilung der Kosten zwischen den verschiedenen beteiligten Bundesstellen.

Ausserdem wird die Frage der Rechtsgrundlage der Fox-Missionen eingehend geprüft werden müssen, insbesondere die Notwendigkeit, mit den betreffenden ausländischen Staaten Abkommen zu schliessen, in denen die Anwesenheit der Schweizer Groundmarshals geregelt wird.

3.2.5

Staatsschutz

Dem Bund steht gestützt auf eine ungeschriebene Verfassungsnorm die Kompetenz zu, für die innere und äussere Sicherheit des Landes zu sorgen. Es gilt als inhärente Kompetenz des Bundes, im Inneren und im Äusseren die notwendigen Massnahmen zu seinem Schutz bzw. zum Schutz seiner Institutionen und Organe zu treffen. Dass die inhärenten Kompetenzen des Bundes darüber hinaus eine grössere, staatsschützerische Dimension aufweisen, gilt in der Lehre ebenfalls als erkannt: Dem Bund kommt gestützt auf ungeschriebenes Verfassungsrecht die Befugnis zu, Gefahren abzuwehren, die für den Staat als solchen existenziellen Charakter haben.

Was hinsichtlich der inhärenten Kompetenzen des Bundes im sicherheitspolizeilichen Bereich ausgeführt wurde,348 gilt auch für die Tätigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Staatsschutzes: Mangels einer ausdrücklichen Grundlage in der Verfassung liegt hinsichtlich der Tragweite und des Umfangs der Bundeskompetenz im Bereich des Staatsschutzes vieles im Ungewissen. Ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Staatsschutzes ausschliesslicher Natur oder lässt sie Raum für eine eigene Staatsschutzgesetzgebung der Kantone? Kommen dem Bund in diesem Sachbereich spezifische Koordinationsaufgaben zu? Welche Gefährdungen haben Staatsschutzrelevanz und sollen von der Staatsschutzgesetzgebung des Bundes erfasst werden? Soll sich die Staatsschutztätigkeit des Bundes lediglich gegen unmittelbare Bedrohungen des staatlichen Territoriums, der Bevölkerung und der gesellschaftlichen und politischen Ordnung richten oder erstreckt sich die Tätigkeit auch auf die Abwehr von Bedrohungen, welche den Staat mittelbar, z.B. durch 348

Vgl. oben Ziffer 3.2.3.1.

4581

Schwächung seiner Wirtschaft, in seiner Funktionstüchtigkeit treffen? Eine ausdrückliche, genügend bestimmte Verfassungsgrundlage, welche den Umfang und die Grenzen dieser Bundeszuständigkeit aufzeigt, würde die bestehenden Unsicherheiten beheben und in diesem wichtigen, die Grundrechte stark tangierenden Sachbereich Transparenz und Klarheit schaffen.

Nebst dieser spezifisch verfassungsrechtlichen Problematik hat sich in Zusammenhang mit den Staatschutzaktivitäten von Bund und Kantonen ein weiteres Problemfeld aufgetan. Im Nachgang zur Affäre um die Bearbeitung der Daten von kurdischund türkischstämmigen Personen, die in den Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt gewählt wurden, nachdem sie bereits früher im Staatschutzinformationssystem ISIS erfasst worden waren, hat sich die Frage gestellt, ob das auf Verordnungsebene vorgesehene Zustimmungserfordernis des NDB auch für die Weitergabe von Staatschutzinformationen an die kantonale parlamentarische Oberaufsichtsbehörde gilt, wenn die Daten durch die kantonalen Staatschutzbehörden beschafft worden sind.

Mit der Frage hat sich nicht nur der betroffene Kanton Basel-Stadt und die GPDel als parlamentarische Oberaufsichtsbehörde des Bundes beschäftigt; der Umstand, dass z.B. der Kanton Bern erst kürzlich ein Rechtsgutachten349 mit ähnlicher Fragestellung in Auftrag gegeben hat, weist darauf hin, dass Klärungsbedarf vorhanden ist. Der fragliche Sachverhalt beschlägt ein spezielles Problem bei der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, nämlich die Frage, wie die Aufsicht ­ hier über die Staatsschutztätigkeit der Kantone ­ durch Bund und Kantone zu handhaben ist, wenn der Vollzug einer Bundesaufgabe (teilweise) an die Kantone delegiert wurde.350 Im Rahmen seiner umfassenden Rechtsetzungskompetenz im Bereich des Staatschutzes hat der Bund den Kantonen Vollzugs- und Amtshilfeaufgaben zugewiesen.

Dabei hat er in Artikel 6 Absatz 3 BWIS den Kantonen die Verantwortung für die Dienstaufsicht über das für den Vollzug von BWIS-Aufgaben zuständige Personal ausdrücklich belassen, da diese als kantonale Bedienstete auch weiterhin dem kantonalen Dienstrecht unterstehen. Damit unterliegt das kantonale Personal der verwaltungsrechtlichen Kontrolle durch die hierarchisch vorgesetzte Stelle. Der Bundesrat legt gemäss Artikel 26 Absatz 3 BWIS die Mindestanforderungen
an die Kontrolle in den Kantonen fest. Auch die Datenschutzaufsicht verbleibt den Kantonen; das Datenschutzrecht des Bundes wird zwar für die Kantone als unmittelbar anwendbar erklärt, die im kantonalen Recht vorgesehenen Aufsichtsrechte werden hingegen explizit vorbehalten (Art. 16 Abs. 3 BWIS). Die kantonale parlamentarische Oberaufsicht wird hingegen in der Staatsschutzgesetzgebung des Bundes nicht angesprochen. Wie bereits ausgeführt, bestehen heute divergierende Meinungen darüber, ob Artikel 25 BWIS die parlamentarische Aufsicht abschliessend regelt oder ob diesbezüglich die Geltung des einschlägigen kantonalen Rechts vorbehalten bleibt.351 Streitpunkt ist im vorliegenden Fall Artikel 35a V-NDB, der die kantonalen Aufsichtsrechte insofern einschränkt, als der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ausdrücklich zustimmen muss, wenn die kantonalen Aufsichtsbehörden in Daten Einsicht nehmen wollen, welche die Kantone im Auftrag des Bundes bearbeiten. Die Kritik richtet sich einerseits gegen die Einschränkung der Einsichtnahme als solche, 349

M. Müller/C. Jenni, «Kantonale Aufsicht über die Staatsschutztätigkeit», Gutachten zuhanden der Oberaufsichtskommission des Grossen Rates des Kantons Bern vom 28. März 2011, ZBl 1/2012.

350 Zur Strukturierung der Aufsicht bei der Staatsschutztätigkeit vgl. oben Ziffer 2.3.2.1.3.

351 Vgl. oben Ziffer 2.3.2.1.3.

4582

die die Wahrnehmung der Aufsichtsverantwortung erschwere bzw. verunmögliche, zum anderen wird geltend gemacht, dass die notwendigen formellgesetzlichen Grundlagen für den besagten Zustimmungsvorbehalt im Bundesrecht fehlten.

Die Bestimmungen des BWIS sind in dieser Hinsicht in der Tat unklar. Artikel 17 Absatz 1 BWIS bestimmt, dass der Bundesrat durch Verordnung regelt, an welche Empfänger in der Schweiz, die öffentliche Aufgaben erfüllen, der NDB Daten weitergeben kann. Artikel 17 Absatz 6 BWIS besagt weiter, dass die Sicherheitsorgane der Kantone Daten, die sie vom Bund erhalten haben, nur andere kantonale Stellen und nur nach den vom Bund erlassenen Grundsätzen weitergeben können. Es mögen Zweifel bestehen, ob Artikel 17 Absatz 1 BWIS auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung finden kann, zumal die Datenweitergabe durch eine kantonale Staatsschutzbehörde (und nicht durch den NDB) zur Diskussion steht. Bei einer wörtlichen Auslegung von Artikel 17 Absatz 1 BWIS wäre die Weitergabe von kantonalen Daten durch kantonale Behörden tatsächlich nicht vom Zustimmungsvorbehalt des NDB erfasst. Bei einer näheren Betrachtung der Bestimmungen des BWIS352 wird dagegen deutlich, dass es der klare Wille des Gesetzgebers ist, dass die Datenherrschaft, d.h. die Verfügungsmacht über alle im Rahmen der Staatsschutztätigkeit erhobenen Daten ­ einschliesslich der von den Kantonen gesammelten Daten ­ beim Bund liegt. Die Botschaft353 hält dazu fest: «Der Bund soll alle Informationen über erfolgte Störungen der inneren Sicherheit und über absehbare bevorstehende Gefährdungen bearbeiten, wobei die Bearbeitung für die ganze Schweiz zentralisiert und in einem Informationssystem erfolgt, selbst wenn die aktive Informationsbeschaffung auf dem Kantonsgebiet in der Regel Aufgabe der zuständigen kantonalen Behörden bleibt.» Bei einer teleologischen, den Zweck und die Gesamtkonzeption berücksichtigenden Auslegung wie auch bei einer systematischen Interpretation liegt demnach der Schluss nahe, dass die in Artikel 17 Absatz 1 BWIS statuierte Regelungskompetenz des Bundesrates für die Weitergabe von Personendaten auch die Weitergabe von Informationen durch kantonale Staatsschutzbehörden an ihre kantonalen Aufsichtsbehörden umfasst. Mit anderen Worten: Was an Restriktionen für die Herausgabe von nachrichtendienstlichen Daten für
den NDB gilt, muss ebenso für die mit staatsschützerischen Aufgaben betrauten kantonalen Behörden gelten. Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass Artikel 35a V-NDB im BWIS ausreichend abgestützt ist. Artikel 17 Absatz 6 BWIS bietet darüber hinaus eine formellgesetzliche Grundlage für die Einschränkung der Datenweitergabe durch kantonale Sicherheitsbehörden, soweit es sich um vom Bund erhobene Daten handelt.

Zweck der in Artikel 35a V-NDB vorgenommenen Einschränkung des Rechts auf Einsicht in die Bundesdaten durch kantonale Aufsichtsorgane ist die Gewährleistung der Sicherheitsinteressen des Bundes (Art. 35a Abs. 4 N-V-NDB); die Vollzugsnorm dient insbesondere der Sicherstellung der Geheimhaltung (Informationsschutz) sowie dem ­ im nachrichtendienstlichen Tätigkeitsfeld wichtigen ­ Quellenschutz.

Zudem bearbeiten einzelne Kantone oft nur einen Teilaspekt eines umfassenderen Staatsschutzgeschäftes. Das kantonale Aufsichtsorgan kann deshalb in solchen Fällen aus der Kenntnisnahme der im Kanton bearbeiteten Daten die Bedeutung des Gesamtgeschäftes nicht immer beurteilen. Dies obliegt auf Bundesebene den Auf352 353

Vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 4 Bst. b und Art. 16 Abs. 1 BWIS.

Botschaft vom 7. März 1994 zum Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit und zur Volksinitiative «S.O.S. Schweiz ohne Schnüffelstaat», BBl 1994 II 1141 f.

4583

sichtsorganen des Bundes (namentlich der Geschäftsprüfungsdelegation und der nachrichtendienstlichen Aufsicht des VBS). Für die Beschränkung der Dateneinsicht und die Weitergabe an kantonale Aufsichtsorgane liegen somit gute Gründe vor.

Andererseits machen einzelne kantonale Aufsichtsbehörden geltend, dass die Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion erheblich erschwert werde, wenn die kantonalen Aufsichtsbehörden für jede Dateneinsicht vorgängig beim NDB ein Gesuch stellen müssen, das themen-, anlass-, organisations- oder personenbezogen begründet ist (Art. 35a Abs. 3 V-NDB), und alsdann den Bescheid des NDB bzw. bei Uneinigkeit den nächstinstanzlichen Entscheid354 abwarten müssen, bevor sie ihre Kontrolltätigkeit fortsetzen können. Die revidierte V-NDB umschreibt die Aufgaben der kantonalen Dienstaufsicht detailliert und verpflichtet den NDB, hierzu regelmässig bestimmte Angaben zu liefern.355 Angesichts der ­ auch nach der Präzisierung der kantonalen Aufsichtstätigkeiten in der V-NDB anhaltenden ­ Diskussionen ist es angezeigt, dass in der neuen Gesetzgebung über den zivilen Nachrichtendienst, die zurzeit erarbeitet wird, auf Gesetzesstufe klare Regelungen über die Aufsichtsbefugnisse von Bund und Kantonen im Staatsschutzbereich statuiert werden.

3.2.5.1

Fazit

Es empfiehlt sich, für die Kompetenz des Bundes im Bereich des Staatsschutzes, die nach geltender Rechtslage auf ungeschriebenem Verfassungsrecht basiert, eine Grundlage in der Verfassung zu schaffen, welche den Umfang und die Tragweite dieser Bundeszuständigkeit klar umreisst.

Zum anderen erscheint es angezeigt, im Rahmen der Arbeiten für ein neues Nachrichtendienstgesetz klare Regelungen über die Kompetenzen von Bund und Kantonen in der Aufsicht über die Tätigkeiten im Staatschutzbereich aufzunehmen.

3.2.6

Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private

3.2.6.1

Delegation öffentlicher Sicherheitsaufgaben

Wie vorne ausgeführt,356 können sowohl Bund als auch Kantone bei der Wahrnehmung von staatlichen Sicherheitsaufgaben Private beiziehen. Artikel 178 Absatz 3 BV sieht für die Bundesebene ausdrücklich vor, dass Verwaltungsaufgaben durch Gesetz Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts übertragen werden können, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen.357 Die Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Private im Inland wird vor allem im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Sicherheit in halböffentlichen Räumen (so insbesondere in privat betriebene Sportstadien) diskutiert. Die Thematik manifestiert sich insbesondere bei sportlichen Grossanlässen wie Fussball- und Eishockeyspielen. Bei solchen Sportveranstaltungen bestehen vermehrt ernsthafte Sicher-

354 355 356 357

Bei Streitigkeiten entscheidet gemäss Art. 35a Abs. 3 V-NDB das VBS.

Siehe dazu Art. 35 Abs. 3 V-NDB.

Vgl. Ziffer 2.3.4.2.

Vgl. dazu G. Biaggini, in: St. Galler Kommentar zu Art. 178 BV, 2. Aufl., Zürich/Basel/ Genf 2008, Rz. 26 f.

4584

heitsprobleme. Es stellt sich die Frage, ob und inwiefern Sicherheitsaufgaben an private Sicherheitsunternehmen delegiert werden können.

Was die Delegation der polizeilichen Aufgaben an private Sicherheitsdienste angeht, muss gemäss Artikel 178 Absatz 3 BV die Übertragung der Aufgabe in einem Gesetz im formellen Sinn enthalten sein. Auch in den Kantonen setzt eine Übertragung von Sicherheitsaufgaben vom Staat auf Private eine gesetzliche Grundlage voraus.358 Die Delegation von staatlichen Aufgaben muss überdies im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Ein öffentliches Interesse für die Auslagerung von Tätigkeiten im Polizei- und Sicherheitsbereich ist regelmässig die Gefahrenabwehr bzw. die Gewährleistung der Sicherheit, die die Polizei aus Ressourcengründen ­ zumal bei Grossveranstaltungen wie bei Fussballspielen ­ nicht vollumfänglich garantieren kann. Hinsichtlich der Verhältnismässigkeit ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Sicherheits- und Polizeibereich im Vergleich zu anderen Bereichen besonders sensible Fragen aufwirft. An die Verhältnismässigkeit der Auslagerung von staatlichen Polizei- und Sicherheitsaufgaben sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, wenn es sich um Zwangsmassnahmen handelt, die individuelle Grundrechtspositionen tangieren. Wenn schliesslich Polizeiaufgaben an private Sicherheitsfirmen delegiert werden, sind letztere gemäss Artikel 35 Absatz 2 BV an die Grundrechte gebunden.

Obwohl die Verfassung keine entsprechenden Schranken vorsieht, wird in der Lehre vertreten, dass es einen Kernbestand an Verwaltungsaufgaben gibt, die nicht delegierbar sind. In diesem Zusammenhang werden etwa die militärische Landesverteidigung, die Wahrung des inneren Friedens oder die Strafverfolgung im engeren Sinn genannt.359 Die hier relevanten Sicherheitsaufgaben sind nicht diesem Kernbestand zuzuordnen; vielmehr handelt es sich dabei um grundsätzlich delegierbare Polizeiaufgaben. Allerdings muss beachtet werden, dass dort, wo mit erheblichen Grundrechtseingriffen gerechnet werden muss, die Auslagerung polizeilicher Aufgaben an ihre Grenzen stösst. So bedürfen schwere Grundrechtseingriffe nicht nur einer formell-gesetzlichen Grundlage, die ausreichend bestimmt ist, sondern sollten auch im nicht delegierten Zuständigkeitsbereich der Polizei verbleiben.

3.2.6.2

Übertragung privater Sicherheitsaufgaben

Im Kontext der Sicherheit von sportlichen Grossanlässen haben auch private ­ konkret die privaten Stadionbetreiber ­ Sicherheitsaufgaben wahrzunehmen,360 die sie wiederum weiteren Privaten ­ privaten Sicherheitsunternehmen ­ übertragen können. Wie jedem Eigentümer oder Besitzer steht dem Stadionbetreiber die Ausübung des Hausrechts zu, das heisst die Befugnis, über das Haus ungestört zu walten und in ihm den eigenen Willen frei zu betätigen.361 Daraus leitet sich auch das Recht ab, frei zu bestimmen, wer sich in den Räumen aufhält. So kann der Hausherr etwa den Zutritt aus bestimmten Gründen bzw. für bestimmte Personen einschränken 358 359

Vgl. dazu vorne Ziffer 2.3.4.2.

Vgl. dazu Bericht des Bundesrates zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen vom 2. Dezember 2005, BBl 2006 650; G. Biaggini, St. Galler Kommentar zu Art. 178 BV, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2008, Rz. 28; W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 74.

360 Vgl. dazu nachfolgend unter Ziffer 3.2.7.3.1.

361 Vgl. dazu BGE 103 IV 162

4585

(z.B. Verweigerung des Vertragsschlusses aufgrund eines Stadionverbots, konkrete Zutrittsverweigerung oder Wegweisung eines Besuchers aus bestimmten Gründen).

Darüber hinaus berechtigt das Hausrecht den Eigentümer oder Besitzer, ungerechtfertigte Störungen wie etwa Verschmutzungen oder Sachbeschädigungen in angemessener Weise abzuwehren. Zusätzlich zum Hausrecht kommen dem Stadionbetreiber die für jede Person geltenden strafrechtlichen Selbstschutz- und Selbsthilferechte (Notstand, Notwehr bzw. Notstands- und Notwehrhilfe) zu.362 Wo genau die Grenzen des Hausrechts verlaufen, ist nicht immer klar zu definieren.

Grundsätzlich geht es beim Hausrecht im Bereich der Sicherheit jedoch um elementare Aspekte wie den Objektschutz und die Eingangskontrollen.

Die Ausübung des Hausrechts kann im Rahmen eines privatrechtlichen Auftrags von seinem Inhaber auf eine andere Person bzw. auf private Sicherheitsfirmen, übertragen werden. Auch stehen privaten Sicherheitsleuten, die im Auftrag eines Stadionbetreibers tätig sind, die strafrechtlichen Selbstschutz- und Selbsthilferechte zu. In jedem Fall können aber private Sicherheitsfirmen im Rahmen eines Auftragsverhältnisses mit dem Stadionbetreiber nur in den Grenzen des Hausrechts Ordnungs- und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen.363

3.2.6.3

Fazit

Private können sowohl für den Staat als auch für einen privaten Auftraggeber Sicherheitsaufgaben wahrnehmen. Handelt es sich um Sicherheitsaufgaben, die von der Polizei an Private delegiert werden, muss die Übertragung der Aufgabe in einem formellen Gesetz enthalten sein, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben und individuellen Grundrechtspositionen muss beachtet werden, dass die privaten Sicherheitsunternehmen, die für den Staat Sicherheitsaufgaben wahrnehmen, bei der Ausübung ihrer Tätigkeit die Grundrechte zu beachten haben. Ausserdem sollten Sicherheitsmassnahmen, die schwere Grundrechtseingriffe nach sich ziehen, im nicht delegierten Zuständigkeitsbereich der Polizei verbleiben.

Wenn private Sicherheitsunternehmen von einem Stadionbetreiber mit Sicherheitsaufgaben beauftragt werden, handelt es sich dabei eher um elementare Aspekte der Sicherheit. Als typische und vom Hausrecht abgedeckte Massnahmen, die private Sicherheitsunternehmen vornehmen, werden namentlich Kontrollgänge, der Veranstaltungsdienst, die Sicherheitsberatung und der Begleitschutz für eine Privatperson genannt. Ferner können private Sicherheitsunternehmen Eintritts- bzw. Eingangskontrollen (wie Ticket- und Effektenkontrolle, eine visuelle Kontrolle oder ein kurzes Abtasten der Besucherinnen und Besucher ausserhalb des Intimbereichs) sowie das Erstellen und der Betrieb von Alarmanlagen vornehmen

362

Die Ausübung dieser Abwehrrechte ist nur in engen Grenzen zulässig (Erfordernis der Verhältnismässigkeit) und auf eigentliche Angriffe bzw. aussergewöhnliche und unvorhersehbare Gefahrenlagen beschränkt.

363 Vgl. dazu BBl 2006 647 f.; W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 35; M. Mohler, Sicherheitsbezogene Zutrittskontrollen zu Stadien, in: Sicherheit und Recht 2/2010, S. 72 ff.

4586

3.2.7

Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen

3.2.7.1

Feststellung

Das Phänomen der Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen, hauptsächlich bei Fussball- und Eishockeyspielen der obersten Ligen, breitet sich immer weiter aus. Zudem nimmt die Intensität der Gewalt zu. Ausdruck dieser Entwicklung war der Abbruch des Fussballspiels zwischen dem FC Zürich und den Grasshoppers vom 2. Oktober 2011. Die Problematik der Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, ist auch unseren Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht entgangen. Sie haben wiederholt Motionen und Postulate zu dieser Thematik eingereicht, mit denen ein Eingreifen des Bundes und die Verabschiedung von härteren Massnahmen verlangt wurde.364 Die Ausschreitungen manifestieren sich insbesondere in gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fans, in Angriffen gegen die Sicherheitskräfte sowie in Sachbeschädigungen. Häufig gelangen zudem Personen mit gefährlichen Gegenständen wie etwa mit Feuerwerkskörpern ins Stadion, wodurch sie eine grosse Menge von Besucherinnen und Besuchern gefährden. Es ist Sinn und Zweck von Eintrittskontrollen, Personen, die gefährliche Gegenstände mit sich führen oder sich bereits beim Eingang zum Stadion auffällig verhalten, zu durchsuchen und diesen gegebenenfalls den Zutritt zu verweigern. Solche Eintrittskontrollen können von der Effektenkontrolle über das oberflächliche Abtasten der Besucherinnen und Besucher bis hin zur Untersuchung des Intimbereichs reichen. Es stellt sich in dem Zusammenhang die Frage, wer ­ Stadionbetreiber oder Polizei ­ für welche Art von Eintrittskontrolle zuständig ist.365 Um dies zu eruieren, muss zunächst auf die Qualifikation des Stadions als halböffentlicher Raum366 eingegangen werden. Diese Art von Raum lässt sich zwar einem Privaten zuordnen, gleichzeitig steht er aber der Öffentlichkeit zur Verfügung.367 Aus der privaten Zuordnung des Stadions folgt, dass für elementare Aspekte der Sicherheit primär der Stadionbetreiber verantwortlich ist. Da die öffentliche Zugänglichkeit des Stadions zu grossen Menschenansammlungen führt, begründet deren Sicherheit aber auch ein erhebliches öffentliches Interesse. Je grösser die Menschenansammlung, desto mehr Gefährdungspotenzial birgt eine Veranstaltung, und somit nimmt auch das öffentliche Interesse an der Sicherheit einer Grossveranstaltung wie eines Fussball- oder Eishockeymatches zu. Dieses öffentliche Interesse an der Sicherheit stellt eine Voraussetzung für polizeiliches

364

Postulat Hochreutener vom 29.09.2011 (11.3958) «Krawallbekämpfung»; Postulat Segmüller vom 28.09.2011 (11.3872) «Massnahmen gegen Hooliganismus und Ausschreitungen im Sport»; Postulat Glanzmann vom 28.09.2011 (11.3875) «Gewalt an Sportveranstaltungen»; Postulat Glanzmann vom 28.09.2011 (11.3874) «Gelbe und Rote Karte bei gewalttätigem Hooliganismus»; Motion Roux vom 16.06.2011 (11.3645) «Sofortige Vorführung von Hooligans und straffälligen Personen vor eine Richterin oder einen Richter»; Motion Glanzmann vom 12.04.2011 (11.3333) «Gewalt an Sportveranstaltungen»; Motion Fluri vom 18.06.2010 (10.3614) «Rechtssicherheit in Bezug auf Pyro-Schmuggler schaffen».

365 Vgl. dazu unter Ziffer 3.2.7.3 366 Vgl. Ziffer 2.3.3.

367 Vgl. Bericht des Bundesrates zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen vom 2.

Dezember 2005, BBl 2006 623, S. 648; W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/ 2007 I, S. 35.

4587

Handeln dar, begründet aber auch gleichzeitig eine entsprechende Handlungspflicht.368

3.2.7.2

Stand der Gesetzgebung

Es ist offensichtlich, dass die Situation im Zusammenhang mit der Gewalt an Sportveranstaltungen verbessert werden muss. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Verbesserung mit Massnahmen des Bundes oder der Kantone erreicht werden muss.

Zurzeit wird die Bekämpfung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen hauptsächlich durch das Konkordat vom 15. November 2007 geregelt, das insbesondere die Möglichkeit vorsieht, gegenüber den Urhebern von Gewalt gewisse präventive Massnahmen anzuordnen (Rayonverbot, Meldeauflage, Polizeigewahrsam).369 Die Interventionen des Bundes beschränken sich in diesem speziellen Bereich im Wesentlichen auf zwei Massnahmen, nämlich auf das Betreiben des Informationssystems HOOGAN sowie auf die Anordnung von Ausreisebeschränkungen, d.h. auf das Verbot, in ein bestimmtes Land zu reisen (vgl. Art. 24a und 24c BWIS).

Auf der Grundlage seiner derzeitigen Kompetenzen in Sachbereichen, die gewisse Aspekte der Gewaltproblematik an Sportveranstaltungen tangieren (beispielsweise Sprengstoffgesetz370, Schweizerisches Strafgesetzbuch371), könnte der Bund weitere Vorschriften erlassen. Doch der Erlass von spezifischen Massnahmen auf Bundesebene zur Bekämpfung von Ausschreitungen an Sportveranstaltungen erfordert die Schaffung einer neuen Verfassungsgrundlage, die dem Bund im Bereich der inneren Sicherheit weitergehende Kompetenzen einräumen würde. Diese neue Bestimmung könnte im Anschluss an die Artikel integriert werden, die sich auf diese Thematik beziehen (vgl. Art. 57­61 BV). Doch da Inhalt und Tragweite der Verfassungsnorm auf den Erlass von Vorschriften beschränkt wäre, die für die Prävention und Bekämpfung von Gewalt an Sportveranstaltungen erforderlich sind, erscheint es angemessener, den Sportartikel (Art. 68 BV) zu ergänzen, wie dies der Bundesrat in seiner Botschaft vorgesehen hatte.372 Im Rahmen des Berichts in Beantwortung des Postulats Glanzmann373 wird der Bundesrat zu dieser Thematik noch Stellung nehmen.

Auf kantonaler Ebene wurde unlängst im Anschluss an das Treffen vom 19. August 2011 in Zug, an dem verschiedene Vertreterinnen und Vertretern von öffentlichen Gemeinwesen teilnahmen, beschlossen, das Konkordat vom 15. November 2007 zu verschärfen. Im Rahmen der laufenden Konkordatsrevision ist insbesondere die Möglichkeit für die zuständigen Behörden vorgesehen,
in gewissen Fällen direkt eine Meldeauflage und Durchsuchungen von Zuschauerinnen und Zuschauern anzuordnen (und diese Aufgabe unter bestimmten Voraussetzungen privaten Orga368 369 370 371 372

373

Vgl. M. Mohler, Sicherheitsbezogene Zutrittskontrollen zu Stadien, in: Sicherheit und Recht 2/ 2010, S. 74.

www.ccdjp.ch/images/upload/ 071115%20Konkordat%20Gewalt%20bei%20 Sportveranstaltungen%20d.pdf SR 941.41; SprstG SR 311; StGB.

Vgl. Botschaft zu einer Verfassungsbestimmung über die Bekämpfung von Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen (Hooliganismus) sowie zu einer Änderung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS), BBl 2007 6465 6473.

11.3875 Po. Glanzmann, Gewalt an Sportveranstaltungen

4588

nisationen zu übertragen374), um verbotene Objekte und insbesondere pyrotechnische Gegenstände ausfindig zu machen. Ausserdem ist vorgesehen, die Durchführung aller Fussball- und Eishockeyspiele der obersten Ligen einer Bewilligungspflicht zu unterstellen. Für die unteren Ligen und andere Sportarten soll in bestimmten Fällen eine Bewilligungspflicht bestehen. Die Dauer und der Perimeter der Rayonverbote werden ebenfalls ausgedehnt.375

3.2.7.3

Private und öffentliche Sicherheitsaufgaben im halböffentlichen Raum

3.2.7.3.1

Sicherheitsaufgaben des Stadionbetreibers

Aus der privaten Zuordnung des Stadions folgt nicht nur, dass der Stadionbetreiber die ihm aus dem Hausrecht zustehenden Rechte wahrnehmen darf, sondern auch, dass die privaten Stadionbetreiber für den ordnungsgemässen Ablauf ihrer Veranstaltung und damit für elementare Aspekte der Sicherheit innerhalb gewisser Grenzen selbst verantwortlich sind. Eine mangelhafte Organisation oder Durchführung einer Veranstaltung kann unter Umständen eine zivilrechtliche Haftung mit Schadenersatzansprüchen begründen.376 Zu einer entsprechenden Pflicht der privaten Stadionbetreiber würde beispielsweise gehören, die Räume des Stadions vor den Spielen auf versteckte gefährliche Gegenstände hin zu untersuchen. Im Vordergrund der aus dem Hausrecht fliessenden Sicherheitsaufgaben des Stadionbetreibers stehen der Objektschutz und die Eingangskontrollen.

Der Eintritt der Besucher zum Stadion wird über einen privatrechtlichen Vertragsschluss (Kauf der Eintrittskarte) zwischen dem Stadionbetreiber und dem Besucher begründet. In die aus dem Sicherheitsdispositiv fliessenden Massnahmen wie die Kontrolle der Taschen, die Konfiszierung von potenziell gefährlichen Gegenständen, Durchsuchungen in Form des «friskings» usw., willigt der Zuschauer vertraglich ein.

Damit eine solche Einwilligung gültig ist, muss der Zuschauer insbesondere über den zugrunde gelegten Sachverhalt aufgeklärt sein und die Zustimmung zum Eingriff frei, ohne äusseren Druck, erteilen können. Grundsätzlich sollte die Einwilligung vor dem Eingriff erfolgen.377

3.2.7.3.2

Sicherheitsaufgaben der Polizei

Es wurde bereits aufgezeigt,378 dass die Kontrolle der Besucherinnen und Besucher von Grossveranstaltungen auf gefährliche Gegenstände hin typische präventive Polizeimassnahmen sind, die darauf abzielen, mögliche künftige Gefahren zu verhindern.379 Die Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs von Polizei und privater 374 375 376

Vgl. dazu unter Ziffer 3.2.7.3.

Der Entwurf kann auf der Website der KKJPD eingesehen werden (www.kkjpd.ch).

Vgl. Bericht des Bundesrates zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen, BBl 2006 648 377 Vgl. Art. 28 Abs. 2 ZGB; dazu A. Meili, in: Basler Kommentar zu Art. 28 ZGB, Rz. 45 ff.

378 Vgl. dazu Ziffer 3.2.7.1 379 Statt vieler U. Häfelin/G. Müller/F. Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2006, Rz. 2478.

4589

Gefahrenabwehr bei Grossanlässen hängt wesentlich vom zu erwartenden Konfliktpotenzial der Veranstaltung ab.380 Je grösser die zu erwartende Gefahr, desto grösser erscheint die Notwendigkeit, dass die Polizei für den Schutz der Sicherheit verantwortlich ist. Auch ist das Kriterium der Schwere von Grundrechtseingriffen ein Indiz dafür, dass die Polizei selbst für die Eintrittskontrollen zuständig ist. So stellen etwa Durchsuchungen auf dem entblössten Körper und insbesondere im entblössten Intimbereich schwere Eingriffe in die körperliche Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) sowie in die Privat- und Intimsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV) dar. Zweifellos handelt es sich bei einer eigentlichen körperlichen Untersuchung der Geschlechtsorgane und des Afters um einen schweren Eingriff.381 Solche Kontrollen bedürfen nicht nur einer formell-gesetzlichen Grundlage, die ausreichend bestimmt ist, sondern sollten auch im Zuständigkeitsbereich der Polizei verbleiben, mithin auch nicht an private Sicherheitsunternehmen delegiert werden. Schliesslich müssen diese Kontrollen räumlich abgetrennt und für Dritte nicht einsehbar sowie durch Personen desselben Geschlechts vorgenommen werden.382 In jedem Fall erscheint es wichtig, dass die Zuständigkeiten von Polizei und Hausrechtsinhaber für Sicherheitsaufgaben in der Praxis so abgegrenzt werden, dass nicht dieselben Aufgaben gleichzeitig von beiden Organen vorgenommen werden.

Die Graphik im Anhang soll aufzeigen, welche Eintrittskontrollen gestützt auf welche rechtliche Grundlage von welchen Akteuren vorgenommen werden sollen.

3.2.7.4

Fazit

Die Option, die Kompetenzen des Bundes bei der Bekämpfung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen zu erweitern, erweist sich ­ namentlich unter Berücksichtigung der bestehenden Gesetzgebung auf Bundes- und Kantonsebene und der derzeit untersuchten Lösungen, wie beispielsweise der Einführung eines neuen Systems für die Zugangskontrolle in Sportstadien383 ­ nicht als valabel. Sollte die Verschärfung des Konkordats ­ gegenwärtig wird dazu in den interessierten Kreisen eine Vernehmlassung durchgeführt ­ von den Kantonen gutgeheissen werden, wäre eine neue Kompetenz des Bundes überflüssig. Nach heutigem Kenntnisstand ist jedenfalls nicht ersichtlich, welche anderen gesetzgeberischen Massnahmen ergriffen werden könnten, die wirkungsvoller wären als die Massnahmen, welche im Rahmen der Revision des Konkordats vorgeschlagen werden. Die Thematik wird indessen in dem in Erfüllung des Postulats Glanzmann zu erstellenden Bericht vertieft behandelt werden. Dabei sollen insbesondere die Erfahrungen, welche in der Zwischenzeit mit dem revidierten Konkordat gemacht werden, ausgewertet werden und die daraus resultierenden Erkenntnisse in den Bericht einfliessen.

380

W. Kälin/A. Lienhard/J. Wyttenbach, Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben, in: ZSR 126/2007 I, S. 36.

381 Gemäss Bundesgericht (BGE 109 Ia 159) müssen solche Untersuchungen auch zum Schutz der Gesundheit der Betroffenen von fachkundigen Personen, also von Ärztinnen oder Ärzten oder von anderen geschulten Medizinalpersonen vorgenommen werden.

382 Vgl. dazu BGE 109 Ia 159 383 www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/sicherheit/gesetzgebung/strafregister.html

4590

4

Ausblick auf eine mögliche Neuordnung der Kompetenzen im Sicherheitsbereich

4.1

Einleitung

Die unter den Ziffern 2 und 3 vorgenommene Auslegeordnung fördert im Sicherheitsbereich eine Reihe von Problemen bei der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen und in der Aufgabenwahrnehmung zutage. Die Mängel sind nicht gleichermassen gravierend: Zum Teil können Unzulänglichkeiten von untergeordneter Bedeutung festgestellt werden, teilweise handelt es sich aber auch um Problemfelder, die eine rechtliche Bereinigung notwendig machen. Diese erfordert Anpassungen auf gesetzlicher, in einigen Punkten auch auf verfassungsrechtlicher Ebene.

Der Bundesrat ist sich der ausserordentlichen Bedeutung einer reibungslosen und effizienten Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit bewusst. Er ist daher bereit, für die Optimierung des Zusammenwirkens zwischen Bund und Kantonen die notwendigen rechtlichen Klärungen und Verbesserungen an die Hand zu nehmen. Der Bundesrat nimmt im Folgenden zu den wichtigsten Brennpunkten Stellung und zeigt ­ wo nötig und möglich ­ Lösungsvorschläge auf.

Wie bereits erwähnt, bedingen die Lösungsansätze zum Teil Anpassungen auf Verfassungs- und/oder auf Gesetzesstufe. Wo Handlungsbedarf auf Gesetzesstufe festgestellt wird, der Auswirkungen auf laufende Gesetzesgebungsverfahren hat (z.B. Polizeiaufgabengesetz, Militärgesetz, Nachrichtendienstgesetz), werden die nachfolgenden Schlussfolgerungen in die laufenden Projekte einfliessen. Der Bundesrat ist für die Erteilung der entsprechenden Aufträge besorgt. Die Schlussfolgerungen beinhalten indessen bewusst keine konkreten Formulierungsvorschläge für Verfassungs- und Gesetzesänderungen; dies wäre verfrüht. Im nachfolgenden Kapitel wird jedoch aufgezeigt, welche Erlasse geändert und welche Änderungen vorgenommen werden müssten, um die festgestellten Mängel zu beheben.

4.2

Thesen und Schlussfolgerungen

These 1 Für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben im Sicherheitsbereich müssen genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Die Gewährleistung von Sicherheit gilt als zentrale Aufgabe des Staates; Artikel 57 Absatz 1 BV überträgt diese Aufgabe dem Bund und den Kantonen. Die verpflichtende Formulierung von Artikel 57 Absatz 1 BV signalisiert, dass es sich um einen Handlungsauftrag handelt. Die beiden Staatsebenen sind somit angehalten, sowohl bei ihrer legislativen Tätigkeit wie auch beim Verwaltungshandeln die notwendigen Schritte zu unternehmen. Darüber hinaus ergibt sich diese Verpflichtung auch aus der normativen Wirkung der Grundrechte: Die staatlichen Organe sind verpflichtet, einen wirksamen Schutz zu gewährleisten, damit die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, ihre Grundrechte tatsächlich wahrzunehmen. Die Verpflichtung, für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zu sorgen, ist indessen untrennbar mit der Forderung nach genügend staatlichen Ressourcen für die Erfül4591

lung der zugewiesenen Aufgaben verbunden. Dem verfassungsrechtlichen Gebot kann nur Folge geleistet werden, wenn die zuständige Staatsebene in finanzieller und personeller Hinsicht die Voraussetzungen schafft, dass die sicherheitsrelevanten Aufgaben sach- und zeitgerecht wahrgenommen werden können. Es ist unschwer zu erkennen, dass die zu beobachtende Entwicklung der Verlagerung von Aufgaben von den Kantonen hin zum Bund nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass es in den Kantonen vielerorts an den notwendigen Ressourcen im Sicherheitsbereich mangelt. Es erscheint daher vordringlich, dass die Kantone genügend Mittel einsetzen, um im Rahmen ihrer Organisationsautonomie (Art. 47 Abs. 2 BV) die erforderlichen organisatorischen Strukturen zur Erfüllung der ihnen obliegenden sicherheitsrelevanten Aufgaben schaffen.

Schlussfolgerungen: Der neu geschaffene Sicherheitsverbund Schweiz ist darauf ausgerichtet, die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zwischen den Sicherheitsakteuren aller Staatsebenen weiterzuentwickeln. Es empfiehlt sich, dass Bund und Kantone die Ressourcenfrage regelmässig innerhalb dieses Gremiums thematisieren und in Abstimmung auf die jeweiligen Bedürfnisse für die Gewährleistung von genügend staatlichen Ressourcen auf dem Gebiet der Sicherheit sorgen.

These 2 Im Bereich der Sicherheit ist die Übertragung von staatlichen Aufgaben an Private grundsätzlich möglich; es existiert jedoch ein Kernbestand sicherheitsrelevanter Aufgaben, der nicht delegiert werden darf oder sollte.

Die Gewährleistung von Sicherheit ist eine öffentliche Aufgabe, die von den zuständigen Behörden des Bundes und der Kantone wahrgenommen werden muss. Artikel 178 Absatz 3 BV sieht zwar ausdrücklich vor, dass Verwaltungsaufgaben durch Gesetz Organisationen oder Personen des öffentlichen oder privaten Rechts übertragen werden können. Das staatliche Gewaltmonopol lässt indessen nicht zu, dass sich der Staat aus seiner ihn legitimierenden elementaren Verpflichtung, die Gewaltanwendung im privaten und öffentlichen Raum zu regeln und zu kontrollieren und die öffentliche Sicherheit zu garantieren, vollständig zurückzieht und das Terrain privaten Sicherheitsunternehmen überlässt. Die Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Private durch den Bund oder die Kantone ist daher in jedem Fall sorgfältig zu prüfen. Die
Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private ist vor allem dann angezeigt, wenn es sich um wenig problematische Aufgaben handelt, die mit geringfügigen Grundrechtseingriffen einhergehen. Je gefährlicher eine Aufgabe und je schwerer der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte ist, desto eher sollte die Schutzaufgabe von staatlichen Sicherheitsbehörden wahrgenommen werden. Dabei ist nicht nur auf den effektiven Einsatz abzustellen, sondern auch das Risiko und das Potenzial einer allfälligen Eskalation mit einzuberechnen. Weitere Aspekte, wie die Qualität der Dienstleistung, die wesentlich von der Ausbildung der Dienstleistungserbringer abhängt, die Versorgungssicherheit und rechtsstaatliche Defizite (fehlender Rechtsweg) können gegen eine Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Private sprechen.

4592

Schlussfolgerungen: Bei der Delegation von Sicherheitsaufgaben an Private ist Zurückhaltung angezeigt.

These 3 Der Bund muss die nötigen Voraussetzungen schaffen, damit er sicherstellen kann, dass die mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz verbundenen Sicherheitsmassnahmen ergriffen werden und er den Kantonen in diesem Bereich die notwendige Unterstützung gewähren kann.

Dem Bund müssen ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit er allfällige Versäumnisse eines Kantons ­ unabhängig von den jeweiligen Ursachen ­ ausgleichen kann, wenn es um die Einhaltung von internationalen Verpflichtungen der Schweiz geht, die mit der völkerrechtlichen Haftung der Eidgenossenschaft zusammenhängen und durch welche die internationalen Beziehungen gefährdet werden könnten. Bei diesbezüglichen Verstössen und Zwischenfällen kann sich der Bund nicht darauf berufen, es sei Sache eines Kantons gewesen, angemessene Massnahmen gemäss den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Schweiz zu treffen.

Schlussfolgerungen: Es sollte die Möglichkeit geprüft werden, die Unterstützungsmassnahmen des Bundes für die Kantone bei der Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz im Bereich der inneren Sicherheit genau festzulegen, wenn diese Verpflichtungen mit Auswirkungen auf die Aussenbeziehungen unseres Landes verbunden sind. Dabei darf indessen die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der inneren Sicherheit nicht angetastet werden.

These 4 Subsidiäre Einsätze der Armee zur Erfüllung von Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit sind sinnvoll bei Ereignissen bzw. Veranstaltungen, die sich mit den vorhandenen Polizeikräften nicht erfüllen lassen, auch wenn die Anlässe planbar sind.

Es ist wirtschaftlich nicht sinnvoll, dass die kantonalen Polizeikräfte für planbare Einsätze wie internationale Sportgrossveranstaltungen, lange im Voraus angekündigte internationale Gipfeltreffen sowie für den Schutz der Personen und Gebäude, für welche der Bund völkerrechtliche Schutzpflichten erfüllen muss, permanente Reserven bilden. Gleichzeitig ist es weder in der Verfassung noch im Militärgesetz angelegt, dass die Armee als Reserve der kantonalen (Unter-)Bestände der Polizei dient. Die Verantwortung für die Gewährleistung der inneren Sicherheit liegt grundsätzlich bei den Kantonen. Deshalb
dürfen subsidiäre Einsätze der Armee zur Unterstützung ziviler Behörden, insbesondere wenn sie auf Dauer angelegt oder wiederkehrend sind, nicht dazu führen, dass die Verantwortung der Kantone für die Gewährleistung der inneren Sicherheit verwischt oder ausgehöhlt wird.

4593

Schlussfolgerungen: Um subsidiäre Einsätze der Armee im Rahmen des Assistenzdienstes auf eine solidere rechtliche Basis zu stellen, sollte eine Anpassung des MG geprüft werden.

Dabei wäre insbesondere auch eine Präzisierung des Begriffs «ausserordentliche Lage» zu erwägen. Eine Präzisierung drängt sich erst recht auf, wenn die Möglichkeit von subsidiären Einsätzen im Rahmen des Assistenzdiensts über die bisherige Praxis hinaus erweitert werden sollte.

These 5 Bestimmte Ereignisse kann eine kantonale Polizei trotz interkantonaler Unterstützung nicht ohne unterstützende Einsätze und Leistungen der Armee bewältigen.

Teilweise als Variante zur These 4 sollte geprüft werden, ob in gewissen Fällen eine neue Unterstützungsaufgabe des Bundes geschaffen werden soll, die unabhängig vom Subsidiaritätsprinzip zum Zuge kommen kann. Als solche Fälle gelten namentlich: Die Bewältigung von Spitzenbelastungen, der Schutz von ausländischen Botschaften in der Schweiz und die technische Unterstützung durch die Armee.

Wenn es darum geht, eine ausserordentliche Spitzenlast der zivilen Behörden zu bewältigen, und sofern dies aus Wirtschaftlichkeitsgründen unabdingbar erscheint, soll die Armee grundsätzlich auch zum Einsatz gelangen.

Die technische Unterstützung der zivilen Behörden durch luftgestützte Überwachungsmittel, Lufttransportmittel, Spezialfahrzeuge und Spezialmaterial der Armee ist sinnvoll, wenn es wirtschaftlicher ist, solche Mittel durch eine Stelle zu beschaffen und zu betreiben. Solche Unterstützung soll regelmässig erfolgen können.

Für temporäre Einsätze der zivilen Behörden soll auch Material der Armee eingesetzt werden können, solange dies die Leistungsfähigkeit des Bundes in Krisenfällen nicht beeinträchtigt. Wo technisch erforderlich, werden dazu von der Armee auch Besatzungen bzw. Bedienungsmannschaften zur Verfügung gestellt. Damit werden die Kantone in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der inneren Sicherheit unterstützt, ohne dass die Armee eigentliche sicherheitspolizeiliche Aufgaben übernimmt.

Diese Leistungen sind gegenwärtig im MIG, in der VEMZ, in der VEZG sowie in der Verordnung über die Abgabe von technischem Material und von besonderen Fahrzeugen des Sicherheitsdienstes der Armee an Dritte geregelt. Diese Rechtsgrundlagen für die technische Unterstützung der zivilen Behörden durch
die Armee könnten in einem Erlass zusammenfasst werden.

These 5 bedingt einerseits eine restriktive Auslegung des Subsidiaritätsprinzips für die für den Assistenzdienst verbleibenden Anwendungsfälle und führt andererseits zu einer Neuformulierung des Auftrags der Armee.

Schlussfolgerungen: Es soll geprüft werden, ob für diese Fälle nicht eine neue Unterstützungsaufgabe des Bundes geschaffen werden soll. Die Schaffung einer neuen Unterstützungsaufgabe würde eine Änderung des MG sowie eventuell von Artikel 58 BV bedingen. Ebenfalls geprüft werden soll, ob die Rechtsgrundlagen für die technische Unterstützung

4594

der zivilen Behörden durch die Armee in einem Erlass zusammenfasst werden sollen.

These 6 Subsidiäre Einsätze der Armee zur Unterstützung ziviler Behörden, insbesondere wenn sie auf Dauer ausgelegt oder wiederkehrend sind, dürfen nicht dazu führen, dass die Kapazität der Armee zur Erfüllung ihrer spezifischen Verteidigungsaufgabe beeinträchtigt wird.

Subsidiäre Unterstützung im Teil- und im Dauereinsatz könnte die Fähigkeit der Armee schmälern, ihre übrigen Aufgaben wahrzunehmen. Die Armee hat die erforderlichen Einsätze zur Friedensförderung zu leisten und die erforderlichen Kapazitäten für die Armeeaufgabe Verteidigung bereitzustellen. Es obliegt dem Bundesrat, hierzu Rahmen und Prioritäten festzulegen.

Schlussfolgerungen: Die Ressourcen der Armee sollen so eingesetzt werden, dass die Armee auch bei einer Ausdehnung der Unterstützungsaufgaben ihrer Verteidigungsaufgabe nachkommen kann.

These 7 Die Aufgaben der mit sicherheitspolizeilichen Aufgaben betrauten Berufsformationen der Armee (heute Mil Sich)384 bewegen sich im Rahmen der Aufgaben der Armee und finden ihre Grenze bei deren verfassungsrechtlichem Auftrag.

Die mit sicherheitspolizeilichen Aufgaben betrauten Berufsformationen können grundsätzlich nur im Assistenzdienst andere Bundesstellen mit ihren Ressourcen unterstützen. Sollen sie auch über den Assistenzdienst hinaus anderen Bundesstellen für Einsätze zur Verfügung stehen, namentlich auch für Aufgaben zugunsten des NDB, ist das MG anzupassen.

Schlussfolgerungen: Soll der Einsatz der mit sicherheitspolizeilichen Aufgaben betrauten Berufsformationen auch über den Assistenzdienst hinaus für andere zivile Bundesstellen ermöglicht werden, ist eine Anpassung des MG vorzunehmen.

These 8 Die Kompetenzen im Bereich des Vollzugs von Bundesrecht sollten sich eher aus den gesetzlichen Vorschriften als aus den Vereinbarungen zwischen den Kantonen und der EZV ergeben.

384

Der Bereich der Militärischen Sicherheit befindet sich derzeit in einer Reorganisation.

4595

Nach geltendem Recht räumen zahlreiche nichtzollrechtliche Erlasse den Kantonen bedeutende Vollzugskompetenzen im Zusammenhang mit sogenannten polizeilichen Tätigkeiten ein. In der Praxis hingegen verzichten die Kantone häufig auf diese sich aus dem Bundesrecht ergebenden Kompetenzen und übertragen deren Vollzug der EZV, die gestützt auf das Bundesrecht eigentlich schon über Kontrollbefugnisse verfügt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Verzicht auf diese Aufgaben unproblematisch. Dieser Rechtslage mangelt es indessen an Transparenz, und sie ermöglicht keine Gesamtübersicht über die von der EZV wahrgenommenen Aufgaben. Vor diesem Hintergrund ist sie unbefriedigend. Angesichts dieser Ausgangslage hat der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 2011 zum Bericht der GPK-S vom 12. Oktober 2010 zur Evaluation der EZV festgestellt, dass die Kompetenzen der EZV im Bereich der Sicherheitspolizei auf Gesetzesebene ­ unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität gemäss Artikel 5a BV ­ detaillierter geregelt werden sollten.

Schlussfolgerungen: Bezüglich der Sachbereiche und Aufgaben, bei denen die Kantone ihre Vollzugskompetenzen auf der Grundlage von Vereinbarungen systematisch an die EZV übertragen, wäre es empfehlenswert, die Bundesgesetzgebung insofern zu ergänzen, als die erforderlichen sicherheitspolizeilichen Kompetenzen der EZV zugewiesen werden; zudem wäre Artikel 96 ZG entsprechend anzupassen.

These 9 Die Kompetenz des EFD bzw. der EZV, Vereinbarungen mit den Kantonen abzuschliessen, muss im Zollgesetz ausdrücklich vorgesehen werden. Der Abschluss solcher Vereinbarungen darf nicht direkt und ausschliesslich auf Artikel 44 BV beruhen.

Die EZV hat eine Reihe von Vereinbarungen mit den Grenzkantonen wie auch mit den Binnenkantonen abgeschlossen. Da in Artikel 97 Absatz 2 ZG nur eine Kompetenz für den Abschluss von Vereinbarungen mit den Grenzkantonen vorgesehen ist, beruhen die anderen Vereinbarungen derzeit direkt auf Artikel 44 BV. Im Übrigen sollte im Zollgesetz festgehalten werden, dass die Kantone nur Kompetenzen übertragen können, die ihnen vom Bundesgesetzgeber in Bereichen zugewiesen wurden, in denen der Bund über eine Gesetzgebungskompetenz verfügt.

Schlussfolgerungen: Durch Ergänzung von Artikel 97 ZG muss eine Grundlage dafür geschaffen werden, dass die
EZV mit allen Kantonen Vereinbarungen abschliessen kann. Bei dieser Gelegenheit sollte die Bestimmung präziser formuliert werden, um den Rahmen der übertragbaren Kompetenzen einzugrenzen.

4596

These 10 Die Kompetenz des Bundes, sicherheitspolizeiliche Massnahmen zu seinem Schutz und zum Schutz seiner Organe und Institutionen zu treffen, sollte sich auf eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage abstützen. Ebenso sollte die Staatsschutztätigkeit des Bundes auf eine explizite Verfassungsnorm abgestützt werden können.

Die BV enthält weder eine Bestimmung, die dem Bund eine Kompetenz im Staatsschutzbereich zuweist, noch ermächtigt ihn die BV ausdrücklich, sicherheitspolizeiliche Massnahmen gegen Gefährdungen seiner Organe und Institutionen zu ergreifen. In der Praxis wie auch in der Lehre gilt zwar als gesichert, dass dem Bund gestützt auf seine inhärente Kompetenz die Befugnis zukommt, Massnahmen zu treffen, um gegen diese Bedrohungen vorzugehen. Bezüglich des Umfangs, der Tragweite und der Grenzen der inhärenten Bundeszuständigkeit besteht aber Unsicherheit.

Schlussfolgerungen: Für den sich aus der inhärenten Kompetenz des Bundes ergebenden Schutzauftrag sollte in der Verfassung eine ausdrückliche Grundlage geschaffen werden, in der die Befugnisse des Bundes klar umrissen werden.

These 11 Die künftige Staatsschutzgesetzgebung muss so ausgestaltet sein, dass über die Zuständigkeiten und Kompetenzen beim Vollzug dieser Aufgabe wie auch über die Aufsichtsbefugnisse Klarheit besteht. Sieht das neue Gesetz Aufsichtspflichten für kantonale Organe vor, so muss das Bundesrecht diesen Aufsichtsbehörden ermöglichen, ihren Aufsichtspflichten zeitgerecht und in vollem Umfang nachkommen zu können.

Nach geltendem Recht bedarf es für die Einsicht der kantonalen Aufsichtsbehörden in Daten, welche die Kantone im Auftrag des Bundes bearbeiten, der ausdrücklichen Zustimmung des NDB. Einzelne kantonale Aufsichtsbehörden beanstanden, dass dieser Zustimmungsvorbehalt die Kontrolltätigkeit erschwere. Zurzeit ist noch offen, wie die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Staatschutzbereich künftig ausgestaltet sein werden. Falls die neue Nachrichtengesetzgebung aber weiterhin vorsieht, dass die Kantone im Auftrag des Bundes Daten bearbeiten und die Aufsichtsverantwortung bei den Kantonen liegt, so müssen die kantonalen Aufsichtsorgane klar und präzis im Nachrichtendienstgesetz geregelt werden.

Schlussfolgerungen: Im Rahmen der laufenden Arbeiten für ein neues Nachrichtendienstgesetz sind die
Verantwortlichkeiten von Bund und Kantonen beim Vollzug der Staatsschutztätigkeit klar zu regeln. Dies gilt auch im Bereich der Aufsicht: Sofern den Kantonen künftig Aufsichtsverantwortung zukommen soll, müssen ihnen die erforderlichen Informations- und Kontrollrechte zugestanden werden, damit sie die Aufsichtsaufgaben korrekt und effizient erfüllen können.

4597

These 12 Im Vorfeld von Strafverfahren kann der Straftatverdacht nicht als Kriterium für die Zuordnung der jeweiligen verfassungsmässigen Kompetenzen von Bund und Kantonen in der Strafverfolgung dienen. In diesem Stadium muss der Bund unter Umständen auch tätig werden können, wenn es sich um Sachverhalte handelt, die nicht in die Gerichtsbarkeit des Bundes fallen.

Artikel 123 Absatz 1 BV bietet für die komplexen kriminalpolizeilichen Aufgaben des Bundes eine vergleichsweise schmale verfassungsrechtliche Basis. Nach geltendem Recht kann der Bund im Wesentlichen nur im Rahmen seiner Zuständigkeit in der Strafverfolgung kriminalpolizeiliche Aufgaben wahrnehmen. In der neueren Praxis hat sich der Bundesgesetzgeber daher massgeblich auf Artikel 57 Absatz 2 BV abgestützt. Die Berufung auf Artikel 57 Absatz 2 BV wird indessen von der Lehre grossmehrheitlich kritisiert, zumal diese Verfassungsnorm dem Bund dem Wortlaut nach nur Koordinationsaufgaben auferlegt, ihm hingegen keine Rechtsetzungsbefugnisse verleiht. Die vom Gesetzgeber getroffene Lösung mag praxistauglich sein, sie ist aber der Klarheit und Transparenz in Rechtsetzung und Verwaltungshandeln abträglich. Die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben durch den Bund im Vorfeld eines strafprozessualen Straftatverdachts ­ sei es durch die polizeiliche Früherkennung, die Aufnahme eigener Ermittlungen, die Koordinierung des Informationsaustausches oder den Betrieb von Datenbanken ­ sollte daher auf eine genügend bestimmte Verfassungsnorm abgestützt werden. Diese sollte den vom Bund wahrgenommenen Aufgaben im Bereich des nationalen und internationalen Datenaustausches, den vielfältigen Koordinationsaufgaben und der internationalen Polizeizusammenarbeit ­ insbesondere wenn völkerrechtliche Verträge für die Umsetzung ein zentrales Organ auf nationaler Ebene verlangen ­ Rechnung tragen.

Die Verfassungsgrundlage muss klare, restriktiv gehaltene Kriterien für ein Tätigwerden des Bundes enthalten, damit die originären Kompetenzen der Kantone im Bereich der inneren Sicherheit nicht beschnitten werden. Die Verfassungsnorm könnte durch Änderung des bestehenden Artikels 57 Absatz 2 BV realisiert werden.

Schlussfolgerungen: Es sollte eine ausdrückliche Verfassungsgrundlage geschaffen werden, welche die Kompetenzen des Bundes im polizeilichen Bereich ausserhalb
eines Strafverfahrens auf eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Basis stellt.

These 13 Es ist Sache der Kantone, die erforderlichen Massnahmen zur Bekämpfung der Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen zu ergreifen.

Die geltende Gesetzgebung auf Kantons- und Bundesebene enthält bereits zahlreiche Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalttätigkeiten anlässlich von Sportveranstaltungen. Würden diese Massnahmen effizient vollzogen, könnte zweifellos einem grossen Teil der verzeichneten Ausschreitungen Einhalt geboten werden. Die Kantone sollten daher ihren Vollzug der geltenden Gesetzgebung evaluieren und nötigenfalls die erforderlichen Verbesserungen vornehmen. Sollte das Problem effektiv 4598

darin liegen, dass die einschlägige Gesetzgebung lückenhaft ist, wäre es in erster Linie Sache der Kantone, die erforderlichen gesetzlichen Regelungen zu erlassen.

Genau diesen Weg haben die Kantone übrigens eingeschlagen: Sie überarbeiten derzeit das Konkordat vom 15. November 2007. Nichtsdestotrotz wird der Bundesrat die im Postulat Glanzmann aufgeworfenen Fragen in einem separaten Bericht prüfen.

Schlussfolgerungen: Bevor die Fragen im Zusammenhang mit dem Vollzug der geltenden Gesetzgebung durch die Kantone nicht gelöst sind und die Auswirkungen der Revision des Konkordats vom 15. November 2007 ­ sofern diese in Kraft tritt ­ nicht abgeschätzt werden können, sollte der Bund davon absehen, auf der Grundlage einer neuen verfassungsrechtlichen Kompetenz oder gestützt auf seine derzeitigen (äusserst beschränkten) Kompetenzen gesetzgeberisch tätig zu werden. Im Rahmen des Berichts zum Postulat Glanzmann soll aber zu den dort aufgeworfenen Fragen unter Berücksichtigung der dann aktuellen Entwicklung und gestützt auf die Erfahrungen, die mit dem revidierten Konkordat gemacht worden sind, Stellung genommen werden.

4599

Anhang

P ri vate S icherheit (Vertragsrec ht/ Hausrecht)

Freiwilli ge privat e Hil fskräfte oder professionel ler priv ater Sicherhei tsdienst

1 2*

Privat er Si cherheitsdienst (beauft ragt vom Hausherrn)

3*

Privat er Si cherheitsdienst (gestützt auf Delegat ion einer Poliz eiauf gabe) oder poli zeiliche S icherheit skräf te selbst

4 ** Öf fent liche Si cherheit (öf f entl iches Recht)

5 *** 6 * **

4600

Polizei liche Sicherhei tskräf te

1

Tic ket- und Ef fekt enk ont rolle

priv. Si cherheit/ St ewards

2

Vis uell e K ont roll e, Abtast en ausserhalb des Intim bereichs

priv. Si cherheit/ St ewards

3

Oberfl äc hliches A bt asten über den Kl eidern, auch nicht gezieltes Abtast en i m I nt imbereich (analog ,,Frisking" an Flufhäfen)

priv. Si cherheit ? Durchsuchung durch P erson dessel ben Geschlechts

4

Gezielt es Abtast en über den K leidern, auch i m I nt imbereic h

P ol izei oder priv. S icherheit ges tütz t auf Delegation von P ol izeiaufgaben ? Durc hsuchung durch P erson dessel ben Geschlechts; nach M öglichkeit in nicht öf fentlic h einsehbarem Raum

5

Entkleidung; gezielt es A bt asten auch im Inti mbereich

P ol izei ? Durchsuchung durc h Person desselben Geschlechts; zwingend in nicht öf f entl ich einsehbarem Raum

6

Unt ersuchung des I nt imbereichs

P ol izei ? Durchsuchung durc h Person desselben Geschlechts unter Beizug von m edizinischem Personal; zwi ngend in nicht öf f entl ich einsehbarem Raum