07.455 Parlamentarische Initiative Ratifikation des Übereinkommens über den Mutterschutz (Nr. 183) der IAO Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats vom 10. November 2011

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses.

Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

10. November 2011

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Thérèse Meyer

2011-2658

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Übersicht Das Übereinkommen Nr. 183 über den Mutterschutz gewährleistet den Schutz aller Arbeitnehmerinnen, einschliesslich jener in atypischen Arbeitsverhältnissen. Es legt die Dauer des Mutterschaftsurlaubs auf 14 Wochen fest. Zugleich können gewisse Bestimmungen durch nationale Gesetze und nach Konsultation mit den Sozialpartnern abgeschwächt werden. So kann beispielsweise statt einer Versicherungslösung die direkte Belastung des Arbeitgebers während des Mutterschaftsurlaubs vorgesehen werden. Ausserdem können bestimmte Kategorien von Frauen vom Übereinkommen gezielt ausgeschlossen werden.

Der Bundesrat hatte das Übereinkommen Nr. 183 in seinem Bericht vom 15. Juni 2001 (BBl 2001 5867) zwar geprüft, seine Ratifikation aber nicht beantragen können, da die Schweiz zum damaligen Zeitpunkt noch nicht über eine Mutterschutzversicherung verfügte. Dies hat sich seither geändert und die Ratifikation dieses IAOÜbereinkommens ist heute möglich. Tatsächlich erfüllt das schweizerische Recht die Anforderungen des Übereinkommens praktisch ausnahmslos. Die einzige ­ marginale ­ Rechtslücke, die es im Arbeitsgesetz aus Gründen der Rechtssicherheit ein für alle Mal zu schliessen gilt, ist der Grundsatz der Entlöhnung der Stillpausen.

Der vorliegende Bericht wurde ebenfalls der Tripartiten Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO vorgelegt. Diese ausserparlamentarische Kommission, welche aus Mitgliedern der Bundesverwaltung und der Sozialpartner besteht, hat vom Bericht Kenntnis genommen. Die Arbeitgeber sind mit der Ratifikation des Ü 183 und den Änderungen des ArG und der ArGV1 nicht einverstanden.

Die Arbeitnehmer haben die Ratifikation des Ü 183 sowie die vorliegenden gesetzlichen Änderungen unterstützt.

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Bericht 1

Entstehung des Entwurfs

Am 5. November 2008 gab die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) der von Nationalrätin Liliane Maury Pasquier am 22. Juni 2007 eingereichten parlamentarischen Initiative (07.055 n) mit 12 zu 8 Stimmen bei 3 Enthaltungen Folge. Die SGK des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 15. Februar 2010 mit 5 zu 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu. Am 14. Oktober 2010 beauftragte die SGK-N das Kommissionssekretariat und die Verwaltung mit der Ausarbeitung eines Bundesbeschlusses und des erläuternden Berichts. Die Kommission verabschiedete diese am 12. Mai 2011 mit 12 gegen 11 Stimmen und eröffnete die Vernehmlassung, die bis zum 31. August 2011 dauerte.

Die Ergebnisse der Vernehmlassung widerspiegeln teilweise die Stellungnahme der Tripartiten Kommission. 18 Kantone sprachen sich für und 2 gegen die Ratifizierung aus. Dagegen sind die SVP und die FDP/Liberale, die anderen Parteien, die geantwortet haben, unterstützen die Ratifizierung. Die Arbeitnehmerorganisationen sprechen sich klar für und die Arbeitgeberorganisation und einige Wirtschaftsverbände klar dagegen aus. Befürwortende und ablehnende Stellungnahmen decken sich auch in Bezug auf die vorgeschlagene Anpassung des Arbeitsgesetzes weitestgehend.

Nach Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse verabschiedete die Kommission am 10. November 2011 Erlassentwurf und Bericht zuhanden ihres Rates und des Bundesrates zur Stellungnahme.

Eine Minderheit beantragt Nichteintreten auf die Vorlage.

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Grundzüge des Entwurfs

Das Übereinkommen Nr. 183 stellt eine Revision des Übereinkommens (Nr. 103) über den Mutterschutz von 1952 dar.

Die Annahme des Übereinkommens über den Mutterschutz ist das Ergebnis erheblicher Anstrengungen des IAA seit Mitte der neunziger Jahre zur Frage von Bedeutung und Wirksamkeit der internationalen Arbeitsnormen, mit dem Ziel herauszufinden, ob sie den heutigen Verhältnissen noch angemessen sind. Seit der Annahme des Übereinkommens Nr. 103 im Jahr 1952 hat sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft verändert. Die Beschäftigungsstruktur hat eine bedeutsame Entwicklung erfahren und der Anteil der erwerbstätigen Frauen hat stark zugenommen. Der Mutterschutz der Arbeitnehmerinnen gewinnt daher immer mehr an Bedeutung.

Das Übereinkommen Nr. 183 bringt erhebliche Fortschritte, indem der den Frauen während der Schwangerschaft und der Stillzeit zukommende Schutz ausgedehnt wird: es gewährt allen unselbständig beschäftigten Frauen, einschliesslich denjenigen, die in atypischen Formen abhängiger Arbeit tätig sind, einen Mutterschutz von mindestens 14 Wochen. Des Weiteren enthält das Übereinkommen Nr. 183 Normen zum Gesundheitsschutz, zum Urlaub im Falle von Krankheit oder Komplikationen, zu Geld- und medizinischen Leistungen, zum Beschäftigungsschutz und zur Nichtdiskriminierung und zum Schutz stillender Mütter.

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Das Übereinkommen Nr. 183 führt durch einen Verweis auf die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis eine verstärkte Flexibilität ein mit dem Ziel, eine grössere Anzahl von Ratifikationen zu erreichen. Bis zum heutigen Tag haben 18 Staaten das Übereinkommen ratifiziert, darunter 12 Staaten der Europäischen Union: Bulgarien, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Ungarn und Zypern.

Das Übereinkommen Nr. 183 umfasst 21 Artikel, wobei nur die ersten 11 Artikel materiell-rechtlicher Natur sind. Um festzustellen, ob die Schweiz die Anforderungen des Übereinkommens erfüllt, müssen dessen Bestimmungen mit den Gesetzesnormen und der Praxis der Schweiz verglichen werden, namentlich mit den Bestimmungen des Obligationenrechts (OR; SR 220), des Arbeitsgesetzes vom 13. März 1964 (ArG; SR 822.11) und dessen Ausführungsverordnungen, insbesondere der Verordnung 1 (ArGV1; SR 822.111), des Gleichstellungsgesetzes vom 24. März 1995 (GIG; SR 151.1), des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) und des Bundesgesetzes vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EOG; SR 834.1).

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Erläuterung zu den einzelnen Artikeln des Übereinkommens

Art. 1 Gemäss Artikel 1 des Übereinkommens bezeichnet der Begriff «Frau» jede Person weiblichen Geschlechts ohne irgendwelche Diskriminierung. Es handelt sich um eine sehr offene Begriffsumschreibung. Der Begriff «Diskriminierung» muss im Sinne des Übereinkommens (Nr. 111) über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, 1958, verstanden werden, das die Schweiz ratifiziert hat (SR 0.822.721.1). Ferner finden sich diese Begriffsumschreibungen im Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (SR 0.108) und im Übereinkommen vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (SR 0.104), die ebenfalls von der Schweiz ratifiziert wurden. Ferner schliesst das Übereinkommen Nr. 183 jede auf der Mutterschaftssituation basierende Diskriminierung aus. Die Begriffsbestimmung von «Kind» ist derjenigen von «Frau» nachgebildet. Insbesondere ist damit auch das Adoptivkind gemeint. Einen besonderen Schutz lassen die Bestimmungen des Übereinkommens dem Kind allerdings nicht angedeihen. Allgemein gewährleistet Artikel 8 der Bundesverfassung die Gleichbehandlung und die Nicht-Diskriminierung; ferner hat die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 14; SR 0.101) und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert (Art. 26; SR 0.103.2). Insofern wirft die Bestimmung des Übereinkommens Nr. 183 keinerlei Probleme für das schweizerische Recht auf.

Art. 2 Artikel 2 umschreibt den persönlichen Geltungsbereich des Übereinkommens.

Gemäss Ziffer 1 von Artikel 2 gilt das Übereinkommen für alle unselbständig beschäftigten Frauen, einschliesslich der in atypischen Formen abhängiger Arbeit tätigen. Der Ausdruck «beschäftigte Frauen» umfasst alle Frauen, die einem 1800

Arbeitsverhältnis verpflichtet sind, unbesehen der Form des Arbeitsvertrags (mündlich oder schriftlich, ausdrücklich oder stillschweigend) oder der Art der Entlöhnung. Bestimmend ist die Arbeitsbeziehung unabhängig von der Art der Arbeit oder dem Arbeitsort. Das ArG findet grundsätzlich auf alle öffentlichen oder privaten Betriebe Anwendung, die dauernd oder vorübergehend einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigen (Art. 1 Abs. 1 und 2 ArG). Nach dem OR verpflichtet sich der Arbeitnehmer durch den Einzelarbeitsvertrag auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Leistung von Arbeit im Dienst des Arbeitgebers und dieser zur Entrichtung eines Lohnes; der Begriff des Arbeitsvertrags umfasst auch die Teilzeitarbeit (Art. 319 OR). Damit umfasst der Geltungsbereich des Übereinkommens denjenigen des ArG und des OR.

Ziffer 2 von Artikel 2 erlaubt die teilweise oder ganze Ausnahme von begrenzten Gruppen von Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich des Übereinkommens, wenn die Anwendung des Übereinkommens auf diese Gruppen besondere Probleme von erheblicher Bedeutung aufwerfen würde.

Das ArG schliesst von seinem Geltungsbereich nicht nur bestimmte Personengruppen aus (vor allem die Heimarbeiter, vgl. Art. 3 ArG), sondern auch bestimmte Arten von Betrieben (namentlich die Landwirtschaftsbetriebe, die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs und die öffentlichen Verwaltungen, vgl. Art. 2 ArG). Für die öffentlichen Verwaltungen muss jedoch präzisiert werden, dass gemäss Artikel 3a ArG der Artikel 35 ArG über den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerin bei Mutterschaft auf die Verwaltungen des Bundes, der Kantone und Gemeinden anwendbar ist.

Ziffer 3 von Artikel 2 stipuliert die Modalitäten der Anwendung der vorstehenden Ziffer.

Die Schweiz wird von der Möglichkeit Gebrauch machen, die nicht vom ArG erfassten Kategorien von Arbeitnehmerinnen bezüglich der in Artikel 3 und eventuell Artikel 10 des Übereinkommens Nr. 183 vorgesehenen Massnahmen auszuschliessen.

Art. 3 Artikel 3 des Übereinkommens stellt eine allgemeine Bestimmung bezüglich des Gesundheitsschutzes von Mutter und Kind dar. Er verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie, nach Anhörung der repräsentativen Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass schwangere oder stillende Frauen nicht gezwungen sind, Arbeit
zu verrichten, die für die Gesundheit der Mutter oder des Kindes schädlich ist oder die eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit von Mutter oder Kind darstellt.

Gemäss Artikel 35 Absatz 1 des Arbeitsgesetzes (ArG) hat der Arbeitgeber schwangere Frauen und stillende Mütter so zu beschäftigen und ihre Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass ihre Gesundheit und die Gesundheit des Kindes nicht beeinträchtigt werden. Artikel 35 Absatz 2 ArG führt weiter aus, dass die Beschäftigung schwangerer Frauen und stillender Mütter für beschwerliche oder gefährliche Arbeiten aus gesundheitlichen Gründen per Verordnung untersagt oder von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann. Gemäss Artikel 62 Absatz 3 der Verordnung 1 zum ArG vom 10. Mai 2000 (ArGV 1) gelten als «beschwerliche und gefährliche Arbeiten» alle Arbeiten, die sich erfahrungsgemäss nachteilig auf die 1801

Gesundheit der schwangeren oder stillenden Frauen oder auf die Gesundheit ihrer Kinder auswirken. Diese Arbeiten werden im Rahmen einer besonderen Verordnung vertieft und evaluiert (Verordnung des EVD vom 20. März 2001 über gefährliche und beschwerliche Arbeiten bei Schwangerschaft und Mutterschaft; SR 822.111.52).

Der Schutz, den das positive Schweizer Recht der schwangeren Frau gewährt, erfüllt die Anforderungen von Artikel 3 des Übereinkommens Nr. 183.

Art. 4 Artikel 4 des Übereinkommens behandelt den Mutterschaftsurlaub. Jede Frau, auf die das Übereinkommen Anwendung findet, hat Anspruch auf einen mindestens vierzehnwöchigen Mutterschaftsurlaub (Ziff. 1). Der Mutterschaftsurlaub hat einen sechswöchigen obligatorischen Urlaub nach der Entbindung einzuschliessen, soweit auf innerstaatlicher Ebene von der Regierung und den repräsentativen Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nichts anderes vereinbart wird (Ziff. 4).

Der Artikel 329f OR sieht einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen nach der Niederkunft vor. Das schweizerische Recht sieht keinen Mutterschaftsurlaub vor der Niederkunft vor. Zwar geht die Verpflichtung, einen Teil des Mutterschaftsurlaub vor der Niederkunft vorzusehen, aus dem Übereinkommen Nr. 183 nicht deutlich hervor, man könnte sie aber aus Artikel 4 Absatz 5 herleiten, der die Verlängerung des pränatalen Mutterschaftsurlaubs um die Zeit zwischen dem angenommenen und dem effektiven Datum der Niederkunft vorsieht. Um in dieser Frage jedes Missverständnis zu vermeiden, haben wir am 5. Dezember 2007 eine Rechtsmeinung beim Internationalen Arbeitsamt in Genf eingeholt. Am 24. Januar 2008 übermittelte uns das IAA seine Antwort: Das Mutterschaftsübereinkommen sieht nicht die Einrichtung eines pränatalen Mutterschaftsurlaubs vor und verpflichtet die Staaten auch nicht zu einem solchen.

Das ArG untersagt die Beschäftigung der Frauen während acht Wochen nach der Niederkunft; danach dürfen die Wöchnerinnen bis zur 16. Woche nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden (Art. 35a Abs. 3 ArG).

Das positive Schweizer Recht erfüllt die Anforderungen von Artikel 4 des Übereinkommens Nr. 183.

Art. 5 In Übereinstimmung mit Artikel 5 des Übereinkommens muss im Falle einer Krankheit, von Komplikationen oder der Gefahr von Komplikationen als Folge der Schwangerschaft oder
der Entbindung ein Urlaub gewährt werden. In der Schweiz wird ein solcher Urlaub nicht von der Erwerbsersatzordnung, sondern vom OR geregelt (siehe unten Kap. 3.6 zu Art. 6).

Art. 6 Artikel 6 des Übereinkommens regelt die Frage der Gewährung von Geld- oder Sachleistungen während des Urlaubs gemäss Artikel 4 und 5.

Während Ziffer 1 von Artikel 6 den Grundsatz aufstellt, legen die Ziffern 2­4 die Kriterien bezüglich des Niveaus der zu gewährenden Geldleistungen fest. Dieses Niveau muss den Unterhalt der Frau und des Kindes in einwandfreien gesundheitlichen Verhältnissen und bei angemessener Lebenshaltung gewährleisten (Ziff. 2).

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Beruhen die für den in Artikel 4 erwähnten Urlaub gezahlten Geldleistungen auf dem früheren Verdienst, darf der Betrag dieser Leistungen zwei Drittel des früheren Verdienstes der Frau oder des für die Berechnung der Leistungen berücksichtigten Teils dieses Verdienstes nicht unterschreiten (Ziff. 3). Werden die Geldleistungen auf Grund anderer Methoden bestimmt, hat ihr Betrag dem Betrag vergleichbar zu sein, der sich im Durchschnitt aus der Anwendung von Ziffer 3 ergibt (Ziff. 4). Jedes Mitglied hat sicherzustellen, dass die Anspruchsvoraussetzungen für Geldleistungen von einer grossen Mehrheit der Frauen, für die dieses Übereinkommen gilt, erfüllt werden können (Ziff. 5).

Was die während des in Artikel 4 erwähnten Urlaubs (das heisst des Mutterschaftsurlaubs) gezahlten Geldleistungen angeht, finden die Artikel 16b ff KVG Anwendung. Seit der Revision dieses Gesetzes, die im Juli 2005 in Kraft getreten ist, sieht die Erwerbsersatzordnung eine Mutterschaftsentschädigung für erwerbstätige Frauen in Höhe von 80 % des vor der Niederkunft erzielten Erwerbseinkommens vor.

Dieser Satz ist höher als der von dem Übereinkommen Nr. 183 geforderte.

Auf die in Artikel 5 erwähnten, während des Urlaubs gewährten Geldleistungen (Urlaub im Falle von Krankheit oder Komplikationen) findet das OR Anwendung.

Gemäss Artikel 324a Absatz 3 OR hat eine Frau, die während der Schwangerschaft an der Arbeitsleistung verhindert wird, Anspruch auf die Entrichtung ihres Lohns während einer beschränkten Zeit in Abhängigkeit der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Wenn diese Frau aber im Jahr ihrer Schwangerschaft bereits in den Genuss dieses Rechts gekommen ist, kann ihr Recht auf Entrichtung ihres Lohns eingeschränkt werden oder sogar erlöschen. In diesem letzten Fall hätte sie keinerlei Anspruch auf eine Geldleistung. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass zahlreicher Arbeitnehmerinnen über eine Erwerbsausfallversicherung verfügen oder in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) vorgesehene günstigere Bedingungen geniessen. Es ist nicht sicher, dass der Schutz, den das schweizerische Recht im Fall eines Urlaubs infolge von Krankheit oder Komplikationen vorsieht, die Anforderungen von Artikel 6 des Übereinkommens Nr. 183 erfüllt. Auch in dieser Frage haben wir beim IAA um Erläuterung gebeten und am 24. Januar 2008 eine Antwort erhalten. Danach
erfüllt das schweizerische Recht die Anforderungen des Übereinkommens Nr. 183 in diesem Punkt, denn es gewährt einen Mutterschutz mit Lohnfortzahlung während mindestens drei Wochen pro Jahr. Artikel 35a Absatz 2 ArG schliesslich gestattet der Schwangeren, in allen Fällen auf blosse Anzeige hin von der Arbeit fernzubleiben oder sie zu verlassen.

Ziffer 6 von Artikel 6 stipuliert den Grundsatz, wonach Frauen, welche die Anspruchsvoraussetzungen für Geldleistungen nicht erfüllen, Leistungen aus der Sozialhilfe zu gewähren sind. In der Schweiz fällt die Sozialhilfe in die Zuständigkeit der Kantone (Art. 115 BV). Sie kommt nur ergänzend und subsidiär zum Zuge und gilt nur für die Personen, die keine Sozialversicherungsdeckung haben oder nicht mehr haben, oder deren Einkommen ungenügend ist. Das Recht, in Notlagen Hilfe zu erhalten, ist in Artikel 12 der Bundesverfassung verankert. Das schweizerische Recht im Bereich der Sozialhilfe ist mit den Anforderungen des Übereinkommens vereinbar.

Gemäss Ziffer 7 von Artikel 6 müssen der Mutter und ihrem Kind ärztliche Leistungen in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Gesetzgebung oder auf eine andere der innerstaatlichen Praxis entsprechenden Weise gewährt werden. Diese Leistungen haben Betreuung vor, während und nach der Entbindung und erforderlichenfalls Krankenhauspflege zu umfassen. Bei Mutterschaft sieht das KVG Sachleistungen im 1803

Rahmen der Krankenpflegeversicherung vor (obligatorische Versicherung für die ganze Bevölkerung). Diese Versicherung übernimmt die von Ärztinnen und Ärzten oder von Hebammen durchgeführten oder ärztlich angeordneten Kontrolluntersuchungen während und nach der Schwangerschaft; die Entbindung zu Hause, in einem Spital oder in einem Geburtshaus sowie die Geburtshilfe durch Ärztinnen und Ärzte und Hebammen; einen Beitrag von 100 Franken für die Geburtsvorbereitung in Kursen, welche die Hebamme in Gruppen durchführt; die Stillberatung, sofern sie durch Hebammen oder durch speziell in Stillberatung ausgebildete Krankenschwestern oder Krankenpfleger durchgeführt wird und die Pflege und den Aufenthalt des gesunden Neugeborenen, solange es sich mit der Mutter im Spital aufhält (Art. 29 KVG). Ist die Frau während der Schwangerschaft oder nach der Entbindung krank, hat sie Anspruch auf die allgemeinen Leistungen bei Krankheit. Die Dauer der Übernahme der Krankenpflege und der Medikamente ist unbegrenzt. Die schweizerische Gesetzgebung betreffend die obligatorische Krankenpflegeversicherung (KVG, 2. Titel) ist mit dieser Ziffer vereinbar.

Ziffer 8 von Artikel 6 sieht einerseits vor, dass die Leistungen im Zusammenhang mit dem Urlaub durch eine obligatorische Sozialversicherung oder aus öffentlichen Mitteln oder auf eine durch die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis bestimmte Weise zu gewähren sind. Andererseits schreibt diese Bestimmung vor, dass dem Arbeitgeber die unmittelbaren Kosten einer solchen Geldleistung, die einer von ihm beschäftigten Frau zusteht, ohne seine ausdrückliche Zustimmung nicht persönlich auferlegt werden dürfen. Diese Befreiung des Arbeitgebers von den Kosten der einer Arbeitnehmerin geschuldeten finanziellen Leistungen unterliegt einer zweifachen Ausnahme: Erstens kann ein Mitgliedsstaat, der vor dem 15. Juni 2000 (Zeitpunkt der Annahme des Übereinkommens) über ein solches System verfügte, dies weiterführen und das Übereinkommen ratifizieren, ohne seine Gesetzgebung abzuändern.

Zweitens: Ein Mitgliedsstaat, der das Übereinkommen ratifiziert hat, kann später ein solches System beschliessen, dies unter dem Vorbehalt, dass die Regierung die Zustimmung der repräsentativen Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat.

Das Übereinkommen ist in diesem Punkt von einer grossen Flexibilität
geprägt, die es erlaubt, verschiedenen Systemen Rechnung zu tragen.

Die Sachleistungen werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und die Geldleistungen während der Dauer des Mutterschaftsurlaubs von der Erwerbsersatzordnung garantiert; beide sind obligatorische Sozialversicherungen. Bei während des Urlaubs im Fall von Krankheit oder Komplikationen gezahlten Leistungen weist Artikel 324a OR dem Arbeitgeber die Verpflichtung zur Zahlung des Lohns zu.

Da Artikel 324a OR in der heutigen Fassung seit 1972 in Kraft ist, kann die in Artikel 6 Absatz 8 Buchstabe a des Übereinkommens vorgesehene Ausnahme angewendet werden. Artikel 324a Absatz 4 OR berechtigt zudem den Arbeitgeber zum Abschluss einer Krankentaggeldversicherung, deren Finanzierung hälftig dem Arbeitnehmer zufallen kann.

Art. 7 Artikel 7 des Übereinkommens führt eine Flexibilitätsklausel zu Gunsten von Ländern ein, deren Wirtschaft und System der sozialen Sicherheit unzureichend entwickelt sind. Auf diesen Artikel kann sich die Schweiz nicht berufen.

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Art. 8 Artikel 8 des Übereinkommens ist auf einen genügenden Beschäftigungsschutz gerichtet.

Gemäss Ziffer 1 von Artikel 8 ist es einem Arbeitgeber untersagt, das Arbeitsverhältnis einer Frau während ihrer Schwangerschaft, des Mutterschaftsurlaubs oder während des Urlaubs im Fall einer Krankheit oder von Komplikationen sowie während eines durch die innerstaatliche Gesetzgebung vorzuschreibenden Zeitraums nach ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz zu beenden, ausser aus Gründen, die mit der Schwangerschaft oder der Geburt des Kindes und ihren Folgen oder dem Stillen nicht zusammenhängen. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber. Gemäss Artikel 336c Absatz 1 Buchstabe c OR darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft nicht kündigen. Eine Kündigung während der sechzehnwöchigen Sperrfrist ist nichtig (Art. 336c Abs. 2 OR). Hingegen kann ein Arbeitsvertrag aus wichtigen Gründen gekündigt werden. Als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (Art. 337 Abs. 2 OR). Der Beweis des Vorliegens wichtiger Gründe ist vom Arbeitgeber zu erbringen. Unsere innerstaatliche Gesetzgebung ist mit dem Übereinkommen vereinbar.

Das schweizerische Recht geht zudem über das Übereinkommen Nr. 183 hinaus, denn es fordert wichtige Kündigungsgründe, während das Übereinkommen jeden Grund zulässt, der mit der Schwangerschaft, der Geburt des Kindes und ihren Folgen oder dem Stillen nicht zusammenhängt.

Eine Frage, die jedoch noch geprüft werden muss, betrifft zugleich Artikel 8 und 9 des Übereinkommens: Einerseits ging es darum, ob der Schutz gegen die Kündigung, der in diesen beiden Bestimmungen aus Gründen des Stillens vorgesehen ist, während der gesamten Stilldauer gültig ist oder ob er nach der Rückkehr der Mutter zur Arbeit nach dem Mutterschaftsurlaub auf eine von der innerstaatlichen Gesetzgebung bestimmte Dauer begrenzt ist. Andererseits ging es darum, ob die vom schweizerischen Recht vorgesehenen Sanktionen ausreichend sind, um diesen beiden Artikeln Geltung zu verschaffen. Einmal mehr haben wir die Rechtsmeinung des IAA eingeholt, das uns am 16. November 2010 die folgende Erklärung übermittelte: Was den Schutz gegen
Entlassung angeht, insbesondere aus Gründen, die mit dem Stillen zusammenhängen, so errichten Artikel 8 und 9 einander ergänzende Rechtssysteme, die sich hinsichtlich der Schutzdauer, der Schutzmassnahmen und der vorgesehenen Sanktionen voneinander unterscheiden.

Artikel 8 erweitert den Beschäftigungsschutz auf den ausschliesslich auf die Schwangerschaft, den Mutterschaftsurlaub und auf einen von der innerstaatlichen Gesetzgebung festzulegenden Zeitraum nach der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub. Der von Artikel 9 gewährte Schutz erstreckt sich hingegen auf einen längeren Zeitraum, welcher jenen aus Artikel 8 beinhaltet, da er mit der Einstellung der Frau einsetzt und bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses reicht.

Diese unterschiedliche zeitliche Anwendung ist auch der Grund, warum Artikel 8 und Artikel 9 jeweils unterschiedliche Schutzmassnahmen gegen Entlassung und Diskriminierung auf Grund von Mutterschaft aufstellen. Artikel 8 bezieht sich nur auf die Entlassung, während Artikel 9 auf alle diskriminierenden Handlungen 1805

gegenüber Arbeitnehmerinnen zielt. Für den begrenzten Zeitraum stellt Artikel 8 Absatz 1 ausdrücklich den Grundsatz des Verbots von Entlassungen aus Gründen der Schwangerschaft auf. Für den weiter gefassten Zeitraum schreibt Artikel 9 die Verpflichtung vor, geeignete Massnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass Mutterschaft (einschliesslich vorangehende Geburten) keinen Grund für eine Diskriminierung darstellt.

Schliesslich unterscheiden sich auch die von den zwei Bestimmungen vorgesehenen Regelungen für Sanktionen und/oder Schadenersatz von einander. Gemäss dem Geist der Bestimmung zieht ein Verstoss gegen das Entlassungsverbot von Artikel 8 die Nichtigkeit der Entlassung und im Prinzip die daraus folgende Rückkehr der Arbeitnehmerin an den vorangehenden Arbeitsplatz nach sich. Die Rückkehr der Arbeitnehmerin nach dem Mutterschaftsurlaub an den gleichen Arbeitsplatz oder an einen gleichwertigen Arbeitsplatz mit dem gleichen Entgelt stellt zudem den ausdrücklich von Artikel 8 Absatz 2 des Übereinkommens etablierten Normalfall dar.

Implizit gilt dies ebenso für den Fall der Entlassung während der begrenzten Schutzdauer, welche diese Bestimmung etabliert. Artikel 9 wiederum definiert nicht, welches die «geeigneten Massnahmen» sind, um sicherzustellen, dass Mutterschaft keinen Grund für Diskriminierung darstellt. Somit steht es jedem Mitgliedsstaat, der das Übereinkommen ratifiziert hat, frei, im Rahmen seiner Beziehungen nach Artikel 22 der IAO den Beweis zu erbringen, dass die auf innerstaatlicher Ebene ergriffenen Massnahmen in der Praxis ausreichen, um Diskriminierung aus Gründen von Mutterschaft in der Beschäftigung und im Zugang zu Beschäftigung zu verhindern.

Aus der Mitteilung der Regierung geht hervor, dass das schweizerische Recht dem Arbeitgeber untersagt, das Arbeitsverhältnis einer Frau während der Schwangerschaft und während eines sechzehnwöchigen Zeitraums nach der Entbindung zu kündigen. Eine während der sechzehnwöchigen Sperrfrist erklärte Kündigung ist von Rechts wegen nichtig, sofern sie nicht aus wichtigen Gründen erfolgt. Darüber hinaus begründet jede Ablehnung einer Einstellung bzw. jede diskriminierende Kündigung des Arbeitsvertrags einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von drei bzw. höchstens sechs Monatslöhnen. Es scheint daher, dass die vom schweizerischen Recht
vorgesehene Sanktion im Falle einer Entlassung während der Schwangerschaft bzw. in den 16 Wochen nach der Niederkunft mit dem Übereinkommen insofern konform ist, als die Nichtigkeit einer solchen Kündigung, sofern möglich, die Rückkehr der entlassenen Arbeitnehmerin auf ihren Arbeitsplatz zu erfordern scheint. Was diskriminierende Kündigungen angeht, die ausserhalb der von Artikel 8 vorgesehenen Sperrfristen ausgesprochen werden, ist es im Fall einer Ratifikation des Übereinkommens Sache des Mitgliedstaates, den Beweis zu erbringen, dass die vorgesehenen Entschädigungen «geeignet» sind, diskriminierende Verhaltensweisen zu verhindern.

Zu der Frage, ob der in Artikel 8 des Übereinkommens vorgesehene Schutz vor Kündigungen aus Gründen, die einen Bezug zum Stillen haben, während der gesamten Stillzeit oder nur während eines begrenzten Zeitraums nach der Rückkehr der Arbeitnehmerin an den Arbeitsplatz nach dem Mutterschaftsurlaub gilt, ist anzumerken, dass eines der Ziele dieser Bestimmung ist, stillenden Frauen einen über den Mutterschaftsurlaub hinausgehenden Schutz zu garantieren und ihnen auf diese Weise zu ermöglichen, auf demselben oder einem anderen Arbeitsplatz und unter Berücksichtigung ihres gesundheitlichen Zustands und der am Arbeitsplatz vorhandenen Risiken ihre neuen familiären Pflichten mit den Anforderungen ihrer Arbeit zu vereinen (vgl. Art. 3 des Übereinkommens). Dennoch überlässt es diese Bestimmung 1806

den ratifizierenden Mitgliedsstaaten, den besagten Schutzzeitraum nach der Rückkehr an die Arbeitsstelle festzulegen und sieht keine Verpflichtung vor, diesen Zeitraum auf die gesamte Stillzeit auszudehnen. Aus der Botschaft der Regierung geht hervor, dass sich der Kündigungsschutz auf die 16 Wochen nach der Niederkunft erstreckt (Art. 336c Abs. 2 OR). Das Internationale Arbeitsamt meint zu verstehen, dass die gesetzliche Dauer des Mutterschaftsurlaubs in der Schweiz 14 Wochen beträgt. Daher scheint das schweizerische Recht mit dem Übereinkommen insofern vereinbar, als sich daraus ergibt, dass eine Frau, die stillt und ihre Arbeit nach dem vierzehnwöchigen Mutterschaftsurlaub wiederaufnimmt, noch über zwei Wochen verfügt (nämlich bis zum Ablauf der 16. Woche nach der Niederkunft), oder sogar darüber hinaus, wenn sie sich in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Möglichkeiten für sechs Wochen Urlaub vor der Geburt entschieden hätte. Zudem deckt der im schweizerischen Recht vorgesehene Schutz gegen diskriminierende Kündigungen Kündigungen aus Gründen mit Bezug zum Stillen ab, so wie es Artikel 9 des Übereinkommens verlangt.

Ziffer 2 sieht vor, dass gewährleistet sein muss, dass die Frau am Ende des Mutterschaftsurlaubs an denselben Arbeitsplatz oder an einen gleichwertigen Arbeitsplatz mit dem gleichen Entgelt zurückkehren kann. Hier gewährleistet der allgemeine Schutz des OR, dass die Frau die Arbeit an ihrem Arbeitsplatz nach der Entbindung zu denselben Bedingungen wiederaufnehmen kann. Tatsächlich bedarf eine Änderung des Arbeitsvertrags nach schweizerischem Recht der übereinstimmenden Willensäusserung der Vertragsparteien.

In Anbetracht der vorangehenden Ausführungen erfüllt das positive Schweizer Recht die Anforderungen von Artikel 8 des Übereinkommens Nr. 183.

Art. 9 Artikel 9 des Übereinkommens verpflichtet die Mitgliedstaaten, Massnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass Mutterschaft keinen Grund für eine Diskriminierung in der Beschäftigung darstellt (Ziff. 1). Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung gemäss Artikel 8 der Bundesverfassung ist insbesondere im GIG umgesetzt worden, dessen Artikel 3 die Diskriminierung der Arbeitnehmer auf Grund ihres Geschlechts, namentlich sofern es die Arbeitnehmerinnen anbelangt, unter Berufung auf ihre Schwangerschaft, untersagt. Wir verweisen diesbezüglich
auch auf die Artikel 4, 5 und 6 GIG.

Das Verbot von Schwangerschaftstests ist eine der in Ziffer 2 von Artikel 9 aufgezählten Massnahmen, die dem Grundsatz gemäss Ziffer 1 Achtung verschaffen sollen. Allerdings erlaubt diese Bestimmung, dass Schwangerschaftstests ausnahmsweise aus Gründen der Sicherheit und der Gesundheit durchgeführt werden können. Gemäss der schweizerischen Gesetzgebung ergibt sich das Verbot von Schwangerschaftstests stillschweigend aus dem Schutz der Persönlichkeit (insbesondere von Art. 328 OR). Ferner verbieten Artikel 3 Absatz 1 und 2 GIG jede Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bei der Anstellung, der Aufgabenzuteilung und vor allem jede Diskriminierung auf Grund des Zivilstands, der familiären Situation oder von Schwangerschaft. Schwangerschaftstests können jedoch als objektiv gerechtfertigte Massnahmen betrachtet werden und sind somit möglich für Arbeiten, die in schwangerem Zustand nicht ausgeführt werden können (Mannequins, Tänzerinnen, für die Entwicklung der Schwangerschaft schädliche Tätigkeiten usw.).

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Vor dem Hintergrund der unter Ziffer 3.8 aufgeführten Aspekte erfüllt das positive Schweizer Recht die Anforderungen von Artikel 9 des Übereinkommens Nr. 183.

Art. 10 Artikel 10 des Übereinkommens garantiert der Frau das Recht auf eine oder mehrere tägliche Pausen oder auf eine tägliche Verkürzung der Arbeitszeit zum Stillen ihres Kindes (Ziff. 1). Diese Stillpausen sind als Arbeitszeit anzurechnen und entsprechend zu bezahlen (Ziff. 2). Gemäss der Rechtsmeinung des IAA vom 16. November 2010 gliedert sich dieser Absatz 2 in zwei Sätze: Der erste Satz sieht vor, dass die innerstaatliche Gesetzgebung und Praxis den Zeitraum festlegen müssen, während dessen Stillpausen oder die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit gestattet sind, die Anzahl und die Dauer der Stillpausen und die Verfahren für die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit. Der zweite Satz bestimmt, dass diese Pausen oder die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit als Arbeitszeit anzurechnen und entsprechend zu bezahlen sind, ohne jedoch ausdrücklich anzuweisen, dass dies in der innerstaatlichen Gesetzgebung enthalten sein muss. Artikel 12 sieht die Durchführung durch alle Mittel wie Gesetzgebung, Gesamtarbeitsverträge, Schiedssprüche, gerichtliche Entscheidungen oder auf eine andere der innerstaatlichen Praxis entsprechende Weise vor.

Im Hinblick auf die Zeit, die den Müttern für das Stillen der Kinder gewährt wird, bestimmt Artikel 35a Absatz 2 ArG: «Stillenden Müttern ist die erforderliche Zeit zum Stillen freizugeben.» Die von Artikel 60 Absatz 2 ArGV1 erlassenen Bedingungen führen die Umstände aus, in denen die für das Stillen aufgewendete Zeit auf die Arbeitszeit angerechnet wird: für das Stillen im ersten Lebensjahr des Kindes gilt die gesamte Stillzeit als Arbeitszeit, sofern die Mutter das Kind im Betrieb stillt; verlässt die Arbeitnehmerin den Arbeitsort zum Stillen, ist die Hälfte dieser Abwesenheit als Arbeitszeit anzuerkennen.

Das ArG und die ArGV1 regeln nicht direkt die Frage der Entlöhnung der für das Stillen aufgewendeten Zeit. Zur Förderung der Rechtssicherheit schlagen wir vor, das Arbeitsgesetz entsprechend anzupassen.

Art. 11 Gemäss Artikel 11 des Übereinkommens muss jeder Mitgliedstaat in Beratung mit den repräsentativen Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer regelmässig prüfen, ob es zweckmässig ist, die Dauer des Mutterschaftsurlaubs zu verlängern oder den Betrag oder Satz der Geldleistungen anzuheben.

3.1

Schlussbestimmungen

Die Artikel 12­21 des Übereinkommens enthalten die üblichen Schlussbestimmungen, die keiner besonderen Erörterung bedürfen. Nur Artikel 13 des Übereinkommens verdient hervorgehoben zu werden: Er sieht vor, dass das Übereinkommen Nr. 183 mit seinem Inkrafttreten das Übereinkommen Nr. 103 ersetzt.

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3.2

Schlussfolgerung

Sechs Jahre nach dem Inkrafttreten der Änderung der Erwerbsersatzordnung und der Einführung einer während 14 Wochen gezahlten Mutterschaftszulage in der Schweiz ist der Mutterschutz gewissermassen in unserer Gesetzgebung verankert. Die Notwendigkeit, die Bedeutung eines wirksamen Mutterschutzes zu bekräftigen, bleibt auf jeden Fall aktuell und die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 183 der IAO über den Mutterschutz gibt der Schweiz die Möglichkeit, ihren Willen zu bekräftigen, den Mutterschutz zu gewährleisten und dabei ihre Verbundenheit gegenüber den Urkunden der IAO zu unterstreichen, die ihren Sitz auf Schweizer Staatsgebiet hat. Zur Förderung der Rechtssicherheit im Hinblick auf die Entlöhnung der Stillpausen und der Konformität des schweizerischen Rechts mit Übereinkommen Nr. 183 wird Artikel 35a Absatz 2 ArG geändert (vgl. Ziff. 4.2).

4

Auswirkungen

4.1

Änderung schweizerischen Rechts

In Anbetracht der Erklärungen unter Ziffer 3.10 bezweckt die vorliegende Revision die Harmonisierung des Bundesrechts mit dem Übereinkommen.

Die Entlöhnung der für das Stillen aufgewendeten Zeit kann im schweizerischen Recht aus Artikel 324a OR abgeleitet werden, es gibt jedoch in dieser Frage keine Praxis, insbesondere des Bundesgerichts. Zudem kann das Recht auf Lohn je nach Fall eingeschränkt werden oder es kann erlöschen (vgl. nachfolgend Ziff. 3.6). Somit ist nicht sicher, dass unser positives Recht den Anforderungen des Übereinkommens Nr. 183 entspricht. Eine Änderung von Artikel 324a OR mit dem Ziel, ausdrücklich das Stillen darin vorzusehen, hätte den Anforderungen des Übereinkommens in weiten Teilen entsprechen können.

Eine ausdrückliche Bestimmung in Artikel 35a Absatz 2 ArG, welche die Entlöhnung der für das Stillen aufgewendeten Zeit vorsieht, würde die Anforderungen des Übereinkommens vollumfänglich erfüllen und die Rechtssicherheit gewährleisten.

Bei der gleichen Gelegenheit bitten wir den Bundesrat, die Einzelheiten im Zusammenhang mit der Dauer der entlöhnten Stillpausen im Rahmen von Absatz 2 von Artikel 60 ArGV1 zu regeln. Eine solche Regelung entspräche der gängigen Praxis in den verschiedenen europäischen Staaten, die das Übereinkommen Nr. 183 ratifiziert haben. Dazu nachfolgend einige Beispiele: In Österreich stehen stillenden Müttern, deren Arbeitstag länger als viereinhalb Stunden dauert, eine Stillpause von 45 Minuten und bei einem Arbeitstag von mindestens acht Stunden zwei Pausen von je 45 Minuten oder eine Pause von 60 Minuten zu (Mutterschutzgesetz, Art. 9 MSchG).

Deutschland sieht entweder zweimal täglich eine 30-minütige oder einmal täglich eine 60-minütige Stillpause vor. Bei einem Arbeitstag von mehr als acht Stunden und wenn die stillende Mutter dies verlangt, hat sie Anspruch auf zwei Stillpausen von mindestens 45 Minuten oder von mindestens einmal 90 Minuten (Mutterschutzgesetz, Art. 7 MuSchG).

1809

In Luxemburg gewährt das Arbeitsgesetz (Art. L. 336-3) stillenden Müttern täglich eine entgoltene 90-minütige Stillpause, die auf zwei Stillpausen von je 45 Minuten verteilt, oder, wenn die betriebliche Arbeitspause eine Stunde beträgt, in einer einzigen Stillzeit von mindestens 90 Minuten genommen werden kann.

4.2

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Abgesehen von der üblichen Berichterstattungspflicht über ratifizierte Übereinkommen hat die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 183 weder in finanzieller noch in personeller Hinsicht spezielle Auswirkungen.

4.3

Weitere Auswirkungen

Die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 183 durch die Schweiz hat keine weiteren Auswirkungen.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Gegenwärtig liegt die minimale Dauer des Mutterschaftsurlaubs in der EU bei 14 Wochen. Die europäischen Abgeordneten schlugen Ende Oktober 2010 vor, den Mutterschutz in der EU auf 20 Wochen zu verlängern und den Grundsatz des Vaterschaftsurlaubs einzuführen. Die Dauer des Mutterschaftsurlaubs variiert erheblich zwischen den europäischen Staaten. Dazu nachfolgend einige Beispiele. Deutschland: 14 Wochen für die Mutter bei 100 % Lohn. Belgien: 15 Wochen (bis zu 19 Wochen bei Mehrlingsgeburten). Während des ersten Monats wird eine Entschädigung in Höhe von 82 % des Lohns gezahlt, die im Weiteren auf 75 % zurückgeht.

Der Vater hat Anspruch auf einen Vaterschaftsurlaub von 10 Tagen. Dänemark: 18 Wochen. Männer haben 2 Wochen Vaterschaftsurlaub nach der Geburt. Gemäss den meisten Gesamtarbeitsverträgen betragen die den Eltern gezahlten Entschädigungen 100 % des Lohns. Spanien: 16 Wochen, davon ist ein Teil auf den Vater übertragbar. Die Entschädigung entspricht 100 % des Lohns. Frankreich: 16 Wochen bei einer Entschädigung von 100 % des Grundlohns. Der Vater hat Anspruch auf 14 Tage Urlaub (davon 11 Tage Vaterschaftsurlaub) und auf 21 Tage im Fall von Mehrlingsgeburten. Italien: 5 Monate, in denen der Arbeitgeber eine Entschädigung von mindestens 80 %, aber häufig von 100 % des Lohns zahlt. Es gibt einen Vaterschaftsurlaub, der unter bestimmten Bedingungen beansprucht werden kann. Niederlande: 16 Wochen bei Zahlung von 100 % des Lohns. Die Väter haben Anspruch auf 2 Tage Urlaub. Polen: 22­40 Wochen, je nach Anzahl der geborenen Kinder, entschädigt mit 100 % des Lohns. Kürzlich wurde ein einwöchiger Vaterschaftsurlaub eingeführt. Portugal: 6 oder 5 Monate, von denen 30 Tage mit dem Vater des Kindes geteilt werden. Der «Eltern»-Urlaub wird mit 83 % des Grundlohns entschädigt. Tschechische Republik: 28­37 Wochen (je nach Anzahl Geburten), während derer eine monatliche Entschädigung in Höhe von 69 % des Lohns gezahlt wird. Rumänien: 126 Tage bei Bezug von 85 % des Lohns. Der Vater kann nach der Geburt 5 Tage Vaterschaftsurlaub erhalten. Vereinigtes Königreich: Der Mutterschaftsurlaub beträgt 26 Wochen, die sechs ersten Wochen werden mit 90 % des Lohns entschädigt, die 33 folgenden mit einer Obergrenze von 125 Pfund 1810

(rund 151 Euro). Der Vaterschaftsurlaub wird während der ersten zwei Wochen mit 90 % des Lohns entschädigt, die Obergrenze liegt bei 125 Pfund. Slowakische Republik: 28 Wochen. Die Entschädigung beträgt 55 % des Lohns und ist auf ungefähr 500 Euro pro Monat begrenzt. Die Väter können in den Genuss der gleichen Konditionen kommen. Schweden: 14 Wochen. Schweden verfügt über ein flexibles Elternurlaubssystem, das auf den Vater übertragbar ist und bis zu 480 Tage umfassen kann, die mit 80 % des Lohns entschädigt werden.

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungsmässigkeit und Bundesrechtskonformität

Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung bestimmt, dass die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung für die Annahme internationaler Verträge ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 BV.

Ausgenommen sind Verträge, deren Abschluss kraft des Gesetzes oder eines internationalen Vertrags in die Zuständigkeit des Bundesrates fallen.

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 1­3 BV unterliegen internationale Verträge dem fakultativen Referendum, sofern sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Das Übereinkommen Nr. 183 kann, wie die Gesamtheit aller Übereinkommen der IAO, frühestens zehn Jahre nach seiner Ratifikation gekündigt werden (Art. 16). Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Es enthält hingegen Bestimmungen, die eine Anpassung des Arbeitsgesetzes erfordern. Somit unterliegt es dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 183 untersteht dem Referendum und enthält, in Übereinstimmung mit Artikel 141a Absatz 2 BV die Abänderung des Bundesarbeitsgesetzes im Zusammenhang mit der Umsetzung des Übereinkommens, so wie unter Ziffer 4.2 des vorliegenden Berichts ausgeführt.

6.2

Erlassform

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Übereinkommens Nr. 183 umfasst drei Artikel: Der erste genehmigt das Übereinkommen Nr. 183 und ermächtigt den Bundesrat zu seiner Ratifikation. Der zweite enthält die Abänderung von Artikel 32a Absatz 2 ArG. Der dritte Artikel sieht vor, dass der Beschluss dem fakultativen Referendum untersteht und ermächtigt den Bundesrat, das Datum des Inkrafttretens der Abänderung des Arbeitsgesetzes festzulegen.

1811

6.3

Prüfung nicht ratifizierter Übereinkommen

Die Schweiz hat das Übereinkommen Nr.144 über dreigliedrige Beratungen zur Förderung der Durchführung internationaler Arbeitsnormen der IAO (BBl 2000 330) ratifiziert und kann somit die Ratifikation alter und bis zum heutigen Tage nicht ratifizierter Übereinkommen prüfen.

7

Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

Der vorliegende Bericht wurde der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO unterbreitet. Diese ausserparlamentarische Kommission, welche aus Mitgliedern der Bundesverwaltung und der Schweizer Sozialpartner besteht, hat vom Bericht Kenntnis genommen. Die Arbeitgeber sind mit der Ratifikation des Ü 183 und den Änderungen des ArG und der ArGV1 nicht einverstanden.

Die Arbeitnehmer haben die Ratifikation des Ü 183 sowie die vorliegenden gesetzlichen Änderungen unterstützt.

8

Minderheit für Nichteintreten

Eine Kommissionsminderheit (Bortoluzzi, Borer, Estermann, Frehner, Kleiner, Parmelin, Scherer, Stahl, Triponez) beantragt, auf den Erlassentwurf nicht einzutreten. Diese Minderheit stösst sich daran, dass viele mit der Schweiz vergleichbare Länder das Abkommen noch nicht ratifiziert haben, darunter erstaunlicherweise auch die nordischen Länder. Umgekehrt hätten Länder wie Bulgarien oder Rumänien bereits ratifiziert. Es sei deshalb nicht nötig, so frühzeitig zu ratifizieren.

Eine Ratifizierung des Abkommens widerspreche auch weitgehend der bisherigen schweizerischen Praxis, derartige Abkommen erst dann zu ratifizieren, wenn die schweizerische Rechtslage deren Anforderungen vollständig erfülle. Das ist hier nicht der Fall, wie die vorgeschlagene Anpassung des Arbeitsgesetzes zeigt.

Befürchtet werden in diesem Zusammenhang auch Schwierigkeiten für Unternehmen, wenn Mütter ihre Kinder ausserhalb des Betriebes stillen und dies als Arbeitszeit gerechnet und vollständig bezahlt wird. Es ist in diesem Zusammenhang unklar, welches die finanziellen Auswirkungen dieser Anpassung des Arbeitsgesetzes sind.

1812