12.092 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Vorübergehende Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung) vom 21. November 2012

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) betreffend die vorübergehende Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. November 2012

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Eveline Widmer-Schlumpf Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2012-2787

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Übersicht Nach mehrmaliger Verlängerung ist Artikel 55a des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG) am 31. Dezember 2011 ausgelaufen. Mit dem im Jahr 2001 in Kraft getretenen Artikel war eine Zulassungsbegrenzung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung eingeführt worden. Die Änderung des KVG im Zusammenhang mit den integrierten Versorgungsnetzen («Managed Care») wurde von den Stimmberechtigten im Juni 2012 abgelehnt. Die Kantone verfügen daher über kein Instrument mehr, um das Angebot im ambulanten Bereich zu steuern. Seit Anfang 2012 ist ein erheblicher Anstieg der Anzahl Gesuche um Erteilung einer Zahlstellenregisternummer zu beobachten. Da die Kosteneindämmung eines der Hauptziele des KVG ist und jede neu eröffnete Praxis erhebliche Zusatzkosten verursacht, sind Bundesrat und Parlament zum Schluss gekommen, dass Handlungsbedarf besteht.

Mit dem vorliegenden Entwurf soll die Beschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Form wieder eingeführt werden. Die Massnahme soll auf drei Jahre beschränkt sein. Dies ermöglicht es, einerseits die Auswirkungen der Aufhebung der Zulassungsbeschränkung zwischen dem 1. Januar 2012 und dem Inkrafttreten der vorliegenden Änderung zu untersuchen. Andererseits können Bestimmungen vorbereitet werden, mit denen die Kosten längerfristig eingedämmt werden können. In Anbetracht des kürzlich lancierten Masterplans «Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung» und der Einreichung der Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» (11.062) möchte der Bundesrat nicht auf die letzte Änderung von Artikel 55a vor dessen Aufhebung zurückkommen, die die Leistungserbringer im Bereich der Grundversorgung von der Zulassungsbeschränkung ausschloss. Zudem ist eine Übergangsbestimmung vorgesehen, die festlegt, dass Artikel 55a nicht anwendbar ist auf Personen, die bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig waren. Die Gesetzesänderung soll rasch in Kraft treten, damit die Kantone, die sie benötigen, über die erforderlichen rechtlichen Instrumente verfügen. Sie ermöglicht eine bessere Steuerung der Kostenentwicklung in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung, was sich ebenfalls positiv auf die Finanzen von Bund und Kantonen auswirken wird.

Falls gewisse Kantone die Zulassung an bestimmte Bedingungen knüpfen, könnten sich zudem Netzwerke der integrierten Versorgung entwickeln oder ärztliche Grundversorgerinnen und Grundversorger könnten sich in Randregionen oder abgelegenen Gemeinden niederlassen.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Im Rahmen der Beratungen zur Revision des Bundesgesetzes vom 18. März 19941 über die Krankenversicherung (KVG) «KVG. Bundesbeiträge und Teilrevision» (98.058) hatte sich das Parlament besorgt darüber gezeigt, dass es im Hinblick auf die Umsetzung der bilateralen Abkommen zu einem Zustrom von Ärztinnen und Ärzten aus der Europäischen Union kommen könnte. Es befürchtete einen Kostenschub in der Krankenversicherung aufgrund einer Erhöhung der Zahl der Leistungserbringer. Schätzungen deuten darauf hin, dass jede neu eröffnete Praxis Kosten von rund 500 000 Franken pro Jahr verursacht.

Darauf wurde auf den 1. Januar 2001 Artikel 55a KVG in Kraft gesetzt2. Damit erhielt der Bundesrat die Kompetenz, während eines Zeitraums von höchstens drei Jahren die Zulassung der Leistungserbringer zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Sinne der Artikel 36­38 KVG von einem Bedürfnis abhängig zu machen. In Anhang 1 der Ausführungsverordnung zu Artikel 55a KVG, die am 4. Juli 2002 in Kraft trat3, war für jeden Kanton und jede Kategorie von Leistungserbringern die Zahl der Leistungserbringer festgelegt worden, die zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sein durften. Gemäss dieser Verordnung konnten die Kantone vorsehen, dass die in Anhang 1 festgelegte Höchstzahl für eine oder mehrere Kategorien von Leistungserbringern nicht gilt und dass in einer oder mehreren Kategorien keine neuen Zulassungen erteilt werden, solange die Versorgungsdichte im betreffenden Kanton höher ist als in der Grossregion, zu welcher der Kanton nach der Verordnung gehörte, oder höher ist als in der Schweiz. Die Kantone mussten die Versorgungsdichte in den Nachbarkantonen, in der Grossregion und in der Schweiz berücksichtigen. Aufgrund der letzteren Bestimmung konnten die Kantone bei einer ungenügenden Versorgungsdichte für eine Kategorie von Leistungserbringern mehr Personen zulassen, als in der Verordnung für die entsprechende Kategorie festgelegt war.

Am 8. Oktober 2004 beschloss das Parlament eine Verlängerung von Artikel 55a KVG um weitere drei Jahre und passte die Bestimmung zugleich an4. Von nun an verfiel eine Zulassung, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist von ihr Gebrauch gemacht wurde. Die Zulassungsbeschränkung wurde noch einmal verlängert5 und die Massnahme erneut angepasst:
Es wurde klargestellt, dass sie für die Zulassung von selbstständig und unselbstständig tätigen Leistungserbringern gilt.

Somit war klar, dass die Leistungserbringer, die von Einrichtungen im Sinne von Artikel 36a KVG angestellt waren, unter die Beschränkung fielen. Mit der letzten Verlängerung von Artikel 55a KVG, die 2009 erfolgte, wurden bedeutende Änderungen eingeführt6. Die Bestimmung ermöglichte die Beschränkung der Zulassung 1 2 3 4 5 6

SR 832.10 AS 2000 2305 AS 2002 2549 AS 2005 1071 AS 2008 2917 AS 2009 5265

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bestimmter Leistungserbringer, d.h. der Ärztinnen und Ärzte sowie der Apothekerinnen und Apotheker, und der Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten in Einrichtungen im Sinne von Artikel 36a KVG und im ambulanten Bereich von Spitälern nach Artikel 39 KVG. Von der Beschränkung ausgenommen waren hingegen die Inhaberinnen und Inhaber der Weiterbildungstitel Allgemeinmedizin, Praktische Ärztin oder Praktischer Arzt, Innere Medizin sowie Kinder- und Jugendmedizin. Die Zulassungsbeschränkung ist am 31. Dezember 2011 ausgelaufen.

Die mehrmalige Verlängerung von Artikel 55a KVG sollte Zeit geben, um eine durchführbare und langfristig wirksame Regelung zu beschliessen. Mit den KVGRevisionsvorlagen «Vertragsfreiheit» (04.032), «Kostenbeteiligung» (04.034) und «Managed Care» (04.062) wurde eine solche Regelung angestrebt. Auf die Vertragsfreiheit trat das Parlament nicht ein. Es verzichtete auch darauf, auf die Vorlage zur Kostenbeteiligung einzutreten, da diese in die Managed Care-Vorlage aufgenommen worden war. Bei der Aufhebung der Zulassungsbeschränkung war die zuletzt genannte Reform vom Parlament bereits beschlossen worden. Da sie gute Perspektiven für die Lenkung des Leistungsangebots bot, erachtete die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates eine erneute Verlängerung der Zulassungsbeschränkung, die darauf abzielt, das Leistungsangebot über die Steuerung des Angebots an Leistungserbringern zu lenken, als nicht notwendig. Am 17. Juni 2012 wurde die Managed Care-Vorlage von den Stimmberechtigten jedoch abgelehnt.

Zwischen dem Auslaufen der Zulassungsbeschränkung und der Volksabstimmung wurde eine erhebliche Zunahme der Gesuche um Erteilung einer Zahlstellenregisternummer verzeichnet, was Parlament und Bundesrat zum Handeln veranlasste. Während von Januar bis Juni 2011 513 Gesuche für eine Zahlstellenregisternummer gestellt worden waren, gingen 2012 im entsprechenden Zeitraum 1151 Gesuche ein.

Besonders ausgeprägt war der Anstieg der Gesuchszahlen in den Kantonen Zürich (von 84 auf 239, +185 %), Genf (von 42 auf 159, +279 %), Bern (von 56 auf 111, +98 %) und Tessin (von 26 auf 111, +327 %). Mit dem KVG werden drei Hauptziele angestrebt: der Zugang der gesamten Bevölkerung zu einem hochstehenden Versorgungsangebot, die Stärkung der Solidarität zwischen den Versicherten und die Eindämmung
der Kosten. Die potenziellen finanziellen Auswirkungen der Aufhebung der Zulassungsbeschränkung ohne Einführung einer Nachfolgeregelung müssen somit berücksichtigt werden. Nach Ansicht des Bundesrates muss deshalb dringend eine Gesetzesänderung vorgeschlagen werden, damit jene Kantone, die eine kostenwirksame Ausweitung des Angebots feststellen, rasch die notwendigen Massnahmen treffen können.

1.2

Vorgeschlagene Massnahmen

Mit der Änderung des KVG soll die Einschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in jener Form wieder eingeführt werden, die sie beim Auslaufen der Bestimmung am 31. Dezember 2011 aufwies. Diese dringliche Massnahme wird auf drei Jahre befristet sein. Der Bundesrat verpflichtet sich, in diesem Zeitraum Bestimmungen vorzuschlagen, die langfristig zur Eindämmung der Kosten beitragen.

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Artikel 55a KVG wurde bei jeder Verlängerung geändert. Der Bundesrat erachtet jede dieser Änderungen als gerechtfertigt und möchte sie daher nicht in Frage stellen. Bei der letzten Änderung wurden einzelne Kategorien von Leistungserbringern von der Zulassungsbeschränkung ausgenommen. Angesichts der kürzlich erfolgten Lancierung eines Masterplans «Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung» und der Einreichung der Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» (11.062) möchte der Bundesrat namentlich auf diese Änderung nicht zurückkommen. Eine Übergangsbestimmung ist vorgesehen, mit der festgelegt wird, dass Artikel 55a KVG nicht auf Leistungserbringer Anwendung findet, die vor Inkrafttreten dieses Artikels zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig waren. Das Ziel besteht darin, Abhilfe für mögliche «präventive» Gesuche um Erteilung von Zahlstellenregisternummern zu schaffen, die anschliessend von den Inhaberinnen und Inhabern nicht genutzt werden, und es somit anderen Leistungserbringern verunmöglichen würden, nach Inkrafttreten von Artikel 55a KVG zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig zu werden. Die Massnahme muss rasch in Kraft gesetzt werden, damit die Kantone, die darauf angewiesen sind, über gesetzliche Instrumente verfügen, mit denen sie die Zulassung bestimmter Leistungserbringer einschränken können, bis eine definitive Regelung in Kraft tritt.

1.3

Koordination der Massnahme mit einer langfristig anwendbaren Bestimmung

Die Regelung, die die mit dieser Vorlage vorgeschlagene Änderung nach deren Ablauf ablösen soll, muss besser auf die Ursachen des ungehinderten Kostenwachstums ausgerichtet sein. So sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, das besonders starke Wachstum zu steuern, das im ambulanten Bereich verzeichnet wird. Dabei geht es nicht um eine Rationierung, sondern um die Deckung von tatsächlichen, berechtigten Bedürfnissen.

­

Denkbar ist eine Bestimmung, die unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten für den Fall einer Über- oder Unterversorgung festlegt. Damit liesse sich die Nutzung der Ressourcen optimieren, namentlich mit einer besseren geografischen Verteilung der Leistungserbringer und der Förderung der medizinischen Grundversorgung.

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Angesichts der im Gesetz vorgesehenen Tarifautonomie werden die Tarifpartner zudem die Tarife verbessern oder das Abgeltungsmodell ändern müssen, wenn die Erfahrung zeigt, dass die gewählten Modelle Anreize schaffen, die Mehrkosten oder eine abnehmende Attraktivität für bestimmte Fachbereiche zur Folge haben.

­

Der Bundesrat verfügt von nun an über eine subsidiäre Kompetenz im Tarifbereich. Er wird in Absprache mit den Kantonen einen Vorschlag ausarbeiten, wenn die Tarifpartner für die Verhandlungen zu viel Zeit brauchen und eine Struktur nicht mehr sachgemäss ist. Der Bundesrat sollte ausserdem über die Kompetenz verfügen, bei überdurchschnittlichen Kostensteigerungen die Tarife zu senken. Dadurch erhielte er ein wirksames Steuerungsinstrument, das sich rasch umsetzen lässt.

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Der Bundesrat verpflichtet sich, rasch ein Paket von konkreten Massnahmen vorzulegen, die dem Parlament unterbreitet werden, damit dieses auf den Zeitpunkt des Ablaufs des dringlichen Bundesgesetzes über das Inkrafttreten dieser Massnahmen entscheiden kann. Falls bereits vor Ablauf der drei Jahre über die neue Regelung entschieden werden kann, wird diese die vorzeitige Aufhebung des vorliegenden dringlichen Bundesgesetzes regeln.

1.4

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Nach Ansicht des Bundesrates bietet die Wiedereinführung der Einschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung den Kantonen, die darauf angewiesen sind, kurzfristig ein wirksames Steuerungsinstrument. Für diese Massnahme spricht auch, dass die bisherigen kantonalen Vollzugsregelungen rasch wieder aufgenommen werden können. Zudem ermöglicht sie den Kantonen, die Zulassung an Bedingungen zu knüpfen. So ist es nicht ausgeschlossen, dass einige Kantone ihre Kompetenz nutzen und von den Leistungserbringern verlangen werden, sich in Randregionen niederzulassen. Auf diese Weise liessen sich die Ressourcen innerhalb des Kantonsgebiets besser verteilen. Ein weiteres Beispiel für eine von den Kantonen gestellte Anforderung könnte das Arbeiten in einem Netzwerk sein.

Allerdings ist der Bundesrat weiterhin der Überzeugung, dass eine Regelung gefunden werden muss, mit der sich die Kosten langfristig und gezielt eindämmen lassen.

Eine Zulassungsbeschränkung entspricht diesen Anforderungen nicht. Sie ist jedoch genügend gut, um rasch wieder eingeführt zu werden und kurzfristig Wirkung zu erzielen, namentlich für jene Kantone, die nicht ohne Übergangslösung auf eine Reform warten können, da ihre Kosten sonst unkontrolliert steigen würden.

1.5

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Mit der Umsetzung dieses Vorschlags lassen sich die Probleme einiger Kantone, die sich mit einer starken Zunahme der Zahl der Leistungserbringer konfrontiert sehen, sehr kurzfristig und gezielt angehen. Die Kantone gehen davon aus, dass diese Zunahme einen übermässigen Kostenanstieg auslösen wird. Indem ihnen die Kompetenz eingeräumt wird, die von der Zulassungsbeschränkung betroffenen Leistungserbringer zu bezeichnen, erhalten die Kantone, in denen Handlungsbedarf besteht, die Möglichkeit zu handeln. Diejenigen Kantone, die nicht mit diesem Problem konfrontiert sind oder in denen gar eine Unterversorgung besteht, werden hingegen nicht zum Handeln gezwungen. Ausserdem ist vorgesehen, dass eine Zulassung verfällt, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist von ihr Gebrauch gemacht wird. Damit lassen sich die unerwünschten Folgen verhindern, die sich daraus ergeben würden, dass Leistungserbringer im Hinblick auf das Inkrafttreten der Bestimmung vorsorglich Zulassungen beantragen.

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1.6

Umsetzung

Die Wiedereinführung von Artikel 55a KVG erfordert die erneute Aufnahme der Bestimmungen, die in der Verordnung vom 3. Juli 20027 über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung enthalten waren. Der Bundesrat wird das Verfahren für die Erarbeitung der Verordnung so durchführen, dass diese zeitgleich mit den gesetzlichen Bestimmungen in Kraft treten kann.

1.7

Vernehmlassungsverfahren

Das Vernehmlassungsverfahren zum Entwurf des Bundesrates zur Änderung des KVG betreffend die vorübergehende Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung wurde am 24. Oktober 2012 eröffnet. Am 5. November 2012 fand unter Leitung des Vorstehers des Eidgenössischen Departements des Innern eine konferenzielle Vernehmlassung statt. Rund 20 Vertreterinnen und Vertreter der interessierten Kreise nahmen daran teil. Zudem bestand die Gelegenheit, ebenfalls bis zum 5. November 2012 eine schriftliche Eingabe zu unterbreiten.

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetzesänderung stiess nicht auf ungeteilte Zustimmung, da bereits bei der Grundsatzfrage, ob die Zulassung von Leistungserbringern überhaupt gesteuert werden soll, Uneinigkeit besteht. In Bezug auf den unterbreiteten Entwurf bemängelten die Vernehmlassungsteilnehmer insbesondere Folgendes: die Auswahl der Leistungserbringer, die von der Massnahme betroffen wären, die Frage, wie die effektive Arbeitszeit berücksichtigt werden könnte und ob die Zahlstellenregisternummer ausreicht, um zu entscheiden, welche Leistungserbringer von der Massnahme betroffen wären. Einige Bemerkungen der Vernehmlassungsteilnehmer konnten in dieser Botschaft berücksichtigt werden: Dabei geht es um Fragen einer möglichen Inländerdiskriminierung im Zusammenhang mit den Voraussetzungen für die Weiterbildungstitel, die Präzisierung des Begriffs «tätig sein» in der Übergangsbestimmung sowie die Art und Weise, wie die Kantone die Leistungserbringer bestimmen. Schliesslich äusserten sich die Vernehmlassungsteilnehmer auch über mögliche langfristige Massnahmen.

1.8

Parlamentarische Vorstösse

Motion Gutzwiller 12.3638 «KVG. Vertragsfreiheit einführen» Der Motionär verlangt, dass zwischen den spezialisierten Ärztinnen und Ärzten und den Krankenkassen im ambulanten Bereich die Vertragsfreiheit eingeführt wird.

Mindestvorschriften sollen die Dichte und die Qualität der Ärztinnen und Ärzte und damit für die gesamte Bevölkerung eine qualitativ hochstehende und effiziente ambulante Gesundheitsversorgung sicherstellen. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates soll vorsehen, dass Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich privat und ohne Vertrag mit einer Krankenkasse praktizieren können. Der Bundesrat erachtete diesen Vorschlag als unbefriedigend, vor allem, weil das Parlament ein Eintreten auf dieses 7

AS 2002 2549

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Thema bereits einmal abgelehnt hatte. Er beantragte deshalb am 5. September 2012 die Ablehnung der Motion. Am 26. September 2012 verwarf der Ständerat die Motion mit grosser Mehrheit. Dabei trug er vor allem dem Umstand Rechnung, dass die Möglichkeit zur Einschränkung der Wahl der Leistungserbringer im Rahmen der Referendumskampagne zur Managed Care-Vorlage mit grossen Vorbehalten aufgenommen worden war. Eine Einführung der Vertragsfreiheit scheint somit weder im Parlament noch im Volk mehrheitsfähig zu sein.

Motion Humbel 12.3600 «Steuerung der Ärztezulassung im KVG wieder einführen» Die Motionärin verlangt für den Fall einer Ablehnung der Managed Care-Vorlage, dass für Spezialärztinnen und Spezialärzte wieder eine Möglichkeit der Steuerung durch die Kantone eingeführt wird, und zwar sowohl in freier Praxis als auch in Spitalambulatorien. Da in der Schweiz ein akuter Mangel an Grundversorgerinnen und Grundversorgern bestehe, seien diese von der vorgesehenen Steuerung auszunehmen. Schliesslich müsse beachtet werden, dass bei der Wiedereinführung dieser Steuerung ein Handel von Zulassungsnummern unterbunden wird. Am 5. September 2012 beantragte der Bundesrat die Annahme der Motion. Der Nationalrat hat die Motion am 28. September 2012 angenommen. Im Ständerat wurde sie noch nicht behandelt.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 55a Abs. 1 Wie in der früheren Regelung wird mit diesem Absatz dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, die Zulassung von Leistungserbringern von einem Bedürfnis abhängig zu machen. Die verschiedenen Elemente, die bei den einzelnen Verlängerungen hinzugefügt worden waren, werden übernommen. Vor allem ist darauf hinzuweisen, dass die unselbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten in Einrichtungen nach Artikel 36a KVG und im ambulanten Bereich von Spitälern nach Artikel 39 KVG von der Massnahme betroffen sind. Zudem muss die Tätigkeit im spitalambulanten Bereich eingeschränkt bleiben, da dort ein besonders ausgeprägter Kostenanstieg zu verzeichnen ist.

Art. 55a Abs. 2 Die Regelung, dass Ärztinnen und Ärzte, die nicht als spezialisiert gelten, sowie Leistungserbringer im Sinne von Artikel 38 KVG von der Beschränkung ausgenommen sind, wurde ebenfalls wieder aufgenommen. Damit soll namentlich verhindert werden, dass die Bestrebungen, die medizinische Grundversorgung zu stärken und diese insbesondere bei den jungen Ärztinnen und Ärzten aufzuwerten, ausgebremst werden. Die in diesem Absatz aufgeführten Weiterbildungstitel wurden an die Änderung vom 17. November 2010 der Medizinalberufeverordnung vom 27. Juni 20078 (MedBV) angepasst. Angesichts von Artikel 18a Absatz 2 MedBV sind Personen, die vor Inkrafttreten der Änderung vom 17. November 2010 der MedBV einen Weiterbildungstitel in Allgemeinmedizin oder Innerer Medizin erwor8

SR 811.112.0

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ben haben, ebenfalls von der Einschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausgenommen. Ausserdem gelten auch ausländische Weiterbildungstitel, die nach dem geltenden Recht anerkannt wurden, als eidgenössische Weiterbildungstitel. Im Rahmen der Zulassung von ausländischen Leistungserbringern wird es Sache der Kantone sein, zu prüfen, ob eine Inhaberin oder ein Inhaber eines Weiterbildungstitels «Allgemeine Innere Medizin» oder «Praktische Ärztin» beziehungsweise «Praktischer Arzt» über keine weiteren Weiterbildungstitel verfügt. Ausländischen Leistungserbringern mit mehreren Weiterbildungstiteln, die lediglich einen Weiterbildungstitel anerkennen lassen, kann aufgrund des fehlenden Nachweises der Vertrauenswürdigkeit im Sinne von Artikel 36 des Medizinalberufegesetzes vom 23. Juni 20069 die Zulassung zur Tätigkeit verweigert werden.

Art. 55a Abs. 3 Bevor der Bundesrat die Zulassung der Leistungserbringer nach Absatz 1 von einem Bedürfnis abhängig macht und entsprechende Kriterien festlegt, muss er die Kantone sowie die Verbände der Leistungserbringer und der Versicherer anhören.

Art. 55a Abs. 4 Die Kantone bestimmen die Leistungserbringer nach Absatz 1. Sie können insbesondere von dieser Kompetenz ­ unter Beachtung von Artikel 36 der Bundesverfassung10 (BV) ­ Gebrauch machen, um die medizinische Versorgung im gesamten Kantonsgebiet und namentlich in den Randregionen sicherzustellen, indem sie die Zulassung zum Beispiel an die Bedingung knüpfen, dass der Leistungserbringer an einem bestimmten Ort tätig sein muss. Sie können auch in Betracht ziehen, eine bessere Koordination der Behandlung zu fördern, indem sie verlangen, dass der Leistungserbringer einem integrierten Versorgungsnetz angehört. Die Kantone sind am besten in der Lage, die Leistungserbringer beziehungsweise die in Einrichtungen nach Artikel 36a KVG oder im ambulanten Spitalbereich tätigen Ärztinnen und Ärzte unter Berücksichtigung ihrer verschiedenen Fähigkeiten und Kenntnisse zu bestimmen.

Art. 55a Abs. 5 Um Blockierungen des Systems zu verhindern, muss vorgesehen werden, dass eine Zulassung verfällt, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist von ihr Gebrauch gemacht wird. Denn Leistungserbringer, die eine Zulassung beantragen, sie jedoch nach Erhalt nicht nutzen, hindern andere
Leistungserbringer am Zutritt zum Markt und können überdies die medizinische Versorgung gefährden. Die Bestimmung wurde ergänzt, indem bestimmte mögliche Ausnahmen direkt im Gesetz festgelegt wurden. In der früheren Regelung der Zulassungsbeschränkung war diese Präzisierung in der Verordnung festgelegt.

9 10

SR 811.11 SR 101

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Übergangsbestimmung Seit dem 1. Januar 2012 besteht keine Zulassungsbeschränkung mehr, unabhängig von der Kategorie der Leistungserbringer und vom Weiterbildungstitel. Seither ist eine starke Zunahme der Gesuche um Erteilung einer Zahlstellenregisternummer zu verzeichnen. Es ist denkbar, dass ein Teil der Gesuche als Reaktion auf die Aufhebung der Zulassungsbeschränkung eingereicht wurde, dass jedoch nicht alle Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller beabsichtigen, nächstens eine Praxis zu eröffnen.

Denn die Nummern sind ein Instrument, das die Abrechnung zwischen den Krankenversicherern und den Leistungserbringern erleichtert. Sie weisen nicht direkt auf die Eröffnung einer Praxis hin. Sobald die Diskussionen über eine Wiedereinführung der Zulassungsbeschränkung anlaufen werden, ist eine noch stärkere Welle von Gesuchen zu erwarten von Ärztinnen und Ärzten, die präventiv eine Nummer für eine spätere Praxiseröffnung einholen möchten. Um für diesen Fall vorzusorgen, sieht die Übergangsbestimmung vor, dass Absatz 1 der neuen Regelung keine Anwendung auf Leistungserbringer findet, die bereits vor Inkrafttreten der Änderung zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abgerechnet haben.

Leistungserbringer, die Inhaber einer Zahlstellenregisternummer sind, bereits Vorkehrungen zur Eröffnung einer Praxis getroffen und zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abgerechnet haben, werden Artikel 55a Absatz 1 nicht unterstellt sein.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Eine bessere Kosteneindämmung wird sich positiv auf die Bundesfinanzen auswirken, da der Beitrag, den der Bund nach Artikel 66 Absatz 2 KVG an die Prämienverbilligung gewährt, 7,5 Prozent der Bruttokosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung entspricht. Das Ausmass des mit der Vorlage verbundenen dämpfenden Effekts auf die Bundesausgaben für die Prämienverbilligung kann infolge des Gestaltungsspielraums für die Kantone jedoch nicht quantifiziert werden.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Auswirkungen für die Kantone wurden bereits weiter oben beschrieben. Falls die Kantone beschliessen, die Zulassung an Bedingungen wie die Zugehörigkeit eines Leistungserbringers zu einem integrierten Versorgungsnetz oder die Niederlassung in einer bestimmten Region zu knüpfen, könnten Versorgungsnetze entstehen oder Grundversorgerinnen und Grundversorger in Randregionen oder in abgelegenen Gemeinden eine Praxis eröffnen. Die Bestimmung wird sich ausserdem positiv auf die von den Kantonen gewährten Prämienverbilligungen auswirken.

9448

3.3

Finanzielle Auswirkungen auf die Krankenversicherung

2012 waren 37 Prozent der Gesamtkosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung auf die ambulante medizinische Versorgung zurückzuführen. 14 Prozent der Gesamtausgaben fielen im spitalambulanten Bereich an. Durch die Verstärkung der Kosteneindämmung wird die Wiedereinführung der Zulassungsbeschränkung für Leistungserbringer einen positiven finanziellen Einfluss auf die obligatorische Krankenpflegeversicherung haben.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage wurde nicht angekündigt, weder in der Botschaft vom 25. Januar 201211 über die Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201212 über die Legislaturplanung 2011­2015. Seit Anfang 2012 hat die Anzahl der Gesuche um Erteilung einer Zahlstellenregisternummer in gewissen Kantonen massiv zugenommen. Diese Kantone befürchten, dass sich infolge der Ankündigung der vorgeschlagenen Massnahmen durch den Bundesrat sehr viele Ärztinnen und Ärzte entscheiden, eine Praxis zu eröffnen, was zu einem unkontrollierbaren Anstieg der Kosten zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung führen könnte. Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, ist es notwendig, die Vorlage so rasch wie möglich dem Parlament vorzulegen, damit die Zulassungsbeschränkung möglichst schnell in Kraft treten kann.

5

Verhältnis zum internationalen Recht

5.1

Vorschriften der Europäischen Union

Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union13 (EU-Vertrag) überträgt der Europäischen Union die Aufgabe, die soziale Gerechtigkeit und den sozialen Schutz zu fördern. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der Union ist in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union14 (AEUV) geregelt. Das Abkommen vom 21. Juni 199915 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten. Ziel des Abkommens ist es insbesondere, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz ein Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien einzuräumen (Art. 1 Bst. a FZA). Artikel 1 Buchstabe d des Abkommens setzt als Ziel fest, dass den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz gleiche Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländerinnen und Inländer eingeräumt werden. In 11 12 13 14 15

BBl 2012 481 BBl 2012 7155 ABl. C 191 vom 29. Juli 1992 ABl. C 306 vom 17. Dezember 2007 SR 0.142.112.681

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Übereinstimmung mit Anhang I des Abkommens ist vorgesehen, dass die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden (Art. 2 FZA) und dass das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit eingeräumt wird (Art. 4 FZA). Dementsprechend sieht das Abkommen in Artikel 7 Buchstabe a vor, dass die Vertragsparteien insbesondere das Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländerinnen und Inländern in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie die Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen regeln.

Das Freizügigkeitsprinzip verlangt eine Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, wie dies in Artikel 48 AEUV festgelegt ist. Das Unionsrecht sieht keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten sowie die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit weiterhin bestimmen. Die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit wird durch die Verordnung (EG) Nr. 883/200416 und die Durchführungsverordnung Nr. 987/200917 geregelt. Seit dem Inkrafttreten des FZA ist die Schweiz Teil des multilateralen Koordinationssystems, auf der Basis der früheren Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie der entsprechenden Durchführungsverordnung Nr. 574/7218.

5.2

Die Instrumente des Europarates

Die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 196119 stellt in Bezug auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte die Entsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention20 dar. In Artikel 12 ist das Recht auf soziale Sicherheit verankert.

Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet; eine Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, sodass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der revidierten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai 199621 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Es handelt sich dabei um ein von der Europäischen Sozialcharta von 1961 gesondertes Übereinkommen, das diese nicht aufhebt. Das Recht auf soziale Sicherheit ist ebenfalls in Artikel 12 enthalten. Die Schweiz hat dieses Instrument nicht ratifiziert.

16

17

18 19 20 21

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom 30. April 2004, S. 1; berichtigt in ABl. L 200 vom 7. Juni 2004.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 vom 30. Oktober 2009, S. 1.

SR 0.831.109.268.1 und 0.831.109.268.11 http://conventions.coe.int/treaty/fr/treaties/html/035.htm (frz. Text) SR 0.101 http://conventions.coe.int/Treaty/fr/Treaties/Html/163.htm (frz. Text)

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Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 am 16. September 1977 ratifiziert22. Unser Land hat jedoch Teil II über die ärztliche Betreuung nicht angenommen, der die Verpflichtung zum Inhalt hat, den geschützten Personen medizinische Versorgung bei Krankheit ohne Rücksicht auf deren Ursache sowie bei Mutterschaft zu gewähren. Der Leistungsempfänger oder die Leistungsempfängerin kann zur Beteiligung an den Kosten der bei Krankheit gewährten medizinischen Versorgung verpflichtet werden. Zudem kann die Dauer der erbrachten Leistungen pro Fall auf 26 Wochen beschränkt werden.

Die revidierte Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 6. November 1990 ist ebenfalls ein Übereinkommen, das von der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit zu unterscheiden ist; sie ersetzt diese nicht. Die revidierte Ordnung ist noch nicht in Kraft getreten.

5.3

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Das europäische Recht (Recht der Europäischen Union und Recht des Europarates) setzt zwar auf dem Gebiet der Freizügigkeit Normen fest; es bestehen jedoch keine Normen betreffend einer Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Staaten können diese Aspekte nach eigenem Ermessen bestimmen.

Die Vereinbarkeit der früheren Version von Artikel 55a KVG mit dem FZA war ausserdem Gegenstand eines Entscheids des Bundesgerichts (BGE 130 I 26). Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die vom Bundesrat gestützt auf Artikel 55a KVG erlassene und vom Regierungsrat des Kantons Zürich konkretisierte Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ­ soweit dies gestützt auf Artikel 191 BV geprüft werden könne (E. 2) ­ weder das FZA (E. 3) noch die Wirtschaftsfreiheit (E. 4­6), die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen (E. 7), das Prinzip von Treu und Glauben (E. 8) oder das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens (E. 9) verletze.

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Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Diese Gesetzesvorlage stützt sich auf Artikel 117 BV, der dem Bund eine umfassende Kompetenz zur Einrichtung der Krankenversicherung verleiht.

6.2

Erlassform

Die vorgeschlagene Bestimmung soll in Form eines zeitlich befristeten dringlichen Bundesgesetzes erlassen werden. Ein Bundesgesetz kann nach Artikel 165 Absatz 1 BV dringlich erklärt werden, wenn sein Inkrafttreten keinen Aufschub duldet. Die Dringlichkeit ist in diesem Fall durch eine nicht kontrollierbare Zunahme der Praxiszulassungen gegeben. Die Zunahme von Leistungserbringern im ambulanten 22

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Bereich eines Kantons führt zu einem Kostenanstieg. Wird das Angebot nicht kontrolliert, so sind die Auswirkungen auf die Gesamtkosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erheblich. Die Auswirkungen in Bezug auf den Prämienanstieg für die Versicherten, auf die Erhöhung der Prämienverbilligung zulasten der Kantone sowie die entsprechende Erhöhung der Bundesbeiträge dürfen nicht vernachlässigt werden. Wenn nicht sofort Massnahmen ergriffen werden, wird die Zahl der Leistungserbringer weiter ansteigen. Ohne Dringlichkeitsklausel muss ein dauerhafter Kostenanstieg hingenommen werden, weil Leistungserbringer, die bereits zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung tätig sind, nicht von dieser Tätigkeit ausgeschlossen werden könnten, ohne dass die entsprechenden Massnahmen ihre Rechte unverhältnismässig einschränken würden. Ein dringliches Bundesgesetz erlaubt ein Inkrafttreten, bevor sich die Lage verschlimmert, und ermöglicht die Begrenzung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, ohne Beeinträchtigung der Gesundheit der Versicherten und der Rechte der Leistungserbringer.

6.3

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Im Rahmen dieser Vorlage ist der Bundesrat überdies befugt, in den folgenden Bereichen Bestimmungen zu erlassen: ­

bedürfnisabhängige Zulassung bestimmter Leistungserbringer (Art. 55a Abs. 1);

­

Festlegung der entsprechenden Frist für den Verfall einer Zulassung.

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