99.060 Botschaft zum Bundesbeschluss über die Verlängerung des Einsatzes der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen vom 23. Juni 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen mit der vorliegenden Botschaft den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Verlängerung des Einsatzes der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

23. Juni 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

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1999-4663

Übersicht Der Bundesrat beschloss am 1. März 1999 in Anbetracht der Gewaltakte durch Angehörige und Sympathisanten der «Kurdischen Arbeiterpartei» (PKK) und namentlich der Angriffe auf diplomatische Vertretungen ausländischer Staaten und Einrichtungen sowie internationaler Organisationen, den um Hilfe ersuchenden Kantonen und Städten Truppen zur Entlastung und Verstärkung der Polizei zur Verfügung zu stellen. Der Truppeneinsatz wurde als Assistenzdienst und vorerst für eine Dauer von vier Monaten angeordnet. Die Bundesversammlung hat diesen Bundesratsbeschluss in der Sondersession vom April 1999 genehmigt.

Die Bedrohungslage für die gefährdeten Einrichtungen in der Schweiz ist solange zu berücksichtigen, als der Prozess gegen PKK-Führer Oecalan im Gange ist und die Spannungen im Kosovo andauern. In Berücksichtigung dieser Situation hat der Bundesrat am 31. Mai 1999 die Verlängerung des Armee-Einsatzes zur Erfüllung von Bewachungs- und Betreuungsaufgaben beschlossen.

Artikel 70 Absatz 2 des Militärgesetzes bestimmt, dass ein Einsatz der Armee, aber auch dessen Verlängerung, durch die Bundesversammlung in der folgenden Session genehmigt werden muss, sofern für den Einsatz mehr als 2000 Angehörige der Armee aufgeboten werden oder der Einsatz länger als drei Wochen dauert. Ist der Einsatz vor der Session beendet, so erstattet der Bundesrat Bericht. In Anbetracht der aktuellen Lage ist bereits heute klar, dass der Einsatz der Armee zweifellos länger als drei Wochen dauern wird. Es muss daher die Zustimmung des Parlaments eingeholt werden.

Mit dem vorliegenden, einfachen Bundesbeschluss soll der Bundesratsbeschluss vom 31. Mai 1999 über die Verlängerung des Armee-Einsatzes zur Entlastung der Polizei von Bewachungsaufgaben zum Schutze bedrohter Einrichtungen vom Parlament genehmigt werden. National- und Ständerat wird zudem beantragt, diesen Einsatz bis zum 30. April 2000 zu befristen, analog dem Betreuungsdienst für Asylsuchende.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

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Ausgangslage

Der Bundesrat beschloss am 1. März 1999 in Anbetracht der Gewaltakte durch Angehörige und Sympathisanten der «Kurdischen Arbeiterpartei» (PKK) und namentlich der Angriffe auf diplomatische Vertretungen ausländischer Staaten und Einrichtungen sowie internationaler Organisationen, den um Hilfe ersuchenden Kantonen und Städten Truppen zur Entlastung und Verstärkung der Polizei zur Verfügung zu stellen. Der Truppeneinsatz wurde vom Bundesrat als Assistenzdienst und für die Dauer von vier Monaten angeordnet. Hinsichtlich der weiteren Modalitäten verweisen wir auf die Ausführungen in Ziffer 3 der Botschaft vom 8. März 1999 zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen (BBl 1999 2987).

Mit den Beschlüssen des Ständerates und des Nationalrates vom 20. und 21. April 1999 wurde der Armeeeinsatz genehmigt (BBl 1999 3131).

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Aktuelle Lage und mögliche Entwicklungen

Die Lage innere Sicherheit ist weiterhin geprägt von den gegenwärtig noch vereinzelten, künftig jedoch möglicherweise stark zunehmenden Ereignissen im Zusammenhang mit der Kurdenproblematik (Oecalan-Prozess) und dem Kosovo-Konflikt.

Anlass zur Sorge gibt vorab die zeitliche Koinzidenz der möglichen Auswirkungen der beiden Krisenherde angesichts der beträchtlichen Eskalationsgefahr. Die beiden zusammenfallenden Bedrohungsfaktoren setzen die schweizerischen Sicherheitsorgane einer möglicherweise längerfristigen, beträchtlichen Belastungsprobe aus.

Oecalan-Prozess Die Aktivitäten der Kurden in Europa und der Schweiz verliefen in der letzten Zeit mehrheitlich friedlich. So hielt sich die PKK bisher weitgehend an ihre Strategie «Krieg in der Türkei und politische Bemühungen (im Hinblick auf den OecalanProzess) in Europa». Allerdings ist mit dem Prozessbeginn und der Forderung nach der Todesstrafe für Oecalan die latente Gewaltbereitschaft der extremistischen Kurdengruppen gestiegen. Bereits verschärfend wirkten sich der Erfolg der Nationalisten bei den türkischen Parlamentswahlen (härtere Haltung der Türkei im Kurdenkonflikt) und die Forderung nach der Todesstrafe für zwei ehemalige hochrangige PKK-Führer (Präjudiz für den Oecalan-Prozess) aus.

Die Lageentwicklung hängt stark vom Verlauf und vom Ausgang des Prozesses gegen den PKK-Führer ab. In sämtlichen Prozessphasen, aber vor allem nach der Urteilsverkündung ist mit gewaltsamen Kurdenprotesten zu rechnen. Diese dürften umso heftiger ausfallen, je drastischer der Ausgang für Oecalan ist. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass eine Verurteilung zum Tode bzw. allfällige Vollstreckung des Urteils eine Gewaltwelle auch in Europa zur Folge haben wird.

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Kosovo Angesichts des Geschehens im Kosovo und in Jugoslawien und der Tatsache, dass sich über 300 000 Personen aus Ex-Jugoslawien (davon rund 200 000 aus dem Kosovo) in der Schweiz aufhalten, ist die Sicherheitslage in der Schweiz zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch als verhältnismässig ruhig zu bezeichnen. Allerdings ist die Stimmung zwischen den verschiedenen ex-jugoslawischen Bevölkerungsgruppen anhaltend gespannt. Bisher gab es nur vereinzelte gewalttätige Aktionen; mit dem stets zunehmenden Eintreffen von Flüchtlingen aus dem Kosovo (und möglicherweise bald auch aus Serbien) könnte sich die Lage allerdings kurzfristig verschärfen.

Zudem gibt es erste Hinweise auf ein Wachsen der Gefahr von Fremdenhass und fremdenfeindlichen Aktionen (1999 bereits fünf Aktionen gegen Asylbewerberheime; im Vergleich: 1997 und 1998 nur je drei Fälle).

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Verlängerung des Armee-Einsatzes

Dank dem Bewachungseinsatz der Armee konnten die auf Grund des Völkerrechts erforderlichen Schutzmassnahmen gegenüber den ausländischen Vertretungen in ausreichendem Mass durchgeführt werden. Die Erfahrungen der vergangenen Monate im Bezug auf den Armee-Einsatz können als für alle involvierten Stellen positiv bezeichnet werden.

Angesichts des Beginns des Oecalan-Prozesses und der nach wie vor angespannten Situation im Kosovo stellt sich gegenwärtig erneut die Frage nach einer Verlängerung des Armee-Einsatzes für Bewachungsaufgaben über den 1. Juli 1999 hinaus.

Gemäss dem in Artikel 67 Absatz 2 des Militärgesetzes (SR 510.10) statuierten Subsidiaritätsprinzip betreffend den Assistenzdienst für zivile Behörden gilt ausdrücklich, dass die Armee nur soweit Hilfe leistet, als es den zivilen Behörden nicht möglich ist, ihre Aufgaben in personeller, materieller oder zeitlicher Hinsicht zu bewältigen.

Die wahrscheinliche Entwicklung der Bedrohungslage spricht dafür, dass auf absehbare Zeit Sicherheitsmassnahmen zum Schutze gefährdeter Objekte nötig bleiben und die schweizerischen Sicherheitsorgane weiterhin einer erheblichen Belastung ausgesetzt bleiben. Da die Bedrohung flächendeckend und anhaltend und das Bedrohungsprofil breitgefächert ist, erweist sich das Mittel des interkantonalen Polizeieinsatzes zur Schwerpunktbildung bei der Bekämpfung einer Gefahr als ungeeignet. Durch Entsendung von Polizeibeamten in exponiertere Kantone würden die Sicherheitsdispositive in den übrigen Kantonen geschwächt. Zudem dürfen gegenwärtig Polizeibeamte nicht schwergewichtig für Schutzaufgaben absorbiert werden; es muss gesamtschweizerisch eine polizeiliche Einsatzreserve zur Verfügung bleiben, die nötigenfalls für Interventionen eingesetzt werden kann. Es hat sich in jüngster Zeit nämlich klar gezeigt, dass die schweizerischen Polizeikorps bei der Bewältigung mehrerer zeitlich zusammenfallender und länger andauernder sicherheitspolizeilicher Einsätze rasch an ihre Kapazitätsgrenzen stossen.

In Würdigung dieser Umstände ist die Verlängerung des Einsatzes der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen über den 1. Juli 1999 hinaus angezeigt und notwendig. Der Bundesrat hat daher am 31. Mai 1999 der Verlängerung des Assistenzdienstes der Armee für einen weiteren Zeitraum nach Ablauf der geltenden Befristung grundsätzlich zugestimmt. Er hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepar7209

tement (EJPD) und das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) beauftragt, alle erforderlichen Planungsmassnahmen zu treffen, um den Einsatz von insgesamt 800 Angehörigen der Armee bis Ende April 2000 sicherzustellen. Ausserdem hat er beschlossen, dass der Sicherheitsausschuss des Bundesrates über die Prioritäten des Truppeneinsatzes zu Gunsten der Bewachung oder der Betreuung von Asylsuchenden entscheiden soll.

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Notwendigkeit eines Bundesbeschlusses

Der Bundesrat stützt seinen Beschluss auf Artikel 70 des Militärgesetzes (SR 510.10), der in engem Zusammenhang mit Artikel 102 Ziffer 11 der Bundesverfassung (BV) steht. Zur Frage der Bewilligungspflicht des Armee-Einsatzes bzw.

einer Verlängerung durch das Parlament verweisen wir auf unsere Ausführungen in Ziffer 14 der Botschaft vom 8. März 1999 zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen.

Im Zusammenhang mit den vom Bundesrat in letzter Zeit beschlossenen ArmeeEinsätze für die Betreuung von Asylsuchenden und für den Schutz bedrohter Einrichtungen (BBl 1998 5606 und BBl 1999 2987) ist es zu Diskussionen über die Modalitäten der Genehmigung der Einsätze durch die Eidgenössischen Räte gekommen. Gegenstand war insbesondere die Frage, ob der Beschluss der Bundesversammlung formell eine Ermächtigung für den Bundesrat enthalten dürfe, den Truppeneinsatz bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlängern, bzw. ob der Beschluss des Parlamentes überhaupt Angaben zur Dauer und zum Umfang des Einsatzes enthalten müsse.

Zur Beantwortung dieser Frage hat das Bundesamt für Justiz den Sicherheitspolitischen Kommissionen des Nationalrates und des Ständerates ein Gutachten zugehen lassen. Darin wird festgehalten, dass auf Grund der aktuellen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Kompetenzlage ein Beschluss der Bundesversammlung über den Einsatz der Armee für den Assistenzdienst festlegen muss, zu welchem Zweck, in welchem Umfang und für welche Dauer der Truppeneinsatz erfolgen darf. Es soll somit keine Beschränkung auf die blosse Gutheissung des Beschlussdispositivs des Bundesrates erfolgen. Vielmehr wird vorgeschlagen, dass der Bundesbeschluss zwischen der Genehmigung des bereits erfolgten Einsatzes und den Vorgaben für eine allfällige Weiterführung unterscheidet.

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Vorverfahren

Es liegt in der Natur der Sache, dass die vorliegende Botschaft nicht Gegenstand eines Vernehmlassungsverfahrens bei Kantonen, politischen Parteien und interessierten Kreisen sein konnte. Sie wurde aber in enger Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen von VBS und EJPD ausgearbeitet.

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Besonderer Teil

Artikel 1 Ein vom Bundesrat bereits angeordneter Truppeneinsatz für den Assistenzdienst, aber auch dessen Verlängerung, ist ­ wie in Ziffer 14 dargelegt ­ nachträglich zu genehmigen (vgl. die Ausführungen unter Ziffer 14 der Botschaft vom 8. März 1999 zum Bundesbeschluss über den Einsatz der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen [BBl 1999 2987 f.]).

Artikel 2 Mit dieser Bestimmung beantragen wir, den Armee-Einsatz im Bundesbeschluss ausdrücklich zu befristen. Truppen der Armee sollen bis längstens 30. April 2000 für den Schutz bedrohter Einrichtungen eingesetzt werden.

Wie in Ziffer 13 erwähnt stellt das VBS dem EJPD bis Ende April 2000 ein Kontingent von 800 Angehörigen der Armee für den subsidiären Bewachungs- und Betreuungseinsatz zur Verfügung. Die Prioritäten werden durch den Sicherheitsausschuss des Bundesrates festgelegt. Der Einsatz der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen endet kurz nach Wegfall des entsprechenden Sicherheitsrisikos.

Nach der Realisierung einer Friedensregelung im Kosovo-Konflikt ist eine Rückstufung der vom Bund angeordneten Schutzmassnahmen absehbar. Im Zusammenhang mit dem Oecalan-Prozess hingegen ist noch keine Beruhigung der Situation abzusehen. Das EJPD ist deshalb während der kommenden Monate auf die weitere Unterstützung der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen angewiesen.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die permanente Bereitstellung von 800 Personen für Betreuung und Bewachung erfordert ein zusätzliches Aufgebot von Teilen der Alarmformationen, die Vorverlegung der Dienstleistung von ca. drei Regimentern vom Jahr 2000 auf Ende 1999 sowie die Pikettstellung eines Infanterieregiments über Weihnachten/Neujahr.

Diese Massnahmen sind für die Milizarmee wirtschaftsverträglich, innenpolitisch konsensfähig und für die betroffenen Angehörigen der Armee persönlich zumutbar.

Die Mehrausgaben für die Verlängerung des Truppeneinsatzes gehen zu Lasten des VBS. Zusätzliche und vorgezogene Dienstleistungen sind separat auszuweisen.

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Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 1995­1999 vom 18. März 1996 nicht angekündigt. Zweifellos stellt aber dieser Beschluss über die Verlängerung des Einsatzes der Armee zum Schutze bedrohter Einrichtungen ein wichtiges staatspolitisches Ziel dar.

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Rechtliche Grundlagen

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Übereinstimmung mit der Verfassung

Der vorliegende Bundesbeschluss steht in Einklang mit der Verfassung. Er stützt sich auf Artikel 85 Ziffer 9 BV.

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Rechtsform

In Anwendung der Artikel 4­8 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG; SR 171.11) ist der vorliegende Erlass in die Form eines einfachen Bundesbeschlusses zu kleiden.

Der Beschluss ist somit nicht allgemeinverbindlich. Gegen einfache Bundesbeschlüsse kann das Referendum nicht ergriffen werden (Art. 8 Abs. 2 GVG).

Nach Artikel 70 Absatz 2 des Militärgesetzes muss der Armee-Einsatz von der Bundesversammlung in der nächsten Session genehmigt werden. Die Beschlussfassung durch National- und Ständerat sollte daher spätestens in der Herbstsession im Rahmen eines beschleunigten parlamentarischen Verfahrens (Sonderverfahren) erfolgen.

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