An die Unterzeichner des Sammelrevers 1993 für den Verkauf preisgebundener Verlagserzeugnisse in der Schweiz Verfügung vom 6. September 1999

vertreten durch den 1.

Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV) vertreten durch RA Dr. Jürg Borer; Pestalozzi Gmuer und Patry, 8001 Zürich; sowie den

2.

Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Börsenverein) vertreten durch RA Dr. Cornelis Canenbley und RA Dr. Wolfgang Kirchhoff; Bruckhaus Westrick Heller Löber, B-1040 Brüssel

in Sachen Untersuchung gemäss Artikel 27 KG betreffend 22-0203 Preisbindung im Buchhandel wegen unzulässiger Wettbewerbsabreden gemäss Artikel 5 KG.

A A.1

Sachverhalt Marktordnung

1. Gegenstand der Untersuchung ist die Überprüfung der Auswirkungen des «Sammelrevers 1993 für den Verkauf preisgebundener (deutschsprachiger) Verlagserzeugnisse» («Sammelrevers») auf den schweizerischen Buchhandel. Der Sammelrevers regelt die Vermarktung bzw. den Vertrieb von deutschsprachigen Büchern in der Schweiz insofern, als er die Preisbindung der Verlagserzeugnisse statuiert. Im Gegensatz zum Verfahren betreffend Sammelrevers für Bücher vor der Europäischen Kommission hängig, welches die grenzüberschreitende Preisbindung zwischen Österreich und Deutschland zum Gegenstand hat, werden in der vorliegenden Untersuchung die Auswirkungen des Sammelrevers für Bücher innerhalb der Schweiz untersucht.

2. Seit mehr als hundert Jahren bildet die Preisbindung die Grundlage für die Vermarktung deutschsprachiger Bücher. Danach setzen die Verleger individuell den Endverkaufspreis jedes preisgebundenen Buches für die Buchhändler verbindlich fest (Publikumspreis).

3. Bis ins Jahr 1993 war die Preisbindung im Schweizer Buchmarkt national geregelt. Organisiert wurde sie vom Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV; vgl. Rz 20) mittels horizontaler und vertikaler Abreden. Das zentrale

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Instrument hierbei bildete die so genannte Marktordnung, welche der SBVV 1976 erlassen hatte (MO; act. 8). Sie regelte im Wesentlichen: ­

dass die teilnehmenden Verlage die Endverkaufspreise festsetzen, statuierte also einen Zwang zur Preisbindung der zweiten Hand (Art. 7 MO);

­

prozentuale Mindestmargen zu Gunsten der Sortimenter (Buchhändler; Art. 17/18 MO);

­

die Einhaltung des von ausländischen Verlegern festgesetzten Ladenpreises (Art. 10 MO);

­

die Anwendung der Kurs- und Kostenumrechnungstabellen des SBVV (Art. 10 MO);

­

den Zwang zur Einhaltung des festen Ladenpreises (Art. 44 MO) und

­

eine einheitliche Rabattgewährung (Art. 13 MO).

4. Die alte Marktordnung wurde per 1. Oktober 1993 durch den «Sammelrevers 1993 für den Verkauf preisgebundener Verlagserzeugnisse in der Schweiz» (Sammelrevers; act. 15) abgelöst. Dieser Übergang zur neuen Marktordnung geht auf einen Richtlinienentscheid zurück, der anlässlich der 43. Generalversammlung des SBVV vom 18. Juni 1991 einstimmig bei zwei Enthaltungen gefasst wurde (act. 25, Beilagen). Hintergrund dieses Entscheids war nicht zuletzt die Sorge, dass die damals geltende Marktordnung mit einem allfälligen Inkrafttreten von EWR-Kartellrecht nicht vereinbar gewesen wäre.

5. Der Sammelrevers ist ein in Deutschland, Österreich und der Schweiz angewandtes Preisbindungssystem. Er bezweckt, die Ladenpreise der dem System unterworfenen Bücher lückenlos festzusetzen. Jeder Verleger, der den Sammelrevers unterschreibt, schliesst dadurch mit jedem Buchhändler einschliesslich der Zwischenbuchhändler, die den Revers ebenfalls unterschrieben haben, einen Preisbindungsvertrag ab. Dabei setzt der Verleger individuell die Verkaufspreise seiner Bücher für die entsprechenden Währungsgebiete in Deutschen Mark, Österreichischen Schilling und Schweizer Franken fest. Der Buchhändler verpflichtet sich mit Beitritt zum Sammelrevers, die vom Verleger festgesetzten Preise einzuhalten.

6. Die einschlägigen Bestimmungen im Sammelrevers betreffend Festsetzung der Endabnehmerpreise lauten folgendermassen: Ziffer A.1: «Ich werde die Endabnehmerpreise («Ladenpreise» = Barzahlungspreise) allen Endabnehmerkunden in der Schweiz in Franken. berechnen. Sie werden von den einzelnen Verlagen durch ihre jeweils gültigen (gegenwärtigen und künftigen) Preislisten oder Preismitteilungen für ihre Verlagserzeugnisse festgesetzt.

Ich werde die Preisbindung auch nicht indirekt verletzen, etwa durch Zugabe, Freiexemplare, Boni und Nachlässe für angeblich antiquarische Exemplare; auch nicht durch sonstige Umgehungsformen, wie z. B. Umsatzprämien oder Gewinnbeteiligungen, soweit diese von den von mir mit dem Kunden getätigten Umsätzen für preisgebundene Verlagserzeugnisse abhängen. (...)».

7. Mit der Unterzeichnung des Sammelrevers verpflichtet sich der Händler, die vom Verlag festgesetzten Preise in seinem Währungsgebiet strikte einzuhalten.

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8. So genannte «Sonderpreise» werden von den Verlagen festgesetzt und müssen ebenfalls eingehalten werden (Ziffer A.2 Sammelrevers). Im Weiteren sind namentlich die Mengenrabattierung (Ziffer A.2.b Sammelrevers) sowie die Voraussetzungen für erlaubte Nachlässe und andere Sonderbedingungen (Ziffern B.1 und B.2 Sammelrevers) ausdrücklich geregelt. Nachlässe und Sonderbedingungen werden im Wesentlichen nur in Form von Bibliothekennachlässen sowie von Hörerrabatten gewährt. Diese Rabatte betragen gemäss Ziffer B.1. 5 bzw. 20 % unter Vorbehalt der abweichenden Festlegung dieser Sätze durch die einzelnen Verlage. Barzahlungsnachlässe sind dagegen in der Regel untersagt.

9. Eine indirekte Umgehung der Preisbindung, z. B. über nicht am Sammelrevers beteiligte Zwischenhändler, wird ebenfalls verhindert. Das diesem Bestreben zu Grunde liegende Ziel der Lückenlosigkeit wird mit folgenden Bestimmungen erreicht: Ziffer A.5: «Die Verpflichtungen dieses Vertrags gelten auch dann, wenn ich die preisgebundenen Werke von dritter Seite, z. B. vom Zwischenbuchhandel oder von einem anderen Händler beziehe.

Sofern ich meinerseits, z. B. als Zwischenbuchhändler, preisgebundene Verlagserzeugnisse an Wiederverkäufer weiter veräussere, bin ich verpflichtet, zuvor zu prüfen, ob der betreffende Händler bereits gebunden ist. Ist er noch nicht gebunden, so muss ich dies dem Preisbindungstreuhänder mitteilen, damit dieser den Händler binden kann; oder ich muss ihn meinerseits entsprechend diesem Vertrag binden.

Ebenso habe ich Wiederverkäufer, die ich ausserhalb der Schweiz beliefere, zur Verhinderung der Umgehung einer lückenlosen Preisbindung schriftlich für den Fall zu binden, dass sie in die Schweiz reimportieren. (...)».

10. Der Sammelrevers sieht Sanktionsmassnahmen vor, falls gegen die einschlägigen Bestimmungen verstossen wird: Ziffer A.6: «Ich verpflichte mich zur Zahlung einer Konventionalstrafe für den Fall des vorsätzlichen oder fahrlässigen Anbietens oder Gewährens unzulässiger Nachlässe.

Sie hat in der Höhe des Rechnungsbetrages des angestrebten oder vollzogenen Geschäfts zu entsprechen. Sie beträgt mindestens bei Preisbindungsverstössen 3000 Franken für den ersten Verstoss, 5000 Franken für jede Wiederholung und 10 000 Franken für unzulässige Nachlassangebote an eine Mehrzahl von Abnehmern. (...) Der Betrag
ist (sofern der Verlag nicht ausnahmsweise Zahlung an sich selbst wünscht) bei Preisbindungsverletzungen an den Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband zu zahlen.

Der Verlag ist berechtigt, neben oder anstelle der Geltendmachung der Vertragsstrafe seine sonstigen Rechte geltend zu machen. Insbesondere Lieferungen ­ auch aus laufenden Bestellungen ­ einzustellen; (...).» 11. Der Verlag seinerseits verpflichtet sich zur Gleichbehandlung seiner Abnehmer: Ziffer A.8: «Der Verlag verpflichtet sich mir gegenüber zur lückenlosen Preisbindung, zur Gleichbehandlung seiner Abnehmer in Preisbindungsfragen und zu der Bekanntga7779

be seiner Ladenpreise und Sonderpreise in einer Form, die die Gleichbehandlung aller Abnehmer sicherstellt. Der Verlag verpflichtet sich, die Preise bei Direktverkäufen selbst einzuhalten ... und die Preisbindung zu überwachen.» «Der Verlag verpflichtet sich mir gegenüber zur Zahlung einer Konventionalstrafe für den Fall, dass er seine gebundenen Preise (einschliesslich der Sonderpreise) selbst unterbietet oder die Unterbietung durch Dritte veranlasst. ... Die Konventionalstrafe kann für alle Betroffenen als Gesamtgläubiger nur einmal und nur von dem in A.11 genannten Bevollmächtigten (Preisbindungsbevollmächtigte, vgl.

Rz. 13) zur Zahlung an den SBVV geltend gemacht werden.» 12. Die Durchsetzung der Preisbindung obliegt dem Preisbindungstreuhänder der Verlage (vgl. Rz. 5, 14). Er ahndet im Auftrag der Verlage Verstösse gegen die Preisbindung seitens der Buchhändler und leitet gegebenfalls mit Antrag an den Obmann des Schiedsgerichts Schiedsverfahren ein. Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Sammelrevers werden durch ein Dreierschiedsgericht mit Sitz in Bern entschieden. Dieses setzt sich aus dem Obmann und zwei Fachrichtern zusammen (Ziffer A.10 Sammelrevers).

13. Mit der Unterzeichnung des Sammelrevers bevollmächtigen die Buchhändler die Preisbindungsbevollmächtigte als ihre Vertreterin gegenüber den Verlagen (bzw.

dem Preisbindungstreuhänder). Ihr Aufgabenbereich umfasst neben administrativorganisatorischen Tätigkeiten (vgl. Rz. 15) unter anderem die Ahndung von Preisbindungsverstössen durch die Verlage. Sie ist zudem bevollmächtigt, im Namen der betreffenden Buchhändler an Änderungen des Sammelrevers mitzuwirken und zu unterzeichnen (Ziffer A.11 Sammelrevers).

A.2

Bündelung der Preisbindungsverträge

14. Ein Buchhändler, der den oben dargestellten Preisbindungsvertrag in Form des Sammelrevers unterzeichnet (Willenserklärung zur Einhaltung der Preisbindung), verpflichtet sich, die Preisbindung für sämtliche am Sammelrevers beteiligten Verlage einzuhalten. Diese «Willenserklärung» der Buchhändler nimmt der Preisbindungstreuhänder als Vertreter jedes einzelnen Verlags gegenüber den Buchhändlern entgegen. Dadurch werden beim Preisbindungstreuhänder sämtliche auf dem Sammelrevers basierenden Preisbindungsverträge zwischen den Verlegern und den Händlern gesammelt, was eine Bündelung dieser Verträge zur Folge hat (vgl. schematische Darstellung in Rz. 17).

15. Das administrative Pendant zum Preisbindungstreuhänder der Verlage ist auf Seiten des Buchhandels die Preisbindungsbevollmächtigte. Mit Unterzeichnung des Sammelrevers wird sie von den betreffenden Buchhändlern bevollmächtigt, in deren Namen an Änderungen des Sammelrevers (bspw. Aufnahme eines neuen Verlags auf die Liste der am Sammelrevers beteiligten Verlage) mitzuwirken und zu unterzeichnen. Die Preisbindungsbevollmächtigte tritt damit im Namen der Buchhändler gegenüber den Verlagen bzw. gegenüber dem Preisbindungstreuhänder auf.

16. Ein weiteres Merkmal der Bündelung der Preisbindungsverträge beim Preisbindungstreuhänder und bei der Preisbindungsbevollmächtigten ist deren Vertreterfunktion in Sanktionsverfahren bei Verstössen gegen die Preisbindung durch Händler bzw. durch Verleger, indem sie u. a. Schiedsverfahren einleiten.

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17. Der Sammelrevers lässt sich schematisch folgendermassen darstellen:

18. Daneben bestehen auch Preisbindungen auf der Basis von Einzelvereinbarungen zwischen Verlagen und Buchverkaufsstellen. Deren Bedeutung im Vergleich zum Sammelrevers ist indes gering, sind doch 90 % aller vermarkteten Bücher über den Sammelrevers gebunden (vgl. Rz 21 ff.; Stellungnahme des SBVV vom 4. Februar 1999, S. 8 und 11 [act. 25]).

A.3

Marktteilnehmer

19. Die Hauptakteure im Vertriebsmarkt für Bücher sind die Verleger, die Zwischenbuchhändler, die Buchhändler (im Sinne von Verkaufsstellen inkl. Kioske und Warenhäuser) sowie die Endnachfrager, also die Leserschaft. Der Preisbindungstreuhänder der Verlage und die Preisbindungsbevollmächtigte des Buchhandels sind für die Administration und Überwachung des Systems sowie für dessen Durchsetzung zuständig, nehmen aber nicht als Anbieter oder Nachfrager am Marktgeschehen teil (vgl. Rz. 5). Dasselbe gilt für das Dreierschiedsgericht, welches im Streitfall auf Antrag des Preisbindungstreuhänders entscheidet.

20. Die Deutschschweizer Bücherbranche ist organisiert in einem Dachverband (Schweizerischer Buchhändler- und Verlegerverband, SBVV) sowie eigenständigen Fachverbänden: dem Buchhändler-Verband der deutschsprachigen Schweiz (BVDS), dem Buchverleger-Verband der deutschsprachigen und rätoromanischen Schweiz (VVDS), dem Zwischenbuchhändler-Verband der deutschsprachigen Schweiz (ZVDS) und dem Schweizerischen Adressbuch-Verleger-Verband (SAV).

Grundsätzlich nimmt der SBVV gemeinsame branchenpolitische Interessen seiner Fachverbände wahr und arbeitet mit anderen, namentlich ausländischen Buchverbänden zusammen. Neben allgemeinen administrativen Aufgaben ist der SBVV gemäss Art. 2 seiner Statuten u. a. verantwortlich für die Schaffung der «Voraussetzungen für geordnete Marktverhältnisse innerhalb der Branche und setzt sie mit Hilfe der Fachverbände durch» (Bst. a) sowie für die Unterstützung der Preisbindung zweiter Hand (Bst. b). Eine vergleichbare Funktion nimmt in Deutschland der

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Börsenverein des deutschen Buchhandels (Börsenverein) und in Österreich der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels wahr.

A.4

Marktdaten

21. Die zu den Marktverhältnissen vorliegenden Zahlen basieren auf Schätzungen der Branchenteilnehmer. Gemäss Auskunft des SBVV sind etwa 10% der deutschsprachigen Bücher nicht preisgebunden (Stellungnahme des SBVV vom 4. Februar 1999, S. 8 und 11 [act. 25]). Die nicht preisgebundenen Bücher lassen sich wie folgt charakterisieren: ­

zuweilen unterstellen Verlage gewisse Bücher bewusst nicht der Preisbindung; dabei handelt es sich in der Regel um Bücher zu Spezialgebieten, welche häufig nicht über den «klassischen» Sortimentsbuchhandel, sondern über Spezialgeschäfte, Warenhäuser oder auch Direct Marketing vertrieben werden;

­

so genanntes «Modernes Antiquariat»: dazu gehören vor allem Buchtitel, für welche der betreffende Verlag die Preisbindung aufgehoben hat, sowie auch Sonderausgaben, welche vom Buchhändler mit freiem Preisgestaltungsspielraum angeboten werden können.

­

Bücher, die in so genannten Buchclubs angeboten werden. In aller Regel handelt es sich bei solchen Büchern um «Bestseller», die mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung den Mitgliedern von Buchclubs zu günstigeren Bedingungen als im konventionellen Buchhandel angeboten werden. Buchclubs werden insbesondere von grösseren Verlagen, wie beispielsweise Bertelsmann, betrieben. Die besondere Eigenschaft von Buchclubs ist die Vertriebsart der Bücher; sie werden schriftlich auf Grund eines (beschränkten) Prospektangebotes bestellt und dem Leser auf postalischem Weg zugestellt.

22. Das deutschsprachige Verlagswesen setzt sich aus mehreren Tausend Unternehmen zusammen. Sämtliche Verlage, die ihre Bücher der Preisbindung mittels Sammelrevers unterwerfen, sind in einem Anhang zum Sammelrevers zusammengefasst (Liste der an den drei Sammelreversen 1993 für Deutschland, Österreich und die Schweiz beteiligten Verlage; act. 16). Demnach sind 160 Verlage in der Schweiz, 1315 in Deutschland und 118 in Österreich am Sammelrevers beteiligt (Stand: Oktober 1997). Die ­ am Umsatz gemessene ­ Mehrzahl der Verlagsunternehmen hat sich dazu entschlossen, ihre Bücher der Preisbindung zu unterstellen (vgl. Stellungnahme des SBVV vom 4. Febr. 1999, S. 4 [act. 25]). Umsatzmässig erreichen Bücher, die über das System des Sammelrevers preisgebunden sind, einen Marktanteil von 90 % (vgl. Rz. 18, 21).

23. Der Gesamtliste der am Sammelrevers beteiligten Buchverkaufsstellen (Stand 10. September 1998; act. 17) ist zu entnehmen, dass in der Schweiz 1730 Buchverkaufsstellen den Sammelrevers unterzeichnet haben. Gemäss SBVV beträgt der Jahresumsatz der Buchhandlungen mit umfassendem (breitem) bzw. spezialisiertem (tiefem) Sortiment ca. 600 Millionen Franken (traditionelle Buchhandlungen). Unter Einbezug der übrigen Verkaufsstellen (Warenhäuser, Kioske, Buchclubs usw.) beläuft sich der Gesamtumsatz auf ca. 800 Millionen Franken. Davon werden 10% mit

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nicht preisgebundenen Büchern erzielt. Als Bezugsquellen dienen allen Buchhändlern die Verlage direkt oder Zwischenbuchhändler.

A.6

Verfahren

24. Am 28. September 1998 eröffnete das Sekretariat der Wettbewerbskommission gemäss Art. 27 Kartellgesetz (KG) im Einvernehmen mit einem Mitglied des Präsidiums eine Untersuchung über die Preisbindung für deutschsprachige Bücher. Herr Martial Pasquier trat für die Dauer dieses Verfahrens in den Ausstand.

25. Als Parteien im Sinne von Art. 6 VwVG gelten diejenigen Personen, deren Rechte oder Pflichten von der Verfügung berührt werden, sowie diejenigen, welche ein Rechtsmittel gegen die Verfügung ergreifen können. Demnach gelten in casu alle Unterzeichner des Sammelrevers als Partei, welche auf irgendeine Weise am Vertrieb von Verlagserzeugnissen in der Schweiz beteiligt sind, sei es als Hersteller (Verleger), Zwischenbuchhändler oder Buchhändler.

26. Übersteigt die Anzahl Parteien zwanzig mit gleichen Interessen, kann das Sekretariat in Anwendung von Artikel 11a Absatz 1 VwVG verlangen, dass die betreffenden Parteien eine gemeinsame Vertretung bestimmen. Anlässlich einer ersten Unterredung von Mitgliedern des Sekretariats mit Vertretern des SBVV und des Börsenvereins vom 4. November 1998 wurde vereinbart, dass der SBVV die Interessen der Unterzeichner des Sammelrevers in der Schweiz, im Wesentlichen also die Einzelmitglieder der dem SBVV angeschlossenen Fachverbände (vgl. Rz. 20), im vorliegenden Verfahren vertritt. Diese Aufgabe entspricht denn auch Artikel 2 Buchstabe e der Statuten des SBVV, wonach dieser die Interessen seiner Mitglieder u. a. bei Behörden zu vertreten hat.

27. Mit Schreiben vom 4. März 1999 (act. 31) wurde der Börsenverein nach vorgängiger Rücksprache als ebensolcher Vertreter der am Sammelrevers beteiligten deutschen Verlage bezeichnet.

28. Die Eröffnung der Untersuchung wurde gemäss Artikel 28 KG durch amtliche Publikation im schweizerischen Handelsamtsblatt vom 9. Oktober 1998 und im Bundesblatt vom 13. Oktober 1998 bekannt gegeben (Publikationstext, act. 12). Im Verlaufe der dreissigtägigen Frist nach der Publikation der Eröffnung der Untersuchung haben sich keine weiteren Parteien bzw. betroffene Dritte gemeldet. Ebenso hat keine Partei gewünscht, nicht durch einen der Verbände vertreten zu werden.

29. Im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen wurden der SBVV als Vertreter der Unterzeichner des Sammelrevers sowie als Vertreter der ihm angeschlossenen Verbände bzw. deren
Mitglieder, der Börsenverein, die Ex Libris, die Valora sowie der Preisbindungstreuhänder der Verleger befragt.

30. Mit Schreiben vom 21. Mai 1999 wurden die Parteien eingeladen, sich zum Verfügungsentwurf des Sekretariats ­ also des Antrags an die Wettbewerbskommission ­ vernehmen zu lassen. Ein Aktenverzeichnis wurde beigelegt.

31. Auf Wunsch der Parteien hat die Wettbewerbskommission am 5. Juli 1999 eine informelle Anhörung angesetzt (Schreiben an SBVV und Börsenverein vom 22. Juni

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1999 betreffend Einladung zu Anhörung [act. 63]). Die Parteien haben ihre Teilnahme indes im letzten Augenblick abgesagt (act. 76).

32. Mit Eingaben vom 11. August 1999 (Börsenverein; act. 88) bzw. 16. August 1999 (SBVV; act. 90) nahmen die Parteien Stellung zum Verfügungsentwurf. In beiden Stellungnahmen wurden identische Anträge gestellt: 1.

Die Untersuchung betreffend die Preisbindung im Buchhandel sei einzustellen;

eventualiter 2.

es sei gegenüber der Wettbewerbskommission zu beantragen, die Untersuchung über die Preisbindung im Buchhandel sei einzustellen;

subeventualiter 3.

es sei gegenüber der Wettbewerbskommission zu beantragen, die Buchpreisbindung als im Sinne von Art. 5 KG effiziente Abrede als zulässig zu qualifizieren;

im Falle einer Fortsetzung des Untersuchungsverfahrens 4.

es sei bezüglich der bestrittenen Sachverhaltsdarstellung ein Beweisverfahren durchzuführen;

5.

dem SBVV (bzw. Börsenverein) sei nach Ausarbeitung des definitiven Antrags an die Wettbewerbskommission eine Frist für die Einreichung einer Stellungnahme gem. Art. Art. 30 KG zu gewähren;

6.

es sei nach Einreichung der Stellungnahme des SBVV (bzw. Börsenverein) zum definitiven Antrag des Sekretariats der Wettbewerbskommission (vgl.

Ziffer 5) ein Termin für eine Anhörung vor der Wettbewerbskommission im Sinne von Art. 30 Abs. 2 KG anzusetzen.

33. Mit Antrag 4. fordern die Parteien, in Bezug auf die bestrittene Sachverhaltsdarstellung ein Beweisverfahren durchzuführen. In tatsächlicher Hinsicht betreffen diese Anträge einzelne Marktdaten und die Rolle des Preisbindungstreuhänders, die im Sammelrevers geregelt ist. Die für die Beurteilung der Wettbewerbsverhältnisse im Buchhandel relevanten Marktdaten wurden von den Parteien bereits im Rahmen der ersten Befragung beigebracht (vgl. Rz. 21). Die Wettbewerbskommission erachtet es deshalb als nicht erforderlich, diesbezüglich weitere Untersuchungsmassnahmen anzuordnen. Betreffend die Rolle des Preisbindungstreuhänders ist der Aktenstand für die Würdigung ausreichend, sodass weitere Untersuchungsmassnahmen ebenfalls nicht erforderlich sind.

34. Im Weiteren betreffen die Anträge der Parteien Fragen der Würdigung im Zusammenhang mit der Rolle des Preises im Büchermarkt sowie den Eigenschaften des Produktes «Buch», nicht aber sachverhaltsrelevante Aspekte mit ausdrücklichem Bezug auf den Untersuchungsgegenstand, nämlich die horizontalen Abreden im Handel mit deutschsprachigen Büchern in der Schweiz. Soweit sachdienlich, wurde der Argumentation der Parteien Rechnung getragen (vgl. Rz. 79 ff.).

35. Abgesehen davon haben es die Parteien unterlassen, konkrete Anträge zu stellen, über die ein Beweisverfahren hätte geführt werden können bzw. müssen. Infolgedessen und angesichts der Aktenlage hält es die Wettbewerbskommission nicht für erforderlich, weitere Beweise abzunehmen und lehnt Antrag 4. ab.

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36. Gemäss Artikel 30 Absatz 2 KG haben die Parteien das Recht, zum Antrag des Sekretariats Stellung zu nehmen. Dieses Recht haben sie mit ihren schriftlichen Stellungnahmen vom 11. und 16. August 1999 (act. 88 und 90) wahrgenommen.

Der Wettbewerbskommission wurden diese Stellungnahmen zur Kenntnis gebracht.

Da sie keine neuen entscheidrelevanten Sachverhaltselemente zu Tage gefördert haben und der definitive Antrag gegenüber der den Parteien zugestellten Version keine Änderungen erfahren hat, welche eine nochmalige Stellungnahme der Parteien erfordern würden, wird Antrag 5. abgelehnt.

37. Mit Antrag 6. verlangen die Parteien eine Anhörung vor der Wettbewerbskommission im Sinne von Artikel 30 Absatz 2 KG. Gemäss dieser Bestimmung kann die Wettbewerbskommission beteiligte Parteien im Rahmen der Sachverhaltsabklärungen direkt anhören, wenn es die Umstände als notwendig erscheinen lassen. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht auf andere Weise rechtsgenüglich erfüllt werden kann. Ein Rechtsanspruch der Parteien auf eine Anhörung besteht damit grundsätzlich nicht (vgl. Jürg Borer, Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz, ad Art. 30 Rz. 6). In casu haben die Parteien zum Antrag des Sekretariats Stellung genommen. Der Wettbewerbskommission wurden diese Stellungnahmen zur Kenntnis gebracht. Unter Berücksichtigung aller Umstände erachtet es die Wettbewerbskommission als nicht erforderlich, eine Anhörung im Sinne von Art. 30 Abs. 2 KG durchzuführen.

C C.1

Erwägungen Geltungsbereich

38. Das Kartellgesetz gilt für Unternehmen des privaten und öffentlichen Rechts, die Kartell- oder andere Wettbewerbsabreden treffen, Marktmacht ausüben oder sich an Unternehmenszusammenschlüssen beteiligen (Art. 2 Abs. 1 KG). Das Gesetz gilt auch dann, wenn Sachverhalte im Ausland veranlasst wurden, sich aber in der Schweiz auswirken (Art. 2 KG Abs. 2 KG).

C.1.1

Unternehmen

39. Als Unternehmen gelten alle selbstständigen Einheiten, welche im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit als Anbieter oder als Nachfrager auftreten. Die Verleger, Zwischenbuchhändler und Buchhändler, welche im Büchermarkt die Hauptglieder der Vertriebskette darstellen, sind als solche Unternehmen zu qualifizieren. Als am Sammelrevers Beteiligte sind somit auch Verlage mit Sitz in Deutschland, welche Verlagserzeugnisse in die Schweiz exportieren, dem Geltuungsbereich des schweizerischen Kartellgesetzes unterworfen.

C.1.2

Wettbewerbsabreden (Art. 4 Abs. 1 KG)

40. Als Wettbewerbsabreden gelten rechtlich erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen gleicher oder verschiedener Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken (Art. 4 Abs. 1 KG).

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41. Eine Wettbewerbsabrede definiert sich dadurch, dass die an der Abrede beteiligten Unternehmen bewusst und gewollt zusammenwirken, und dass die Abrede eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt.

42. Aus dem Sachverhalt geht hervor, dass das Sammelreverssystem auf Grund ­

des von der Mehrzahl der Verlage und Händler entsprechend geäusserten Willens zur Preisbindung (vgl. Rz. 4, 21),

­

der organisatorischen Bündelung von identisch lautenden Preisbindungsverträgen (vgl. Rz. 14 ff.),

­

seiner Anwendung auf 90 % der deutschsprachigen Bücher (vgl. Rz. 21) und

­

der strikten Durchsetzung (vgl. Rz 12, 13, 23 ff.)

weitestgehend branchenumfassend und lückenlos wirkt. Der Sammelrevers als organisatorische Bündelung vertikaler Preisbindungsvereinbarungen führt zu einer kollektiven Preisbindung. In Bezug auf das Marktergebnis unterscheidet er sich damit nur unwesentlich von der alten Marktordnung, im Rahmen derer die Verlage die Endverkaufspreise ebenfalls festgeschrieben hatten, jedoch nur in ihrer jeweiligen Landeswährung. In der Schweiz erfolgten die erforderlichen Umrechnungen der Verkaufspreise in Franken auf der Basis von verbindlichen Wechselkursumrechnungstabellen des SBVV (vgl. Rz. 3).

43. Wie im Folgenden gezeigt wird, liegen der aktuellen kollektiven Preisbindung mittels Sammelrevers neben den vertikalen Preisbindungsverträgen in der Tat zwei gleichgerichtete horizontale Abreden im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 KG zu Grunde: eine zwischen den Verlegern und eine zwischen den Buchhändlern.

C.1.2.1 Wettbewerbsabrede zwischen den Verlegern 44. Die Mehrzahl der im deutschsprachigen Raum ansässigen Verleger hat sich dazu entschlossen, ihre Bücher preisgebunden zu vermarkten und die Preisbindung mittels Sammelrevers um- und durchzusetzen (vgl. Rz. 21). Damit zeigt sich einerseits das Zusammenwirken dieser Verleger in Hinsicht auf den Willen, Bücher lückenlos preisgebunden zu verkaufen, sowie andererseits das Zusammenwirken in Hinsicht auf die Umsetzung der Preisbindung über den Sammelrevers. Ein weiteres Merkmal des Zusammenwirkens der Verleger ist die Bereitschaft, Verstösse gegen die Preisbindung auf einheitlicher Basis sanktionieren zu lassen (vgl. Rz. 10).

45. Dieser einheitliche Wille der Verleger ist ein Wesensmerkmal des Sammelrevers. Ermöglichen voneinander unabhängige vertikale Abreden zwischen den jeweiligen Herstellern und ihren Händlern zumindest Systemwettbewerb zwischen den einzelnen vertikalen Ketten, führt die branchenweit praktizierte organisatorische Bündelung vertikaler Abreden zu einer einheitlichen Marktordnung.

46. Die lückenlose Preisbindung schaltet den Preiswettbewerb um das gebundene Buch auf der Stufe des Handels aus, weil der Händler den Preis als Wettbewerbsparameter nicht einsetzen kann. Ein bestimmtes preisgebundenes Buch wird daher bei jedem Buchhändler zu exakt demselben Preis verkauft. Daraus resultiert offensichtlich eine Wettbewerbsbeschränkung auf Handelsstufe.

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47. Damit ist erstellt, dass das bewusste und gewollte Zusammenwirken der Verleger hinsichtlich Umsetzung der Preisbindung für 90 % aller deutschsprachigen Bücher mittels Sammelrevers als horizontale Abrede zwischen Verlagen zu qualifizieren ist, die auf Stufe Buchhandel Wettbewerbsbeschränkungen bewirkt.

C.1.2.2 Wettbewerbsabrede zwischen den Buchhändlern 48. Wie auf Verlagsstufe hat sich auch auf Buchhandelsstufe der grösste Teil der Marktteilnehmer in der Schweiz dem Sammelrevers unterworfen. Ausdruck dieses bewussten und gewollten Zusammenwirkens der Buchhändler ist unter anderem der einstimmige Beschluss betreffend die Einführung der neuen Marktordnung anlässlich der 43. Generalversammlung des SBVV vom 18. Juni 1991 (vgl. Rz. 4). Das Zusammenwirken drückt sich aber auch in der Bereitschaft der Händler aus, Verstösse gegen die Preisbindung durch den Preisbindungstreuhänder ahnden und sanktionieren zu lassen sowie allfällige Konventionalstrafen zu entrichten (vgl.

Rz. 10).

49. Mit der Einbindung in das lückenlose Preisbindungssystem des Sammelrevers verpflichten sich die Händler, die von den Verlagen vorgegebenen Endverkaufspreise einzuhalten. Der damit ausgeschaltete Preiswettbewerb um das gebundene Buch auf der Stufe des Handels bewirkt dort eine Wettbewerbsbeschränkung (vgl.

Rz. 77 ff.).

50. Damit ist erstellt, dass das Einbinden der Buchhändler in den Sammelrevers als horizontale Wettbewerbsabrede zwischen Buchhändlern zu qualifizieren ist, die auf Stufe Buchhandel eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt. Es liegt eine Wettbewerbsabrede im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 KG zwischen den Buchhändlern vor.

C.1.2.3 Gemeinsamkeiten 51. Den beiden horizontalen Abreden liegt derselbe Wille zu Grunde, nämlich die Durchsetzung einer einheitlichen, umfassenden Marktordnung mittels lückenloser Preisbindung. Der Umsetzung dieses gemeinsamen Willens dient der Sammelrevers, der die vertikalen Preisbindungsverträge organisatorisch bündelt (vgl. Rz. 14 ff.).

Für beide Seiten ­ Verlage sowie Händler ­ sind mit dem Preisbindungstreuhänder und der Preisbindungsbevollmächtigten je eine Person bestimmt, welche die kollektiven Interessen der einen Seite der anderen Seite gegenüber vertreten bzw. für die Durchsetzung verantwortlich sind, indem sie Verstösse ahnden und gegebenenfalls über die Einleitung eines Schiedsverfahrens entscheiden.

52. Die Umsetzung dieses gemeinsamen Willens mit der branchenweit einheitlichen Preisfestsetzung auf Handelsstufe wirkt sich wettbewerbsbeschränkend aus, und zwar in erster Linie auf Buchhandelsstufe.

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C.1.3

Zuständigkeit

53. Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Wettbewerbskommission für die Untersuchung der Auswirkungen des Sammelrevers auf den Handel mit deutschsprachigen Büchern in der Schweiz nach Massgabe des Kartellgesetzes zuständig ist.

C.1.4

Vorbehaltene Vorschriften

54. Dem KG sind Vorschriften vorbehalten, die auf einem Markt für bestimmte Waren oder Leistungen Wettbewerb nicht zulassen, insbesondere Vorschriften, die eine staatliche Markt- oder Preisordnung begründen, und solche, die einzelne Unternehmen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Rechten ausstatten (Art. 3 Abs. 1 KG). Ebenfalls nicht unter das Gesetz fallen Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben (Art. 3 Abs. 2 KG).

55. In den hier zu beurteilenden Märkten gibt es keine Vorschriften ­ namentlich auch urheberrechtlicher Natur ­, die Wettbewerb nicht zulassen. Der Vorbehalt von Art. 3 Absätze 1 und 2 KG wird von den Parteien auch nicht geltend gemacht.

C.2 C.2.1

Unzulässigkeit der Wettbewerbsabrede über die indirekte Festsetzung von Preisen auf Handelsstufe mittels Sammelrevers Unzulässigkeitsvermutung

56. Laut Artikel 5 Absatz 1 KG sind Abreden, die den Wettbewerb auf einem Markt für bestimmte Waren oder Leistungen erheblich beeinträchtigen und sich nicht durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz rechtfertigen lassen, sowie Abreden, die zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs führen, unzulässig.

57. Gemäss Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe a KG wird die Beseitigung wirksamen Wettbewerbs bei Abreden über die direkte oder indirekte Festsetzung von Preisen vermutet, sofern sie zwischen Unternehmen getroffen werden, die tatsächlich oder der Möglichkeit nach miteinander im Wettbewerb stehen.

58. Angesichts der organisatorischen Bündelung als Ausdruck des gemeinsamen Willens und der damit einhergehenden gemeinsamen Auswirkung sind die dem Sammelreverssystem unterliegenden horizontalen Abreden (Rz. 43 ff. und 47 ff.)

einheitlich als horizontale Abrede über die (indirekte) Festsetzung der Preise auf Handelsstufe zu qualifizieren.

59. Mit der Unterzeichnung des Sammelrevers verpflichten sich sämtliche Buchhändler, die von den Verlagen festgesetzten Verkaufspreise einzuhalten. Zudem gibt es nur eine abschliessend und angesichts der Bündelung der Preisbindungsverträge grundsätzlich einheitlich geregelte Rabattierungsordnung. Damit sind die Preisgestaltungselemente der Händler gleich- bzw. ausgeschaltet. Insgesamt haben die Buchhändler auf Grund der horizontalen Abrede der Verleger, die Preisbindung mittels Sammelrevers durchzusetzen, Gewissheit über die Preispolitik ihrer Konkurrenten. Die Einbindung in den Sammelrevers seitens der Buchhändler sowie die Tatsache, dass 90 % des deutschsprachigen Bücherangebots davon betroffen sind, ent7788

spricht daher einer (indirekten) Festsetzung der Preise auf der Handelsstufe, also zwischen Buchhändlern, die tatsächlich oder der Möglichkeit nach miteinander im Wettbewerb stehen (vgl. auch RPW 1997/3, 341).

60. Für die Unterstellung unter den Vermutungstatbestand ist nicht der Wille, sondern die Wirkung der Preisfestsetzung entscheidend. Mit welchen Mitteln diese Wirkung erreicht wird, ist ohne Belang (BBl 1995 I 567 [Botschaft]). Die Bündelung der Preisbindungsverträge durch den Sammelrevers beseitigt deshalb vermutungsweise den Preiswettbewerb auf der Stufe des Buchhandels.

61. Die Parteien machen geltend, dass die Preisbindung den Preiswettbewerb zwischen den Verlagen grundsätzlich bestehen lasse. Inwiefern dies tatsächlich zutrifft, ist vorliegend nicht zu prüfen. Gegenstand der Untersuchung ist die festgestellte horizontale Preisabrede auf der Handelsstufe, auf Grund derer sich die einzelnen Händler keinen Preiswettbewerb liefern (können).

62. Die Vermutung der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs kann umgestossen werden, wenn sich zeigt, dass trotz der Wettbewerbsabreden wirksamer Aussenoder Innenwettbewerb bestehen bleibt (Botschaft, S. 98). Um festzustellen, ob die Abrede über die indirekte Festsetzung der Preise auf der Handelsstufe den wirksamen Wettbewerb tatsächlich beseitigt bzw. ob sich die Vermutung widerlegen lässt, ist vorab der relevante Markt abzugrenzen.

C.2.2 Marktabgrenzung C.2.2.1 Sachlich relevanter Markt 63. Der sachlich relevante Markt umfasst alle Waren oder Leistungen, die von der Marktgegenseite in Hinsicht auf ihre Eigenschaften und ihren vorgesehenen Verwendungszweck als substituierbar angesehen werden (in analoger Anwendung von Art. 11 Abs. 3 Bst. a Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, VKU).

64. Auszugehen ist vom Untersuchungsgegenstand, also der Überprüfung der kartellgesetzlichen Zulässigkeit des Sammelrevers für den Verkauf preisgebundener Bücher in der Schweiz. Dabei geht es nicht um die Herstellung der Bücher ­ mithin das Produkt ­, sondern um deren Vertrieb, regeln doch die Abreden die Festsetzung der Publikumspreise auf Handelsstufe (vgl. Verfügung i. S. Sammelrevers für Musiknoten, RPW 1997, 339 Rz 37).

65. Die Marktgegenseite ist im vorliegenden Fall das Publikum (Leserschaft), welches Bücher erwirbt. Dies könnte a priori eine enge Marktabgrenzung nach einzelnen Büchern nahelegen, was in casu aber weder opportun noch notwendig ist. Zwar mag für einen bestimmten Leser im konkreten Einzelfall ein Buch, das er zu erwerben gedenkt, auf Grund spezifischer Eigenschaften (Gattung, Autor, Fachgebiet usw.) nicht gegen ein anderes austauschbar sein. Bei einem solchen Ansatz liesse sich der Markt in eine fast beliebig grosse Anzahl an Märkten und Teilmärkten aufteilen. Alleine schon auf Grund der Tatsache, dass der Sammelrevers 90 % aller Bücher betrifft, die von Verlagen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hergestellt und vertrieben werden und daher entsprechend branchenumfassende Auswirkungen hat, kann auf eine dermassen disaggregierte Analyse verzichtet werden. Die 7789

wettbewerblichen Auswirkungen des Sammelrevers sind nämlich in jedem Teilmarkt identisch.

66. Für die Marktabgrenzung ist zu berücksichtigen, dass ­

der Leser über einen längeren Zeitraum betrachtet immer wieder andere Bücher nachfragt und sein diesbezügliches Nachfrageverhalten daher einen heterogenen Charakter aufweist. Auf die Gesamtheit der bücherkaufenden Leserschaft trifft dieser Aspekt der heterogenen Nachfrage entsprechend verstärkt zu;

­

diese heterogene Nachfrage zur aktuellen Handels- bzw. Vertriebsstruktur geführt hat, welche gekennzeichnet ist von einem überwiegenden Anteil an «traditionellen» Buchhandlungen und in jüngerer Zeit auch Internet-Buchhandlungen mit Vollsortimenten sowie spezialisierten Buchhandlungen mit Teilsortimenten. Dies ist als Reaktion auf die Notwendigkeit zu werten, im Einzelfall die fragmentierte Nachfrage befriedigen zu können. Die Buchhändler halten ein breites bzw. tiefes Sortiment aus dem Gesamtbüchermarkt bereit oder beschaffen ein gewünschtes Buch in kurzer Zeit. Grundsätzlich hat jeder Buchhändler die Möglichkeit, jedes deutschsprachige Buch zu beschaffen, sofern er sich mittels Beitritts zum Sammelrevers verpflichtet, die Preisbindung für davon betroffene Bücher einzuhalten. Dies gilt für den traditionellen Buchhandel ebenso wie für den Internet-Buchhandel, Warenhäuser, Kioske und andere Buchverkaufsstellen.

67. Angesichts dieser Tatsachen ist für die Marktabgrenzung nicht von einzelnen Büchern oder Kategorien von Büchern, sondern von Buchverkaufsstellen bzw. einzelnen Sortimenten auszugehen.

68. Als spezielle Vertriebsform bzw. Buchverkaufsstelle sind die Buchclubs zu erwähnen. Diese vermarkten in aller Regel nicht preisgebundene Bücher. Folglich bieten sie nicht das gesamte Büchersortiment, sondern nur ein enges Teilsortiment an. Zudem ist der Bücherbezug bei Buchclubs an eine Mitgliedschaft gebunden, welche nur bei gewissen jährlichen Mindestbestellmengen gewährt wird. Aus diesen Gründen sowie angesichts der Tatsache, dass eine Buchverkaufsstelle auf Grund der heterogenen Nachfragestruktur ein breites Sortiment oder Teilsortiment anbieten muss, ist es fraglich, ob ein Buchclub aus der Sicht der Marktgegenseite eine Alternative darstellt. Diese Frage kann aber letztlich offen gelassen werden, da Buchclubs mit preisungebundenen Büchern (weniger als 10% des Gesamtangebots) im Gesamtmarkt eine unbedeutende Rolle spielen. Im Folgenden werden Buchclubs in den Erwägungen dennoch als dem relevanten Markt zugehörig angenommen.

69. Insgesamt ist also davon auszugehen, dass das Publikum für den Erwerb eines bestimmten Buches eine der ihm zur Verfügung stehenden Verkaufsstellen mit demjenigen Sortiment auswählt, bei der es sich verspricht, dieses Buch zu erhalten.

Untereinander austauschbar sind dabei diejenigen Sortimente oder Teilsortimente, die aus Sicht des Publikums in Hinsicht auf ein spezifisches Bedürfnis austauschbar sind (Art. 11 Abs. 3 Bst. a VKU). Für den einen Zweck können dies sämtliche Verkaufsstellen sein, für einen anderen Zweck kommen nur bestimmte Buchverkaufsstellen in Frage. Über die gesamte Nachfrage hinweg betrachtet, rechtfertigt es sich jedoch im vorliegenden Fall, sämtliche Sortimente und Teilsortimente bzw. Buchverkaufsstellen als austauschbar zu betrachten.

7790

70. Aus diesem Grund umfasst der sachlich relevante Markt den deutschsprachigen Buchhandel insgesamt bzw. Verkaufsstellen mit Voll- oder Teilsortimenten von deutschsprachigen Büchern.

C.2.2.2 Räumlich relevanter Markt 71. Der räumliche Markt umfasst das Gebiet, in welchem die Marktgegenseite die den sachlichen Markt umfassenden Waren oder Leistungen nachfragt oder anbietet (Art. 11 Abs. 3 lit. b, VKU, der hier analog anzuwenden ist).

72. Auf Grund der im Verhältnis zum Beschaffungspreis relativ hohen Transaktionskosten fragt die Leserschaft Bücher in der Regel in einer von ihr aus nahe gelegenen Buchverkaufsstelle nach. Dieses Faktum würde für eine regionale Abgrenzung sprechen.

73. In Anbetracht der Lückenlosigkeit der Preisbindung sowie der Tatsache, dass die Verlage die Verkaufspreise in CHF, DEM und AUS festsetzen und diese in den entsprechenden Währungsgebieten auch strikte einzuhalten sind (vgl. Rz. 10), führen die Abreden zu einer Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen in den jeweiligen Währungsräumen. Die homogenen Bedingungen haben zur Folge, dass der Revers ungeachtet der definitiven Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes immer dieselben Auswirkungen zeitigt und dementsprechend auch denselben Anteil des Marktes, nämlich 90%, beschlägt. Deshalb rechtfertigt es sich, für die Belange dieser Untersuchung von der Schweiz als räumlich relevantem Markt auszugehen.

74. Für eine solche Abgrenzung spricht zudem die Tatsache, dass die mit dem Sammelrevers erreichte Lückenlosigkeit der Preisbindung einen wirksamen Parallelimport innerhalb des gesamten deutschsprachigen Raums verhindert. Wer z. B. als Zwischenhändler in Deutschland mit preisgebundenen Büchern beliefert werden will, muss den Revers selbst unterzeichnen und beim Verkauf darauf achten, dass der Abnehmer sich dem System ebenfalls unterworfen hat, also die von den Verlagen festgesetzten Verkaufspreise in den jeweiligen Währungsräumen einhält. Sodann müssen Wiederverkäufer, die ausserhalb der Schweiz beliefert werden, für den Fall gebunden werden, dass sie in die Schweiz reimportieren, und zwar zur «Verhinderung der Umgehung einer lückenlosen Preisbindung» (Ziffer A.5, 3. Satz Sammelrevers).

75. Die allmähliche Verbreitung von Internet-Buchhandlungen insbesondere im Ausland würde an sich für eine weitere Marktabgrenzung sprechen. Allerdings werden auch Internet-Buchhandlungen von den am Sammelrevers beteiligten Verlagen nur mit preisgebundenen Büchern beliefert, wenn sie sich zur Einhaltung der Preisbindung
verpflichten. Damit ergeben sich in Hinsicht auf den Untersuchungsgegenstand im Internet-Handel faktisch dieselben Wettbewerbsbedingungen wie für die übrigen Vertriebskanäle. Eine Ausweitung der räumlichen Marktabgrenzung wegen der Internet-Buchhandlungen ist daher in casu nicht notwendig und wäre auch gar nicht entscheiderheblich.

76. Eine Berücksichtigung von Buchclubs, bei denen die georderte Ware in der Regel postalisch vertrieben wird, ist ebenfalls nicht entscheiderheblich, weil Buchclubs im Gesamtmarkt eine zu geringe Bedeutung haben.

7791

C.2.2.3 Relevanter Markt 77. Aus dem Vorstehenden folgt, dass der relevante Markt den Handel mit deutschsprachigen Büchern unter Einbezug sämtlicher Buchverkaufsstellen («traditioneller» Buchhandel, Internet-Buchhandel, Warenhäuser, Kioske und Buchclubs) im Währungsgebiet der Schweiz umfasst. Eine engere, z. B. regionale Marktabgrenzung wäre ebenfalls vertretbar, würde aber angesichts der homogenen Marktverhältnisse zum selben Ergebnis führen.

C.2.3

Keine Widerlegung der Vermutung

78. Die kollektive Preisbindung betrifft 90 % aller im relevanten Markt vertriebenen Bücher. Den Rest machen im Wesentlichen über Einzelvereinbarungen preisgebundene Bücher, das «moderne Antiquariat», die von den jeweiligen Verlegern nicht preisgebundenen Bücher und «Buchclubs» aus.

C.2.3.1 Innenwettbewerb 79. In Bezug auf den Innenwettbewerb ist festzustellen, dass die lückenlose Preisbindung in erster Linie zu einer Ausschaltung des Preiswettbewerbs führt. Der Sammelrevers bewirkt, dass 90 % der Bücher ­

in einer definierten Mengeneinheit

­

in einer festgelegten Qualität

­

zu einem gegebenen Zeitpunkt

im gesamten Schweizer Buchhandel zum selben Preis angeboten werden.

80. Die Parteien machen in ihren Stellungnahmen mehrmals geltend, dass der Preis auf Grund der Besonderheit des Produktes Buch nicht der entscheidende Wettbewerbsparameter sei. Entscheidend sei der «Interbrand-Wettbewerb». Dieser werde aber nicht tangiert, denn die Preisbindung betreffe jeweils nur einen einzelnen Titel und habe deshalb nur sehr punktuelle Auswirkungen auf den Wettbewerb. Insgesamt könne keine Rede davon sein, dass die Verhinderung des Preiswettbewerbs auf einen einzelnen Titel den Preiswettbewerb auf dem Büchermarkt gänzlich ausschalte.

81. Diese Argumentation mag für Betrachtungen des Produktemarktes «Buch» zutreffen. In casu ist sie aber nicht stichhaltig, da die Auswirkungen des Sammelrevers auf den Buchhandel untersucht werden, konkret die marktumfassende Festsetzung der Verkaufspreise. Angesichts der kollektiven Preisbindung, welche insgesamt 90 % des gesamten deutschsprachigen Bücherangebots in der Schweiz erfasst, können sich die Buchhändler über 90 % des Bücherangebots keinen Preiswettbewerb liefern. Damit ist nachgewiesen, dass die Preisbindung für den überwiegenden Teil des Gesamtangebots im deutschsprachigen Buchhandel letztlich nicht punktuell, sondern horizontal umfassend über eben diese 90 % des gesamten Buchangebotes auswirkt und damit zu einer Beseitigung des Innen(preis)wettbewerbs auf Handelsstufe führt.

82. Die Parteien machen weiter geltend, dass es sich bei Artikel 5 Absatz 3 KG um eine Ausnahmevorschrift handle, welche eng auszulegen sei. Aus ökonomischer 7792

Sich ist der Preis (d. h. der relative Preis bei gegebener Qualität und Mengeneinheit) der zentrale Parameter für die Kaufentscheidung der Konsumenten. Der Marktpreis, der für ein Gut erzielt werden kann, ist aber auch für die Produzenten das zentrale Kriterium, ob sie mehr, weniger oder überhaupt bzw. anders produzieren wollen.

Der funktionierende Preismechanismus als Ergebnis von Wettbewerb unter den Wirtschaftsakteuren garantiert damit die statische und dynamische Effizienz einer Volkswirtschaft im Allgemeinen und einzelner Märkte im Besonderen. Der Preis ist damit das zentrale Informationssignal für wirtschaftliche Entscheidungen. Das Kartellgesetz als wichtigstes wettbewerbspolitisches Instrument hat dort zu intervenieren, wo der Preismechanismus bzw. die Preisinformationssignale ­ mithin die statischen und dynamischen Effizienzwirkungen des Wettbewerbs ­ gestört sind, damit die Ressourcen wieder einem optimalen Verwendungszweck zugeführt werden können. So gilt auch für den Büchermarkt, dass der relative Preis für ein einmal ausgewähltes Buch der ausschlaggebende Parameter ist. Insofern unterscheidet sich das Buch nicht von einem anderen Wirtschaftsgut.

83. Diesem Umstand und vor allem der Bedeutung des Preises für die Wettbewerbspolitik trägt das Kartellgesetz speziell Rechnung. Insofern handelt es sich deshalb bei Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe a KG nicht um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand, sondern um einen Anwendungsfall des wirksamen Wettbewerbs.

84. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das Argument der Parteien wenig stichhaltig, wonach sich Buchhandlungen vermehrt mit Serviceparametern wie fachkundiger Beratung, kundengerechter Sortimente, effizientem Bestellwesen sowie Schaffung von attraktiven Verkaufsstellen einen Qualitäts- und Leistungswettbewerb liefern.

85. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass ein gewisser Qualitäts- und Leistungswettbewerb zwischen den Buchhändlern existiert. Indem es aber den Buchhändlern verwehrt ist, den Preis als Wettbewerbsparameter einzusetzen, ist es ihnen nicht nur unmöglich, Sonderaktionen und andere preisliche (Marketing-)Massnahmen durchzuführen, sondern auch die oben erwähnten Serviceleistungen einzelbetrieblich mit einem entsprechenden Verkaufspreis abgelten zu lassen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Serviceleistungen
nicht in optimaler Weise angeboten werden bzw. dass der Leistungs- und Qualitätswettbewerb aufgrund des ausgeschalteten Preiswettbewerbs ebenfalls verzerrt ist.

86. Aus Konsumentensicht führt der fehlende Preiswettbewerb dazu, dass der einzelne Buchkäufer auf Grund der ungenügenden Mischung der Parameter Preis und Qualität keine Wahlentscheidung hinsichtlich dem Preis-Leistungs-Mix eines Buchhändlers hat.

87. Damit ist erstellt, dass der Innenwettbewerb im relevanten Markt beseitigt ist.

C.2.3.2 Aussenwettbewerb 88. In Bezug auf den Aussenwettbewerb ist festzuhalten, dass die 10 % preisungebundener Bücher (modernes Antiquariat, Buchclubs) im relevanten Markt in Bezug auf Qualität und Quantität im Vergleich zum traditionellen Buchhandel nur ein sehr beschränktes Sortiment ergeben. Auf jeden Fall können damit die Sorti-

7793

mente, welche zu 90% aus preisgebundenen Büchern zusammengesetzt sind, nicht konkurrenziert werden.

89. Allenfalls könnte der einzelne Leser danach trachten, mit Direktimporten von Währungsdifferenzen zu profitieren. Die hohen Transaktionskosten im Verhältnis zum Preis des einzelnen Buches (vgl. Rz. 68) machen diese Möglichkeit allerdings höchstens für die Nachfrager im Grenzgebiet zu Deutschland und Österreich einigermassen interessant. Vom Währungsvorteil profitieren grundsätzlich auch die Kunden von deutschen Internet-Buchhandlungen. Allerdings wird dieser Vorteil in der Regel durch die Versandkosten wieder aufgehoben. Auch dieser Wettbewerb ist demnach als vernachlässigbar einzustufen.

90. Aussenwettbewerb in Form von Verkaufsstellen mit einem umfassenden, aber preisungebundenen Angebot existiert daher nicht.

C.2.3.3 Potentielle Konkurrenz 91. Es gibt ferner auch keine potentielle Konkurrenz, weil die Geschäftstätigkeit als Voll- oder Teilsortiments-Buchhändler ­ auch als Internet-Buchhändler ­ nur dann Erfolg versprechend ist, wenn sich der Händler dem Sammelreverssystem anschliesst. Andernfalls ist es ihm nicht möglich, ein an der heterogenen Nachfrage orientiertes sowie entsprechend breites und/oder tiefes Angebot bereitzustellen. So räumt der SBVV ein, dass für den Marktauftritt eines Buchhändlers die Möglichkeit, sich durch eine geschickte Sortimentspolitik von der Konkurrenz abzuheben, von zentraler Bedeutung ist (vgl. Stellungnahme vom 16. August 1999, Rz. 53; act. 90).

Eine solche Politik kann indes nicht verfolgt werden, wenn auf lediglich 10 % des Gesamtsortiments zurückgegriffen werden kann.

92. Aus den genannten Gründen wird ersichtlich, dass auch keine potentielle Konkurrenz besteht.

C.2.4

Ergebnis

93. Aus den genannten Gründen (fehlender Innen- und Aussenwettbewerb sowie verzerrter Service- und Qualitätswettbewerb) kann die Vermutung der Beseitigung wirksamen Wettbewerbs nicht widerlegt werden. Die kollektive Preisbindung mittels Sammelrevers beseitigt den Wettbewerb im relevanten Markt nach Massgabe von Artikel 5 Absätze 1 und 3 Buchstabe a KG. Eine Rechtfertigung aus Gründen der ökonomischen Effizienz ist ausgeschlossen (Art. 5 Abs. 1 KG).

C.3

Überwiegende öffentliche Interessen

94. Die Parteien machen geltend, dass die Besonderheiten des Gutes «Buch» einen Hauptaspekt des Büchermarktes darstellten und Bücher deshalb einer besonderen Vertriebsform bedürften. Dieser Aspekt wird unter anderem mit spezifischen Eigenschaften des deutschsprachigen Büchermarktes im Vergleich zum (preisbindungsfreien) englischsprachigen Büchermarkt beleuchtet. Insbesondere wird anhand von Studien darzulegen versucht, dass im deutschsprachigen Büchermarkt eine erhöhte 7794

Zahl lieferbarer Titel und ein erweitertes Literaturangebot für Bedürfnisse spezifischer Bevölkerungsgruppen existieren sowie ein günstigeres Preisniveau herrscht.

Die Parteien gehen davon aus, dass diese Eigenschaften Ergebnisse der Preisbindung über den Sammelrevers sind.

95. Es ist durchaus zutreffend, dass Bücher oder zumindest gewisse Bücher kulturell wertvoll sind und deren Erzeugung daher in einem öffentlichen Interesse liegt. Ob ein solchermassen angerufenes öffentliches Interesse die kollektive Preisbindung im deutschsprachigen Buchhandel und damit die Beseitigung wirksamen Wettbewerbs zu rechtfertigen vermag, wird aber nicht von der Wettbewerbskommission, sondern allenfalls vom Bundesrat im Rahmen eines Verfahrens betreffend ausnahmsweise Zulassung einer Wettbewerbsabrede aus überwiegenden öffentlichen Interessen im Sinne von Art. 8 KG abgeklärt.

C.4

Ergebnis

96. Die kollektive Preisbindung mittels Sammelrevers erfüllt den Tatbestand der unzulässigen Wettbewerbsabrede im Sinne von Artikel 5 Absätze 1 und 3 Buchstabe a KG.

97. Gemäss Artikel 36 Buchstabe c VwVG kann eine Behörde ihre Verfügungen in einer Sache mit zahlreichen Parteien in einem amtlichen Blatt eröffnen. Angesichts des Umstandes, dass im vorliegenden Fall mehrere Tausend Parteien von der Verfügung betroffen sind, erfolgt die Eröffnung nicht nur über die Parteivertreter, sondern zusätzlich über die Publikation in der nächstmöglichen Ausgabe des Schweizerischen Bundesblattes. Die Rechtsmittelfrist beginnt am Tag nach der amtlichen Publikation zu laufen.

E

Kosten

98. Gestützt auf die Verordnung vom 25. Februar 1998 über die Erhebung von Gebühren im Kartellgesetz (KG-Gebührenverordnung; SR 251.2) ist unter anderem gebührenpflichtig, wer Verwaltungsverfahren verursacht (Art. 2 KG ­ Gebührenverordnung). Als Verursacher gelten/gilt im vorliegenden Fall die Verfügungsadressaten/der bzw. die Verfügungsadressat/in.

99. Im Verfahren zur Untersuchung von Wettbewerbsbeschränkungen entfällt die Gebührenpflicht nur, wenn die Vorabklärung keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung ergibt (Art. 3 Abs. 2 lit. a KG ­ Gebührenverordnung). Da die zitierte Ausnahmebestimmung im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, ist die Gebührenpflicht der Verfügungsadressaten/des bzw. der Verfügungsadressaten/in gegeben.

100. Gemäss Artikel 4 Absatz 1 und 2 KG-Gebührenverordnung bemisst sich die Gebühr nach dem Zeitaufwand; es gilt ein Stundenansatz von 130 Franken. Die Gebühr kann je nach wirtschaftlicher Bedeutung des Gegenstandes um höchstens die Hälfte erhöht oder vermindert werden (Art. 4 Abs. 3 KG ­ Gebührenverordnung).

7795

101. Die Wettbewerbskommission erkennt im vorliegenden Fall keine Gründe, welche eine Erhöhung oder Verminderung der Gebühr rechtfertigen würden. Für die aufgewendete Zeit von 258,75 Stunden gilt daher der Ansatz von 130 Franken. Die Gebühr beläuft sich demnach auf 33 637.50 Franken.

102. Neben dem Aufwand nach Art. 4 KG ­ Gebührenverordnung hat der Gebührenpflichtige die Auslagen der Wettbewerbskommission zu erstatten (Art. 5 Abs. 1 KG-Gebührenverordnung). Diese belaufen sich auf 504,55 Franken.

103. Die Verfahrenskosten belaufen sich auf insgesamt 34 142.05 Franken. Diese werden den Adressaten der Verfügung zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung auferlegt.

F

Dispositiv

Auf Grund des Sachverhalts und der vorangehenden Erwägungen verfügt die Wettbewerbskommission: 1.

Der Sammelrevers 1993 für den Verkauf preisgebundener Verlagserzeugnisse in der Schweiz ist unzulässig nach Massgabe von Artikel 5 Absätze 1 und 3 Buchstabe a KG.

2.

Die Verleger und die Zwischenbuchhändler werden verpflichtet, ihre Abnehmer ohne Sammelrevers-Preisbindung zu beliefern.

3.

Die Buchhändler sind an bestehende Sammelrevers-Preisbindungen nicht mehr gebunden.

4.

Zuwiderhandlungen gegen diese Verfügung können mit Sanktionen gemäss Art. 50 bzw. 54 KG geahndet werden.

5.

Die Verfahrenskosten von insgesamt 34 142.05 Franken, bestehend aus einer Gebühr von 33 637.50 Franken und Auslagen von 504.55 Franken, werden den Adressaten der Verfügung zu gleichen Teilen, d. h. je 10.30 Franken, und unter solidarischer Haftung auferlegt.

6.

Gegen diese Verfügung kann innerhalb von 30 Tagen bei der Rekurskommission für Wettbewerbsfragen, 3202 Frauenkappelen, Beschwerde erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist im Doppel einzureichen; sie muss die Rechtsbegehren und deren Begründung enthalten und vom Beschwerdeführer oder seinem Vertreter unterzeichnet sein. Die angefochtene Verfügung ist der Beschwerdeschrift beizulegen. Die Rechtsmittelfrist beginnt am Tag nach der amtlichen Publikation zu laufen.

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7.

Die Verfügung wird eröffnet an die Unterzeichner des Sammelrevers 1993 für den Verkauf preisgebundener Verlagserzeugnisse in der Schweiz, vertreten durch den Schweizerischen Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV), vertreten durch RA Dr. Jürg Borer, Pestalozzi Gmuer und Patry, Löwenplatz 1, 8001 Zürich, und den Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V., vertreten durch RA Dr.

Cornelis Canenbley, Bruckhaus Westrick Heller Löber, rue de la loi 99/101, B-1040 Brüssel, sowie mittels Publikation im Bundesblatt nach Massgabe von Artikel 36 Buchstabe c VwVG.

28. September 1999

Wettbewerbskommission Präsident: Prof. Roland von Büren Direktor: Rolf Dähler

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