99.418 Parlamentarische Initiative des Büros.

Präsidium des Nationalrates.

Anpassung des Geschäftsreglementes Bericht des Büros des Nationalrates vom 26. August 1999

Sehr geehrte Damen und Herren, Gestützt auf Artikel 21ter Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes unterbreiten wir Ihnen den vorliegenden Bericht über die Schaffung des Amtes eines zweiten Vizepräsidenten oder einer zweiten Vizepräsidentin gemäss Artikel 152 der Bundesverfassung vom 18. April 1999.

Gleichzeitig stellen wir den Bericht dem Bundesrat zur Kenntnis zu.

Das Büro beantragt einstimmig, dem beiliegenden Erlassentwurf zuzustimmen.

26. August 1999

Im Namen des Büros

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Die Präsidentin: Trix Heberlein

1999-5259

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Bericht 1

Ausgangslage

Der Nationalrat wählt aus seiner Mitte «für jede ordentliche und ausserordentliche Sitzung» einen Präsidenten und einen Vizepräsidenten, stand schon in der Bundesverfassung von 1848. Die am 18. April 1999 von Volk und Ständen angenommene Bundesverfassung bestimmt in Artikel 152, dass erstens die Ratspräsidien für die Dauer eines Jahres gewählt werden ­ was eine Anpassung an die bereits seit Anfang des Bundesstaates geübte Praxis darstellt und auch auf reglementarischer Ebene so geregelt ist. Andererseits sieht Artikel 152 neu die Wahl eines zweiten Vizepräsidenten oder einer zweiten Vizepräsidentin vor.

Die Verstärkung des Ratspräsidiums entweder durch eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten bzw. der Präsidentin oder durch die Erweiterung des Präsidiums wurde wiederholt zur Diskussion gestellt, so auch in der Arbeitsgruppe Wahlen im Jahre 1973. Ein längeres, kontinuierliches Ratspräsidium wurde mit dem Argument abgelehnt, dass sich im schweizerischen Milizparlament kaum Leute finden würden, die ein solches Amt für eine längere Zeit übernehmen könnten (Schlussbericht der Arbeitsgruppe für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bd.

IV, Bern 1973, S. 487).

Die Frage wurde im Rahmen der Parlamentsreform erneut aufgenommen, als es darum ging, nach den Revisionen des Geschäftsverkehrsgesetzes und der Ratsreglemente in den vergangenen Jahren auch noch die notwendigen Verfassungsänderungen vorzuschlagen. Mit einer parlamentarischen Initiative hat die Staatspolitische Kommission des Nationalrates am 21. Oktober 1994 eine Revision der Bestimmungen der Bundesverfassung von 1874 vorgeschlagen, die sich auf die Bundesversammlung beziehen (Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates (SPKN), BBl 1995 I 1133 ff.). Die Vorschläge wurden im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung diskutiert und weitgehend in die neue Verfassung aufgenommen.

Ausgehend von der Tatsache, dass die Aufgaben der Ratspräsidien sowohl im Bereich der Ratsführung wie auch im Bereich der Repräsentation und vor allem der Beziehungen zu ausländischen Parlamenten zahlreicher und anspruchsvoller geworden sind, beantragte die Mehrheit der SPK N die Schaffung eines zweiten Vizepräsidenten oder einer zweiten Vizepräsidentin. Dadurch können «die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt und eine Stärkung
in der Kontinuität der Ratsführung erreicht werden» (Bericht der SPK, BBl 1995 I 1152).

Eine Minderheit der SPK beantragte die Verlängerung der Amtsdauer des Ratspräsidiums auf zwei Jahre. Damit soll die personelle Kontinuität gestärkt werden, was besonders für die Pflege der internationalen Kontakte und für die Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist. Gegen aussen wird die Ratsführung damit klar mit einer Person identifiziert, was zur Stärkung des Parlamentes ­ auch im Verhältnis zum Bundesrat ­ beitragen kann.

Die beiden Räte haben bei den Beratungen zur neuen Bundesverfassung der Variante der Mehrheit der SPK den Vorzug gegeben, weil sie besser der schweizerischen Tradition des Milizsystems und des Kollegialitätsprinzips entspricht. Vor allem stellt diese Variante sicher, dass wie bis anhin alle grossen Parteien im Verlaufe 9614

einer Legislaturperiode an der Ratsführung beteiligt werden können, was bei einem zweijährigen Präsidium nicht mehr der Fall wäre. Auch kann die Machtkonzentration auf eine bzw. zwei Personen vermieden werden.

Der neue Artikel 152 BV lautet demnach: «Jeder Rat wählt aus seiner Mitte für die Dauer eines Jahres eine Präsidentin oder einen Präsidenten sowie die erste Vizepräsidentin oder den ersten Vizepräsidenten und die zweite Vizepräsidentin oder den zweiten Vizepräsidenten. Die Wiederwahl für das folgende Jahr ist ausgeschlossen.» Es geht nun darum, die entsprechenden Ausführungsbestimmungen zu erlassen, d. h.

das Reglement des Nationalrates vom 22. Juni 1990 (GRN) anzupassen.

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Ausgestaltung der neuen Funktion des zweiten Vizepräsidenten bzw. der zweiten Vizepräsidentin

21 Die Wahl und die Aufgaben des Präsidenten oder der Präsidentin sowie des Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin sind in den Artikeln 7­11 GRN geregelt. Während die Aufgaben des Präsidenten oder der Präsidentin in Artikel 10 detailliert umschrieben ist, kommt dem Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin eine allgemein umschriebene Unterstützungsaufgabe zu. Die Frage stellt sich, inwieweit ein zusätzlicher Vizepräsident oder eine Vizepräsidentin die Stellung der bisherigen Mitglieder des Ratspräsidiums beeinflusst.

Das Büro ist der Meinung, dass die Stellung des Präsidenten oder der Präsidentin keiner Änderung bedarf. Es soll nach wie vor Aufgabe des Präsidenten oder der Präsidentin sein, die Verhandlungen des Rates und des Büros zu leiten, für den Geschäftsgang zwischen den Sessionen zu sorgen sowie die Vertretung des Rates gegenüber dem Bundesrat, gegen aussen und die Koordination mit dem Ständerat wahrzunehmen.

22 Demgegenüber sollen die Aufgaben der Vizepräsidenten oder Vizepräsidentinnen präzisiert werden. Das Ziel, den Präsidenten oder die Präsidentin zu entlasten, soll durch eine klare Zuteilung der Stellvertretung geregelt werden. Der erste Vizepräsident oder die erste Vizepräsidentin soll sich vor allem um die Leitung des Rates und um die Vertretung nach aussen kümmern, der zweite Vizepräsident oder die zweite Vizepräsidentin um Fragen der Organisation und des Verfahrens, die sich im Ratsplenum, im Büro, bei der Geschäftsberatung in den Kommissionen und bei der Koordination mit dem Ständerat stellen. Eine solche Aufgabenteilung ermöglicht dem zweiten Vizepräsidenten oder der zweiten Vizepräsidentin auch eine gründliche Einarbeitung in die präsidiale Funktion.

Für den ersten Vizepräsidenten oder die erste Vizepräsidentin ist der Miteinbezug in die Repräsentationsverpflichtungen eine Möglichkeit, in den internationalen Kontakten und in der Öffentlichkeit während zwei Jahren zu wirken und somit als Präsident oder Präsidentin des Nationalrates ­ protokollarisch als höchster Amtsträger/in im Bundesstaat - bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erworben zu haben. Da-

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durch kann diese wichtige Aufgabe der Vertretung des Rates gegen aussen wirkungsvoller wahrgenommen werden, was einem echten Bedürfnis entspricht.

23 Nicht im GRN festgehalten ist bisher die Verteilung des Nationalratspräsidiums auf die Fraktionen und die Praxis, dass der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin in aller Regel in das Präsidium aufsteigt. Das Büro ist der Meinung, dass das Präsidium am ehesten gestärkt wird, wenn der zweite Vizepräsident oder die zweite Vizepräsidentin in den üblichen Turnus einsteigt und über das erste Vizepräsidium in das Ratspräsidium gelangt. Dadurch wird auch erreicht, dass der Ratspräsident/die Ratspräsidentin schon zwei Jahre dem Büro angehört, bevor er/sie zum/zur Präsident/in gewählt wird. Vorbehalten bleiben selbstverständlich die Wahlen in das Präsidium zu Beginn jedes Amtsjahres. Diese Regel sowie die Verteilung auf die Fraktionen sollen indes nicht im Reglement festgeschrieben werden, sondern wie bisher der Praxis überlassen bleiben.

24 Die oben beschriebenen Aufgaben und die Stellung des zweiten Vizepräsidenten oder der zweiten Vizepräsidentin bedingen eine Mitgliedschaft im Ratsbüro. Artikel 7 GRN muss entsprechend angepasst werden. Damit zählt das Büro ein Mitglied mehr.

Das Büro hat darauf verzichtet, seine Zusammensetzung im Rahmen dieser Revision zu verändern, z. B. durch eine Änderung in der Stellung der Stimmenzähler und Stimmenzählerinnen. Diese Frage soll im Rahmen der bevorstehenden Totalrevision des GRN diskutiert werden.

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Finanzielle und praktische Auswirkungen

31 Die Vizepräsidenten oder die Vizepräsidentinnen der beiden Räte erhalten gemäss Artikel 11 des Entschädigungsgesetzes vom 18. März 1988 eine jährliche Zulage (5000 Franken). Das Büro schlägt vor, auch den zweiten Vizepräsidenten oder die zweite Vizepräsidentin mit 5000 Franken zu entschädigen. Eine Anpassung des Entschädigungsgesetzes sowie des Bundesbeschlusses zum Entschädigungsgesetz ist nicht nötig.

32 Schliesslich stellt sich die Frage, wo der zweite Vizepräsident oder die zweite Vizepräsidentin im Nationalratssaal platziert werden soll. Die einfachste Lösung würde darin bestehen, ihm oder ihr den bisher vom Präsidenten des Wahlbüros eingenommenen Platz neben dem Rednerpult (links, 2. Platz) zu geben. Dadurch müsste einer der Ersatzstimmenzähler/innen den Platz zugunsten eines Stimmenzählers bzw. ei9616

ner Stimmenzählerin räumen. Das Büro überlässt den Entscheid über diese Frage dem Ratspräsidium.

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Inkrafttreten

Gemäss Artikel 7 GRN wählt der Rat zu Beginn der Wintersession das Präsidium.

Die Wintersession beginnt am 6. Dezember 1999. Die neue Bundesverfassung, verfassungsrechtliche Grundlage für den zweiten Vizepräsidenten oder die zweite Vizepräsidentin, tritt aber voraussichtlich erst am 1. Januar 2000 in Kraft.

Es ist wünschenswert, das Präsidium und das Büro zu Beginn der Wintersession in seiner zukünftigen verfassungsrechtlichen Ausgestaltung, also mit einem zweiten Vizepräsidenten oder einer zweiten Vizepräsidentin besetzen zu können. Die Revision des GRN soll deshalb rechtzeitig in der Herbstsession 1999 beschlossen werden. Der zweite Vizepräsident oder die zweite Vizepräsidentin kann zu Beginn der Wintersession gewählt und sein/ihr Amt antreten, obwohl die Reglementsänderung erst mit der neuen Bundesverfassung in Kraft tritt.

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