zu 99.435 Parlamentarische Initiative (RK-S) Revision der Gesetzesbestimmungen über die parlamentarische Immunität Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 13. August 1999 Stellungnahme des Bundesrates vom 15. September 1999

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Gestützt auf Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) unterbreiten wir Ihnen nachfolgend unsere Stellungnahme zu Bericht und Vorentwurf der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 13. August 1999 zur Änderung des Verantwortlichkeitsgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. September 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

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Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

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1999-5261

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Die Kommission beantragt, Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes wie folgt zu revidieren: 1 Wegen strafbarer Handlungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit stehen, können die Mitglieder des National- und des Ständerates sowie die von der Bundesversammlung gewählten Behördemitglieder und Magistratspersonen nur mit Ermächtigung der eidgenössischen Räte strafrechtlich verfolgt werden.

Mit dieser Änderung der Gesetzesbestimmung über die relative Immunität soll eine restriktivere Handhabung des Immunitätsschutzes bewirkt werden. Die Formulierung, wonach die strafbare Handlung «in unmittelbarem Zusammenhang» mit der amtlichen Tätigkeit stehen muss, soll einen zwingenden Konnex zwischen der strafbaren Handlung und der amtlichen Tätigkeit der betroffenen Person herstellen.

Das Anliegen, die relative Immunität einschränkender zu handhaben, ist nicht neu.

Auf Grund einer parlamentarischen Initiative (Rüesch) vom 21. Juni 1991 beschloss der Ständerat bereits am 5. Oktober 1994 eine restriktivere Formulierung von Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes. Nach seinem Vorschlag sollte auf ein Immunitätsaufhebungsgesuch dann eingetreten werden, wenn die strafbare Handlung sich zur Hauptsache auf die amtliche Tätigkeit oder Stellung bezieht. Der Nationalrat lehnte es am 12. Juni 1995 jedoch ab, auf die Vorlage einzutreten. Zur Begründung führte er an, dass sich eine Gesetzesänderung nicht aufdrängte, da eine Praxisänderung bei der Entscheidung über eine Aufhebung der Immunität genügen würde. Der Ständerat beschloss daraufhin am 3. Oktober 1995, das Geschäft nicht weiter zu verfolgen. Grundsätzlich gelten für das Verfahren zur Aufhebung der relativen Immunität deshalb nach wie vor die Richtlinien der Petitions- und Gewährleistungskommissionen von National- und Ständerat von 1991 «für die Auslegung und Handhabung von Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes».

Veranlasst durch die jüngsten Auseinandersetzungen über die Bedeutung der parlamentarischen Immunität beschloss die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates am 6. Mai 1999, den eidgenössischen Räten erneut Änderungen der Bestimmungen über die parlamentarische Immunität im Verantwortlichkeitsgesetz vorzuschlagen.

Der vorliegende Änderungsantrag betreffend Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes wird von der Kommissionsmehrheit unterstützt. Eine Kommissionsminderheit I beantragt, auf die Vorlage nicht einzutreten. Eine Kommissionsminderheit II befürwortet die vollständige Abschaffung der relativen Immunität.

Eine Minderheit III beantragt mit einem neuen Absatz 1bis zu Artikel 14 eine Präzisierung gegenüber dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit, nach welcher Voten, die unter der absoluten Immunität
von Artikel 2 Absatz 2 des Verantwortlichkeitsgesetzes abgegeben worden sind und die ausserhalb der Rats- oder Kommissionstätigkeit wiederholt werden, nicht durch die relative Immunität geschützt sein sollen.

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Erwägungen

Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes regelt nicht nur die parlamentarische Immunität, sondern betrifft auch die Mitglieder des Bundesrates, die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler und die Mitglieder des Bundesgerichts.

Wie bereits in seiner Stellungnahme vom 29. Juni 1994 zur parlamentarischen Initiative «Revision der Gesetzesbestimmungen über die parlamentarische Immunität» (91.424) festgehalten, unterstützt der Bundesrat grundsätzlich die Bestrebung, die Immunität nur dann anzuerkennen, wenn ein enger Zusammenhang zwischen der behaupteten strafbaren Handlung und der amtlichen Tätigkeit oder Stellung vorliegt (BBl 1994 III 1429). Er bekräftigte seine Haltung mit einem entsprechenden Formulierungsantrag.

Die von der Kommissionsmehrheit nun vorgeschlagene Formulierung unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum vom damaligen bundesrätlichen Formulierungsvorschlag. Sie trägt den vom Bundesrat damals vorgebrachten Bedenken Rechnung und erlaubt eine strenge Handhabung des Immunitätsschutzes. Eine vollständige Abschaffung der relativen Immunität, wie es die Kommissionsminderheit II beantragt, würde nach Ansicht des Bundesrates hingegen zu weit führen.

Neu soll nach dem Antrag der Kommission in Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes die "Stellung" der Parlamentsmitglieder nicht mehr besonders erwähnt werden. Damit soll sichtbar gemacht werden, dass blosses Handeln mit Hinweis auf das politische Mandat den nun geforderten unmittelbaren Zusammenhang für sich allein nicht mehr zu begründen vermögen soll.

Dieser Streichungsantrag betrifft nach dem Konzept von Artikel 14 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes auch die von der Bundesversammlung gewählten Behördemitglieder und Magistratspersonen, also die Mitglieder des Bundesrates, die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler und die Mitglieder des Bundesgerichts.

Der Bundesrat teilt die Ansicht, dass strafbare Handlungen nicht einfach mit dem Hinweis auf eine bestimmte politische Stellung geschützt werden können sollen.

Ausserhalb der amtlichen Tätigkeit ist eine unterschiedliche Behandlung von politischen Mandatsträgern und anderen Personen nicht gerechtfertigt. Er begrüsst deshalb diesen Streichungsvorschlag.

Schliesslich beantragt die Kommission eine neue Formulierung von Artikel 14 Absatz 4 des Verantwortlichkeitsgesetzes. Diese
Änderung ist redaktioneller Natur. Sie hat keine materiellen Konsequenzen.

Die Minderheit III schlägt in einem neuen Absatz 1 bis zum Antrag der Kommissionsmehrheit eine Präzisierung vor. Danach soll die Wiederholung ausserhalb der Rats- oder Kommissionstätigkeit von Voten, die unter der absoluten Immunität von Artikel 2 Absatz 2 des Verantwortlichkeitsgesetzes abgegeben worden sind, keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit nach Artikel 14 Absatz 1 begründen und demnach nicht durch die relative Immunität geschützt sein. Die von der Minderheit III vorgeschlagene Präzisierung geht nach Ansicht des Bundesrates in die richtige Richtung. Sie ist aber unnötig, da für den Entscheid, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer strafbaren Handlung und der amtlichen Tätigkeit besteht, in jedem Fall die gesamten Umstände zu prüfen sind. Dass es sich um die Wiederholung von Voten handelt, die unter der absoluten Immunität abgegeben worden sind, kann nicht allein entscheidend sein.

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Schlussfolgerung

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten, den von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Änderungen des Verantwortlichkeitsgesetzes zuzustimmen.

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