92.437 93.459 Parlamentarische Initiative Tier keine Sache Parlamentarische Initiative Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 18. Mai 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen nach Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes den vorliegenden Bericht und überweisen ihn gleichzeitig dem Bundesrat zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Beschlussentwurf zuzustimmen.

18. Mai 1999

Im Namen der Kommission: Der Präsident: Nils de Dardel

1999-4637

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Übersicht Ziel der Revision ist es, dem gewandelten Volksempfinden gegenüber Tieren Rechnung zu tragen und die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern. Die auf der römisch-rechtlichen Tradition basierende Auffassung, das Tier sei eine Sache, gilt in weiten Teilen der Bevölkerung als überholt. So wird es beispielsweise zunehmend als stossend empfunden, wenn nach geltendem Recht die Verletzung eines Tieres als Sachbeschädigung qualifiziert wird. Die Achtung vor dem Tier wird in einem neuen Grundsatzartikel (Art. 641a Zivilgesetzbuch, ZGB) ausgedrückt, wonach Tiere keine Sachen sind und nur soweit als Sachen behandelt werden sollen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen.

Im Zivilrecht werden Änderungen im Erbrecht (Art. 482 ZGB), Sachenrecht (Art. 720a ZGB), bei der Übertragung von Eigentum und Besitz am Tier (Art. 722, 728, 934 ZGB), bei der richterlichen Zusprechung von Tieren (Art. 729a ZGB) sowie eine explizite Schadenersatzpflicht für Heilungskosten bei Verletzung eines Tieres (Art. 42 Obligationenrecht, OR) und die Berücksichtigung von dessen Affektionswert bei der Schadensbemessung (Art. 43 OR) vorgeschlagen. Schliesslich soll auch bei der Erklärung gesetzlicher Ausdrücke im Strafgesetzbuch (Art. 110) der Unterscheidung zwischen Tieren und Sachen Rechnung getragen werden.

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Bericht I

Allgemeiner Teil

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Ausgangslage

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Einreichung der parlamentarischen Initiativen

Die am 24. August 1992 in der Form einer allgemeinen Anregung eingereichte Initiative von Nationalrat Loeb François «Tier keine Sache» (92.437) verlangt eine Änderung des schweizerischen Rechts, damit das Tier in der eidgenössischen Gesetzgebung nicht mehr als Sache, sondern als eigene Kategorie behandelt wird.

In seiner Begründung geht der Initiant davon aus, dass die auf der römisch-rechtlichen Tradition basierende Rechtsauffassung, das Tier sei eine Sache, in der Bevölkerung als überholt gelte. Die Änderung des Rechtsstatus der Tiere komme deshalb nicht nur den Anliegen der Tierschützer entgegen, sondern widerspiegle auch die Tatsache, dass die sachenrechtliche Einstufung von Tieren weder unserer Empfindung noch unseren Gewohnheiten entspreche. Eine Änderung des Rechts sei notwendig, weil ein Tier nicht nur einen Vermögenswert darstelle.

Der Initiant stützt sich auf einen Entscheid des Bundesgerichts vom 2. August 1989 (BGE 115 IV 254). Darin wird ausgeführt: «Zwar werden Tiere von der Rechtsordnung nach wie vor als Sachen behandelt. Die Grundeinstellung des Menschen zum Tier hat sich jedoch mit der Zeit im Sinne einer Mitverantwortung für diese Lebewesen zum sogenannten ,ethischen Tierschutz` entwickelt, welcher weiter geht als der Schutz lebloser Dinge und welcher das Tier als lebendes und fühlendes Wesen, als Mitgeschöpf anerkennt, dessen Achtung und Wertschätzung für den durch seinen Geist überlegenen Menschen ein moralisches Postulat darstellt.» Am 16. Dezember 1993 reichte Nationalrätin Suzette Sandoz die Initiative «Wirbeltiere. Gesetzliche Bestimmungen» (93.459) ein, die in der Form der allgemeinen Anregung verlangt, dass im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB)1 den Wirbeltieren ihre besondere Sacheigenschaft als Lebewesen zuerkannt wird. Im Unterschied zur Initiative Loeb beschränkt sich die Initiative Sandoz auf Wirbeltiere und auf Änderungen im ZGB.

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Vorprüfung

Am 17. Dezember 1993 beschloss der Nationalrat mit 78 zu 44 Stimmen, der parlamentarischen Initiative von Nationalrat François Loeb Folge zu geben. Er entschied damit gegen den Antrag der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK), die das Geschäft vorberaten hatte.

Am 16. Dezember 1994 gab der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission mit deutlichem Mehr der parlamentarischen Initiative von Nationalrätin Suzette Sandoz Folge.

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SR 210

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Verlauf der Arbeiten in der Kommission und in der Subkommission

In der Folge wurde die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK) beauftragt, eine Gesetzesänderung zu erarbeiten, die die Anliegen beider Initiativen berücksichtigt. Sie setzte eine Subkommission ein, der folgende Mitglieder angehörten: Stamm Luzi (Präsident), Diener, von Felten, Iten Joseph, Ruf. Nationalrätin Diener und die Nationalräte Iten Joseph und Ruf schieden im Laufe der Arbeiten aus; neu dazu kamen Nationalrätin Hollenstein und Nationalrat Seiler Hanspeter.

Die Initianten nahmen mit beratender Stimme an mehreren Sitzungen teil.

Nach Anhörung der Experten Antoine F. Goetschel, Präsident der Vereinigung «Tierschutz ist Rechtspflicht», Ignaz Bloch, Vertreter der Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte, und Bundesrichter Kurt Spühler erarbeitete die Subkommission an drei Sitzungstagen einen Entwurf, den sie der Kommission am 29. August 1995 unterbreitete. Gleichzeitig beantragte sie, die vorgeschlagenen Gesetzesänderung Spezialisten zur Stellungnahme vorzulegen. In der Folge holte die Kommission Gutachten folgender Experten ein: Prof. Dr. Wolfgang Wiegand, Prof. Dr. Jörg Schmid, Prof. Pierre Widmer und Prof. Dr. Kurt Amonn.

Am 7. Mai 1996 nahm die Subkommission ihre Arbeit wieder auf und überarbeitete ihren Vorentwurf unter Berücksichtigung der vier Expertenberichte. Die Kommission beriet diesen Entwurf an ihren Sitzungen vom 1. Juli und 31. Oktober 1996; am 27. Januar 1997 genehmigte sie den erläuternden Bericht, und anschliessend schickte sie den Vorentwurf in die Vernehmlassung. Das EJPD hat die Vernehmlassung durchgeführt und ausgewertet.

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Vernehmlassung

Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 13. Februar bis 31. August 19982. Eingeladen wurden das Schweizerische Bundesgericht in Lausanne, alle Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien und 33 Organisationen.

Der Entwurf wurde grundsätzlich positiv aufgenommen und breit unterstützt. Fast alle Kantone, die an der Vernehmlassung teilgenommen haben, begrüssten die Revision. Einzig der Kanton Solothurn lehnte ihn ab, mit der Begründung, die Verbesserung der Situation der Tiere sei Sache der Tierschutzgesetzgebung. Ähnlich hat sich auch die Universität Lausanne geäussert. Die Tierschutzverbände haben die Revision als dringlich und nötig bezeichnet.

Zum Grundsatzartikel: Gemäss Vorentwurf lautete der Grundsatzartikel «Tiere werden rechtlich nur soweit als Sachen behandelt, als keine abweichenden Vorschriften bestehen.» Der im vorliegenden Entwurf beantragte Wortlaut wurde durch eine Minderheit vertreten. Die Vernehmlassungsteilnehmer waren geteilter Meinung.

Neun Kantone, die CVP, die Arbeitgeberorganisationen und die Universität Lausanne haben der Kommissionsmehrheit zugestimmt. Sie haben es begrüsst, dass keine neue juristische Kategorie eingeführt werde. Der Antrag der Kommissionsminderheit, die Unterscheidung zwischen Tier und Sache ausdrücklich festzuhalten,

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Der Vernehmlassungsbericht kann auf dem Sekretariat der Kommission für Rechtsfragen eingesehen werden.

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wurde von sechs Kantonen und von sämtlichen Tierschutzorganisationen unterstützt.

Zum Erbrecht: Im Wesentlichen begrüssten es die Vernehmlassungsteilnehmer, dass hier gesetzlich verankert wird, was als Grundsatz ohnehin gilt. Sie haben bestätigt, dass es im Interesse der Gültigkeit von derartigen letztwilligen Verfügungen richtig ist, eine solche Bestimmung aufzunehmen.

Zum Sachenrecht: In Bezug auf die Bezeichnung einer Fundstelle wurde der Vorschlag von sämtlichen Vernehmlassungsteilnehmern unterstützt. Auch die Verkürzung der Frist im Zusammenhang mit dem Fund, bei der Ersitzungsfrist und im Besitzesrecht stiess auf Zustimmung. Umstrittener war die Möglichkeit des richterlichen Zusprechungsrechts in einem neuen Artikel 729a. Hier haben sich die Kantone teilweise kontrovers geäussert. Die Tierschutzverbände haben die Möglichkeit des richterlichen Zusprechungsrechts einstimmig begrüsst.

Zum Obligationenrecht: In der Frage der Schadenersatzpflicht wurde dem Vorentwurf grundsätzlich zugestimmt. Allerdings gab es diverse Bedenken rechtlicher Natur, und es wurde ein Präzisierungsbedarf festgestellt. Mehrere Tierschutzorganisationen und die Gesellschaft Schweizerischer Tierärzte haben zudem verlangt, dass ein Genugtuungsanspruch bei Verletzung oder Tötung eines Tieres im Recht verankert werde.

Zum Strafgesetzbuch: Der vorgeschlagenen Ergänzung im Katalog der Legaldefinitionen wurde zugestimmt.

Zum Schuldbetreibungs- und Konkursrecht: Der Vorentwurf enthielt ein Pfändungsverbot für Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. Die Kantone haben dieser Bestimmung grundsätzlich zugestimmt. Es wurden Präzisierungswünsche und Vorschläge angebracht. Ablehnung kam zum Teil von Seiten der Tierschutzverbände, weil gewisse Tiere nach wie vor gepfändet werden könnten. Eindeutig ablehnend äusserte sich der Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute.

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Petitionen

Klare Unterstützung erhielt der Vorentwurf auch durch vier Petitionen mit gleichlautendem Text: ­

98-09 Ligue suisse contre la vivisection, L'animal: être vivant; 40 500 Unterschriften

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98-18 Tierschutz Bund Zürich, Das Tier darf keine Sache mehr sein; 3209 Unterschriften

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98-31 Schweizerisches Hundemagazin und Schweizerisches Katzenmagazin, Das Tier darf keine Sache mehr sein; 8982 und 669 Unterschriften

­

99-13 Schweizerische Kynologische Gesellschaft SKG, Tier keine Sache, 4548 Unterschriften

Die Kommission beantragt, diese Petitionen als erfüllt abzuschreiben.

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Antrag der Kommission

Die Kommission beauftragte erneut ihre Subkommission, die Vernehmlassungsergebnisse im einzelnen zu diskutieren. Diese legte einen bereinigten Entwurf vor. Die Kommission beantragte an ihrer Sitzung vom 18. Mai 1999 mit 18 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen, den vorgeschlagenen Änderungen zuzustimmen.

Eine Minderheit (Nabholz, Ammann, Bosshard, Dreher, Eymann, Lauper, Philipona, Schmied Walter, Stamm Judith, Suter) wendet sich gegen die Aufnahme des Genugtuungsanspruchs bei Verletzung oder Tötung eines Tieres, den die Kommission nach der Vernehmlassung in den Entwurf aufgenommen hat.

Eine Minderheit (von Felten, Alder, Eymann, Roth, Ruf, Tschäppät) beantragt Annahme des Pfändungsverbots, wie es im Vorentwurf enthalten war.

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Benachbarte Rechtsordnungen

Während im französischen und im italienischen Privatrecht die Tiere nach wie vor zu den Sachen gezählt werden, haben Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren Gesetzesänderungen vorgenommen, mit dem Ziel, die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern. So ist in Österreich seit dem 1. Juli 1988 folgender Grundsatzartikel in Kraft: § 285a ABGB (Tiere): «Tiere sind keine Sachen; sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf Tiere nur insoweit anwendbar, als keine abweichenden Regelungen bestehen.» Die entsprechende Bestimmung in Deutschland wurde auf den 1. September 1990 in Kraft gesetzt. Sie lautet: § 90a BGB (Tiere): «Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.» Sowohl im österreichischen wie im deutschen Privatrecht wird ausserdem ausdrücklich gesagt, dass die Schadenersatzpflicht bei Heilbehandlung eines verletzten Tieres dessen Wert übersteigen kann. Das deutsche Recht legt zudem eine Einschränkung der Befugnisse des Eigentümers fest, der die besonderen Vorschriften für Tiere zu beachten hat. Beide Länder sowie Frankreich kennen ausserdem ein Pfändungsverbot für Tiere, ohne dass deren Unterhalt in die Berechnung des Existenzminimums einbezogen werden muss. Frankreich sieht überdies das Ausrichten einer Genugtuung bei Töten oder Verletzen eines Haustieres an dessen Besitzer vor und verleiht ein Recht auf das Halten von Haustieren in Mietwohnungen.

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Besonderer Teil

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

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Grundsatzartikel (Art. 641a [neu] ZGB)

In einem neuen Grundsatzartikel wird das Ziel der Revision, dem gewandelten Volksempfinden gegenüber Tieren Rechnung zu tragen und die Rechtsstellung des Tieres zu verbessern, deklariert. Die Anerkennung des Tieres als lebendes und fühlendes Mitgeschöpf erhält Ausdruck in Artikel 641a (neu), wonach Tiere nur soweit als Sachen behandelt werden sollen, als keine abweichenden Vorschriften bestehen.

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Mit der Formulierung von Artikel 641a (neu) wird festgehalten, dass Tiere rechtlich nicht mehr als Sachen zu betrachten sind. Sie sollen aber insoweit als Sachen behandelt werden, als keine Sondernormen bestehen. Mit dieser neuen Bestimmung soll die gewandelte Grundeinstellung gegenüber dem Tier deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Der neu eingefügte Grundsatzartikel hat in erster Linie deklaratorischen Charakter; es soll keine neue rechtliche Kategorie für Tiere geschaffen werden. Das schweizerische Privatrechtssystem basiert auf der Unterscheidung zwischen Personen und Sachen, d. h. zwischen Rechtssubjekten, die Träger von Rechten und Pflichten sein können, und Rechtsobjekten. Tiere sollen auch in Zukunft als Rechtsobjekte betrachtet werden und keine Rechtsfähigkeit haben.

Der Vorbehalt der abweichenden Vorschriften bezieht sich primär auf die öffentlichrechtliche Tierschutzgesetzgebung. Dass diese Vorschriften die Befugnisse des Tierhalters als Eigentümer beschränken bzw. erst konkretisieren, ist aus juristischer Sicht eine Selbstverständlichkeit. Artikel 641 Absatz 1 ZGB sagt ausdrücklich, dass der Eigentümer nur in den Schranken der Rechtsordnung über sein Eigentum verfügen kann.

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Erbrecht (Art. 482 Abs. 4 [neu] ZGB)

Verschiedentlich werden in letztwilligen Verfügungen Tiere bedacht: Entweder werden sie als Erbe eingesetzt oder es werden ihnen Vermögenswerte vermacht.

Nach geltendem Recht könnte eine solche Zuwendung als unsinnig betrachtet werden (Art. 482 Abs. 3 ZGB), da das Tier keine Rechtsfähigkeit hat, also weder Erbe noch Vermächtnisnehmer sein kann. Ein Erbe, der sich gegen diese Zuwendung stellt, könnte somit versuchen, den Willen des Erblassers zu durchkreuzen. Der neue Absatz 4 von Artikel 482 ZGB hält die Bedeutung fest, die einer solchen Zuwendung zukommt: Sie gilt als Auflage zu Lasten des Erben oder des Vermächtnisnehmers, für das Tier tiergerecht zu sorgen.

Schon heute gilt in Bezug auf die Testamentsauslegung der Grundsatz des «favor testamenti», d. h. der Richter muss eine Bestimmung so auslegen, dass sie dem Willen des Erblassers entspricht und aufrechterhalten werden kann, auch wenn ihre Form nicht den Anforderungen des Gesetzes genügt. Die neue Bestimmung enthält eine Auslegungsregel, nämlich die gesetzliche Anordnung einer Konversion. Auch für den juristischen Laien soll klargestellt sein, wie eine letztwillige Verfügung zu Gunsten eines Tieres zu vollziehen ist. Nach Absatz 1 von Artikel 482 ZGB hat jedermann, der ein Interesse hat, einen Klageanspruch auf Vollziehung der Auflage.

So könnte beispielsweise ein Tierschutzverein auf Erfüllung der Auflage klagen.

Nach herrschender Lehre und Praxis entsteht allerdings bei Nichterfüllung der Auflage kein Schadenersatzanspruch.

Mit der Formulierung von Artikel 482 Absatz 4 (neu) ZGB wurde bewusst vermieden, das Tier als Erben oder Vermächtnisnehmer zu bezeichnen. Dem Tier Rechtsfähigkeit oder auch bloss Teilrechtsfähigkeit zu verleihen, ist mit unserem Rechtssystem nicht vereinbar. Der eingefügte Absatz erlaubt es, dem Willen der verstorbenen Person in Bezug auf ihr Tier Rechnung zu tragen, ohne diesem die Rechtsfähigkeit zuzusprechen.

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Sachenrecht

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Bezeichnung einer Fundstelle (Art. 720a [neu] ZGB)

Wie die Erfahrung zeigt, führt beim Fund eines Tieres die Meldung bei der Polizei nicht immer zum gewünschten Sucherfolg. Nicht in allen Kantonen ist klar geregelt, wo der Fund eines Tieres anzuzeigen ist. Die neue Bestimmung verpflichtet die Kantone, eine Stelle zu bezeichnen, wo Tiere angezeigt werden können, wenn der Tierhalter nicht sofort ausfindig gemacht werden kann. Die Kantone können vorsehen, dass verlorene Tiere weiterhin der örtlichen Polizei gemeldet werden. Artikel 720a verpflichtet sie in diesem Fall aber dazu, eine Stelle einzurichten, bei der die eingegangenen Meldungen gesammelt und verarbeitet werden. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Meldestelle nicht identisch mit jener Stelle oder jenen Stellen im Kanton sein muss, bei der gefundene Tiere abgegeben werden können.

Weiss man, wo ein Tier anzuzeigen ist, wird die Wahrscheinlichkeit, dass dieses von seinem Besitzer gefunden wird, wesentlich erhöht.

Durch die Schaffung eines eigenen Artikels wird klar, dass die untere Begrenzung von zehn Franken, wie sie Artikel 720 Absatz 2 ZGB vorsieht, bei Tieren keine Anwendung findet. Dagegen ist durch den Vorbehalt von Artikel 720 Absatz 3 sichergestellt, dass Tiere, die in öffentlich zugänglichen Gebäuden aufgefunden werden, dem Hausherrn, Mieter oder der mit der Aufsicht betrauten Person abgeliefert werden.

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Verkürzung der Frist für die Übertragung von Eigentum und Besitz am Tier

332.1

Eigentumserwerb beim Fund (Art. 722 Abs. 1bis [neu] und 1ter [neu] ZGB)

Nach heutigem Recht erwirbt der Finder erst nach fünf Jahren Eigentumsrechte. Der alte Eigentümer kann also eine verlorene Sache sehr lange zurückfordern. In der Praxis entstehen oft Probleme, wenn ein Tierheim ein zugelaufenes Tier platzieren möchte und in diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt ist, wer der Eigentümer ist und ob dieser sein Tier zurückfordern wird. Erfahrungsgemäss werden Tiere, die nach zwei Monaten noch nicht abgeholt worden sind, nur sehr selten zurückgefordert.

Nach der neuen Bestimmung soll daher der Finder eines Tieres bereits nach zwei Monaten dessen Eigentümer werden. In Anbetracht ihrer Kürze soll diese Frist im Moment neu zu laufen beginnen, wo das Tier einem Tierheim übergeben wird. Somit hat der Eigentümer eines verlorenen Tieres mindestens zwei bis maximal vier Monate Zeit, sein Tier wieder zurückzufordern.

Die Verkürzung der Frist hat nur Geltung für Tiere, die im häuslichen Bereich leben und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. Bei Weidetieren, die auf der Alp sömmern und deren Verlust unter Umständen erst nach dem Alpabtrieb bemerkt wird, gilt weiterhin die sonst übliche Frist von fünf Jahren. In solchen Fällen drängt sich eine Verkürzung nicht auf.

Die Voraussetzung, dass ein Tier im häuslichen Bereich lebt und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten wird, beinhaltet eine besondere affektive Beziehung zu einem bestimmten Tier. Damit sind Tiere gemeint, zu denen der Besitzer eine besonders enge Beziehung hat, unabhängig davon, ob sie im Haus, im Garten 8942

oder im Stall gehalten werden. Eingeschränkt wird der Geltungsbereich durch die Bedingung dass diese Tiere nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden. In die Interessenabwägung einzubeziehen ist aber auch der wirtschaftliche Wert eines Tieres. Wer beispielsweise ein Pferd findet, kann sich nicht oder nur ausnahmsweise auf diese Bestimmung berufen, selbst dann nicht, wenn er eine enge Beziehung zum Tier entwickelt hat.

Auf eine rechtliche Qualifikation des Tierheims wird bewusst verzichtet, weil ein Tierheim als solches nicht immer Rechtspersönlichkeit hat und daher auch nicht Eigentum erwerben kann. Der neue Absatz 1 ter sagt lediglich, dass das Tierheim nach Ablauf der zwei Monate frei über das Tier verfügen kann. Übergibt das Tierheim nach Ablauf dieser Frist das Tier einem Dritten, braucht somit nicht näher auf die Frage nach der Eigentumszuständigkeit eingegangen zu werden.

332.2

Ersitzungsfrist (Art. 728 Abs. 1bis [neu] ZGB)

Die Ersitzungsfrist wird an die Frist beim Fund angepasst; entsprechend wird Artikel 728 ZGB durch einen neuen Absatz 1bis ergänzt. Der gutgläubige Besitzer eines Tieres soll bereits nach zwei Monaten dessen Eigentümer werden. Auch dies gilt nur für Tiere, zu denen eine besondere affektive Beziehung besteht.

332.3

Besitzesrecht (Art. 934 Abs. 1 ZGB)

Der Vorbehalt von Artikel 722 ZGB erinnert daran, dass die Besitzrechtsklage beim Fund von Tieren zeitlich einen eingeschränkten Anwendungsbereich hat. Der Finder, der seinen Pflichten nachkommt, wird bereits nach Ablauf von zwei Monaten Eigentümer des Tieres und kann somit die Besitzesrechtsklage nach Artikel 934 ZGB abwehren.

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Richterliche Zusprechung von Tieren (Art. 729a [neu] ZGB)

Tierschützerische Aspekte sollen auch dann berücksichtigt werden, wenn eine Gemeinschaft aufgelöst wird, in deren Besitz sich ein Tier befindet. Mit Artikel 729a (neu) ZGB wird ein Zuteilungskriterium eingeführt, das es dem Richter ermöglicht, das Wohl eines Tieres in die Interessenabwägung einzubeziehen, sofern dieses im häuslichen Bereich gehalten wird und nicht Vermögens- oder Erwerbszwecken dient. Die Formulierung «in tierschützerischer Hinsicht dem Tier die bessere Unterbringung gewährleisten» umfasst die Unterbringung und Fütterung, aber auch die Beziehung des Tieres zum Menschen. Im Rahmen von Artikel 729a (neu) ZGB soll diese Beziehung ausschliesslich im Interesse des Tieres geprüft werden.

In der güterrechtlichen Auseinandersetzung besteht bei Nachweis eines überwiegenden Interesses heute schon ein Zuteilungsanspruch, wenn ein Vermögenswert nicht im Alleineigentum eines Ehepartners steht (Art. 205 Abs. 2 ZGB). Nach dem neuen Artikel 729a kann der Richter darüber hinaus ein Tier, das im alleinigen Eigentum eines Ehegatten ist, dem anderen Ehegatten zusprechen, wenn ihm dies gerechtfertigt erscheint. Bei der Erbteilung und bei der Liquidation einer einfachen Gesell-

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schaft besteht bisher keine Regelung, die eine auf das Interesse des Tieres Rücksicht nehmende Zuteilung erlauben würde.

Nach Absatz 2 von Artikel 729a (neu) ZGB kann der Richter die Person, die das Tier zugesprochen erhält, zur Leistung einer Entschädigung verpflichten. Diese Leistung muss angemessen sein und ist somit unter Berücksichtigung des objektiven Wertes des Tieres festzulegen. Es versteht sich von selbst, dass für ein Tier, das bereits im Alleineigentum einer Person ist und vom Richter dieser Person zugesprochen wird, kein Anspruch auf Entschädigung besteht. Eine Entschädigungspflicht kann sich auch aus anderen Vorschriften ergeben. So sieht beispielsweise Artikel 205 Absatz 2 ZGB bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ausdrücklich eine Entschädigungspflicht vor, und Artikel 608 Absatz 3 ZGB besagt, dass die Zuweisung einer Erbschaftssache an einen Erben als blosse Teilungsvorschrift gilt und auf den Erbteil angerechnet wird.

Das Zuteilungskriterium von Artikel 729a (neu) ZGB bezieht sich auf das eheliche Güterrecht, auf das Erbrecht und auf die einfache Gesellschaft. Um eine Wiederholung des Zuteilungsanspruchs an verschiedenen Stellen zu vermeiden, wird die neue Bestimmung systematisch im Sachenrecht eingeordnet. Die Liquidation einer einfachen Gesellschaft stellt einen Auffangtatbestand dar, der in der Praxis vor allem bei der Auflösung von Konkubinatsverhältnissen zur Anwendung gelangen wird.

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Obligationenrecht

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Art. 42 Abs. 3 (neu) OR

Eine Schadenersatzpflicht bei Verletzung eines Tieres, die den Wert des Tieres übersteigt, lässt sich bereits auf Grund des geltenden Rechts begründen. Praxis und Lehre schliessen nicht aus, dass im Falle von Sachbeschädigungen die geschuldeten Reparaturkosten den Wert der beschädigten Sache übersteigen können. Aus Gründen der Rechtssicherheit soll dieser Grundsatz explizit in Artikel 42 Absatz 3 (neu) Obligationenrecht3 (OR) festgehalten werden. Bei Streitigkeiten wie den hier anvisierten, bei denen meist kein Anwalt eingeschaltet wird, scheint es zudem angebracht, dass der Laie direkt aus dem Gesetz ersehen kann, wie der Ersatz der Heilungskosten zu bemessen ist. Hervorzuheben ist, dass die ausdrückliche Regelung dieser Frage bezüglich Heilungskosten von Tieren nach Meinung der Kommission nicht in jenen Fällen zu einer einschränkenden Praxis führen darf, in denen es um den Ersatz von Reparatur- und Restaurationskosten für einen Gegenstand geht.

Der Hinweis auf Treu und Glauben und damit auf Artikel 2 ZGB macht deutlich, dass der Eigentümer nicht irgendwelche Heilungskosten auf den Haftpflichtigen ­ oder dessen Versicherung ­ überwälzen kann. Namentlich gilt es zu verhindern, dass mit verletzten Tieren zu Lasten des Haftpflichtigen experimentiert wird. Zu fragen ist immer danach, wie sich ein verständiger Eigentümer und Tierhalter in der konkreten Situation verhalten würde, falls er selber für die Heilungskosten aufkommen müsste.

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SR 220

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Art. 43 Abs. 1bis (neu) OR

Der Beziehung zu Tieren kommt in unserer Gesellschaft eine immer grössere Bedeutung zu. Durch die ausdrückliche Nennung des gefühlsmässigen Wertes, den ein Tier für seinen Halter oder dessen Angehörige haben kann, soll klargestellt werden, dass das emotionale Verhältnis zwischen Tier und Mensch ein schützenswertes Rechtsgut ist, das der Richter in seine Güterabwägung einzubeziehen hat. Bei der Bemessung des Schadenersatzes wurden bisher dem Ersatz des Affektionswerts, den jemand einer Sache infolge einer ganz persönlichen, ausserhalb wirtschaftlicher Überlegungen stehenden Hochschätzung beimisst, nicht Rechnung getragen. Mag dies im Verhältnis zu leblosen Dingen angehen, so wird es dem Verhältnis zu Tieren nicht gerecht. Falls ein Tier von einem Schädiger schwer verletzt oder getötet wurde, soll der Täter verpflichtet werden, dem Tierhalter auch den Affektionswert zu ersetzen.

Es ist klar, dass der Affektionswert keine eindeutig bestimmbare Grösse ist und dass der Verlust eines geliebten Tieres nicht mit Geld aufgewogen werden kann. In diesem Sinne nähert sich die Bestimmung von Artikel 43 Absatz 1bis (neu) OR der Genugtuung nach Artikel 49 OR, der die widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit betrifft. Nach beiden Bestimmungen soll ein immaterieller Schaden teilweise durch Geld wiedergutgemacht werden. In klarer Abgrenzung zu der Genugtuung nach Artikel 47, der sich in aller Regel auf die Verletzung oder Tötung von Menschen bezieht, soll der Affektionswert für Tiere in die Bemessung des Schadenersatzes einbezogen werden.

Eine Minderheit beantragt Streichung dieser Bestimmung. Sie befürchtet, dass in der Praxis dem Affektionswert von Tieren gegenüber der Genugtuung bei Verletzung oder Tötung von Menschen zu viel Gewicht beigemessen werden könnte.

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Strafgesetzbuch

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Art. 110 StGB

Die Anführung der Tiere bei den Erklärungen gesetzlicher Ausdrücke in Artikel 110 Strafgesetzbuch4 (StGB) entspricht dem Grundgedanken der Revision, die die Unterscheidung zwischen Tieren und Sachen im Gesetz zum Ausdruck bringen will.

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Art. 332

Artikel 332 StGB wird durch den Hinweis auf Artikel 720a (neu) ZGB ergänzt.

Nachdem für den Fund von Tieren ein eigener Artikel geschaffen wurde, muss der Anwendungsbereich der Strafnorm von Artikel 332 StGB auch auf diesen erstreckt werden. Nicht erfasst von dieser Strafnorm wird, wer den Eigentümer kennt, ihn aber nicht über den Fund benachrichtigt. Möglich bleibt in diesem Fall aber eine Bestrafung wegen unrechtmässiger Aneignung nach Artikel 137 StGB.

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SR 311.0

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Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (Art. 92 Ziff. 1a [neu] SchKG)

Eine Minderheit beantragt zusätzlich die Aufnahme eines Pfändungsverbots für Haustiere in Artikel 92 Ziffer 1a (neu) des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)5. Die Bedeutung, die ein Tier für Menschen haben kann, die von Vereinsamung bedroht sind, wird zunehmend erkannt, beispielsweise in der Drogenszene oder in Altersheimen. Ein ausdrückliches Pfändungsverbot für Tiere soll für die Rechtsanwender eine klare Situation schaffen. Die Pfändung von Haustieren erfolgt zwar selten, einerseits aus menschlichen Gründen, anderseits auch, weil die Verwertung von Tieren schwierig ist. Infolge der unsicheren Wirtschaftslage dürfte sich aber die Zahl der Betreibungen erhöhen, so dass sich die Frage nach der Pfändbarkeit von Tieren öfter stellen und auch in der Öffentlichkeit vermehrt diskutiert werden dürfte. Um Missbräuchen vorzubeugen, beschränkt sich auch diese Änderung auf Tiere im häuslichen Bereich, die nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden.

Trotz der grundsätzlichen Unpfändbarkeit eines Tieres sollen die Kosten für dessen Unterhalt und medizinische Betreuung aus dem Pauschalbetrag bestritten werden, der dem Schuldner verbleibt. Dies entspricht der Praxis des Betreibungsrechts, wonach finanzielle Belastungen für ein Hobby nicht in die Berechnung des Existenzminimums einbezogen werden.

Die Mehrheit der Kommission ist gegen Aufnahme dieser Bestimmung. Die Frage, wie weit der Unterhalt der Tiere in die Berechnung des Existenzminimums einbezogen wird, könnte zu zahlreichen Streitigkeiten führen, und eine klare Regelung ist kaum möglich.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Für den Bund hat die Vorlage keine finanziellen Auswirkungen. Eine finanzielle Mehrbelastung erwächst den Kantonen wegen Artikel 720a (neu) ZGB, der sie verpflichtet, eine Stelle zu bezeichnen, bei der verlorene Tiere anzuzeigen sind. Diese Mehrbelastung lässt sich nicht quantifizieren. Sie dürfte aber kaum ins Gewicht fallen, nachdem Funde ­ über 10 Franken ­ schon heute anzuzeigen sind (Art. 720 Abs. 2 ZGB) und die Kantone die Möglichkeit haben, ihre Aufwendungen dem Eigentümer der gefundenen Sache zu belasten (Art. 722 Abs. 2 ZGB).

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Verhältnis zum europäischen Recht

Keine Bestimmung des europäischen Rechts befasst sich mit der Frage, welchen Schutz Tiere bzw. deren Eigentümer im Privatrechtsverkehr geniessen. Hinzuweisen ist immerhin auf das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren vom 13. November 1987 (SR 0.456), das die Schweiz am 3. November 1993 ratifiziert hat. Dessen Anforderungen an den Handel mit Heim- bzw. Haustieren (Art. 6 und 8 der Konvention) berühren die Vorschläge der vorgeschlagenen Revision des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts nicht.

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SR 281.1

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Verfassungsmässigkeit (Basis neue Verfassung)

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 122 und 123 der neuen Bundesverfassung (nBV; entspricht den Art. 64 und 64bis aBV), wonach die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Strafrechts Sache des Bundes ist. Im Übrigen ist auf Artikel 80 nBV (entspricht Art. 25bis aBV) zu verweisen, der den Bund dazu ermächtigt bzw.

verpflichtet, Vorschriften über den Schutz der Tiere zu erlassen und dabei ausdrücklich die Tierhaltung und die Tierpflege (Abs. 2 Bst. a) erwähnt. Überdies schützt Artikel 120 Absatz 2 nBV (entspricht Art. 24novies aBV) die Würde der Kreatur.

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