99.042 Botschaft zum Europäischen Übereinkommen vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) vom 5. Mai 1999

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit Botschaft und Entwurf zu zwei Bundesbeschlüssen betreffend das Europäische Übereinkommen vom 1. Juli 1970 über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. Mai 1999

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Ruth Dreifuss Der Bundeskanzler: François Couchepin

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1999-4500

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

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Ausgangslage

Die Europäische Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (ECE) begann im Jahre 1969 damit, eine einheitliche Regelung der Arbeitsbedingungen im internationalen Strassenverkehr auszuarbeiten. Im Verlaufe dieser Vorarbeiten konnten die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG heute: Europäische Gemeinschaft [EG]) ihr politisches Gewicht voll und ganz durchsetzen, so dass man sich bei der Schaffung des Übereinkommens praktisch auf der ganzen Linie an die damals geltende EWG-Verordnung vom 25. März 1969 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Strassenverkehr (EWG-Verordnung 543/69) anlehnte. Am 1. Juli 1970 wurde das Europäische Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) in Genf abgeschlossen und von 13 Staaten, darunter der Schweiz, unterzeichnet.

Mit Botschaft vom 14. Mai 1975 (BBl 1975 I 1798) hat der Bundesrat der Bundesversammlung das AETR zur Genehmigung unterbreitet mit dem Antrag, ihn zur Ratifikation zu ermächtigen. Mit Bundesbeschluss vom 17. Dezember 1975 (BBl 1975 II 2316) wurde der Bundesrat ermächtigt, das AETR «zu gegebener Zeit mit oder ohne Vorbehalte zu ratifizieren, Änderungen des Übereinkommens vorzuschlagen oder solchen zuzustimmen und die Ausführungsbestimmungen zu erlassen.» Mit der Totalrevision der Verordnung vom 6. Mai 1981 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer (ARV; AS 1981 I 480) hat der Bundesrat die notwendigen Ausführungsbestimmungen für die Umsetzung des AETR geschaffen. Damit war die Schweiz an sich bereit, das Übereinkommen zu ratifizieren; trotzdem wartete sie mit der Ratifikation zu, und zwar aus folgendem Grund: Schon kurz nach Inkrafttreten der ARV am 1. September 1981 wurde nämlich bekannt, dass die EG eine umfassende Revision der Verordnung 543/69 plante. Wie erwähnt, hatte sie schon bei der Schaffung des AETR dank ihrer politischen Geschlossenheit das einschlägige EG-Recht faktisch voll im Übereinkommen einbringen können, und es war daher wiederum zu erwarten, dass auch die neue EGVerordnung über kurz oder lang wieder Eingang in das AETR finden würde. Die Schweiz hatte daher zum damaligen Zeitpunkt kein Interesse daran, gewissermassen die Katze im Sack zu kaufen. Zudem hatte die EG schon unter der EWGVerordnung 543/69
grenzüberschreitende Transporte innerhalb der EG als Gemeinschaft interne Transporte und nicht als internationale Transporte im Sinne des AETR angesehen. Es war daher zu befürchten, dass die EG im internationalen Verkehr ­ bei einer Diskrepanz zwischen EG-Recht und AETR ­ gegenüber den AETRStaaten das allenfalls strengere AETR und zwischen den EG-Ländern unter sich das mildere EG-Recht anwenden würde. Die Schweiz hatte daher Anfangs der Achtzigerjahre kein Interesse daran, sich mit der Ratifikation des AETR völkerrechtlich die Hände zu binden.

Am 20. Dezember 1985 hat die EG die Verordnung über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Strassenverkehr (EWG-Verordnung 3820/85) und die Verordnung über das Kontrollgerät im Strassenverkehr (EWG-Verordnung

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3821/85) erlassen. Die beiden Verordnungen ersetzten die EWG-Verordnung 543/69.

Das neue EG-Recht unterschied sich sehr stark vom damals geltenden AETR und dies brachte ­ wie nicht anders erwartet worden war ­ im internationalen Verkehr grosse Unsicherheiten mit sich. Nachdem ein auf Initiative der Schweiz hin unternommener Versuch zur Harmonisierung des AETR und EG-Rechts Ende der Achtzigerjahre gescheitert war, wurde ­ wie dies schon vorausgesehen worden war ­ das AETR 1992/93 in seinem materiellen Gehalt vollständig und wörtlich den beiden EWG-Verordnungen angeglichen.

1975 wurde dem Bundesrat die Kompetenz eingeräumt, das AETR in der damaligen Fassung zu ratifizieren und künftige Änderungen zu genehmigen (vgl. dazu BBl 1975 I 1798, AmtlBull NR 1975 1137 f., AmtlBull SR 1975 765 f. sowie BBl 1975 II 2316). Der entsprechende Bundesbeschluss konnte allerdings wegen der ausgebliebenen Ratifikation des AETR mangels Publikation gar nicht in Kraft treten. Die Revision des AETR von 1992/93, welche materiell eine Angleichung an das neue EG-Recht darstellt, hat zudem zu derart umfassenden Änderungen geführt, dass die parlamentarische Genehmigung aus dem Jahre 1975 das Übereinkommen in der heutigen Fassung nicht mehr abdeckt. Eine Genehmigung des geänderten Übereinkommens durch den Bundesrat im Sinne des Bundesbeschlusses von 1975 ist damit nicht möglich. Aus diesen Gründen wird das AETR in seiner Fassung von 1993 noch einmal der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet.

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Das geltende schweizerische Recht

Nach Artikel 56 Absatz 1 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) ordnet der Bundesrat die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer. Er sichert ihnen eine ausreichende tägliche Ruhezeit sowie Ruhetage, sodass ihre Beanspruchung nicht grösser ist als nach den gesetzlichen Regelungen für vergleichbare Tätigkeiten. Er sorgt für eine wirksame Kontrolle der Einhaltung dieser Bestimmungen.

Die EWG-Verordnungen 3820/85 und 3821/85 waren Bestandteil des in der Abstimmung vom 6. Dezember 1992 von Volk und Ständen abgelehnten Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen). Im Rahmen der nachfolgenden autonomen Anpassung schweizerischen Rechts an EG-Recht (sog.

«SWISSLEX») beschloss der Bundesrat, die sich auf Artikel 56 Absatz 1 SVG abstützende ARV diesen beiden EWG-Verordnungen anzupassen. Mit der Verordnung vom 19. Juni 1995 über die Arbeits- und Ruhezeit der berufsmässigen Motorfahrzeugführer und -führerinnen (Chauffeurverordnung/ARV 1; SR 822.221) wurde dieser Beschluss vollzogen und das einschlägige EG-Recht ins Landesrecht übernommen. Die neue Chauffeurverordnung ist am 1. Oktober 1995 in Kraft getreten.

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Gründe für die Ratifikation des AETR

Das Übereinkommen bezweckt, durch die Vereinheitlichung der Lenk- und Ruhezeitvorschriften für berufsmässige Motorfahrzeugführer und -führerinnen im internationalen Verkehr, die Verkehrssicherheit zu fördern, gewisse Arbeitsbedingungen nach den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation zu regeln und der Be6090

achtung dieser Bestimmungen durch geeignete Kontrollmassnahmen Nachachtung zu verschaffen. Das AETR stimmt damit ­ beschränkt auf den internationalen Strassenverkehr ­ voll und ganz mit der Zielsetzung des Gesetzgebers in Artikel 56 SVG und dessen Ausführungsverordnung, der Chauffeurverordnung, überein. Wie erwähnt entspricht das AETR, was seine materiellen Bestimmungen betrifft, seit seiner umfassenden Revision in den Jahren 1992/93 wörtlich den EWG-Verordnungen 3820/85 und 3821/85. Im Rahmen der bilateralen Verhandlungen wurde seitens der EG der Wunsch geäussert, dass sich die Schweiz durch Ratifikation des AETR staatsvertraglich dazu verpflichte, das harmonisierte europäische Recht zu übernehmen.

Im Verhältnis der Schweiz zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wird das AETR zwar keine praktischen Auswirkungen haben. Doch wird es ­ wie für diese auch ­ im internationalen Strassenverkehr mit nicht EU-Mitgliedstaaten die Lenk- und Ruhezeitvorschriften für berufsmässige Motorfahrzeugführer und -führerinnen vereinheitlichen, sodass faktisch bei internationalen Transporten in ganz Europa die gleichen Vorschriften gelten werden. Eine solche einheitliche Ordnung, vor allem auch in Bezug auf die Kontrollgeräte, erleichtert und vereinfacht die Kontrollen, was für die Schweiz als Transitland von grosser Bedeutung ist. Gleiche Vorschriften in ganz Europa liegen auch im Interesse der schweizerischen Transportwirtschaft. Das AETR ist deshalb heute zu ratifizieren; es gibt keine sachlichen Argumente mehr für einen Verzicht auf die Ratifikation.

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Art. 2

Besonderer Teil: Erläuterungen zu einzelnen Bestimmungen des Übereinkommens Geltungsbereich

Grundsätzlich gilt das AETR für den internationalen Strassenverkehr im Hoheitsgebiet jedes Vertragsstaates für jedes Fahrzeug zum Sachen- oder Personentransport, das dort oder im Hoheitsgebiet eines andern Vertragsstaates zugelassen ist. Von diesem Grundsatz gibt es verschiedene Ausnahmen, wobei diese im Wesentlichen mit den Ausnahmen übereinstimmen, die die Chauffeurverordnung ­ in Anlehnung an die EWG-Verordnung 3820/85 ­ in Artikel 4 für ihren Geltungsbereich vorsieht (z. B. für Fahrzeuge zum Sachentransport bis zu einem Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen).

Art. 3

Anwendungen von Bestimmungen des Übereinkommens auf den Strassenverkehr mit Fahrzeugen aus Nichtvertragsstaaten

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, auch gegenüber Fahrzeugen und deren Lenkern aus Nichtvertragsstaaten die wichtigsten Vorschriften des AETR (z. B.

Höchstlenkzeit, minimale tägliche Ruhezeit) anzuwenden.

Art. 6­8

Lenkzeiten, Unterbrechungen, Ruhezeiten

Artikel 6­8 enthalten die materiellen Vorschriften, d. h. Vorschriften über die maximal zulässigen täglichen und wöchentlichen Lenkzeiten, die minimalen Unterbrechungen (Lenkpausen) und die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten. Wie er6091

wähnt stimmen diese Bestimmungen mit den entsprechenden Vorschriften der Chauffeurverordnung überein.

Art. 10

Kontrollgerät

Artikel 10 sieht als Kontrollmittel die Verwendung eines Fahrtschreibers nach Bauart der EWG-Verordnung 3821/85 vor. Die Details sind im Anhang zum AETR enthalten. Die Schweiz verlangt in Artikel 100 Absatz 2 der Verordnung vom 19. Juni 1995 über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS; SR 741.41) ebenfalls einen Fahrtschreiber nach Bauart der erwähnten EG-Verordnung, und die in der Chauffeurverordnung enthaltenen Regeln über die Verwendung dieses Kontrollmittels stimmen mit dem EG-Recht und dem AETR überein.

Art. 12

Durchführungsbestimmungen

Die Durchführungsbestimmungen des AETR sehen namentlich vor, dass die Vertragsparteien einander Beistand im Hinblick auf die Anwendung des Übereinkommens gewähren, z. B. indem sie einander regelmässig die von Gebietsfremden begangenen Widerhandlungen gegen das Übereinkommen melden.

Art. 14­25

Bestimmungen über die Änderung des AETR, Übergangs- und Schlussbestimmungen

Gemäss Artikel 15 kann jede Vertragspartei das Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtete Notifikation kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate später wirksam.

Änderungen des Übereinkommens können von den Vertragsparteien vorgeschlagen werden und treten in Kraft, wenn keine der Vertragsparteien dagegen Einspruch erhoben hat (Art. 21 Ziff. 1­7). Es rechtfertigt sich, die Kompetenz zum Vorschlag neuer Änderungen beziehungsweise zur Annahme oder Ablehnung vorgeschlagener Änderungen dem Bundesrat zu übertragen, wie dies auch im Bundesbeschluss vom 17. Dezember 1975 vorgesehen war: Das Änderungsverfahren sieht vor, dass eine Partei, nachdem sie vom Änderungsvorschlag durch den Generalsekretär der UNO in Kenntnis gesetzt wurde, binnen sechs Monaten mitteilen kann, dass sie gegen den Änderungsvorschlag Einspruch erhebt (Art. 21 Ziff. 2 Bst. a) oder dass sie den Vorschlag zwar anzunehmen beabsichtigt, die für die Annahme erforderlichen Voraussetzungen in ihrem Staat jedoch noch nicht erfüllt sind (Art. 21 Ziff. 2 Bst. b). Hat eine Partei eine Annahmebeabsichtigung gemäss Artikel 21 Ziffer 2 Buchstabe b bekanntgeben, kann sie binnen 9 Monaten gegen den Änderungsvorschlag Einspruch erheben (Art. 21 Ziff. 3). Die Einhaltung dieser Fristen wäre ohne Kompetenzdelegation an den Bundesrat durch die Schweiz nur schwer möglich. Zudem enthält das Übereinkommen Bereiche, für deren Regelung der Bundesrat auch im Landesrecht zuständig ist (vgl. Art. 56 SVG).

Der Anhang des Übereinkommens kann durch Vereinbarung zwischen den zuständigen Verwaltungen aller Vertragsparteien geändert werden (Art. 21 Ziff. 8). In der Schweiz ist der Bundesrat für die Genehmigung solcher Änderungen zuständig.

Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Anlagen zum Anhang einem vereinfachten Änderungsverfahren unterstellt sind: Gemäss Artikel 22 Ziffer 4 tritt eine

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durch den Hauptausschuss Strassenverkehr der ECE angenommene Änderung der Anlagen in Kraft, wenn nicht innert 6 Monaten ein Drittel der zuständigen Behörden der Vertragsparteien Einspruch gegen die Änderung erhebt. Auch für das Einspruchsverfahren soll der Bundesrat zuständig erklärt werden.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeitvorschriften der Chauffeurverordnung, die ­ wie erwähnt ­ mit den entsprechenden Vorschriften der EG-Verordnungen 3820/85 und 3821/85 und damit auch mit dem AETR übereinstimmen, werden durch die für den Vollzug der ARV 1 zuständigen Kantone (Art. 106 Abs. 2 SVG; Art. 23 Abs. 1 ARV 1) bereits effektiv kontrolliert. Daher wird die Ratifikation des AETR weder dem Bund noch den Kantonen finanziellen oder personellen Mehraufwand bringen.

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Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Legislaturplanung 1995­1999 nicht angekündigt. Weil die Ratifikation des AETR in einem sachlichen Zusammenhang mit dem bilateralen Landverkehrsabkommen Schweiz-EG steht, drängt es sich jedoch auf, das Geschäft zusammen mit diesem zu behandeln.

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Verfassungsmässigkeit

Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung des Übereinkommens beruht auf Artikel 85 Ziffer 5, diejenige über den Beschluss über die Ermächtigung des Bundesrates zur Annahme von Änderungen des Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Strassenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) und dessen Anhang auf Artikel 85 Ziffer 2 der Bundesverfassung.

Das Übereinkommen ist jederzeit auf sechs Monate kündbar. Es ist mit ihm kein Beitritt zu einer internationalen Organisation verbunden. Die Vertragsstaaten verpflichten sich aber, im Bereich des internationalen Strassenverkehrs hinsichtlich Arbeitsbedingungen (Lenk- und Ruhezeiten) bestimmte Mindestwerte festzulegen (Art. 5­8) und nach den Bestimmungen des Abkommens (Art. 10 f.) zu kontrollieren. Das Abkommen führt so eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung im Sinne von Artikel 89 Absatz 3 Buchstabe c der Bundesverfassung herbei, weshalb seine Genehmigung dem fakultativen Staatsvertragsreferendum zu unterstellen ist.

Die Delegation der Abschlusskompetenz an den Bundesrat ist gestützt auf Artikel 89 Absatz 2 der Bundesverfassung dem fakultatitven Gesetzesreferendum zu unterstellen.

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