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Botschaft über eine Kompetenzzuweisung des Kantons Tessin an das Bundesgericht

vom 28. Juni 1989

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit Antrag auf Zustimmung Botschaft und Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Kompetenzzuweisung des Kantons Tessin an das Bundesgericht.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. Juni 1989

1989-376

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Delamuraz Der Bundeskanzler: Buser

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Übersicht Nach Artikel 114bls Absatz 4 der Bundesverfassung sind die Kantone mit Genehmigung der Bundesversammlung befugt, Admirtistrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem Bundesgericht zur Beurteilung zuzuweisen. Der Kanton Tessin hat in seinem neuen Gesetz über die Haftung der Gemeinwesen und ihrer Amtsträger eine solche Kompetenzzuweisung vorgesehen und ersucht die Bundesversammlung um deren Genehmigung.

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Botschaft l

Ausgangslage

Am 24. Oktober 1988 hat der Grosse Rat des Kantons Tessin ein Gesetz über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Gemeinwesen und ihrer Amtsträger verabschiedet. Dieses Gesetz sieht in Artikel 22 Absatz 3 die folgende Kompetenzzuweisung ans Bundesgericht vor, die von der Bundesversammlung genehmigt werden muss: Art. 22 Zuständigkeit 1 Zur Beurteilung von Klagen gegen das Gemeinwesen ist der ordentliche Zivilrichter zuständig, der die Zivilprozessordnung anwendet.

2 Zur Beurteilung von Klagen gegen den Amtsträger und Regressklagen unter Gemeinwesen ist das kantonale Verwaltungsgericht als i einzige Instanz zuständig, die das Verwaltungsverfahrensgesetz anwendet.

3 Das Bundesgericht ist zuständig zur Beurteilung von Klagen gegen den Kanton für Handlungen eines Mitgliedes, eines Stellvertreters, des Gerichts- · Schreibers oder stellvertretenden Gerichtsschreibers des Appellationsgerichtes, sowie Klagen des .Kantons gegen die genannten Personen.

Der Staatsrat des Kantons Tessin hat am 10. November 1988 um die Genehmigung dieser Vorschrift ersucht.

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Stellungnahme des Bundesgerichts

Das Bundesgericht, dem die Gesetzesvorlage am 5. Januar 1989 unterbreitet worden ist, hat gegen die Kompetenzzuweisung nichts einzuwenden.

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Würdigung

Das Bundesgericht als Verwaltungsgericht hat die Aufgabe, die Anwendung des Bundesverwaltungsrechts durch eidgenössische und kantonale Instanzen zu überprüfen (Art. 114bis Abs. l BV; Art. 104 Bst. a OG), während die Anwendung des kantonalen Verwaltungsrechts grundsätzlich Aufgabe kantonaler Behörden ist. Diese Aufgabenteilung zwischen dem Bundesverwaltungsgericht und den kantonalen Verwaltungsrechtspflegeorganen entspricht der bundesverfassungsrechtlichen Ausscheidung der Rechtsetzungskompetenzen von Bund und Kantonen und ist ein Ausfluss des föderalistischen Aufbaus unseres Landes (Grisel André, Droit administratif suisse, S. 518). Eine Ausnahme bildet die Prüfung der auf kantonalem Recht beruhenden Verfügungen und Verwaltungsentscheide auf ihre Verfassungsmässigkeit durch das Bundesgericht im Rahmen der ihm nach Artikel 113 Absatz l Ziffer 3 der Bundesverfassung zugewiesenen Verfassungsgerichtsbarkeit (vgl. Kap. IV Ziff. 8 der Botschaft vom 29. Sept.

1965 über den Ausbau der Verfassungsgerichtsbarkeit im Bunde; BB1 1965 II 1288).

Eine weitere Ausnahme sieht Artikel 114bis Absatz 4 der Bundesverfassung vor, 1353

wonach die Kantone mit Genehmigung der Bundesversammlung befugt sind, Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem Eidgenössischen Verwaltungsgericht zuzuweisen. Ihrem Ausnahmecharakter entsprechend, ist diese Bestimmung mit Zurückhaltung anzuwenden. Für die Kompetenzzuweisung muss ein genügendes Bedürfnis bestehen; deshalb bedarf sie der Genehmigung durch die Bundesversammlung. Sie kann namentlich dann als gerechtfertigt erscheinen, wenn besondere Gründe gegen die Zuweisung gewisser Streitigkeiten an eine kantonale Behörde sprechen, so in Fällen, in denen Magistratspersonen in den Streit verwickelt sind und die kantonale Behörde dann gewissermassen in eigener Sache entscheiden müsste.

Das Bedürfnis, Haftungsstreitigkeiten, in die oberste kantonale Behörden verwickelt werden könnten, vom Bundesgericht beurteilen und entscheiden zu lassen, ist in der bisherigen Praxis stets als ausreichend für eine Kompetenzzuweisung nach Artikel 114bis Absatz 4 der Bundesverfassung betrachtet worden. Das gilt auch für streitige Regressansprüche des Staates gegen einzelne Mitglieder kantonaler Gerichte (vgl. namentlich die Botschaft vom 6. Mai 1987 über eine Kompetenzzuweisung des Kantons Freiburg an das Bundesgericht [BB1 1987II 829], die Botschaft vom 23. ApriM986 über Kompetenzzuweisungen des Kantons Schaffhausen ans Bundesgericht [BB1 1986II 237] oder die Botschaft vom 23. April 1980 über Kompetenzzuweisungen der Kantone Zug, Thurgau und Wallis an das Bundesgericht [BB1 7950II 429 ff.]). Mit dieser Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht soll verhindert werden, dass das Appellationsgericht einerseits gewissermassen in eigener Sache sowie anderseits über Regress- oder Schadenersatzbegehren gegen seine Mitglieder entscheiden müsste.

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Verfahren des Bundesgerichtes

Nach Artikel 121'des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; SR 173.110) sind die dem Bundesgericht in Anwendung von Artikel 114bls Absatz 4 der Bundesverfassung zugewiesenen kantonalen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten in dem für das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz oder einzige Instanz der Verwaltungsrechtspflege vorgesehenen Verfahren (Art. 97-120 OG) zu erledigen, soweit die Bundesversammlung nichts anderes beschliesst.

Der Kanton Tessin hat bezüglich des Verfahrens, nach welchem die dem Bundesgericht zuzuweisenden Streitigkeiten zu erledigen sind,1 keine Anträge gestellt. In Anlehnung an analoge Fälle von Kompetenzzuweisungen ist das für den direkten verwaltungsrechtlichen Prözess in den Artikeln 116-120 OG vorgesehene Verfahren anzuwenden. Die Bundesversammlung hat somit keinen Anlass, von Artikel 121 OG abzuweichen.

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Verfassungsmässigkeit

Der Beschluss Genehmigung des einfachen, len (Art. 8 des 1354

stützt sich auf Artikel 114bis Absatz 4 der Bundesverfassung. Die hat nicht allgemeinverbindlichen Charakter. Sie ist in der Form nicht dem Referendum unterstellten Bundesbeschlusses zu ertei!

Geschäftsverkehrsgesetzes; SR 171.11).

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Bundesbeschluss über die Genehmigung einer Kompetenzzuweisung des Kantons Tessin an das Bundesgericht

Entwurf

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

, .

bis

gestützt auf Artikel 114 Absatz 4 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 28. Juni 1989'>, beschliesst:

Art. l 1

Der Artikel 22 Absatz 3 des Gesetzes des Kantons Tessin vom 24. Oktober 1988 über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Gemeinwesen und ihrer Amtsträger wird genehmigt.

2 Das Bundesgericht beurteilt entsprechende Streitigkeiten im Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage.

Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.

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» BEI 1989 II 1351

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Botschaft über eine Kompetenzzuweisung des Kantons Tessin an das Bundesgericht vom 28. Juni 1989

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1989

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33

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89.047

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22.08.1989

Date Data Seite

1351-1355

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