Zweckmässigkeit der Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für Statistik Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 19. Oktober 2018

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Die vom Bundesamt für Statistik (BFS) erstellten Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung (im Folgenden: Szenarien) sind in verschiedenen Bereichen der Schweizer Politik elementare Planungsgrundlagen. Rund alle fünf Jahre erstellt das BFS drei unterschiedliche Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung ­ ein hohes, mittleres und tiefes Szenario1 ­ für die gesamte Schweiz und für jeden Kanton. Basierend auf diesen Szenarien bereiten Bundesämter, aber auch Kantone und Dritte, Entscheide von grosser Tragweite vor.

In den vergangenen Jahren wurden die Szenarien des BFS in mehrfacher Hinsicht kritisiert.2 Die oft nach wenigen Jahren festzustellenden Abweichungen der Szenarien gegenüber der realen Bevölkerungsentwicklung liessen Zweifel an deren Qualität aufkommen. Verschiedentlich wurde die Vermutung geäussert, diese Unterschätzung entspreche einem politischen Willen. Ausserdem monierten manche Stimmen, dass sich die Bundesämter bei ihrer Arbeit praktisch ausschliesslich auf das mittlere Szenario berufen würden. Im Weiteren wurde kritisiert, dass die vom BFS erstellten kantonalen Bevölkerungsszenarien kantonsspezifische Aspekte zu wenig einbeziehen würden, was einige Kantone dazu veranlasste, eigene Szenarien zu erstellen.

Vor diesem Hintergrund beschlossen die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) an ihrer Sitzung vom 28. Januar 2016, die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK)3 mit der Überprüfung der Zweckmässigkeit der Bevölkerungsszenarien des BFS zu beauftragen. Das Geschäft wurde der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) zugewiesen.

1.2

Gegenstand der Evaluation, Verfahren und Kompetenzen der GPK

Die zuständige Subkommission Eidgenössisches Departement des Innern/Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (EDI/ UVEK) der GPK-S4 beschloss an ihrer Sitzung vom 18. November 2016, den Fokus 1

2 3

4

Die Hypothesen der drei Szenarien, die vom BFS 2015 veröffentlicht wurden, werden im Evaluationsbericht der PVK «Zweckmässigkeit der Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für Statistik» ausgeführt; Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 2.3.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 1.1.

Für Informationen zur Aufgabe und zur Arbeitsweise der PVK: siehe Jahresbericht 2017 der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle vom 30.1.2018, Kap. 1 (BBl 2018 2059, hier 2065).

Die Subkommission EDI/UVEK der GPK-S setzt sich zusammen aus Ständerat Claude Hêche (Präsident), Ständerätin Géraldine Savary und den Ständeräten Joachim Eder, Peter Föhn und Werner Luginbühl.

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bei der Überprüfung auf die Genauigkeit, den Erarbeitungsprozess und die Angemessenheit der Szenarien des BFS zu legen.

Zur Überprüfung der Genauigkeit der Szenarien führte die PVK einen statistischen Vergleich der nationalen und kantonalen Szenarien des BFS aus den Jahren 2002, 2005 und 2010 mit der realen Bevölkerungsentwicklung durch. Weiter erhob sie die Abweichungen der Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung von vier Vergleichsländern (Deutschland, Liechtenstein, Norwegen und Österreich) und verglich die Genauigkeit dieser Szenarien mit jenen der Schweiz. Die PVK analysierte ausserdem die Fachliteratur der vier Vergleichsländer und befragte Mitarbeitende der statistischen Ämter dieser Länder.5 Bei der Beurteilung des Erarbeitungsprozesses und der Angemessenheit der Szenarien stützte sich die PVK auf die Analyse von Dokumenten und auf Gespräche mit rund 60 Personen, darunter hauptsächlich Expertinnen und Experten sowie Angestellte von Bundesämtern, aber auch Vertreterinnen und Vertreter von sechs Kantonen (Freiburg, Genf, Solothurn, Uri, Zug und Zürich) sowie Dritte, für welche die Szenarien des BFS ebenfalls dienlich sein könnten und die unter anderem aus der Privatwirtschaft stammen.6 Die Subkommission EDI/UVEK der GPK-S befasste sich an ihrer Sitzung im Februar 2018 mit dem Evaluationsbericht der PVK und erarbeitete gestützt darauf einen Berichtsentwurf. Die GPK-S beriet und genehmigte diesen Entwurf und die darin formulierten Empfehlungen an ihrer Sitzung vom 19. Oktober 2018 und liess ihren Bericht zusammen mit dem PVK-Evaluationsbericht dem Bundesrat zukommen. An derselben Sitzung beschloss die GPK-S, die beiden Berichte zu veröffentlichen.

Im vorliegenden Bericht beurteilt die GPK-S die wichtigsten Feststellungen der PVK. Die Erläuterungen und Kommentare der PVK werden nur so weit wiedergegeben, wie dies für das Verständnis der Beurteilungen und Schlussfolgerungen der GPK-S nötig ist.

2

Feststellungen und Empfehlungen

2.1

Vorbemerkung

Gegenstand des vorliegenden Berichts sind die vom BFS erarbeiteten Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung. Es ist wichtig festzuhalten, dass es sich dabei nicht um Prognosen handelt. Wie die PVK in ihrem Evaluationsbericht7 ausführt, basieren die Szenarien primär auf qualitativen Einschätzungen und beschreiben mögliche zukünftige Entwicklungen. Oberstes Ziel der Szenarien ist nicht die Exaktheit, sondern sie sollen in erster Linie ein besseres Verständnis für Schlüsselkomponenten, Prozesse und entscheidungsrelevante Momente schaffen. Die Szenarien bilden verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten ab, die miteinander verglichen werden können. Daher dürfen sie nicht mit Prognosen verwechselt werden, welche ­ basierend 5 6 7

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 1.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 1.2. Das Verzeichnis der Interviewpartnerinnen und -partner findet sich im Anhang des Berichts der PVK.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 2.2.

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auf einer Modellrechnung ­ eine möglichst genaue zukünftige Entwicklung abbilden.

2.2

Nationale Szenarien

2.2.1

Genauigkeit der nationalen Szenarien

Seit 1984 erstellt das BFS circa alle fünf Jahre neue Szenarien zur nationalen Bevölkerungsentwicklung. Es stützt sich dabei auf die Zahlen zur ständigen Wohnbevölkerung sowie auf Hypothesen zur Entwicklung des Geburtenüberschusses und des Migrationssaldos.8 Der von der PVK durchgeführte statistische Vergleich zwischen den Szenarien des BFS und der realen Bevölkerungsentwicklung zeigt deutlich, dass das BFS das nationale Bevölkerungswachstum seit 2000 fast immer unterschätzt hat ­ selbst bei den hohen Szenarien.9 Im internationalen Vergleich sind die Schweizer Szenarien leicht weniger genau als jene der von der PVK herangezogenen Vergleichsländer. 10 Die Genauigkeit der 2015 publizierten Szenarien konnte nicht beurteilt werden, da noch zu wenig Erfahrungswerte vorlagen.

Aus der Evaluation geht hervor, dass die Abweichung der Szenarien des BFS grösstenteils auf eine ungenaue Schätzung der Migration zurückzuführen ist.11 Mit diesem Problem hat nicht nur die Schweiz zu kämpfen: Wie die Analyse der PVK zeigt, ist der mit Abstand häufigste Grund für ungenaue Szenarien in allen Vergleichsländern die Schätzung der Migrationsbewegungen. In der Schweiz allerdings ist der Migrationssaldo am Total der Bevölkerung höher als in den vier Vergleichsländern, weshalb die Abweichungen noch stärker ins Gewicht fallen als in den anderen Ländern.12 Die GPK-S bedauert, dass das BFS in den über die letzten 15 Jahre veröffentlichten Szenarien die Entwicklung der Schweizer Bevölkerung regelmässig unterschätzt hat.

Diese Ungenauigkeit kann weitreichende Folgen haben für die staatliche Politikplanung in der Schweiz. Überdies schadet sie dem Nutzen des Instruments und der Glaubwürdigkeit des BFS in der breiten Bevölkerung und stellt die politische Unabhängigkeit des BFS in Frage.13 Nach Ansicht der Kommission ist diese Kritik jedoch in verschiedener Hinsicht zu relativieren. Die Migration, der Hauptgrund für die Ungenauigkeit der Szenarien der Schweiz und der anderen Länder, hängt von diversen wirtschaftlichen und politischen Faktoren ab, die zu kurzfristigen Schwankungen neigen. Daher ist es für die nationalen Statistikämter äusserst schwierig, die Entwicklung der Migration einzuschätzen. So erstellte das BFS die Szenarien 2015 beispielsweise in dem sehr unge8 9 10 11 12 13

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 2.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 3.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 3.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 3.1. Demgegenüber zeigt sich die Schätzung der Sterbe- und Geburtenrate als relativ genau.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 3.1.

Siehe dazu Kap. 2.3.

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wissen Umfeld der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014.14 Die Hypothesen werden demnach in einem sich stetig wandelnden Umfeld erstellt, was in gewissen Fällen zu einer Unter-, aber auch zu einer Überschätzung der Migrationsentwicklung führen kann.

Die GPK-S stellt somit fest, dass die Ungenauigkeit der Szenarien des BFS grösstenteils auf einen Faktor zurückzuführen ist: den Migrationssaldo, der äusserst schwierig einzuschätzen ist und auf den das BFS keinen direkten Einfluss hat. Man kann sich höchstens fragen, ob das BFS ­ angesichts der bereits seit Anfang 2000 festgestellten grossen Abweichungen ­ nicht schneller auf die Bevölkerungsentwicklung hätte reagieren und seine Arbeitshypothesen und Szenarien hätte entsprechend anpassen können.

Die Kommission hebt hervor, dass die vom BFS regelmässig publizierten Zahlen zur realen Bevölkerungsentwicklung15 jederzeit erlauben, einen transparenten Vergleich mit den vom Bundesamt erarbeiteten Szenarien anzustellen und die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen. Ausserdem erinnert sie daran, dass die Szenarien dazu dienen, Tendenzen in der Bevölkerungsentwicklung über mehrere Jahrzehnte abzuschätzen (die Szenarien 2015 beziehen sich z. B. auf einen Zeitraum von 30 Jahren16). Die Kritik an der kurzfristigen Ungenauigkeit ist folglich zu relativieren.

Um eine bessere Genauigkeit der nationalen Szenarien (aber auch der kantonalen Szenarien, siehe dazu Kap. 2.4.1) zu erreichen, ist es aus Sicht der Kommission erforderlich, vor allem die Qualität der Migrationsprognosemodelle des BFS zu verbessern. Deshalb ersucht die GPK-S den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass die Hypothesen zur Migrationsentwicklung, welche als Grundlage für die Erarbeitung der Szenarien dienen, kontinuierlich optimiert werden und dass der Erfahrungsaustausch mit den anderen Ländern zu diesem Thema verstärkt wird.

Die von der PVK befragten Personen betonten in diesem Zusammenhang, dass sich die Qualität der Hypothesen des BFS zur Migration zwischen 2010 und 2015 bereits verbessert hat.17 Empfehlung 1

Verbesserung der Qualität der Hypothesen zur Migration

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass die Hypothesen zur Migrationsentwicklung, welche als Grundlage für die Erarbeitung der nationalen und kantonalen Szenarien dienen, kontinuierlich optimiert werden und dass der Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern zu diesem Thema gepflegt wird.

14 15 16 17

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.1.

Bundesamt für Statistik: Stand und Entwicklung, www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Bevölkerung (Stand: 24.5.2018).

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 2.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.2. Wie bereits weiter oben ausgeführt, konnte die Genauigkeit der 2015 publizierten Szenarien aufgrund der knappen Frist im Rahmen des PVK-Berichts nicht beurteilt werden.

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2.2.2

Erarbeitung der nationalen Szenarien

Die PVK hat im Rahmen ihrer Evaluation die Erarbeitungsprozesse der neusten, 2015 veröffentlichten nationalen Szenarien des BFS im Detail analysiert. Die Ergebnisse fallen weitgehend positiv aus.18 Dem BFS wird von allen befragten Personen Professionalität attestiert. Die Expertinnen und Experten sowie die Bundesämter werden nach deren Empfinden adäquat einbezogen und sind der Ansicht, dass die Methoden des BFS dem neusten Stand in diesem Bereich und der Vorgehensweise der anderen Länder entsprechen. Das BFS plane vorausschauend und habe die verschiedenen Etappen zur Erarbeitung der Szenarien korrekt definiert. Die Arbeitshypothesen zur Erstellung der Szenarien werden von den Befragten als plausibel beurteilt.19 Die Kritik, welche der PVK während der Gespräche zugetragen wurde, war gering und betraf Detailpunkte. Keine der befragten Personen wünschte sich wesentliche Änderungen an den Prozessen des BFS oder verwies in diesem Zusammenhang auf gravierende Fehler. Härtere Kritik wurde hingegen an der Erarbeitung der kantonalen Szenarien geübt (siehe dazu Kap. 2.4.2).

Die GPK-S hält mit Genugtuung fest, dass alle Befragten die vom BFS angewandte Methodik zur Erarbeitung der nationalen Szenarien als adäquat beurteilen, und zwar sowohl was den Erarbeitungsprozess als auch die Wahl der Hypothesen betrifft. Im Weiteren sind die Bundesämter in der Schweiz sogar stärker in die Erarbeitung der Szenarien eingebunden als die entsprechenden Ämter in einigen der Vergleichsländer.20 Diese Feststellungen belegen, dass die unzureichende Genauigkeit der nationalen Szenarien nicht auf mangelnde Kompetenz oder methodologische Fehler des BFS zurückzuführen ist, sondern auf das grundlegende Problem, dass die Migrationsentwicklung äusserst schwierig einzuschätzen ist (siehe Kap. 2.2.1).

Zudem stellt die Kommission fest, dass das BFS gewillt ist, Verbesserungen anzustreben. Im Hinblick auf die Erarbeitung der Szenarien 2015 analysierte das Bundesamt zunächst die frühere Bevölkerungsentwicklung und verglich diese mit den damals aktuellen Szenarien, um die Ursachen für die Abweichungen zu eruieren. 21 In den Vorbereitungssitzungen legte das BFS den Expertinnen und Experten gegenüber dar, welche Komponenten im Rahmen der früheren Szenarien falsch eingeschätzt worden waren.22 Die GPK-S nimmt überdies zur Kenntnis, dass das
BFS regelmässig den Einsatz neuer Schätzmodelle prüft.23 Solche Verbesserungen können sich positiv auf die Genauigkeit der Szenarien auswirken. Wie bereits erwähnt, war es aufgrund der ungenügenden Erfahrungswerte nicht möglich, im Rahmen des PVK-Berichts die Auswirkungen dieser Verbesserungen auf die Genauigkeit der Szenarien 2015 zu untersuchen.

Der Kommission erscheint es besonders wichtig, dass das BFS die bisherige Praxis, Expertinnen und Experten aus dem wissenschaftlichen Umfeld sowie Vertreterinnen 18 19 20 21 22 23

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.2.

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und Vertreter der Bundesämter in die Erarbeitung der Szenarien einzubeziehen, fortsetzt. Die GPK-S stellt sich die Frage, ob der Einbezug weiterer Akteure ­ insbesondere aus der Privatwirtschaft ­ einen Mehrwert für diese Arbeiten darstellen würde. Eine solche Massnahme könnte die Akzeptanz der Szenarien des BFS ausserhalb der Bundesverwaltung erhöhen. Personen aus diesen Kreisen liessen der PVK gegenüber verlauten, dass eine solche Zusammenarbeit interessant sein könnte, sie in der Regel aber über sehr spezifisches Wissen verfügten, das für eine Expertengruppe womöglich nicht ausreiche.24

2.2.3

Publikation der nationalen Szenarien

2015 publizierte das BFS drei Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung (hohes, mittleres und tiefes Szenario) und acht Varianten, für deren Berechnung jeweils die Hypothesen einer einzigen Komponente geändert wurden.25 Während die von der PVK befragten Akteure die früheren Publikationen als eher unübersichtlich einstuften,26 ist man nun einhellig der Meinung, dass die 2015 gewählte Lösung übersichtlich und angemessen ist. Ausserdem ermögliche sie den einzelnen Bundesämtern, spezifische Szenarien in ihrem Aufgabenbereich durchzurechnen. 27 Die GPK-S begrüsst die vom BFS vorgenommenen Verbesserungen und stellt mit Genugtuung fest, dass die angebotene Lösung trotz den vorgängig erwähnten Ungenauigkeiten (siehe Kap. 2.2.1) den Bedürfnissen der Zielgruppe zu entsprechen scheint.

Die PVK befasste sich ausserdem mit der Regelmässigkeit der Publikation neuer Szenarien: In den vier Vergleichsländern variiert der Publikationszyklus zwischen einem und zehn Jahren. Den vom BFS gewählten Zyklus von fünf Jahren stuft die Mehrheit der von der PVK befragten Personen als angemessen ein.28 Die GPK-S teilt diese Ansicht und hält eine häufigere Publikation der Szenarien nicht für sinnvoll. Wie in der Evaluation hervorgehoben wird,29 können jährlich erneuerte Berechnungen zwar kurzfristig genauere Werte ergeben, mittel- und langfristig bestehen jedoch die bekannten Schwierigkeiten. Zudem würden häufig angepasste Zahlen eine Herausforderung für die Kantone und die Ämter darstellen, da die von ihnen in Berichten und Strategien verwendeten Daten schon bei der Publikation wieder veraltet wären. Die Kommission geht davon aus, dass sich eine häufigere Publikation von Szenarien deutlich auf die erforderlichen Ressourcen beim BFS wie auch in den Ämtern oder Kantonen auswirken würde.

Die Evaluation der PVK bestätigt, dass die publizierten Berichte des BFS zu den nationalen und kantonalen Bevölkerungsszenarien den Erwartungen der Zielgruppen entsprechen, was insbesondere für die Dokumentation und die Bereitstellung der Daten auf der Website des Bundesamtes gilt. Ausserdem stellen die Befragten dem BFS hinsichtlich der Beantwortung von Fragen zu den Daten ein gutes Zeugnis 24 25 26 27 28 29

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 2.3.

Die Szenarien 2006 und 2010 enthielten neben den drei Grundszenarien zwei Alternativszenarien und bis zu dreizehn Varianten.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.1.

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aus.30 Vereinzelt wurde der Wunsch nach mehr interaktiven Tools geäussert, die es den Nutzenden ermöglichen, gewisse Komponenten wie Hypothesen oder Zeithorizonte selbst zu wählen.31 In den Augen der GPK-S ist es angebracht, dass der Bundesrat solche Möglichkeiten im Bereich der Digitalisierung als Ergänzung zu den bestehenden Szenarien vertieft prüft. Diese Tools würden den Nutzenden erlauben, die Szenarien flexibler zu gestalten und somit die Attraktivität der vom BFS erarbeiteten Produkte steigern. Allerdings müssten klare Kriterien definiert werden, damit eine zweckmässige Nutzung der verfügbaren Daten sichergestellt ist.

Empfehlung 2

Entwicklung von digitalen Tools zu den veröffentlichten Szenarien

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob die Entwicklung von interaktiven digitalen Tools als Ergänzung zu den veröffentlichten Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung zweckmässig ist.

2.2.4

Nutzung der nationalen Szenarien

Die Evaluation der PVK hat gezeigt, dass vor allem die Bundesämter die nationalen Szenarien des BFS nutzen.32 Diese dienen im Wesentlichen als Indikatoren für langfristige technische und wirtschaftliche Perspektiven, für Studien, für Berichte und zur Beantwortung von parlamentarischen Anfragen und Vorstössen. Die befragten Personen erachten die Szenarien des BFS für diesen Zweck als ausreichend genau.33 In der Regel wird das mittlere Szenario berücksichtigt, da dieses als ausgewogenstes angesehen wird und im Gegensatz zum hohen und zum tiefen Szenario keine besondere Begründung erfordert. Bisweilen wird das mittlere Szenario auch aus Gewohnheit gewählt. Dritte und die Kantone nutzen die Szenarien eher selten (siehe auch Kap. 2.4.3).34 Es überrascht nicht, dass in den meisten Fällen das mittlere Szenario verwendet wird, scheint es doch das ausgewogenste zu sein. Die GPK-S ist jedoch der Auffassung, dass dies die Ämter und sonstige Nutzende nicht von einer vertieften Reflexion über die Wahl der Szenarien entbinden sollte. Die Kommission bedauert, dass sich die Ämter nicht an die Empfehlung des BFS halten, wenn möglich mehrere Szenarien oder allenfalls Varianten einzubeziehen.35 Sie beklagt zudem, dass sich einige Ämter aus blosser Gewohnheit für das mittlere Szenario entscheiden. Ausschliesslich das mittlere Szenario zu berücksichtigen, ist in den Augen der Kommission umso unangemessener, als dieses nicht unbedingt das realistischste ist, wie die Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre belegt (siehe Kap. 2.2.1).

30 31 32 33 34 35

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.1.

Siehe diesbezüglich auch den Bericht des Bundesrates vom 9.12.2016 in Beantwortung des Postulats Schneider-Schneiter «Synthese zur Demografiestrategie» (13.3697).

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.1.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.2.

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Der Umstand, dass die Bundesämter meist nur ein Szenario verwenden, trägt zum Missverständnis bei, bei den Szenarien handle es sich um Prognosen (siehe Kap. 2.1). Das Ziel der Szenarien ist jedoch, die verschiedenen Möglichkeiten der Bevölkerungsentwicklung miteinander vergleichen zu können, um die Folgen eines mehr oder weniger grossen Bevölkerungswachstums für die staatliche Politik der Schweiz einzuschätzen.36 Der Bericht eines Bundesamtes sollte der Bevölkerung und den politischen Vertreterinnen und Vertretern ­ zumindest in den wichtigsten Aspekten ­ verschiedene Szenarien zum Vergleich bieten.

Die GPK-S erachtet es daher als zwingend notwendig, dass sich die Bundesämter damit auseinandersetzen, welche Szenarien oder Varianten des BFS zur Bevölkerungsentwicklung sie verwenden wollen. Deshalb ersucht die Kommission den Bundesrat, die Modalitäten zur Nutzung der Szenarien des BFS durch die Bundesämter zu präzisieren, um auf diese Weise sicherzustellen, dass Letztere sich künftig mit der Wahl der Szenarien auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang sind verschiedene Lösungen denkbar. So könnten die Bundesämter beispielsweise dazu verpflichtet werden, ihre Wahl des Szenarios oder der Szenarien zu begründen oder eine Mindestzahl an Szenarien oder Varianten parallel zu untersuchen.

Empfehlung 3

Präzisierung der Modalitäten zur Nutzung der Szenarien durch die Bundesämter

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, die Modalitäten zur Nutzung der Szenarien des BFS durch die Bundesämter zu präzisieren, um sicherzustellen, dass Letztere sich künftig damit auseinandersetzen, welche Szenarien oder Varianten zur Bevölkerungsentwicklung sie in ihre Arbeit einbeziehen wollen.

In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat aufgefordert, zu prüfen, ob die Bundesämter dazu verpflichtet werden können, ihre Wahl der Szenarien oder Varianten zu begründen bzw. eine Mindestzahl an Szenarien oder Varianten parallel zu untersuchen.

2.3

Unabhängige Entscheide des BFS

Immer wieder kommt Kritik auf, wonach die Unterschätzung der Bevölkerungsentwicklung in den Szenarien des BFS politisch motiviert sei. So wurde behauptet, dass bestimmte Bundesämter ­ gestützt durch den Bundesrat ­ die Zuwanderung in den Szenarien auf ein für sie passendes Niveau festlegen würden oder das BFS die Annahmen der Migration in vorauseilendem Gehorsam zu tief ansetze. 37 Die PVK untersuchte diesen Aspekt in ihrer Evaluation, das Augenmerk lag dabei auf den Szenarien 2015.38 Alle befragten Personen aus den Ämtern sprachen dem BFS die nötige Unabhängigkeit zu. Die befragten externen Sachverständigen erachteten die Arbeit des BFS im Rahmen der Szenarien 2015 als faktenbasiert und neu36 37 38

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 2.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.3.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.3.

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tral. Die zuständigen Mitarbeitenden des BFS gaben an, in der Entscheidung über die Werte aller Komponenten frei zu sein und eine Einflussnahme des EDI nie wahrgenommen zu haben. Die von der PVK analysierten Dokumente stützen diese Aussagen. Was die Unabhängigkeit betrifft, herrschen in der Schweiz ähnliche Voraussetzungen wie in den untersuchten Vergleichsländern.39 Die GPK-S kann nachvollziehen, dass angesichts der in den letzten 15 Jahren vom BFS systematisch unterschätzten Bevölkerungsentwicklung Zweifel an der politischen Unabhängigkeit des Bundesamtes aufkommen können. Die Ergebnisse der Evaluation der PVK belegen jedoch eindeutig, dass dieser Vorwurf ­ zumindest was die Szenarien 2015 betrifft ­ unbegründet ist. Die Kommission nimmt mit Genugtuung Kenntnis davon, dass das BFS laut allen befragten Personen die jüngsten Szenarien unabhängig erarbeitet hat. In den Augen der GPK-S gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich das BFS nicht an die gesetzlich vorgeschriebene fachliche Unabhängigkeit (Art. 3 Abs. 1 des Bundesstatistikgesetzes40) hält.

2.4

Kantonale Szenarien

2.4.1

Genauigkeit der kantonalen Szenarien

Seit 2002 veröffentlicht das BFS auch Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Kantonen. Diese stützen sich auf die nationalen Szenarien und werden rund ein Jahr nach den gesamtschweizerischen Szenarien publiziert. Die drei nationalen Grundszenarien werden dabei mit Hilfe unterschiedlicher Hypothesen auf jeden Kanton heruntergebrochen. Ebenfalls berücksichtigt wird die Komponente der internen Migration (zwischen den Kantonen).41 Die PVK untersuchte im Rahmen ihrer Evaluation die Genauigkeit der kantonalen Szenarien 2002, 2005 und 2010. Dabei stellte sich heraus, dass das BFS ­ wie bei den nationalen Szenarien auch ­ die Bevölkerungsentwicklung unterschätzt hat, und zwar für die meisten Kantone. Auch bei den kantonalen Szenarien sind die Abweichungen in erster Linie auf die Schwierigkeiten bei der Schätzung der Migration zurückzuführen.42 Neben der internationalen Migration ist für die kantonalen Szenarien ebenfalls die Wanderung zwischen den Kantonen (Binnenwanderung) von Relevanz.

Die GPK-S verweist an dieser Stelle in erster Linie auf ihre Erwägungen zur Genauigkeit der nationalen Szenarien (siehe Kap. 2.2.1). Sie hält die Ungenauigkeit der kantonalen Szenarien für problematisch und ist der Auffassung, dass diese die Zielgruppen an der Nutzung dieser Szenarien hindern (siehe hierzu Kap. 2.4.3). Die Kommission ist sich jedoch auch bewusst, wie schwierig es für das BFS ist, Hypothesen für die Migrationsentwicklung aufzustellen. Auf kantonaler Ebene wird dies durch einen weiteren Faktor ­ die Binnenwanderung ­ sowie durch die Kleinräumigkeit der Kantone erschwert. Angesichts der Anzahl der zu berücksichtigenden 39 40 41 42

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.3.

Bundesstatistikgesetz vom 9.10.1992 (BStatG; SR 431.01).

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 3.2.

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Parameter ist es in den Augen der GPK-S also verständlich, dass das Risiko für Ungenauigkeiten bei den kantonalen Szenarien höher ist als bei den nationalen.

Damit die kantonalen ­ wie auch die nationalen ­ Szenarien genauer werden, ist es aus Sicht der Kommission erforderlich, vor allem die Qualität der Migrationsprognosemodelle verbessert werden. Diesbezüglich verweist die GPK-S auf ihre Empfehlung 1 (siehe Kap. 2.2.1). Zudem ist laut Kommission ein angemessener Einbezug der Kantone in die Erarbeitung der Szenarien zentral, um deren Qualität und Akzeptanz zu verbessern (siehe nächstes Kapitel).

2.4.2

Erarbeitung der kantonalen Szenarien

Die Vertreterinnen und Vertreter der Kantone sowie Interessierte aus den Bundesämtern werden zur Teilnahme an der Erarbeitung der kantonalen Szenarien aufgefordert. Aus der Evaluation der PVK geht hervor, dass das BFS bei der Erarbeitung der Szenarien 2015 die Kantone zu zwei Informations- und Diskussionssitzungen einlud. Nicht alle Kantone nahmen an den Sitzungen teil, doch sie versuchten, sich im Rahmen der Konferenz der regionalen statistischen Ämter der Schweiz (KORSTAT) abzusprechen.43 Nach Aussagen der von der PVK befragten Personen aus den Kantonen und vom BFS konnten sich die Kantonsvertreterinnen und -vertreter zwar zu den Szenarien äussern, Anpassungen durch das Amt konnten zu diesem Zeitpunkt jedoch kaum mehr vorgenommen werden.44 Unter anderem deshalb erachten die Kantone die Szenarien als nur teilweise angemessen und nutzen sie daher relativ wenig (siehe auch Kap. 2.4.3).45 In den Augen der Kommission muss die Zusammenarbeit zwischen dem BFS und den Kantonen bei der Erarbeitung der kantonalen Szenarien verbessert werden. Sie hält es für besonders wichtig, die Meinung der Kantone einzubeziehen, damit die Szenarien attraktiver gemacht und häufiger genutzt werden. Zudem ist die GPK-S der Auffassung, dass die Kantone frühzeitig in den Prozess eingebunden werden müssen, damit ihre Meinung auch tatsächlich berücksichtigt werden kann und die Konsultation der Kantone zu keiner blossen Alibiübung verkommt.

Die Kommission anerkennt, dass der Einbezug der Standpunkte der Kantone bei der Erarbeitung der Szenarien zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt.46 Für die Berechnung der kantonalen Bevölkerungsentwicklung sind besonders komplexe Modelle erforderlich. Im Übrigen stehen bei den Stellungnahmen der Kantone oft interne Interessen im Vordergrund, sodass diese Stellungnahmen nicht immer auf bewährten statistischen Grundlagen beruhen und (beispielsweise aufgrund von Standortförderung oder Immobilien- und Fiskalpolitik) subjektiv gefärbt sein können. Die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen den Interessen der einzelnen Kantone kann äusserst schwierig sein, da sich jede Änderung am Szenario eines 43 44 45 46

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 4.1.2.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.3.

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.3.

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Kantons auf die Zahlen der anderen Kantone auswirkt. Laut Kommission ist es daher sehr wichtig, dass das BFS bei der Erarbeitung der kantonalen Szenarien ganz klar die Federführung und Entscheidungskompetenz behält. Das Fachwissen der Kantone ist eher als zusätzlicher Beitrag zu erachten, mit dem sich die vorgängig vom BFS vorbereiteten Berechnungen und Hypothesen verfeinern und untermauern lassen.

Die GPK-S hält es für wichtig, dass auch die Kantone diesbezüglich Verantwortung übernehmen, indem sie sich um eine gemeinsame Position in Bezug auf die Hypothesen und Berechnungsmethoden im Zusammenhang mit der Entwicklung der kantonalen Bevölkerung bemühen. In den Augen der Kommission kommt dabei der KORSTAT als wichtigster Ansprechpartnerin des BFS bei der Erarbeitung der kantonalen Szenarien eine zentrale Rolle zu.

Der Top-down-Ansatz des BFS (die kantonalen Szenarien leiten sich aus den nationalen Szenarien ab) wird von einzelnen der von der PVK befragten Personen kritisiert, da diese Methode ihres Erachtens den kantonalen Eigenheiten nicht ausreichend Rechnung trägt.47 Dennoch ist es aus Sicht der GPK-S sinnvoll, diesen Ansatz beizubehalten, denn er ermöglicht eine politisch neutrale Gesamtberechnung, in die keine Partikularinteressen der Kantone einfliessen. Ein umgekehrtes Vorgehen, bei dem das BFS zuerst die kantonalen Szenarien erarbeitet und daraus anschliessend die nationalen Szenarien ableitet, scheint der Kommission kaum realistisch. Ein solcher Ansatz würde äusserst komplexe Arbeitshypothesen voraussetzen und könnte zu noch ungenaueren Ergebnissen führen als heute. Zudem müsste sich das BFS zu kantonalen politischen Fragen äussern, die nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.

Die GPK-S erachtet es als wichtig, dass das BFS bei der Erarbeitung seiner Hypothesen zu den kantonalen Szenarien über möglichst umfassende Informationen verfügt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob bei der Erarbeitung der kantonalen Szenarien neben den bisherigen Beteiligten auch noch andere Akteure (Bundesämter, Sachverständige, Dritte) beigezogen werden sollten. Die Kommission fordert den Bundesrat daher auf, zu prüfen, ob die Einbindung zusätzlicher Akteure in die Erarbeitung der kantonalen Szenarien zweckmässig ist.

Empfehlung 4

Besserer Einbezug der Kantone bei der Erarbeitung der kantonalen Szenarien

Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, sicherzustellen, dass die Kantone stärker und frühzeitig in die Erarbeitung der kantonalen Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung einbezogen werden, und zu prüfen, wie diese Zusammenarbeit verbessert werden könnte.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, zu prüfen, ob die Einbindung zusätzlicher Akteure (Bundesämter, Sachverständige, Dritte) in die Erarbeitung der kantonalen Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung zweckmässig ist.

47

Bericht der PVK vom 8.2.2018 zuhanden der GPK-S, Kap. 5.3.

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2.4.3

Nutzung der kantonalen Szenarien

Das BFS und einige andere Bundesämter erachten die kantonalen Szenarien für relevant, da sie dank diesen bei ihren Arbeiten über einheitliche Daten für alle Kantone verfügen.48 Sofern es sich nicht um Raumplanung handelt, bei der die Kantone bundesrechtlich zur Berücksichtigung der kantonalen Szenarien des BFS verpflichtet sind (siehe unten), steht es den Kantonen frei, diese Szenarien für ihre Planungsarbeiten zu verwenden.49 In der Praxis verwenden die Kantone die Szenarien des BFS nur in einzelnen Bereichen, namentlich bei der Verkehrsmodellierung, in der Spital- und Pflegeheimplanung und in der Schulplanung. Die Mehrheit der Kantone (17 laut Recherche der PVK) erstellt jedoch parallel dazu eigene Bevölkerungsszenarien. Einige Kantone haben eigene Statistikämter, während andere punktuell auf Private oder die Ämter anderer Kantone zurückgreifen.50 Wie die PVK festgestellt hat, stützen sich allerdings auch die von den Kantonen erstellten Szenarien in Teilen auf die Szenarien des BFS, namentlich auf die Mortalitäts- und Fertilitätsdaten des Bundesamtes. 51 Ob die Szenarien der Kantone genauer sind als jene des BFS, war nicht Gegenstand der PVK-Evaluation.

Aus den von der PVK geführten Gesprächen geht hervor, dass die kantonalen Szenarien des BFS nur teilweise den Bedürfnissen der Kantone entsprechen. 52 Kritisiert werden die Ungenauigkeit der Szenarien (siehe Kap. 2.4.1) und die unzureichende Berücksichtigung der kantonalen Eigenheiten (siehe Kap. 2.4.2). Ausserdem werden diese Szenarien aufgrund der fehlenden Verteilung auf Gemeinden oder Bezirke von vielen Kantonen für wenig angemessen betrachtet. Eben diese Feinverteilung ist für die kantonale Politikplanung jedoch von zentraler Bedeutung.53 Der Bund verzichtet auf diese Ausdifferenzierung, namentlich wegen der Komplexität der zugrunde liegenden Modelle (welche die Eigenheiten von mehr als 2000 Gemeinden berücksichtigen müssten) und des erhöhten Risikos von noch grösseren Ungenauigkeiten.

Die GPK-S ist der Ansicht, dass die Attraktivität und die Akzeptanz der BFSSzenarien in erster Linie von deren Genauigkeit abhängen. Vor diesem Hintergrund sind die Massnahmen zur Erhöhung der Genauigkeit der Szenarien in Sachen Migrationsentwicklung (vgl. Empfehlung 1) und zum besseren Einbezug der Kantone in die Erarbeitung dieser Szenarien (vgl. Empfehlung
4) von entscheidender Bedeutung.

Es scheint der Kommission hingegen unrealistisch, vom BFS die Veröffentlichung von Szenarien auf Bezirks- oder Gemeindeebene zu verlangen. Eine solche ­ sehr komplexe ­ Vorgehensweise bedürfte erheblicher Ressourcen und enthielte zu viele Unbekannte.

48 49 50 51 52 53

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.4.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.4.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

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Wie die PVK-Evaluation jedoch gezeigt hat, verfügt das ARE über regionalisierte Daten zur Verkehrsentwicklung, die auch Informationen wie die Kapazität in Bauzonen und die Entwicklung der Wohnpreise enthalten. Dies ist den meisten Akteuren allerdings nicht bekannt.54 Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, inwieweit die existierenden Daten (sowie allfällige andere regionale Daten, welche von den Bundesämtern generiert werden) für die Kantone nützlich sein könnten.

Empfehlung 5

Bereitstellung regionalisierter statistischer Daten zur Bevölkerungsentwicklung

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu prüfen, inwieweit die regionalisierten Daten des ARE zur Bevölkerungsentwicklung (sowie allfällige andere regionale Daten, welche von den Bundesämtern generiert werden) für die Kantone nützlich sein könnten.

Angesichts der Kritik an den kantonalen Szenarien stellt sich die Frage, ob das BFS weiterhin solche Szenarien veröffentlichen soll. Die GPK-S erachtet den Verzicht auf diese Szenarien nicht für erstrebenswert, da ­ wie die PVK unterstreicht55 ­ nicht alle Kantone über ein eigenes Statistikamt verfügen, welches individuelle Szenarien erstellen kann. Zudem ist es wichtig, dass die Bundesämter, namentlich das ARE, für die Erfüllung ihrer Aufgaben weiterhin über einheitliche, neutrale und auf vergleichbaren Kriterien basierende Szenarien für alle Kantone verfügen. Wie die PVK festgestellt hat, bestehen trotzdem gewisse Bezüge von den durch die Kantone erstellten Szenarien zu den Szenarien des BFS, da sich die Kantone ­ namentlich im Bereich der Mortalität und Fertilität ­ auf Daten des BFS abstützen und die Szenarien des BFS zum Vergleich heranziehen.56 In den Augen der GPK-S sollte nicht auf die Erstellung der kantonalen Szenarien verzichtet werden, sondern vielmehr im Rahmen des Möglichen deren Qualität erhöht werden.

Eine Verpflichtung, sich an den Szenarien des BFS zu orientieren, besteht für die Kantone nur in einem einzigen Bereich, nämlich bei der Dimensionierung der Bauzonen im Rahmen der Erstellung der kantonalen Richtpläne. Diese Verpflichtung wird von einzelnen Kantonen mit dem Verweis darauf, dass die Kantone bei der Erarbeitung dieser Szenarien nur in geringem Masse beteiligt sind, scharf kritisiert. 57 Diese Kritik gilt es allerdings zu relativieren, da die Raumplanungsverordnung (Art. 5a Abs. 2)58 den Kantonen die Möglichkeit einräumt, die Szenarien des BFS nicht zu berücksichtigen. Laut ARE hat sich die gemeinsam mit den Kantonen gefundene Lösung mit den Szenarien des BFS in der nun dreijährigen Praxis bewährt.59 Die GPK-S hält die rechtlich vorgesehene Lösung für pragmatisch, da sie ein einheitliches Vorgehen auf nationaler Ebene erlaubt und den Kantonen dennoch einen gewissen Spielraum gewährt.

54 55 56 57 58 59

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.4.

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1).

Bericht der PVK zuhanden der GPK-S vom 8.2.2018, Kap. 5.3.

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Allgemein ist die GPK-S der Ansicht, dass die gemäss Gesetz verbindliche Berücksichtigung der kantonalen Szenarien des BFS nicht zu streng ausgelegt werden darf, da dies sonst den Kantonen Probleme verursachen könnte. Die Kommission ersucht den Bundesrat deshalb, diesem Aspekt bei den künftigen Gesetzgebungsarbeiten Rechnung zu tragen.

3

Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen

Basierend auf die PVK-Evaluation stellt die GPK-S fest, dass die nationalen und kantonalen Szenarien, die das BFS zwischen 2002 und 2010 ausgearbeitet hat, die demographische Entwicklung in der Schweiz unterschätzt haben. Die Abweichung der Szenarien von der tatsächlichen Entwicklung ist dabei grösser als jene in den untersuchten Vergleichsländern. Ursächlich für diese Abweichungen sind in erster Linie Schwierigkeiten bei der Schätzung der zukünftigen Migrationsflüsse, für die das BFS von zu vorsichtigen Hypothesen ausgegangen ist. Die Kommission bedauert diese Ungenauigkeit, da sich diese erheblich auf die staatliche Politikplanung in der Schweiz auswirken kann, kann sie aber zumindest angesichts der überaus schwierigen Vorhersehbarkeit der Migration nachvollziehen. Sie ersucht den Bundesrat, seine Hypothesen hinsichtlich der Entwicklung der Migration kontinuierlich zu optimieren und in diesem Bereich den Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern zu pflegen.

Abgesehen von dieser grundsätzlichen Problematik sieht die GPK-S keine grösseren Mängel beim Verfahren zur Erarbeitung der nationalen Szenarien im BFS. Sie stellt mit Genugtuung fest, dass alle beteiligten Akteure das Erarbeitungsverfahren, die Berechnungsmethode sowie die Hypothesen des BFS für angemessen erachten. In den von der PVK geführten Gesprächen wurde keine grundsätzliche Kritik am bestehenden Schätzmodell geäussert. Im Übrigen ergab auch die Evaluation der Erarbeitung der Szenarien 2015, dass das BFS faktenbasiert, neutral und unabhängig arbeitet. Ebenfalls als angemessen betrachtet wird der Fünf-Jahres-Rhythmus, in dem die Szenarien derzeit veröffentlicht werden. Die Kommission ersucht den Bundesrat in diesem Zusammenhang, zu prüfen, ob die Entwicklung interaktiver digitaler Tools vorangetrieben werden könnte.

Einen Schwachpunkt hat die PVK-Evaluation bei der Verwendung der nationalen Szenarien des BFS durch die Bundesämter aufgedeckt. So wurde festgestellt, dass sich die Bundesämter bei der Erfüllung ihrer Aufgaben fast ausschliesslich auf das mittlere Szenario stützen. Die Kommission ist der Ansicht, dass in den Ämtern systematisch über die Wahl der Szenarien und die Zweckmässigkeit eines Vergleichs verschiedener Szenarien nachgedacht werden sollte, um der Grundidee dieses Instruments gerecht zu werden.

Erhebliches Optimierungspotenzial
besteht in den Augen der GPK-S zudem bei der Erarbeitung und Verwendung der kantonalen Szenarien, die vom BFS auf der Grundlage der nationalen Szenarien erstellt werden. Wie die PVK-Evaluation gezeigt hat, werden diese Szenarien von den Kantonen verschiedentlich als wenig geeignet betrachtet, da sie zu ungenau sind und nicht auf Gemeinde- und Bezirksdaten beruhen. Ausserdem werden die kantonalen Vertreterinnen und Vertreter bis1965

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lang nicht früh genug in die Erarbeitung dieser Szenarien einbezogen. Die GPK-S ist der Ansicht, dass an den kantonalen Szenarien festgehalten werden sollte und der Top-down-Ansatz des BFS für die Erarbeitung dieser Szenarien sinnvoll ist, dass aber die Qualität und die Genauigkeit dieser Szenarien erhöht werden müssen, damit sie häufiger genutzt werden können. Die Veröffentlichung von Szenarien auf Bezirks- oder Gemeindeebene durch das BFS scheint der Kommission hingegen unrealistisch. Sie ersucht den Bundesrat allerdings, zu prüfen, inwieweit die in den Bundesämtern verfügbaren regionalen Daten für die Kantone nützlich sein könnten.

Die GPK-S ersucht den Bundesrat, zu den Feststellungen und Empfehlungen dieses Berichts sowie zum Evaluationsbericht der PVK bis zum 17. Januar 2019 Stellung zu nehmen und ihr mitzuteilen, mit welchen Massnahmen und bis wann er ihre Empfehlungen umsetzen wird.

19. Oktober 2018

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates Die Präsidentin: Anne Seydoux-Christe Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Claude Hêche Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

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Abkürzungsverzeichnis ARE

Bundesamt für Raumentwicklung

BFS

Bundesamt für Statistik

BStatG

Bundesstatistikgesetz vom 9. Oktober 1992 (SR 431.01)

EDI

Eidgenössisches Departement des Innern

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

KORSTAT

Konferenz der regionalen statistischen Ämter der Schweiz

PVK

Parlamentarische Verwaltungskontrolle

RPV

Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (SR 700.1)

UVEK

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

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