Bericht des Bundesrates zu den systemrelevanten Banken Evaluation gemäss Artikel 52 Bankengesetz vom 3. Juli 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Bericht zur Evaluation gemäss Artikel 52 Bankengesetz.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. Juli 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2019-1860

5385

BBl 2019

Bericht 1

Einleitung

1.1

Kontext

Wie die globale Finanz- und Wirtschaftskrise vom 2007/08 gezeigt hat, kann eine Notlage oder ein Ausfall einer systemrelevanten Bank (Systemically Important Bank, SIB) aufgrund von deren Grösse, Marktbedeutung und Vernetzung zu erheblichen Verwerfungen im Finanzsystem und zu negativen gesamtwirtschaftlichen Folgen führen. Ein betroffener Staat hat einen hohen Anreiz eine SIB im Krisenfall nicht untergehen zu lassen, zumindest sofern die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen nicht gesichert ist. Diese implizite Staatsgarantie führt zu Marktverzerrungen. Das oberste Ziel staatlicher Massnahmen im Rahmen der Regulierung systemrelevanter Banken ist es deshalb, diese Garantie so weit zu reduzieren, dass bei einer Notlage oder einem Ausfall einer SIB keine Steuergelder zu deren Rettung eingesetzt werden müssen.

Für die Schweiz, die im internationalen Vergleich und im Verhältnis zur Grösse des Landes sehr grosse Finanzinstitute beheimatet, ist die Problematik bezüglich SIBs eine besondere Herausforderung. Deshalb hat die Schweiz ­ gestützt auf Empfehlungen der Expertenkommission vom 30. September 2010 zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen ­ vergleichsweise schnell eine Gesetzesvorlage (Stärkung der Stabilität im Finanzsektor «too big to fail») umgesetzt. Die entsprechenden Bestimmungen des Bankengesetzes 1 (BankG) sind seit dem 1. März 2012 in Kraft.

Eine erste Revision dieses Regulierungsansatzes wurde vom Bundesrat auf den 1. Juli 2016 in Kraft gesetzt. Die angepassten Anforderungen sind von den systemrelevanten Banken bis Ende 2019 zu erfüllen. Sie führten insbesondere für die beiden international tätigen systemrelevanten Banken Credit Suisse und UBS zu einer deutlichen Erhöhung von Umfang und Qualität des Eigenkapitals. In Bezug auf die verlustabsorbierenden Mittel erfüllt die Schweiz mit den umgesetzten regulatorischen Massnahmen die relevanten internationalen Standards, namentlich die Vorgaben des Basler Ausschusses («Basel III»)2, die zusätzliche Anforderung des Financial Stability Board (FSB) für global systemrelevante Banken (Global Systemically Important Banks, G-SIBs) sowie den Mindeststandard für verlustabsorbierendes Kapital (Total Loss Absorbing Capacity, TLAC). Der TLAC-Standard ist ab 1. Januar 2019 etappenweise umzusetzen. Bis 1. Januar 2022
muss dessen Umsetzung abgeschlossen sein. Damit entsteht für die Schweizer G-SIBs (Credit Suisse und UBS) kapitalseitig ein international abgestimmter Rahmen für Kriseninterventionen.

1 2

SR 952.0 Noch nicht umgesetzt wurde die am 7. Dezember 2017 publizierte finale Version von Basel III (vgl. www.bis.org/bcbs/publ/d424.htm)

5386

BBl 2019

Per 1. Januar 2019 hat der Bundesrat zudem die regulatorischen Anforderungen für inlandorientierte systemrelevante Banken (inlandorientierte SIBs) angepasst.3 Es sind dies die Postfinance, die Raiffeisen und die Zürcher Kantonalbank. Diese inlandorientierten SIBs müssen neu ­ wie die G-SIBs ­ ebenfalls, aber in beschränktem Umfang, zusätzliche Mittel halten, um die Wahrscheinlichkeit einer Sanierung zu erhöhen (Gone-concern-Kapital).

1.2

Auftrag gemäss Artikel 52 BankG

Gemäss Artikel 52 BankG prüft der Bundesrat alle zwei Jahre die Bestimmungen für systemrelevante Banken im Hinblick auf die Vergleichbarkeit und den Grad der Umsetzung der entsprechenden internationalen Standards im Ausland. Er erstattet der Bundesversammlung jeweils darüber Bericht und zeigt den allfälligen Anpassungsbedarf auf Gesetzes- und Verordnungsstufe auf. Der zweite Evaluationsbericht wurde vom Bundesrat am 28. Juni 2017 zuhanden des Parlaments verabschiedet.

1.3

Inhalt des Berichts

Der vorliegende Bericht ist wie folgt aufgebaut: Kapitel 2.1 nimmt einen Vergleich des Schweizer Ansatzes mit dem der relevanten Jurisdiktionen vor. In den Kapiteln 2.2­2.5 wird zu punktuellen Aspekten des Schweizer Ansatzes Anpassungs- oder Abklärungsbedarf aufgezeigt. In Kapitel 3 wird der Handlungsbedarf zusammengefasst und Kapitel 4 zeigt den Zeitplan für die weiteren Arbeiten auf.

2

Überprüfung der Regulierung systemrelevanter Banken

2.1

Beurteilung des Schweizer Ansatzes im internationalen Vergleich

Beurteilungskriterien Im Rahmen der Grundlagenarbeiten für den vorliegenden Bericht wurde einerseits die Umsetzung der geltenden internationalen Standards in der Schweiz überprüft; zum anderen wurde das Schweizer Regime für systemrelevante Banken mit den entsprechenden regulatorischen Massnahmen in ausgewählten Jurisdiktionen verglichen. Speziell fokussiert wurde dabei auf die USA und das Vereinigte Königreich (UK), da etliche von deren SIBs mit den Schweizer SIBs vergleichbare Strukturen haben und diese Jurisdiktionen international mit der Umsetzung der Regulierung in diesem Bereich am weitesten fortgeschritten sind.4 Ausserdem beschränkt sich der 3 4

Eisenmittelverordnung vom 1. Juni 2012; SR 952.03 Vgl. Schlussbericht der Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie vom 1. Dezember 2014 und Anhang zur Überprüfung des Schweizer «Too-big-to-fail»Regimes im internationalen Vergleich ­ Grundlage für die Evaluation gemäss Art. 52 BankG.

5387

BBl 2019

Vergleich auf die Anforderungen an G-SIBs, da die internationale Vergleichbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit bei diesen Banken besonders wichtig und deren Verlustpotenzial besonders hoch sind. Zudem stellen diese Banken ein besonders hohes Risiko für die Finanzstabilität dar.

Der internationale Vergleich erfolgt anhand von drei Kategorien. Als Erstes werden prudenzielle Massnahmen, welche die Krisenresistenz der Banken zum Ziel haben, verglichen. Als Zweites werden in den verschiedenen Jurisdiktionen strukturelle Massnahmen betrachtet, die sich auf Struktur und Organisation einer Bank so auswirken, dass sich deren Sanierungs- und Abwicklungsfähigkeit verbessert. Als Drittes wird auf den rechtlichen Rahmen für ein effektives Sanierungs- und Abwicklungsregime eingegangen. Dieser Rahmen ist wichtig, um insbesondere systemrelevante Banken und Bankengruppen in einem geordneten Verfahren entweder sanieren oder abwickeln zu können.

1) Prudenzielle Massnahmen Die Schweiz legt ein starkes Gewicht auf prudenzielle Massnahmen. Für SIBs sollen im Vergleich zu anderen Banken insbesondere höhere Kapital- und Liquiditätsanforderungen gelten (vgl. besondere Anforderungen gemäss Art. 9 BankG).

Die Anforderungen werden sowohl bezüglich der risikogewichteten Aktiven (Risk Weighted Assets, RWA) wie auch bezüglich der ungewichteten Kapitalquote (Leverage Ratio, LR) verglichen. Der internationale Vergleich zeigt, dass die Schweizer Kapitalanforderungen, welche die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit bei grösseren Verlusten sicherstellen sollen (Going-concern-Kapital), für die beiden G-SIBs zwar insgesamt über die vorgegebenen internationalen Standards hinausgehen, jedoch durchaus vergleichbar sind mit den entsprechenden Anforderungen in den USA und im Vereinigten Königreich (vgl. Grafik 1). Damit wird dem mehrfach vom Bundesrat festgelegten Ziel entsprochen, wonach die Schweiz zu den Ländern mit international führenden Kapitalanforderungen für SIBs gehören soll. Die Anforderungen für Schweizer SIBs rechtfertigen sich insbesondere aufgrund der im Vergleich mit anderen Ländern überdurchschnittlichen Grösse der SIBs im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt. Damit besteht ein gesamtwirtschaftlich erhebliches Risiko. So beträgt beispielsweise die Bilanzsumme der beiden Grossbanken im Verhältnis zum BIP der Schweiz je zwischen
134 Prozent und 139 Prozent, während die Bilanzsumme der grössten amerikanischen Bank (JPMorgan Chase) im Verhältnis zum BIP der USA 17 Prozent beträgt.5 Auch im Bereich der Anforderungen an das Gone-concern-Kapital für G-SIBs geht die Schweiz zwar über den internationalen TLAC-Mindeststandard hinaus; die Anforderungen sind jedoch vergleichbar mit denjenigen in den USA und im Vereinigten Königreich. Das Auslandengagement der beiden Schweizer G-SIBs ist stark ausgeprägt und bindet lokal erheblich Kapital. Damit verbunden sind Unsicherheiten und Risiken im Sanierungs- und Abwicklungsfall. Darum sind die über den internationalen Mindeststandard hinausgehenden Anforderungen an das Gone-concernKapital gerechtfertigt.

5

Vgl. Bericht zur Finanzstabilität 2018, Schweizerische Nationalbank (www.snb.ch/de/mmr/reference/stabrep_2018/source/stabrep_2018.de.pdf).

5388

BBl 2019

Die USA haben im Bereich des Gone-concern-Kapitals sowohl TLAC-Anforderungen (siehe Grafik 1) als auch Anforderungen an die langfristigen Verbindlichkeiten (Longterm Debt, LTD) eingeführt und per 1. Januar 2019 in Kraft gesetzt. Die LTD-Anforderungen gelten für alle G-SIBs der USA und können insbesondere mit Bail-in-Bonds erfüllt werden. Die Höhe der RWA-basierten Anforderungen setzt sich aus der Summe von 6 Prozent der RWAs und dem bankenspezifischen G-SIBPuffer zusammen, die Höhe der LR beträgt 4,5 Prozent. Damit liegen die ungewichteten Gone-concern-Anforderungen in den USA über den Schweizer Anforderungen (unter Berücksichtigung des aktuell von der FINMA gewährten Rabattes für die beiden Schweizer G-SIBs). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Anforderungen an das Gone-concern-Kapital der USA erst später zum Tragen kommen, weil die Verlusttragfähigkeit (going-concern) der G-SIBs in den USA insgesamt höher ist als diejenige der Schweizer G-SIBs. Diese Anforderungen in den USA fallen insbesondere wegen der bankspezifischen Kapitalzuschlägen aus den Stresstests (Comprehensive Capital Analysis and Review, CCAR) höher aus.

Das Vereinigte Königreich führt die Anforderungen an das Gone-concern-Kapital bis 2022 schrittweise mit den Mindestanforderungen für Eigenmittel und Verpflichtungen, dem Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL) ein, um die internationalen Standards des FSB sowie die Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union umzusetzen. Die MREL gelten nicht nur für SIBs, sondern ebenfalls für neun weitere Banken.6 Die angekündigten RWA-basierten MREL inklusive Puffer für systemrelevante UK-Banken liegen über den Schweizer Anforderungen. Die Aufsichtsbehörde kann indes die MREL reduzieren, wenn ein Institut nachweist, dass es seine Abwickelbarkeit verbessert hat.

Auf Stufe der EU hat der Rat der Europäischen Union am 15. Februar 2019 einem Paket von überarbeiteten Vorschriften zur Risikominderung im europäischen Bankensektor zugestimmt. Teil dieses Pakets ist die Integration des TLAC-Standards und der MREL-Anforderungen in die Eigenmittelverordnung. Die Einigung wurde vom Europäischen Parlament am 16. April 2019 angenommen.

Betreffend Liquidität müssen ab 1. Januar 2019 alle Schweizer Banken die Mindestliquiditätsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR)
gemäss Basel III zu 100 Prozent einhalten.7 Die SIBs haben zudem die besonderen Anforderungen des Schweizer Liquiditätsregimes an systemrelevante Banken zu erfüllen. Analysen der FINMA und der SNB deuten aber darauf hin, dass die besonderen Schweizer Anforderungen nicht für alle SIBs zu tatsächlich höheren Anforderungen führen als die LCR. Dies würde bedeuten, dass nicht alle SIBs, wie vom Bankengesetz (Art. 9 Abs. 2 Bst. b BankG) gefordert, effektiv höhere Liquiditätsanforderungen zu erfüllen hätten als nicht-systemrelevante Banken.

6

7

Vgl. Bank of England, Indicative minimum requirements for own funds and eligible liabilities (MREL), 2018; (www.bankofengland.co.uk/financial-stability/resolution/ indicative-mrels).

SR 952.06

5389

BBl 2019

Noch nicht umgesetzt hat die Schweiz die strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR). Dies ist die zweite wesentliche Komponente der Basel-IIILiquiditätsvorschriften. Aufgrund der verzögerten Einführung in der EU und in den USA hat der Bundesrat die Einführung ebenfalls verschoben.8 Die Liquiditätsregulierung in den USA sieht für systemrelevante Banken, in Übereinstimmung mit den Basler Liquiditätsvorgaben, eine LCR von 100 Prozent vor.

Die für G-SIBs bindenden Liquiditätsvorschriften sind jedoch höher und orientieren sich am institutsspezifischen Nachweis, dass auch im Krisenfall ausreichend Liquidität vorhanden ist. Auch im Vereinigten Königreich wurde eine LCR-Anforderung von 100 Prozent eingeführt. Den Banken können institutsspezifisch höhere Anforderungen in Form eines Säule-2-Zuschlags auferlegt werden, insbesondere mit Blick auf die Liquiditätsbedürfnisse einer Bank in der Sanierung und Abwicklung. Zudem sehen die USA und das Vereinigte Königreich ­ im Gegensatz zur Schweiz ­ neben den ausserordentlichen Liquiditätshilfen der Zentralbanken weitere staatliche Unterstützungsmechanismen (z. B. Public Backstops) vor, um die in einer Sanierung oder Abwicklung einer SIB benötigte Liquidität zu garantieren.

8

Zuletzt 2018 vgl. Medienmitteilung des Bundesrates vom 30. November 2019 (abrufbar unter: www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.

msg-id-73189.html)

5390

BBl 2019

Grafik 1

Grafik 1: Internationaler Vergleich der Kapitalanforderungen (jeweils die in den aufgeführten Jurisdiktionen höchsten angewendeten Anforderungen für G-SIBs). Es handelt sich grundsätzlich um konsolidierte Anforderungen. Davon unabhängig sind Anforderungen für die Rechtseinheiten in den Gastländern, insbesondere in den USA und im Vereinigten Königreich, zu erfüllen.

2) Strukturelle Massnahmen Die Bestrebungen der einzelnen Jurisdiktionen im Bereich der strukturellen Massnahmen weisen unterschiedliche Ausprägungen auf. Im Mittelpunkt steht jeweils die Definition und die Abgrenzung entweder der risikoreichen Tätigkeiten oder der systemrelevanten Bankdienstleistungen (beispielsweise das Depositengeschäft) von den übrigen Teilen der Bank.

In den USA dürfen risikoreiche Tätigkeiten (z. B. der Eigenhandel) nicht innerhalb der Bank, die gleichzeitig auch das Depositengeschäft betreibt, ausgeführt werden.

5391

BBl 2019

Bei der (sehr detaillierten) Definition dieses Verbots besteht eine Unschärfe durch die Zulassung von «Market-Making-Tätigkeiten», die in der Praxis nur schwierig von einer Eigenhandelstätigkeit abgegrenzt werden können.

Ausländische Banken mit Aktiven von mehr als 50 Milliarden US-Dollar müssen ihre Tochtergesellschaften in den USA unter dem Dach einer ZwischenholdingGesellschaft (Intermediate Holding Company, IHC) organisieren. Dies betrifft namentlich die US-Tochtergesellschaften von Credit Suisse und UBS. Diese IHCs unterliegen Vorschriften zu Kapital, Planung, Liquidität und Stresstests wie vergleichbare amerikanische Banken.

Im Vereinigten Königreich müssen Banken das Depositen- und Kreditgeschäft vom Investment Banking und vom internationalen Geschäft trennen und innerhalb der Finanzgruppe in einer separaten Einheit ansiedeln.

In der Schweiz haben die Banken im Vergleich zum Ausland mehr Spielraum, was die Organisation ihrer Geschäftstätigkeit betrifft. Es bestehen weder ein Verbot gewisser Tätigkeiten noch eine Vorschrift zur Abtrennung spezifischer Geschäftsaktivitäten. Die vom Gesetzgeber verlangten strukturellen Massnahmen in der Schweiz fokussieren auf die Notfallplanung und somit auf die Weiterführung der in der Schweiz systemrelevanten Funktionen im Krisenfall. Im Weiteren soll ­ über den Anreiz des Rabatts gemäss Artikel 65 der Bankenverordnung9 (BankV) bzw. Artikel 133 der Eigenmittelverordnung10 (ERV) ­ die Sanierungs- und Abwicklungsfähigkeit der gesamten Gruppe verbessert werden. Dabei ist es den betroffenen Instituten überlassen, die für ihre Geschäftsmodelle geeignetsten organisatorischen Massnahmen zu treffen. So haben heute beide Schweizer G-SIB je eine HoldingGesellschaft an der Spitze und zusätzlich je eine neue Schweizer Bank als hundertprozentige Tochtergesellschaften ihrer Stammhäuser gegründet, auf die sie u. a. die für die Schweiz systemrelevanten Funktionen übertragen haben. Mit der Ausgliederung von Dienstleistungen, welche für die Erbringung der systemrelevanten Funktionen auch im Krisenfall notwendig sind, in eigene juristische Einheiten schlossen die beiden Grossbanken den aus ihrer Optik erforderlichen strukturellen Umbau im Jahr 2017 ab. Die Sicherstellung der für die Fortführung der systemrelevanten Funktionen notwendigen Dienstleistungen ist ein zentrales
Element für eine geordnete Abwicklung.

3) Rechtlicher Rahmen für ein effektives Sanierungs- und Abwicklungsregime Der internationale Standard für ein effektives Sanierungs- und Abwicklungsregime ist in den Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions des FSB und in ausführenden Bestimmungen (z. B. FSB-Richtlinien zu Liquidität bei Sanierung und Abwicklung11) formuliert. In der Schweiz wurden diese Vorgaben mit der Revision des BankG, der BankV, der ERV sowie mit der Schaffung der Bankeninsolvenzverordnung-FINMA12 (BIV-FINMA) umgesetzt13, womit die not9 10 11 12 13

SR 952.02 SR 952.03 «Funding Strategy Elements of an Implementable Resolution Plan», FSB, 21. Juni 2018.

SR 952.05 Vgl. Second Thematic Review on Resolution Regimes vom 18. März 2016 (www.fsb.org/2016/03/second-thematic-review-on-resolution-regimes/).

5392

BBl 2019

wendigen Rechtsgrundlagen für eine institutsspezifische Stabilisierungs-, Sanierungs- und Abwicklungsplanung geschaffen wurden. Aktuell werden die Bestimmungen des BankG zur Bankensanierung und -insolvenz einer Revision unterzogen.

Zwecks Verbesserung der Rechtssicherheit sollen Bestimmungen, die in verfassungsmässig geschützte Rechtspositionen eingreifen und heute auf Stufe FINMAVerordnung geregelt sind, neu auf Gesetzesstufe verankert werden. Dies betrifft vor allem die Behandlung der Ansprüche von Eignern und Gläubigern im Falle der Bankensanierung. Dazu gehört beispielsweise die Möglichkeit der Wandlung von Fremd- in Eigenkapital und die Forderungsreduktion (Bail-in). Sodann soll ein Wertausgleich unter den betroffenen Gläubigerinnen und Gläubigern und Eignerinnen und Eignern möglich sein, falls der Bail-in zu einer unangemessenen Bevorteilung der Gläubigerinnen und Gläubiger zulasten der Eignerinnen und Eigner führen sollte. Weiter sollen die Rechtswirkungen der Genehmigung des Sanierungsplans sowie die Stellung der als Folge der Wandlung neu geschaffenen Aktionärinnen und Aktionäre klarer umschrieben werden. Schliesslich soll zur Erreichung der Funktionsfähigkeit eines Bail-in sichergestellt werden, dass die Nachrangigkeit von externem TLAC und von gruppenintern weitergegebenen verlustabsorbierenden Mitteln (iTLAC) in den relevanten Gruppengesellschaften gegeben ist.

Beurteilung Die international vergleichende Analyse hat gezeigt, dass der Schweizer Regulierungsansatz grundsätzlich mit den internationalen Entwicklungen im Einklang steht. Es ist deshalb aus heutiger Sicht keine grundlegende Änderung des Schweizer Regulierungsansatzes notwendig. In bestimmten Punkten besteht jedoch Anpassungsbedarf (siehe folgende Abschnitte).

2.2

Gone-concern-Kapitalanforderungen für G-SIBs

Systemrelevante Banken müssen besondere Anforderungen erfüllen (Art. 9 BankG), insbesondere auch bezüglich Eigenmittel. Diese Eigenmittelanforderungen sind grundsätzlich sowohl auf Stufe Finanzgruppe als auch auf Stufe der Einzelinstitute zu erfüllen, wenn die Einzelinstitute systemrelevante Funktionen der Finanzgruppe ausüben (Art. 124 ERV). Systemrelevante Funktionen sind namentlich das inländische Einlagen- und Kreditgeschäft sowie der Zahlungsverkehr (Art. 8 BankG). Die beiden Grossbanken haben ihre systemrelevanten Funktionen in die neu gegründeten Schweizer Tochterbanken (Credit Suisse Schweiz AG und UBS Switzerland AG) überführt. Gleichzeitig sind die Stammhäuser (sog. Parentbanken) Credit Suisse AG und UBS AG nach wie vor die grössten operativen Einheiten in den jeweiligen Finanzgruppen und spielen innerhalb der Finanzgruppe eine zentrale Rolle, u. a.

betreffend Kapital- und Liquiditätsverteilung.

5393

BBl 2019

Beurteilung Der Bundesrat hat am 21.November 2018 angekündigt, dass er in der ersten Hälfte 2019 entscheiden wird, welche Einheiten innerhalb einer Finanzgruppe Anforderungen für systemrelevante Banken erfüllen müssen und wie insbesondere die Gone-concern-Kapitalanforderungen an die Schweizer Einheiten der Grossbanken ausgestaltet werden sollen. Das EFD hat am 5. April 2019 die Vernehmlassung für eine entsprechende Revision der ERV eröffnet (ERV-Vorlage).

2.3

Rabattsystem

Gemäss Artikel 65 BankV gewährt die FINMA Rabatte auf die Gone-concernAnforderungen, soweit die betreffende systemrelevante Bank ihre Sanier- und Liquidierbarkeit im In- und Ausland mit hoher Wahrscheinlichkeit verbessert. Sie berücksichtigt dabei, wieweit diese Massnahmen mit Wirkung im In- und Ausland umgesetzt worden sind. Die FINMA bestimmt die bankspezifischen Rabatte. Aus Sicht der Banken besteht im heutigen System zu wenig Planungssicherheit, da die Höhe der gewährten Rabatte ­ zumindest theoretisch ­ jedes Jahr angepasst werden kann. Die Banken fordern konkretere Kriterien, bei deren Erfüllung ein bestimmter Rabatt gewährt wird.

Beurteilung Der Bundesrat beabsichtigt, das Rabattsystem mittelfristig abzuschaffen. Die aktuelle ERV-Vorlage des EFD enthält einen entsprechenden Vorschlag.

2.4

Zeitliche Staffelung und Portfoliobetrachtung von Bail-in-Bonds

Bail-in-Bonds müssen u. a. eine Mindestlaufzeit von einem Jahr aufweisen, um zur Erfüllung der Gone-concern-Anforderungen angerechnet werden zu können. Im Gegensatz zum internationalen TLAC-Standard sieht die Schweiz, ebenso wie die USA, bei einer Restlaufzeit von unter zwei Jahren eine Reduktion der Anrechenbarkeit der Bail-in-Bonds um 50 Prozent vor. Damit soll sichergestellt werden, dass die Banken die Fristigkeiten von Bail-in-Bonds aus einer Portfoliosicht staffeln. Dies führt bei den betroffenen Banken zu höheren tatsächlichen Gone-concern-Anforderungen, da Bail-in-Bonds mit einer Laufzeit von unter zwei Jahren nur noch zur Hälfte angerechnet werden können.

5394

BBl 2019

Beurteilung Der Bundesrat beabsichtigt eine Neuregelung, welche im Vergleich zu ausländischen G-SIB nicht zu relativ höheren Eigenmittel führt und gleichzeitig eine aus Portfoliosicht angemessene Staffelung der Fristigkeiten der Bail-in-Bonds sicherstellt. Die aktuelle ERV-Vorlage des EFD enthält einen entsprechenden Vorschlag.

2.5

Anforderungen an die Going-concern-Liquidität für SIBs

Das BankG (Art. 9 Abs. 2 Bst. b) und die Liquiditätsverordnung14 (LiqV, Art. 19 Abs. 2) fordern, dass die systemrelevanten Banken eine im Vergleich zu allen anderen Banken höhere Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten haben, damit sie Liquiditätsschocks besser absorbieren können als nicht-systemrelevante Banken. Als Vergleichsbasis für diese besondere Anforderung dient die LCR, die ab 1. Januar 2019 gleichermassen von allen Schweizer Banken zu 100 Prozent einzuhalten ist. Ein Vergleich zwischen den geltenden besonderen Liquiditätsanforderungen für systemrelevante Banken und der für alle Banken geltenden LCR deutet darauf hin, dass die besonderen Anforderungen nicht für alle systemrelevanten Banken eine effektiv höhere Widerstandsfähigkeit gewährleisten. Die geltenden besonderen Anforderungen sind auf Stufe LiqV nicht im Detail konkretisiert. Nach LiqV legt die FINMA beispielsweise die Klassifizierung der Forderungen und Verpflichtungen sowie die minimalen Ab- und die maximalen Zuflussraten fest (Art. 24 Abs. 3).15 Beurteilung Das EFD prüft in Zusammenarbeit mit der FINMA und der SNB bis Ende 2019, inwiefern die besonderen Liquiditätsanforderungen für systemrelevante Banken zu der geforderten höheren Widerstandsfähigkeit führen.

2.6

Gone-concern-Liquiditätsbedarf für SIBs

Im Einklang mit den Vorgaben des FSB16 erarbeitet die FINMA derzeit Liquiditätspläne für die Sanierung und Abwicklung von G-SIBs, welche die Strategie und die Massnahmen festlegen, die bei einem Liquiditätsengpass in der Krise einzuleiten wären. Eine zentrale Voraussetzung für einen glaubwürdigen Abwicklungs- bzw.

Notfallplan ist die Einschätzung des Finanzierungsbedarfs während der Sanierung oder Abwicklung einer systemrelevanten Bank ­ dies gilt nicht nur für die Gruppe 14 15 16

SR 952.06 SR 952.06 Vgl. FSB, Guiding principles on the temporary funding needed to support the orderly resolution of a global systemically important bank, 18. August 2016 und FSB, Funding strategy elements of an implementable resolution plan, 21. Juni 2018.

5395

BBl 2019

als Ganzes, sondern je einzeln auch für ihre wesentlichen operativen Einheiten. Auf Basis dieser Einschätzung wird in einem zweiten Schritt analysiert werden, ob die heutigen Liquiditätsanforderungen der betroffenen Banken diesen Bedarf zu decken vermögen oder ob es regulatorische Anpassungen braucht.

Beurteilung Das EFD prüft in Zusammenarbeit mit der FINMA und der SNB bis Ende 2019 die Liquiditätsanforderungen für die Sanierung und Abwicklung von systemrelevanten Banken.

3

Zusammenfassung des Handlungsbedarfs

Der Bundesrat ist überzeugt, dass die im internationalen Vergleich und relativ zur Grösse des Landes sehr grossen SIBs eine zentrale Bedeutung für die Finanzstabilität der Schweiz haben. Diese Stabilität kann durch eine in Notlage geratene SIB besonders gefährdet werden.

Indessen wird der Schweizer Ansatz zur Entschärfung der Problematik systemrelevanter Banken, der verschiedene Massnahmen kombiniert und über die Jahre weiterentwickelt wurde, im internationalen Vergleich als positiv und angemessen beurteilt. Eine grundsätzliche Neuausrichtung drängt sich daher nicht auf.

Der Bundesrat kommt allerdings zum Schluss, dass im Bereich der Gone-concernKapitalanforderungen für die Schweizer Einheiten von G-SIBs spezifische Anpassungen notwendig sind. Der Bundesrat sieht ausserdem Handlungsbedarf beim Rabattsystem und bei der zeitlichen Staffelung von Bail-in-Bonds sowie Abklärungsbedarf bei den besonderen Liquiditätsanforderungen für SIBs.

4

Arbeiten und Zeitplan

Bezüglich des in den Kapiteln 2.2­2.4 skizzierten Handlungsbedarfs hat das EFD am 5. April 2019 die Vernehmlassung für eine entsprechende Revision der ERV eröffnet. Ferner überprüft das EFD, in Zusammenarbeit mit der FINMA und der SNB, bis Ende 2019 die Liquiditätsanforderungen für SIBs (Kap. 2.5 und 2.6).

5396