zu 16.411 Parlamentarische Initiative Für den Persönlichkeitsschutz auch in der Aufsicht über die Krankenversicherung Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 16. Mai 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 21. August 2019

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates vom 16. Mai 20191 betreffend die parlamentarische Initiative 16.411 «Für den Persönlichkeitsschutz auch in der Aufsicht über die Krankenversicherung» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. August 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 15. März 2016 reichte Ständerat Joachim Eder (FDP, ZG) die parlamentarische Initiative 16.411 «Für den Persönlichkeitsschutz auch in der Aufsicht über die Krankenversicherung» ein. In seiner Begründung wies der Initiant darauf hin, dass die Aufsichtsbehörde dabei sei, eine umfassende Sammlung von individuellen Gesundheitsdaten aller versicherten Personen in der Schweiz aufzubauen. Eine formalgesetzliche Grundlage hierzu fehle jedoch, womit die Vorgaben des Datenschutzgesetzes verletzt würden.

Am 4. Juli 2016 gab die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) der parlamentarischen Initiative mit 8 zu 1 Stimme bei 3 Enthaltungen Folge. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) stimmte diesem Beschluss am 13. Oktober 2016 mit 17 zu 1 Stimme bei 6 Enthaltungen zu. Am 13. Februar 2017 beantragte die SGK-SR dem Büro des Ständerates, eine Subkommission einzusetzen mit dem Auftrag, die vom Kommissionssekretariat unterbreitete Änderung des Gesetzestextes zu analysieren und die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Lieferung der Individualdaten an das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu prüfen.

An neun Sitzungen zwischen dem 1. Mai 2017 und dem 15. Oktober 2018 prüfte die Subkommission «Datenlieferung» die Entwürfe zur Änderung des Bundesgesetzes vom 18. März 19942 über die Krankenversicherung (KVG) und des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes vom 26. September 20143 (KVAG) und diskutierte die Zweckmässigkeit und den Umfang der an das BAG weitergegebenen Daten. Ein neuer Artikel 21 KVG soll die Datenlieferung im Rahmen der Tätigkeit zur Steuerung des Gesundheitssystems definieren. Eine Änderung von Artikel 35 Absatz 2 KVAG präzisiert die Aufsichtsdaten der Krankenversicherer.

An ihrer Sitzung vom 6. November 2018 hiess die SGK-SR den Mehrheitsantrag zum Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über die Datenweitergabe der Versicherer in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung mit 8 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen gut. Gleichzeitig beschloss die Kommission einstimmig, das Postulat 18.4102 «Kohärente Datenstrategie für das Gesundheitswesen» einzureichen. Der Bundesrat beantragte am 30. Januar 2019 die Annahme des Postulats. Der Ständerat folgte seiner Kommission und überwies das Postulat. Zudem wurden weitere Vorstösse
zum Thema Datenerhebung eingereicht (Motionen 18.3433 Feller und 18.3432 Thorens Goumaz «Unbestrittene Statistiken von einem unabhängigen Organ erstellen lassen. Eine unerlässliche Voraussetzung für die Steuerung des Gesundheitssystems»). Im Anschluss an die Arbeiten der Expertengruppe Kostendämpfung4 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern 2 3 4

SR 832.10 SR 832.12 Der Bericht der Expertengruppe ist abrufbar unter www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Kostendämpfung.

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(EDI), eine Strategie zur Erfassung, Nutzung und Auswertung der Daten des Gesundheitswesens zu erarbeiten (Datentransparenzstrategie).

Der Vorentwurf befand sich vom 15. November 2018 bis zum 1. März 2019 in der Vernehmlassung. Am 16. Mai 2019 nahm die Kommission Kenntnis von den Ergebnissen der Vernehmlassung, genehmigte den Mehrheitsantrag einstimmig und lehnte den Minderheitsantrag mit 6 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung ab. Der Mehrheitsantrag würde es ermöglichen, nach Leistungsart und Leistungserbringer aufgeschlüsselte Individualdaten zu erheben. Mit dem Minderheitsantrag könnten zusätzlich Individualdaten zu Arzneimitteln sowie zu Mitteln und Gegenständen gesammelt werden.

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Stellungnahme des Bundesrates

Daten im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sind für zahlreiche Aufgaben des Bundes von grosser Bedeutung. Insbesondere zur Verbesserung der Transparenz des Gesundheitssystems und der Vorbereitung von wirksamen Massnahmen zur Kostendämpfung sind Daten notwendig. So hat auch der erwähnte Bericht der Expertengruppe Kostendämpfung in Bezug auf internationale Erfahrungen festgehalten, dass für eine effektive Steuerung des Systems die Verfügbarkeit und die Qualität von Daten zu Kosten, erbrachten Leistungen und Qualität der Leistungserbringung zentral seien. Entsprechend wurden zwei Massnahmen formuliert, die auch der Bundesrat in seinen Arbeiten aufgenommen hat.

1.

Mit der Schaffung der notwendigen Transparenz soll allen Akteuren die erforderliche Datengrundlage zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Aufgaben hinsichtlich Systemsteuerung und -optimierung wahrnehmen können. Hintergrund dieser Massnahme ist die Feststellung, dass für die verschiedenen Aufgaben, welche die Akteure wahrnehmen sollen, teilweise gar keine, unzureichende oder die falschen Datengrundlagen zur Verfügung stehen. Beispielweise bestünden Mängel bei den Daten zur Qualität der Leistungserbringung im gesamten Gesundheitssektor. Als Ursache für diese Situation wurden einerseits fehlende gesetzliche Grundlagen, andererseits aber auch die fehlende Umsetzung der bestehenden Gesetzesgrundlagen identifiziert. Gefordert wurden u. a. die konsequente Nutzung der gesetzlichen Handlungsspielräume und die Einhaltung der Datenlieferpflichten durch Versicherer und Leistungserbringer.

2.

Bestehende Leerläufe aufgrund von doppelten und fehlerhaften Datenerfassungen sollen im stationären Bereich nach Möglichkeit reduziert werden, damit einerseits die Effizienz und andererseits die Patientensicherheit erhöht werden. Hintergrund dieser Massnahmen ist die Erfassung von grossen Datenmengen, die zum Teil (noch) nicht ausgewertet werden und teilweise nicht relevant sind. Im Rahmen der oben empfohlenen Massnahme steigt der Datenerfassungsaufwand auch im ambulanten Sektor. Die Leistungserbringer betrachten diesen Aufwand bereits heute als hoch. Es gelte deshalb, Nutzen und Kosten bei der Datenerfassung sorgfältig gegeneinander abzuwägen.

Zudem seien der Verwendungszweck zu prüfen und Standards festzulegen.

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Bezogen auf die erstgenannte Massnahme ist festzuhalten, dass die Gesetzgebung zur Krankenversicherung Verpflichtungen zur Datenlieferung sowohl für die Krankenversicherer als auch für die Leistungserbringer enthält. So sieht das KVAG in Artikel 35 vor, dass die Versicherer dem BAG mindestens jährlich Angaben zu den Daten liefern, die im Zusammenhang mit ihrer Versicherungstätigkeit anfallen. Nach Artikel 59a KVG sind demgegenüber die Leistungserbringer verpflichtet, dem Bundesamt für Statistik (BFS) Daten zur Beurteilung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen zu liefern, die das BFS darauf den betroffenen Bundes- und Kantonstellen weiterzuleiten hat. Ferner erteilt Artikel 23 KVG dem BFS die Kompetenz, bei Versicherern, Leistungserbringern sowie der Bevölkerung Daten zu erheben und gemäss Bundesstatistikgesetz vom 9. Oktober 19925 zu bearbeiten.

Diese bestehenden Regelungen werden verstärkt durch die laufenden Revisionen des KVG zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit (15.083) und zur Zulassung von Leistungserbringern (18.047). Diese stärken die Verpflichtung zu Datenlieferungen und zeigen auch auf, dass Massnahmen zur Verbesserung der Steuerung nicht ohne die notwendige Transparenz umgesetzt werden können.

Beide Massnahmen des Expertenberichts nimmt der Bundesrat zudem mit den Arbeiten im Rahmen der oben erwähnten Datentransparenzstrategie des EDI auf.

Die Erhebung von (Individual-)Daten bei den Krankenversicherern wie auch die Publikation der vom BFS erhobenen Daten der Leistungserbringer sind in den Artikeln 28 ff. der Verordnung vom 27. Juni 19956 über die Krankenversicherung (KVV) geregelt. Die Bestimmungen sind bisher nur teilweise umgesetzt. Das BAG greift heute mehrheitlich für seine Aufgaben auf Daten zurück, die in aggregierter Form bei den Versicherern erhoben werden. Daneben wertet es Daten aus, die von einer Tochter des Verbandes der Krankenversicherer Santésuisse, der SASIS AG, aufbereitet und dem Bund (dem BAG sowie dem BFS bzw. dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium [Obsan]) kostenpflichtig zur Verfügung gestellt werden in zwei Pools: dem Datenpool, der die aggregierten Daten von 99 Prozent der Versicherten und die zur Rückerstattung übermittelten Rechnungsdaten erfasst, und dem Tarifpool, der die aggregierten Daten von 95 Prozent der Versicherten
erfasst; beim Tarifpool handelt es sich um eine Ergänzung zu den Angaben des Datenpools, mit detaillierten Zahlen zur Abrechnung der Tarifpositionen (z. B. TARMED-Positionen). Es handelt sich dabei um Daten, die viel detailliertere Auswertungen ermöglichen als die Daten, die dem BAG bis anhin zur Verfügung stehen. Dennoch handelt es sich dabei auch nur um aggregierte Daten (Branchentotal über alle teilnehmenden Versicherer).

Wie auch die SGK-SR in ihrem Bericht festgestellt hat, können bestimmte Aufgaben nur mit Individualdaten erfüllt werden. Der Bundesrat hat es daher nicht zuletzt zur Erhöhung der Transparenz im Gesundheitssystem als notwendig erachtet, die Umsetzung von Artikel 28 KVV in Form einer BAG-eigenen Erhebung auf Basis von anonymisierten Versichertendaten (Projekt BAGSAN) für die Durchführung der Aufgaben des BAG langfristig sicherzustellen, und er hat die entsprechenden Mittel bereitgestellt. Zum Zeitpunkt, zu dem das BAG Artikel 28 KVV, der Zweck und 5 6

SR 431.01 SR 832.102

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Umfang der von den Krankenversicherern zu liefernden Daten regelt, umsetzen und somit die Sammlung von Informationen pro versicherte Person ausweiten wollte, kam es zu Reaktionen.

Der Bundesrat stellt fest, dass die gesetzlichen Bestimmungen, in denen die bei den Krankenversicherern erhobenen Daten festgelegt werden, seit vielen Jahren bestehen und die Möglichkeit bieten, deutlich umfassendere Informationen zu sammeln als in der heutigen Praxis üblich. In diesem Sinne folgt das BAG bei der Datenerhebung den Prinzipien der Verhältnismässigkeit und der Datensparsamkeit.

Vor diesem Hintergrund begrüsst der Bundesrat die Bemühungen zur Klärung der gesetzlichen Grundlagen, welche die SGK-SR im Rahmen ihrer Arbeiten im Zusammenhang mit der parlamentarischen Initiative 16.411 unternommen hat. Der Entwurf ermöglicht, die Aufgaben zu präzisieren, für welche die Versicherer Daten liefern müssen, und trennt dabei die vom KVG abgedeckte Tätigkeit zur Steuerung des Gesundheitssystems von der im KVAG geregelten Aufsicht über die Krankenversicherer. Die so geänderten Gesetze werden thematisch kohärenter.

Artikel 21 E-KVG präzisiert, welche Aufgaben zur Steuerung des Gesundheitssystems mit welchen Arten von durch die Krankenversicherer gelieferten Daten wahrgenommen werden. Die Erhebung von aggregierten Daten wird bevorzugt, aber es sind Ausnahmen vorgesehen, welche die Erfassung von Informationen pro versicherte Person zulassen. Bei diesen Ausnahmen wird die vom BAG zu gewährleistende Anonymität der Versicherten bei der Datenauswertung nun auf Gesetzesebene festgeschrieben. So werden Umfang und Zweck der Datenerhebung durch das BAG sowie die Auswertungsmodalitäten für alle Akteure geklärt.

Der Mehrheitsantrag beschränkt die Steuerungsaufgaben, für welche die Versicherer Daten pro versicherte Person liefern müssen, auf folgende Bereiche: ­

Überwachung der Kostenentwicklung nach Leistungsart und nach Leistungserbringer;

­

Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung;

­

Analyse der Wirkung des Gesetzes und des Gesetzesvollzugs;

­

Evaluation des Risikoausgleichs.

In Anbetracht dessen, was heute gesetzlich möglich ist, vertritt der Bundesrat die Ansicht, dass dies das absolute Minimum ist, mit dem effektiv zur Verbesserung der Transparenz des Gesundheitssystems beigetragen werden kann.

Der Minderheitsantrag ermöglicht zusätzlich die Erhebung der Daten, die für die Erfüllung der Aufgaben in den Bereichen Arzneimittel sowie Mittel und Gegenstände erforderlich sind. In diesen Bereichen verfügt das BAG heute einzig über aggregierte Informationen oder über Brancheninformationen. Es fehlen beispielsweise detaillierte Informationen über den effektiven Einsatz von Arzneimitteln, über die Beträge, die die Versicherten im Bereich der Mittel und Gegenstände selbst übernehmen müssen, oder über die tatsächlichen Abgabepreise. Ohne diese Informationen gibt es keine befriedigenden Antworten auf bestimmte Fragen, zum Beispiel zum Arzneimittelwechsel bei Preisanpassungen oder zur Prüfung des Vertriebsan-

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teils bei Arzneimitteln. Ebenso fehlen Antworten auf Fragen zu den Kosten der Mittel und Gegenstände und deren Entwicklung. Gerade diese Bereiche sind immer wieder Thema in der Öffentlichkeit wie auch im Parlament. Zahlreiche parlamentarische Vorstösse wie auch die Untersuchungen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates zeigen die Wichtigkeit einer grösseren Transparenz.

Diese Beispiele zeigen, wie wichtig ausführliche Informationen auch in den beiden vom Minderheitsantrag vorgesehenen Bereichen sind. Solche Informationen sind wesentlich für eine wirksame Steuerung des Gesundheitssystems und ermöglichen dem Bund eine effiziente Wahrnehmung seiner gesetzlich vorgesehenen Aufgaben.

Insbesondere wäre das BAG besser in der Lage, Kostendämpfungsstrategien zu entwickeln und bereits getroffene Massnahmen zu beurteilen. In diesem Sinne unterstützt der Bundesrat den Minderheitsantrag.

Da dieser Entwurf auch mit einer Annahme des Minderheitsantrags eine Beschneidung der Möglichkeiten gemäss dem heutigem Artikel 28 KVV bedeutet, der detaillierte Datenerhebungen wie die Nutzung von Datenerhebungen pro versicherte Person zu Tarifpositionen des TARMED vorsieht, behält sich der Bundesrat vor, erneut an das Parlament zu gelangen und zu beantragen, dass seine Kompetenzen in diesem Bereich wieder erweitert werden.

Der Entwurf ändert auch Artikel 35 Absatz 2 KVAG, indem er die Nutzung der Individualdaten der Krankenversicherer präzisiert und die Gewährleistung der Anonymität der Versicherten als Voraussetzung für die Verwendung der Daten festschreibt. Diese Änderungen werden vom Bundesrat ebenfalls begrüsst.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt, dem Entwurf der SGK-SR zuzustimmen. Zudem unterstützt er den Minderheitsantrag zu Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe d.

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