zu 16.414 Parlamentarische Initiative Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle Zusatzbericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 2. Mai 2019 Ergänzende Stellungnahme des Bundesrates vom 20. September 2019

Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Zusatzbericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates vom 2. Mai 20191 betreffend die parlamentarische Initiative 16.414 «Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. September 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 14. Februar 2019 verabschiedete die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) ihren Entwurf zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative (pa. Iv.) 16.414 «Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle» von Ständerat Konrad Graber.2 Die pa. Iv. fordert die Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells auf Gesetzesstufe und die Flexibilisierung der Bestimmungen zur Arbeits- und Ruhezeit im Arbeitsgesetz. Der Bundesrat verzichtete in seiner Stellungnahme vom 17. April 20193 darauf, sich inhaltlich zur Vorlage zu äussern. Er empfahl dem Parlament, das Geschäft gleichzeitig mit der pa. Iv Keller-Sutter 16.423 «Ausnahme von der Arbeitszeiterfassung für leitende Angestellte und Fachspezialisten» zu behandeln und dazu die Resultate einer vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Auftrag gegebenen Studie abzuwarten.

Die Studie untersucht die Umsetzung der mit der Änderung vom 4. November 20154 der Verordnung 1 vom 10. Mai 20005 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) eingeführten neuen Bestimmungen zur Arbeitszeiterfassung (Art. 73a und 73b ArGV 1). Der Bundesrat wies darauf hin, dass zu gegebenem Zeitpunkt auch die Meinung der Sozialpartner einzuholen wäre.

Die WAK-S hat in ihrer Sitzung vom 2. Mai 2019 eine zweite Lesung der Vorlage durchgeführt und entschieden, den geänderten Entwurf dem Bundesrat erneut zur Stellungnahme zukommen zu lassen.6 Gleichzeitig sistierte sie das Geschäft bis zum Herbst 2019, um für die abschliessende Beratung nach Möglichkeit über eine materielle Stellungnahme des Bundesrates zu verfügen, die Ergebnisse der SECO-Studie zu kennen und im Vorfeld die Sozialpartner anhören zu können.

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Stellungnahme des Bundesrates

Bezüglich der im Zusammenhang mit dem Entwurf der WAK-S zu berücksichtigenden Prämissen wird auf die Ausführungen in der Stellungnahme des Bundesrates vom 17. April 2019 verwiesen.

Der Bundesrat hat zur Kenntnis genommen, dass die WAK-S Anpassungen an der Vorlage vorgenommen hat, um verschiedenen im Rahmen der Vernehmlassung geäusserten Befürchtungen Rechnung zu tragen. So wurden objektive Kriterien zur Festlegung des Arbeitnehmerkreises, für den das besondere Arbeitszeitmodell in Frage kommt, festgelegt. Die Festlegung einer maximalen wöchentlichen Arbeitszeit von 67 Stunden und die Beschränkung der möglichen Konzentration der Anzahl Arbeitswochen auf mindestens 40 soll dazu dienen, den Gesundheitsschutz der 2 3 4 5 6

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betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten. Die Beschränkung der freiwilligen Sonntagsarbeit auf Einsätze ausserhalb des Betriebs umschreibt, auf welche Situationen diese Bestimmung Anwendung findet. Die Verpflichtung der Arbeitgeber, Präventionsmassnahmen zu treffen, unterstreicht das Anliegen des Gesetzgebers, den Gesundheitsschutz angemessen zu berücksichtigen.

Trotz diesen Anpassungen hat die WAK-S auf einen expliziten Einbezug der für diese Thematik massgeblichen Sozialpartner verzichtet. Es hat inzwischen auch keine weitere Anhörung dieser Kreise stattgefunden. Schon allein deshalb erachtet der Bundesrat die Erfolgschancen dieser Revisionsvorlage als gering. Trotz der erfolgten Anpassungen konnten die im Rahmen der Vernehmlassung geäusserten Befürchtungen zudem kaum substanziell entkräftet werden. Deshalb beantragt der Bundesrat dem Parlament, auf die Gesetzesvorlage nicht einzutreten.

Für den Fall, dass das Parlament zur Entscheidung gelangen sollte, trotzdem auf die Gesetzesvorlage einzutreten, empfiehlt der Bundesrat neben der Anhörung der Sozialpartner und der Berücksichtigung der im Herbst vorliegenden Studie zur Evaluation der Auswirkungen der neuen Arbeitszeiterfassungsregeln, untenstehende Aspekte zu prüfen, damit diese mit den Sozialpartnern diskutiert werden und beiderseits akzeptierte Lösungen gefunden werden können: Art. 10 Abs. 2 zweiter und dritter Satz Streichen Der in Artikel 10 des Arbeitsgesetzes vom 13. März 19647 (ArG) verankerte betriebliche Zeitraum für Tages- und Abendarbeit von 17 Stunden definiert den Zeitraum, während dessen in einem Betrieb ohne Bewilligung gearbeitet werden kann. Das Gegenstück dazu ist der bewilligungspflichtige Zeitraum für Nachtarbeit von 7 Stunden, den das ArG für die Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr festlegt und der Anspruch auf die gesetzlichen Kompensationen gibt. Der Zeitraum für Tages- und Abendarbeit kann um je eine Stunde vor- oder zurückverschoben werden, um den Bedürfnissen des Betriebs zu entsprechen. Die nun zusätzlich vorgesehene Einführung eines individuellen Zeitraums für Tages- und Abendarbeit ab 4 Uhr pro Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin steht dazu im Widerspruch. Dieses Modell birgt einerseits Risiken für die Gesundheit, denn die chronobiologischen und medizinischen Erkenntnisse sprechen klar gegen einen
Arbeitsbeginn vor 5 Uhr. Das Einschlafen kann nicht erzwungen werden, das Aufstehen schon. Früher Arbeitsbeginn führt zu chronischem Schlafdefizit, Einschlafstörungen, verminderter Aufmerksamkeit, dem

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Gefühl, unausgeruht zu sein, erhöhtem Kortison und erhöhter Insulinresistenz.8 Ein verfrühter Arbeitsbeginn hat erwiesenermassen einen negativen Einfluss auf die psychische und physische Gesundheit und schafft ein erhöhtes Unfallrisiko.9 Mit der Einführung von individuellen Zeiträumen für die Tages- und Abendarbeit würde es für die Betriebe möglich, bewilligungsbefreit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dem zustimmen, ab 4 Uhr zu beschäftigen und andere bis 24 Uhr. Der Zeitraum für Nachtarbeit würde damit von 7 Stunden auf 4 Stunden reduziert. Andererseits würde diese Regelung auch die Arbeit der kantonalen Arbeitsinspektorate als Vollzugsorgane erschweren. Diese müssten sich vom Arbeitgeber nicht mehr nur den betrieblichen Zeitraum für Tages- und Abendarbeit dokumentieren lassen, sondern auch die individuellen Zeiträume der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um feststellen zu können, ob Nachtarbeit geleistet wird.

Art. 13a Abs. 1 Bst. abis Mit der Einführung der objektiven Kriterien Lohn (120 000 Fr. pro Jahr) oder Ausbildung (höherer Bildungsabschluss, also mindestens Bachelor-Stufe, Berufsbildungsstufe 6 oder gleichwertiger Abschluss) zur Definition der potenziell betroffenen Arbeitnehmergruppen ist die Vollzugstauglichkeit insbesondere für die Arbeitsinspektorate gestiegen. Allerdings erfüllen rund 30 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das eine oder andere Kriterium und arbeiten nicht nach vorgegebenen Arbeitsplänen. Zudem ist die Definition des betroffenen Arbeitnehmerkreises nach wie vor eine komplexe Angelegenheit, insbesondere auch dann, wenn sie durch die kantonalen Arbeitsinspektorate überprüft werden muss; nicht weniger als fünf verschiedene Bedingungen müssen erfüllt sein. Um die Zielgruppe der Personen, für die das besondere Jahresarbeitszeitmodell in Frage kommen soll, daher noch besser zu umschreiben und die Chance zu erhöhen, dass diese tatsächlich über eine genügende Autonomie bei der Arbeit und bei der Festsetzung der Arbeitszeiten verfügen (vgl. Art. 13a Abs. 1 Bst. b und c), eignet sich insbesondere die Lohngrenze als Kriterium. Würde einzig auf dieses Kriterium abgestellt und müssten nicht auch noch Ausbildungsabschlüsse kontrolliert werden, so würde sich die Überprüfung für die Arbeitsinspektorate einfacher gestalten. Zudem gilt heute schon die gleiche Lohngrenze für den Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung. Somit müsste 8

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Vgl. Akerstedt, T., G. Kecklund and J. Selen (2010): «Early morning work--prevalence and relation to sleep/wake problems: a national representative survey» Chronobiol Int 27(5): 975-986; Padilha, H. G., C. A. Crispim, I. Z. Zimberg, S. Folkard, S. Tufik and M. T. de Mello (2010): «Metabolic responses on the early shift» Chronobiol Int 27(5): 1080-1092; Lombardi, D. A., K. Jin, C. Vetter, T. K. Courtney, S. Folkard, A. Arlinghaus, Y. Liang and M. J. Perry (2014): «The impact of shift starting time on sleep duration, sleep quality, and alertness prior to injury in the People's Republic of China» Chronobiol Int 31(10): 1201-1208; J. Almansa, U. Bultmann and J. J. van der Klink (2016): «Associations between shift schedule characteristics with sleep, need for recovery, health and performance measures for regular (semi-)continuous 3-shift systems» Appl Ergon 56: 203-212; Flynn-Evans, E. E., L. Arsintescu, K. Gregory, J. Mulligan, J. Nowinski and M. Feary (2018): «Sleep and neurobehavioral performance vary by work start time during non-traditional day shifts» Sleep Health 4(5): 476-484.

Foster, R. G. and K. Wulff (2005): «The rhythm of rest and excess» Nat Rev Neurosci 6(5): 407-414.

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in Betrieben, welche diese Lösung umgesetzt haben, die bereits bestehende Liste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur noch entsprechend ergänzt werden. Wird nur auf die Lohnhöhe abgestellt, beträgt die potenziell betroffene Arbeitnehmergruppe maximal 15 Prozent aller Arbeitnehmenden.

Abs. 1 Bst. d Die Wahlmöglichkeit beziehungsweise die individuelle Zustimmung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers zum Verzicht auf jegliche Arbeitszeiterfassung oder zur vereinfachten Arbeitszeiterfassung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, damit Abweichungen vom bestehenden Regime als Chance gesehen und positiv bewertet werden. Dies wiederum sind wichtige Schutzfaktoren gegen übermässige Belastungen und gesundheitliche Probleme. Um zu verhindern, dass einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen Mehrheitsentscheid nicht mehr nach dem vom ArG her vorgesehenen Arbeitszeitmodell profitieren können, sollte in Betracht gezogen werden, in jedem Fall die individuelle Zustimmung vorzuschreiben. Zum Vergleich: Auch für Nachtarbeit oder Sonntagsarbeit muss die individuelle Zustimmung eingeholt werden, da auf einen Teil des gesetzlich vorgesehenen Schutzes verzichtet wird.

Abs. 8 Wichtig sind begleitende Präventionsmassnahmen für die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einem besonderen Regime unterstellt sind. Die diesbezüglich verankerte Pflicht der Arbeitgeber ist daher zu begrüssen. Damit aber griffige Präventionsmassnahmen, die das Schutzniveau garantieren, vereinbart und deren tatsächliche Umsetzung auch mit einem Kontrollmechanismus überprüft wird, hat sich der Einbezug der Sozialpartner als unabdingbar erwiesen. Deshalb sollte für die Definition und Überwachung der Präventionsmassnahmen die Mitwirkung der Sozialpartner vorgesehen werden, wie dies in Artikel 73a ArGV 1 vorgesehen ist.

Art. 19a Der Zusatzbericht hält fest, dass gemäss der WAK-S die Anwendung dieser Bestimmung auf Sonntagsarbeit für «kurze Arbeitseinsätze von zu Hause aus ­ etwa für die rasche Beantwortung von Mails» oder für «An- oder Rückreise von einem geschäftlichen Auswärtstermin» ­ beschränkt sein soll. Der Gesetzestext sieht aber nur vor, dass die Arbeit ausserhalb des Betriebs erfolgen muss und scheint daher weiter gefasst. Das gewählte Kriterium bedeutet noch nicht, dass von zuhause aus gearbeitet wird oder dass die Arbeit nur «kurze Einsätze» umfasst.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt, auf die Gesetzesvorlage nicht einzutreten.

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