zu 03.436 Parlamentarische Initiative Faire Abstimmungskampagnen Bericht vom 7. Mai 2009 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 19. August 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 7. Mai 2009 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates betreffend faire Abstimmungskampagnen nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. August 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-1643

5885

Stellungnahme 1

Einleitung: Überblick über die Folgen der parlamentarischen Initiative

Wir danken für die Gelegenheit, zum Entwurf eines «Bundesgesetzes über die Mitwirkung der politischen Parteien an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes» der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) vom 7. Mai 2009 Stellung nehmen zu können.

Der Gesetzesentwurf geht zurück auf die parlamentarische Initiative Andreas Gross, die ursprünglich fairere Abstimmungskampagnen angestrebt hatte. In einem ersten Schritt hatte eine Subkommission der SPK-N zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Andreas Gross 03.436 einige praktische Massnahmen zur Verbesserung der Stellung der Parteien im politischen System der Schweiz und anlässlich von Urnengängen identifiziert und nach Führung entsprechender Verhandlungen durch die SPK-N beschliessen lassen: a.

Auftrag an die Bundeskanzlei, ohne Gesetzesänderung in der Wahlanleitung zu den Nationalratswahlen (Art. 34 des Bundesgesetzes vom 17. Dez. 1976 über die politischen Rechte; BPR; SR 161.1) allen in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien Platz und die Möglichkeit zur Selbstdarstellung der vertretenen Anliegen zu geben. Dieser Auftrag wurde von der Bundeskanzlei in der Wahlanleitung 2007 umgesetzt.

b.

Auftrag an die Bundeskanzlei, ohne Gesetzesänderung in der Broschüre «Der Bund kurz erklärt» alle in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien kurz vorzustellen. Dieser Auftrag wird von der Bundeskanzlei seit der Ausgabe 2008 umgesetzt.

c.

Inanspruchnahme eines Angebots der Schweizerischen Bundesbahnen, in den grösseren Bahnhöfen jeweils vor eidgenössischen Volksabstimmungen während eines bestimmten Zeitraums ein gemeinsames Plakat sämtlicher in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien mit einem Parolenspiegel für alle eidgenössischen Vorlagen aushängen zu lassen. Die Erarbeitung des Plakats obläge gemeinsam allen Parteien. Das Angebot wurde von den Parteien bis heute niemals in Anspruch genommen.

d.

Da die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG/idée suisse von sich aus nicht zu ähnlichen Angeboten bereit war, entwickelte die Subkomission der SPK-N die Idee einer gesetzlichen Grundlage für unentgeltlich zur Verfügung zu stellende Abstimmungsspots der Parteien an Radio und Fernsehen und erarbeitete einen Gesetzesvorentwurf, der 2007 bei Kantonen, Parteien, Spitzenverbänden der Wirtschaft und interessierten Organisationen in die Vernehmlassung gegeben wurde. Die SPK-N liess ihre Subkommission die Vernehmlassungsergebnisse vertieft prüfen. Ergebnis ist der verschlankte Gesetzesentwurf, der nun zur Stellungnahme vorliegt.

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2

Gründe für einen Verzicht auf Gesetzes- und Verordnungsentwurf

Für den Verzicht auf Gesetzes- und Verordnungsentwurf sprechen politische und rechtliche Gründe.

2.1

Politische Gründe

Die Vorschläge der SPK-N wurden über alle Vernehmlasserkategorien hinweg im Verhältnis von 3 zu 1 abgelehnt. Trotz dieser Vernehmlassungsergebnisse hat die Kommission an der Stossrichtung der Vorlage festgehalten und ist es bei einem erheblichen Normenzuwachs geblieben. Viele Normen aus dem ursprünglichen Gesetzesvorentwurf wurden nicht gestrichen, sondern lediglich in den Entwurf einer Verordnung der Bundesversammlung ausgegliedert. Die ungünstigen Vernehmlassungsergebnisse lassen sich nach Ansicht des Bundesrates nicht dadurch korrigieren, dass viele Normen des Gesetzesvorentwurfs von 2007 nun dem Referendum entzogen werden, zumal nicht alle Normherabstufungen vor Artikel 164 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV; SR 101) unproblematisch erscheinen.

Die Meinungsäusserungen der Vernehmlasser beanstandeten in ihrer grossen Mehrheit nicht Detailregelungen oder die Rechtsstufe des Vernehmlassungsentwurfs, sondern den Regelungsansatz an sich. Er erscheint auch dem Bundesrat wenig ausgereift.

Die von der SPK-N von der Verwaltung gewünschte Flexibilität i.S. Parteienförderung wurde, soweit umsetzbar, von der Bundeskanzlei umgehend unter Beweis gestellt. Auch die Schweizerischen Bundesbahnen zeigten sich flexibel. Wenn es um faire Abstimmungskampagnen (so der Titel der parlamentarischen Initiative) geht, so wären öffentlich angeschlagene Parolenspiegel auf gemeinsamen Plakaten aller Parteien der Bundesversammlung gewiss eine sinnvolle Massnahme. Dass seit bald drei Jahren keine einzige der Parteien Anstalten getroffen hat, die für die Umsetzung dieser unbestrittenen Massnahme nötige Initiative zu ergreifen, nährt Zweifel an der Notwendigkeit weitergehender Massnahmen und insbesondere einer doch stark umstrittenen gesetzlichen Verankerung von Abstimmungsspots.

Der Bundesrat bezweifelt, dass Fairness bei Volksabstimmungen ausgerechnet durch Abstimmungsspots gesteigert werden kann. Dass Programmveranstalter Gratissendezeit zur Verfügung stellen sollen, ändert nichts daran, dass die Abstimmungsspots von den Parteien selber finanziert werden müssten. Dies droht die Kluft zwischen vermögenden und weniger vermögenden Parteien nicht auszugleichen, sondern eher zu verschärfen.

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2.2

Rechtliche Gründe

Der jetzt vorliegende Entwurf wirft heikle verfassungsrechtliche Fragen auf.

2.2.1

Charakteristische Merkmale der vorgeschlagenen Lösung

Mit den vorgeschlagenen Entwürfen zu Bundesgesetz und Verordnung sollen im Bundesgesetz über die politischen Rechte und im neuen Radio- und Fernsehgesetz vom 26. März 2006 (RTVG; SR 784.40) sowie durch eine Verordnung der Bundesversammlung Rechtsgrundlagen geschaffen werden, damit bestimmte Parteien und gewisse Komitees vor Sachabstimmungen in Radio- und Fernsehprogrammen unentgeltlich Sendezeit nutzen könnten. Der Vorschlag charakterisiert sich durch folgende Merkmale: a.

Verpflichtung bestimmter Radio- und Fernsehveranstalter zur Einräumung von Sendezeit bzw. zur Ausstrahlung von Abstimmungsspots;

b.

die Einräumung von Sendezeit bezieht sich auf Abstimmungstermine, nicht auf Abstimmungsvorlagen;

c.

Produktion der Spots durch die berechtigten Parteien und Komitees;

d.

berechtigt sind: 1. die registrierten, im Parlament in einer Fraktion des Parlaments vertretenen Parteien; 2. bei fakultativen Referenden zusätzlich die Referendumskomitees; 3. bei Volksinitiativen zusätzlich die Initiativkomitees;

e.

Länge der Spots von 15-30 Sekunden;

f.

Verteilung der Sendezeit für Parteienspots proportional zur Sitzzahl im Parlament;

g.

detaillierte Regulierung betreffend Positionierung der Spots in den Programmen;

h.

inhaltliche Anforderungen an die Spots (u.a. Wahrung der Persönlichkeitsrechte, Verbot nachweislich unzutreffender Tatsachendarstellungen);

i.

Vorprüfung durch die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), wenn Zweifel an der Rechtmässigkeit eines Spots bestehen.

2.2.2

Verfassungsrechtliche Orientierungspunkte

2.2.2.1 Die Veranstaltung von Radio- und Fernsehprogrammen steht unter dem Schutz der Meinungsäusserungs- und der Medienfreiheit (Art. 16f. BV, Art. 10 der Konvention vom 4. Nov. 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten; EMRK; SR 0.101). Überdies garantiert Artikel 93 Absatz 3 BV ausdrücklich die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung.

Die wirtschaftlichen Aspekte der Programmveranstaltung stehen unter dem Schutz 5888

der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV). Wir bezeichnen diese Grundrechtspositionen bzw. Verfassungsgarantien im Folgenden mit dem Kurzbegriff «Veranstalterfreiheit».

Die vorgeschlagenen Regelungen berühren die Veranstalterfreiheit in erheblicher Weise. Bestimmte Programmveranstalter sollen Beiträge Dritter ohne wirtschaftliche Gegenleistung ausstrahlen müssen. Der damit verbundene Eingriff in Grundrechte bzw. Verfassungsgarantien wäre nur zulässig, wenn er auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist und die Verhältnismässigkeit wahrt (Art. 36 BV).

Die vorgeschlagene Lösung enthält auf Gesetzesstufe manche Regelungen, die man mit Blick auf Artikel 164 Absatz 1 BV verlangen muss.

Die der Bundeskanzlei übertragenen Aufgaben sind aber alles andere denn klar umrissen (vgl. Ziff. 2.3.2.1 hiernach).

2.2.2.2 Artikel 34 Absatz 2 BV garantiert die politischen Rechte und schützt die freie Willensbildung sowie die unverfälschte Stimmabgabe bei Wahlen und Volksabstimmungen (vgl. hiezu BGE 119 Ia 271 E. 3). Zwar stellt der Schutz der freien und unverfälschten Willensbildung bei Abstimmungs- und Wahlkämpfen ein öffentliches Interesse dar, das eine Beeinträchtigung der Veranstalterfreiheit (unter dem Vorbehalt der Verhältnismässigkeit) rechtfertigen kann. Erforderlich ist jedoch, dass eine gesetzliche Regelung über Interventionen in Abstimmungskämpfe selbst die Verhältnismässigkeit wahrt (Art. 5 Abs. 2 BV): Die Regelung muss geeignet und notwendig sein, um das angestrebte Ziel (Schutz der freien und unverfälschten Willensbildung) zu realisieren, und es muss eine vernünftige Ziel-/Mittelrelation vorliegen (Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen, «Zumutbarkeit», vgl. hiezu Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich/St. Gallen 2006, N 613ff.).

2.2.2.3 Damit drängt es sich auf, die Beurteilung der Verfassungsmässigkeit der vorgeschlagenen Lösung an folgendem Fragenschema zu orientieren: a.

Dienen die vorgeschlagenen Regelungen dem Schutz der freien und unverfälschten Willensbildung und respektieren sie dabei die von Rechtsprechung (und Lehre) entwickelten Grundsätze?

b.

Falls Ja, können sie den Eingriff in die Veranstalterfreiheit rechtfertigen?

c.

Falls Nein; dient die vorgeschlagene Lösung andern öffentlichen Interessen, die den Eingriff in die Veranstalterfreiheit rechtfertigen können?

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2.2.3

Abstimmungsspots als Beitrag zur freien und unverfälschten Willensbildung?

2.2.3.1 Der Schutz der freien Willensbildung vor Abstimmungen bezweckt möglichst offene und pluralistische Auseinandersetzungen, die schliesslich in rationale, auf hinreichender Kenntnis der wesentlichen Tatsachen und Argumente beruhende Entscheide der Stimmbürger münden (Michel Besson, Behördliche Information vor Volksabstimmungen, Bern 2003, S. 180).

Abstimmungsspots von höchstens 30 Sekunden, bezogen auf (je nachdem) mehrere Vorlagen, die an einem Termin zur Abstimmung gelangen, müssten sich offensichtlich auf Kürzest-Aussagen plakativen Charakters beschränken. Sie könnten von ihrer Natur her kaum zu einem qualitativ ernst zu nehmenden Austausch von Argumenten beitragen. Vielmehr würden mit derartigen, je nach Parteienstärke mehrfach wiederholten Abstimmungsspots dem Publikum vor allem die Parteiparolen vermittelt. Der politische Diskurs würde dadurch weder verbessert noch intensiviert. Das spricht nicht per se gegen Abstimmungsspots, doch wäre ihr Beitrag zu rationalen, auf hinreichender Kenntnis der wesentlichen Tatsachen und Argumente beruhenden Entscheiden der Stimmberechtigten im besten Fall marginal.

2.2.3.2 Im Bericht vom 7. Mai 2009 (Ziff. 2.2.4) wird ferner geltend gemacht, Abstimmungsspots der Parteien seien deshalb gerechtfertigt, weil die Mitglieder der Bundesversammlung für die «innere Kohärenz der gesamten Rechtsordnung» verantwortlich seien. Die Parteien seien die kollektiven Zusammenschlüsse der Volksvertreterinnen und -vertreter, was es rechtfertige, dass die Parteien «die Meinung ihrer Mitglieder verfechten». Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht anfechtbar.

Einerseits wirkt die stillschweigend unterlegte Annahme realitätsfern, die Parteien würden in ihren Abstimmungsspots vor allem auf Unvereinbarkeiten mit der «inneren Kohärenz der gesamten Rechtsordnung» hinweisen. Auch wenn man solche Hinweise unter dem Aspekt eines qualitativ hoch stehenden politischen Diskurses begrüssen möchte, würden sie wohl höchstens Personen ansprechen, die für Rechtsfragen besonders sensibilisiert sind, und wären für die Parteien deshalb wohl von untergeordnetem Interesse. Überdies darf nicht vergessen werden, dass die Parteien selten die Meinung all ihrer Mitglieder vertreten. Vielmehr gibt es fast bei jeder Vorlage in allen Parteien (wie auch in den Fraktionen der Bundesversammlung) unterlegene Minderheiten. Wir können deshalb der Betrachtungsweise, «die» Parteien trügen in irgend einer Weise eine Verantwortung für die «innere Kohärenz der gesamten Rechtsordnung» und daraus ergebe sich die Legitimation für Abstimmungsspots durch die Parteien, nicht folgen.

2.2.3.3 Das Argument, Parteien dürften gegenüber Komitees nicht bevorzugt werden, verdient unter dem Aspekt der Gleichbehandlung eine vertiefte Betrachtung. Tatsächlich ergibt sich aus der Praxis und Lehre, dass insbesondere bei Wahlen allen Par5890

teien und politischen Gruppierungen ein chancengleicher Zugang zu elektronischen Medien zu gewähren sei (vgl. z.B. Urs Thönen, Politische Radio- und Fernsehwerbung in der Schweiz, Basel 2004, S. 173f.; BGE 125 II 504f. E. 3d/bb). Dieses Gebot leuchtet ohne Weiteres ein, denn es bezieht sich auf alle politischen Gruppierungen, die tatsächlich an einer konkreten Wahl teilnehmen wollen. Wollte man dieses Gebot tel quel auf die vorliegende Problematik übertragen, so müsste man in Rechnung stellen, dass bei Abstimmungen über politisch umstrittene Vorlagen (z.B.

Schwangerschaftsabbruch, Referendumsabstimmung vom 28. Mai 1978; erleichterte Einbürgerung von jungen Ausländern, Referendumsabstimmung vom 12. Juni 1994; Rassismusstrafnorm, Referendumsabstimmung vom 25. September 1994) jeweils nicht nur Referendumskomitees bestehen, welche die jeweilige Vorlage bekämpfen, sondern auch Komitees, welche sich für die Annahme der Vorlage einsetzen. Im Zeichen eines chancengleichen politischen Diskurses müsste auch diesen Komitees das Recht eingeräumt werden, unentgeltlich Abstimmungsspots verbreiten zu lassen.

Die Annahme, die Spots der Parteien würden gewissermassen die Spots der Initiativund Referendumskomitees kompensieren, scheitert an der Tatsache, dass sich gerade bei politisch umstrittenen Vorlagen in aller Regel nicht «die» Parteien und allfällige Komitees gegenüberstehen, sondern befürwortende und gegnerische Gruppierungen, seien es nun Parteien oder Komitees.

2.2.3.4 Der Einbezug von Initiativ- und Referendumskomitees in die vorgeschlagene Regelung über unentgeltliche Abstimmungsspots würde auch hinsichtlich der Abstimmungsgegenstände Ungleichheiten bewirken. Indem nur Initiativ- und Referendumskomitees das Verbreitungsrecht erhielten, würde bei Vorlagen, die unter dem obligatorischen Referendum stehen (Verfassungsvorlagen der Bundesversammlung, gewisse Staatsverträge) kein Komitee das Recht erhalten, Abstimmungsspots verbreiten zu lassen, obwohl auch solche Vorlagen (z.B. die EWR-Vorlage, Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992) sehr umstritten sein können, weshalb sich auch in diesen Fällen in der Regel Pro- und Contra-Komitees bilden. Eine rechtsgleiche Regulierung über Abstimmungsspots müsste auch in diesen Fällen den jeweiligen Abstimmungskomitees das Recht geben, Abstimmungsspots verbreiten zu lassen.

2.2.3.5 Im Bericht vom 7. Mai 2009 (Ziff. 2.3) wird für den Einbezug der Initiativ- und Referendumskomitees geltend gemacht, hinter einer Initiative bzw. einem Referendum stehe jeweils eine namhafte Anzahl von Stimmberechtigten, was ihre besondere Behandlung hinsichtlich der Abstimmungsspots legitimiere. Wir können dieser Betrachtungsweise ­ gerade unter dem Blickwinkel des freien, möglichst breiten politischen Diskurses, welcher der getroffenen Lösung zu Grunde liegen soll ­ nicht folgen. Für den freien, möglichst breiten politischen Diskurs kann es nicht darauf ankommen, wie viele Personen bereits seit längerem hinter einer bestimmten Auffassung stehen. Im Gegenteil, der politische Diskurs wird gerade dadurch belebt, dass auch Positionen zur Geltung gebracht werden, die am Anfang des Abstimmungskampfs vielleicht noch keine grosse Gefolgschaft gefunden haben. So betrachtet ist nicht einzusehen, weshalb Initiativ- und Referendumskomitees gegen5891

über andern Komitees (die sich nicht auf eine Anzahl von Unterschriften berufen können) privilegiert werden sollten.

2.2.3.6 Gesamthaft kann die vorgeschlagene Lösung über das Recht, Abstimmungsspots verbreiten zu lassen, den Anspruch, den politischen Diskurs qualitativ zu heben, nicht einlösen. Sie würde hingegen zu mehrfachen Ungleichheiten führen. Insofern lässt sie sich weder unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit noch unter dem Aspekt der Chancengleichheit in Wahl- und Abstimmungskämpfen rechtfertigen.

Eine Ausweitung des Rechts auf Verbreitung von Abstimmungsspots auf alle jeweils an einem Abstimmungskampf teilnehmenden Komitees wäre indessen kaum realisierbar, da sie bei umstrittenen Vorlagen unweigerlich zu einer allzu grossen Zahl von Spots führen müsste.

2.2.4

Abstimmungsspots als Instrumente der «Markenpflege» und Mobilisierung?

2.2.4.1 Dient die vorgeschlagene Lösung andern öffentlichen Interessen, die den Eingriff in die Veranstalterfreiheit rechtfertigen können? Grundsätzlich ist anzuerkennen, dass Abstimmungsspots für die Parteien eine Gelegenheit wären, dem Publikum anhand konkreter Parolen den eigenen Standpunkt zu verkünden und es für eine Stimmabgabe im Sinne der eigenen Parole zu mobilisieren. Dies scheint mit Blick auf die Rolle der Parteien im politischen Gesamtgefüge legitim. Auch gegenüber Stimmberechtigten, die nicht von vorneherein mit einer bestimmten Partei sympathisieren, könnten die Abstimmungsspots eine gewisse Wirkung entfalten, weil die Abstimmungsspots den Parteien anhand der Parolen für oder gegen eine oder mehrere Sachvorlagen ein prägnanteres Profil verleihen als blosse Partei- oder Wahlprogramme, die von den Stimmberechtigten ohnehin kaum im Volltext zur Kenntnis genommen werden. Insofern kann man in den Abstimmungsspots somit auch Faktoren eines «permanenten Wahlkampfs» erkennen, der in der heutigen Zeit der politischen Polarisierung tatsächlich stattfindet.

2.2.4.2 Wenn man die Abstimmungsspots vor allem als Mittel versteht, mit dem sich die Parteien selbst darstellen und profilieren und mit dem sie ihre Anhängerschaft zur Stimmabgabe im Sinne der Parteiparole mobilisieren wollen, so rückt eine weitere Problematik ins Blickfeld, nämlich die Chancengleichheit unter den Parteien bzw. die Frage, inwieweit man kleinere Parteien vom Recht auf Ausstrahlung von Abstimmungsspots ausschliessen darf.

Das Bundesgericht (BGE 124 I 55 E. 5a) hat mit Bezug auf Wahlen festgehalten, das Gleichbehandlungsgebot habe im Bereich der politischen Rechte seit jeher eine ganz besondere Tragweite. Nur einzelne wenige spezifische Elemente könnten im Bereiche der politischen Rechte eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Der 5892

Grundsatz der Rechts- und Chancengleichheit sei streng formal zu verstehen und setze dem Gesetzgeber enge Grenzen der Gestaltungsfreiheit, sodass jede verschiedene Behandlung der Parteien, die sich nicht durch einen besonderen zwingenden Grund rechtfertigen lässt, verfassungsrechtlich unzulässig sei. Die Idee der Konkordanz habe im schweizerischen Verständnis der politischen Auseinandersetzung gerade auch bei Wahlen auf den verschiedenen Ebenen Eingang gefunden. Das Bundesgericht hat aber betont, dass Konkordanz den etablierten, bisherigen und bereits organisierten Parteien ein Übergewicht verleihen und die Opposition von Aussenseitern behindern könne. Freie Volkswahlen seien nicht rückwärtsgerichtete Bestätigung bestehender Machtverteilung, sondern sollten über künftige Stärke der Gruppierungen entscheiden. Eine chancengleiche Kandidatur müsse demzufolge allen Bürgern offen stehen, welche die als verfassungskonform anerkannten Voraussetzungen dazu erfüllen. Der damit zum Ausdruck kommende Grundsatz der Chancengleichheit gelte nicht nur für einzelne Kandidaten, sondern ebenso sehr für Parteien (vgl. ZBl 98/1997 S. 355). Er wolle auch andern Gruppierungen als den traditionellen Parteien oder neuen Bewegungen den Zugang zur Teilnahme am politischen Prozess ermöglichen.

Aus einem andern Entscheid des Bundesgerichts ergibt sich, dass der Grundsatz der Chancengleichheit auch auf Volksabstimmungen anzuwenden ist (BGE 114 Ia 427 E. 5c): Jeder Stimmbürger solle seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können. Das bedeute, dass möglichst alle Argumente mit gleicher Chance geäussert, verbreitet, diskutiert sowie nach Vor- und Nachteilen abgewogen werden können, bevor entschieden wird.

Der Grundsatz der Chancengleichheit ist auch bei der Zuteilung von Sendezeit für Abstimmungsspots zu beachten. Ein Verbreitungsrecht, das nur die in der Bundesversammlung vertretenen fraktionsstarken Parteien berücksichtigt und das die Wiederholungsrate der Spots proportional zur Sitzzahl in der Bundesversammlung festlegt, lässt sich mit dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht vereinbaren.

Diese Einschätzung wird durch die neuere Strassburger Rechtsprechung untermauert. Im Urteil Nr. 21132/05 i.S. TV Vest AS & Rogaland Pensjoinistparti vs.

Norwegen hat der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 11. Dezember 2008 den Zugang von Kleinstparteien zum Fernsehprogramm geschützt. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, müsste das Verbreitungsrecht einem breiteren Kreis von Parteien gewährt werden.

Was die Durchführung von selbstgestalteten Wahlsendungen betrifft, spricht sich die Doktrin überwiegend für einen egalitären Ansatz aus, d.h. dass (bei Wahlen) alle Parteien unabhängig von ihrer Stärke gleich viel Sendezeit einzuräumen ist (vgl.

Thönen, a.a.O. S. 186ff. mit weiteren Hinweisen). Auch bei Abstimmungsspots über Sachvorlagen müsste aber ein System gefunden werden, das auch Parteien Sendezeit zuspricht, die noch nicht in der Bundesversammlung vertreten sind, die aber zumindest an der Wahl der laufenden Legislatur teilgenommen haben und die überdies auf kantonaler Ebene eine gewisse Bedeutung erlangt haben.

2.2.4.3 Unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit der verschiedenen Standpunkte weckt es auch gewisse Bedenken, dass eine unter Umständen sehr grosse Anzahl gleich gerichteter Abstimmungsspots von Parteien im Einzelfall der einen oder der 5893

anderen Seite (Befürworter oder Gegner einer Vorlage) in der Öffentlichkeit zu einer übermässigen Präsenz verhelfen kann. Dieses «Einseitigkeitsrisiko» ist gewissermassen systemimmanent, da ja nie im voraus abzusehen ist, welche Parole die einzelnen Parteien beschliessen werden. Der Einbezug von Referendums- und Initiativkomitees könnte die Einseitigkeit der Abstimmungsspots der Parteien indessen kaum nennenswert korrigieren.

2.2.4.4 Sieht man in den Spots vor allem Faktoren der «Markenpflege» und der Mobilisierung, so ist nicht recht einzusehen, weshalb man diese Spots zwingend an Abstimmungskampagnen binden soll. Um das Risiko auszuschalten, dass bei Volksabstimmungen durch eine Summierung gleich gerichteter Parolen die eine oder andere Seite zu einer übermässigen Präsenz gelangt, müsste man Werbe-Spots in den letzen vier oder fünf Wochen vor Abstimmungsterminen ausschliessen. Dafür könnte man den Parteien aber erlauben, Werbe-Spots vor Wahlen zu platzieren, was sich mit ihrer Funktion in Wahlen durchaus vereinbaren liesse.

2.3

Gründe für Eventualanträge

2.3.1

Sendezeitzuteilung durch ein parlamentarisches Organ

Wird auf den Gesetzes- und Verordnungsentwurf nicht überhaupt verzichtet, so ist anstelle der Bundeskanzlei ein parlamentarisches Organ mit der Aufgabe zu betrauen, die Sendezeit der verschiedenen Anspruchsberechtigten in einer beschwerdefähigen Verfügung festzulegen. Die Bundeskanzlei ist von Gesetzes wegen beauftragt, eidgenössische Urnengänge in strikter Neutralität durchzuführen. Gerade in einer direkten Demokratie ist es unerlässlich, über eine solche Instanz zu verfügen.

Es ist nicht zu rechtfertigen, diese Rolle mit Aufgaben zu vermischen, die zwangsläufig Wertungsfragen (vgl. Ziff. 2.3.2 hiernach) einschliessen und damit am Ende nur die Unpareteilichkeit der Bundeskanzlei bei eidgenössischen Urnengängen in Frage stellen.

2.3.2

Präzisierung der Sendezeitzuteilung

Wie ist die Sendezeitzuteilung unter den in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien überhaupt praktikabel zu verteilen? Weder Gesetzes- noch Verordnungsentwurf verschaffen hier die nötige Klarheit:

5894

2.3.2.1 Hinsichtlich der in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien lassen die Erlassentwürfe folgende wesentlichen Fragen unbeantwortet: a.

Welche Folgen hat der Parteiübertritt eines Nationalratsmitglieds während laufender Legislatur? Solche Fälle sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder aufgetreten (für einen jüngsten Fall aus den Kantonen und die Zulässigkeit des Parteiübertrittts direkt nach den Wahlen vgl. BGE 135 I 19).

b.

Welches ist der massgebende Zeitpunkt der Sendezeitzuteilung? Wie oft kann sich die Verteilung ändern? Die Bedeutung dieser Frage kann derzeit auch ermessen werden anhand der Entstehung neuer Parteien und der Fusion bestehender Parteien in der laufenden Legislatur. Von Bedeutung sind ausserdem Ersatzwahlen in den Nationalrat wie etwa jene im Kanton Glarus vom 8. Februar 2009. Wie sind sie zu beurteilen?

c.

Ist die Sendezeit anhand der Gesamtstärke einer Fraktion oder Partei in der Vereinigten Bundesversammlung zuzuteilen? Oder sind die beiden Räte getrennt zu betrachten und anschliessend die Zuteilung vorzunehmen? Weil nicht beide Räte gleich gross sind, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Sendezeitzuteilung. Die politische Dimension dieser Frage erhellt aus der Tatsache, dass das Wahlverfahren für den Ständerat von den Kantonen festzulegen ist und dass mit der einzigen Ausnahme des Kantons Jura für die Ständeratswahlen Majorzverfahren gelten. Wenn der Gesetzesentwurf für die Zuteilung der Sendezeit dem Proporzgedanken folgt, so geht er vom Grundgedanken allein der Nationalratswahlen aus.

d.

Die Sitzzuteilung bei der Proporzwahl des Nationalrats wird erheblich durch die Möglichkeit der Listenverbindung mitbeeinflusst. Dies verfälscht die Mehrheitsverhältnisse. Bei der Zuteilung von Sendezeit würden kleinere Parteien auf dieser Basis unterproportional berücksichtigt. Weil die Listenverbindungen nicht gesamteidgenössisch, sondern kantonal geschlossen werden, lassen sie sich bei der Sendezeitzuteilung nicht berücksichtigen.

Soll dennoch das Verfahren Hagenbach-Bischoff für die Zuteilung von Sendezeit berücksichtigt werden? Oder müsste das Verfahren des «doppelten Pukelsheim» zur Anwendung gelangen?

e.

Wenn schon kann man sich füglich fragen, ob anstelle der proportionalen nicht eine egalitäre Verteilung der Sendezeit unter alle berechtigten Parteien einfacher, praktikabler und zugleich sachgerechter wäre.

2.3.2.2 Nicht weniger heikel ist die Aufteilung von Sendezeit unter verschiedenen Referendumskomitees gegen eine Gesetzesvorlage: Seit 1978 sind über 40 Prozent aller Referenden von Vetokoalitionen ­ d.h. verschiedenen Referendumskomitees ­ gemeinsam zustande gebracht worden. Nicht selten ergreifen dabei Komitees divergierender Observanz das Referendum: Den einen geht die Vorlage zu wenig weit, andern gerade zu weit. Es gab im laufenden Jahrzehnt Referenden, die von nicht weniger als elf verschiedenen Komitees lanciert wurden! Die Unterschriften unter 5895

diesen Komitees präzis aufzuteilen, ist gar nicht möglich, weil oftmals sachbezogen hervorragend zusammengearbeitet wird: Z.B. wird zum Zeitgewinn die Einholung von Stimmrechtsbescheinigungen statt nach Komitees nach regionalen Kriterien aufgeteilt.

2.3.2.3 Solange diese Fragen nicht geklärt sind, auferlegt der Regelungsvorschlag der SPK-N der Bundeskanzlei mit der Zuteilung von Sendezeit jedenfalls eine höchst politische und wertungsabhängige Aufgabe. Es ist voraussehbar, dass diese Entscheide umgehend Anlass zu Beschwerden ans Bundesgericht geben werden. Der Ruf der Bundeskanzlei als neutraler Organisatorin eidgenössischer Urnengänge ­ auch der Nationalratswahlen ­ müsste Schaden nehmen. Dies kann nicht im wohl verstandenen Interesse der direkten Demokratie und des Landes liegen.

3

Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Ihnen: a.

auf den Gesetzes- und den Verordnungsentwurf nicht einzutreten;

b.

eventualiter für den Fall eines Eintretens auf Gesetzes- und Verordnungsentwurf, die Vorlagen an die Kommission zurückzuweisen mit dem Auftrag, 1. anstelle der Bundeskanzlei ein parlamentarisches Organ mit der Aufgabe zu betrauen, die Sendezeit der verschiedenen Anspruchsberechtigten in einer beschwerdefähigen Verfügung festzulegen; 2. die Kriterien der Sendezeitzuteilung unter den in den eidgenössischen Räten vertretenen Parteien so zu verfeinern, dass sie wenigstens anwendbar werden.

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