09.052 Aussenpolitischer Bericht 2009 vom 2. September 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen den Aussenpolitischen Bericht 2009 und ersuchen Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

2. September 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-3098

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Übersicht Mit ihrer Aussenpolitik wahrt die Schweiz ihre Interessen gegenüber dem Ausland und arbeitet an Lösungen für die regionalen und globalen Probleme unserer Zeit mit.

Der vorliegende Bericht gibt einen Gesamtüberblick über den heutigen Stand der Schweizer Aussenpolitik. Neben einer Darstellung der wichtigsten gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen gibt der Bericht Rechenschaft über die hauptsächlichen Aktivitäten seit dem Erscheinen des Aussenpolitischen Berichts vom Juni 2007.

Mit der neuen Form des Aussenpolitischen Berichts entspricht der Bundesrat dem Postulat der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates (06.3417), das eine Zusammenfassung aller periodisch erscheinenden Berichte zur Aussenpolitik in einem Gesamtbericht fordert. Im vorliegenden Bericht sind der Jahresbericht über Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und zur Stärkung der Menschenrechte, der Bericht über die Schweiz und die UNO sowie der Jahresbericht über die Tätigkeiten der Schweiz im Europarat vollständig integriert.

Neue Herausforderungen (Ziff. 2) Die beschleunigte Globalisierung der letzten Jahrzehnte hat zu einer Vielzahl tiefgreifender Umwälzungen in der Weltpolitik geführt.

Im vorliegenden Bericht werden drei grundlegende Herausforderungen herausgearbeitet, die mit einiger Sicherheit nicht nur unsere Aussenpolitik, sondern die internationalen Beziehungen überhaupt entscheidend mitbestimmen werden. Es sind dies: ­

die globalen Machtverschiebungen in Wirtschaft und Politik (Ziff. 2.2);

­

die zunehmenden Krisen und systemischen Risiken globalen Ausmasses, illustriert am Beispiel der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Energieproblematik und des Klimawandels (Ziff. 2.3), sowie

­

die Notwendigkeit, die bestehenden internationalen Institutionen zu reformieren und den neuen weltpolitischen Gegebenheiten anzupassen (Ziff. 2.4).

Eine Aussenpolitik des Dialogs Der Bundesrat möchte generell in seiner Aussenpolitik ein Instrument vermehrt zur Geltung bringen, das sich innenpolitisch bestens bewährt hat, aber in der heutigen internationalen Politik oft nicht in genügendem Ausmass eingesetzt wird, nämlich das Instrument des Dialogs (Ziff. 2.5). Dieses setzt die grundsätzliche Bereitschaft voraus, über herkömmliche geografische, thematische und institutionelle Beschränkungen hinweg das Gespräch zu suchen und in den internationalen Organisationen wie auch gegenüber den neuen privaten Akteuren offen für innovative Ansätze und Partnerschaften zu sein. Der Dialog ist zwar kein Allheilmittel und wird nicht ausreichen, um alle Probleme zu lösen. Er ist jedoch als eine Mindestvoraussetzung für die eigentliche Problemlösung zu verstehen. Im gegenseitigen Respekt kann man

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gemeinsame Interessen besser ausfindig machen und tragfähige Lösungen erarbeiten.

Die Herausforderung der militärischen Operationen in der Friedens- und Sicherheitspolitik Die internationale Politik kann sich insgesamt nicht nur auf Dialog und Diplomatie beschränken. Sie ist auch gefordert, mit Zwangs- und Ordnungsmassnahmen militärischer und polizeilicher Art für Frieden und internationale Sicherheit zu sorgen.

Die Herausforderungen in diesem Bereich sind heute hoch, zumal in vielen Konfliktgebieten keine minimal funktionierende staatliche Ordnung mehr existiert. Wie die Diskussion rund um die Piraterie im Golf von Aden zeigt, muss sich auch die Schweiz mit dieser neuen Herausforderung auseinandersetzen (Ziff. 2.6).

Drei Hauptachsen der Schweizer Aussenpolitik (Ziff. 3.1) Die Aussenpolitik betrifft nicht nur die Beziehungen zu Staaten und Regionen, sondern praktisch alle Politikbereiche und ist durch eine Vielzahl von Akteuren geprägt. Im Sinne einer groben Orientierung gliedert der vorliegende Bericht die gesamte Aussenpolitik entlang dreier Hauptachsen.

Geografische Achse Eine erste Hauptachse betrifft die Beziehungen der Schweiz zu allen Staaten und Weltregionen. Neben den Prioritäten im europäischen Raum geht es vor allem darum, den derzeitigen Machtverschiebungen in der Gestaltung unserer bilateralen Beziehungen Rechnung zu tragen.

Thematische Achse Die zweite Hauptachse betrifft die einzelnen Themen bzw. Sachpolitiken als Teil der gesamten Aussenpolitik. Hierbei geht es für die Schweiz insbesondere darum, Antworten auf die zahlreichen Krisen und systemischen Risiken globalen Ausmasses zu finden, sich dem veränderten internationalen Kontext anzupassen und einen Beitrag zur Problemlösung sowohl durch Eigenanstrengungen als auch durch Beiträge an internationale Mechanismen und Programme zu leisten.

Institutionelle Achse Auf der dritten Hauptachse geht es um die Frage, wie die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden kann und wie die multilateralen Institutionen und Mechanismen so reformiert werden können, dass sie in der Lage sind, die heutigen globalen Probleme zu bewältigen.

Erste Hauptachse: gute Beziehungen mit allen Staaten und Regionen (Ziff. 3.2) Die Schweiz folgt in ihren bilateralen Beziehungen zur gesamten Staatengemeinschaft dem bewährten Prinzip der Universalität und strebt möglichst gute Beziehungen mit allen Staaten und Regionen an (Ziff. 3.2.1).

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Europa Als ureuropäisches Land bleibt die Schweiz aufs Engste mit dem Schicksal Europas verbunden (Ziff. 3.2.2).

Die EU ist insgesamt die wichtigste Partnerin der Schweiz (Ziff. 3.2.2.1). Der bilaterale Weg, der von der Schweiz und der EU gemeinsam beschritten wird, hat sich bewährt und hat zu einem überaus engen Geflecht völkerrechtlicher Abkommen im gegenseitigen Interesse geführt. Der Bundesrat hält an den definierten Zielen hinsichtlich der EU fest, welche die Umsetzung der bestehenden Abkommen, die Weiterentwicklung und die Konsolidierung der Beziehungen betreffen. Da der bilaterale Weg nicht bedingungslos weiter beschritten werden kann, muss die Politik gegenüber der EU periodisch überprüft werden.

Neben dem vertraglichen Rahmenwerk mit der EU spielen die bilateralen Beziehungen mit den einzelnen europäischen Staaten eine wesentliche Rolle bei unserer Interessenwahrung. Die Schweiz versteht sich als solidarische Partnerin Europas, die der Entwicklung des Kontinents und seiner Nachbarregionen Sorge trägt (Ziff. 3.2.2.2).

Unser Land ist Mitglied einer Vielzahl regionaler Organisationen und Programme.

Dazu gehören die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA), der Europarat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Partnerschaft für den Frieden (PfP), die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) und die Europäische Weltraumagentur (ESA). Diese Mitgliedschaften erlauben es der Schweiz, in vielen Sachbereichen aktiv an der Gestaltung der gesamteuropäischen Politik mitzuwirken (Ziff. 3.2.2.3).

Die übrigen Weltregionen Angesichts der globalen Machtverschiebungen tut die Schweiz gut daran, neben den Prioritäten in Europa weiter neue und starke Standbeine ausserhalb des Kontinents aufzubauen und diese stetig zu festigen.

Der Bundesrat hat 2005 entsprechende Leitlinien formuliert, und die Schweizer Diplomatie ist zurzeit daran, neben den Beziehungen zu Europa, zu Russland und zur Türkei insbesondere die Beziehungen zu den USA (Ziff. 3.2.3), zu den drei asiatischen Grossmächten China, Indien und Japan (Ziff. 3.2.4) sowie zu Südafrika (Ziff. 3.2.6) und zu Brasilien (Ziff. 3.2.3) auszubauen und zu vertiefen. Der vorliegende Bericht enthält eine positive Zwischenbilanz dieser Politik; bedeutsame Intensivierungen des Austauschs und konkrete Verbesserungen der
Zusammenarbeit konnten bereits erzielt werden.

Die Politik der Universalität bleibt die Richtschnur der bilateralen Beziehungen.

Eine besondere Rolle, insbesondere im multilateralen Kontext, spielen dabei auch die Kleinstaaten (Ziff. 3.2.7).

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Zweite Hauptachse: Antworten auf die globalen Herausforderungen (Ziff. 3.3) Die meisten der heutigen aussenpolitischen Probleme übersteigen die Möglichkeiten eines einzelnen Staates und können nicht im Rahmen der rein bilateralen oder regionalen Zusammenarbeit gelöst werden. Es handelt sich um globale Herausforderungen, die globale Lösungen erfordern.

Finanz- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Energie und Gesundheit Der vorliegende Bericht behandelt zunächst die drei grossen Problemkreise rund um die Finanz- und Wirtschaftskrise (Ziff. 3.3.1), den Klimawandel (Ziff. 3.3.2) und die Energiepolitik (Ziff. 3.3.3). Diese drei Bereiche ­ wie auch alle Fragen rund um die Gesundheitsaussenpolitik (Ziff. 3.3.4) ­ machen deutlich, dass die heutigen Krisen und systemischen Risiken vor nationalen Grenzen nicht haltmachen, dass sie sich unmittelbar auf unsere Lebensbedingungen auswirken und nur durch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bewältigt werden können.

Abrüstung und Non-Proliferation Die heutige Welt ist nach wie vor durch grosse Waffenarsenale und die Gefahr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen geprägt. Angesichts der globalen Machtverschiebungen kommt den Anstrengungen im Bereich der Abrüstung und Non-Proliferation eine besondere Bedeutung zu. Die Schweiz ist auf diesem Gebiet traditionellerweise stark engagiert; sie wird ihre Anstrengungen insbesondere rund um die Frage der nuklearen Non-Proliferation weiter verstärken (Ziff. 3.3.5).

Friedensförderung Durch die Friedensförderung (Ziff. 3.3.6) will die Schweiz zu einer besseren Verständigung und zur friedlichen Streitbeilegung zwischen Konflikt- und Kriegsparteien beitragen. Unser Land geniesst aufgrund seiner Geschichte, seiner anerkannten Neutralität und der bewussten Absage an Zwangsmittel (sofern deren Anwendung nicht durch die UNO legitimiert ist) eine hohe Glaubwürdigkeit und verfügt über eine gute Ausgangslage in der Friedensförderung. Schwerpunkte sind u.a. Südosteuropa, West- und Zentralafrika und Nepal.

Menschliche Sicherheit und humanitäres Völkerrecht Die Schweizer Aussenpolitik engagiert sich besonders stark in Fragen der menschlichen Sicherheit und des humanitären Völkerrechts (Ziff. 3.3.7). Dabei geht es in erster Linie darum, die Rechte der einzelnen Menschen sowohl in Friedens- wie in Kriegszeiten zu schützen,
Menschen vor Willkür und grausamer Behandlung zu bewahren und gemeinsam mit anderen Staaten sowie mit privaten Akteuren verbindliche Regeln für menschenwürdiges Verhalten in allen Situationen auszuhandeln und einzuhalten. Die Herausforderungen in diesen Bereichen sind hoch, denn oft droht der Konsens angesichts mannigfacher politischer Polarisierungen zu schwinden; auch ist die Grenze zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren heute stark verwischt. Die Schweiz gibt durch eine Vielzahl von Initiativen Gegensteuer; so setzt sie sich unter anderem für die Stärkung der periodischen Überprüfung der Menschenrechtssituation in einzelnen Staaten im Rahmen des UNO-Menschen-

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rechtsrates, für eine neue Agenda der Menschenrechte, für die Verbesserung des humanitären Zugangs in Konflikten, für eine Regelung der Aktivitäten privater Militär- und Sicherheitsfirmen und für die Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs ein.

Entwicklungszusammenarbeit Das Ziel der Entwicklungszusammenarbeit (Ziff. 3.3.8), Entwicklungsländer in ihren Eigenanstrengungen zur Armutsminderung zu unterstützen, bleibt unverändert. Der Kontext für die konkreten Aktivitäten hat sich aber verändert. Er ist nicht zuletzt durch viele Krisen (u.a. Finanz-, Klima- und Ernährungskrise) und durch neue Anstrengungen gekennzeichnet, die gesamte Entwicklungszusammenarbeit konzeptionell neu zu fassen und diese ziel- und wirkungsorientierter zu gestalten. Bundesrat und Parlament haben 2008 eine neue entwicklungspolitische Strategie der Schweiz verabschiedet. Die Schweiz verstärkt ihre Anstrengungen zur Verbesserung der globalen Rahmenbedingungen für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung und richtet die Länder- und Regionalprogramme sowie die thematischen Schwerpunkte neu aus. Der vorliegende Bericht enthält einen Zwischenbericht über die laufenden Arbeiten, die auch mit einer umfassenden Reorganisation der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im EDA einhergehen.

Dritte Hauptachse: Das multilaterale System konsolidieren (Ziff. 3.4) Als relativ kleine und isolierte Akteurin hat die Schweiz ein besonders grosses Interesse, dass in den internationalen Beziehungen Recht gegenüber Macht den Vorrang hat und durch globale Regelwerke auch die Interessen der weniger mächtigen Staaten gebührend berücksichtigt werden. Die heutigen internationalen Organisationen und Mechanismen müssen reformiert werden, um den neuen weltpolitischen Gewichtsverteilungen Rechnung zu tragen und um wirksam zur internationalen Koordination und zur Problemlösung in allen Politikbereichen beizutragen.

UNO Die UNO ist die repräsentativste und am besten legitimierte internationale Organisation. Ihr kommt deshalb für die multilaterale Aussenpolitik der Schweiz allerhöchste Bedeutung zu (Ziff. 3.4.1). Die Schweiz engagiert sich stark für die laufenden Reformen (betreffend Sicherheitsrat, Menschenrechtsrat sowie weitere Bereiche und Aktivitäten im Rahmen der UNO) und für die Stärkung des UNO-Systems als ganzem.

Gegenüber der
UNO ist die Schweiz auch finanziell und personell stark gefordert, wenn sie die Präsenz in der Weltorganisation und die traditionelle Rolle als Gaststaat (internationales Genf) weiter aufrechterhalten und stärken will.

IWF, Weltbank, WTO und OECD Neben der UNO stehen viele andere internationale Organisationen und Mechanismen angesichts der momentanen Krisenanfälligkeit auf globaler Ebene vor schwierigen Entscheidungen. Im vorliegenden Bericht werden der Internationale Währungsfonds (Ziff. 3.4.2), die Weltbank (Ziff. 3.4.3), die Welthandelsorganisation

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(Ziff. 3.4.4) sowie die Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Ziff. 3.4.5) behandelt.

Konsularische Angelegenheiten (Ziff. 4) Die konsularischen Dienstleistungen der Schweiz zugunsten von privaten Personen, Firmen und Organisationen im Ausland haben in den letzten Jahren stark zugenommen (Ziff. 4.1). Mit dem Beitritt zu den Schengen- und Dublin-Abkommen sind neue Instrumente im Visa- und Asylbereich hinzugekommen. Der konsularische Schutz, d.h. die Hilfeleistungen für Privatpersonen in Notlagen, wirft einige Fragen nach der Rolle der staatlichen Unterstützung und den Hilfsmöglichkeiten der Schweizer Vertretungen vor Ort auf (Ziff. 4.2). Dem EDA ist in den letzten Jahren eine Professionalisierung des Krisenmanagements und der Krisenvorsorge gelungen, auch wenn es hier ebenso wie im Bereich des konsularischen Schutzes schwierig ist, angesichts der bestehenden rechtlichen und ressourcenmässigen Grundlagen den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden (Ziff. 4.3). Die Zahl der immatrikulierten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer nimmt weiter zu (Ziff. 4.4). Es wurden einige Projekte lanciert, die eine Verbesserung der Dienstleistungen in diesem Bereich anstreben.

Reform des EDA (Ziff. 5) Für die Aussenpolitik, die das EDA in Zusammenarbeit mit den übrigen Departementen umsetzt, sind entsprechende Ressourcen erforderlich. Angesichts der knappen Budgetressourcen des Bundes unternimmt das EDA eine umfassende Reform des Departements, die zu einer weiteren Erhöhung der Effektivität und Effizienz seiner Aktivitäten führen soll (Ziff. 5.1). Diese Reform betrifft gegenwärtig an der Zentrale (Ziff. 5.2) neben der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit auch die Direktion für Ressourcen und Aussennetz (Umwandlung zur Dienstleistungserbringerin für die übrigen Organisationseinheiten) sowie das Generalsekretariat (Zusammenfassung und Stärkung des Inspektorats, der Informationsdienste und der Landeskommunikation/Präsenz Schweiz). Die Reformen betreffen auch die Ausrichtung und konkrete Ausgestaltung des Aussennetzes (Ziff. 5.3), das laufend den konkreten politischen, wirtschaftlichen und konsularischen Bedürfnissen angepasst wird.

Schlussfolgerungen (Ziff. 6) Die zunehmende globale Vernetzung, sowohl zwischen Ländern, als auch zwischen einzelnen
Politikgebieten, stellt die Schweiz aussenpolitisch vor einer Reihe von Herausforderungen. Diese betreffen zum Beispiel ihre Positionierung und institutionelle Einbettung in Europa und allgemein in der Welt. Um solche Herausforderungen zu meistern, braucht die Schweiz eine starke Aussenpolitik, die die Interessen des Landes wahrt und Beiträge zur Lösung der regionalen und globalen Probleme unserer Zeit leistet. Die Schweiz, die nicht Teil fester Allianzen ist, braucht ein gutes Beziehungsnetz in Europa und in allen Weltregionen, um je nach Sachthema flexible Allianzen eingehen zu können. Sie muss ihr in der Regel geringes aussenpolitisches Gewicht mit anderen Mitteln kompensieren; dazu gehören hohe Innovationskraft, ausgeprägte Sachorientierung, völkerrechtliche Kompetenz und Dialogfähigkeit gepaart mit der Fähigkeit, im internationalen Rahmen über divergierende Interes-

6297

sen, Blockbildungen und Polarisierungen hinweg Brücken des Verständnisses und des Ausgleichs errichten zu können. Eine starke Aussenpolitik benötigt deshalb eine starke Diplomatie, die möglichst effizient und effektiv den definierten Landesinteressen dient.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Abkürzungsverzeichnis

6302

1 Einleitung

6305

2 Neue Herausforderungen 2.1 Einleitende Bemerkungen 2.2 Neuausrichtung der Kräfteverhältnisse in der Welt 2.3 Globale Krisen und systemische Risiken 2.4 Verstärkte internationale Zusammenarbeit und Reform der globalen Institutionen 2.5 Die Bedeutung des Dialogs in der Aussenpolitik 2.6 Rolle der militärischen Operationen bei der Friedenssicherung und der Erhaltung der internationalen Sicherheit

6305 6305 6306 6308

3 Schwerpunkte der Schweizer Aussenpolitik 3.1 Hauptachsen der Schweizer Aussenpolitik 3.2 Gute Beziehungen zu Staaten und Regionen 3.2.1 Einleitende Bemerkungen 3.2.2 Europapolitik 3.2.2.1 Europäische Union 3.2.2.1.1 Bedeutung der EU weltweit und für die Schweiz 3.2.2.1.2 Ziele der Schweiz in ihren Beziehungen zur EU 3.2.2.1.3 Umsetzung der bestehenden Abkommen (Ziel 1) 3.2.2.1.4 Ausbau der Beziehungen zur EU (Ziel 2) 3.2.2.1.5 Konsolidierung der Beziehungen zur EU (Ziel 3) 3.2.2.1.6 Übernahme des «Acquis communautaire» und rechtlicher Neuerungen 3.2.2.1.7 Perspektiven 3.2.2.2 Beziehungen zu den europäischen Staaten 3.2.2.2.1 Nachbarländer und Mitgliedstaaten der EU 3.2.2.2.2 Türkei 3.2.2.2.3 Westbalkan 3.2.2.2.4 Russland 3.2.2.2.5 Südkaukasus 3.2.2.2.6 Zentralasien 3.2.2.3 Multilaterale regionale Organisationen 3.2.2.3.1 EFTA 3.2.2.3.2 Europarat 3.2.2.3.3 OSZE 3.2.2.3.4 Euro-Atlantische Partnerschaft und Partnerschaft für den Frieden 3.2.2.3.5 CERN 3.2.2.3.6 ESA

6318 6318 6319 6319 6320 6320 6320 6321 6322 6328 6333

6311 6313 6315

6334 6335 6337 6337 6346 6347 6350 6351 6352 6353 6353 6354 6357 6360 6361 6362

6299

3.2.3 Politik gegenüber dem amerikanischen Kontinent 3.2.3.1 Nordamerika 3.2.3.2 Lateinamerika und die Karibik 3.2.4 Politik gegenüber Asien und Ozeanien 3.2.4.1 China 3.2.4.2 Indien 3.2.4.3 Japan 3.2.4.4 Weitere regionale bilaterale Partner 3.2.4.5 Beziehungen zu subregionalen Einheiten 3.2.5 Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika 3.2.5.1 Schweizer Interessen in der Region 3.2.5.2 Naher und Mittlerer Osten 3.2.5.3 Nordafrika 3.2.5.4 Herausforderungen und Perspektiven 3.2.6 Politik gegenüber Subsahara-Afrika 3.2.6.1 Schweizer Interessen in der Region 3.2.6.2 Südafrika 3.2.6.3 Region der Grossen Seen 3.2.6.4 Ostafrika und das Horn von Afrika 3.2.6.5 West- und Zentralafrika 3.2.6.6 Herausforderungen und Perspektiven 3.2.7 Politik gegenüber Kleinstaaten 3.3 Globale Herausforderungen 3.3.1 Internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik 3.3.2 Klimaaussenpolitik 3.3.3 Energieaussenpolitik 3.3.4 Gesundheitsaussenpolitik 3.3.5 Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik 3.3.5.1 Kontext 3.3.5.2 Prioritäten der Schweiz 3.3.6 Friedensförderung 3.3.6.1 Leitlinien 3.3.6.2 Aktivitäten der Schweiz 3.3.7 Menschliche Sicherheit und Stärkung des Völkerrechts 3.3.7.1 Menschenrechtspolitik 3.3.7.2 Humanitäre Politik und Migration 3.3.7.3 Stärkung des humanitären Völkerrechts 3.3.7.4 Der Internationale Strafgerichtshof 3.3.7.5 Die Problematik der Potentatengelder 3.3.8 Gerechte und nachhaltige Entwicklung 3.3.8.1 Ausgangspunkt: die Millenniumserklärung und die MDGs 3.3.8.2 Auswirkungen der globalen Krisen auf die Entwicklungsländer 3.3.8.3 Änderungen der Entwicklungsarchitektur: Potenzial für die Schweiz 3.3.8.4 Strategie des Bundes im Entwicklungsbereich 3.3.8.5 Ziele des Bundesrates für 2009 3.3.8.6 Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit 6300

6363 6363 6367 6371 6372 6373 6374 6375 6377 6378 6378 6378 6380 6381 6381 6382 6382 6383 6384 6385 6385 6386 6386 6386 6394 6400 6404 6407 6407 6408 6415 6415 6418 6427 6427 6430 6434 6437 6438 6440 6440 6441 6444 6446 6452 6453

3.4 Konsolidierung des multilateralen Systems 3.4.1 UNO 3.4.1.1 Die Vereinten Nationen in einem schwierigen Umfeld 3.4.1.2 Die Aktivitäten der Schweiz 3.4.1.2.1 Einleitende Bemerkungen 3.4.1.2.2 Engagement in den wichtigsten UNO-Organen 3.4.1.2.3 Engagement in thematischen Fragen 3.4.1.2.4 Finanzielle und personelle Beiträge der Schweiz 3.4.1.3 Die Schweiz als Gaststaat internationaler Organisationen 3.4.1.4 Präsenz der Schweiz im System der Vereinten Nationen 3.4.2 Bretton-Woods-Institutionen 3.4.3 WTO 3.4.4 OECD

6455 6455 6455 6457 6457 6458 6461 6468 6469 6474 6478 6482 6484

4 Konsularische Angelegenheiten 4.1 Konsularische Dienstleistungen 4.2 Konsularischer Schutz 4.3 Krisenprävention und Krisenmanagement 4.4 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer

6485 6485 6488 6489 6491

5 Reorganisation des EDA 5.1 Schwerpunkte der Reorganisation 5.2 Reorganisation der Zentrale 5.3 Reorganisation des Aussennetzes

6493 6493 6494 6502

6 Schlussfolgerungen: «Stark durch Kohärenz und Vernetzung in einem sich stetig wandelnden Umfeld» 6.1 Verändertes internationales Umfeld 6.2 Folgen für die Schweizer Aussenpolitik

6508 6508 6512

Anhang: Zusatzinformationen zum Europarat

6517

6301

Abkürzungsverzeichnis APD

Öffentliche Entwicklungshilfe Aide publique au développement

ASEAN

Association of Southeast Asian Nations

AU

Afrikanische Union

BWC

Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen (BWÜ) (Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on Their Destruction)

CCW

Übereinkommen über konventionelle Waffen (Convention on Prohibitions or Restrictions On The Use of Certain Conventional Weapons Which May Be Deemed To Be Excessively Injurious Or To Have Indiscriminate Effects)

CDM

Clean Development Mechanism

CERN

Europäische Organisation für kernphysikalische Forschung

CWC

Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen (CWÜ) (Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on Their Destruction)

DAC

Entwicklungshilfeausschuss der OECD (Development Assistance Committee)

DEZA

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit

EAPC

Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat

EBRD

Europäischen Entwicklungsbank (European Bank for Reconstruction and Development)

ECOSOC

Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council)

ECOWAS

Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States)

EFTA

Europäische Freihandelsassoziation (European Free Trade Association)

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

ESA

Europäische Weltraumorganisation (European Space Agency)

EU

Europäische Union

FIPOI

Immobilienstiftung für die internationalen Organisationen

G-8

Gruppe der Acht (USA; Deutschland, Japan, Grossbritannien, Kanada, Frankreich und Italien (G-7) plus Russland

6302

G-20

Gruppe der Zwanzig (Gruppe von 20 Entwicklungs- und Schwellenländern)

GUS

Gemeinschaft unabhängiger Staaten

IAEA

Internationale Atomenergiebehörde (International Atomic Energy Agency)

ICC

Internationaler Strafgerichtshof (International Criminal Court)

IEA

Internationale Energie-Agentur

IHEID

Institut de Hautes Etudes Internationales et du Développement, Genf

IKRK

Internationales Komitee vom Roten Kreuz

IWF

Internationaler Währungsfonds

KSE

Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa

MDG

Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals)

MTCR

Raketentechnologie-Kontrollregime (Missile Technology Control Regime)

NAFTA

Nordamerikanische Freihandelszone

NATO

Nordatlantisches Bündnis (North Atlantic Treaty Organisation)

NGO

Nicht-Regierungs-Organisation (Non-Governmental Organisation)

NPT

Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons)

NSG

Gruppe der Nuklearlieferländer (Nuclear Suppliers Group)

OAS

Organisation Amerikanischer Staaten (Organisation of American States)

OCHA

UNO-Büro für die Koordination der Humanitären Hilfe (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs)

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development)

OIC

Organisation der Islamischen Konferenz

OPCW

Organisation für das Verbot chemischer Waffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons)

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PfP

Partnerschaft für den Frieden (Partnership for Peace) 6303

SCO

Shanghai Cooperation Organisation

SECO

Staatssekretariat für Wirtschaft

SNB

Schweizerische Nationalbank

UNFCCC

United Nations Framework Convention on Climate Change

UNDP

Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Program)

UNEP

Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environment Program)

UNESCO

Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization)

UNICEF

Kinderhilfsfonds der Vereinten Nationen (United Nations Children's Fund)

UNO

Organisation der Vereinten Nationen (United Nations Organisation)

UNRWA

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East)

WFP

Welt Ernährungsprogramm (World Food Programme)

WHO

Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation)

WMO

Welt-Meteorologie-Organisation

WTO

Welthandelsorganisation (World Trade Organisation)

6304

Bericht 1

Einleitung

Die Sicherheit und die Wohlfahrt der Schweiz hängen immer mehr von Entwicklungen im Ausland ab. Von daher steigt die Notwendigkeit, Aussen- und Innenpolitik aufeinander abzustimmen und Einfluss zu nehmen auf das regionale und internationale Umfeld. Der vorliegende Bericht gibt einen Gesamtüberblick über die derzeitigen Schwerpunkte der Schweizer Aussenpolitik. Neben der Rechenschaft über die Aktivitäten seit dem letzten Aussenpolitischen Bericht 20071 bis Ende Juni 2009 konzentriert sich der Bericht vor allem auf die gegenwärtigen und die künftigen Herausforderungen, vor denen die Schweiz aussenpolitisch steht.

Mit dem vorliegenden Bericht entspricht der Bundesrat auch dem Postulat der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats vom 1. September 2006 (06.3417), das eine Zusammenfassung der periodisch erscheinenden Berichte zur Aussenpolitik in einem Gesamtbericht fordert. Im vorliegenden Bericht sind der Jahresbericht über Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und Stärkung der Menschenrechte, der Bericht über die Schweiz und die UNO sowie der Jahresbericht über die Tätigkeiten der Schweiz im Europarat vollständig integriert.

Der Bundesrat möchte aufgrund der hier vorgelegten Auslegeordnung die Diskussion mit Parlament und Öffentlichkeit weiter vertiefen und intensivieren. Die Schweiz als Land, das nicht Teil fester Allianzen ist, muss nach aussen geeint und gezielt auftreten, wenn sie ihre eigenen Interessen wahren will. Dies setzt eine umfassende Diskussion und eine gegenseitige Abstimmung im Innern sowie eine funktionierende Koordination und ein möglichst kohärentes Auftreten nach aussen voraus.

2

Neue Herausforderungen

2.1

Einleitende Bemerkungen

Die Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der letzten Jahrzehnte führen uns immer deutlicher vor Augen, dass wir es mit einem eigentlichen Epochenwandel zu tun haben. Die Analysen und Meinungen darüber, wann der Epochenwandel eingetreten ist und welche Faktoren für die neue Zeit die bestimmenden sind, gehen heute auseinander; vermutlich wird man erst in einigen Jahren oder gar Jahrzehnten historisch fundierte Antworten finden. Unbestritten ist aber, dass die Welt nicht mehr die gleiche ist wie in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Nachfolgend führen wir drei Herausforderungen an, die sich als einige der zentralen Fragen unserer Zeit herauskristallisieren und die mit einiger Sicherheit unsere Aussenpolitik und die internationalen Beziehungen insgesamt in den nächsten Jahren wesentlich mitbestimmen werden.

1

BBl 2007 5531

6305

Es sind dies: ­

die globalen Machtverschiebungen in Wirtschaft und Politik;

­

die zunehmenden Krisen und systemischen Risiken globalen Ausmasses sowie

­

die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und die Reform der globalen Institutionen.

2.2

Neuausrichtung der Kräfteverhältnisse in der Welt

Das Ende des Kalten Krieges, insbesondere das Ende der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Plan- und Marktwirtschaft, und die Integration fast aller Staaten in eine globalisierte Welt haben in den letzten Jahrzehnten zusammen mit technologischen Fortschritten zu einem beschleunigten Wirtschaftswachstum geführt.

Bedeutsam ist neben der Höhe dieses Wachstums insbesondere dessen geografische Umverteilung. Der Anteil der entwickelten Volkswirtschaften am Weltwirtschaftswachstum ist stark gesunken (von 60 % auf rund 30 % für den Zeitraum von 1981 bis 20082), während sich der Anteil insbesondere Asiens innerhalb weniger Jahrzehnte mehr als verdreifacht hat (im erwähnten Zeitraum von 14 % auf 46 %; 2007 betrug der Anteil der Volksrepublik China allein 33 %).

Wir erleben eine rasche Umverteilung der wirtschaftlichen Gewichte, wobei mit einiger Sicherheit die beiden asiatischen Riesen, die Volksrepublik China und Indien, die grössten Fortschritte erleben und mit der Zeit den Status eigentlicher Weltmächte annehmen werden.3 Historisch ist dieser Aufstieg nichts Aussergewöhnliches. Noch vor 1800 war China die grösste Volkswirtschaft der Welt, wie sie auch in den Jahrhunderten zuvor als einer der wichtigsten zivilisatorischen und politischen Schwerpunkte der Welt galt. Wenn nicht unvorhergesehene und katastrophale Ereignisse eintreten, wird die Volksrepublik China innerhalb einer Generation wieder die grösste Volkswirtschaft der Welt werden; Indien wird mit etwas Verspätung ebenfalls in die vordersten Ränge vorstossen.

Während der wirtschaftliche Wiederaufstieg Asiens insbesondere auf die Entwicklung moderner Industrie- und Dienstleistungskapazitäten zurückzuführen ist (Asien profitiert insbesondere von der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie), haben andere Weltregionen von der enormen Nachfrage nach Ressourcen, insbesondere nach Erdöl und Erdgas, aber auch nach allen wichtigen Industriemetallen sowie nach Nahrungsmitteln für die rasant wachsende Weltbevölkerung profitiert.

Dies gilt insbesondere für die Region des Persischen Golfes, für Russland, aber auch für einzelne lateinamerikanische und afrikanische Staaten. In Lateinamerika wie in Afrika findet insofern eine höchst ungleich verteilte Entwicklung statt, da nur wenige Staaten vom Ressourcenboom profitieren und auch innerhalb der Staaten in

2 3

Zahlen gemäss dem Internationalen Währungsfonds (IWF); www.imf.org Es ist heute noch zu früh, um genau beurteilen zu können, welche Folgen die Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 begonnen hat, auf diese Entwicklungen haben wird. Die meisten Experten sind der Meinung, dass die hier beschriebenen Trends struktureller und langfristiger Natur sind.

6306

der Regel nur eine kleine Schicht zu den grossen Nutzniessern gehört, während der grösste Teil der Bevölkerung in Armut und Unterentwicklung verharrt.4 Der Westen, namentlich die USA und Europa, geniesst nach wie vor die höchsten Wohlstandsstandards für grosse Teile seiner Bevölkerung, was wohl noch für einige Zeit aufrechterhalten werden kann. Der relative Anteil westlicher Volkswirtschaften am Weltbruttosozialprodukt nimmt aber ab. Dieser Trend wird noch verstärkt durch die demografischen Tendenzen, von denen insbesondere Europa stark betroffen sein wird.

Asien wird den hohen Anteil an der Weltbevölkerung behalten (gemäss Berechnungen der UNO5 blosse Abnahme von 60,6 % im Jahr 2000 auf 58,6 % im Jahr 2050), ebenso Nordamerika (von 5,2 % auf 5,0 %), Europa wird hingegen demografisch schrumpfen (von 12,0 % auf 7,1 %; 1950 betrug der Anteil Europas noch 21,7 %) und Afrika stark wachsen (von 13,1 % auf 20,2 %). Dies bedeutet, dass gemäss diesen Schätzungen im Jahr 2050 jeder Europäerin bzw. jedem Europäer 3 Afrikanerinnen bzw. Afrikaner und 8 Asiatinnen bzw. Asiaten gegenüberstehen werden.

Dazu kommen Veränderungen in der Altersstruktur, wobei nicht nur westliche, sondern auch asiatische Staaten (Japan, China) stark von alternden Bevölkerungen geprägt sein werden.

Seit dem Ende des Kalten Krieges und verstärkt ab der Jahrtausendwende verändert sich auch die politische Weltkarte im Sinne der politischen Machtverteilung. Staaten wie die Volksrepublik China und Indien zeigen immer offener, dass sie als künftige Weltmächte zu betrachten sind. Russland ruft sich als kontinentale Macht in Erinnerung, wobei seine erstarkte Stellung nicht mehr auf der mit der kommunistischen Ideologie gepaarten militärischen Macht, sondern vor allem auf seinem Ressourcenreichtum beruht.

Eine Vielzahl regionaler (Gross-)Mächte gewinnt zunehmend an Einfluss. Zu dieser Gruppe gehören, ohne dass die folgende Liste abschliessend wäre, Staaten wie Brasilien, Venezuela, Mexiko, Südafrika, Nigeria, Ägypten, Saudi-Arabien, Iran, die Türkei, Pakistan, Indonesien und Südkorea. Wir erleben auch ein Erstarken regionaler Zusammenschlüsse im Osten und im Süden: Erwähnt seien etwa die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) und die
Afrikanische Union (AU).

Die ungebrochene Dominanz des Westens in Weltwirtschaft und Weltpolitik, die seit etwa 1800 in verschiedenen Formen andauert, dürfte aufgrund der skizzierten Entwicklungen in den nächsten Jahrzehnten ein Ende nehmen. Der Ruf nach einer neuen Weltordnung wird immer lauter. Die USA werden einiges unternehmen müssen, um neben ihrer unbestrittenen militärischen Überlegenheit ihr gegenwärtiges politisches Gewicht halten zu können. Europa steht insgesamt vor sehr grossen Herausforderungen, denn sein wirtschaftliches und demografisches Gewicht sinkt gegenüber den übrigen grossen Weltregionen, und gleichzeitig ist die Region in vielen globalen Institutionen (UNO-Sicherheitsrat, Internationaler Währungsfonds und Weltbank, G-8) überrepräsentiert. Die EU wird einiges unternehmen müssen,

4 5

Der Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2008 geht in Ziffer 1.2.4 und 1.2.5 detailliert auf einige Fragen ein. Siehe BBl 2009 727.

Department of Economic and Social Affairs (2004): World Population to 2300. New York: United Nations (die Angaben beziehen sich auf das mittlere Szenario).

6307

damit das Gewicht der durch sie repräsentierten Staaten in der Gestaltung der Weltpolitik weiterhin angemessen zur Geltung kommt.

Die Schweiz als ein ureuropäisches Land bleibt aufs Engste mit dem Schicksal Europas verbunden. Diese in Geografie und Geschichte verankerte Tatsache wird auch weiterhin für unsere Aussenpolitik bestimmend bleiben. Aber die Schweiz tut gut daran, dem bewährten Prinzip der Universalität zu folgen und neben den klaren wirtschaftlichen und politischen Prioritäten in Europa neue und starke Standbeine ausserhalb des Kontinents aufzubauen und zu festigen. Die Politik der Schweiz dieser Herausforderung steht im Mittelpunkt der Ausführungen der Ziffer 3.2.

2.3

Globale Krisen und systemische Risiken

Die Globalisierung, die in den letzten Jahrzehnten beschleunigt stattfand, hat zweifellos eine Vielzahl positiver wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Konsequenzen. Sie hat nicht zuletzt wesentlich dazu beigetragen, dass mehrere Hundert Millionen Menschen endemischer Armut und Unterentwicklung entkommen konnten und sich die Zukunftsaussichten für mehrere Milliarden Menschen deutlich verbessert haben.

Die heutige Welt ist aber nicht nur von einer immer stärkeren Integration geprägt.

Nicht alle Staaten und nicht alle Schichten und Menschen in jeder Gesellschaft profitieren gleichermassen von den neuen Möglichkeiten. In einzelnen Staaten und Subregionen erleben wir ­ bedingt durch eine Vielzahl von Faktoren, die nicht nur mit der Globalisierung zusammenhängen ­ eine ausgeprägte Schwächung der Staatlichkeit und der zwischenstaatlichen Ordnung (man spricht vom Phänomen von «Fragile States» oder «Failed States»). In weiten Teilen der Welt herrscht eine kulturelle Verunsicherung, wobei vereinzelte, extremistische Gruppierungen zu völlig untauglichen Lösungsversuchen greifen, um die bedrohte eigene Identität gegen die fremden, vermeintlich nicht integrierbaren, Entwicklungen abzuschirmen.

Dieses Phänomen lässt sich zurzeit vor allem in Teilen der islamischen Welt beobachten, existiert jedoch in praktisch allen Weltteilen.

Die gegenwärtige Zeit ist durch eine Zunahme von Krisen und systemischen Risiken geprägt. An dieser Stelle kann nicht auf alle globalen Krisen und Risiken eingegangen werden (für eine Auslegeordnung aus Schweizer Sicht sei auf den Bericht «Herausforderungen 2007­2011» des Perspektivenstabes des Bundes verwiesen6).

Die Ausführungen beschränken sich auf drei Themen, die die neue Qualität globaler Krisen und Risiken illustrieren: die Finanzkrise, die Energiefrage und der Klimawandel.

Die Finanzkrise Die globale Finanzkrise von 2008 mit ihren negativen wirtschaftlichen Folgewirkungen hat uns drastisch vor Augen geführt, dass die Finanz- und Wirtschaftssysteme mit grossen systemischen Risiken behaftet sind, die Marktkräfte zum Teil falsche Anreize geben und die bisherige staatliche und internationale Regulierung überdacht werden muss, damit das Finanzsystem seine Funktionen zum Wohl aller erfüllen kann.

6

www.bk.admin.ch/dokumentation/publikationen/00290/00930/index.html?lang=de

6308

In einer globalisierten Welt ist die Isolierung von Finanz- und Wirtschaftsräumen letztlich eine Illusion. Praktisch alle Staaten und Gesellschaften sind von den Konsequenzen des massiven Einbruchs der globalen Märkte betroffen. Es ist davon auszugehen, dass die am wenigsten entwickelten bzw. erst am Beginn ihres wirtschaftlichen Aufschwungs stehenden Staaten am stärksten von den Folgen dieser Krise betroffen sein werden, ebenso wie auch innerhalb der Staaten die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft am meisten zu leiden haben werden.

Falls das Weltwirtschaftswachstum über längere Zeit an Dynamik verliert bzw.

einbricht, ist mit einer Zunahme sozialer Spannungen und politischer Konflikte zu rechnen. Dies dürfte viele Staaten und Regionen vor ernste politische Probleme stellen. Es ist zu hoffen, dass protektionistische, isolationistische und fremdenfeindliche Tendenzen nicht wie schon in anderen Perioden der Weltgeschichte an Gewicht gewinnen oder gar überhand nehmen. In den ersten Reaktionen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise stand der Schutz der eigenen nationalen Industrien ganz oben auf der Agenda, und es hat sich auch gezeigt, dass innenpolitisch der Ruf nach Abschottung gegen die vermeintlich bedrohlichen Einflüsse aus dem Ausland wieder zunimmt. Die Politik ist damit an mehreren Fronten gleichzeitig gefordert. Es ist wichtig, neben der internationalen Koordination auch der sozialen Dimensionen der Auswirkungen der Krise die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Die Energiefrage Produktion, Verteilung und Verbrauch von Energie schälen sich immer mehr als eigentliche Schicksalsfragen der Weltpolitik heraus, und zwar in der Sicherheits-, Wirtschafts-, Verkehrs-, Umwelt- und Entwicklungspolitik, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen.

Die Energienachfrage hat sich aufgrund des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums vervielfacht. Die Kontrolle über die Produktion und den Transit von Energie ist ein machtpolitischer Faktor erster Güte geworden. Die damit generierten Einnahmen führen auch zu finanziellen Umverteilungen, die ihrerseits das globale Finanzund Wirtschaftssystem beeinflussen, in den einzelnen Produktionsländern aber oft nicht zu einer längerfristigen Prosperität führen.

Angesichts der Endlichkeit fossiler Energien und der mannigfachen negativen Folgewirkungen der
Nutzung gerade dieser Energieform werden wir national und international nicht um eine Umorientierung der bisherigen Politik herumkommen.

Die Energiepolitik wird massgeblich über den Zustand der Umwelt in den kommenden Jahrzehnten entscheiden.

Der Klimawandel Gemäss dem heute überwiegenden wissenschaftlichen Konsens beeinflusst die Menschheit insbesondere über die sogenannten Treibhausgase die Entwicklung des Weltklimas. Die Diskussion über die Folgen z.B. der Erderwärmung ist noch nicht abgeschlossen, es ist aber davon auszugehen, dass der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten eine starke Rückwirkung auf die Lebensbedingungen der Menschheit haben wird.

Umweltpolitik (sei es in der Innen- oder in der Aussenpolitik) kämpft stets mit besonderen Schwierigkeiten, etwa den Grenzen des Eingriffs in privates Eigentum, dem räumlichen und zeitlichen Auseinanderfallen von Ursache und Wirkung von Umweltschäden oder der schwierigen Koordination höchst vielfältiger Akteure aus 6309

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Bereich ist aber auch in einem gewissen Sinne ein Paradebeispiel neuer Formen der internationalen Zusammenarbeit (der Global Governance). Neue Steuerungsformen wie quantitative Zielvorgaben für Staaten, die Einbeziehung privater Akteure und die Verwendung marktgestützter Instrumente wurden und werden mit unterschiedlichem Erfolg ausprobiert.

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise steht der umweltverträgliche und energieeffiziente Umbau der Wirtschaft hin zu nachhaltigen Systemen ganz oben auf den nationalen und internationalen Agenden.

Gemeinsame Charakteristiken der Krisen und Risiken In räumlicher Hinsicht sehen wir uns insgesamt mit Krisen und Risiken konfrontiert, die keine Rücksicht auf nationalstaatliche oder andere Grenzen nehmen. Dabei geht es zunehmend nicht nur um die Produktion und Verteilung von Global Public Goods, sondern auch und vordringlich um die Produktion und Verteilung von Global Public Bads. Von Letzterem sind praktisch alle Menschen mehr oder weniger direkt betroffen, was der gegenwärtigen Weltpolitik eine neue Qualität verleiht.

Wohl noch nie in der Weltgeschichte ist so vielen Menschen bewusst geworden, dass sie letztlich im gleichen Boot sitzen und dass Ereignisse an einem Ende des Bootes auch Auswirkungen auf das andere Ende haben.

In zeitlicher Hinsicht sprengen viele der heutigen Probleme den Zeithorizont, der in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gängig ist und in der Regel nicht einmal eine Generation umfasst. Die Vorwarnzeiten für Krisen sind kurz, oft sind wir auch zur gleichen Zeit mit mehreren Krisen konfrontiert. Wir erleben eine Periode erhöhter Unsicherheit, da grundlegende Annahmen über das Funktionieren von Teilsystemen in Frage gestellt werden und teilweise höchst unklar ist, in welchem Zeithorizont interveniert werden muss, um zu Stabilität und nachhaltiger Entwicklung zurückzukehren.

Die inhaltliche Komplexität hat in den einzelnen Sachbereichen stark zugenommen und angesichts hoher gegenseitiger Abhängigkeiten zwischen Entwicklungen in verschiedenen Bereichen (Sicherheit, Finanzen, Wirtschaft, Energie, Umwelt, Klima, Gesundheit, Migration, Entwicklung, Wissenschaft, Kultur) Dimensionen angenommen, welche die bisherigen Kategorien und institutionellen Vorkehrungen auf nationaler und internationaler
Ebene zu sprengen drohen.

Die Schweiz ist eine ausgesprochene Globalisierungsgewinnerin. Mit dieser Tatsache geht aber auch eine starke Abhängigkeit von Entwicklungen auf regionaler und auf globaler Ebene einher. Gerade aufgrund ihrer politischen Verfassung, ihrer bisherigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgsgeschichte sowie ihres Rufs, besonnen und sachorientiert vorzugehen, hat die Schweiz insgesamt gute Ausgangsbedingungen, um eine aktive aussenpolitische Rolle in der heutigen Welt wahrzunehmen und in ausgewählten Bereichen wertvolle Beiträge zur internationalen Problembearbeitung und -lösung zu leisten.

Die zahlreichen thematischen Interdependenzen stellen die überkommenen Denkweisen und institutionellen Spezialisierungen in Frage und verlangen nach neuen, ganzheitlichen Ansätzen. Dabei geht es darum, in jedem der thematischen Sachbereiche (Sicherheit, Wirtschaft, Finanzen, Umwelt, Energie, Gesundheit, Migration, Wissenschaft, Kultur u.a.) eine Politik zu verfolgen, die nicht nur den Sachinteressen in einem einzelnen Bereich Rechnung trägt, sondern die Wechselwirkungen zwischen den Bereichen mitberücksichtigt und im Gesamtinteresse neue Ansätze und 6310

Win-Win-Lösungen findet. Der Dialog zwischen den Verantwortlichen verschiedener Sachbereiche ist eine minimale Vorbedingung, um hier sowohl im Innern als auch nach aussen Fortschritte zu erzielen.

Ein interessantes Beispiel ist die Schweizer Gesundheitsaussenpolitik. In diesem Bereich wurde eine sogenannte aussenpolitische Zielvereinbarung zwischen dem EDA und dem EDI abgeschlossen, die alle relevanten Sachbereiche einbezieht (Entwicklungspolitik, Handel, Schutz des geistigen Eigentums, Migration u.a.), der gesamten Politik in einem fünfjährigen Zeithorizont eine gemeinsame Zielausrichtung gibt und durch neue institutionelle Vorkehrungen dafür sorgt, dass die Koordination aller internen Akteure gewährleistet ist und die Schweiz nach aussen im Sinne der definierten Landesinteressen auftritt (siehe Ziff. 3.3.4). Solche integrative Lösungen in sektoriellen Aussenpolitiken stossen auch international auf Interesse, da heute viele Staaten mit ähnlichen Problemen der Koordination und der Kohärenz zu kämpfen haben.

Für die Schweiz ist die themenübergreifende Abstimmung der Aussenpolitik auch aus einem viel pragmatischeren Grund notwendig. Da unsere Machtmittel und sonstigen Einflussmöglichkeiten vor allem gegenüber grösseren Partnern beschränkt sind, können wir unsere Interessen nur im Rahmen der Gestaltung der Gesamtbeziehungen bzw. durch Verhandlungen über verschiedene Sachthemen hinweg wahren.

Die bilateralen Abkommen I und II mit der EU sind das klassische Beispiel für ein solches gegenseitiges Geben und Nehmen. Für die Schweiz ergeben sich ähnliche Lösungen auch gegenüber weiteren bilateralen Partnern, d.h., wir machen in bestimmten Dossiers Zugeständnisse bzw. erbringen zusätzliche Leistungen, um das Einverständnis der Gegenseite in den für uns zentralen Dossiers zu erzielen. Solche Gesamtlösungen im Landesinteresse können nur im kontinuierlichen Dialog aller relevanten Akteure und durch eine effiziente und effektive Gesamtkoordination erzielt werden.

2.4

Verstärkte internationale Zusammenarbeit und Reform der globalen Institutionen

Die kurz skizzierten Herausforderungen in der geografischen Machtverschiebung und in einzelnen aussenpolitischen Sachbereichen verdeutlichen nicht nur die schon bekannte Tatsache, dass heute für jeden einzelnen Staat Innen- und Aussenpolitik aufs Engste miteinander verflochten sind und sinnvoll nur als Ganzes verfolgt werden können, sie zeigen auch auf, dass die internationale Zusammenarbeit vor einer Vielzahl schwieriger Herausforderungen steht und in vielerlei Hinsicht neu konzipiert werden muss.

Ein vordringliches Problem wird ein neues Verständnis und eine neue Regelung des Verhältnisses zwischen den Grossmächten der heutigen Welt darstellen. Dabei wird es insbesondere darum gehen, wie sich die bisherigen Führungsmächte gegenüber den neu bzw. wieder aufstrebenden Grossmächten verhalten und umgekehrt.

Eine Polarisierung, Abkapselung oder gar konfliktbehaftete Beziehungen würde die Globalisierung in Frage stellen, den Weltfrieden gefährden und die Lösung der dringenden globalen Fragen erschweren oder verunmöglichen. In einer globalisierten Welt ist eine multipolare Ordnung eigentlich keine Option, wenn man diese nach dem Modell der bipolaren Ordnung des Kalten Krieges versteht (d.h. grundlegend 6311

getrennte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme, die sich mit Nuklearwaffen und weiteren Massenvernichtungswaffen gegenseitig absichern). Die heutige Welt kann und sollte man besser als eine «non-polare» verstehen und konzipieren.

Die Verstärkung der regionalen Zusammenarbeit ist ein geeignetes Instrument, um viele Probleme der heutigen Zeit zu bearbeiten und Lösungen zu finden. Die Schweiz baut wesentlich auf dem in der Bundesverfassung verankerten Subsidiaritätsprinzip auf, wobei verschiedene Ebenen staatlichen Handelns (Gemeinden, Kantone, Bund) unterschieden werden und versucht wird, die Regulierung bzw.

Leistungserbringung auf der sachlich und politisch angemessenen Ebene anzusiedeln, damit eine zu starke Zentralisierung oder Dezentralisierung vermieden wird. In der internationalen Politik ist dieser Subsidiaritätsgedanke zwar implizit oft vorhanden, er hat aber noch ungenügend Eingang gefunden in die konkrete Politik sowie in die institutionellen bzw. rechtlichen Regelungen.

Ebenso wie die Polarisierung der Grossmächte wäre aber auch eine ausschliessliche Regionalisierung der Weltpolitik keine adäquate Antwort auf die heutigen Herausforderungen. Denn letztere sind werden zunehmend zu globalen Herausforderungen, die alle Grenzen (kontinentaler, kultureller oder sonstiger Art) sprengen und nach globalen Lösungen verlangen.

Die heutigen globalen Institutionen und Mechanismen erweisen sich immer mehr als unzureichend, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Eine Reform einer derart wichtigen und zentralen Institution für die Sicherheit und den Weltfrieden wie des UNO-Sicherheitsrates ist überfällig. Das UNO-System als Ganzes muss neu austariert und insgesamt gestärkt werden, wenn die Weltorganisation, welche die ganze Weltgemeinschaft am repräsentativsten abdeckt und am besten legitimiert ist, die ihr übertragenen Funktionen effektiv wahrnehmen soll.

Nicht nur der UNO-Sicherheitsrat, auch andere Organisationen und Institutionen müssen umgestaltet werden, um den neuen Grossmächten und regionalen Verhältnissen gemäss ihrem effektiven Gewicht und ihrem Einfluss die nötige Stimme zu verleihen und diese in die gemeinsame Problemlösung einzubinden Dies gilt etwa für die Bretton-Woods-Institutionen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Die Erweiterung der G-7
bzw. G-8 zur G-20 könnte hier eine bedeutsame Vorreiterrolle spielen.

Die vielen Instrumente des Völkerrechts stellen ein bewährtes Mittel zur friedlichen Regelung von Auseinandersetzungen und allgemein zur internationalen Problemlösung dar. Es ist für einen neutralen Staat wie die Schweiz, die keinem Militärbündnis angehört und über keine grosse politische und militärische Macht verfügt, zentral, dass die internationalen Beziehungen durch das Recht bestimmt werden.

Deshalb hat die Schweiz ein massgebliches Interesse daran, dass das Völkerrecht gestärkt und weiterentwickelt wird.7 In der heutigen Zeit sind nicht nur die Staaten und ihre Instrumente im internationalen Rahmen gefordert. Gefordert sind vielmehr auch viele private Akteure, namentlich die Privatwirtschaft und die zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft.

7

Der vorliegende Bericht geht nicht auf das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht ein. Siehe dafür den Bericht, den der Bundesrat in Erfüllung des am 11. Dezember 2007 überwiesenen Postulats der Rechtskommission des Ständerats (07.3764) dem Parlament unterbreiten wird.

6312

Durch die beschleunigte Globalisierung und die neuen technologischen Mittel haben sie in den letzten Jahrzehnten stark an Macht und Einfluss gewonnen.8 Der Einbezug der internationalen Zivilgesellschaft in die internationale Politik stellt eine Herausforderung für überkommene Formen der Arbeitsteilung dar, eröffnet aber auch neue Möglichkeiten der Verankerung und Korrektur von politischen Entscheidungen auf allen Niveaus der heutigen internationalen Politik. Der vorliegende Bericht geht an einigen Stellen auf die schon laufenden Entwicklungen in ganz verschiedenen Politikbereichen ein, in denen neue Partnerschaften eingegangen und ausprobiert werden.

Ein wesentliches Charakteristikum unseres Staates ist und bleibt die bewusste Absage an die Machtpolitik. Die Schweiz hält sich bewusst fern von Allianzen der Grossmächte und betrachtet nur die UNO bzw. durch sie bevollmächtigte Instanzen als legitimiert, Zwangsmassnahmen zu ergreifen. Durch die Nichtmitgliedschaft in der EU sind der Schweiz direkte Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen der wichtigsten regionalen Organisation Europas verwehrt, auch wenn andere indirekte Einflussmöglichkeiten bestehen und genutzt werden können. Die Schweiz kann aber auf viele andere europäische, internationale und ­ durch ihre Mitgliedschaft in der UNO, der WTO und in den Bretton-Woods-Organisationen ­ auf zentrale globale Institutionen direkt Einfluss nehmen. Im Völkerrecht gilt grundsätzlich das Prinzip der Gleichheit aller Staaten, was gerade einem Staat wie der Schweiz den Raum und die Möglichkeit verschafft, mit eigenen Initiativen und Vorschlägen Einfluss zu nehmen. In einzelnen Bereichen, wie etwa dem humanitären Völkerrecht, gilt die Schweiz denn auch zu Recht als Vorreiterin und als wichtige Akteurin, der aufgrund ihrer Geschichte und ihrer kontinuierlichen Sachpolitik ein hohes Gewicht zukommt.

2.5

Die Bedeutung des Dialogs in der Aussenpolitik

Mit den globalen Machtverschiebungen (Ziff. 2.2), mit der zunehmenden thematischen Komplexität und Interdependenz (Ziff. 2.3) und mit der Reform der überkommenen sowie der Integration neuer internationaler Akteure (Ziff. 2.4) stehen wir in vielen Dimensionen der Aussenpolitik ­ der geografischen, der thematischen und der institutionellen ­ vor einer Vielzahl schwieriger Herausforderungen.

Zeiten des Epochenwandels, wie wir sie heute erleben, sind nicht zuletzt dadurch definiert, dass alles im Fluss scheint, die überkommenen Ordnungen nicht mehr als ausreichend wahrgenommen werden und insgesamt mehr Fragen als Antworten vorhanden sind.

Wie können schrittweise Antworten gefunden werden? Wie kann eine neue gemeinsame Ordnung geschaffen werden? Wie kann sich die Schweiz diesen Herausforderungen stellen, ihre Interessen wahren und international zur Klärung, Bearbeitung und Lösung von Problemen beitragen?

8

In der heutigen Phase der Globalisierung haben auch kriminelle Organisationen sowie terroristische Zellen und Netzwerke einen starken Aufschwung erfahren und neue Operationsmöglichkeiten dazu gewonnen, was eine besondere Herausforderung für die innere wie äussere Sicherheit darstellt.

6313

Der Bundesrat erachtet es als wichtig, dass in der Aussenpolitik der Schweiz vermehrt ein Mittel eingesetzt wird, das sich in der Innenpolitik überaus bewährt und zu tragfähigen Lösungen geführt hat, nämlich das Instrument des Dialogs.

In der Geschichte der Schweiz war der Dialog ein entscheidendes Element, um die Kantone und die verschiedenen Landesteile zusammenzubringen, nach und nach eine gemeinsame Identität zu schaffen und sich politisch zu organisieren. Ohne das Gespräch und den Austausch über die Sprach- und sonstigen Grenzen in unserem Land hinweg ist die Schweiz nicht denkbar und nicht funktionsfähig.

Der Dialog spielt in unserem Land auch eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die verschiedenen Sachpolitiken aufeinander abzustimmen und eine gemeinsame Linie zu definieren. Ein themenübergreifender Dialog erlaubt es, eine ganzheitliche Politik zu formulieren, welche die Interdependenzen zwischen Sachbereichen und die übergeordneten Gesamtinteressen mitberücksichtigt.

Eine direkte Demokratie wie diejenige der Schweiz kann ohne unablässigen Dialog zwischen den politisch Verantwortlichen und dem Souverän nicht funktionieren.

Durch eine Vielzahl institutionalisierter oder informeller Dialoge werden alle wichtigen Gruppeninteressen und alle wesentlichen Akteure in den Prozess der Problembearbeitung und -lösung einbezogen, was dazu beiträgt, dass alle wichtigen politischen Entscheide breit abgestützt sind.

Eine Aussenpolitik des Dialogs versucht, diese innenpolitischen Erfolgsfaktoren auch gegen aussen, in der Interessenwahrung auf regionaler ebenso wie auf globaler Ebene, einzubringen.

Der Dialog ist heute international oft nicht das Instrument der Wahl. Unilaterale Entscheide werden getroffen, einseitige Verhandlungen unter Ausschluss wichtiger Parteien finden statt, und oft werden nicht alle notwendigen Aspekte und Perspektiven mitberücksichtigt.

Was die geografische Dimension der Aussenpolitik (globale Machtverschiebungen) betrifft, so bedeutet eine Aussenpolitik des Dialogs, dass die Schweiz vermehrt auch den Austausch mit Partnern ausserhalb unseres regionalen Rahmens in Europa sucht und deren Sichtweisen, zumal zu den zahlreichen globalen Herausforderungen, einbezieht. Eine solche Politik versucht, die zahlreichen Grenzen politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
Art zu überwinden und Brücken zu schlagen zwischen oftmals divergierenden Weltsichten und Interessen.

In einzelnen Sachpolitiken, etwa der Friedenspolitik, bedeutet eine Politik des Dialogs, dass die Schweiz, sofern die Minimalbedingungen erfüllt sind, auch mit schwierigen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren den Kontakt sucht und sie nicht nur als Teil des Problems, sondern als Teil der Problemlösung betrachtet (die Grundlinien der Schweizer Friedenspolitik werden in Ziff. 3.3.6 ausgeführt). Welche Dialoge wann mit wem geführt werden, kann nicht allgemein formuliert, sondern muss in jedem Einzelfall konkret entschieden werden.

Der Bundesrat ist auch davon überzeugt, dass der Dialog ein vielversprechendes Mittel ist, um in den Diskussionen rund um die Reform der internationalen Institutionen Fortschritte zu erzielen und die zahlreichen neuen, privaten Akteure in der Aussenpolitik einzubeziehen.

Die Alternative zum Dialog sind letztlich die Gesprächsverweigerung und der Ausschluss von wichtigen, weil einflussreichen Akteuren. Damit wird die Lösung der anstehenden Probleme eher erschwert als gefördert. Ohne Absprachen und gemein6314

same Regelungen aller wichtigen Akteure drohen die Aktivitäten der einen Seite durch diejenigen der anderen Seite zunichte gemacht zu werden, so dass die gewünschte Effizienz und Effektivität auch mit maximalen Eigenanstrengungen nicht erzielt werden.

Ein Beispiel ist die Entwicklungspolitik (siehe Ziff. 3.3.8). Sie ist nicht nur von den globalen Machtverschiebungen direkt betroffen, sie hat auch ein wesentlich komplexeres Zielsystem und ist darauf angewiesen, themenübergreifende Kooperationen einzugehen. Jenseits der Veränderungen in der Staatengemeinschaft gewinnen private Akteure ­ zivilgesellschaftliche Organisationen und weltweit agierende Unternehmen ­ in der Entwicklungspolitik rasch an Einfluss. Die von solchen Akteuren (Bill und Melinda Gates Foundation u.a.) eingesetzten Mittel übersteigen oft die Investitionen staatlicher oder multilateraler Agenturen. Der Dialog erscheint als ein vielversprechendes Instrument, um diese Akteure einzubeziehen und die Gesamtkoordination zu gewährleisten.

Das Instrument des Dialogs beruht auf den Prinzipien des Respekts und der Gegenseitigkeit, schliesst andere Parteien und Perspektiven prinzipiell nicht aus und eröffnet die Chance, eine ganzheitlichere Sichtweise auf anstehende Fragen und Probleme zu entwickeln. Dies wiederum bietet eine gewisse Gewähr für eine bessere Bearbeitung und für tragfähigere Lösungen von Problemen. Der Dialog ist aber keine Garantie für den Erfolg. Er ist eher als eine Mindestvoraussetzung zu verstehen, die heute nicht in jedem Fall eingehalten wird.

Der Weg des Dialogs ist kein einfacher Weg. Er stellt hohe inhaltliche Anforderungen, braucht einen langen Atem und führt oft in Richtungen, die sich nicht vorhersehen lassen. Er kann auch nicht in jedem Fall ohne Vorbedingungen und Vorleistungen aufgenommen werden, und er bedarf ­ wie aussenpolitische Entscheidungen überhaupt ­ einer sorgfältigen und umfassenden Interessensabwägung.

2.6

Rolle der militärischen Operationen bei der Friedenssicherung und der Erhaltung der internationalen Sicherheit

Eines der dynamischsten Felder im Bereich der internationalen Krisenbewältigung ist die militärische Friedensförderung. Diese Dynamik ist Ausdruck eines kontinuierlichen Lernprozesses der internationalen Gemeinschaft, die sich seit dem Ende des Kalten Krieges mit einer zunehmenden Komplexität des internationalen Konfliktumfelds konfrontiert sieht. Vornehmlich im Rahmen der UNO wurde die Rolle der militärischen Friedensförderung deshalb den Entwicklungen angepasst: Sie ist heute nicht mehr nur die klassische Friedenserhaltung (Peacekeeping) im Sinne der Überwachung von Waffenstillstandsabkommen, sondern auch Teil von multidimensionalen Friedensmissionen, die ein weites Spektrum von zivilen und militärischen Massnahmen abdecken.

Dabei wurden klassische militärische Aufgaben um zivile Ordnungsaufgaben wie Polizeiaufgaben, Festnahme von Kriegsverbrechern, Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kämpfer, Rückführung von Flüchtlingen, Unterstützung von Wahlprozessen oder Schutz humanitärer Aktionen erweitert. In Kosovo beispielsweise wurde die militärische internationale Präsenz auch damit beauftragt, ein sicheres Umfeld für die Heimkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen, für die 6315

humanitäre Hilfe und für den Aufbau einer zivilen Verwaltung zu schaffen, öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, Grenzüberwachungsaufgaben wahrzunehmen oder Minenräumung anzugehen (für die Aktivitäten der Schweiz siehe Ziff. 3.2.2.3).

Militärische Friedensförderung beschränkt sich heute nicht mehr auf die reine Friedenserhaltung, sondern kann unterschiedliche Phasen der Konfliktbewältigung abdecken, von der Konfliktprävention bis hin zur Friedenskonsolidierung (Peacebuilding). Die Grenzen der einzelnen Phasen sind teilweise fliessend, und manche Phasen können sogar parallel verlaufen. Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass multilaterale Friedensmissionen heute komplexe Unternehmungen geworden sind, die ein enges Zusammenspiel von militärischen und zivilen Komponenten erfordern.

Die multidimensionale Friedensförderung ist eine Antwort der internationalen Gemeinschaft auf die aktuelle Komplexität bewaffneter Konflikte. Eine der grössten Herausforderungen ist dabei, dass solche Konflikte nicht mehr nur zwischen klar definierten Konfliktparteien stattfinden. Internationale Krisenbewältigung ist heute insbesondere dort gefordert, wo staatliche Strukturen zerfallen. Im Rahmen der multidimensionalen Friedensförderung versucht die internationale Gemeinschaft, Instrumente zu entwickeln, die verhindern, dass sich fragile Situationen zu grossflächigen Konflikten mit bewaffneten Auseinandersetzungen, Flüchtlingsströmen, inneren Spannungen in Drittländern und Störungen des Wirtschaftsverkehrs ausweiten.9 Hauptleidtragende in destabilisierten Situationen ist immer die Zivilbevölkerung. Die internationale Staatenwelt als Ganzes ist vom Phänomen der «failed states» betroffen: Wenn ein Staat seine hoheitliche Verantwortung nicht zu übernehmen vermag, ist ein solcher Raum Nährboden für nichtstaatliche Akteure, die das Gewaltmonopol des Staates unterlaufen. Ihr Tätigkeitsfeld kann transnationale Ausmasse annehmen und eine Bedrohung für die Rechtsordnung der einzelnen Staaten darstellen. Ausserdem kann die internationale Sicherheit gefährdet sein, wenn bedeutsame internationale Transportrouten oder Energiewege bedroht sind oder massive Umweltrisiken wie Atomunfälle oder Ölverschmutzungen im Machtbereich eines «failed state» auftreten.

Die Erweiterung des Spektrums militärischer Friedensförderung
wirft jedoch auch Fragen auf. Diese betreffen zum einen die Kohärenz der internationalen Aktivitäten im Rahmen der Multidimensionalität, zum anderen die Schnittstellen zwischen militärischen und zivilen Akteuren. Die UNO versucht, die Kohärenz zu stärken, indem sie gewisse zivile und militärische Ressourcen in sogenannten integrierten Missionen bündelt.10 Die internationale Ausweitung des Aufgabenspektrums der militärischen Friedensförderung hat aber auch zu Schnittstellen mit der zivilen Friedensförderung geführt, deren Abgrenzung international nicht immer klar ist und die auch die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit betreffen können. Für humanitäre Operateure, die den Grundsätzen der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet sind, ist jedoch wesentlich, dass sie entsprechend wahrgenommen werden.

9 10

Vgl. auch Sicherheitspolitischer Bericht 2000, BBl 1999 7666.

Die EU und die NATO, die sich als internationale Akteurinnen an multidimensionalen Friedensoperationen der UNO beteiligen, haben parallel dazu das Concept of CivilMilitary Coordination bzw. den Comprehensive Approach ausgearbeitet.

6316

Jüngstes Beispiel für die aufgezeigten Entwicklungen ist die internationale Krise in Somalia. Eine Destabilisierung der politischen Struktur Somalias und eine Entwicklung hin zum «failed state» hatte seit Anfang der Neunzigerjahre nicht verhindert werden können. Konsequenzen davon sind unter anderem eine grosse Abhängigkeit der Zivilbevölkerung von humanitären Hilfeleistungen und eine Gefährdung der Schifffahrt vor der Küste Somalias durch nichtstaatliche Akteure (Piraten), gegen die sich die somalische Staatsmacht nicht zur Wehr setzen kann. Sie bedrohen zum einen die Versorgung der Zivilbevölkerung durch Hilfsgüter des Welternährungsprogramms. Zum anderen gefährden sie die Handelsroute durch den Suez-Kanal, die über den Golf von Aden vor der Küste Somalias vorbeiführt.

Als internationale Antwort steht schon lange eine multidimensionale Friedensmission in Somalia auf der UNO-Agenda, mit dem Ziel, die Konfliktursachen anzugehen und ein stabiles Umfeld zu schaffen. Die Sorge, dass friedenserzwingende Elemente im Zentrum einer solchen Mission stehen würden, hat einen Entscheid des Sicherheitsrats bis anhin hinausgezögert. Indessen hat sich der Sicherheitsrat seit Mai 2008 mehrmals mit dem Problem der Piraterie vor der Küste Somalias beschäftigt. Gestützt auf Kapitel VII der UNO-Charta hat er Drittstaaten ermächtigt, in den Territorialgewässern Somalias mit Gewalt gegen bewaffnete Überfälle vorzugehen.

Die Staatengemeinschaft wurde aufgerufen, vor der Küste Somalias zunächst die Schiffe des Welternährungsprogramms militärisch zu schützen, dann auch generell gefährdeten Handelsschiffen Schutz zu gewähren und schliesslich aktiv die Piraterie zu bekämpfen und strafrechtlich zu ahnden (die Antwort der Schweiz wird unter Ziff. 3.4.1.2 ausgeführt).

Die Resolutionen des Sicherheitsrats gegen die Piraterie in Somalia11 akzentuieren zwei Entwicklungen in der internationalen Krisenbewältigung: Zum einen offenbaren sie die prekäre Sicherheitsproblematik für die Zivilbevölkerung und damit auch für die humanitäre Hilfe, gerade im Zusammenhang mit dem Phänomen der «failed states». Zum anderen wird das Bedrohungsszenario durch nichtstaatliche Akteure vor Augen geführt. Der Sicherheitsrat bezeichnet die Piraterie vor Somalia in seinen Resolutionen 1846 und 1851 ausdrücklich als eine Bedrohung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit in der Region. Internationale Krisenbewältigung befasst sich heute also nicht mehr nur mit den Akteuren oder Opfern internationaler oder nicht-internationaler bewaffneter Konflikte. Sie weitet sich auch auf solche nichtstaatliche Akteure aus, die nicht eigentliche Konfliktpartei sind, aber aufgrund des rechtsfreien Raums zu einer Bedrohung des Weltfriedens werden können. Gegen solche Akteure hat der UNO-Sicherheitsrat nun, entsprechend der Ergänzung der Aufgaben militärischer Friedensförderung, militärpolizeiliche Massnahmen unter Kapitel VII beschlossen. Damit stellt sich auch die Frage der Schnittstellen militärischer und ziviler Zusammenarbeit neu. Im Fall der Piraterie ist diese durch das Völkerrecht geregelt, da die UNO-Seerechtskonvention den Einsatz militärischer Mittel zur Abwehr und Verfolgung der Piraterie vorsieht.

Die zunehmend wichtige Rolle der militärischen Friedensförderung in der internationalen Krisenbewältigung stellt die internationale Gemeinschaft schliesslich vor die Herausforderung, jene völkerrechtlich durch einer klare Mandatserteilung zu legitimieren. Klare völkerrechtliche Mandate liegen dann vor, wenn der Sicherheitsrat entweder eine von der UNO geführte Friedensoperation beschliesst, oder wenn er Mitgliedstaaten bzw. regionale Organisationen (wie die EU) ausdrücklich ermäch11

S/RES/1814; S/RES/1816; S/RES/1838; S/RES/1846; S/RES1851

6317

tigt, eine solche Operation durchzuführen. Die Erteilung eines Mandats durch den Sicherheitsrat ist insbesondere dann erforderlich, wenn die Friedensförderung auch militärische Gewaltanwendung einschliesst.

Für die Schweiz stellen sich die gleichen Bedrohungsrisiken wie für die anderen mittel- und westeuropäischen Staaten. Als demokratische, offene Gesellschaft teilt sie mit ihnen die Verwundbarkeit gegenüber Gefahren, deren Ursprung weit entfernt sein kann und die, wie das Beispiel der Piraten im Golf von Aden zeigt, auch konkrete wirtschaftliche Nachteile verursachen können. Diese Überlegungen haben in den letzten Jahren in vielen Staaten zu einem Ausbau der militärischen Friedensförderung und des internationalen Krisenmanagements geführt. Auch die Schweiz muss dem internationalen Bedrohungsszenario Rechnung tragen. Für unser Land wie für die internationale Gemeinschaft bleibt die Herausforderung, ihre Instrumente der Friedensförderung und des Krisenmanagements der dynamischen Konfliktentwicklung anzupassen und in den Dienst der internationalen Krisenbewältigung zu stellen.

Dieser Herausforderung kann sich die Schweiz auch unter Beachtung der nationalen Rechtsschranken stellen, die für die militärische Friedensförderung Kampfhandlungen zur Friedenserzwingung ausschliessen.

3

Schwerpunkte der Schweizer Aussenpolitik

3.1

Hauptachsen der Schweizer Aussenpolitik

Die vorliegende Ziffer enthält einen Gesamtüberblick über alle bilateralen, regionalen und globalen Dossiers, in denen sich heute ein grosser Teil des aussenpolitischen Engagements und der konkreten Interessenwahrung der Schweiz abspielt.

Es enthält drei Unterteilungen, die drei grossen Hauptachsen der Schweizer Aussenpolitik entsprechen. Diese sind: 1. Bilaterale und regionale Beziehungen (Ziff. 3.2) Dabei geht es um den Stand unserer Beziehungen und die Gestaltung unserer Politik gegenüber den übrigen Staaten und den verschiedenen Weltregionen (geografische Dimension der Aussenpolitik).

Für die Schweiz stellen sich diesbezüglich eine Reihe grundlegender Fragen.

Zunächst geht es um die Stellung in unserer Grossregion, nämlich in Europa (siehe Ziff. 3.2.2), wobei zwischen der EU, den übrigen regionalen Organisationen und den einzelnen europäischen Staaten unterschieden werden muss. Da Russland und die Türkei eng mit der europäischen Region verbunden und von unmittelbarer Bedeutung für Europa sind, werden diese beiden Staaten ebenfalls in Ziffer 3.2.2 behandelt; dasselbe gilt für den Kaukasus und für Zentralasien.

Wie bereits in Ziffer 2 kurz beschrieben, muss die Schweiz den globalen Machtverschiebungen Rechnung tragen. Der Bundesrat hat in seiner aussenpolitischen Standortbestimmung im Jahr 2005 erste Leitlinien definiert und neben Europa, Russland und der Türkei insbesondere die USA, die drei asiatischen Grossmächte China, Indien und Japan sowie Südafrika und Brasilien als diejenigen Staaten bestimmt, mit denen eine Vertiefung und systematischere Gestaltung unserer Beziehung angestrebt werden soll (siehe Ziff. 3.2.3­3.2.6).

6318

2. Globale Herausforderungen (Ziff. 3.3) In diesem Teil geht es grundsätzlich um die Frage, wie die Staatenwelt und die Schweiz zusammen mit den übrigen Akteuren auf die Probleme reagieren, die heute einzelne Akteure überfordern und nach globalen Antworten verlangen (thematische Dimension der Aussenpolitik).

Im vorliegenden Bericht werden die folgenden globalen Herausforderungen behandelt: die globalen Finanz- und Wirtschaftsprobleme, der Klimawandel, die Energieund Gesundheitsaussenpolitik und anschliessend die thematischen Kernbereiche des EDA, die Friedensförderung und menschliche Sicherheit im Allgemeinen, die Stärkung des Völkerrechts und die gerechte und nachhaltige Entwicklung.

3. Konsolidierung des multilateralen Systems (Ziff. 3.4) Der Schwerpunkt dieser Ziffer liegt auf der Frage, wie die wichtigsten internationalen Organisationen so reformiert und ausgerichtet werden können, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben besser erfüllen können (institutionelle Dimension der Aussenpolitik). Es geht auch darum, wie sich die Schweiz in diesen Organisationen positioniert und welche Aktivitäten sie zur Wahrung ihrer eigenen sowie der globalen Interessen unternimmt.

Der vorliegende Bericht behandelt neben der UNO (Ziff. 3.4.1), auf die der Hauptfokus gelegt wird, kurz den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank (Ziff. 3.4.2), die WTO (Ziff. 3.4.3) und die OECD (Ziff. 3.4.4).

Auch wenn dies nicht in jedem Fall möglich war, werden Wiederholungen im vorliegenden Bericht möglichst vermieden, indem ein Dossier nur an einer Stelle ausführlich behandelt wird und in den übrigen Zusammenhängen, in denen das Dossier ebenfalls relevant ist, auf den entsprechenden Abschnitt des Berichts verwiesen wird.

3.2

Gute Beziehungen zu Staaten und Regionen

3.2.1

Einleitende Bemerkungen

Der Bundesrat hält ausdrücklich an der Politik der Universalität in den diplomatischen Beziehungen fest. Die Schweiz strebt grundsätzlich gute Beziehungen mit allen Staaten und regionalen Organisationen an, unabhängig von deren Stellung und politischer Verfasstheit.

Diese Politik hat sich in der Vergangenheit bewährt und ist für eine aussenpolitische Akteurin wie die Schweiz, die nicht Mitglied der EU ist und in keinen Allianzen mit Grossmächten eingebunden ist, von allerhöchster Bedeutung, wenn ihre eigenen Interessen weltweit wahren und in ausgewählten Sachthemen anerkannte Vorschläge zur Lösung offener Fragen und Probleme einbringen und ihnen zum Durchbruch verhelfen will.

Zahlreiche Staaten werden in den nachfolgenden Ziffern nicht explizit thematisiert.

Diese Staaten behalten aber selbstverständlich ihre Bedeutung für die Schweiz. Der Bundesrat hält mit grosser Befriedigung fest, dass die Qualität der Beziehungen mit den allermeisten Staaten gut bis sehr gut ist und dass in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte im gegenseitigen Austausch und in der Zusammenarbeit erfolgt sind. Die Schweiz wird auch in den kommenden Jahren alles daran setzen, dass 6319

dieser erfreuliche Zustand beibehalten werden kann und weitere Forschritte auf bilateraler wie regionaler Ebene erzielt werden können.

3.2.2

Europapolitik

3.2.2.1

Europäische Union

3.2.2.1.1

Bedeutung der EU weltweit und für die Schweiz

Bedeutung der EU weltweit Mit 27 Mitgliedstaaten und nahezu 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist die EU, die in den kommenden Jahren wohl noch einmal erweitert wird, nicht nur auf dem europäischen Kontinent, sondern auch auf internationaler Ebene zu einer Akteurin geworden, die trotz den sich abzeichnenden Gewichtsverschiebungen eine Schlüsselstellung beibehalten wird. Als erste Wirtschaftsmacht der Welt, die den Löwenanteil der Entwicklungshilfe leistet und im Umweltbereich eine führende Rolle spielt, ist sie auch ein bedeutender Friedens- und Stabilitätsfaktor.

Es heisst manchmal, die EU sei wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg, doch in den letzten Jahren hat sie ihre Kapazitäten in den Bereichen Aussenpolitik, Sicherheit und Verteidigung systematisch ausgebaut. Da die entsprechenden Zuständigkeiten nicht vergemeinschaftet, sondern zwischenstaatlich sind, hängen sie von der Definition einer gemeinsamen Politik der Mitgliedstaaten ab. Deshalb kann die Union in manchen Fällen nicht mit der erforderlichen Entschlossenheit und Effizienz tätig werden. Trotz dieser Schwierigkeiten hat sie in den letzten Jahren verschiedene Institutionen und Mechanismen geschaffen, die ihre Kapazitäten in diesen Bereichen verstärken (erwähnenswert ist zum Beispiel die Einsetzung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees, des Militärausschusses, des Militärstabs, der Europäischen Verteidigungsagentur sowie verschiedener taktischer Kampfgruppen). So konnte die EU seit 2003 in Europa, Asien und Afrika rund zwei Dutzend zivile und militärische Friedensförderungsmissionen lancieren. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, das auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde, dürfte die EU in diesem Bereich gestärkt werden, insbesondere durch die Schaffung des Amtes des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik. Dieser wird zugleich Vizepräsident der Europäischen Kommission sein und über einen eigenen diplomatischen Dienst verfügen, der ihn in die Lage versetzt, die Aussenpolitik der Union kohärenter und sichtbarer zu machen.

Die Stärke der EU beruht jedoch ­ zumindest bislang ­ nicht auf ihrer militärischen Macht («Hard Power»), sondern vielmehr auf dem Einfluss («Soft Power»), den sie auf dem europäischen Kontinent und in seinem unmittelbaren Umfeld auszuüben
vermag. In der Tat hat die Anziehungskraft in Sachen Beitrittsaussichten, die sie für ihre Nachbarn besass und immer noch besitzt, den europäischen Raum tiefgreifend verändert. Viele Länder unternahmen oder unternehmen im Hinblick auf einen Beitritt erhebliche Anstrengungen, um ihre Wirtschaft, ihr politisches System oder ihre Sicherheitspolitik den von der EU festgelegten Kriterien oder Normen anzupassen. Die Anziehungskraft der EU erlaubt ihr folglich, gewisse Staaten zu dem von ihr gewünschten Verhalten zu bewegen. Auch ist die EU in ihrer Eigenschaft als beratende, demokratische und rechtsstaatlich verfasste Institution in vielerlei Hinsicht zum Vorbild für gewisse Weltregionen geworden. Zudem wird die Erweiterung der EU-Gemeinschaftspolitiken durch eine immer umfangreichere aussenpolitische 6320

Komponente begleitet, die der EU sehr weitgehende Zuständigkeiten in diesem Bereich gibt. Infolgedessen wird die EU immer mehr zu einer normativen Kraft, die die Entwicklung der globalen Regeln beeinflusst. Auch in den regionalen Gremien und Organisationen wächst ihr Einfluss.

Bedeutung der EU für die Schweiz Die EU ist als unmittelbare geographische Nachbarin, als bei weitem wichtigste Wirtschaftspartnerin und zunehmend auch als Institution, die Normen mit internationaler Geltung schafft, die zentrale Herausforderung in unseren Aussenbeziehungen. Sie wird für die Schweiz umso bedeutender, als sie sich laufend geographisch erweitert und ihre Zuständigkeiten ausbaut. Dabei ist für die Schweiz von besonderer Bedeutung, dass die EU zunehmend auch in Bereichen tätig wird, die traditionell dem Zuständigkeitsbereich von Organisationen zugeordnet waren, denen die Schweiz als Mitglied angehört wie etwa dem Europarat oder der OSZE.

Die Schweiz teilt mit der EU zentrale Werte wie Demokratie, Wahrung der Menschenrechte, soziale Marktwirtschaft, nachhaltige Entwicklung. Auf politischer Ebene geht die Schweiz indessen ihren eigenen Weg. Sie arbeitet mit der EU in zahlreichen Gebieten zusammen und übernimmt dabei in der Regel das von der EU gesetzte Recht, verzichtet aber als Nichtmitglied bewusst auf ein Mitbestimmungsrecht. Die EU ihrerseits unterhält mit keinem anderen Land Beziehungen, die dem bilateralen Weg der Schweiz entsprechen würden.

3.2.2.1.2

Ziele der Schweiz in ihren Beziehungen zur EU

Die Europapolitik ist integraler Bestandteil der Aussenpolitik und hat daher das Ziel, die Interessen der Schweiz gegenüber der EU zu wahren. Aufgrund der Bedeutung der EU für die Schweiz hat sich unser Land immer bemüht, sehr gute Beziehungen zur Union zu unterhalten. Um diese Beziehungen zu konsolidieren, schuf die Schweiz im Laufe der Jahre ein umfangreiches Netz bilateraler Verträge, das rund 20 Verträge von grosser Bedeutung und mehr als 100 sogenannte sekundäre Verträge umfasst. Dieses Netz bietet ihr einen privilegierten Zugang zum gemeinsamen Markt sowie die Möglichkeit, in verschiedenen Programmen und Agenturen der Gemeinschaft mitzuwirken, die auch den Interessen der Schweiz dienen. Es ist von entscheidender Bedeutung für die Schweiz, die mit der EU bisher erreichten Errungenschaften aufrechtzuerhalten. Desgleichen liegt es eindeutig im Interesse der Schweiz, ihre Beziehungen zur EU weiterzuentwickeln, indem sie zusätzliche Verträge in weiteren Bereichen von gemeinsamem Interesse abschliesst. Die Erhaltung und Weiterentwicklung des Netzes von Verträgen, die die Beziehungen zwischen beiden Parteien rechtlich regeln, wird jedoch nicht ausreichen. Für den Erhalt der guten Beziehungen, die auf gegenseitiger Achtung und gegenseitigem Verständnis beruhen, sind regelmässige Gespräche auf höchster Ebene notwendig. Treffen dieser Art erlauben es, das Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern zu festigen und allfällige Probleme rechtzeitig zu identifizieren und zu lösen. Da die Schweiz die gleichen Ziele wie ihre Nachbarn verfolgt und dank der europäischen Integration an der Stabilität und am Wohlstand des Kontinents teilhat, ist sie auch aufgerufen, solidarisch ihre europäische Verantwortung wahrzunehmen. Die Schweiz wird ihre Interessen gegenüber ihrer wichtigsten Partnerin am besten wahren können, wenn sie eine aktive und engagierte Europapolitik verfolgt.

6321

Im Juni 2006 verabschiedete der Bundesrat seinen Europabericht12, in dem er einen Überblick über seine bisherige und künftige Europapolitik gab. Der Bericht kommt zum Schluss, dass die Weiterführung der bilateralen Zusammenarbeit zurzeit das am besten geeignete Instrument für die Wahrung der Schweizer Interessen gegenüber der EU ist. Wenn dies auch in Zukunft der Fall sein soll, dann müssen dem Bericht zufolge unter anderem die folgenden Voraussetzungen auch weiterhin erfüllt sein: ­

Die Schweiz verfügt über einen Grad an Mitentscheidung im Rahmen ihrer bilateralen Verträge mit der EU und einen Handlungsspielraum für die Durchführung ihrer eigenen Politiken, die beide als genügend angesehen werden.

­

Die EU ist bereit, bei der Ausgestaltung ihrer Drittstaatpolitik mit der Schweiz Lösungen im Rahmen von bilateralen, sektoriellen Abkommen zu finden.

­

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere auch im monetären Bereich, verändern sich nicht zum Nachteil der Schweiz.

Die Schweiz wird sich auch weiterhin bemühen, dafür zu sorgen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, obgleich sie sich ihres begrenzten Einflusses in diesem Bereich bewusst ist. Sollten diese Voraussetzungen allerdings nicht mehr erfüllt sein, so wird die Schweiz die Instrumente ihrer Europapolitik anpassen müssen. In diesem Sinne ist ein EU-Beitritt nach wie vor eine Option für die Schweiz.

Im Januar und im Mai 2007 setzte sich der Bundesrat für seine Europapolitik drei kurz- und mittelfristige Ziele. Diese Ziele, die im März 2008 bekräftigt wurden, lauten wie folgt: 1.

rasche und reibungslose Umsetzung aller mit der EU abgeschlossenen bilateralen Abkommen;

2.

weiterer Ausbau der Beziehungen zur EU durch den Abschluss von zusätzlichen Abkommen in neuen Bereichen von gemeinsamem Interesse;

3.

Konsolidierung der Beziehungen zur EU.

Die folgenden drei Ziffer befassen sich mit diesen drei Zielen und stellen zu jedem das entsprechende Dossier vor (Bestandesaufnahme, Perspektiven).

3.2.2.1.3

Umsetzung der bestehenden Abkommen (Ziel 1)

Schengen/Dublin Am 5. Juni 2005 hiess das Schweizer Stimmvolk mit 54,6 % Ja-Stimmen die Schengen/Dublin-Assoziierungsabkommen gut und sprach sich damit für eine intensivierte europäische Sicherheits- und Asylzusammenarbeit aus. Im Anschluss an das Inkrafttreten der Abkommen am 1. März 2008 wurde in der Schweiz das SchengenEvaluationsverfahren gestartet. Von März bis Anfang September 2008 wurden die Bereiche Datenschutz, polizeiliche Zusammenarbeit, Visa und Konsularzusammenarbeit, Flughäfen und Schengener Informationssystem (SIS) von Expertinnen und Experten der anderen Schengen-Staaten sowie von Rat und Kommission überprüft.

12

BBl 2006 6815

6322

Der erfolgreiche Abschluss der Evaluation war eine Voraussetzung für das Inkrafttreten der Schengen/Dublin-Abkommen in der Schweiz. Seit dem 12. Dezember 2008 nimmt die Schweiz operationell an der Schengener Zusammenarbeit teil und führt das Dublin-Verfahren durch, womit sie Teil des Dublin-Systems geworden ist.

Einzig die Aufhebung der systematischen Personenkontrollen für Schengen-interne Flüge an den Flughäfen ist erst am 29. März 2009 ­ zusammen mit dem Flugplanwechsel ­ erfolgt.

Durch die Schengen/Dublin-Assoziierung ist die Schweiz zu einer gleichberechtigten Partnerin im europäischen Raum des freien Personenverkehrs und im europäischen Sicherheitsraum geworden. Sie hat das Recht erworben, sich aktiv an der Ausarbeitung neuer Rechtsakte und Massnahmen zur Weiterentwicklung des Schengen/Dublin-Rechts zu beteiligen («decision shaping»). Sie wird sich auch weiterhin aktiv an den verschiedenen Ausschüssen und Arbeitsgruppen zu diesen Themen beteiligen, um die Partnerschaft mit der EU vollumfänglich zu nutzen.

Personenfreizügigkeit Bei der Genehmigung der Bilateralen I hatten die eidgenössischen Räte beschlossen, dass über die Weiterführung des ­ für eine anfängliche Dauer von 7 Jahren abgeschlossenen ­ Freizügigkeitsabkommens (FZA) mittels eines referendumsfähigen Bundesbeschlusses zu entscheiden sei. Aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen (Geltungsdauer bis 31. Mai 2009, Möglichkeit eines Referendums) hatte das Parlament in der ersten Hälfte 2008 über die Vorlage zu befinden. Die zweite Vorlage betraf die Ausdehnung des FZA auf Rumänien und Bulgarien. Wie bei der Erweiterung von 2004 machte auch die Ausdehnung des FZA auf die beiden am 1.

Januar 2007 beigetretenen neuen EU-Mitgliedstaaten den Abschluss eines Zusatzprotokolls erforderlich. Die diesbezüglichen Verhandlungen wurden am 10. Juli 2007 aufgenommen und am 29. Februar 2008 mit der Paraphierung des Protokolls über die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens als Vertragsparteien des Freizügigkeitsabkommens (Protokoll II) formell abgeschlossen. Die Unterzeichnung erfolgte am 27. Mai 2008 in Brüssel.

Nach intensiven Diskussionen sprach sich die Bundesversammlung im Frühling/ Sommer 2008 dafür aus, die Beschlüsse zur Weiterführung und Ausdehnung des FZA auf Rumänien und Bulgarien zu verknüpfen. Diese Vorlage wurde am 13. Juni 2008 mit
deutlichem Mehr gutgeheissen. Allerdings wurde gegen den entsprechenden Bundesbeschluss das Referendum ergriffen.

Die Frage der Weiterführung und Ausdehnung des FZA war von besonderer innenund aussenpolitischer Bedeutung, da das Schicksal des FZA mit den übrigen 6 Abkommen der Bilateralen I rechtlich verknüpft ist. Bei einer Nicht-Weiterführung treten gemäss Abkommenstext sämtliche Abkommen der Bilateralen I sechs Monate später automatisch ausser Kraft. Somit stand die Zukunft des gesamten bilateralen Weges auf dem Spiel.

In der Volksabstimmung vom 8. Februar 2009 wurden die Weiterführung des FZA und dessen Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien mit 59,6 % gutgeheissen.

Damit wurde der Vertragsbestand sämtlicher Bilateralen I bestätigt. Das Protokoll II ist am 1. Juni 2009 in Kraft getreten.

6323

Kritik an den flankierenden Massnahmen (vor allem achttägige Voranmeldefrist) Seit Anfang 2007 wird im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung insbesondere von deutscher und österreichischer Seite Kritik an gewissen flankierenden Massnahmen (FLAM) bzw. deren Umsetzung an die Schweiz herangetragen. Die Kritik wurde von der Europäischen Kommission aufgegriffen. In Frage gestellt wurden unter anderem die Berechnung gewisser Vollzugskosten und anderer Beiträge, die teilweise uneinheitliche Vollzugspraxis durch die Kantone, das als mangelhaft empfundene Informationsangebot sowie ­ in besonderem Masse ­ die obligatorische achttägige Voranmeldefrist für grenzüberschreitende Dienstleistungen aus dem EU-Raum. Nach Auffassung der Kommission und gewisser Mitgliedstaaten verstösst die letztgenannte Regelung gegen das Freizügigkeitsabkommen, während die Schweiz diese als mit dem Abkommen vereinbar erachtet.

Die FLAM sind von grundlegender Bedeutung für die Akzeptanz der Personenfreizügigkeit in der Schweiz. Entsprechend wichtig ist es aus schweizerischer Sicht, eine für alle involvierten Parteien befriedigende Lösung zu finden.

Der Bundesrat und die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesverwaltung diskutierten das Thema denn auch eingehend bei zahlreichen Gelegenheiten im Rahmen der ständigen Kontakte mit den erwähnten Nachbarstaaten und der Europäischen Kommission (u.a. Gemischter Ausschuss zum FZA).

Um die Lösungsfindung zu beschleunigen, wurde zudem eine trinationale Arbeitsgruppe eingesetzt, in der Deutschland, Österreich und die Schweiz vertreten sind.

Die Arbeitsgruppe ist daran, innerhalb des in der Schweiz geltenden gesetzlichen Rahmens konkrete und für alle akzeptable Vorschläge zur Optimierung der FLAMAnwendung zu erarbeiten.

Betrugsbekämpfung Das Abkommen vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen (Abkommen über die Betrugsbekämpfung), ist als einziges Abkommen der Bilateralen II noch nicht in Kraft getreten.

Als gemischtes Abkommen muss es auf europäischer Seite sowohl von der EU als auch von den Mitgliedstaaten genehmigt und ratifiziert werden, da beide Vertragsparteien sind. Bis heute haben 23 der 27 Mitgliedstaaten
sowie die EG das Abkommen ratifiziert. Angesichts der langsamen Fortschritte des Ratifikationsprozesses hat die Schweiz zugewartet und das Abkommen schliesslich am 23. Oktober 2008 ratifiziert.

Obwohl das Abkommen über die Betrugsbekämpfung erst in Kraft tritt, wenn alle Vertragsparteien es ratifiziert haben, sieht es vor, dass die Vertragsparteien, die eine entsprechende Erklärung abgegeben haben, das Abkommen bis zum Inkrafttreten unter sich vorzeitig anwenden können. Im Lichte der Inkraftsetzung des SchengenBesitzstands im Dezember 2008 und der Erklärungen der EG und weiterer 8 Mitgliedstaaten hat die Schweiz am 8. Januar 2009 ebenfalls die vorzeitige Anwendung des Abkommens erklärt. Diese ist seit dem 8. April 2009 wirksam und wird dazu beitragen, dass Betrug im Bereich der indirekten Steuern wirksamer bekämpft werden kann.

6324

Zinsbesteuerung Das 2005 in Kraft getretene Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird weiterhin vertragsgemäss umgesetzt. Gemäss den Bestimmungen des Abkommens wurde der Satz des Steuerrückbehalts nach den ersten drei Jahren der Anwendung des Abkommens am 1. Juli 2008 von 15 % auf 20 % angehoben. Die bislang gemachten Erfahrungen zeigen, dass das Abkommen gut funktioniert. Der an die EU-Mitgliedstaaten überwiesene Nettoertrag aus dem Steuerrückbehalt auf den Zinserträgen von EU-Steuerpflichtigen in der Schweiz belief sich 2008 auf 738,4 Millionen Franken. Zudem gingen 2008 über 43 000 Meldungen von EU-Steuerpflichtigen ein, die ihre Behörden freiwillig über die für sie bestimmten Zinszahlungen informieren liessen.

Die EU-Kommission legte am 15. September 2008 einen Zwischenbericht über die innerhalb der EU auf der Grundlage einer entsprechenden Richtlinie durchgeführte Zinsbesteuerung vor. Der Bericht stellte fest, dass sich die Zinsbesteuerungsrichtlinie in den Grenzen ihres Anwendungsbereichs als wirksam erwiesen habe. Gleichzeitig wurden Verbesserungen in Aussicht gestellt und am 13. November 2008 dem EU-Rat unterbreitet. Die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen fassen eine griffigere Besteuerung von Zinszahlungen ins Auge, die durch zwischengeschaltete Strukturen wie juristische Personen oder Rechtsvereinbarungen geleitet werden und bislang von steuerpflichtigen Nutzungsberechtigten für eine Umgehung der Zinsbesteuerung benutzt wurden. Zudem sollen zusätzlich innovative Finanzinstrumente von der Besteuerung erfasst werden, deren Zinsen oder ähnliche Erträge aus Wertpapieren stammen, die als mit Forderungen gleichwertig angesehen werden.

In diesem Zusammenhang hat die EU-Kommission am 18. Juni 2009 die Aktivierung der Revisionsklausel verlangt, um das technische Funktionieren des Zinsbesteuerungsabkommens zu verbessern sowie die internationalen Entwicklungen zu evaluieren. Die Schweiz hat dieser Anfrage stattgegeben; ein erstes Treffen ist im September 2009 geplant.

Forschung Die mehrjährigen Forschungsrahmenprogramme (FRP) sind das Hauptinstrument der EU zur Förderung der Forschung. Die Schweiz hat ihren Willen zu einer umfassenden Teilnahme an den FRP bereits zweimal bekräftigt: In den Bilateralen I war erstmals ein Assoziationsabkommen enthalten, das allerdings
auf die Laufzeit der 5. FRP beschränkt war. Zur Teilnahme an den 6. FRP (2002­2006) wurde mit Bundesbeschluss vom 18. Juni 2004 ein neues Abkommen genehmigt.

Im Hinblick auf die Programmgeneration der 7. FRP (2007­2013) musste die Schweiz ein weiteres Nachfolgeabkommen aushandeln. Dieses wurde am 25. Juni 2007 unterzeichnet. Es wurde per 1. Januar 2007 rückwirkend und provisorisch angewandt und ist am 28. Februar 2008 offiziell in Kraft getreten.

Die bisherige integrale Zusammenarbeit hat sich bewährt. Erfreulich ist insbesondere, dass gemäss einer Evaluation der Teilnahme an den 6. FRP ein über hundertprozentiger Rückfluss der von der Schweiz investierten Gelder erfolgte.

MEDIA In der Wintersession 2007 stellten die eidgenössischen Räte die Genehmigung des Abkommens über die Teilnahme der Schweiz am EG-Programm MEDIA für die Jahre 2007­2013 (MEDIA 2007) zurück. Anlass dazu war die im Abkommen vor6325

gesehene Verpflichtung, ab November 2009 das in der EU geltende sogenannte Herkunftslandprinzip in Bezug auf den freien Empfang und die ungehinderte Weiterverbreitung von Fernsehsendungen zu übernehmen.

In der Folge wurde der Bundesrat beauftragt, eine Lösung zu finden, die den Eigenheiten der Schweizer Gesetzgebung besser Rechnung trägt. Der Bundesrat arbeitete eine Lösung aus, die es der Schweiz erlaubt, gegenüber ausländischen Werbefenstern die strengeren Schweizer Vorschriften durchzusetzen, sofern diese im öffentlichen Interesse, nicht diskriminierend und verhältnismässig sind. Mit Beschluss vom 26. November 2008 schlug der Bundesrat dem Parlament die Annahme dieser neuen Regelung sowie eine Änderung des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) vor, sodass künftig alle Schweizer Fernsehveranstalter Werbung für leichte alkoholische Getränke ausstrahlen dürfen.

Die eidgenössischen Räte werden die Änderung des RTVG und die Teilnahme der Schweiz am EG-Programm MEDIA im Laufe dieses Jahres behandeln.

Bildung/Berufsbildung/Jugend Die Schweiz und die EU beabsichtigen, ihre Zusammenarbeit im Rahmen der EUBildungs-, Berufsbildungs- und Jugendprogramme in einem bilateralen Abkommen rechtlich abzusichern und zu einer vollberechtigten Schweizer Beteiligung auszubauen. Damit erhielten Personen aus der Schweiz einen gegenüber den EU-Partnern gleichberechtigten Zugang zu allen Programmaktivitäten. Dies würde zu einer deutlichen Steigerung der Schweizer Beteiligung am Studierenden- und Dozentenaustausch führen sowie eine erhöhte Anzahl Berufspraktika ermöglichen. Die Schweiz erhielte Einsitz (ohne Stimmrecht) in den strategischen Programmausschüssen, hätte Informationszugang sowie das Recht zur Mitgestaltung von Programminhalten. Schweizerinnen und Schweizer könnten Projekte initiieren und deren Leitung übernehmen. Die Kosten für die Schweizer Programmaktivitäten würden direkt aus dem relevanten EU-Programmbudget beglichen. Umgekehrt würde die Schweiz einen finanziellen Beitrag an das EU-Programmbudget leisten.

Die Schweiz nimmt gegenwärtig lediglich indirekt an den Programmen teil. Die Schweizer Institutionen können sich mit Bundesfinanzierung projektweise den Programmaktivitäten anschliessen, sofern der EU-Projektkoordinator oder die EU-Partnerinstitution mit dieser Zusammenarbeit einverstanden ist. Im Rahmen
der Bilateralen II bekräftigten die Schweiz und die EU in Form einer politischen Absichtserklärung ihren Willen, ein Abkommen über eine offizielle Beteiligung der Schweiz an der Programmgeneration 2007­2013 auszuhandeln.

Die Verhandlungen über das Abkommen wurden am 9. April 2008 aufgenommen und im Sommer 2009 konnte es paraphiert werden.

24-Stunden-Regel Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 führte die US-Administration neue Sicherheitsmassnahmen im Warenverkehr ein. Im Gegenzug beschloss die EU zur Sicherung ihrer Lieferketten, per 1. Juli 2009 die Pflicht zur Voranmeldung von grenzüberschreitenden Warentransporten im Verkehr mit Drittstaaten einzuführen (sog. «24-Stunden-Regel»). Mit der Einführung der Voranmeldepflicht entstünden im Warenverkehr zwischen der Schweiz und der EU erhebliche neue Handelshemmnisse, sind doch die EU und die Schweiz sowohl wirtschaftlich als auch verkehrstechnisch stark miteinander verflochten. Ein ungehinderter innereuropäischer 6326

Güterverkehr und eine rasche Grenzabfertigung sind für beide Seiten von vitaler Bedeutung. Die geplanten Sicherheitsmassnahmen hätten auch direkte Auswirkungen auf die EU-Transitachse durch die Schweiz: Aufgrund des damit verbundenen Mehraufwandes wäre mit zusätzlichen Staus und mit ökologisch bedenklichem Umwegverkehr zu rechnen.

Die Verhandlungen mit der EU wurden am 19. Juli 2007 eröffnet. Die Schweiz und die Europäische Kommission konnten sich auf einen Lösungsansatz einigen, der eine Behinderung des Warenhandels zwischen der Schweiz und der EU verhindern soll. Dieser sieht einen Einbezug der Schweiz in das europäische Sicherheitsdispositiv für den grenzüberschreitenden Warenverkehr ­ ähnlich der Lösung im Veterinärbereich ­ vor. Der Lösungsansatz umfasst im Wesentlichen die folgenden Punkte: gegenseitige Anerkennung der Sicherheitsstandards und Verzicht auf die Voranmeldepflicht im Handel Schweiz­EU; Einführung der Voranmeldepflicht sowie einer entsprechenden Risikoanalyse durch die Schweiz für den Warenverkehr mit Drittstaaten; Einführung des AEO-Status durch die Schweiz («Authorized Economic Operator», Status des zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten).

Das Verhandlungsergebnis berücksichtigt die wesentlichen Anliegen beider Parteien, namentlich auch was die Frage der Rechtsentwicklung betrifft. (s. hierzu Ziff. 3.2.1.6). Die Verhandlungen wurden im Februar 2009 abgeschlossen; die Unterzeichnung des Abkommens erfolgte am 25. Juni. Der Bundesrat hat am 13. Mai 2009 ­ vorbehältlich der Konsultation der aussenpolitischen Kommissionen ­ die vorläufige Anwendung des Abkommens beschlossen.

Erweiterungsbeitrag Mit ihrem finanziellen Beitrag zugunsten der neuen EU-Mitgliedstaaten anerkennt die Schweiz die Bedeutung der EU-Erweiterung als endgültigen Schritt zur Überwindung der europäischen Teilung und zur Gewährleistung von Sicherheit, Stabilität und Prosperität auf dem gesamten Kontinent, von der auch die Schweiz profitiert.

Am 26. November 2006 hiess das Schweizer Volk mit 53,4 % Ja-Stimmen das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas13 gut und schuf damit die rechtliche Grundlage für Beiträge der Schweiz zur Verminderung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU.

Der Beitrag an die EU-10 in Höhe von einer Milliarde Franken über eine
Verpflichtungsperiode von 5 Jahren kommt ausschliesslich den 10 neuen EU-Mitgliedstaaten von 2004 zugute. Er wird in Form von Projekten und Programmen umgesetzt, die die Schweiz in enger Zusammenarbeit mit ihren Partnern vor Ort auswählt und durchführt. Im Hinblick auf die Umsetzung der Projekte hat die Schweiz mit allen 10 Partnerstaaten bilaterale Kooperationsabkommen ausgehandelt und am 20. Dezember 2007 unterzeichnet. Im Laufe des ersten Halbjahres 2008 klärte die Schweiz mit den Partnerländern Verfahrensfragen und arbeitete verschiedene Abkommensformen für Projekte aus.

Am 1. Januar 2007 traten auch Bulgarien und Rumänien der EU bei. Damit wurde die bisherige Schweizer Transitionshilfe an diese Staaten sistiert. Mit Grundsatzentscheid vom 20. Februar 2008 sieht der Bundesrat eine Erhöhung des schweizerischen Beitrags an die erweiterte EU um 257 Millionen Franken zugunsten von Bulgarien und Rumänien vor. Am 5. Juni 2009 wurde die Botschaft zum Rahmen13

SR 974.1

6327

kredit für einen Beitrag an Bulgarien und Rumänien dem Parlament unterbreitet.

Nach Genehmigung des Rahmenkredits durch das Parlament sollen auch mit Bulgarien und Rumänien bilaterale Rahmenabkommen zur Umsetzung des Erweiterungsbeitrags ausgehandelt werden.

3.2.2.1.4

Ausbau der Beziehungen zur EU (Ziel 2)

Beschluss des Bundesrates vom 27. Februar 2008 Im Rahmen des Ausbaus der Beziehungen zur EU in neuen Bereichen von gemeinsamem Interesse stufte der Bundesrat nach Anhörung der interessierten Kreise eine Reihe von Dossiers als vorrangig ein, weil sie von erheblicher politischer oder wirtschaftlicher Bedeutung sind, weil sie in nächster Zeit geregelt werden müssen, weil die EU bereits Interesse an Verhandlungen bekundet hat und weil gegebenenfalls Aussicht auf das Zustandekommen einer Einigung besteht. Es handelt sich um die folgenden Dossiers: Eurojust, Elektrizität, Agrar- und Lebensmittelbereich, öffentliche Gesundheit, Europäische Verteidigungsagentur, Rahmenabkommen im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Austausch von Treibhausgasquoten, Galileo, REACH und schliesslich Versicherungen. Diese Dossiers werden im Folgenden detaillierter erläutert.

Eurojust Eurojust und die Schweiz unterzeichneten am Rande der Sitzung des Rates der Justiz- und Innenminister der EU vom 27. November 2008 ein Kooperationsabkommen. Die EU-Einrichtung soll als Vermittlerin die Rahmenbedingungen für eine optimale Zusammenarbeit zwischen den nationalen Strafjustizbehörden schaffen und eine effizientere Verfolgung und Ahndung von Straftaten ermöglichen. Das Abkommen stellt die bereits bestehende fallweise Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Eurojust auf eine vertragliche Grundlage und wird zur besseren und effizienteren Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und des Terrorismus beitragen. Das Abkommen baut die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres aus. Der Bundesrat wird nun dem Parlament die Ratifikationsbotschaft unterbreiten.

Elektrizität Ziel eines Abkommens mit der EU im Bereich Elektrizität ist es, durch verbindliche Regeln die Rolle der Schweiz als Drehscheibe im europäischen Strommarkt langfristig zu festigen. Das Abkommen soll zur Versorgungssicherheit in einem liberalisierten Umfeld und zu einem gut funktionierenden europäischen Elektrizitätsmarkt beitragen. Mit Blick auf die Schweizer Wasserkraft soll zudem die gegenseitige Anerkennung für Herkunftsnachweise für Strom aus erneuerbaren Energiequellen erreicht werden.

Die Verhandlungen mit der EU wurden am 8. November 2007 in Brüssel eröffnet.

Gegenstand der Verhandlungen sind einerseits die Themen Versorgungssicherheit,
grenzüberschreitender Stromhandel sowie gegenseitiger Marktzugang. Andererseits sollen auch gewisse Umweltbestimmungen, die für den Strombereich relevant sind, in das Abkommen aufgenommen werden. An der letzten Verhandlungsrunde wurden zwei Arbeitsgruppen beauftragt, einen Rechtsvergleich in den oben erwähnten Verhandlungsbereichen zu erarbeiten. Für die Schweiz bildet dabei das am 1. Januar 6328

2008 beinahe vollumfänglich in Kraft getretene Stromversorgungsgesetz die Basis für den Vergleich.

Agrar- und Lebensmittelbereich, öffentliche Gesundheit, Produktesicherheit Während für Industriewaren im bilateralen Verhältnis zur EU mit dem Freihandelsabkommen von 1972 bereits seit 35 Jahren Zollfreiheit besteht, ist der Handel mit Agrarprodukten und Lebensmitteln erst teilweise liberalisiert. Bei einer Öffnung des Marktes soll sich die Schweiz zum Schutz vor Gesundheitsgefahren an den europäischen Risikobewertungsbehörden sowie an den Früh- und Schnellwarnsystemen beteiligen können. Der Bereich Gesundheit ist von den bestehenden bilateralen Verträgen nur marginal betroffen.

Der Bundesrat hat am 27. August 2008 nach Konsultationen der parlamentarischen Kommissionen und der Kantone das Mandat bestätigt, das er am 14. März 2008 für Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU im Agrar- und Lebensmittelbereich, bei der Produktesicherheit sowie im Gesundheitsbereich verabschiedet hatte.

Die Verhandlungen wurden am 4. November 2008 eröffnet. Einerseits geht es im Bereich der Gesundheit um eine Teilnahme der Schweiz an den beiden Risikobewertungsbehörden (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA und Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, ECDC), an den Früh- und Schnellwarnsystemen für Lebens- und Futtermittel (RASFF), für alle gefährlichen Konsumgüter (RAPEX) und für übertragbare Krankheiten (EWRS), sowie um eine Teilnahme der Schweiz am Gesundheitsprogramm (HP).

Andererseits muss das Abkommen alle Stufen der ernährungswirtschaftlichen Produktionskette einbeziehen (Landwirtschaft einschliesslich der vor- und nachgelagerten Sektoren) und sowohl die tarifären (Zölle, Zollkontingente) als auch die nichttarifären Handelshemmnisse abbauen, damit eine breite Marktöffnung im Agrar- und Lebensmittelbereich ihre volle positive Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft entfalten kann,. Das Abkommen ginge folglich über eine reine Weiterentwicklung der bestehenden bilateralen Verträge im Agrarbereich (Landwirtschaftsabkommen, Protokoll Nr. 2 zum Freihandelsabkommen von 1972) hinaus und würde klare Langzeitperspektiven für die Schweizer Landwirtschaft, die Verarbeitungsindustrie und den Handel eröffnen. Der Abbau des
Grenzschutzes stellt die Landwirtschaft jedoch vor erhebliche Herausforderungen. Damit die neuen Marktchancen wahrgenommen und die betroffenen Betriebe bei der Neuausrichtung unterstützt werden können, muss der Freihandel schrittweise eingeführt und von flankierenden Massnahmen begleitet sein.

Europäische Verteidigungsagentur (EVA) Die multilaterale Rüstungskooperation in Europa findet heute vorwiegend im Rahmen der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) statt, die ihre Tätigkeit Ende 2004 aufnahm. Für die Schweiz ist eine verstärkte internationale Kooperation und Vernetzung im Rüstungsbereich aus sicherheits- und finanzpolitischen Gründen eine Notwendigkeit. Zudem können unsere Rüstungsindustrie sowie unsere Forschungsund Technologieinstitutionen ihr Knowhow nur erhalten, wenn sie die Möglichkeit zur internationalen Kooperation haben.

Aus diesen Gründen beschloss der Bundesrat im Frühjahr 2008, dass die Schweiz die Zusammenarbeit mit der EVA anstreben soll. Zu diesem Zweck möchte er mit der EVA eine sogenannte administrative Vereinbarung abschliessen. Diese Vereinbarung ermöglicht der Schweiz den Informationsaustausch mit der EVA, um auf 6329

diese Weise Rüstungsprojekte und -programme zu identifizieren, an denen sich die Schweiz beteiligen könnte. Das Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen zum Abschluss einer administrativen Vereinbarung mit der EVA wird derzeit vorbereitet.

Rahmenabkommen im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) Die Europäische Union hat sich seit 2003 zu einer immer wichtigeren Akteurin auf dem Gebiet der Friedensförderung entwickelt. Im Rahmen ihrer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) hat sie inzwischen zahlreiche zivile und militärische Friedensförderungsmissionen inner- und ausserhalb Europas durchgeführt. Die Schweiz beteiligt sich an mehreren EU-Friedensförderungsmissionen. Die europäischen Staaten, aber auch die Schweiz, stehen vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen, wie etwa der Piraterie, die im Golf von Aden für alle humanitären und kommerziellen Schiffe bedrohliche Ausmasse angenommen hat (s. Ziff. 3.4.1.2).

Bisher musste die Schweiz jeweils für die Beteiligung an jeder dieser Friedensförderungsmissionen ein spezielles Abkommen mit der EU abschliessen. Ein solches Rahmenabkommen würde die grundsätzlichen Modalitäten regeln, die für alle Einsätze der Schweiz in zivilen und militärischen Friedensförderungsoperationen der EU gelten. Die EU hat die Schweiz bereits im Herbst 2004 zum Abschluss eines Rahmenabkommens eingeladen. Der Bundesrat wird zu gegebenem Zeitpunkt prüfen, ob eine Aufnahme von Verhandlungen für ein Rahmenabkommen zur Beteiligung der Schweiz an Friedensförderungsmissionen der EU zweckmässig ist.

Durch den Abschluss eines solchen Abkommens wird die Beteiligung unseres Landes an Friedensförderungsmissionen der EU in keiner Weise präjudiziert. Es ist Sache der Schweiz, im Einzelfall zu entscheiden, ob die Teilnahme opportun ist.

Austausch von Treibhausgasquoten Um von der im Rahmen des CO2-Gesetzes per 1. Januar 2008 eingeführten CO2Abgabe auf Brennstoffen befreit zu werden, können sich Unternehmen über verbindliche Emissionsreduktionsverpflichtungen am Schweizer Emissionshandelssystem (EHS) beteiligen. Dieses nationale EHS soll in Zukunft mit dem seit 2005 operativen europäischen EHS verknüpft werden.

Am 30. April 2008 fanden in Brüssel exploratorische Gespräche mit der EU-Kommission statt. Dabei hat sich bestätigt, dass eine
Verknüpfung der beiden Systeme technisch grundsätzlich realisierbar ist. Allerdings stehen verschiedene Probleme einer raschen Verknüpfung derzeit noch im Weg. Einerseits sind die Systeme momentan noch sehr unterschiedlich ausgestaltet, wie etwa hinsichtlich der Freiwilligkeit des schweizerischen und der Verbindlichkeit des europäischen EHS. Andererseits wird derzeit auf internationaler Ebene die Klimapolitik für die Zeit nach 2012 definiert, was sowohl in der Schweiz wie in der EU eine Revision der bestehenden EHS nach sich ziehen wird.

Galileo und EGNOS Die zunehmende Bedeutung von satellitengestützten Anwendungen für die Umsetzung ihrer sektoriellen Politiken hat die EU dazu bewogen, gemeinsam mit der ESA (European Space Agency, Europäische Weltraumorganisation) entsprechende Programme zu lancieren (s. auch Ziff. 3.2.2.3.6). Beim ersten dieser gemeinsamen 6330

Programme handelt es sich um EGNOS («European Geostationary Navigation Overlay Service») und Galileo mit dem Ziel, durch den Aufbau von europäischen Infrastrukturen im Bereich der Satellitennavigation der faktischen Abhängigkeit der europäischen Benutzerinnen und Benutzer vom US-amerikanischen «Global Positioning System» (GPS) ein Ende zu setzen. Die ersten Phasen dieser Programme, einschliesslich deren Finanzierung, wurden vorwiegend im ESA-Rahmen abgewickelt. Die Projektverantwortung und wichtige Entscheidungskompetenzen wurden in den letzten Jahren schrittweise der EU übertragen. Bei solchen Übertragungen liegt die Herausforderung in der Anerkennung der spezifischen Rolle der Schweiz als ESA-Mitglied. Sie hat zudem ein Interesse daran, sich an die entsprechenden EU-Programme zu assoziieren. Dadurch wahrt sie einerseits die Möglichkeit eines gleichberechtigten Zugangs zu den vielfältigen Diensten der Systeme. Andererseits erhöht eine Assoziation die Chance der schweizerischen Raumfahrt- und Dienstleistungsindustrie, bei den bereits begonnenen Auftragsvergaben berücksichtigt zu werden. Schliesslich eröffnet sich die Schweiz durch eine Assoziation gewisse Einsitz- und Mitbestimmungsrechte.

Die Bundesverwaltung hat in den letzten zwei Jahren die Sondierungsgespräche zur Vorbereitung der offiziellen Verhandlungen fortgeführt. Aufgrund EU-seitiger Verzögerungen sind die Voraussetzungen für eine Verhandlungsaufnahme erst seit kurzem gegeben. Der Bundesrat hat das Verhandlungsmandat am 13. März 2009 genehmigt.

Die Verhandlungen für ein erstes, ausbaufähiges Abkommen werden voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 aufgenommen.

REACH Am 1. Juni 2007 ist in der EU die REACH-Verordnung («Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals», Verordnung [EG] Nr. 1907/2006) in Kraft getreten mit dem Ziel, die Verwendung von Chemikalien für Mensch und Umwelt sicherer zu machen. Seit dem Inkrafttreten des neuen Registrierungsverfahrens der REACH-Verordnung in der EU am 1. Juni 2008 existieren substanzielle Unterschiede zwischen dem Schweizer Chemikalienrecht und der Chemikaliengesetzgebung der EU. Dies führt zu erheblichen Handelshemmnissen. Zudem könnte das Schutzniveau für Mensch und Umwelt in der Schweiz mittel- bis längerfristig hinter demjenigen der EU zurückbleiben. Der
Bundesrat will daher Möglichkeiten und Rahmenbedingungen einer Zusammenarbeit mit der EU, namentlich mit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) in Helsinki im Bereich Chemikalienkontrolle evaluieren.

Zu diesem Zweck beauftragte der Bundesrat die Verwaltung am 29. Oktober 2008, exploratorische Gespräche mit der EU aufzunehmen. Erste Gespräche mit der EU Kommission fanden im ersten Halbjahr 2009 statt. Parallel dazu ist eine Überprüfung des schweizerischen Chemikalienrechts angezeigt.

Klärungsbedürftig sind insbesondere die Eckwerte eines allfälligen Abkommens mit der EU, die Marktzugangsbedingungen für schweizerische Exporte sowie die Kosten. Die Verwaltung wurde beauftragt, dem Bundesrat im zweiten Halbjahr 2009 über die Ergebnisse der Exploration mit der EU zu berichten und aufzuzeigen, welche Auswirkungen insbesondere für die Wirtschaft sowie Bund und Kantone damit verbunden wären.

6331

Versicherungen Das 1993 in Kraft getretene Versicherungsabkommen zwischen der Schweiz und der EU gewährt eine teilweise Öffnung der Versicherungsmärkte auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung. Vom Abkommen ausgenommen sind z.B. Rückversicherungen, Lebensversicherungen und die grenzüberschreitende Erbringung einer Versicherungsdienstleistung. Aufgrund dieser Einschränkungen fehlt es der Schweizer Versicherungsbranche am ungehinderten Zugang zu zunehmend lukrativen und sich internationalisierenden Segmenten der Assekuranz.

Gemäss Entscheid des Bundesrates vom 27. Februar 2008 sollen verwaltungsinterne Vorbereitungen im Hinblick auf ein allfälliges Verhandlungsmandat über eine weitere Annäherung der Versicherungsmärkte eingeleitet werden. Ein Rechtsvergleich zwischen dem einschlägigen schweizerischen und gemeinschaftlichen Aufsichtsrecht soll bis Ende 2009 abgeschlossen werden. Zudem wird eine Auswertung von Studien Dritter über den potenziellen Nutzen einer horizontalen und/oder vertikalen Erweiterung des Versicherungsabkommens vorgenommen. Diese Arbeiten werden als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen dienen.

Steuerkontroverse Anders als die vorstehend genannten Themen gehört das Thema Steuerkontroverse weder zu den Zielen des Bundesrats noch zu den vorrangigen Dossiers, über die er mit der EU verhandeln will. Die Steuerkontroverse ist ein Sonderfall, doch da sie eine der Entwicklungen in unseren Beziehungen zur EU ist, gehört sie in diese Ziffer des vorliegenden Berichts.

Nachdem die EU die aufgrund der Vorgaben des schweizerischen Steuerharmonisierungsgesetzes in den Kantonen praktizierte Besteuerung von gewissen Unternehmen wie Holding- und Verwaltungsgesellschaften mehrmals kritisiert hatte, informierte die EU-Kommission die Schweiz im Februar 2007 über ihren einseitig gefassten Entscheid, wonach die kantonalen Steuerregimes staatlichen Beihilfen gleichkämen, die mit dem guten Funktionieren des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Schweiz von 1972 unvereinbar seien. Der Bundesrat wies die Interpretation der EU als unbegründet zurück und lehnte die von der EU gewünschten Verhandlungen ab. Nach Auffassung des Bundesrates stellt das Freihandelsabkommen, das ausschliesslich den Warenhandel betrifft, kein Instrument für eine eventuelle Harmonisierung der
Fiskal- oder Wettbewerbspolitik dar. Die EU-internen Regeln über staatliche Beihilfen sind in der Schweiz nicht anwendbar. Der Bundesrat zeigte sich jedoch zu einem Dialog mit der EU bereit, um die gegenseitigen Standpunkte auszutauschen und technische Aspekte zu vertiefen.

Der Bundesrat beschloss Ende 2008, eine weitere Unternehmenssteuerreform in die Wege zu leiten. Er will damit die Position der Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb stärken und die Wachstumsaussichten des Landes erhöhen. Nebst verschiedenen Massnahmen zur Beseitigung von steuerlichen Hindernissen für Unternehmen sollen auch gewisse Anpassungen hinsichtlich der kantonalen Steuerregime vorgenommen werden. Sie tragen auch den Anliegen der EU Rechnung und stärken somit die internationale Anerkennung dieser Gesellschaften.

6332

3.2.2.1.5

Konsolidierung der Beziehungen zur EU (Ziel 3)

Eines der Ziele der Europapolitik des Bundesrats ist die Konsolidierung der bilateralen Zusammenarbeit. Sie soll die Rechtssicherheit des gesamten Netzes der bilateralen Abkommen gewährleisten und damit sein Bestehen sicherstellen. Dieses Ziel könnte gegebenenfalls durch den Abschluss eines Rahmenabkommens mit der EU weiterverfolgt werden.

Die Idee eines solchen Abkommens, das Rahmenregelungen für alle bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU enthalten würde, ist nicht neu. Auf Schweizer Seite wurde sie bereits mehrmals angesprochen, namentlich im Bericht der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates vom 18. März 2002 über die Optionen der schweizerischen Integrationspolitik14; im Rahmen der Interpellation Polla vom 21. Juni 2002 «Verbesserung der Beziehungen Schweiz/EU»15 und der Antwort des Bundesrates vom 20. September 2002; im Rahmen des Postulats Stähelin vom 5. Oktober 2005 «Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der EU»16; im Rahmen des Europaberichts des Bundesrates vom 28. Juni 200617; in einer Mitteilung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates vom 1. September 200618, im Rahmen der Interpellationen Briner (Ständerat) und FDP-Fraktion (Nationalrat) vom 7. Dezember 2006 «Innenpolitische Sicherung des Acquis bilatéral»19 und der Antworten des Bundesrats vom 14. Februar 2007 und im Bundesbeschluss vom 18. September 200820 über die Legislaturplanung 2007­2011, der das vom Bundesrat vorgeschlagene Ziel einer «Konsolidierung der Beziehungen zur EU» durch Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen ergänzte. Schliesslich äusserte sich der Bundesrat erst kürzlich zum Thema eines allfälligen Rahmenabkommens in seinen Antworten vom 13. Mai 2009 beziehungsweise vom 20. Mai 2009 auf die beiden Interpellationen Fehr «Wie weiter mit der EU» (eingereicht am 18. März 2009)21 und der Fraktion der SVP «Rahmenabkommen mit der EU zur Stärkung des Automatismus» (eingereicht am 20. März 2009)22.

Auf Seiten der EU wurde das Interesse am Abschluss eines solchen Abkommens von Mitgliedern der Europäischen Kommission und hohen Beamten wiederholt zum Ausdruck gebracht. In seinen Schlussfolgerungen zu den Beziehungen der EU zu den Mitgliedstaaten der EFTA vom 8. Dezember 2008 begrüsste der Rat der EU die Debatte der eidgenössischen Räte über ein Rahmenabkommen. Der Präsident der Europäischen
Kommission bekräftigte bei seinem Treffen mit Bundespräsident Pascal Couchepin am 15. Dezember 2008 das Interesse der EU an der Aufnahme von Gesprächen.

Der Bundesrat hat sich bisher noch nicht über die Opportunität eines Rahmenabkommens geäussert. Er wird seine Haltung festlegen, sobald alle Entscheidungselemente vorliegen.

14 15 16 17 18 19 20 21 22

BBl 2002 6326 02.3374 05.3564 BBl 2006 6815 www.pd.admin.ch/d/mm/2006/seiten/mm_2006-09-01_070_01.aspx 06.3659 und 06.3651 BBl 2008 8543 09.3172 09.3249

6333

3.2.2.1.6

Übernahme des «Acquis communautaire» und rechtlicher Neuerungen

Die EU fordert in verschiedenen Dossiers eine weitergehende Verpflichtung der Schweiz zur Übernahme von Entwicklungen des für die Abkommen Schweiz­EU relevanten «Acquis communautaire». Nach Ansicht der Europäischen Kommission verursachen die bisherigen Vereinbarungen mit der Schweiz einen grossen Aufwand bei der Aushandlung und Nachführung der bilateralen Abkommen. Zudem stellt sie eine wachsende Distanz zwischen dem anwendbaren Recht im Binnenmarkt und mit der Schweiz fest. Eine weitergehende Verpflichtung der Schweiz zur Übernahme der Entwicklungen des relevanten «Acquis communautaire» ist für die EU daher Bedingung des Vertragsabschlusses. Konkret hat die EU verschiedentlich Vertragsbestimmungen vorgeschlagen, die ein automatisches Dahinfallen oder eine automatische Sistierung der Abkommen in den Fällen vorsehen, in denen die Schweiz die erforderliche Anpassung nicht vornehmen kann oder will. Derartige Automatismen greifen in die Souveränität der Schweiz ein und widersprechen dem Bedürfnis der Wirtschaftsteilnehmer nach einer stabilen, rechtssicheren Basis der Handelsbeziehungen Schweiz­EU.

Im Sinne eines ausgewogenen Interessenausgleichs, der sowohl dem guten Funktionieren der Abkommen Rechnung trägt als auch die Souveränität der Schweiz respektiert, orientiert sich die Schweiz an den folgenden Prinzipien (die beispielsweise im Rahmen der Änderung des Abkommens über die Erleichterung der Kontrollen und Formalitäten im Güterverkehr angewandt wurden, um das Problem der sog.

«24-Stunden-Regel» zu lösen): a)

Die Schweiz ist bereit zu akzeptieren, dass sich die Verhandlungen auf den relevanten EU-Acquis stützen, sofern die Abkommen die schweizerische Souveränität respektieren (jedoch kein Automatismus).

b)

Die Übernahme des relevanten «Acquis communautaire» in unsere Abkommen muss durch eine angemessene Teilnahme an der Entscheidfindung («decision shaping») im Bereich des Abkommens, d.h. an der Arbeit der zuständigen Ratsarbeitsgruppen, Komitologie-Ausschüsse (EU-Ausschüsse, die den Acquis weiterentwickeln) und Expertengruppen, ausgeglichen werden.

c)

Der vorgesehene Mechanismus muss eine Anpassung der Abkommen an die Weiterentwicklung des «Acquis communautaire» erlauben, die Fristen müssen jedoch der Dauer der in der schweizerischen Rechtsordnung vorgesehenen Verfahren Rechnung tragen.

d)

Vertragsanpassungen müssen immer in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen.

e)

Kann die Schweiz den Weiterentwicklungen des relevanten «Acquis communautaire» ausnahmsweise nicht Rechnung tragen und besteht die EU darauf, für diesen Fall Ausgleichsmassnahmen ergreifen zu können, so dürfen diese nicht über das Mass hinausgehen, das notwendig ist, um das Gleichgewicht des jeweiligen Abkommens aufrechtzuerhalten; die Verhältnismässigkeit dieser Massnahmen kann in einem Schiedsverfahren überprüft werden.

Ziel ist es, diese Grundsätze in laufenden und künftigen Verhandlungen erfolgreich einfliessen zu lassen.

6334

3.2.2.1.7

Perspektiven

Die Schweiz hat den bilateralen Weg bewusst und in voller Kenntnis der Vor- und Nachteile gewählt. Im Europabericht 2006 kam der Bundesrat zum Schluss, dass sich der bilaterale Weg bewährt hat, da er auf der einen Seite eine intensive, lösungsorientierte Zusammenarbeit ermöglicht und gleichzeitig der Schweiz eigene Handlungsspielräume offen lässt. Die deutliche Zustimmung des Stimmvolkes zur Weiterführung des Personenfreizügigkeitsabkommens ­ dem Fundament unserer bilateralen Verträge ­ vom 8. Februar 2009 bestätigt, dass diese Einschätzung nach wie vor Gültigkeit hat und eine breite Unterstützung in der Bevölkerung geniesst.

Der Bundesrat hielt im Europabericht 2006 fest, dass der bilaterale Weg das beste Instrument der Interessenwahrung gegenüber der EU darstellt, sofern die Teilnahme an der Entscheidfindung (Bedingung 1) und die aussenpolitische Machbarkeit (Bedingung 2) gewährleistet sowie die notwendigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Bedingung 3) erfüllt sind. Die seither gemachten Erfahrungen zeigen, dass der Erfolg des bilateralen Weges von diesen Bedingungen abhängt. Ob diese weiterhin erfüllt bleiben, ist keineswegs gesichert. Die Schweiz kann mit den ihr zur Verfügung stehenden aussenpolitischen Instrumenten beitragen, dass diese Bedingungen weiterhin erfüllt bleiben.

Bedingung 1: Teilnahme an der Entscheidungsfindung Der bilaterale Weg der Schweiz schliesst ein Mitentscheidungsrecht in EU-Gremien definitionsgemäss aus, bietet aber in unterschiedlichem Ausmass Möglichkeiten zur Mitgestaltung bei der Weiterentwicklung des EU-Rechts. Umso mehr muss in dem Masse, in dem sich die Schweiz in Abkommen verpflichtet, EU-Rechtsentwicklungen in das bilaterale Verhältnis zu übernehmen, eine adäquate Mitwirkung der Schweiz an der Erarbeitung des neuen Rechts sichergestellt sein. Bei der Überführung dieses neuen Rechts in das Verhältnis Schweiz-EU muss die innerschweizerische Kompetenzordnung bis hin zur Möglichkeit der Durchführung von Referenden gewahrt bleiben.

Die Konsequenzen für den Fall, dass es im Zuge der Weiterentwicklung des EU-Rechts zu Divergenzen mit dem in der Schweiz anwendbaren Recht kommt, sind so auszugestalten, dass sie stets darauf abzielen, die Zusammenarbeit im betreffenden Sektor weiterführen zu können. Automatische Kündigungsklauseln sind nicht sachgerecht und stellen
ein Risiko für die Rechtssicherheit dar. Die Schweiz hat aber auch ein Interesse daran, dass die vertraglichen Beziehungen stets flexibel neuen Bedürfnissen angepasst werden können.

Die Schweiz muss beim Abschluss von neuen Verträgen mit der EU stets einen institutionellen Ansatz verfolgen, der ihr die bestmöglichen Mitwirkungsrechte sichert.

Als Nichtmitglied der EU verfügt die Schweiz in Bereichen, in denen keine vertraglichen Beziehungen mit der EU bestehen, über Handlungsspielräume, die sie so nutzen kann, dass in ihrer Beurteilung vorteilhafte, vom EU-Recht abweichende Lösungen resultieren.

Die Erfahrung zeigt indessen, dass die EU, sofern sie ihre eigenen Interessen durch die eigenständigen Politiken der Schweiz tangiert sieht, von der Schweiz die Einhaltung der EU-Standards fordert. Ein Beispiel hierfür ist die Kritik der EU an den 6335

Regeln für die kantonale Unternehmensbesteuerung. Generell kann festgestellt werden, dass mit der Verschärfung des globalen Wettbewerbs und dem entschiedeneren Auftreten von einzelnen Machtblöcken der Handlungsspielraum für autonome Politiken der Schweiz enger wird.

In Bereichen, in denen keine vertraglichen Abmachungen zwischen der Schweiz und der EU bestehen, sind die Handlungsspielräume daher so auszunutzen, dass sie den schweizerischen Interessen bestmöglich entsprechen. Die politischen Grenzen dieser Handlungsspielräume sind jeweils genau abzuschätzen.

Bedingung 2: Aussenpolitische Machbarkeit Europapolitik ist keine Einbahnstrasse: bei allen sich stellenden Problemen ist stets ein Interessenausgleich anzustreben. Die EU verfolgt bei ihrer Interessenwahrung gegenüber der Schweiz einen gesamtheitlichen Ansatz, den sie unter das Stichwort «Parallelismus» stellt. Die Schweiz ihrerseits strebt durch eine enge Koordination aller EU-Dossiers eine möglichst optimale Interessenwahrung an. Auf diese Weise lassen sich bei einem partnerschaftlichen Umgang für beide Seiten die bestmöglichen Resultate erreichen.

Für die Schweiz gilt insgesamt, dass Forderungen an die EU realistisch sein müssen und dass die Bereitschaft besteht, auch Anliegen der EU angemessen zu berücksichtigen. Dies erlaubt es der Schweiz, ihre eigenen Forderungen an die EU konsequent und wirkungsvoll zu vertreten.

Die Schweiz trägt durch ihre Zusammenarbeit mit der EU, aber auch durch eigenständige Anstrengungen wie etwa dem Bau einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur oder ihre Unterstützung für die neuen Mitgliedstaaten solidarisch zum Erreichen gemeinsamer europäischer Ziele bei. Dazu gehört insbesondere auch ihr aussen- und sicherheitspolitisches Engagement. Auch dieses kann sowohl direkt in Zusammenarbeit mit der EU ­ etwa durch die Sicherheitszusammenarbeit im Balkan oder die Teilnahme an der Operation Atalanta zum Schutz der Schifffahrt vor Piraterie ­ erfolgen als auch durch eigenständige Beiträge der Schweiz, etwa im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit oder der Friedensförderung. Die Schweiz versteht sich als solidarische Partnerin auf dem europäischen Kontinent und leistet dazu namhafte Beiträge.

Bedingung 3: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Die Entwicklungen im Zuge der weltweiten Finanzmarktkrise haben uns mit
aller Deutlichkeit vor Augen geführt, wie rasch sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern können. Diese Entwicklungen haben nicht zuletzt auch Auswirkungen auf das internationale regulatorische Umfeld. Eine der Konsequenzen der Änderungen im regulatorischen Umfeld besteht in der Einengung des Handlungsspielraums der Schweiz zur Wahrung der Finanzplatzinteressen. Es gilt, die in der Schweiz geltenden Rahmenbedingungen und die vertraglichen Beziehungen mit der EU so auszugestalten, dass die Standortvorteile erhalten und gestärkt werden. Bestehende und potenzielle gegenseitige Marktzutrittshindernisse sind deshalb genau zu identifizieren und mögliche Massnahmen zu deren Beseitigung eingehend zu prüfen.

Die Schweiz kann mit einer engagierten, proaktiven Politik dazu beitragen, dass die Bedingungen für ein erfolgreiches Beschreiten des bilateralen Weges weiterhin erfüllt sind. Eine weitere Intensivierung der bilateralen Zusammenarbeit ist daher grundsätzlich möglich. Allerdings stellt sich ­ auch wenn es gelingt, in neuen 6336

Abkommen vorteilhafte institutionelle Mitwirkungsmöglichkeiten der Schweiz festzuschreiben ­ bei zunehmendem Bedarf nach einer möglichst umfassenden Zusammenarbeit die Frage nach den Grenzen des bilateralen Weges. Diese dürften dort liegen, wo die Möglichkeiten der Schweiz, auf die für sie entscheidenden Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen, geringer sind, als in einem anderen Szenario.

Oder anders ausgedrückt: Der bilaterale Weg darf nicht zu einer de facto-Mitgliedschaft ohne Stimmrecht führen. Gleichzeitig muss aber auch verhindert werden, dass die Schweiz aus souveränitätspolitischen Überlegungen in eine schlechtere Stellung im globalen Wettbewerb gerät.

Ergibt sich in Zukunft aus politischen und/oder wirtschaftlichen Gründen eine Notwendigkeit für umfassende neue Integrationsschritte ist somit die Frage nach dem geeigneten Instrument ­ und dazu gehört auch ein Beitritt ­ zu stellen.

Die EU steht­ so wichtig sie auch sein mag ­ nicht für ganz Europa. Ihre Mitgliedstaaten, die anderen europäischen Länder und die regionalen Organisationen spielen für die Schweiz auch weiterhin eine bedeutende Rolle, und deshalb müssen wir unsere bilateralen Beziehungen zu ihnen pflegen. Diese Beziehungen sind Gegenstand der folgenden Ziffer.

3.2.2.2

Beziehungen zu den europäischen Staaten

3.2.2.2.1

Nachbarländer und Mitgliedstaaten der EU

Immer mehr europäische Staaten haben die Ausübung einzelner Souveränitätsrechte an supranationale Instanzen übertragen. Im Fall der EU-Mitgliedstaaten sind diese Instanzen der Rat, das Parlament und die Kommission, im Fall der Länder der EuroZone die Europäische Zentralbank. Bei den grundlegenden Zuständigkeiten ­ darunter Aussenpolitik, Verteidigung und Steuern ­ bedarf es auch weiterhin einstimmiger Beschlüsse der Staaten, indes können die kleineren Staaten ihr Vetorecht nicht unbegrenzt geltend machen. Die Umsetzung der Entscheidungen und Politiken der Gemeinschaft setzt das Vorhandensein leistungsfähiger staatlicher Strukturen voraus. Es hat sich gezeigt, dass selbst in einem integrierten Güter-, Arbeits-, Dienstleistungs- und Kapitalmarkt während einer Wirtschaftskrise die schnellsten Reaktionen vom Staat kommen, der namentlich steuerliche und haushaltspolitische Massnahmen ergreift. Im Übrigen ist die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten eingebunden in ein System des gegenseitigen Schutzes in Form eines Militärbündnisses, der NATO. Das mächtigste Mitglied dieses Bündnisses ist ein aussereuropäischer Staat, und auch Länder, die nicht der EU angehören, geniessen den gleichen Schutz wie EU-Mitglieder.

In diesem Umfeld muss die Schweiz auch weiterhin ihre Interessen wahren und ihre Zukunft als Staat und als Gesellschaft gestalten. Wie es ihrer föderalistischen Tradition entspricht, bemüht sich die Schweiz gemeinsam mit ihren Nachbarländern beständig um Gleichgewichte und Kompromisse, die ihre Besonderheiten erhalten und sie zugleich aufnahmefähiger für Lösungen machen, die dem wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt förderlich sind.

Die europäischen Staaten sind von zentraler Bedeutung für die Wahrung der Interessen der Schweiz. Über 60 % der Schweizer Güterexporte gehen in die EU-Staaten, 6337

und über 80 % unserer Importe stammen aus diesen Ländern (siehe Ziff. 3.2.2.1). Im Dienstleistungsbereich besteht ein ähnliches Bild. 400 000 Schweizerinnen und Schweizer, das sind rund 60 % aller Schweizerinnen und Schweizer im Ausland, wohnen und arbeiten in EU-Ländern. Umgekehrt leben über 900 000 Bürgerinnen und Bürger aus EU-Staaten in der Schweiz (siehe auch Ziff. 4.4). Dazu kommen 200 000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus unseren Nachbarstaaten.

Die Intensivierung unserer Zusammenarbeit mit der EU bringt einen verstärkten bilateralen Abstimmungs- und Zusammenarbeitsbedarf mit den einzelnen europäischen Staaten mit sich, insbesondere mit unseren Nachbarstaaten. Zudem ist es für die Schweiz zur Verfolgung ihres bilateralen Wegs mit der EU wesentlich, intensive Kontakte mit den einzelnen Mitgliedsländern zu pflegen und in den europäischen Hauptstädten Verständnis und Unterstützung für den bilateralen Weg zu schaffen.

Es kommt hinzu, dass die europäischen Staaten ­ in kooptierten Gruppen wie der G-8 oder der G-20, durch die EU gegenüber grossen Partnern in aller Welt oder auch wie Frankreich und das Vereinigte Königreich im UNO-Sicherheitsrat ­ in internationalen Angelegenheiten einen gewissen Einfluss ausüben. Die Solidarität unter den Mitgliedern der EU oder denjenigen der NATO führt dazu, dass die Schweiz im Hinblick auf die strategische Versorgung und die militärische Sicherheit weitgehend von ihren europäischen Nachbarn abhängig ist.

Die bilaterale Aussenpolitik und die Tätigkeit der Botschaften und Generalkonsulate vor Ort sind die wichtigsten Elemente der Förderung der Schweizer Interessen bei unseren europäischen Nachbarn. Die Kenntnis des Kontextes und der politischen Verhältnisse in jedem Staat sowie die Fähigkeit, Netzwerke aufzubauen, die sich für eine systematische Förderung des Erscheinungsbildes der Schweiz und die Wahrung ihrer Interessen eignen, sind für unser Land wie auch für die Mitgliedstaaten der EU untereinander unerlässliche Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit in einem wettbewerbsintensiven internationalen Umfeld. Die Fähigkeit der Schweiz, Probleme bereits im Vorfeld zu lösen oder Verhandlungen in einer für alle Beteiligten vorteilhaften Weise zum Abschluss zu bringen, ist weitgehend von der Beständigkeit und der guten Koordination der relevanten
Schweizer Behörden und Akteure abhängig. Dies gilt insbesondere bei den Gesprächen über eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit der EU sowie bei den grenzüberschreitenden Beziehungen. Der Dialog zwischen Regierungsmitgliedern und zwischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern muss systematisch weiterentwickelt werden, um die Tatsache zu kompensieren, dass die Schweiz an den meisten Tagungen, an denen die Vertreterinnen und Vertreter aller Nachbarstaaten Woche für Woche teilnehmen, nicht vertreten ist. Was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft, so finden die Gespräche der Departementsvorsteherin und des Staatssekretärs eine Fortsetzung in den regelmässigen Konsultationen, die die Vertreterinnen und Vertreter der Schweiz vor Ort und von der Zentrale aus mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den europäischen Ländern halten. Diese politischen Konsultationen wurden in den letzten Jahren intensiviert und durch gemeinsame Absichtserklärungen verstetigt, so beispielsweise mit dem Vereinigten Königreich, Spanien und Italien. Die fallweise Beteiligung der Schweiz an einzelnen aussenpolitischen Tätigkeiten der Union ­ namentlich im Bereich der friedensfördernden Missionen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ­ sowie die Umsetzung von Kooperationen mit Drittstaaten, die die von der EU und ihren Mitgliedstaaten lancierten Kooperationen ergänzen, bietet der Schweiz die Möglichkeit, Solidarität mit ihren Nachbarn zum Ausdruck zu bringen. Ein weiterer Aspekt dieser Komplementarität sind die 6338

Öffnungen, die die Schweiz dank der Flexibilität ihrer unabhängigen Aussenpolitik in Situationen finden kann, in denen die Konfliktfronten verhärtet sind.

Mit den Nachbarstaaten hat das EDA zudem jährliche politische Dialoge speziell zu grenzüberschreitenden Fragen eingeführt. Diese Dialoge mit Frankreich und Italien machen das Interesse deutlich, das der Definition von Perspektiven entgegengebracht wird, die von allen nationalen und regionalen Partnern gemeinsam festgelegt werden. Die Dialoge sollten in Zukunft weiterentwickelt werden. Dazu kommen trilaterale Ansätze, wie die deutsch-französisch-schweizerische Regierungskommission zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein, in der das EDA aktiv mitarbeitet.

Deutschland Mit keinem anderen Land der Welt unterhält die Schweiz so intensive Beziehungen wie mit der Bundesrepublik Deutschland, was ein breites und solides Fundament für die Gestaltung der Zusammenarbeit schafft.

Die enge Verflechtung und der intensive Austausch liegen im gegenseitigen Interesse; der Nutzen kommt durchaus auch Deutschland zugute. So bezieht die Schweiz aus Deutschland rund soviel Waren wie aus Italien, Frankreich, den USA, den Niederlanden und Grossbritannien zusammen (Importe aus Deutschland 2008: 65,8 Mrd. Fr.). Damit kaufen die 7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz etwa halb so viel von Deutschland wie die über 300 Millionen US-Amerikaner. Deutschland weist gegenüber der Schweiz seit Jahren einen Handelsbilanzüberschuss auf (2008: 23,1 Mrd. Fr.). Damit finanziert der Handel mit der Schweiz einen guten Teil des deutschen Defizits mit Asien. Die Schweiz ist mit einem Investitionsvolumen von rund 50 Milliarden Franken der sechstgrösste Investor in Deutschland. In den neuen Bundesländern stieg die Schweiz zeitweilig zum wichtigsten Investor auf. Die insgesamt 1200 Schweizer Unternehmen beschäftigen in Deutschland 260 000 Personen. Schweizerische Unternehmen verfügen in Deutschland über ein weit ausgebautes Netz von Produktions-, Verteil- und Beteiligungsgesellschaften. Es ist zwar ein Faktum, dass die Schweiz und Deutschland ein ungleiches Gewicht haben und damit eine gewisse Asymmetrie besteht. Tatsache ist aber auch, dass sich dies ändert, je weiter man in den Süden Deutschlands geht. Mit Baden-Württemberg besteht zum Beispiel im
Wirtschaftsverkehr eine Symmetrie. In Südbaden kehren sich die Relationen um: Insgesamt kommen täglich über 44 000 deutsche Grenzgängerinnen und Grenzgänger, vorwiegend aus Südbaden, zur Arbeit in die Nordschweiz. Im Landkreis Waldshut arbeitet jede sechste erwerbstätige Person in der Schweiz. Die Schweiz ist zum beliebtesten Auswanderungsland der Deutschen geworden. 2008 wanderten über 31 000 Deutsche zu. Dies entspricht der Hälfte der Bevölkerung einer Schweizer Stadt wie Luzern. Der Anteil der deutschen Staatsbürgerinnen und -bürger an der ausländischen Wohnbevölkerung beträgt über 233 000 Personen, sie liegen damit nun an zweiter Stelle, nach den Italienerinnen und Italienern. Sie tragen aktiv zu Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, aber auch zu unserem Gesundheitswesen bei.

Diese intensiven Beziehungen sind in letzter Zeit durch Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit in Steuersachen belastet worden. Dies ist nicht nur auf teils unterschiedliche Interessen zwischen beiden Staaten zurückzuführen. Es geht auch um die Art und Weise ­ Ton und Substanz ­, wie die Auseinandersetzung unter eng verflochtenen Nachbarn geführt wird. So machte der deutsche Finanzminister wiederholt inakzeptable Äusserungen, selbst nachdem der Bundesrat am 6339

13. März 2009 beschlossen hatte, dass die Schweiz den OECD-Standard bei der Amtshilfe in Steuersachen übernehmen wird. Diese Äusserungen wurden in der Schweiz von Regierung, Parlament und Volk mit Empörung aufgenommen. Die Schweiz hat dazu ihren Standpunkt gegenüber Deutschland sowohl diplomatisch als auch öffentlich klar gemacht: Die Schweiz ist keine Steueroase. Sie kooperiert in Steuerfragen und hat dazu mit 74 Ländern Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen, darunter auch mit Deutschland, wobei Deutschland bislang nur in einem Fall von den Möglichkeiten zur Amtshilfe Gebrauch gemacht hat. Der Kooperationswille der Schweiz findet zudem im Zinsbesteuerungs- und im Betrugsbekämpfungsabkommen mit der EU seinen Niederschlag. So hat die Schweiz für das Steuerjahr 2007 im Rahmen des Zinsbesteuerungsabkommens 131 Millionen Franken an Zinssteuern an Deutschland überwiesen. Dieses Massnahmenpaket wird ergänzt durch die vorzeitige Anwendung des Abkommens über die Betrugsbekämpfung, das die Schweiz und die EU abgeschlossen haben. Das Abkommen trat gegenüber Deutschland und den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten am 8. April 2009 in Kraft; 4 EU-Mitgliedstaaten haben das Abkommen noch nicht ratifiziert. Die genannten Streitigkeiten kamen auf, obwohl intensive Kontakte auf allen Ebenen geführt wurden und auch weiterhin geführt werden.

Weiterhin belasten die deutschen Beschränkungen des Anflugs auf den Flughafen Zürich das bilaterale Verhältnis. Die Ungleichbehandlung schränkt den Flughafen Zürich im Vergleich zu den Konkurrenten Frankfurt und München ein, obschon die Flugbewegungen einen deutlichen Bezug zu Deutschland haben. So werden rund 70 % der Flugbewegungen am Flughafen Zürich von deutschen Fluggesellschaften ausgeführt oder solchen, die in deutschem Besitz sind (Swiss, Lufthansa, Air Berlin usw.). Fast ein Viertel der Flugbewegungen finden von und nach Deutschland statt.

Der Flughafen Zürich ist die wichtigste Luftverkehrsinfrastruktur der Schweiz und bildet einen wesentlichen Faktor sowohl für die Schweizer Volkswirtschaft als auch für die grenzüberschreitende Region. Am Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 29. April 2008 wurde vereinbart, dass die Arbeitsgruppe der beiden Verkehrsministerien eine gemeinsame Analyse der vom Flughafen Zürich ausgehenden Lärmbelastung nach international
anerkannten Methoden vornehmen soll.

Gestützt auf die Resultate dieser Analyse wird die Schweiz dann einen Vorschlag zum Betrieb des Flughafens Zürich machen.

Es ist wesentlich, der Beziehungspflege mit Deutschland auf allen Ebenen hohe Priorität einzuräumen. Insgesamt geht es der Schweiz darum, dass wir als eng verbundene Nachbarstaaten zu unserem Umgang Sorge tragen. Partner gehen respektvoll miteinander um, auch wenn sie unterschiedliche Interessen und Auffassungen haben. Die Schweiz hat wiederholt ihre Bereitschaft zur guten Zusammenarbeit unter Nachbarn geäussert. Dabei sind auch die Grenzkantone als wesentliche Akteure einzubeziehen, vor allem bei den wichtigen Kontakten zu Baden-Württemberg.

Die Umsetzung der flankierenden Massnahmen bei der Anwendung der Personenfreizügigkeit steht nach wie vor auf der regionalen Tagesordnung.

Frankreich Ein weiteres wichtiges EU-Mitglied ist Frankreich, das darüber hinaus als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates und als Atommacht sowohl diplomatisch als auch militärisch weltweit präsent ist. Unter unseren europäischen Nachbarn ist Frankreich der Staat, dessen Aussenpolitik die grösste Bandbreite an Interessen abdeckt. Trotz des Grössenunterschieds und der unterschiedlichen Organisation der beiden Staaten 6340

tragen unter anderem die geografische Lage und die Wirtschaft, der Personenverkehr, die Sicherheitsanliegen zu einer engen und vielgestaltigen Zusammenarbeit zwischen den Behörden beider Länder bei. Es ist offensichtlich, dass die intensive wirtschaftliche Partnerschaft im beidseitigen Interesse liegt. Frankreich ist für die Schweiz der drittgrösste Wirtschaftspartner (2007: Importe aus Frankreich 18,3 Mrd.

Fr., Exporte 17,2 Mrd. Fr.). Dabei erzielt Frankreich regelmässig einen Handelsbilanzüberschuss (2007: 1,1 Mrd. Fr.). Bei einem Investitionsvolumen von 29,4 Milliarden Franken beschäftigen Schweizer Unternehmen 168 000 Erwerbstätige in Frankreich (2007). In Frankreich lebt der grösste Teil der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer (170 000), während in der Schweiz 158 000 französische Staatsangehörige ihren Wohnsitz haben. Mehr als 110 000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger arbeiten ausserdem in der Schweiz. Das grenzüberschreitende Ballungsgebiet Genf ist ein Schwerpunkt intensiver Zusammenarbeit, der durch die Bedeutung des internationalen Genf gestärkt wird. In der Nähe Basels ist der auf französischem Hoheitsgebiet liegende Euroairport ein wichtiger Standortfaktor für die Entwicklung der grenzüberschreitenden Region Oberrhein, die schweizerisches, französisches und deutsches Territorium umfasst. Von besonderer Bedeutung ist der kulturelle Austausch mit Frankreich, und zwar sowohl aufgrund der namhaften Kunstschaffenden, die in beiden Ländern tätig sind, als auch aufgrund des Austauschs von Kulturprodukten und -dienstleistungen, der durch die gemeinsame Sprache erleichtert wird.

Im Rahmen der EU ist Frankreich ein sehr wichtiger Ansprechpartner für die Schweiz. Frankreich hat sich bei den bilateralen Verhandlungen immer für die uneingeschränkte Übernahme des Gemeinschaftsrechts eingesetzt. Darüber hinaus unterstützt Frankreich die Zusammenarbeit mit der Schweiz. So hat es zum Beispiel während seiner EU-Präsidentschaft die rasche Umsetzung des Schengen-Assoziierungsabkommens mit der Schweiz unterstützt und verfolgt aufmerksam die grenzüberschreitenden Auswirkungen regionaler Politiken. Seine Forderungen im Hinblick auf die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung namentlich der Steuerflucht sind seit Langem bekannt, in jüngster Zeit sind sie in Übereinstimmung mit den Forderungen Deutschlands
jedoch nachdrücklicher geworden. Auch der Frage der Unternehmensbesteuerung in einzelnen Kantonen, die im Europäischen Parlament von französischen Abgeordneten angesprochen wurde, widmet Frankreich grosse Aufmerksamkeit. Schliesslich hat sich Frankreich als treibende Kraft im Rahmen der Anstrengungen zur Förderung der Raumfahrt in Europa während der letzten vier Jahrzehnte dafür eingesetzt, dass die EU in der europäischen Raumfahrtpolitik eine führende Rolle einnimmt.

Mehrere Treffen auf hoher Ebene brachten im Jahr 2008 die bilaterale Zusammenarbeit in konkreten Bereichen voran, insbesondere der Besuch des französischen Premierministers vom 28. November 2008 während des französischen EU-Präsidialhalbjahrs. Die Zusammenarbeit mit Frankreich in Bereichen wie Verkehrswesen, elektrische Energie, grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Justiz, Polizei und Zoll), Luftwaffenausbildung und Forschung gehört zu den Konstanten unserer Beziehungen. Im Hinblick auf die Aussenpolitik gab es in verschiedenen Bereichen Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und zu gemeinsamen Bemühungen, so etwa bei der Evakuierung von Staatsangehörigen in Krisenfällen sowie bei der Friedensförderung. Die humanitären guten Dienste, die die Schweiz und Frankreich zusammen mit Spanien in Kolumbien leisteten und die 2008 ausgesetzt wurden, erforderten mehrere Jahre lang eine enge Zusammenarbeit. Ansonsten ist die Internationale 6341

Organisation der Frankophonie ein Forum, in dem die Schweiz und Frankreich seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern von Ländern, in denen Französisch gesprochen wird, ähnliche Positionen vertreten.

Dem Verkehr mit den französischen Behörden dürfte es förderlich sein, dass wieder häufigere und systematischere Kontakte zwischen den für sektorielle Politiken zuständigen Ministern gepflegt werden. Die Zusammenarbeit wird ferner verstärkt durch den Ausbau der Arbeitskontakte zwischen Wirtschafts- und Finanzexperten, wie es bereits in den beiden Aussenministerien in Bezug auf grenzüberschreitende Fragen geschehen ist.

Italien Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien sind geprägt durch intensive menschliche Verbindungen, einen umfangreichen Warenaustausch, zahlreiche Grenzübertritte und eine gemeinsame Sprache. Die grosse Gemeinschaft der ständigen italienischen Wohnbevölkerung in der Schweiz (Sept. 2008: 290 155 Personen, insgesamt etwa 500 000 inkl. Doppelbürgerinnen und -bürger) und die Auslandschweizerinnen und -schweizer in Italien (Dez. 2007: 47 953 Personen) stellt eine herausragende Basis für die engen schweizerisch-italienischen Beziehungen dar.

40 000 italienische Staatsangehörige arbeiten als Grenzgänger im Tessin. Rechnet man Importe und Exporte zusammen, so ist Italien nach Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz (Handelsvolumen 2008: 41 Mrd. Fr.). Als sechstgrösster Investor schafft die Schweiz mit Direktinvestitionen von 23 Milliarden Franken etwa 79 000 Arbeitsplätze in Italien. Für die Inbetriebnahme der neuen Eisenbahn-Alpentransversalen ist eine gute Koordination mit Italien erforderlich, und zu diesem Zweck wurde eine bilaterale Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Investitionen überwacht. Die Zusammenarbeit in Migrationsfragen wurde vertieft, was gerade angesichts der umfangreichen illegalen Einwanderung nach Italien besonders wichtig ist. Intensiv sind auch die kulturellen Beziehungen. Seit 1947 besitzt die Schweiz in Rom das «Istituto Svizzero di Roma», das sich dem Kultur- und Wissenschaftsaustausch widmet und über Antennen in Mailand und in Venedig verfügt.

Auf institutioneller Ebene besteht zur Intensivierung des kulturellen und akademischen Austauschs zwischen der Schweiz und Italien eine kulturelle Konsultativkommission.
Im aussenpolitischen Bereich konzentriert sich die Zusammenarbeit mit Italien in den multilateralen Foren vor allem auf Menschenrechtsfragen und auf die Reform der Arbeitsmethoden des UNO-Sicherheitsrates. In Bezug auf den Westbalkan und Nordafrika ist Italien, das in diesen Regionen über gute Kontakte verfügt, ein hilfreicher Gesprächspartner. In der EU hat sich Italien bemüht, möglichst vorteilhafte Bedingungen für den transalpinen Güterverkehr sicherzustellen. Trotz des Inkrafttretens des Zinsbesteuerungsabkommens hat Italien gegenüber der Schweiz Einschränkungen beibehalten, und zwar in Bezug auf die Steuerbefreiung italienischer Staatsangehöriger mit dauerndem Aufenthalt sowie auf die Verringerung der Quellensteuer italienischer Zweigniederlassungen und Muttergesellschaften auf Null. Der von Italien ausgeübte Druck ist zwar weniger sichtbar als der Deutschlands und Frankreichs, doch er ist vorhanden. Des Weiteren stellen sich für das Tessin eine Reihe von Fragen bezüglich der Anwendung der Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen oder die Personenfreizügigkeit durch Italien. Für die Behandlung grenzüberschreitender Fragen ist eine vom EDA und vom italienischen Aussenministerium eingesetzte Arbeitsgruppe zuständig, die einmal jährlich tagt.

6342

Das deutliche Nein der Tessinerinnen und Tessiner zur Verlängerung und Ausdehnung des freien Personenverkehrs am 8. Februar 2009 ist bei der Beziehungspflege mit Italien als Nachbar zu thematisieren. Insbesondere geht es darum, dass der Nutzen der bilateralen Verträge auf beiden Seiten der Grenze verspürt werden kann und einzelne, entgegenstehende Hemmnisse abgebaut werden.

Deshalb ist es auch im Verhältnis zu Italien wesentlich, der Kontaktpflege auf allen Ebenen eine hohe Priorität zu geben und insbesondere die Grenzkantone als wesentliche Akteure einzubeziehen und ihre Anliegen zu unterstützen.

Österreich Besonders eng gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Österreich, das als einziges Nachbarland bevölkerungsmässig und wirtschaftlich eine vergleichbare Grössenordnung wie die Schweiz aufweist. Mehr als 80 bilaterale Verträge in fast allen Bereichen staatlicher Tätigkeit wurden mit Österreich geschlossen. Auch findet mit Österreich auf den verschiedensten Ebenen der wohl engste Konsultationsrhythmus statt, den die Schweiz mit einem Staat unterhält. Traditionell statten die beiden Regierungen jeweils ihren ersten Auslandsbesuch dem anderen Land ab. Der enge Dialog ermöglicht einen substanziellen Austausch über alle wichtigen politischen Fragen.

Mit Österreichs EU-Beitritt am 1. Januar 1995 blieb diese Kooperation nicht nur erhalten, sondern wurde weiter intensiviert. Österreich ist für die Schweiz ein sehr wichtiger Ansprechpartner in europapolitischen Fragen. So wahren Österreich und die Schweiz das Bankgeheimnis, das im Falle Österreichs auf Verfassungsstufe abgesichert ist. Beide ziehen für EU-Staaten einen Steuerrückbehalt im Rahmen der Zinsbesteuerung ein. Zum gleichen Zeitpunkt, am 13. März 2009, beschlossen die Schweiz und Österreich, den OECD-Standard zur Zusammenarbeit in Steuersachen zu übernehmen.

Bei der Umsetzung von Schengen hat Österreich die Schweiz auch in der praktischen Arbeit stark unterstützt. Erwähnenswert ist ebenfalls die konsularische Zusammenarbeit, die zwischen den beiden Aussenministerien im Interesse der Bürgerinnen und Bürger stattfindet. Hier ist nach Abschluss von Pilotprojekten ein weiterer Ausbau vorgesehen. Dass die praktische Zusammenarbeit mit Österreich erfolgreich ist, zeigte einmal mehr die gemeinsame Organisation der EURO 08.

Fürstentum Liechtenstein
Die Schweiz unterhält mit dem Fürstentum Liechtenstein traditionell sehr enge nachbarschaftliche Beziehungen, die sich auf ein vielfältiges bilaterales Vertragsnetz stützen (ab 1919 Interessenwahrung im Ausland, ab 1924 gemeinsames Zoll- und Währungsgebiet mit offener Grenze). Die EWR-Mitgliedschaft Liechtensteins ab 1995 machte auf den verschiedensten Gebieten eine noch weitergehende Kooperation notwendig. Die Beziehungen sind geprägt durch häufige direkte Kontakte zwischen den zuständigen Behörden auf allen Ebenen. Von den rund 35 400 Einwohnerinnen und Einwohnern Liechtensteins sind rund 3600 Schweizer Bürgerinnen und Bürger, wobei zusätzlich gegen 8000 Personen mit Wohnsitz in der Schweiz als Grenzgängerinnen und Grenzgänger im Fürstentum arbeiten. Die Schweiz stellt damit die grösste Ausländergruppe.

Die engen Kontakte mit dem Fürstentum Liechtenstein erstrecken sich auch auf den Finanzbereich. Wie die Schweiz hat Liechtenstein im März 2009 den OECDStandard für die Amtshilfe in Steuersachen übernommen. Anders als die Schweiz 6343

mit ihren mehr als 70 bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen kann das Fürstentum aber den OECD-Standard nicht mit einer Anpassung von bestehenden Verträgen umsetzen. Der Schengen-Beitritt beider Staaten machte den Abschluss eines neuen Rahmenvertrags über die Zusammenarbeit in den Bereichen Visum, Einreise, Aufenthalt und polizeiliche Kooperation im Grenzraum notwendig. Da Liechtenstein den Schengen-Besitzstand erst später als die Schweiz in Kraft setzen kann und die schweizerisch-liechtensteinische Grenze somit heute noch Schengen-Aussengrenze darstellt, gilt eine Übergangsregelung für die Zeit ab dem 12. Dezember 2008 bis zum Inkrafttreten von Schengen für Liechtenstein.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Vor allem im Verhältnis zu unseren Nachbarstaaten kommt es, wie von der Bundesverfassung vorgegeben, den Kantonen zu, die grenzüberschreitenden Beziehungen mit den direkt angrenzenden Gliedstaaten und Gebietskörperschaften zu pflegen.

Dazu üben sie eine Vielzahl von wichtigen Aktivitäten aus. Ergänzend bietet das EDA die für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erforderliche politische Unterstützung. Dies geschieht im Rahmen bilateraler Kontakte mit den Nachbarländern sowie durch die Entwicklung von Rechtsinstrumenten auf bilateraler und multilateraler Ebene. Die Treffen hochrangiger Vertreterinnen und Vertreter des EDA und der Aussenministerien der Nachbarländer tragen zu einer Verbesserung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs bei und erleichtern die Regelung nachbarschaftlicher Probleme.

Die zunehmende Mobilität und die Tendenz zur Globalisierung führen dazu, dass sich die bilateralen Abkommen unmittelbar auf die Grenzregionen auswirken und dass die Probleme dieser Regionen häufig über den lokalen Rahmen hinausgehen.

Daher müssen hier eine funktionierende Koordination und eine gute Umsetzung der verschiedenen Abkommen sichergestellt werden, indem die für die Durchführung notwendige Unterstützung bereitgestellt wird. In diesem Zusammenhang ist es unbedingt erforderlich, die relevanten Gesprächspartner einzubeziehen, und zwar sowohl auf nationaler oder eidgenössischer Ebene wie auch auf regionaler oder kantonaler Ebene, wenn so unterschiedliche Themen wie Dienstleistungen, Verkehrsinfrastrukturen oder Fragen des Gesundheitswesens zu behandeln sind.

Vereinigtes Königreich
Dass die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich ausgezeichnet sind, zeigen zum einen die ausgeprägten Handel- und Finanzströme, zum anderen die hohe Anzahl von gegenseitigen Besuchern. Mit einem Handelsvolumen von 18,4 Milliarden Franken erzielte die Schweiz 2008 einen Überschuss von 3,9 Milliarden Franken. Grossbritannien ist das zweitwichtigste Zielland von Schweizer Investitionen nach den USA (Direktinvestionen in Grossbritannien 2007: 57 Mrd. Fr.). Die 700 Schweizer Unternehmen sorgen dort für insgesamt 112 000 Arbeitsplätze.

Im Vergleich zu den grossen europäischen Nachbarn, die eine gemeinsame Grenze mit der Schweiz haben, oder im Hinblick auf die zahlreichen kürzlich zugewanderten britischen Staatsangehörigen ist das Vereinigte Königreich ein Partner, zu dem die Schweiz regelmässige und auf den ersten Blick als Routine erscheinende Kontakte unterhält. Das ist jedoch nicht der Fall, wie die Debatte über den Rahmen der Zusammenarbeit bezüglich der Finanzplätze zeigt. Das Vereinigte Königreich als Standort des Finanzplatzes London ist auf internationaler Ebene nach wie vor sehr 6344

einflussreich, und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es nicht zur EuroZone gehört. Dem muss die Schweiz bei der Förderung ihrer Interessen Rechnung tragen, und sie muss sich der objektiven Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der britischen Politik bewusst sein, die auch weiterhin bestehen. Einerseits befinden sich die Schweiz und Grossbritannien im Finanzbereich in einem Konkurrenzverhältnis, das sich beispielsweise bei der Auseinandersetzung um die Zusammenarbeit in Steuersachen zeigt. Obwohl Grossbritannien bei Instrumenten wie Trusts selbst kaum Transparenz bietet, verlangt es von anderen Staaten weitgehende Offenlegung.

Andererseits sind zwischen Grossbritannien und der Schweiz durchaus Konvergenzen vorhanden, so vor allem bei Fragen der Regulierung.

Das Vereinigte Königreich ist ein privilegierter Gesprächspartner für die Schweiz.

Zum einen übt es seine EU-Mitgliedschaft mit eigenständigen Positionen aus, die in manchen Bereichen der schweizerischen Haltung nahestehen. Zum andern bringt das Vereinigte Königreich transatlantische Sichtweisen ein, die für die Schweiz von Interesse sind.

Auf aussenpolitischer Ebene besitzt die Aufrechterhaltung eines gezielten bilateralen Dialogs Vorrang. Er soll die Bearbeitung von Fragen gemeinsamen Interesses in den multilateralen Instanzen ergänzen und zu ihr beitragen. Besondere Aufmerksamkeit muss hierbei den Themen gelten, die unsere Beziehungen zur EU betreffen. Im Finanz- und Steuerbereich wird es darum gehen, die 2005 von den beiden Finanzministern vereinbarte «gemeinsame Agenda» umzusetzen und ihre Prioritäten an die globalen und europäischen Gegebenheiten anzupassen. Angesichts der Erschütterungen des Finanz- und Wirtschaftssystems ist die Suche nach gemeinsamen Ansätzen namentlich in Regulierungsfragen unverzichtbar. Dies betrifft Massnahmenpakete zur Unterstützung des Finanzsystems sowie mittelfristige Anpassungen der Architektur der Weltwirtschaftsinstitutionen. Das Vereinigte Königreich, das ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist, verfügt auch weiterhin über eine starke diplomatische Präsenz in allen Teilen der Welt. Daher kann eine gute Verständigung mit den britischen Vertreterinnen und Vertretern sowie die Verdeutlichung der Komplementarität der Bemühungen der Schweiz und ihrer europäischen Partner der Zusammenarbeit mit
dem Vereinigten Königreich nur förderlich sein.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Potenzial einer Annäherung an Grossbritannien besser genutzt werden sollte.

Andere europäische Partner Die Schweiz unterhält zu jedem ihrer anderen europäischen Partner unabhängig von dessen Grösse eigene Beziehungen. Sie weiss, wie wichtig jede der Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten in den Entscheidungsprozessen ist, die im Vorfeld von Brüssel stattfinden. Der regelmässig mit den meisten dieser Länder sowie mit Norwegen stattfindende Meinungsaustausch auf Ministerebene und zwischen Behörden, der auf beiden Seiten von den Botschaften unterstützt wird, trägt dazu bei, die Positionen der Schweiz bekannt zu machen und zu vertreten. Mit jedem dieser Länder unterhält die Schweiz vielfältige Beziehungen. Die Beziehungen der Schweiz zu diesen Ländern sind spannungsfrei und profitieren weitgehend von der Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Die Beziehungen zu den Ländern Mittel- und Osteuropas (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn) sind seit deren Beitritt zur EU 2004 immer intensiver geworden, namentlich in Bezug auf den politischen Dialog. Zudem bot die Öffnung der Märkte den Schweizer Unternehmen neue 6345

Perspektiven. Wesentlich für die Beziehungen ist auch die Umsetzung des schweizerischen Erweiterungsbeitrags, die ab 2009 in eine intensive Phase eintritt: 2009 werden Projekte im Umfang von mehr als 300 Millionen Franken verpflichtet werden. Auch der Schweizer Erweiterungsbeitrag für Rumänien und Bulgarien wird der Schweiz Gelegenheit geben, ihre bilateralen Beziehungen zu diesen Ländern zu verstärken, indem sie die Möglichkeit erneuter Kontakte und Zusammenarbeit in Sektoren wie Marktzugang oder Migration bietet. Es wird auch weiterhin das Ziel sein, für den Schweizer Beitrag optimale Sichtbarkeit zu gewährleisten und ihn dazu zu nutzen, die von der Schweiz vertretenen Wertvorstellungen zu verbreiten.

3.2.2.2.2

Türkei

Die Türkei ist ein wichtiger Partner der EU und zugleich ein einflussreicher Akteur im Nahen Osten, im Kaukasus und in Zentralasien. Zwischen diesen Regionen oder Iran auf der einen und den europäischen Verbrauchern auf der anderen Seite ist die Türkei ein wichtiges Durchgangsland für Erdgas und Erdöl, also Rohstoffe, nach denen die Nachfrage auch in der eigenen Wirtschaft ­ die inzwischen zu den 20 grössten der Welt gehört ­ deutlich wächst. Aufgrund ihrer Geschichte, vor allem aber durch die Politik der derzeitigen Mehrheitspartei AKP, deren politisches Programm den Laizismus des türkischen Staates respektiert und zugleich den Lehren des Islam entspricht sowie auf demokratischen Werten beruht, präsentiert sich die Türkei als Brücke zwischen Orient und Abendland. Ihre Diplomatie engagiert sich für den Dialog zwischen diesen beiden Teilen der Welt. Die Türkei sieht sich als Teil Europas und will daher der EU beitreten; 2005 hat sie entsprechende Verhandlungen mit der EU aufgenommen. Sie ist Mitglied der NATO und war schon lange vor der Schweiz Mitglied des Europarates. Nach einer breit angelegten Kampagne wurde die Türkei 2008 zum nicht ständigen Mitglied des UNO-Sicherheitsrates für den Zeitraum 2009/10 gewählt.

Die politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei haben sich auch 2008 sehr günstig entwickelt. Das derzeitige Niveau des Dialogs erlaubt es, selbst Fälle, die in der Vergangenheit die gute Kommunikation zwischen den beiden Regierungen wahrscheinlich beeinträchtigt hätten, ohne nachteilige Folgen zu behandeln. Die Praxis der Schweiz im Hinblick auf Asyl und Auslieferung von Personen, denen die Türkei terroristische Aktivitäten im Rahmen der kurdischen Bewegung vorwirft, sowie die von Schweizer Gerichten angestrengten Strafverfahren gegen türkische Staatsangehörige, die der Strafnorm gegen die Leugnung von Völkermord zuwidergehandelt haben, rufen in der Türkei nach wie vor Unverständnis hervor. Das EDA und das türkische Aussenministerium bemühen sich, die Vertrauensbildung zwischen den Behörden beider Länder zu fördern, unter anderem durch eine Intensivierung der Zusammenarbeit. So wurde anlässlich des Besuchs des türkischen Aussenministers Babacan im September 2008 ein Addendum zum bestehenden «Memorandum of Understanding» (MoU) unterzeichnet, in dem der Rahmen des politischen
Dialogs zwischen den beiden Ländern bereits festgelegt war. Das Addendum sieht bilaterale Arbeitskontakte in mehreren Bereichen vor, darunter Konsultationen im konsularischen Bereich (einschliesslich Migrations- und Integrationsfragen), Konsultationen über die internationale Reaktion auf den Terrorismus sowie Konsultationen über Energiethemen. Zu den gegenwärtigen Prioritäten gehören die Verbesserung des Dialogs in Fragen der Rechtshilfe und der Migration. Nach einer Reihe von böswilligen Handlungen, zu denen sich Gruppen aus dem Umfeld 6346

der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) bekannt hatten, beschloss die Schweiz die Verstärkung von Massnahmen zur Prävention illegaler Handlungen der PKK in der Schweiz und machte damit ihren Willen deutlich, angesichts einer konkreten Gefahr zu handeln.

Ein weiteres Zeichen der guten Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei ist die lange vertraulich gebliebene Rolle, die die Schweizer Diplomatie bei den Bestrebungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien spielte. Auf Ersuchen der beiden Länder trat die Schweiz als Vermittlerin auf, um ihnen zu helfen, die Blockierung ihrer Beziehungen zu überwinden. Die guten Dienste der Schweiz haben beide Länder zufriedengestellt. Dies ist in den schweizerisch-türkischen Beziehungen ein positiver Faktor und hat sich auch für die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und Armenien als förderlich erwiesen. Der direkte Kontakt zu den Verantwortlichen beider Staaten erleichterte auch die Kommunikation bezüglich einiger bilateraler Dossiers. Im Rahmen dieses Vermittlungsprozesses, dem die Vereinigten Staaten höchste Bedeutung beimessen, ist es im April 2009 in Istanbul zu einem Treffen der Departementschefin des EDA mit dem amerikanischen Präsidenten Obama gekommen.

Der erste Türkei-Besuch eines Bundespräsidenten im November 2008 zeigt, wie erfolgreich die diplomatischen Bemühungen sind, die insgesamt auf eine Intensivierung der hochrangigen Kontakte mit der Türkei hinarbeiten. Dabei kann die Türkei aufgrund ihrer geopolitischen Lage auch ein interessanter Partner sein, um das friedenspolitische Engagement der Schweiz zu stärken, z.B. im Rahmen der Allianz der Zivilisationen. Die Politik der Schweiz gegenüber der Türkei sollte auch weiterhin die Voraussetzungen dafür schaffen, dass alle Themen im Geist der Achtung des Partners behandelt werden können, und sie sollte im Sinne einer Europa-Integration eine zunehmend engere Zusammenarbeit anstreben.

3.2.2.2.3

Westbalkan

Der Westbalkan umfasst die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangenen Staaten, die nicht EU-Mitglieder sind, sowie Albanien. Die Schweiz ist mit dieser Region besonders durch die Präsenz von ungefähr 330 000 Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern aus diesen Staaten, welche in der Schweiz wohnen oder arbeiten, verbunden. Die Schweiz setzt hier auch weiterhin schwerpunktmässig die Instrumente ihrer Aussen- und Sicherheitspolitik ein, um ihren Teil zur Stabilisierung der Region und zu ihrer Einbeziehung in die europäische Zusammenarbeit beizutragen.

Im Berichtszeitraum war die Situation auf dem Westbalkan durch die Unabhängigkeitserklärung Kosovos geprägt.

Nach den langwierigen Verhandlungen des Jahres 2007, die zu der Erkenntnis geführt hatten, dass es nicht möglich war, sich mit Serbien in der Frage des Statuts auf eine Verhandlungslösung zu einigen, erklärte Kosovo am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit. Bis Ende 2008 ist das Land von mehr als 50 Staaten anerkannt worden.

Die Schweiz hat Kosovo am 27. Februar 2008 als unabhängigen Staat anerkannt.

Dieser Beschluss des Bundesrates war die logische Folge des von der Schweiz seit 2005 vertretenen Engagements für die nach Anhörung der Aussenpolitischen Kommissionen letztlich gewählte Lösung, nämlich eine Unabhängigkeit unter Aufsicht.

6347

Der Beschluss entsprach im Wesentlichen zwei Anliegen. Zum einen ging es darum, auf dem Balkan eine dauerhafte Stabilität sicherzustellen, um Kosovo und den anderen Ländern der Region die Möglichkeit zu geben, sich politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich zu entwickeln und den europäischen Institutionen anzunähern. Zum anderen ging es darum, klare Verhältnisse zu schaffen und zwischenstaatliche Beziehungen zu Kosovo aufzunehmen, um angesichts der zahlenmässig bedeutenden kosovarischen Gemeinschaft in der Schweiz die Interessen unseres Landes vor allem in den Bereichen Migration und innere Sicherheit zu wahren.

Diese beiden Anliegen stehen auch weiterhin im Mittelpunkt des Schweizer Engagements in Kosovo, und zwar in Zusammenarbeit mit den Behörden Kosovos, deren Pflichten und Aufgaben ­ die sie selbst akzeptiert hatten, als sie die Unabhängigkeit forderten und erhielten ­ klar sind und Vorrang haben. Die Schweiz hat Kosovo nicht übereilt, aber auch nicht mit Verzögerung anerkannt. Damit bekräftigte sie gegenüber ihren internationalen Partnern, dass sie eine besonders engagierte und glaubwürdige Akteurin auf dem Westbalkan ist und dass sie die Absicht hat, dort ihre eigenen Interessen zu vertreten, während sie zugleich willens und fähig ist, ihren Teil der Verantwortung zu tragen und ihren Teil der Aufgaben wahrzunehmen, die in dieser Region noch anstehen.

Serbien hat sich der Unabhängigkeitserklärung Kosovos strikt widersetzt und seine diplomatischen Anstrengungen intensiviert. Dies führte insbesondere dazu, dass die UNO-Generalversammlung dem Internationalen Gerichtshof am 8. Oktober 2008 die Frage der Rechtmässigkeit der Unabhängigkeitserklärung unterbreitete. Der Widerstand Serbiens verzögerte zudem die Stationierung der EU-Mission EULEX, die erst Anfang Dezember ihre Arbeit aufnehmen konnte. Serbien zog seine Botschafter aus der Schweiz und den anderen Ländern, die Kosovo anerkannt hatten, zunächst ab, entsandte sie jedoch erneut Anfang 2009 und normalisierte zur gleichen Zeit die Beziehungen zu seinen anderen Partnern. Seit im Mai 2008 bei den vorgezogenen Parlamentswahlen der konservativ-nationalistische Block dem proeuropäischen Lager unterlag, orientiert sich Serbien zunehmend an der EU. Radovan Karadzic wurde zwar im Juli 2008 verhaftet, doch die Forderung nach einer verstärkten
Zusammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist noch nicht voll eingelöst.

Die verschiedenen Staaten der Region bieten mit den Bemühungen, ihren Übergang zu den europäischen und euro-atlantischen Institutionen zu sichern, ein kontrastreiches Bild. Kroatien und Albanien sind am 1. April 2009 der NATO beigetreten, und Kroatien verhandelt mit der EU über einen Beitritt ­ diese beiden Länder sind also auf dem besten Weg, ihre Ziele zu erreichen. Für Mazedonien war 2008 kein sehr ermutigendes Jahr. Im Mittelpunkt stand vor allem die Auseinandersetzung mit Griechenland über den Namen des Landes: Im April verhinderte Griechenland die geplante Einladung Mazedoniens zum NATO-Gipfel in Bukarest. Im Zusammenhang mit nationalistischen Themen, die mit den EU-Beitrittsbestrebungen Mazedoniens unvereinbar sind, kommt es zu Spannungen. In Bosnien und Herzegowina gibt es weiterhin interne Auseinandersetzungen, welche die auch hier zahlreichen und schwierigen Reformen verzögern.

Sowohl bilateral als auch am Rande von multilateralen Treffen hat eine Vielzahl von hochrangigen Kontakten stattgefunden. Die Schweiz hat ihr Engagement, das in Kosovo durch die Beteiligung am «International Civilian Office» (ICO), welches die Umsetzung des Ahtisaari-Plans überwachen soll, und an EULEX ergänzt wird, in unterschiedlicher Form weitergeführt, so etwa als technische und wirtschaftliche 6348

Zusammenarbeit, zivile Friedensförderung und militärische Beteiligung an Friedensoperationen. Darüber hinaus leitete die Schweiz Gespräche über Migrationspartnerschaften mit den Ländern der Region ein, namentlich mit Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kosovo und Montenegro.

Der Migrationsdruck aus dem Westbalkan auf die Schweiz besteht nach wie vor.

Die Interdepartementale Leitungsgruppe Rückkehrhilfe, eine wichtige Plattform des Austauschs und der Zusammenarbeit in Migrationsfragen zwischen DEZA und BFM, setzt Programme im Westbalkan um und verfolgt damit das strategische Ziel, einen Beitrag zur Migrationspartnerschaft mit den Ländern des Westbalkans zu leisten.

In nächster Zukunft wird sich die Schweiz gemeinsam mit ihren internationalen Partnern in Kosovo im Interesse aller Bevölkerungsgruppen für die Stärkung des Rechtsstaats und die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung einsetzen. In diesem Sinne wird sie insbesondere ihre Arbeit in der Internationalen Lenkungsgruppe fortsetzen und sich hierbei bemühen, eine reibungslose Koordination der in Kosovo tätigen internationalen Organisationen zu gewährleisten. Neben ihren bilateralen Programmen der technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit wird sie ihr Engagement in der EULEX und dem ICO fortführen, in denen sie durch die Bereitstellung von Expertinnen und Experten der Bereiche Justiz und Polizei, Grenzkontrolle und Friedensförderung zur Entwicklung einer Gesellschaft beiträgt, deren Institutionen gerechter und effizienter sind. Die Entwicklungen seit Februar 2008 sind im Wesentlichen erwartungsgemäss verlaufen. Der von Kosovo eingeleitete Transitionsprozess wird Zeit brauchen, und selbst wenn die anstehenden Aufgaben keineswegs einfach sind, liegt es ganz eindeutig im Interesse Europas und folglich der Schweiz, Kosovo auf seinem Weg zu unterstützen. In diesem Sinne verlängerte die Schweiz 2008 ihre 1999 begonnene Beteiligung an der KosovoFriedenstruppe KFOR, die unter Führung der NATO steht und deren Grundlage die Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrates ist. Das SWISSCOY-Detachement der Schweiz umfasst mehr als 200 Armeeangehörige.

Auch in Bosnien und Herzegowina wird die internationale Gemeinschaft ihr Engagement aufrechterhalten müssen, damit dieses am stärksten in Mitleidenschaft gezogene Land der Region seine
Integration in die europäischen Institutionen fortsetzen kann. Auch in diesem Land ist die Schweiz besonders aktiv, und ein weiteres Engagement liegt eindeutig in ihrem Interesse, sei es im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der zivilen Friedensförderung oder der EU-Stabilisierungsmission ALTHEA (die auf der Grundlage der Resolution 1575 des Sicherheitsrates stationiert wurde und die 27 Schweizer Armeeangehörige umfasst, darunter bis September 2009 ein Helikopter-Detachement mit zwei Transporthelikoptern und dem dazugehörigen Personal). Die Schweiz wird ihre Beziehungen zu Serbien, einem wichtigen Partner mit vielversprechendem Potenzial, auch weiterhin festigen und damit ihr Engagement fortsetzen. Insbesondere wird das Interesse Belgrads am raschen Abschluss eines EFTA-Freihandelsabkommens gebührend berücksichtigt werden. Serbien gehört schliesslich auch der von der Schweiz präsidierten Stimmrechtsgruppe in den Bretton-Woods-Institutionen und der Europäischen Entwicklungsbank (EBRD) an. Auch Mazedonien wird besondere Aufmerksamkeit gelten. Seit der Krise von 2001 ist dort namentlich die Unterstützung des politischen Dialogs zwischen den beiden grössten Bevölkerungsgruppen eine der Prioritäten der Schweiz. Diese wird parallel zu ihren anderen Aktivitäten vor allem ihre Bemühungen um technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit fortsetzen.

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Und schliesslich wird es wichtig sein, die regelmässigen und guten Beziehungen zu Albanien (hier gibt es ebenfalls ein Programm der schweizerischen technischen Zusammenarbeit), Kroatien und Montenegro aufrechtzuerhalten, um die Integrationsanstrengungen dieser Länder zu unterstützen.

Die Schweiz wird sich also generell bemühen, in Bezug auf den Westbalkan auch weiterhin eine ausgewogene Politik zu betreiben. Ebenfalls wird sie versuchen, die Zusammenarbeit auszubauen und die Beziehungen, die sie seit Langem zu allen Ländern der Region unterhält, zu vertiefen. Damit verfolgt sie ein zweifaches Ziel: Sie will zum einen gemeinsam mit ihren internationalen Partnern die ­ in manchen Fällen höchst schwierigen ­ Transitionsbemühungen unterstützen, zu denen diese Staaten bereit sein müssen, und sie will zum andern ihre eigenen Interessen in den Bereichen Migration und Sicherheit sowie auch auf wirtschaftlicher Ebene wahren.

3.2.2.2.4

Russland

Der Bundesrat misst der Entwicklung der Beziehungen mit Russland eine strategisch hohe Bedeutung bei. Dabei geht er davon aus, dass sich Russland wieder vermehrt als ein wichtiger Akteur der Weltpolitik ins Spiel bringt und insbesondere auch seine Interessen in regionalen Konflikten oder im Bereich der Sicherheits- und Abrüstungspolitik mit Nachdruck vertritt. Die in den letzten Jahren zu beobachtende rasante Wirtschaftsentwicklung ­ vor der Krise ­ und die Tatsache, dass einerseits die Schweiz zu den zehn grössten Investoren in Russland zählt, andererseits auch russische Firmen bedeutende Beteiligungen an Schweizer Unternehmen erworben haben, unterstreicht die Bedeutung der bilateralen Beziehungen auch im wirtschaftlichen Bereich. Schliesslich kann auch die dominante Stellung Russlands als Energielieferant für Europa nicht ausser Acht gelassen werden.

Verschiedene Kontakte mit der russischen Regierung bestärkten den Bundesrat in seiner Analyse, dass auch die Schweiz als neutrales Land ausserhalb der EU für Russland zum Kreis der ausgewählten Partner gehört. Dies äussert sich nicht zuletzt im Abschluss einer Zusammenarbeitsvereinbarung (MoU), die am 7. November 2007 in Moskau unterzeichnet werden konnte. Diese gegenseitige Übereinkunft deckt nicht nur aussenpolitische Bereiche ab, sondern schliesst unter anderem auch Fragen der Forschung, der Kultur, der Menschenrechte, des Verkehrs, der Energie und der polizeilichen Zusammenarbeit ab. Dieser breite Prozess, der eine Reihe von thematischen Konsultationen vorsieht, wird von einem gemeinsamen Steuerungsausschuss geleitet. Die verschiedenen mit Russland befassten Bundesstellen sind in einem Begleitausschuss vertreten, der auf Schweizer Seite vom Staatssekretär des EDA präsidiert wird. Insgesamt ist ersichtlich, dass sich die bilateralen Beziehungen auch nach der ­ von Russland bekanntlich abgelehnten ­ Anerkennung Kosovos durch die Schweiz weiter positiv entwickelt haben.

Die gegenseitigen hochrangigen Besuche sind im Berichtszeitraum noch häufiger geworden. Die regelmässigen politischen Konsultationen zwischen Bern und Moskau werden ständig durch neue Themen von gemeinsamem Interesse erweitert. Zu diesen Themen gehören die konventionelle Abrüstung, die Begrenzung der Nuklearwaffen und die derzeitigen Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheit
in Europa.

Russland lancierte die Idee, Gespräche über neue Formen der europäischen Sicherheitsarchitektur einzuleiten. Diese an die NATO und die OSZE gerichtete Anregung führt zur Ausarbeitung von Expertisen, zu denen auch die Schweiz beitragen kann.

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Sowohl im Hinblick auf multilaterale Themen als auch auf die Wahrung bilateraler Interessen bemüht sich die Schweizer Diplomatie, die Anliegen der Schweiz sowie die Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen deutlich zu machen, wie sie sich zum Beispiel aus rechtsstaatlichen Grundsätzen oder aus den Normen des Europarates ergeben. Zugleich begrüsst sie, unter Berücksichtigung der Eigenheiten und der Geschichte dieses Landes, den Fortschritt der Reformen in Russland. Es sei angemerkt, dass Russland in jüngster Zeit verschiedentlich deutlich gemacht hat, dass es grossen Wert auf das internationale Genf legt.

Die intensiven Kontakte zwischen der Schweiz und Russland sind sicher auch ein Grund dafür, dass Russland nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Georgien die Schweiz angefragt hat, die russischen Interessen in Tiflis zu vertreten.

Aufgrund einer russischen Anfrage erklärte der Bundesrat Anfang Oktober 2008 die grundsätzliche Bereitschaft der Schweiz, die Interessen Russlands in Georgien wahrzunehmen, unter der Voraussetzung, dass auch Georgien mit einem entsprechenden Schutzmachtmandat der Schweiz einverstanden ist. Im Nachhinein ersuchte auch Georgien die Schweiz, seine Interessen in Russland zu vertreten. Das EDA handelte daraufhin in Moskau und in Tiflis die entsprechenden Abkommen aus, die den Inhalt des jeweiligen Schutzmachtmandats regeln. Der Schutz fremder Interessen ist ein traditionsreiches Instrument der schweizerischen Aussenpolitik. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass in den einst von diesen Staaten als Botschaft genutzten Gebäuden in Tiflis bzw. Moskau jeweils eine russische bzw. georgische Interessensektion unter der Verantwortung der jeweiligen Schweizer Botschaft vor Ort eingerichtet wird. In den konsularischen Beziehungen kommunizieren die Interessensektionen direkt mit den betreffenden Behörden, hinsichtlich diplomatischer Beziehungen steht die Schweiz für die Kommunikation zwischen Russland und Georgien zur Verfügung.

3.2.2.2.5

Südkaukasus

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden im südlichen Kaukasus drei neue Staaten ­ Armenien, Georgien und Aserbaidschan ­, die allesamt auf eine lange, traditionsreiche Geschichte und eine reiche Kultur zurückblicken können. Der Kaukasus war seit jeher ein umstrittenes Gebiet. Am Übergang zwischen Europa und Asien, zwischen der christlichen und der muslimischen Welt gelegen, war er immer wieder ein Zankapfel der mächtigen Nachbarn. Mit der Unabhängigkeit kamen einerseits alte Rivalitäten zum Vorschein und mündeten teilweise in regionale Konflikte. Andererseits mussten die neuen Regierungen tiefgreifende Reformen umsetzen und Lösungen finden für politische Altlasten. Durch die Unabhängigkeit von Russland fielen auch traditionelle Absatzmärkte weg. Dies führte neben den politischen und regionalen Spannungen zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen für einen grossen Teil der Bevölkerung.

Die Schweiz versuchte, diesen schwierigen Umständen Rechnung zu tragen und eröffnete im Südkaukasus bereits 1996 ein Kooperationsbüro. Unsere Präsenz wurde in den letzten Jahren stetig ausgeweitet, insbesondere durch die Eröffnung einer Botschaft in Tiflis im Jahr 2001. Nachdem die Schweiz 2007 das Botschaftsbüro in Baku zu einer Botschaft aufgewertet hat, soll 2009 auch in Eriwan eine diplomatische Vertretung der Schweiz entstehen. Politisch ist die Schweiz damit in dieser Region gut vernetzt. Die wirtschaftlichen Kontakte sind noch ausbaubar, 6351

bewegen sich doch der Handel zwischen der Schweiz und den drei südkaukasischen Staaten sowie die Direktinvestitionen noch auf relativ tiefem Niveau. Als Erdöl- und Erdgasproduzent wies insbesondere Aserbaidschan in den letzten Jahren ein imposantes Wirtschaftswachstum auf. Das Land gehört der von der Schweiz präsidierten Stimmrechtsgruppe in den Bretton-Woods-Institutionen und der Europäischen Entwicklungsbank an. Zudem unterstützt die Schweiz ein Projekt zur Diversifizierung der Energieversorgung Süd- und Westeuropas, das massgeblich auf Erdgas aus Aserbaidschan und Iran baut («Trans-Adriatic-Pipeline»). Ganz allgemein bietet die wirtschaftliche Entwicklung im südlichen Kaukasus auch für Schweizer Firmen interessante Perspektiven.

Der Migrationsdruck aus dem Kaukasus auf die Schweiz besteht nach wie vor. Die Interdepartementale Leitungsgruppe Rückkehrhilfe, eine wichtige Plattform des Austauschs und der Zusammenarbeit in Migrationsfragen zwischen DEZA und BFM, hat deshalb unter den operationellen Zielsetzungen den Schwerpunkt auf Projekte zur Prävention der illegalen Migration gesetzt.

Dank ihrer langjährigen Präsenz konnte die Schweiz schnell und angemessen auf den bewaffneten Konflikt zwischen Russland und Georgien um Südossetien reagieren und ihr Engagement in der Region teilweise anpassen und verstärken (Verstärkung der Militärbeobachter der OSZE, Programme zur gezielten Hilfe für durch den Krieg vertriebene Personen und Wirtschaftsförderungsmassnahmen für die Landbevölkerung). Das Doppelmandat der Schweiz ­ die Vertretung der russischen Interessen in Georgien und der georgischen Interessen in Russland ­ wurde oben bereits angesprochen. Zudem wurde mit Genf die Schweiz als Ort für die mehrere Gespräche über die Sicherheit in der Region gewählt, die unter der Schirmherrschaft der EU, der UNO und der OSZE nach dem Waffenstillstand stattfanden.

Auf Ersuchen Armeniens und der Türkei vermittelte die Schweiz zwischen den beiden Staaten; sie unterstützte einen Verhandlungsprozess, der zum ersten Mal einen für beide Seiten zufriedenstellenden Rahmen schuf, damit eine Aussöhnung angestrebt werden kann (siehe Ziff. 3.2.2.2.2).

3.2.2.2.6

Zentralasien

Verstärkte Aufmerksamkeit verdienen auch die Staaten Zentralasiens, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der OSZE und ihrer Bindungen zu Russland und zum Westen in diesem Teil des Berichts behandelt werden. Diese Staaten, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre Unabhängigkeit erlangten und deren komplexe Grenzen zu Zeiten des kommunistischen Regimes gezogen worden waren, haben ihre Identität gefunden, ohne mit der Vergangenheit zu brechen; sie stützen sich auf eine starke Zentralmacht. Sie sind vollständig eingeschlossen zwischen Russland, China, Afghanistan und Iran und setzen auf ihre Bodenschätze, ihre Erdöl- und Erdgasvorkommen und ihre Landwirtschaft, um durch den Export wieder zu mehr Wohlstand zu gelangen, nachdem sie nach dem Ende der sowjetischen Ära unter grossen wirtschaftlichen Problemen zu leiden hatten. Die beiden am meisten von der Aussenwelt abgeschnittenen Länder, Tadschikistan und Kirgisistan, sind auch die ärmsten. Die strategische Lage der zentralasiatischen Staaten, insbesondere im Hinblick auf den Konflikt in Afghanistan, macht sie zu gesuchten Partnern der USA und Europas. Der Westen möchte einerseits zu einer Demokratisierung der Region beitragen, ist andererseits aber auf die Zusammenarbeit mit den herrschenden Regimes angewiesen. Der unmittelbare 6352

Nachbar Russland gewinnt erneut an Einfluss, vor allem durch die Kontrolle eines Grossteils der Ausfuhren fossiler Brennstoffe, an denen auch China interessiert ist.

Die Schweiz hat sich dieser Region zu dem Zeitpunkt zugewandt, als sie den Bretton-Woods-Institutionen beitrat und auch die gerade unabhängig gewordenen Staaten Zentralasiens kurz vor dem Beitritt standen. Vier dieser Staaten (Ausnahme: Kasachstan) waren bereit, sich der Stimmrechtsgruppe anzuschliessen, der auch die Schweiz angehört. Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan sind ebenfalls Mitglieder der von der Schweiz präsidierten Stimmrechtsgruppe bei der Europäischen Entwicklungsbank. Eine erste Schweizer Botschaft wurde damals in Taschkent (Usbekistan) eröffnet, und seit März 2009 gibt es auch in Astana (Kasachstan) eine Schweizer Botschaft. Kasachstan hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dies hängt mit der steigenden Wirtschaftskraft, aber auch mit der Rolle des Landes als politisch stabile Regionalmacht zusammen. Die OSZE-Präsidentschaft, die Kasachstan 2010 innehaben wird, zeigt gut, dass sich das Land als Mittler zwischen den Kulturen versteht, das als östliches Land auch westliche Werte hochzuhalten versucht.

Die Schweizer Interessen in Zentralasien werden zum einen durch die Arbeit der Botschaften und die gute Zusammenarbeit in den internationalen Finanzierungsorganisationen, zum andern aber auch durch die Programme der Entwicklungszusammenarbeit gewahrt, die seit den 1990er-Jahren dort durchgeführt werden. Die meisten dieser Programme betreffen Kirgisistan und Tadschikistan, einige auch Usbekistan. Die Förderung der Menschenrechte und der menschlichen Sicherheit gehört zu den Prioritäten der Schweiz in dieser Region. In diesem Sinne steht in erster Linie ein Menschenrechtsdialog mit Tadschikistan zur Diskussion (siehe Ziff. 3.3.7.1). Das Land, in dem es in letzter Zeit Anzeichen für eine gewisse Öffnung gegenüber dem Westen gab, wird seit 2008 nicht mehr von Moskau aus, sondern von der neu eröffneten Botschaft in Baku (Aserbaidschan) betreut. Damit sollte auch das Potenzial für eine Annäherung und Vertiefung der bilateralen Beziehungen besser genutzt werden können.

3.2.2.3

Multilaterale regionale Organisationen

3.2.2.3.1

EFTA

Die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) wurde 1960 von Österreich, Dänemark, Norwegen, Portugal, Schweden, Grossbritannien und der Schweiz gegründet.

Einige Jahre später traten Finnland und Island bei. 1972 traten Grossbritannien und Dänemark aus und schlossen sich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) an, später folgte Portugal. 1991 trat Liechtenstein der EFTA bei. 1992 wurde der EWR-Vertrag unterzeichnet, den die Schweiz als einziges Mitglied der EFTA in einer Volksabstimmung ablehnte. Österreich, Finnland und Schweden verliessen 1995 die EFTA und traten der EU bei.

Heute hat die EFTA noch vier Mitgliedstaaten (Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz) und unterhält Freihandelsabkommen mit 21 Staaten und Territorien.

Mit diesen Freihandelspartnern erzeugen die EFTA-Staaten ein Handelsvolumen von 38 Milliarden Franken (5,6 % des EFTA-Aussenhandels). Wichtigste Partnerin der EFTA-Staaten ist die EU mit einem Handelsvolumen von 489,1 Milliarden Franken (72,6 %).

6353

Für die EWR-EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein ist die wichtigste Funktion der EFTA die Verwaltung des EWR-Vertrags. Für die Schweiz als NichtEWR-Mitglied sind insbesondere die Freihandelsabkommen mit Drittstaaten ausserhalb der EU von Bedeutung. Seit die Doha-Runde ins Stocken geraten ist und die Weltkonjunktur sich abgeschwächt hat, ist es für die Schweiz noch wichtiger geworden, ihren Unternehmen insbesondere via Freihandelsabkommen im Rahmen der EFTA diskriminierungsfreien Zugang zu Auslandmärkten zu verschaffen. 2008 konnten mit der Unterzeichnung von EFTA-Freihandelsabkommen mit Kanada und Kolumbien sowie mit dem Abschluss der Verhandlungen mit den Staaten des Golfkooperationsrats (GCC) und mit Peru wesentliche Fortschritte erzielt werden. Das im Januar 2007 unterzeichnete und seit 1. August 2007 vorläufig angewendete Abkommen mit Ägypten trat für die Schweiz am 1. September 2008 mit der Genehmigung durch das Parlament definitiv in Kraft. Das Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und den Staaten der Südafrikanischen Zollunion (SACU) und die bilateralen Abkommen über den Handel mit Landwirtschaftsprodukten, die im Juli 2006 unterzeichnet wurden, sind mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden aller Parteien am 1. Mai 2008 in Kraft getreten. Auch 2009 will die Schweiz ihr Netz von Freihandelsabkommen innerhalb der EFTA ausdehnen. Dabei haben für die Schweiz die zügige Fortsetzung der laufenden Verhandlungen mit Indien, Algerien und ­ je nach der politischen Lage ­ Thailand sowie die Aufnahme von Verhandlungen mit Indonesien, der Ukraine, Serbien und Albanien Vorrang.

Wichtig sind für die Schweiz auch die EFTA-Arbeiten zur Vorbereitung der Verhandlungen mit Russland, die in der zweiten Jahreshälfte 2009 beginnen sollen.

Eine weitere Funktion, die Verwaltung der EFTA-Konvention, ist für alle EFTAMitgliedstaaten bedeutsam. Die Konvention gewährleistet unter den vier EFTAStaaten eine Wirtschaftsintegration, die in etwa derjenigen zwischen der Schweiz und der EU entspricht.

Wie dargestellt fördert die EFTA demnach nicht nur eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedsländern, sondern sie stellt für diese auch eine bedeutende Plattform dar, um die Wirtschaftszusammenarbeit mit Drittstaaten zu intensivieren. Darüber hinaus ermöglicht die
EFTA-Mitgliedschaft der Schweiz auch den Status als Beobachterin im EFTA-Pfeiler des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR).

Island hat am 23. Juli 2009 ein EU-Beitrittsgesuch bei der schwedischen EUPräsidentschaft formell eingereicht. Die Konsequenzen eines allfälligen Austritts Islands aus der EFTA auf das Funktionieren dieser Organisation werden zum gegebenen Zeitpunkt geprüft werden müssen.

3.2.2.3.2

Europarat

Rolle der Schweiz Die Werte und Ziele des Europarats decken sich mit den Werten und Zielen, die die Schweiz in ihrer Innen- und Aussenpolitik seit Langem vertritt: Förderung und Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Mit seinen vier Grundpfeilern ­ Ministerkomitee, Parlamentarische Versammlung, Kongress der Gemeinden und Regionen, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ­ bietet der Europarat in Strassburg dem Bundesrat, Mitgliedern von eidge6354

nössischen, kantonalen und kommunalen Legislativen und Exekutiven sowie Richtern und Fachleuten aus der Verwaltung verschiedene Möglichkeiten zur Mitwirkung. Ihre Arbeit wird geschätzt und trägt zum guten Ruf der Schweiz bei. In der vorliegenden Ziffer werden die politischen Hauptlinien besprochen, für ergänzende Informationen über einzelne Entscheide und Aktivitäten sei auf den Anhang des vorliegenden Berichts verwiesen.

Die Übereinkommen des Europarats sind von grosser Bedeutung für Rechtsprechung und Gesetzgebung.23 Sie schaffen nicht nur Recht, sondern bieten auch Unterstützung bei der Erarbeitung und Kontrolle von Normen. Der Europarat ist für ganz Europa richtungsweisend. Nur Belarus, das die Voraussetzungen für den Beitritt derzeit nicht erfüllt, und Kosovo, das nicht von allen Mitgliedern des Europarats anerkannt wird, sind noch nicht dabei.

Einige Nicht-EU-Mitglieder im Europarat müssen noch weiter aufholen, um dessen strenge Normen und hohen Standards zu erfüllen. Die Schweiz vertritt ihnen gegenüber einen kooperativen Ansatz. Sie verweist auf die besondere Rolle des Europarats, die nicht mit derjenigen der EU vergleichbar ist, und pflegt Gemeinsamkeiten mit allen Mitgliedern, um Unterstützung für Ziele zu finden, die sie in der Organisation als vordringlich erachtet.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der von 1998­200724 vom Schweizer Professor Luzius Wildhaber präsidiert wurde, ist ein Grundpfeiler des Europarats. Die Schweiz bemüht sich aufrichtig, die sie betreffenden Entscheide des Gerichtshofs umzusetzen, und integriert dessen Rechtsprechung laufend in ihre Rechtsordnung. Deshalb werden im Vergleich zu anderen Staaten nur wenige Verletzungen festgestellt.25 Die Zukunft des Gerichtshofs als Herausforderung Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird seit einigen Jahren mit Beschwerden überhäuft, die gegen gewisse Staaten gerichtet sind, insbesondere gegen Russland, die Türkei, Rumänien und die Ukraine. Die Eingaben sind an keine Formvorschriften gebunden, sodass zahlreiche Beschwerden eintreffen, die zuerst auf ihre Zulässigkeit geprüft werden müssen. Angesichts der Überlastung des Gerichtshofs braucht es eine Reform, doch die von allen Regierungen genehmigte Lösung konnte nicht in Kraft treten, weil ein einziger Mitgliedstaat sie nicht ratifizierte: Die
russische Duma vertagte das Eintreten auf das Protokoll Nr. 14 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auf unbestimmte Zeit und liess sich bis anhin nicht umstimmen. Die Schweiz will rasch gangbare Lösungen aus der Sackgasse suchen, damit der Zugang zum Gerichtshof für alle Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsländer gewährleistet ist und der Gerichtshof seiner Aufgabe auch langfristig gerecht werden kann.

Die Schweiz setzt sich bei den Ausgaben des Europarats für ein Nullwachstum ein, das zu einer noch effizienteren Nutzung der Ressourcen verpflichtet. Bei den Ausgaben für Aktivitäten ausserhalb der drei Kernbereiche (Schutz der Menschen23

24 25

Die Schweiz hat bis 2008 108 der 205 Übereinkommen des Europarats unterzeichnet und ratifiziert und 15 unterzeichnet. Für weitere Informationen siehe den Neunten Bericht über die Schweiz und die Konventionen des Europarates (2008), BBl 2008 4533.

Nachfolger von Prof. Luzius Wildhaber als Richter aus der Schweiz ist Prof. Giorgio Malinverni.

2007: 7; 2008: 4.

6355

rechte, der Demokratie und des Rechtsstaates) erfolgte bereits eine Kürzung. Die langfristige Effizienz des Gerichtshofs hat oberste Priorität. Steigende Mittel für den Gerichtshof führen zu entsprechenden Kürzungen in anderen Bereichen, die nicht im engeren Sinne mit Menschenrechten zu tun haben, da wegen der Budgetknappheit in den Mitgliedsländern die Ausgaben real nicht wachsen dürfen26.

Die Rolle der EU Die etappenweise Erweiterung der EU seit den 1990er-Jahren hat das Kräfteverhältnis in den internationalen Organisationen Europas und damit auch im Europarat verändert. Im Europarat ist die Stärkung der EU besonders spürbar. Die EU-Mitgliedstaaten verfügen über das absolute Mehr (27 von 47 Sitzen). Die Schweiz beobachtet deshalb Stellungnahmen der EU im Namen ihrer Mitglieder aufmerksam, auch wenn gewisse Entscheide mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten gefällt werden, die mindestens die Hälfte der Mitglieder vertreten müssen. Die EU spricht nicht immer mit einer Stimme, ihre Mitglieder sind aber grundsätzlich solidarisch untereinander und bemühen sich um gemeinsame Positionen.

Im Mai 2007 haben der Europarat und die EU ein «Memorandum of Understanding» unterzeichnet. Diese Vereinbarung stellt die Beziehungen zwischen Strassburg und Brüssel auf eine solide Grundlage mit dem Ziel, Doppelspurigkeiten zu vermeiden.

Die Schweiz begrüsst diesen Ansatz und ist mit dessen Anwendung zufrieden.

Weitere Akteure in Strassburg Die südosteuropäischen und südkaukasischen Staaten sowie die Ukraine und Russland gehören zwar dem Europarat an, nicht aber der EU. Besonders Russland scheint entschlossen, in der Organisation aktiv mitzumachen, seine politische Linie weicht aber von der Tradition des Europarats ab. Die Schweiz fördert die Teilnahme von Nicht-EU-Mitgliedern und die verstärkte Anwendung der Europaratsnormen in den innerstaatlichen Rechtsordnungen.

Auswirkungen eines Krieges zwischen zwei Mitgliedstaaten Der Europarat hat bereits im August 2008, ganz am Anfang der Feindseligkeiten zwischen Russland und Georgien, auf die zunehmende Gewalt auf georgischem Gebiet reagiert. Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Kontrollmechanismen («Monitoring») im gesamten Gebiet, das von Feindseligkeiten und deren Folgen betroffen war. Zu erwähnen ist auch der Einsatz des Menschenrechtskommissars in
der umkämpften Zone. Dieses 1999 geschaffene Amt hat sich als sehr nützlich erwiesen. Insgesamt ist es aber bedauerlich, dass die Bemühungen des Europarats als Antwort auf die Krise in Georgien ­ im vorliegenden Fall die Angleichung eines Aktionsplans ­ keine Ergebnisse brachten.

Schweizer Vorsitz Vom 18. November 2009 bis Mitte Mai 2010 wird die Schweiz aufgrund des alphabetischen Turnus im Ministerkomitee den Vorsitz führen. Sie übernimmt dabei nicht nur Verantwortung gegenüber den Mitgliedstaaten, sondern auch für die Zukunft der Organisation. Der Vorsitz wird dazu dienen, die von der Schweiz und den meisten Mitgliedstaaten gewünschte Politik der Refokussierung des Europarats weiterzufüh26

Reales Nullwachstum der Ausgaben in Euro. Das Globalbudget beträgt für 2009 205 Mio. Euro.

6356

ren und zu intensivieren. Gegenüber der EU, die seit der Erweiterung über deutlich mehr Mittel verfügt, muss sich der Europarat ohne Budgeterhöhung, mit rund 205 Millionen Euro, auf seine Schwerpunkte Menschenrechte und Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konzentrieren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte muss auch in Zukunft seine Aufgabe erfüllen können. Dafür braucht es eine Anpassung der Verfahren, eine vereinfachte Zulässigkeitsprüfung und eine Reform der Rechtssysteme in Mitgliedstaaten, aus denen die meisten Beschwerden stammen, damit das Vertrauen der Bevölkerung hergestellt werden kann. Die Schweiz ist sehr besorgt darüber, dass diese Situation zu einer Erschwerung des Zugangs zum Gerichtshof führt, vor allem für Menschen aus Gebieten, in denen das Rechtssystem infolge der politischen Voraussetzungen ungenügend ausgebaut ist. Zum Schutz des Gerichtshofs sollte kurzfristig auch das Problem, dass ein einziges Mitglied (Russland) das Protokoll Nr. 14 zur EMRK noch nicht ratifiziert hat, gelöst werden. Dazu sind von der Schweiz unterstützte Bemühungen im Gang. Die Schweiz wird mit der Republik Slowenien und der Republik Mazedonien, die vor und nach ihr den Vorsitz innehaben, engen Kontakt halten. Im Rahmen des Schweizer Präsidiums werden auch Anlässe in der Schweiz stattfinden, namentlich eine hochrangige Konferenz zur Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Interlaken (18.-19. Februar 2010). Weitere Veranstaltungen werden vor allem in Zusammenarbeit mit Hochschulen durchgeführt.

3.2.2.3.3

OSZE

Die Rolle der Schweiz Die Schweiz ist in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aktiv, die sich für die Sicherheit und die Förderung demokratischer Regierungsformen von Vancouver bis Wladiwostok einsetzt. Die OSZE verfolgt in der Sicherheitspolitik eine Ausrichtung, die über die militärische Dimension hinausreicht und auch die menschliche Sicherheit umfasst, was der Schweiz in besonderem Masse entgegenkommt.

Die OSZE ist aus der 1975 gegründeten Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen. Ihre Beschlüsse werden einstimmig gefällt.

Ihre politische Rolle reicht von der Konfliktprävention bis zur Förderung von «Good Practices» im Bereich der demokratischen Kontrolle. Die Schweiz kann nicht mehr im Rahmen der Gruppe der neutralen und ungebundenen Staaten agieren, die es zur Zeit des Kalten Kriegs in der KSZE noch gab. Die Interessengegensätze in dem riesigen Gebiet, das von der OSZE abgedeckt wird, und die Tatsache, dass viele Teilnehmerstaaten Organisationen mit starken Strukturen angehören, reissen heute aber neue Gräben auf. Die Schweiz tritt grundsätzlich keinem Bündnis bei und setzt sich unabhängig für die friedliche Lösung von Streitigkeiten, für Menschenrechte und Demokratie ein. Sie ist auf einen wirksamen Einsatz der OSZE und die effiziente Nutzung der bereitgestellten Mittel bedacht.

Europa im Wandel Die etappenweise Erweiterung der EU und der NATO seit den 1990er-Jahren hat das Gleichgewicht in den internationalen Organisationen und auch in der OSZE verändert.

6357

Russland wollte ­ zweifellos aufgrund dieser Erweiterung, die mittlerweile bis zur russischen Grenze reicht ­ die pragmatische, für die 1990er-Jahre charakteristische Kooperation nicht fortsetzen. Moskau fordert seit einigen Jahren eine Änderung der Regeln der OSZE. Es wirft ihr zudem vor, mit zwei Ellen zu messen und gegenüber Staaten «östlich von Wien» parteiisch zu sein. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die menschliche und sicherheitspolitische Dimension und auf das Fehlen einer OSZE-Sicherheitscharta. Russland und einige seiner Verbündeten wollen die seit Anfang der 1990er-Jahre vom ODIHR27 organisierten Wahlbeobachtungen und Missionen in Staaten der ehemaligen Sowjetunion nicht mehr einfach akzeptieren.

Begleitung und Unterstützung auf dem Weg zu Menschenrechten, Demokratisierung und Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit sind nicht mehr gefragt. Zudem sind die meisten Staaten, die dies wünschten, inzwischen Mitglied der EU oder der NATO geworden. Das umfassende Sicherheitssystem der OSZE hat damit nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher, weder für die betreffenden Staaten noch für die OSZE-Länder insgesamt.

Seit den 1990er-Jahren hat die OSZE Instrumente geschaffen, um innerstaatliche Konflikte wie in Jugoslawien und den Gebieten der früheren Sowjetunion zu bewältigen. Neben Missionen vor Ort28 handelt es sich um Organe und Mandate zum Schutz nationaler Minderheiten und der Pressefreiheit sowie zur Förderung der Demokratie und zur Bekämpfung von Intoleranz und Diskriminierung. Diese Instrumente sind Teil eines Systems für Konfliktmanagement und -prävention, das vom Begriff der globalen Sicherheit ausgeht.

Bezeichnenderweise haben sich die Aussenminister seit 2002 am jährlichen OSZEMinistertreffen nicht mehr auf eine Schlusserklärung einigen können. Auch der Entwurf eines Abkommens zum Rechtsstatus der Organisation hat noch nicht den nötigen Konsens gefunden.

Die parlamentarische Dimension der OSZE konnte nicht in gleichem Mass wie beispielsweise die Parlamentarische Versammlung des Europarats weiterentwickelt werden. Sie spielt jedoch bei Wahlbeobachtungen eine wichtige Rolle.

Die Rolle der EU Auch in der OSZE ist die stärkere Rolle der EU spürbar. Die EU-Mitgliedstaaten sprechen sich ab, bemühen sich um gemeinsame Positionen und sprechen mit einer Stimme. Mit dem relativen Mehr
der EU-Staaten (27 von 56 Mitgliedern) haben Kandidatinnen und Kandidaten aus Nicht-EU-Ländern ­ und damit auch solche aus der Schweiz ­ geringere Wahlchancen bei der Besetzung wichtiger Posten.

Die Herausforderung: Zentralasien, Südkaukasus Geografisch haben sich die Interessenschwerpunkte deutlich von Südosteuropa Richtung Osten, in den Südkaukasus und nach Zentralasien, verlagert. Die Übernahme des OSZE-Vorsitzes 2010 durch Kasachstan bestätigt diese Entwicklung. In diesen Regionen ist Russland noch stärker präsent.

27 28

Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau.

16 Missionen im Jahr 2008.

6358

Auswirkungen eines Kriegs zwischen zwei Teilnehmerstaaten Die OSZE verfügt über eine Reihe von vertrauensbildenden und sicherheitspolitischen Massnahmen, die im Konflikt zwischen Russland und Georgien die nötige Wirkung entfalteten. Es ist den Teilnehmerstaaten jedoch nicht gelungen, kriegsverhindernde Massnahmen zu beschliessen. Die russische Weigerung, die OSZEMission Ende 2008 zu verlängern, behinderte die OSZE bei der Bewältigung der Kriegsfolgen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in der OSZE das Konsensprinzip gilt. Ein einziges Land kann demnach die ganze Organisation in einer wichtigen Frage blockieren. Die Glaubwürdigkeit der OSZE war beeinträchtigt, sodass die EU eine grosse Beobachtermission stellen musste. Der Rückschlag für die OSZE ist spürbar und hat Folgen nicht nur im Konflikt um Georgien.

Ausblick Der russische Präsident Medwedew hat nach der Sistierung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa und nach Spannungen mit den USA wegen der Raketenabwehr in Mitteleuropa einen Sicherheitspakt vorgeschlagen, der alle Fragen zur Sicherheit und Rüstungskontrolle in Europa klären würde. Unter ausdrücklichem Bezug auf die Schlussakte von Helsinki von 1975 machte Medwedew zudem Vorschläge für eine neue Instanz anstelle der OSZE. Bei der Ausarbeitung dieses gesamteuropäischen Abkommens sollten die Teilnehmerstaaten «jeder für sich, unabhängig von Blöcken oder Bündnissen» und einzig aus «nationalen Interessen» handeln. Der russische Vorschlag stellt die enge Beziehung zwischen politischmilitärischer und menschlicher Dimension in Frage. Diese Beziehung bildet aber den Grundgedanken der OSZE.

Die Tendenz zur engeren politischen Kooperation in der EU, zur Stärkung von Bündnissen und Blöcken und die zunehmenden Spannungen unter diesen Organisationen erschweren die Suche nach Lösungen, die dem Grundgedanken und den bewährten Instrumenten der OSZE gerecht werden. Die Schweiz schliesst sich keinem Bündnis an. Umso mehr ist sie den Werten und Verpflichtungen der OSZE verbunden und bemüht sich, in der OSZE aktiv mitzuwirken und den Kontakt zu Staaten zu intensivieren, die ihr Engagement teilen und nicht in ein Militärbündnis eingebunden sind. Diese Staaten haben aber weder das nötige Gewicht noch sind sie bereit, zwischen der Nato einerseits und Russland mit seinen Verbündeten andererseits
eine autonome Rolle zu spielen. Die Schweiz ist der Auffassung, dass jede Neudefinition der Aufgaben der OSZE zwingend einen aktiven Dialog mit den EU-Mitgliedern, Russland und den USA voraussetzt.

Infolge russischen Unbehagens u.a. über die Ausdehnung der NATO seit 1999 hat Präsident Medwedew 2008 eine Initiative «Neue Europäische Sicherheitsarchitektur» lanciert. Diese sieht die Schaffung eines rechtlich verbindlichen Dokuments als Grundlage einer kollektiven euro-atlantischen Sicherheitsstruktur vor. Dabei sollen sich die Vertragsstaaten zu Prinzipien wie Gewaltverzicht und Abrüstung sowie zum Respekt von nationaler Souveränität und staatlicher Gleichberechtigung verpflichten; kein einzelnes Land und kein Bündnis sollen sicherheitsstrategische Exklusivrechte geniessen. Betreffend die Frage der weiteren Gestaltung einer solchen Sicherheitsstruktur bleibt der russische Vorstoss bewusst vage. Die Diskussion über diese Initiative findet in erster Linie in der OSZE, aber auch im NATO-Russland-Rat und anderen Gremien statt. Die Schweiz, die der Meinung ist, dass die OSZE ein angemessenes Gremium für eine solche Diskussion darstellen könnte, ist gegenwärtig daran, ihre Optionen für eine Positionierung in dieser Sache zu prüfen.

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In den letzten Jahren haben der Europarat und die OSZE ­ zwei internationale Organisationen, die regional verankert sind und einen politischen Auftrag haben ­ an Bedeutung eingebüsst. Diese Entwicklung ist namentlich auf die Erweiterung der EU und der NATO zurückzuführen. Die Schweiz, die im Herzen Europas liegt, aber weder der EU noch der NATO angehört, bedauert diese Entwicklung, die für die OSZE einschneidendere Folgen hat als für den Europarat.

Der Trend hin zu einer engeren politischen Zusammenarbeit innerhalb der EU und unter den EU-Mitgliedstaaten sowie zur Stärkung der Bündnisse und Blöcke macht es schwierig, bei der Lösungssuche auf die bekannten Grundsätze und die bewährten Instrumente der internationalen Organisationen zurückzugreifen. Die Spannungen zwischen Blöcken und Bündnissen sowie die sich 2008 manifestierte Unfähigkeit, im Gebiet des Europarats und der OSZE einen Krieg zu verhindern, beeinträchtigen die Wirksamkeit der OSZE und in einem etwas geringeren Ausmass auch diejenige des Europarats.

Diese Tatsache beunruhigt die Schweiz, die sowohl in der OSZE als auch im Europarat zu den aktivsten Mitgliedern zählt. Für unser Land, das weder der EU noch einem anderen Bündnis angehört, ist es sehr schwierig, diesem Trend entgegenzuwirken.

3.2.2.3.4

Euro-Atlantische Partnerschaft und Partnerschaft für den Frieden

Für die Schweiz sind der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat (EAPC) und die Partnerschaft für den Frieden (PfP) neben der EU, der OSZE und der UNO wichtige Elemente der europäischen Sicherheitsarchitektur. Ihnen liegt das Konzept zugrunde, dass Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum nur durch Kooperation und gemeinsame Werte erreicht werden können. Für die Schweiz ist die Partnerschaft einerseits eine wichtige Plattform, um sich an den Bemühungen um kollektive Sicherheit zu beteiligen, andererseits ein Instrument für den militärischen Wissens- und Erfahrungsaustausch. Die Partnerschaft beruht auf den Grundprinzipien der Freiwilligkeit, beinhaltet keinerlei rechtliche Verpflichtungen zur Teilnahme an bestimmten Aktivitäten und ist daher mit der schweizerischen Neutralität vollständig vereinbar.

Aus schweizerischer Sicht stellt die Partnerschaft weiterhin ein wichtiges Instrument der europäischen Sicherheitspolitik dar. Die euro-atlantische Sicherheitslandschaft hat in den letzten Jahren grundlegende Änderungen erfahren. Die Partnerschaft hat sich diesen veränderten Umständen angepasst und führt ihre Bestrebungen fort. Die Schweiz wird in ihrer Teilnahme an der Partnerschaft weiterhin bewährten Schwerpunkten verpflichtet bleiben, wie der Verbesserung der Fähigkeit zur militärischen Zusammenarbeit, der zivilen Notfallplanung und Katastrophenhilfe oder der Weiterverbreitung des humanitären Völkerrechts. Um die Bedeutung der Partnerschaft auch in Zukunft zu erhalten, setzt sich die Schweiz für einen flexiblen Ansatz der Zusammenarbeit zwischen NATO und Partnerstaaten ein, damit den verschiedenen Bedürfnissen und Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten der Euro-Atlantischen Partnerschaft Rechnung getragen werden kann. Die Beteiligung an dieser Partnerschaft verschafft der Schweiz auch einen direkten und institutionellen Zugang zu den NATO-Mitgliedsländern, die für die europäische Sicherheit von entscheidender Bedeutung sind (USA, Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, usw.)

6360

Die Schweiz wirkt via EDA und VBS bei über 200 Aktivitäten im Rahmen der PfP mit. Dazu gehören sowohl eigene Ausbildungsangebote an die anderen PfP-Staaten als auch die Teilnahme an Kursen und Übungen der NATO, die den PfP-Staaten offen stehen. Die Teilnahme an solchen Aktivitäten ermöglicht es der Schweiz, ihre Fähigkeiten im internationalen Krisenmanagement zu verbessern, im Hinblick auf die Teilnahme an Einsätzen zur Friedensförderung. Ein Beispiel dafür ist der Swisscoy-Einsatz in Kosovo. Die Schweiz kann auf diese Weise konkrete Beiträge zur Sicherheit des Kontinents leisten.

Die Schweiz setzt ihre Aktivitäten 2009 im gleichen Rahmen fort wie im Vorjahr.

Ein besonderes Augenmerk soll auf neue sicherheitspolitische Bedrohungen im europäischen und internationalen Kontext, denen im Zuge der Wirtschaftskrise eine erhöhte Bedeutung zukommt, gerichtet werden. Beispiele dafür sind die Sicherheit der Energieversorgung, Terrorismus, fragile oder zerfallende Staaten, Cyber-Krieg oder Piraterie.

Die NATO zählt im Bereich der friedensunterstützenden Operationen (die für die Schweiz ein UNO- oder OSZE-Mandat voraussetzen) mehr und mehr auf das Engagement der Partner in Form militärischer oder ziviler Einsätze vor Ort. Deshalb werden unsere Beziehungen zur NATO zunehmend von der Art und dem Ausmass des schweizerischen Beitrags an die von der Allianz geführten Friedensoperationen abhängen.

Zur Zeit sind 22 von 50 Teilnehmern an der Euro-Atlantischen Partnerschaft NichtNATO-Verbündete, darunter die Schweiz. Die Zukunft dieser sicherheitspolitischen Institution wird massgeblich davon abhängen, welche Bedeutung ihr diese Staaten künftig beimessen wollen.

3.2.2.3.5

CERN

Das CERN hat sich seit seiner Gründung 1953 in Meyrin bei Genf zum weltweit führenden Labor für Teilchenphysik entwickelt. In den letzten 20 Jahren haben Physiker und Ingenieure aus aller Welt gemeinsam ein einzigartiges Projekt geplant, entwickelt und gebaut: den Large Hadron Collider. Dieser kann als das grösste und stärkste Mikroskop aller Zeiten bezeichnet werden. Die Experimente mit diesem Instrument werden völlig neue physikalische Erkenntnisse ermöglichen und unser Verständnis für den Aufbau der Materie und das Wesen der Kräfte vertiefen.

Die weltweite Aufmerksamkeit für dieses einzigartige Experiment, das nur mit vereinten Kräften rund um den Globus möglich war, lockt immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für kürzere oder längere Zeit nach Genf.

Obschon die meisten CERN-Mitglieder der EU angehören, waren Interesse und Einfluss der EU bis vor kurzem sehr gering. Seit zwei Jahren intensivieren sich jedoch die Kontakte; dahinter erkennt man die Absicht der EU, die im CERN-Rat Beobachterstatus hat, ihren Einflussbereich zu vergrössern.

Das CERN ist für die Schweiz als Sitzstaat, Wissenschaftsstandort und aus wirtschaftlicher Sicht von erheblicher Bedeutung: Neben dem ordentlichen Mitgliederbeitrag von rund 30 Millionen Franken pro Jahr (entspricht rund 3 % des CERN-Budgets) hat die Schweiz in den letzten 20 Jahren als Sitzstaat das CERN mit Sonderbeiträgen im Gesamtbetrag von über 125 Millionen Franken zusätzlich direkt unterstützt. Dies unterstreicht den politischen Willen, das CERN als Weltlabor für Teilchenphysik in 6361

der Schweiz zu behalten und seine Ausstrahlung auch für die Förderung des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses in der Schweiz zu nutzen.

Als Sitzstaat gewinnt die Schweiz durch die Anwesenheit des CERN aber auch wirtschaftlich. Mit 7,5 % des Personalbestands ist die Schweiz das bestvertretene Land im CERN. Die 2500 dort arbeitenden Personen stellen einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Region dar. Die mehr als 8000 Gastforscherinnen und -forscher aus aller Welt, die jährlich am CERN verweilen, tragen zur Tourismusindustrie in der Region bei. Noch grösser ist der Rückfluss aus den Industrie- und Dienstleistungsverträgen des CERN, die überproportional in unser Land zurückfliessen. In den letzten fünf Jahren konnte ein Nettorückfluss von mehr als 200 Millionen Franken erzielt werden.

Nach der Inbetriebnahme des Large Hadron Collider strebt das CERN eine langfristige Konsolidierung seiner weltweiten Spitzenposition an. In diesem Zusammenhang setzte der CERN-Rat im Dezember 2008 eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung einer langfristigen Erweiterungsstrategie ein, an der sich auch die Schweiz aktiv beteiligt.

Das CERN will einerseits möglichst viele qualifizierte Mitgliedstaaten gewinnen, um durch erhöhte Einnahmen die immensen Kosten für die grossen Experimente zu decken. Andererseits müssen die Anzahl der Mitgliedstaaten und die guten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten einen funktionierenden Entscheidungsprozess innerhalb des CERN-Rates ermöglichen, was mit steigender Mitgliederzahl immer schwieriger wird. Eine langfristige Erweiterungsstrategie muss insbesondere folgende Fragen beantworten: Wie sind die verschiedenen Kategorien von Mitgliedstaaten, assoziierten Mitgliedern, Beobachtern und Partnern zu definieren und zu gestalten, um die hochgesteckten Ziele zu erreichen und um auch den Interessen der geldgebenden Staaten zu entsprechen? Wie wird die Beziehung zur Europäischen Kommission in Zukunft gestaltet? Wie diejenige zu Partnerlabors in Nordamerika und in Asien? Welcher Zusammenhang besteht zwischen einer allfälligen wissenschaftlichen und einer geografischen Ausweitung? Und schliesslich: Soll das CERN in Zukunft eine europäische Institution bleiben, mit einem weltweiten Netzwerk von Partnern, oder soll es eine globale Organisation werden, die allen Ländern nicht nur als Partnern und Nutzern, sondern als Mitgliedern offen steht?

3.2.2.3.6

ESA

Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) wurde 1975 von 10 europäischen Staaten, darunter der Schweiz, gegründet und zählt heute 18 Mitgliedstaaten. Sie ist an der Entwicklung der Trägerrakete Ariane beteiligt und führt Programme in den Bereichen bemannte Raumfahrt, Weltraumerforschung, Erdbeobachtung, Telekommunikation, Navigation sowie wissenschaftliche Programme durch.

Die Schweiz könnte solche Programme nicht allein durchführen. Ihre Beteiligung an der ESA eröffnet ihr den Zugang zum Weltraum und ermöglicht ihr die Teilnahme an der Entwicklung von Weltraumtechnologien und die Nutzung von Anwendungen, die von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung sind, wie z.B. Kommunikation, Verkehr, Navigation, Wettervorhersage und Umweltüberwachung.

Die ESA ist in vollem Wandel begriffen: Neben der Erweiterung findet auch eine institutionelle Annäherung an die EU statt, die 2004 mit einem Rahmenabkommen formalisiert wurde. Aufgrund dieses Abkommens finden gemeinsame Treffen auf 6362

Ministerebene statt (im sog. Weltraumrat), die sich mit der strategischen Ausrichtung von gemeinsamen Grossprojekten wie Galileo (Navigation und Positionierung, s. auch Ziff. 3.2.2.1.4) und GMES/Kopernikus (Umweltüberwachung und Sicherheit) befassen. Die ESA ist für Forschung und Entwicklung zuständig, d.h. sie entwickelt die Infrastruktur für die Raumfahrt, und die EU übernimmt deren Betrieb und Nutzung. Die Schweiz ist in der ESA als Akteurin anerkannt, die im Verhältnis zu ihrem finanziellen Beitrag einen überproportionalen Einfluss ausübt. Die Verteidigung dieser Position und der Schweizer Prioritäten in den gemeinsamen Programmen mit der EU beim Übergang zwischen der ESA- und der EU-Phase ist eine ständige Herausforderung. Der Erfolg hängt von der Stärke unserer Position in der ESA und von unserer Beteiligung an den operationellen Phasen dieser Programme ab (s. auch Ziff. 3.2.2.1.4, Galileo und EGNOS).

Ein weiteres Beispiel für die oben erwähnte institutionelle Annäherung ist die Ausarbeitung einer gemeinsamen Europäischen Raumfahrtpolitik, die im Mai 2007 vom Weltraumrat, in dem die für Weltraumfragen zuständigen Minister aus den ESAund den EU-Mitgliedstaaten vertreten sind, verabschiedet worden ist. Beim 5. Treffen des Weltraumrates im September 2008 in Brüssel legten die Minister die neuen Prioritäten für die Umsetzung der Europäischen Raumfahrtpolitik fest.

Ein anderes wichtiges Ereignis im Raumfahrtbereich war das Treffen des ESA-Rates auf Ministerebene im November 2008 in Den Haag, an dem über die strategische Ausrichtung der Programme der Organisation und über deren Finanzierung für das nächste Jahrzehnt entschieden wurde. Die Schweiz präsidierte dabei die Arbeitsgruppe, die einen Kompromiss für die Beteiligung der ESA an der Internationalen Raumstation (ISS) fand. Zudem bestätigte sie ihr Engagement für die Organisation durch ihre Beteiligung an mehreren freiwilligen Programmen, die unter anderem der Schweizer Industrie und Forschung zugute kommen.

3.2.3

Politik gegenüber dem amerikanischen Kontinent

3.2.3.1

Nordamerika

Geprägt von der Vormacht der Vereinigten Staaten zeichnet sich die Region Nordamerika durch ein erhebliches weltpolitisches und wirtschaftliches Gewicht aus. Alle drei Länder dieser Region ­ Kanada, USA und Mexiko ­ sind Mitglieder der G-8+5 sowie der G-20 und untereinander in der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA verbunden. Es sind zurzeit noch die einzigen drei OECD-Mitglieder auf dem amerikanischen Kontinent. Für die Schweiz stehen einerseits bedeutende wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, wobei sich bei Kanada und Mexiko ein Potenzial eröffnet, denn beide Länder sind bestrebt, ihre grosse wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA durch eine Diversifizierung der Wirtschaftsbeziehungen zu vermindern. Andererseits gibt es gerade auch mit Kanada und Mexiko zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit in multilateralen Institutionen aufgrund einer mehr oder weniger ausgeprägten Gleichgesinntheit (europäischkulturelle Prägung des amerikanischen Kontinents). Eine Verbindung zur Region ergibt sich auch durch die über 110 000 Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in Nordamerika leben, sowie durch umfangreiche Touristenströme. (Mexiko wird im Folgenden unter Ziff. 3.2.3.2 abgehandelt.)

6363

USA Während der zweiten Amtszeit von Präsident George W. Bush mehrten sich Anzeichen, die auf eine Verminderung der Dominanz der vorherrschenden Weltmacht und die Herausbildung einer multipolaren Welt hindeuteten. Der scheinbare relative Bedeutungsverlust der USA darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Nation wohl noch über einige Zeit die Rolle einer führenden Grossmacht zukommen wird, nicht zuletzt aufgrund ihres wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Potenzials. Die USA sind ein unumgänglicher Partner und Machtfaktor, nicht nur für die aufstrebenden Mächte, sondern auch für Europa (und die Schweiz) sowie für das internationale System insgesamt. Mit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama ergibt sich die Chance einer Erneuerung der amerikanischen Politik und der internationalen Beziehungen, vor allem auch in Bezug auf das Engagement der USA in den multilateralen Institutionen.

Sowohl in der Innen- als auch in der Aussenpolitik steht die neue Regierung allerdings vor fast unermesslichen Herausforderungen. An erster Stelle ist die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise zu nennen. Doch auch die Reform des Gesundheitswesens und der Energiepolitik sowie die Schliessung des Gefangenenlagers in Guantánamo sind komplexe Vorhaben. Aussenpolitisch zählt die Wiederherstellung des amerikanischen Einflusses und Ansehens in der Welt zu den Prioritäten von Präsident Obama. Iran, Irak, Afghanistan und der Friedensprozess im Nahen Osten sind einige der grössten Herausforderungen. Die neue Regierung signalisierte, dass sie die grossen Probleme der Welt vermehrt im Verbund mit Partnern und im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit angehen will. Sie hat sich für eine verstärkte Kooperation mit Europa ausgesprochen, verlangt aber von den Partnern ihrerseits ein grösseres Engagement (z.B. in Afghanistan). Fest steht, dass die globalen Herausforderungen ­ unter anderem Finanzkrise, Klimawandel, Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Ernährungssicherheit ­ nur gemeinsam mit den USA bewältigt werden können.

Diese Feststellung gilt auch für die Schweiz. Durch ihre weltpolitische und wirtschaftliche Bedeutung sind die USA für unser Land ein in jeder Hinsicht wichtiger Partner. Abgesehen von der gemeinsamen Suche nach Lösungen für die globalen Probleme liegen die
Interessen der Schweiz schwergewichtig im wirtschaftlichen Bereich. Die USA sind die wichtigste Destination für schweizerische Direktinvestitionen und der zweitwichtigste Exportmarkt. Die Vereinigten Staaten sind der zweitgrösste ausländische Direktinvestor in der Schweiz. Die USA liefern auch technologisch einen entscheidenden Beitrag für unser Land dank führender Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, und die Schweiz hat ein Interesse an einer intensiven Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie. Die schweizerischen Interessen beziehen sich ferner auf die grosse Kolonie von Landsleuten, leben doch 10 Prozent aller Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in den USA.

Das strategische Ziel der schweizerischen Aussenpolitik der letzten Jahre war es, die Wahrung unserer Interessen zu optimieren durch eine Vertiefung und Strukturierung der bilateralen Beziehungen sowie durch eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit den USA in Bereichen von gegenseitigem Interesse. Die Unterzeichnung eines «Memorandum of Understanding» für die Intensivierung der Beziehungen (im Mai 2006) und die Lancierung eines regelmässigen politischen Dialogs auf hohem Niveau haben zu einer Belebung und Festigung des bilateralen Verhältnisses geführt. Dies erlaubt es insbesondere, punktuell auftretende Differenzen mit Störpotenzial anzugehen (schweizerische Kritik an den «extraordinary renditions» und dem 6364

Gefängnis in Guantánamo, amerikanische Kritik an einem Gaslieferabkommen mit Iran, Behandlung der UBS-Frage im Rahmen der bestehenden bilateralen Abkommen).

Die Zusammenarbeit hat sich auf mehreren Gebieten konkretisiert: Die USA und die Schweiz haben u. a. im Kosovo zusammengearbeitet und sind dort heute im Rahmen der Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union (EULEX) aktiv. Ebenso konnte die Schweiz, mit der Zustimmung der USA, massgeblich zum Normalisierungsprozess zwischen Armenien und der Türkei beitragen. In diesem Rahmen ergab sich am 6. April 2009, bereits wenige Monate nach dessen Amtsübernahme, die Gelegenheit für ein Treffen zwischen Präsident Obama und der Departementschefin des EDA. Im Bereich der nuklearen Non-Proliferation haben sich beide Länder im Sommer 2008 für die Bekräftigung des internationalen NonProliferationsregimes in der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) ausgesprochen. Die Schweiz und die USA haben 2008 im Rahmen der Konferenz über ein Verbot von Streumunition sowie bei der Erarbeitung eines Verhaltenskodex für private Militär- und Sicherheitsfirmen zusammengearbeitet.

Die Schweiz vertritt die amerikanischen Interessen im Iran und in Kuba sowie die kubanischen Interessen in Washington. Zum Iran-Mandat gehört namentlich auch die Betreuung von über 7000 amerikanischen Staatsbürgern, hauptsächlich Doppelbürgerinnen und -bürgern vor Ort. Die Schweiz ist bereit, diese Dienstleistungen weiterzuführen, wobei sie auch unterstützend zur Verfügung stünde für den Fall, dass eine Normalisierung der Beziehungen mit den betroffenen Staaten eingeleitet würde.

Mit der Administration Obama, dem amerikanischen Kongress und wichtigen Meinungsmachern wird das Kontaktnetz zurzeit erneuert und erweitert. Positiv aufgenommen wurde das Angebot des Bundesrates zu prüfen, wie die Schweiz die amerikanische Regierung bei der Schliessung des Gefangenenlagers in Guantánamo unterstützen könnte.

Neue Chancen ergeben sich im Bereich der multilateralen Zusammenarbeit, hat doch Präsident Obama die Bekämpfung des Klimawandels, den Schutz der Menschenrechte, die friedliche Beilegung von Konflikten durch Dialog und Diplomatie sowie die Abrüstung und Non-Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu seinen Prioritäten erklärt ­ Bereiche, die auch zu den Schwerpunkten der schweizerischen
Aussenpolitik zählen. Die Schweiz setzt daher auf gemeinsame Anstrengungen unter anderem im UNO-Menschenrechtsrat (im Zuge des erneuten Engagements der USA), in der Internationalen Umwelt-Gouvernanz, der IAEA, im Bereich der menschlichen Sicherheit sowie hinsichtlich der Reform des UNO-Systems für die Entwicklung und für die Friedenserhaltung wie auch die Gestaltung des Budgetprozesses.

Die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen erfolgt unter anderem im Rahmen des Kooperationsforums Schweiz­USA für Handel und Investitionen (Forum), das im Mai 2006 gegründet worden war und das die Themen elektronischer Handel, Datenschutz, Schutz von Rechten an geistigem Eigentum, Handel und Sicherheit sowie Schweizer Fleischexporte in die USA behandelt. Es wird noch vermehrt darum gehen, den im Zuge der Bekämpfung der Wirtschaftskrise allfällig aufkommenden protektionistischen Tendenzen wachsam zu begegnen. Im Bereich Wissenschaft und Technologie wurde am 1. April 2009 in Washington D.C. ein bilaterales Abkommen zur wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit unterzeichnet. Ausserdem konnte Ende März 2009 der Erweiterungsbau von swissnex in Boston einge6365

weiht werden. Auch soll im Bereich der Amtshilfe im Zollwesen durch den Abschluss von Abkommen die Zusammenarbeit ausgeweitet werden. Die USA bleiben ausserdem ein Schwerpunktland von Präsenz Schweiz.

Ein weiterer wichtiger Bereich bleibt die Bekämpfung des Terrorismus und der Terrorismusfinanzierung. Unter anderem ist seit dem 1. Dezember 2007 ein Abkommen über die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen (Operative Working Arrangement II) in Kraft. Im Rahmen ihrer Antiterrorismus- und Non-Proliferationspolitik werden die USA weiterhin ein besonderes Augenmerk auch auf die schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran richten.

Ein wichtiges Interesse der Schweiz verbunden mit gewissen Herausforderungen ist der Verbleib der Schweiz im «Visa Waiver»-Programm. Damit die teilnehmenden Staaten, darunter die Schweiz, weiterhin von der visumsfreien Einreise in die USA profitieren können, wird von ihnen eine intensivere Sicherheitskooperation erwartet.

Diese Zusammenarbeit muss im Einklang mit den schweizerischen Gegebenheiten und Rechtsnormen ausgestaltet werden.

Die grössten derzeitigen Herausforderungen liegen jedoch im Bereich der Interessen des Finanzplatzes: Ein Hauptstreitpunkt zwischen den USA und der Schweiz besteht im Fall der UBS, gegen die in den USA ein zivilrechtliches Verfahren zur Herausgabe der Namen von 52 000 Kontoinhabern läuft (vgl. Ziff. 3.3.1). Im Steuerbereich könnten zudem verschiedene amerikanische Gesetzgebungsvorhaben problematisch sein, so der von Senator Levin eingereichte Vorschlag von 2007, der Anfang März 2009 erneut im Kongress eingebracht wurde. Gemäss diesem Vorschlag figuriert die Schweiz auf einer Liste von «Offshore Secrecy Jurisdictions». Andere Gesetzgebungsvorschläge gehen nicht von einem Listenansatz aus, sondern sollen etwa mit einem Meldeverfahren für Auslandtransaktionen die Kontrollmöglichkeiten des amerikanischen Fiskus verbessern.

Von Bedeutung ist zudem das «Qualified Intermediary System», das revidiert werden soll. Mit direkt zwischen der USA und den Banken geschlossenen Abkommen wird der Einsatz von US-Wertschriften gesichert, im Gegenzug gibt es umfassende Meldepflichten über amerikanische Kunden und amerikanische Wertschriften.

Der Bundesratsentscheid vom 13. März 2009 zur Neugestaltung der schweizerischen Amts- und Rechtshilfepolitik im
Steuerbereich eröffnet Möglichkeiten für Lösungen, die beim Informationsaustausch amerikanischen Anliegen entgegenkommen und gleichzeitig das schweizerische Grundanliegen eines beidseits offenen Marktzugangs für Finanzinstitute und andere Firmen sichern. Für die Schweiz ist es entscheidend, dass die Zusammenarbeit im Steuerbereich ausschliesslich im vereinbarten bilateralen Rechtsrahmen erfolgt. Die Revision des Doppelbesteuerungsabkommens mit den USA ist für die Schweiz prioritär. Ein Revisionsprotokoll konnte am 19. Juni 2009 paraphiert werden. Die Steuerfrage ist auch beim Treffen der Departementschefin des EDA mit Secretary of State Hillary Clinton von Ende Juli 2009 in Washington aufgenommen worden. Gleichzeitig soll das Umfeld gepflegt und positiv beeinflusst werden, indem alle Formen der Zusammenarbeit mit den USA genutzt werden, um das gute bilaterale Verhältnis und das gegenseitige Vertrauen weiter zu stärken und Goodwill zu schaffen (siehe Ausführungen oben).

6366

Kanada Kanada hat als Mitglied der G-8 und der G-20 sowie zahlreicher globaler und regionaler politischer und wirtschaftlicher Organisationen eine einflussreiche Stellung in der Weltpolitik. Das Land führt eine aktive Aussenpolitik, die sich traditionellerweise stark auf den multilateralen Rahmen abstützt. Im Berichtszeitraum sind einige neue Weichenstellungen erfolgt, wobei die Beziehungen zu den USA stärker in den Vordergrund gerückt sind.

Die Schweiz und Kanada vertraten auf multilateraler Ebene in verschiedenen Themenbereichen traditionell sehr ähnliche Positionen und arbeiteten eng zusammen, vor allem in der UNO, im Netzwerk Menschliche Sicherheit oder auf dem Gebiet des Föderalismus. Auch sind beide Länder Mitglieder der Frankophonie. Im Zuge des Richtungswechsels in der kanadischen Aussenpolitik haben sich die Berührungspunkte zwischen der Schweiz und Kanada in den letzten Jahren verändert. Das Schwergewicht verschob sich stärker auf das wirtschaftliche Gebiet mit wachsendem bilateralem Handelsvolumen und zunehmenden schweizerischen Direktinvestitionen. Im Januar 2008 wurde das Freihandelsabkommen EFTA­Kanada unterzeichnet, das am 1. Juli 2009 in Kraft getreten ist. Kanada ist der zweitwichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz auf dem amerikanischen Kontinent.

Zurzeit wird auf eine Belebung der politischen Konsultationen auf hoher Behördenebene, sowie auf eine verstärkte Nutzung des Potenzials im Energie-, Umwelt- und Wissenschaftsbereich hingewirkt.

3.2.3.2

Lateinamerika und die Karibik

In der neuen Weltordnung entstehen für Lateinamerika neue Optionen. Neben den nach wie vor wichtigen Beziehungen zu den USA und Europa orientieren sich zahlreiche Länder seit einigen Jahren zunehmend an Asien. Brasilien, das in die Liga der «Global Players» aufsteigt, aber auch andere lateinamerikanische Länder spielen eine aktivere Rolle auf der internationalen Politikbühne. Sie machen auch innerhalb der internationalen Organisationen vermehrt ihren Einfluss geltend.

Gewisse dieser Länder wirken ebenfalls als Brückenbauer zwischen dem Norden und dem Süden und tragen durch ihr Engagement zu Lösungen für die globalen Herausforderungen bei.

Die letzten fünf Jahre ­ bis zum Beginn der Krise ­ waren geprägt durch eine positive wirtschaftliche Entwicklung mit beträchtlichem Wirtschaftswachstum und gewissen Fortschritten bei der Reduktion der Armut fast überall in der Region. Die grosse Nachfrage nach lateinamerikanischen Exportprodukten und die hohen Preise für Agrargüter und Rohstoffe haben entscheidend dazu beigetragen. Ausserdem lässt sich die aussenpolitische Selbstsicherheit der lateinamerikanischen Regierungen auf eine zunehmende Stabilität zurückführen, die ihrerseits auf einer Wiederherstellung der demokratischen Ordnung in der Region und auf einer Verbesserung der makroökonomischen Rahmenbedingungen am Ende des 20. Jahrhunderts beruht. Im letzten Jahr hat nun aber die Wirtschafts- und Finanzkrise auch die inzwischen weitgehend globalisierten Volkswirtschaften Lateinamerikas erreicht, wenngleich in unterschiedlichem Ausmass. Die These von der «Abkoppelung» ist widerlegt. Es besteht die Gefahr, dass gewisse Errungenschaften, beispielsweise im sozialen

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Bereich oder in der Reduktion der Auslandsverschuldung, wieder rückgängig gemacht werden könnten.

Die Herausforderungen, denen sich Lateinamerika gegenübersieht, sind auf jeden Fall gross, zumal es sich weiterhin um die Region mit der ausgeprägtesten sozialen Ungleichheit handelt. Die soziale Frage ist im Zuge des Vormarsches mehrerer Linksregierungen unterschiedlicher Prägung in den Vordergrund gerückt. Zahlreiche Staaten Lateinamerikas sind bestrebt, den Forderungen ihrer Bevölkerung nach öffentlicher und sozialer Sicherheit, Bildung, Beschäftigung, Einkommen, Zugang zum Rechtssystem und nach Rechtssicherheit nachzukommen, um nur einige Bereiche zu nennen, in denen weitere Fortschritte erzielt werden müssen.

Für die Schweiz nimmt Lateinamerika weiter an Bedeutung zu: Aus wirtschaftlicher Sicht sind es seine wachsenden Märkte; aus gesellschaftlicher Sicht sind es die engen menschlichen und kulturellen Bindungen; aus politischer Sicht ist es die grosse Mehrheit der Regierungen dieser Weltregion, die in vielen Fragen die gleichen Ansichten vertritt wie unser Land. Die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder sind natürliche Verbündete der Schweiz: Die kulturelle Nähe zwischen unserem Land und der Region führt zu gemeinsamen Standpunkten (oder «Gleichgesinntheit»), namentlich in folgenden Bereichen: Demokratie, Menschenrechte, friedliche Konfliktlösung, Stärkung des Völkerrechts und ein die internationale Zusammenarbeit stärkender Multilateralismus. Ein weiterer Beweis für diese engen Bindungen und für unser Interesse an dieser Weltregion sind zudem die rund 50 000 Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in Lateinamerika leben sowie die langjährigen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Weiter an Bedeutung gewinnt auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Klimawandel sowie Kampf gegen den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen.

Die Schweiz hat denn auch in den letzten Jahren die Beziehungen mit Lateinamerika enger geknüpft. Mit einigen Ländern wurden regelmässige politische Konsultationen eingeführt. Es kam zu zahlreichen hochrangigen Kontakten, wobei insbesondere der Staatsbesuch der chilenischen Präsidentin im Jahr 2007 hervorzuheben ist, in dessen Rahmen eine Absichtserklärung im Bereich Wissenschaft und Technologie unterzeichnet wurde, sowie der
Staatsbesuch von Bundespräsident Pascal Couchepin im Dezember 2008, bei dem die konkrete wissenschaftliche Zusammenarbeit erneut ein wichtiges Thema darstellte. Ausserdem wurden die schweizerischen Vertretungen in Bolivien, der Dominikanischen Republik, Haiti, Paraguay und Uruguay aufgewertet, indem ein residierender Botschafter akkreditiert wurde.

Das Potenzial in den schweizerischen Beziehungen zu Lateinamerika soll weiter ausgeschöpft werden. Hierzu bietet sich aufgrund der Gleichgesinntheit und der kulturellen Nähe der multilaterale Bereich an. Über Partnerschaften, gemeinsame Initiativen und eine gegenseitige Unterstützung soll mit einer Reihe von Ländern dieser Region die Zusammenarbeit verstärkt werden.

Die Schweiz hat ein Interesse an der Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen, vor allem mit den dynamischen aufstrebenden Ländern der Region. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Rahmenbedingungen und den Zugang zu den Märkten zu verbessern, unter anderem durch den Abschluss von Freihandelsabkommen mit den lateinamerikanischen Ländern. Im Jahr 2008 konnten die Verhandlungen über solche Abkommen zwischen der EFTA und Peru einerseits und Kolumbien andererseits abgeschlossen werden. Der Wahrung der wirtschaftlichen Interessen wird in nächs6368

ter Zeit noch verstärkte Bedeutung zukommen, dies auch deshalb, weil in einigen lateinamerikanischen Staaten der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft zunimmt und es zu Nationalisierungen gekommen ist, von denen vereinzelt auch Schweizer Firmen betroffen sind.

Auch die vertraglichen Beziehungen zu den lateinamerikanischen Ländern werden durch die Aufnahme von Verhandlungen und die Finalisierung von Abkommen in den Bereichen Doppelbesteuerung, Luftverkehr, Wissenschafts- und Technologiezusammenarbeit, Rechtshilfe, Kulturgütertransfer, Praktikantenaustausch, Rückübernahme und Überstellung verurteilter Personen schrittweise ausgebaut.

Die Schweiz unterstützt einzelne Länder der Region in ihren Anstrengungen, ihre Entwicklungsprobleme zu lösen. Die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe werden weiterhin in den Andenländern (Bolivien, Peru, Kolumbien), in Zentralamerika (Nicaragua, Honduras) sowie in Kuba (Sonderprogramm) und Haiti engagiert sein. Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit agiert im Dreieck Armutsreduktion, menschliche Sicherheit und globale Partnerschaft und fördert das «Empowerment» benachteiligter Bevölkerungsgruppen, damit diese ihre Entwicklungsziele erreichen können. In Zukunft soll vermehrt auch der Privatsektor einbezogen werden. Ferner wird es zunehmend darum gehen, zusammen mit Lateinamerika Lösungen für globale Probleme zu erarbeiten (Klima, Ernährungssicherheit).

In der Region führen Naturereignisse wie Erdbeben, Überschwemmungen, Wirbelstürme, Dürren und Kältewellen immer wieder und zunehmend zu Naturkatastrophen. In der humanitären Hilfe legt die Schweiz deshalb ein Schwergewicht auf Aktivitäten, die auf die Verminderung der Risiken bei Naturkatastrophen zielen («Disaster Risk Reduction», DRR), vor allem in Nicaragua, Peru, Bolivien und Haiti. Ebenfalls von Bedeutung ist in Haiti die sich anbahnende trilaterale Zusammenarbeit zwischen Haiti, Brasilien und der Schweiz. In Kolumbien kommen die Aktivitäten der humanitären Hilfe des Bundes den Opfern von Menschenrechtsverletzungen zugute, die vom langen internen Konflikt gefordert wurden, sowie den intern Vertriebenen.

Während der Berichtsperiode unterstützte die Schweiz unter anderem einen Prozess zum Aufbau eines humanitären Dialogs mit der kolumbianischen Guerilla. Sie wird auch in Zukunft ihr Engagement
für den Frieden und die Einhaltung der Menschenrechte fortsetzen und sich dabei auf die verschiedenen Instrumente ihres Friedensförderungsprogramms stützen (vgl. Ziff. 3.3.6). Kolumbien ist ein Zielland der schweizerischen Friedensförderungspolitik und der humanitären Hilfe.

Von August 2009 bis August 2010 wird die Schweiz die Feiern zur 200-jährigen Unabhängigkeit Argentiniens, Chiles und Mexikos zum Anlass nehmen, um ihrer Präsenz in der Region ­ vor allem in den genannten Ländern sowie in Brasilien ­ mit Instrumenten der Landeswerbung und kulturellen Projekten ein stärkeres Profil zu geben.

Brasilien In Lateinamerika ist Brasilien der Vertreter der aufstrebenden Mächte des Südens, die auf der globalen Bühne zusehends an Einfluss gewinnen. Brasilien umfasst die Hälfte Südamerikas: Gemessen an seiner Fläche, Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft ist es das unbestrittene Schwergewicht des Subkontinents. Es gehört zu den grössten Ländern der Erde, und im Jahr 2050 wird es Prognosen zufolge auch die fünftgrösste Wirtschaft der Welt sein. Brasilien ist ein wichtiger landwirtschaft6369

licher Akteur, der aber auch modernste Flugzeuge exportiert und Fernsehprogramme in die ganze Welt ausstrahlt. Brasilien hat ausserdem Einfluss auf wichtige multilaterale Prozesse und ist ein Kandidat für einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat.

Das neue Selbstbewusstsein des Landes hat unter der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise bisher nicht gelitten, ganz im Gegenteil: Brasilien zeigt sich überzeugter denn je, dass die Stunde gekommen ist, zusammen mit den anderen BRICStaaten (Russland, Indien, China) eine neue Weltfinanz- und -wirtschaftsordnung mitzugestalten, in der das grösste Land Lateinamerikas eine wesentlich prominentere Rolle zu spielen gedenkt, insbesondere im Rahmen der G-20. Brasilien nimmt vermehrt die Haltung eines Brückenbauers zwischen dem Norden und dem Süden wahr und spielt eine führende Rolle in der regionalen Integration Lateinamerikas.

Für die Schweizer Aussenpolitik ist Brasilien aufgrund des Umfangs, der Komplexität und der Dynamik der bilateralen Beziehungen ein Ankerland. Vor diesem Hintergrund unterzeichnete die Schweiz mit Brasilien 2008 ein «Memorandum of Understanding» zur Begründung einer «strategischen Partnerschaft». Vereinbart wurden ein regelmässiger politischer Dialog sowie eine verstärkte Zusammenarbeit.

Die schweizerische Diplomatie hat dadurch einen verbesserten Zugang zu den Entscheidungsträgern der brasilianischen Aussenpolitik erlangt. Die Schweiz und Brasilien haben ­ auf der Grundlage gemeinsamer Werte ­ ein Potenzial für gemeinsame multilaterale und bilaterale Aktionen identifiziert. In den nächsten Jahren soll die Zusammenarbeit besonders im Bereich der Abrüstungspolitik und der menschlichen Sicherheit sowie bei der Entwicklungszusammenarbeit zugunsten ärmerer Länder (zunächst in Haiti, später in Afrika) ausgebaut werden. Auf diese Weise sollen ein solides Fundament einer aussenpolitischen Partnerschaft gelegt und ein wichtiges Vertrauenskapital geschaffen werden.

Im politischen Dialog mit Brasilien setzt sich die Schweiz dafür ein, den bisher lückenhaften bilateralen Rechtsrahmen auszubauen. Im Jahr 2009 sollen die lange Zeit blockierten Verhandlungen über ein Doppelbesteuerungsabkommen wieder aufgenommen werden. Brasilien ist mit Abstand der wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz in Lateinamerika. Die Förderung von Handel und
Investitionen wird im Rahmen der vom Bundesrat verabschiedeten Aussenwirtschaftsstrategie weiter verstärkt. In diesem Zusammenhang wurde 2007 ein «Memorandum of Understanding» zur Schaffung einer gemeinsamen Wirtschaftskommission unterzeichnet. Ziel dieser Kommission ist es, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu verstärken.

Auf der bilateralen Agenda stehen ferner die Ratifikation des Rechtshilfeabkommens sowie der Abschluss eines Stagiaire-Abkommens und eines Abkommens über die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit. Letzteres wird die Grundlage für einen verstärkten Austausch bilden.

Mexiko Mexiko ist bevölkerungsmässig das zweitgrösste Land Lateinamerikas. Wie Brasilien ist es Mitglied der G-8+5 und der G-20 und hat als aufstrebende Regionalmacht auch politisches Gewicht. Aufgrund seiner Stellung als OECD- und NAFTAMitglied und zugleich als ein mit Entwicklungsproblemen konfrontiertes Land nimmt Mexiko eine Stellung zwischen dem Norden und dem Süden ein. Mit einer aktiven Aussenpolitik nutzt Mexiko das Potenzial dieser Zwischenstellung, um seinen Einfluss durch die Wahrnehmung einer Brückenfunktion zu stärken.

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Mexiko ist der zweitwichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz in Lateinamerika.

Mit diesem Land schloss die Schweiz im Rahmen der EFTA das erste Freihandelsabkommen auf dem amerikanischen Kontinent ab, das am 1. Juli 2001 in Kraft trat. Der Bundesrat verabschiedete Ende 2007 eine Aussenwirtschaftsstrategie zu Mexiko. Der Behandlung wirtschaftlicher Fragen dient die Konsultativgruppe Schweiz­Mexiko.

Die bilateralen Beziehungen, die traditionell einen wirtschaftlichen Schwerpunkt aufweisen, sollen auch auf anderen Gebieten enger gestaltet werden. Ein Rechtshilfeabkommen ist im September 2008 in Kraft getreten. Beabsichtigt ist unter anderem, die Kooperation im Kulturgütertransfer und im Bereich der Umwelttechnologie zu intensivieren. Zur weiteren Stärkung der bilateralen Beziehungen werden seit 2007 regelmässige politische Konsultationen durchgeführt.

Mexiko ist für die Schweiz ein wichtiger Partner im multilateralen Bereich, was unter anderem durch die Zusammenarbeit im UNO-Menschenrechtsrat und in der internationalen Umwelt-Gouvernanz illustriert wird. Darauf gilt es auch in Zukunft aufzubauen.

3.2.4

Politik gegenüber Asien und Ozeanien

Der seit rund 20 Jahren anhaltende wirtschaftliche und soziale Aufschwung Asiens hat sich 2008 trotz des Dämpfers im letzten Quartal als Folge der US-amerikanischen Subprimekrise fortgesetzt. Dies stellt ein wichtiges Konjunktursignal dar, denn man war zum Teil davon ausgegangen, dass die asiatische Dynamik die Märkte dieser Weltregion im Falle eines schweren wirtschaftlichen Rückschlags schützen oder gar dessen Auswirkungen insgesamt mildern könnte. Es hat sich aber gezeigt, dass die Globalisierung nicht nur Chancen, sondern auch Risiken birgt. Ostasien ist davon besonders stark betroffen aufgrund seiner exportorientierten Wirtschaft, die eng mit der Weltwirtschaft verflochten ist. Bleibt abzuwarten, ob es den Lokomotiven Japan, China, Südkorea, Indien und den anderen kleineren Ländern gelingt, die Krise zu bewältigen und in den nächsten Monaten wieder in Schwung zu kommen.

Vor dem Hintergrund der Krise werden die Unterzeichnung des Abkommens über Freihandel und wirtschaftliche Partnerschaft mit Japan (bilateral), die laufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien (EFTA) und die Vorbereitungen für ein bilaterales Abkommen mit China 2009 als positives Signal gewertet.

Die Bilanz 2008 ist trotzdem beeindruckend, was die Armutsreduktion, die Zunahme der Mittelschicht, den Anteil am Welthandel oder die Investitionstätigkeit anbelangt. Allerdings gibt es in Asien grosse Unterschiede. Neben ganz im Weltsystem integrierten Ländern mit allen wichtigen demokratischen Errungenschaften gibt es auch Staaten mit liberalisierter Wirtschaft und eingeschränkten Bürgerrechten, Länder mit ungefestigten Demokratien oder solche, die dem Wandel absolut verschlossen bleiben. Die schädlichen Auswirkungen der Krise sind vor diesem Hintergrund unterschiedlich spürbar; sie sind von der Verflechtung mit dem Welthandel und den internationalen Investitionen sowie der Stabilität und Dynamik des Binnenmarkts abhängig.

Die Herausforderungen in Bezug auf Umwelt, Demografie und Sicherheit sowie das zunehmende soziale Gefälle gefährden die Fortschritte, die der Kontinent durch sein 6371

Wachstum und sein neu erworbenes politisches Gewicht erreicht hat. Umweltprobleme belasten die Lebensqualität in den asiatischen Metropolen, und die globale Klimaerwärmung hängt wie ein Damoklesschwert über den stark bevölkerten Küstenebenen und fruchtbaren Deltas. Die kumulierte militärische Macht der wichtigsten Akteure, die zumeist in keinerlei Sicherheitsarchitektur eingebunden sind, gefährdet in einem Umfeld offener oder latenter Spannungen die Stabilität aller Regionen Asiens. In vielen asiatischen Ländern sorgt die (islamistisch, buddhistisch oder hinduistisch motivierte) religiöse Intoleranz bewaffneter Gruppierungen oder autoritärer Regimes zunehmend für Spannungen. Auch die sozialen Ungleichheiten, die durch die Wirtschaftsreformen noch verstärkt wurden, sind ein Nährboden für den Extremismus und die damit verbundenen destabilisierenden Auswirkungen.

Was unsere Interessen in der Region betrifft, stechen drei Grossmächte durch den Umfang, die Komplexität und die Dynamik unserer bilateralen Beziehungen besonders hervor. Die drei wirtschaftlichen Schwergewichte Asiens ­ China, Indien und Japan ­ sind wichtige Partner für die Schweiz, wie die intensiven Beziehungen auf wirtschaftlicher und Regierungsebene zeigen. Dies entspricht der Ausrichtung des Bundesrats, der diese Staaten 2005 zu Schwerpunkten erklärt hatte. Es braucht jedoch einen spezifischen Ansatz für jedes Land, der dem jeweiligen Kontext angepasst ist: 2007 wurde mit China ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, und mit Japan wurde 2008 ein Abkommen über Freihandel und wirtschaftliche Partnerschaft abgeschlossen, das im Februar 2009 unterzeichnet wurde. Anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Freundschaftsvertrags mit Indien wurden 2008 Botschaften ausgetauscht und Absichtserklärungen abgegeben.

3.2.4.1

China

Die Chinapolitik umfasst vier Kooperationsbereiche: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft/Technologie/Bildung sowie Umwelt/Energie.

Das wichtigste politische Instrument ist der im Memorandum of Understanding (MoU) vom September 2007 verankerte regelmässige Dialog. Er trägt der sogenannten «Ein-China-Politik» Rechnung, die die Schweiz seit ihrer Anerkennung der Volksrepublik China im Jahr 1950 verfolgt. Der gelungene Besuch von Premierminister Wen Jiabao im Januar 2009, der als klares Vertrauenszeichen Pekings gegenüber der Schweiz zu werten ist, löste einige deutliche Impulse, unter anderem in den Bereichen Finanzen und Wirtschaft, aus. Im Rahmen des Menschenrechtsdialogs, der 1991 auf Wunsch Pekings aufgenommen worden ist, werden auch heikle Themen wie Rechtsreformen, Strafrecht, Strafvollzug, Religionsfreiheit und Minderheitenrechte (einschliesslich in den chinesischen Gebiete Xinjiang und Tibet) angesprochen. Nach einer zweijährigen Pause fand im Juli 2008 die zehnte Dialogrunde statt.

Der Migrationsdialog könnte 2009 aufgenommen werden. Die Olympischen Spiele, an deren Eröffnung der Bundespräsident teilnahm, waren gewinnbringend (House of Switzerland, «Vogelnest»-Stadium) und lieferten uns wertvolle Erkenntnisse für die Konkretisierung und Optimierung unseres Beitrags an der Weltausstellung 2010 in Shanghai. Die humanitäre Hilfe stellte ihr Fachwissen mit ihrem raschen Handeln nach dem Erdbeben in Sichuan vom 12. Mai 2008 unter Beweis.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist China (mit der Besonderen Verwaltungsregion Hongkong) seit 2002 der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien, gefolgt von Japan. Die Schweiz gehört zu den wenigen westlichen Ländern, die mit China 6372

einen Handelsüberschuss erzielen. 2008 übertraf das bilaterale Handelsvolumen 11 Milliarden Franken. Während der letzten Jahre investierten Schweizer Unternehmen rund 5 Milliarden Franken in China und schufen dort rund 55 000 Arbeitsplätze.

Anstehende Wirtschaftsfragen werden nach wie vor hauptsächlich in der Gemischten Wirtschaftskommission behandelt. Einige Dossiers sind durch die hochrangigen Besuche des EVD vorangekommen, bei anderen wichtigen Fragen müssen noch Fortschritte erzielt werden: der Schutz des geistigen Eigentums im weitesten Sinn (u.a. Bildung einer ambitiösen Arbeitsgruppe) und insbesondere das Freihandelsabkommen. Was dieses Abkommen betrifft, wurde jedoch beim Besuch von Premierminister Wen beschlossen, eine gemeinsame Machbarkeitsstudie durchzuführen.

Seit der Eröffnung der Swiss-Verbindung Zürich­Shanghai im Mai 2008 besteht nun wieder eine Direktverbindung nach China.

Im Bereich Wissenschaft, Technologie und Bildung war das Hauptereignis die Eröffnung des Swissnex Shanghai im August 2008. Es ist das vierte Swissnex insgesamt und das zweite in Asien. China ist ein Schwerpunktland im wissenschaftlichen Bereich.29 Die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Forschungsinstituten wurde in diesem Rahmen 2008 aufgenommen.

Ein DEZA-Programm in China unterstützt die Schulung hoher Verwaltungskader; die humanitäre Hilfe wirkt an der Ausbildung chinesischer Katastrophenhilfekorps (Urban Search and Rescue) mit, die sich beim Erdbeben von Sichuan bereits bewähren konnten.

Im Bereich Umwelt und Energie haben die Olympischen Spiele in Peking Probleme sichtbar gemacht, die die Behörden zu einer neuen Priorität erklärt haben. Die Schweizer Initiativen für eine «saubere» Industrieproduktion und Abfallbewirtschaftung verdienen wie die Projekte zur nachhaltigen Entwicklung (Wasser- und Waldwirtschaft) fortgesetzt zu werden. Im Umweltbereich wurde im Februar 2009 ein erstes MoU über wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bereich Umwelttechnologie unterzeichnet, ein zweites über Wassermanagement und Gefahrenprävention folgte im April 2009.

Sämtliche Kooperationsbereiche stehen weiterhin im Zentrum unserer bilateralen Zusammenarbeit. In Anbetracht der globalen Finanzkrise muss der Dialog mit Peking auf diesem Gebiet weiter intensiviert und ausgedehnt werden, da China ein wichtiger Akteur in der G-20 und der internationalen Finanzarchitektur ist.

3.2.4.2

Indien

Die Indienpolitik der Schweiz hat eine ähnliche Ausrichtung wie die Chinapolitik, allerdings mit einem grossen qualitativen Unterschied: dem grossen Engagement der Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit in den letzten 45 Jahren.

Auf politischer Ebene wurden anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Freundschafts- und Niederlassungsvertrags wesentliche gemeinsame Grundwerte bekräftigt (pluralistische Demokratie, Föderalismus). In den im August 2008 ausgetauschten 29

Vgl. BFI-Botschaft 2008­2011; BBl 2007 1223

6373

Ministererklärungen wurden die Bedeutung des politischen Dialogs und die besondere Partnerschaft hervorgehoben. Auf multilateraler Ebene ist Indien zu einem unumgänglichen Partner geworden (WTO, Nuclear Suppliers Group «NSG»). Bei der menschlichen Sicherheit setzt Delhi vorab auf seine eigenen Kapazitäten, was aber eine Zusammenarbeit beim Katastrophenmanagement nicht ausschliesst.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Indiens haben der Handel und unsere Investitionen stark zugenommen. 2007 betrug das bilaterale Handelsvolumen über 3 Milliarden Franken (positiver Handelssaldo für die Schweiz), und es steigt auch weiterhin an (+8 % zwischen 2007 und 2008). Die Schweiz zählt zu den zehn grössten ausländischen Investoren in Indien. Laut indischen Statistiken beliefen sich die schweizerischen Investitionen im Zeitraum 2000­2007 auf 634 Millionen US-Dollar. Das entsprechende Potential ist noch beträchtlich. Angesichts der Konsolidierung der Rahmenbedingungen wird gegenwärtig im Rahmen der EFTA ein weitreichendes Handels- und Investitionsabkommen ausgehandelt. 2007 wurde eine Arbeitsgruppe zum geistigen Eigentum gebildet. Die Gemischte Kommission bleibt das wichtigste Diskussionsforum für hängige Fragen. Der Flugverkehr verfügt seit 2007 mit New Delhi über eine zweite Destination.

Im Bereich Wissenschaft und Technologie werden ehrgeizige bilaterale Programme umgesetzt. 2009 soll in Bangalore ein Swissnex (fünftes dieser Art und drittes in Asien) eröffnet werden, ebenso ein Generalkonsulat. Die Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen Hochschulen und indischen Instituten erfolgt im Rahmen des Programms der bilateralen Forschungszusammenarbeit des Staatsekretariats für Bildung und Forschung (Indien ist gemäss BFI-Botschaft 2008­2011 eines der acht Schwerpunktländer der Schweiz im wissenschaftlichen Bereich).

Die Zusammenarbeit im Umwelt- und Energiebereich soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. Als drittgrösster CO2-Emittent weltweit steht Indien heute vor der Aufgabe, seinen Verbrauch zu steuern und seine Ressourcen sehr sorgfältig zu verwalten. Die Entwicklung eines zivilen Nuklearprogramms, das aufgrund der Kriterien für die Nichtverbreitung von Kernwaffen problematisch ist, kann als Folge davon gewertet werden. Eine unserer Prioritäten war und ist es denn auch, unsere Anliegen im Forum der «Nuclear
Suppliers Group» («NSG») einzubringen. Auf der Agenda unserer künftigen Zusammenarbeit figuriert jedoch auch die Förderung von «sauberer» Energie und neuen Technologien. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit bilden daher Klimafragen (Mitigation und Adaptation) sowie der Föderalismus die Schwerpunkte unseres Programms. Die DEZA hat nach mehr als 45 Jahren Tätigkeit in Indien ihr Programm redimensioniert und ausgehend von den bisherigen Erfahrungen im Hinblick auf die Weiterentwicklung und Förderung einer regionalen und trinationalen Zusammenarbeit in Südasien neu ausgerichtet. Auf diese Weise lassen sich die öffentliche Entwicklungshilfe der Schweiz optimieren und Errungenschaften langfristig im indischen Kontext verankern. In Indien steht die Armutsbekämpfung weiterhin im Vordergrund, namentlich auch um die Ursachen von Gewalt und Diskriminierung auszumerzen.

3.2.4.3

Japan

Die bilateralen Beziehungen mit Japan sind für unser Land nach wie vor von grosser Bedeutung, denn sie beruhen auf tiefgreifenden systemischen Gemeinsamkeiten.

Was die Aussenhandelszahlen anbelangt, wurde Japan von China und Hongkong 6374

überholt. Für die Schweiz ist Japan nach Singapur das zweitwichtigste Investitionsland in Asien. Gemäss Statistiken der Schweizerischen Nationalbank beliefen sich 2007 die schweizerischen Direktinvestitionen in Japan auf rund 13,7 Milliarden Franken; das sind 1,8 % der gesamten schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland. Gemäss Angaben Japans stammten 2,9 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen in Japan aus der Schweiz. Damit liegt unser Land an siebter Stelle. Die Schweizer Unternehmen beschäftigen in Japan rund 40 000 Personen.

Das bilaterale Handelsvolumen betrug 2008 elf Milliarden Franken, was einem Wachstum im Vergleich zu 2007 von ungefähr 9 % entspricht.

Japan, das als zweitgrösste Weltwirtschaftsmacht gilt, ist auch ein wichtiger Partner im wissenschaftlichen und technologischen Bereich.

Als wichtiges Ereignis der letzten Monate kann die Unterzeichnung eines Abkommens über Freihandel und wirtschaftliche Partnerschaft gewertet werden. Es ist das erste dieser Art, das Japan mit einer westlichen Industrienation abschliesst. Das Abkommen ist wegweisend für andere Industrieländer und betont gleichzeitig unsere engen und strukturierten bilateralen Beziehungen. Zudem symbolisiert es die Übereinstimmung unserer grundlegenden Merkmale.

Auch bei den Erfahrungen in mulilateralen Foren, wie namentlich der WHO, haben sich mögliche Synergien ausgehend von unseren gemeinsamen Interessen ergeben.

Dabei werden in Zukunft vor allem folgende Bereiche im Vordergrund stehen: Umweltanliegen (nach Kyoto), die Fortsetzung und Intensivierung unserer Kooperation im wissenschaftlichen und technologischen Bereich, die Reformen des UNOSystems, Konvergenzen in Sachen Entwicklungszusammenarbeit (z.B. Asiatische Entwicklungsbank), die Nichtverbreitung von Kernwaffen und die Kultur.

Für Japanerinnen und Japaner ist die Schweiz nach wie vor das beliebteste europäische Land, umgekehrt darf behauptet werden, dass Japan auf dem asiatischen Kontinent das bevorzugte Land von Schweizerinnen und Schweizern darstellt: Diese übereinstimmende Wahrnehmung wirkt sich positiv auf die Wirtschaft und den Personenverkehr aus (Tourismus, Forschung) und hat indirekt auch zu diesem wichtigen Wirtschaftsabkommen geführt.

Gestützt auf die Konvergenz und das neue Abkommen wurde auf höchster Ebene vereinbart, einen ausgewogenen
und differenzierten politischen Dialog einzurichten, der der Umsicht Japans in diesem Bereich Rechnung trägt. Eine gemeinsame politische Erklärung könnte dieses Ziel besiegeln, was eine Systematisierung und Institutionalisierung der bilateralen Kontakte auf höchster Ebene erlauben würde. Darüber hinaus wurde Japan sensibilisiert für die Forderung unseres Landes, bei der Ausarbeitung von Antworten auf die Finanzkrise ­ insbesondere im Rahmen der G-20 ­ mitwirken zu können.

3.2.4.4

Weitere regionale bilaterale Partner

Unsere Präsenz und unsere Interessen in Asien beschränken sich nicht nur auf diese drei Hauptpartner. Um die Entwicklungen unserer Beziehungen zu veranschaulichen und die sich daraus ableitenden Perspektiven und Prioritäten festzulegen, werden wir anschliessend die wichtigsten Elemente skizzieren. Dabei verzichten wir auf eine ausführliche Beschreibung der bilateralen Beziehungen mit jedem einzelnen Land.

6375

Die Länder im asiatisch-pazifischen Raum werden in vier in keiner Art und Weise zwingend gewählte Kategorien eingeteilt: a)

systemisch vergleichbare Länder (etablierte Demokratien, vergleichbarer Entwicklungsstand, gleichgesinnte bilaterale und multilaterale Geber, OECD-Mitglieder, Länder mit den gleichen gesellschaftlichen Herausforderungen);

b)

hauptsächlich wirtschaftliche Partner (substanzieller wirtschaftlicher Austausch, bedeutende Investitionen, politische Systeme mit demokratischer Tendenz, Touristenziele);

c)

Entwicklungspartner (starkes bilaterales Engagement, Unterstützung bei der Transition oder Globalisierung, noch bescheidener wirtschaftlicher Austausch);

d)

Empfänger von humanitärer Hilfe und pazifische Kleinstaaten (allgemeine Marginalisierung, systemische Verletzlichkeit oder Existenzbedrohung durch den Klimawandel).

a) Systemisch vergleichbare Länder: Darunter fallen Länder wie die Republik Korea (Südkorea) oder Australien, die zu den fünfzehn grössten Wirtschaftsmächten der Welt gehören. Der Austausch findet im Rahmen multilateraler Foren statt; die seltenen bilateralen Probleme werden im courant normal geregelt. Der wirtschaftliche Austausch und die Investitionen sind solide und nehmen weiter zu. In den Bereichen wissenschaftliche Forschung, Umwelt und Nichtverbreitung vertreten wir übereinstimmende Standpunkte. In der G-20 sind diese Länder für uns potenzielle Stützen.

Eine Intensivierung der bilateralen Kontakte und eine konsequentere Image-Arbeit wären wünschenswert. Das Beziehungsprofil ist vergleichbar mit demjenigen Japans, wenn auch weniger intensive Beziehungen gepflegt werden.

b) Hauptsächlich wirtschaftliche Partner: Die meisten ASEAN-Mitglieder, insbesondere die Gründungsmitglieder (Thailand, Indonesien, Philippinen, Malaysia, Singapur) gehören in diese Gruppe. Unser Wirtschaftsaustausch ist stabil oder nimmt weiter zu, die Investitionen sind gut verankert. Zu unseren Prioritäten gehört die Stärkung des institutionellen Rahmens, insbesondere durch den Abschluss von Freihandelsabkommen. Für die Schweizerinnen und Schweizer sind diese Länder beliebte Reiseziele, umgekehrt schätzen auch deren Bürgerinnen und Bürger unser Land. Der Imagearbeit kommt weiterhin eine wichtige Rolle zu. Auf der Agenda steht nach wie vor die Stärkung demokratischer Systeme, wobei sich je nach Land in diesem Bereich Kooperationsmöglichkeiten ergeben können: Im Fall von Indonesien beispielsweise können sich durch seine Zugehörigkeit zur G-20 sowie durch die Tatsache, dass sich das Sekretariat der ASEAN in Jakarta befindet, Möglichkeiten eröffnen.

c) Entwicklungspartner: In diesen Ländern werden unsere Entwicklungsinstrumente (DEZA, SECO) in bedeutendem Ausmass und gezielt zur Armutsbekämpfung und zur Stärkung der Gouvernanz (z.B. Korruptionsbekämpfung) eingesetzt. Obwohl die wirtschaftlichen Leistungen dieser Länder unterschiedlich ausfallen, weisen sie interessante Perspektiven auf. Die sozio-ökonomische Bilanz von Partnern wie Vietnam, Bangladesh oder Pakistan wirkt sich aufgrund der Bevölkerungszahlen und schwieriger nachbarlicher Verhältnisse sehr stark auf die Subregionen aus.

Unsere Präsenz vor Ort ist wichtig, denn ihr wirtschaftliches Potenzial ist vorhanden, wenn auch Herausforderungen bezüglich Sicherheit (Pakistan), institutionellen 6376

Fragen (Pakistan, Bangladesh) oder Klimawandel (Bangladesh, Vietnam) unterworfen. Wie im Fall Indiens nimmt die DEZA auch in Pakistan im Rahmen einer allgemeinen Umstrukturierung geeignete Anpassungen vor, um die Erfahrungen aus mehr als vierzig Jahre Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in Pakistan optimal zu nutzen. Auch unsere Instrumente des politischen Dialogs (Frieden, Menschenrechte) werden oft zusammen mit Entwicklungsmassnahmen eingesetzt, wie in Nepal oder Sri Lanka. Letzteres bereitet uns hinsichtlich des humanitären Völkerrechts grosse Sorgen, was der Aufruf der Schweiz vom 5. Februar 2009 deutlich machte.

d) Empfänger von humanitärer Hilfe: Die eingangs erwähnte Problematik, die auf den unterschiedlichen Entwicklungsfortschritten in Asien beruht, lässt sich an drei Ländern mit Scharnierfunktion verdeutlichen, nämlich Afghanistan, Myanmar und der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea). Sie beeinflussen die jeweilige Subregionen stark, was sich direkt oder indirekt auf die Sicherheit auswirkt und damit auch uns betrifft, sei es in Bezug auf Terrorismus, Verbreitung von Kernwaffen oder Drogenhandel. Wir setzen in erster Linie unser humanitäres Engagement fort, vor allem in Afghanistan, und bekräftigen dadurch auch unsere Solidarität mit der internationalen Gemeinschaft. So hat die DEZA in Myanmar nach dem verheerenden Zyklon «Nargis» im Mai 2008 substanzielle Not- und erste Aufbauhilfe finanzieller, materieller und technischer Art geliefert und parallel dazu ihr humanitäres und soziales Programm 2006­2008 im Osten des Landes weiter umgesetzt. In den Jahren 2009­2011 wird die Hilfe für die Zyklonopfer weitergeführt und ins bestehende Programm aufgenommen.

Die Anliegen der Kleinstaaten im Pazifik werden von der Schweiz gebührend berücksichtigt, insbesondere in den multilateralen und regionalen Foren zur Klimapolitik, wo ein Entgegenkommen gegenüber unseren Interessen seine Entsprechung findet.

3.2.4.5

Beziehungen zu subregionalen Einheiten

Unter den subregionalen Einheiten ist vor allem die ASEAN zu nennen, deren Charta am 15. Dezember 2008 in Kraft getreten ist. Die Frage der Strukturierung und Formalisierung unserer Beziehungen und insbesondere die Möglichkeit einer institutionellen Unterstützung für das Sekretariat werden derzeit geprüft. Mit ASEAN+3 (Japan, China, Südkorea) und dem Dialog mit der Europäischen Union (Asia Europe Meeting, ASEM) haben sich interessante Foren gebildet. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Wirtschaftskrise stellt auch die aus der südostasiatischen Wirtschaftskrise Ende der 1990er-Jahren entstandene Chiang-Mai-Initiative einen interessanten Ansatz dar. Andere Plattformen wie die APEC (Asia Pacific Economic Cooperation), die SAARC (South Asia Association for Regional Cooperation) oder auch die SCO (Shanghai Cooperation Organisation) weisen auf einen politischwirtschaftlichen Multilateralismus hin, der ein grösseres Engagement unsererseits fordert. In diesem Zusammenhang sind folgende Aktivitäten zu nennen: unser multilaterales Engagement, (Asiatische Entwicklungsbank, Consultative Group on International Agricultural Research, CGIAR, die Instrumente der Süd-Süd-Zusammenarbeit oder unsere Präsenz auf der koreanischen Halbinsel im Rahmen der Überwachungskommission der neutralen Nationen (NNSC) gemäss dem Waffenstillstandsabkommen von 1953.

6377

Der asiatisch-pazifische Raum wird auch im Hinblick auf die Bewältigung der aktuellen wirtschaftlichen Probleme eine entscheidende Rolle spielen. Bei der Suche nach nachhaltigen Lösungen führt an diesem Kontinent mit seinen sechs G-20Mitgliedern (Japan, China, Indien, Südkorea, Australien, Indonesien) sowie seinen immensen Staatsfonds und Devisenreserven kein Weg vorbei. Unsere privilegierten Beziehungen zu diesen Akteuren dürften dazu beitragen, dass wir unsere Interessen in einem Kontext einbringen können, der uns direkt betrifft, weil wir auch Teil der Globalisierung sind. Dieser Tatsche kommt eine strategische Bedeutung bei, wenn es um unsere Positionierung im asiatisch-pazifischen Raum geht, die gleichzusetzen ist mit unseren Prioritäten im Bereich der Armutsbekämpfung und beim verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen und der Umwelt.

3.2.5

Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika

Die Grossregion zwischen Marokko und dem Arabischen bzw. Persischen Golf ist eine klassische Schnittstelle der Kulturen, in der der Okzident auf den Orient trifft.

Sowohl wirtschaftliche (Energieversorgung) als auch geostrategische Überlegungen (die Meeresengen von Gibraltar und Hormuz, der Suezkanal) prägen das internationale Interesse für diese Region.

Die Politik innerhalb der Region wird vom israelisch-arabischen Konflikt und den Bestrebungen des Irans, eine Regionalmacht zu werden, dominiert. Der Irak hat nach Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen noch nicht zu Frieden und Stabilität zurückgefunden.

Nordafrika und der Nahe und Mittlere Osten sind heute sowohl in Bezug auf die interne Sicherheit der Länder als auch in Bezug auf die internationale Sicherheit gefordert. Die vom Terror gefährdete Zone hat sich mittlerweile bis nach Mauretanien ausgedehnt. Auch wenn die Staaten der Region heute der Gewalt standhalten können, so besteht doch die Gefahr einer Ausweitung und somit eines Exports des Terrors.

3.2.5.1

Schweizer Interessen in der Region

Der Mittlere Osten und Nordafrika sind Lieferanten der in der Schweiz benötigten Energieträger; zugleich sind sie Ursprungs- oder Durchgangsort vieler Asylsuchender. Diese Gebiete sind relativ instabil und sind nur 2­5 Flugstunden von Schweiz entfernt. Gleichzeitig sind die Wachstumsmärkte in der Region für die schweizerische Exportwirtschaft und den Finanzplatz Schweiz (potenzielle Investoren) von Bedeutung.

3.2.5.2

Naher und Mittlerer Osten

Die Schweiz will bei der Friedenssuche im Nahen und Mittleren Osten eine Partnerin sein. Mittels einer Strategie des Dialogs mit allen Konfliktparteien versucht die Schweiz, Verhandlungslösungen zu finden und diese mitzugestalten (vgl.

Ziff. 3.3.6).

6378

Den Opfern der Konflikte (Flüchtlinge und direkt Betroffene) hilft die Schweiz. Auf politischer Ebene fördert sie den Respekt des Völkerrechts und der Menschenrechte.

Ergänzt wird diese Politik durch Programme der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe (vgl. Ziff. 3.3.8.4). Im Nahen Osten unterstützt die Schweiz deshalb die Palästina- und die Irak-Flüchtlinge und hilft beim Aufbau von Strukturen im besetzten Palästinensischen Gebiet. Zur Umsetzung dieser Politik arbeitet die Schweiz eng mit der UNO und dem IKRK, aber auch mit anderen nationalen und internationalen NGO zusammen. Mit Israel wird ein umfassender politischer Dialog geführt; das letzte Treffen fand 2008 in Bern statt.

Nach dem letzten Gaza-Konflikt (Dezember 2008­Januar 2009) war die Schweiz das erste Land, das humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen konnte. Die Schweiz wird sich weiter für die Opfer dieses Krieges einsetzen. Sie engagiert sich einerseits für eine zuverlässige Öffnung der Grenzübergänge in den Gazastreifen und hat andererseits signalisiert, dass sie bereit ist, ein Überwachungssystem zu unterstützen, das die erleichterte Einfuhr von Gütern in den Gazastreifen und deren Nutzung in diesem Gebiet ermöglicht.

Im Libanon unterstützt die Schweiz den Friedensdialog zwischen den Parteien. Die von der Schweiz während der politischen Krise im Libanon organisierten Gesprächsrunden, an denen alle wichtigen Parteien teilnahmen und Themen wie die Rolle des Staates, die nationale Verteidigungsstrategie und die Beziehungen zum syrischen Nachbarn diskutiert wurden, konnten dazu beitragen, den Weg zum DohaAbkommen von 2008 zu ebnen. Die Schweiz wird weiterhin den vom libanesischen Präsidenten geleiteten nationalen Dialog unterstützen. Begleitet wird dieses Engagement von einem Projekt der DEZA, das den Palästina-Flüchtlingen (die z.T. seit 1958 als Flüchtlinge und Vertriebene im Libanon leben) den Zugang zum Arbeitsmarkt und dadurch ein würdiges Leben ermöglichen soll.

Die schweizerische Botschaft in Bagdad (Irak) wurde im September 2008 unter anderem wegen Sicherheitsbedenken bis auf Weiteres geschlossen. Die politischen Aufgaben werden temporär von der Botschaft in Damaskus (Syrien) und die konsularischen Aufgaben von der Botschaft in Amman (Jordanien) übernommen. Die Hilfsaktionen zugunsten der irakischen
Bevölkerung, aber auch der erneut vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge haben einen regionalen Rahmen. Insbesondere versucht die Schweiz im Bereich der medizinischen Grundversorgung zu helfen. Für die kommenden Jahre will sich die Schweiz in dieser Region schwerpunktmässig dem Thema Wasser widmen. Der Zugang zu Wasser hat sowohl einen sanitären (menschliche Grundbedürfnisse) als auch einen produktionstechnischen Aspekt (Landwirtschaft). Zur Verringerung der Naturgefahren in der ganzen Region werden die Regierungen der entsprechenden Länder von der humanitären Hilfe des Bundes bei der Umsetzung des «Hyogo Framework for Action» unterstützt, beispielsweise durch die Lancierung nationaler Sensibilisierungskampagnen zum Thema Erdbeben, durch die Stärkung fachtechnischer Kapazitäten von Partnerorganisationen wie dem jordanischen Zivilschutz sowie durch die Etablierung nationaler Koordinationsmechanismen.

Der mangelnde Fortschritt zwischen Iran und der internationalen Staatengemeinschaft in Bezug auf die iranischen Aktivitäten im Nuklearbereich sowie die iranische Regionalpolitik ist in und über die Region hinaus kontrovers und wirkt destabilisierend. Die Schweiz bemüht sich mit allen betroffenen Parteien um einen Dialog.

Diese Gespräche sollen aus der Situation des gegenseitigen Misstrauens hinausführen. Zugleich führt die Schweiz mit Iran einen Menschenrechtsdialog. Das letzte 6379

Treffen fand im September 2008 in Bern statt, und das nächste Treffen ist für 2009 in Teheran geplant.

Die Schweiz, ein Binnenland ohne eigene Energieressourcen mit Ausnahme der Wasserkraft, hängt im Bereich der Energieversorgung stark vom Ausland ab (80 % seines Bedarfs). Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, muss unser Land nicht nur seine Energiequellen, sondern auch seine Versorgungswege diversifizieren (siehe Ziff. 3.3.3).Vor diesem Hintergrund unterstützt die Schweiz offiziell das TAPProjekt (Trans Adriatic Pipeline), an dem die Schweizer EGL (Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg), die Teil der Axpo-Gruppe ist, und die norwegische Firma StatoilHydro beteiligt sind. Geplant ist die Eröffnung eines neuen Versorgungskorridors (zusätzlich zu den bestehenden Korridoren aus der Nordsee, Zentraleuropa/Russland und Nordafrika), um in Europa und folglich auch in der Schweiz eine Diversifizierung der Gasversorgung zu erreichen. Weitere europäische Projekte wie Nabucco und ITGI (Interconnector Turkey-Greece-Italy) verfolgen das gleiche Ziel. Mit dem TAP-Projekt soll Erdgas aus der Kaukasus-Region und dem Mittleren Osten über die Türkei, Griechenland und Albanien nach Italien transportiert werden. Konkret heisst dies, wenn das TAP-Projekt aufgrund eines Transitabkommens eine bestehende Pipeline in der Türkei nutzen könnte, müsste die EGL das nächste Teilstück von Griechenland nach Italien bauen. Um diese Pipeline nachhaltig mit Erdgas zu befüllen, wurde im März 2008 ein Erdgasliefervertrag zwischen der EGL und der NIGEC («National Iranian Gas Export Company») abgeschlossen. Dieser Vertrag ist konform mit dem internationalen Recht und den einschlägigen UNO-Resolutionen.

Mit der Unterstützung dieses Projekts berücksichtigt die Schweiz ganz direkt ihre eigenen Interessen, denn mit der Öffnung eines vierten Korridors wird die Versorgungslage in Europa und folglich auch in der Schweiz verbessert. Der jüngste Gaskonflikt und seine Auswirkungen auf eine Reihe europäischer Länder unterstreicht die Relevanz der schweizerischen Strategie, die mit dem TAP-Projekt auf eine Diversifikation setzt.

Die Schweiz baut ihre Beziehungen zu den Golfstaaten aus. So wurde zum einen eine Aussenhandelsstrategie für die Länder des Golfkooperationsrates («Golf Cooperation Council») ausgearbeitet, und zum anderen ist am 22. Juni 2009 ein Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und dem Rat das unterzeichnet worden.

3.2.5.3

Nordafrika

Mit den Ländern der Region Nordafrika hat die Schweiz generell gute Beziehungen, die sich in den letzten Jahren deutlich intensiviert haben. Die Ausnahme dieser Regel ist Libyen: Seit der kurzfristigen Verhaftung (wegen des Verdachts von Tätlichkeit und/oder Körperverletzung) eines Sohnes des libyschen Revolutionsführers im Sommer 2008 in Genf sind die Beziehungen stark gestört. Seit Ende Juli 2008 haben lange und schwierige Verhandlungen stattgefunden. Am 20. August 2009 hat der Bundespräsident ein Abkommen unterzeichnet, das den beiden seit Beginn der Krise festgehaltenen Schweizer Bürgern die Rückkehr ermöglicht. Im Abkommen ist ebenfalls vorgesehen, dass die bilateralen Beziehungen innerhalb von 60 Tagen normalisiert werden, und dass den Streitigkeiten durch ein internationales Schiedsgericht ein Ende bereitet wird.

Die schweizerische Politik in Nordafrika steht auf vier Pfeilern: politischer Dialog, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Energieversorgung und Migration.

6380

Der politische Dialog findet, mit Ausnahme von Libyen, mit allen Südanrainern des Mittelmeers statt. Das letzte Gespräch erfolgte mit Tunesien im Februar 2009 in Bern, und das nächste wird im Sommer 2009 in Algerien stattfinden. Bereits vor mehreren Jahren hat die Schweiz mit allen Ländern des Maghreb Investitionsschutzabkommen abgeschlossen; diese werden zurzeit überprüft und sollen in den kommenden Jahren den neuen Bedürfnissen angepasst werden (u.a. betreffend den Schutz des geistigen Eigentums). Freihandelsabkommen sollen den gegenseitigen Handelsaustausch fördern. Ein Abkommen zwischen Algerien und der EFTA wird zurzeit ausgehandelt. Die Schweiz unterhält mit Marokko eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Krisenvorsorge und Prävention von Naturkatastrophen.

Im Bereich Energiepolitik sind die Beziehungen mit Algerien und Libyen von Bedeutung. Algerien ist ein grosser Erdgasproduzent. Libyen betreibt in der Schweiz eine Raffinerie, in der libysches Rohöl verarbeitet wird. Grundsätzlich bleibt aber zu beachten, dass sich die Schweiz in erster Linie auf dem Rotterdamer Spot-Markt mit Treib- und Brennstoffen versorgt.

Der Maghreb ist heute in erster Linie migratorisches Durchgangsgebiet. Der Druck von Migrationswilligen aus dem Gebiet südlich der Sahara und aus dem Osten Afrikas auf den Maghreb ist enorm. Viele dieser Personen stranden im Maghreb und können weder weiter nach Europa noch wollen sie zurück in ihre Heimat. In den Maghreb-Staaten sind diese Personen relativ ungeschützt. Die Schweiz hilft diesen Staaten sowie den betroffenen Personen mit Projekten, in denen deren Lebensbedingungen und deren rechtlicher Status verbessert und deren freiwillige Rückkehr gefördert werden. Mit Rückübernahmeabkommen werden zudem sowohl die Rückkehr aus der Schweiz als auch die Ankunft im Heimatland vereinfacht. Solche Abkommen will die Schweiz mit einer Vielzahl von Ländern in Afrika aushandeln.

3.2.5.4

Herausforderungen und Perspektiven

Der israelisch-arabische Konflikt und die Sorgen im und um den Iran werden in den nächsten Jahren die Aufmerksamkeit der Schweiz im Nahen und Mittleren Osten beanspruchen. Dem Migrationsdruck auf den und aus dem Maghreb sowie einer möglichen Radikalisierung islamischer Gruppierungen in dieser Region gilt das andere Hauptaugenmerk.

Diesen Herausforderungen begegnet die Schweiz mit einer Politik des Dialogs, die auch die Friedensförderung einschliesst. Um konkrete Missstände zu bekämpfen und neue Perspektiven zu eröffnen, engagiert sich die Schweiz mit Projekten der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit sowie mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit (Freihandels- und Investitionsschutzabkommen).

3.2.6

Politik gegenüber Subsahara-Afrika

Subsahara-Afrika und die Schweiz sind nicht besonders eng miteinander verflochten. Weder die politischen noch die wirtschaftlichen Beziehungen mit dieser Region sind sehr intensiv ­ die Ausnahme ist Südafrika, das für die schweizerische Aussenpolitik ein Konzentrationsland darstellt. Dennoch hat der Teil Afrikas südlich der Sahara aufgrund seiner Bodenschätze (Erdöl, Diamanten, Gold, Platin und Uran) in den letzten Jahren an geostrategischer, aber auch an politischer Bedeutung gewon6381

nen. In dieser Region lebt die ärmste Bevölkerung der Welt ­ 33 der ärmsten Länder befinden sich in Subsahara-Afrika.

3.2.6.1

Schweizer Interessen in der Region

In Subsahara-Afrika leben rund 14 000 Schweizerinnen und Schweizer und zeitweise viele Touristen, die einer relativ intensiven konsularischen Betreuung bedürfen. Dank ihnen hat die Schweiz z.B. im westlichen Afrika, aber auch in Südafrika eine sehr hohe Präsenz und Visibilität vor Ort.

Die Schweiz ist in Subsahara-Afrika in den Bereichen humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit seit Jahrzehnten aktiv. 7 von 12 Schwerpunktländern, 2 von 3 Regionalprogrammen befinden sich in dieser Region.30 Die Energieversorgung aus dem Golf von Benin (Nigeria und Kamerun) sowie aus Angola ist für die Schweiz wichtig, weil sie auf offenen und unkomplizierten Seerouten beruht.

Der Migrationsdruck aus Subsahara-Afrika auf die Schweiz ist gross. Der Interdepartementale Leitungsausschuss Rückkehrhilfe (ILR), eine wichtige Plattform des Austauschs und der Zusammenarbeit für Migrationsbelange zwischen der DEZA und dem Bundesamt für Migration (BFM), hat unter den operationellen Zielsetzungen den Schwerpunkt auf die Prävention von irregulärer Migration (PiM) und die Umsetzung von Programmen im Ausland gesetzt.

Die Schweiz nutzt ihr Beziehungsnetz in dieser Grossregion, um ihre Positionen in den internationalen Organisationen abzustimmen (u.a. Wahlen und Abstimmungen) und die Interessen des internationalen Genf bestmöglich zu wahren.

3.2.6.2

Südafrika

Südafrika ist international ein bedeutender Akteur und spielt auch regional als Ankerland eine wichtige politische und wirtschaftliche Rolle. Seine innenpolitische Stabilität und seine Wirtschaftskraft verleihen dem Land international Respekt und tragen wesentlich zur Stabilisierung der gesamten Region bei.

Südafrika ist ein strategisches Partnerland, es ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Afrika südlich der Sahara und der bedeutendste Absatzmarkt für Schweizer Warenexporte auf dem Kontinent. Entsprechend dieser politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Südafrikas engagiert sich die Schweiz für eine Kooperation auf allen Gebieten von gemeinsamem Interesse. Im März 2008 wurde anlässlich eines offiziellen Arbeitsbesuchs der südafrikanischen Aussenministerin ein «Memorandum of Understanding» (MoU) über die Stärkung der Zusammenarbeit unterzeichnet. Darunter fallen unter anderem die Bereiche Politik, Wirtschaft, Entwicklung, Friedensförderung, Bildung, Wissenschaft und Kultur. Die Lancierung eines regelmässigen politischen Dialogs zwischen hochrangigen Vertretungen der beiden Länder sowie die im Mai 2008 erfolgte Einsetzung einer bilateralen gemischten Wirtschaftskommission gehen auf dieses MoU zurück.

30

Vgl. Südbotschaft; BBl 2008 2959

6382

Das im Mai 2008 in Kraft getretene Freihandelsabkommen zwischen den EFTAStaaten und den Staaten der südafrikanischen Zollunion (SACU: Südafrika, Botswana, Lesotho, Namibia, Swasiland) wird die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Südafrika weiter verstärken und dafür sorgen, dass Schweizer Produkte auf dem südafrikanischen Markt gegenüber Produkten aus der EU nicht mehr diskriminiert werden. Neben der kontinuierlichen Vertiefung des politischen und wirtschaftlichen Dialogs und im Bestreben, engere wissenschaftliche Beziehungen mit aufstrebenden Wissenschafts- und Technologienationen ausserhalb Europas aufzubauen, hat die Schweiz Ende 2007 ein Abkommen über die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit mit Südafrika unterzeichnet. Im August 2008 wurden die ersten acht gemeinsamen Forschungsprojekte lanciert, und zwar in den Bereichen öffentliche Gesundheit und Biomedizin, Bio- und Nanotechnologie sowie Geistes- und Sozialwissenschaften; weitere acht Projekte starten in der ersten Jahreshälfte 2009.

Die Beziehungen zu Südafrika stehen im Jahr 2009 im Zeichen der Konkretisierung und Konsolidierung der im Rahmen des MoU institutionalisierten Zusammenarbeit bzw. der Umsetzung und Förderung des Freihandelsabkommens EFTA­SACU. Die traditionell sehr guten und freundschaftlichen Beziehungen werden auch nach den im April 2009 erfolgten Wahlen und dem Wechsel an der Spitze der Regierung weiter ausgebaut.

Die DEZA führt im südlichen Afrika ein Regionalprogramm durch, das sich an den grossen Herausforderungen der Region der «Southern African Development Community» (SADC) orientiert: fehlende Nahrungssicherheit, HIV/AIDS-Bekämpfung und schwache Gouvernanz. Die DEZA unterhält sehr enge Beziehungen mit Südafrika. Im Rahmen des im März 2008 unterzeichneten MoU sind insbesondere bilaterale Projekte der Entwicklungszusammenarbeit mit der südafrikanischen Regierung vorgesehen. Diese Zusammenarbeit umfasst gegenwärtig die folgenden Bereiche: Zugang zum Justizsystem, dezentrales Wassermanagement und Berufsbildung. Im Jahr 2009 wird der Schwerpunkt der Zusammenarbeit in der Ausarbeitung eines Programms im Bereich Klimawandel liegen.

3.2.6.3

Region der Grossen Seen

15 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda ist die Sicherheitslage in der Region der Grossen Seen nach wie vor unsicher. Dies haben die jüngsten Auseinandersetzungen im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) deutlich gemacht. In den Konfliktgebieten wurden seitens der kriegsführenden Parteien schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen begangen. Dazu gehören insbesondere Vergewaltigungen, die von HIV-infizierten Soldaten und Milizionären als Kriegswaffe eingesetzt wurden. Die politische Stabilität in Ruanda sowie die sich im Osten der DRK und in Burundi abzeichnenden Lösungen lassen indes hoffen, dass sich die Lage stabilisieren wird und dass sich die Regierungen bald den strukturellen Problemen widmen können, die zu diesen Konflikten geführt haben: schwacher Rechtsstaat, Menschenrechtsverletzungen und Straffreiheit für die begangenen Straftaten, Schädigung der Umwelt, Probleme bezüglich Bodenrecht, unrechtmässiger Abbau von natürlichen Ressourcen und extreme Armut.

In Burundi, Ruanda und in der DRK leistet die Schweiz ergänzende und koordinierte Hilfe in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Friedenspolitik und humanitäre Hilfe, um zur Friedensförderung, Stabilität und Sicherheit in der Region der 6383

Grossen Seen beizutragen. Ihr Beitrag reicht von der Nothilfe für die Opfer von Konflikten über die Unterstützung von Prozessen hinsichtlich Demokratisierung, Versöhnung, Bekämpfung von Straffreiheit bis hin zur Stärkung von regionalen Integrationsdynamiken und Armutsbekämpfung (vgl. Ziff. 3.3.6.2).

3.2.6.4

Ostafrika und das Horn von Afrika

Die politisch und humanitär desolate Situation am Horn von Afrika hat sich in den letzten Jahren infolge von internen und internationalen Konflikten, Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen, Krankheiten und massiver Erhöhung von Nahrungsmittelpreisen erheblich verschärft. Besonders schwierig ist die Lage in Zentral- und Südsomalia, wo sich seit 1991 durch das Fehlen einer funktionierenden Zentralregierung auch Kriminalität und Piraterie ausbreiten konnten (vgl. Ziff.

3.2.2.1.4). Diese bedrohen unter anderem wichtige internationale Schifffahrts- und Handelsrouten und die Lieferung der dringend benötigten Nahrungsmittelhilfe in die Region.

Entsprechend haben die Herausforderungen im Bereich Sicherheit, humanitäre Hilfe, Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht sowie Migration an Bedeutung gewonnen. Etwa 17 Millionen Menschen in dieser Region sind auf humanitäre Unterstützung angewiesen; in Somalia ist dies fast die Hälfte der Bevölkerung. Für die humanitäre Hilfe der Schweiz ist das Horn aufgrund der gestiegenen Bedürfnisse weiter ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und wird es auch in den kommenden Jahren bleiben. Entsprechend wurden die Budgets erhöht, und die Botschaft in Nairobi ist im Frühling 2009 mit einem humanitären Experten für die gesamte Region verstärkt worden.

Dem zunehmenden Migrationsdruck aus Somalia, Eritrea und Äthiopien auf die Nachbarländer und Transitrouten begegnen das EJPD und das EDA in enger Zusammenarbeit durch geeignete Massnahmen zum Schutz der bedrohten Zivilbevölkerung vor Ort. Die Migration wird auch in den kommenden Jahren ein zentrales Thema bleiben.

Im Sudan wird die Schweiz weiterhin sehr präsent sein. Die Lage im grössten Land Afrikas wird die internationale Gemeinschaft auch weiterhin beschäftigen; ihre grossen Anstrengungen haben bisher nur eine leichte Verbesserung der allgemeinen Bedingungen gebracht. Bei der Umsetzung des weitreichenden Friedensabkommens zwischen dem Norden und dem Süden des Landes konnten nur geringe Fortschritte erzielt werden; zahlreiche Herausforderungen gilt es noch zu meistern. Eine Abspaltung des Südsudans nach der Volksabstimmung, die gemäss Friedensabkommen 2011 stattfinden sollte, ist nicht auszuschliessen. Was Darfur betrifft, so konnten die verschiedenen Friedensinitiativen den Weg für echte Verhandlungen noch
nicht ebnen. Der neue Chefunterhändler der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur wird sich dieser Herausforderung annehmen. Die Schweiz hat ihm mitgeteilt, dass sie bereit ist, die von der internationalen Gemeinschaft angestrebten Bemühungen um Friedensförderung und -erhaltung zu unterstützen.

Die Schweiz hat sich im Südsudan in folgenden Bereichen engagiert: humanitäre Hilfe, Friedensförderung und -erhaltung (u.a. erstes Nord-Süd-Abkommen auf den Nuba-Bergen 2002, Rolle der Schweiz beim Nord-Süd-Abkommen von Naïvasha

6384

2005), Einhaltung der Menschenrechte, Reform des Sicherheitssektors (nur im Süden des Landes) (vgl. Ziff. 3.3.6.2).

Die Aktivitäten der schweizerischen Akteure im Sudan wurden verstärkt und diversifiziert. Um einen kohärenten und vernünftigen Einsatz sicherzustellen, setzt die Schweiz die Grundsätze eines einheitlichen Verwaltungsansatzes («Whole of Government Approach») um.

3.2.6.5

West- und Zentralafrika

Auch nach dem Ende der äusserst blutigen Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone bleibt Westafrika eine instabile Region. Insbesondere im Tschad sowie in den nördlichen Teilen von Mali und Niger brodeln Konflikte mit einer oft grenzüberschreitenden Dynamik. Zudem sind Not und Armut weit verbreitet, da in den meisten Ländern Westafrikas über 70 % der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar pro Tag leben müssen. Die Region wurde besonders hart von den massiven Preissteigerungen auf Grundnahrungsmitteln getroffen. Demonstrationen in verschiedenen Grossstädten Westafrikas waren die Folge, bei denen es auch zu Zusammenstössen zwischen der protestierenden Bevölkerung und den Ordnungskräften kam. Die hohe Armut und Unterbeschäftigung fördern die weitgehende Perspektivlosigkeit, insbesondere der Jugend, was wiederum (organisierte) Kriminalität, Konflikte und Migrationsbewegungen erhöht.

Bereits in der Vergangenheit setzte die Schweiz in dieser Region bedeutende Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit und in der humanitären Hilfe ein. Diese werden auch künftig beibehalten bzw. tendenziell verstärkt. Insbesondere im Bereich der zivilen Friedensförderung (vgl. Ziff. 3.3.6.2) sowie der globalen Themen Klimawandel, Ernährungssicherheit und Migration werden die Anstrengungen erhöht.

Neben der bilateralen Zusammenarbeit sollen engere Kontakte mit regionalen Organisationen angestrebt werden. So konnte der Arbeitsbesuch des Kommissionspräsidenten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS im Oktober 2008 zu einem intensiveren Austausch genutzt werden. Die Reise der Departementschefin des EDA nach Nigeria, Mali und Burkina Faso im April 2009 diente dazu, das Engagement der Schweiz in Westafrika zu unterstreichen und die bestehenden Kontakte zu konsolidieren.

3.2.6.6

Herausforderungen und Perspektiven

Die Schweiz ist in Afrika gut positioniert. Aber die Armut und der Migrationsdruck in und aus der Region werden die Welt und somit auch die Schweiz noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Eine schnelle Lösung dieser Probleme ist nicht in Sicht. Die Energieversorgung aus Subsahara-Afrika wird für die Schweiz von zunehmender Bedeutung sein.

Diesen Herausforderungen begegnet die Schweiz mit ihrer Politik des Dialogs, der auch die Friedensförderung einschliesst. Um konkrete Missstände zu bekämpfen, engagiert sich die Schweiz mit Projekten der humanitären Hilfe oder der Entwicklungszusammenarbeit. In fortgeschritteneren Staaten steht die wirtschaftliche Zusammenarbeit (Freihandels- und Investitionsschutzabkommen) im Vordergrund.

6385

Mit der Eröffnung einer Botschaft in Luanda, der Hauptstadt Angolas, im Sommer 2009 sollen die Beziehungen zu diesem bedeutenden Energielieferanten, der die grössten Erdölreserven Afrikas aufweist, verbessert und intensiviert werden.

3.2.7

Politik gegenüber Kleinstaaten

Kleinstaaten haben gegenüber den grösseren Staaten, vor allem gegenüber regionalen und globalen Grossmächten, das gemeinsame Interesse, in den internationalen Beziehungen Recht vor Macht walten zu lassen. Auch wenn die zahlreichen Kleinstaaten geografisch und politisch ganz verschieden verankert sind, ergeben sich aus diesem gemeinsamen Interesse Möglichkeiten der Zusammenarbeit, um auf das internationale Geschehen Einfluss zu nehmen.

Im Vordergrund stehen die internationalen Vertragswerke und diejenigen internationalen Organisationen, die eine globale Ausrichtung haben. Mit einigen wenigen Ausnahmen (wie z.B. im UNO-Sicherheitsrat) sind die Staaten grundsätzlich gleichberechtigt. Die Stimme eines Kleinstaates zählt also gleich viel wie die Stimme eines grösseren Staates. Will die Schweiz global vermehrt Einfluss nehmen, sollten die Kleinstaaten gegenüber den grösseren Staaten nicht vernachlässigt werden.

Die Schweiz möchte vermehrt das Potenzial der Kleinstaaten entwickeln und zum Tragen bringen. Die Aktivitäten konzentrieren sich insbesondere auf die UNO. So hat die Schweiz zusammen mit vier anderen «Kleinen» (Costa Rica, Fürstentum Liechtenstein, Jordanien und Singapur) als «Small Five» (S5) Vorschläge zur Reform der Arbeitsmethoden des UNO-Sicherheitsrates entwickelt und offiziell unterbreitet (siehe Ziff. 3.4.1.2). Am UNO-Hauptsitz in New York bietet insbesondere das informelle «Forum of Small States» Möglichkeiten der Intensivierung der Kontakte und Absprachen, die von der Schweiz rege genutzt werden. Dies ist auch ein effizientes Mittel, um Schweizer Kandidaturen zu unterstützen, da wir aus Ressourcengründen in vielen Hauptstädten von Kleinstaaten über keine direkte diplomatische Interessenvertretung verfügen (letztere erfolgt über Seitenakkreditierungen von einer Schweizer Vertretung in einem anderen Staat).

Da momentan eine Diskussion rund um die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Grossmächten und in den nächsten Jahren auch institutionelle Änderungen anstehen, kommt der Debatte rund um die Vertretung und die Gestaltung der Einflussmöglichkeiten der in den Gremien der Grossmächte nicht vertretenen Staaten grosse Bedeutung zu. Die Schweiz wird diese Diskussionen aktiv verfolgen und versuchen, zusammen mit gleichgesinnten Partnern Einfluss zu nehmen. Die Kleinstaaten stellen diesbezüglich eine interessante Gruppierung dar.

3.3

Globale Herausforderungen

3.3.1

Internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik

Von der Finanzmarkt- zur Wirtschaftskrise Das vergangene Jahr war geprägt von der sich unerwartet rasch und heftig ausbreitenden internationalen Finanzkrise, die zusehends auch zu einer Wirtschaftskrise wurde. Die Krise überschattete die laufenden wirtschaftspolitischen Anstrengungen der Länder für eine engere und geregelte regionale und multilaterale Zusammenar6386

beit. Im Zentrum der multilateralen Bemühungen stand die Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO). Trotz eines grossen Efforts gelang es nicht, in den wichtigsten Verhandlungsdossiers (Landwirtschaft und Industriegüter) eine Einigung unter den grossen Wirtschaftsnationen zu erreichen (vgl. Ziff. 3.4.4).

Die Finanzkrise wurde durch verschiedene, sich gegenseitig verstärkende Faktoren verursacht. Unmittelbarer Auslöser war das Platzen der Immobilienblase in den USA im Sommer 2007. Die Subprime-Probleme waren das Ergebnis niedriger Kreditvergabestandards, übermässiger Liquidität und entsprechend niedriger Zinssätze und Risikoprämien. Durch ein komplexes Poolen, Verbriefen, Aufteilen und Weitergeben wurden Ansprüche und Risiken international weit gestreut, oft ohne dass dies von den Marktteilnehmern vollständig verstanden wurde. Auch Rating-Agenturen und Kreditversicherer trugen das Ihre bei, indem sie die Risikolage nicht zutreffend erkannten. Zudem wurden spezifische Schwächen bestimmter Geschäftsmodelle mit Blick auf die Anreizstrukturen deutlich. Tieferliegende Ursachen ermöglichten das rasche Ausbreiten der Krise, so die weit gediehene Vernetzung der Finanzmärkte, die übertriebene Suche nach Renditesteigerung bei Finanzanlagen, die durch eine expansive Geldpolitik in einigen Industrieländern resultierende grosszügige Liquiditätsversorgung, die Wechselkurspolitik Chinas sowie globale Ungleichgewichte.

Die hohe Verschuldung der USA und die dies kompensierenden Ertragsbilanzüberschüsse von Ölexporteuren und von asiatischen Schwellenländern erscheinen im Rückblick als untragbar.

Im Ergebnis führten die Unsicherheiten hinsichtlich der Qualität von Vermögenswerten zum Verlust des Vertrauens in ganze Anlageklassen und zwischen den Banken. Ausserbilanzgeschäfte der Banken in einem nicht erwarteten Ausmass kamen an den Tag. Die Krise spitzte sich im Sommer 2008 zu. Die kurzfristige Kreditvergabe unter den Banken kam praktisch zum Erliegen, die Devisenmärkte waren turbulent, die Aktienkurse sanken markant und die Realwirtschaft begann unvermittelt einen Rückgang der Nachfrage zu spüren. In dieser Abwärtsspirale gelang es den Zentralbanken und Regierungen kaum, verloren gegangenes Vertrauen in den Finanzmärkten wiederzugewinnen. Zwar konnten die Zentralbanken durch wiederholte Liquiditätsspritzen und
Zinssenkungen ein vollständiges Kollabieren der Finanzmärkte verhindern und so noch grösseren Schaden abwenden. Jedoch blieb das zentrale Problem der Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens der Marktteilnehmer ungelöst.

Durch die Kontraktion des Finanzsystems als zentraler Transmissionsriemen und Antreiber der globalisierten Wirtschaft verdüsterten sich die Aussichten für die Realwirtschaft deutlich. Zunächst in den USA und dann in den meisten Industriestaaten war ein abrupter Wechsel von einem moderaten oder kräftigen Wirtschaftswachstum hin zu einer Rezession zu verzeichnen. Auch bislang boomende Schwellenländer sehen sich mit einer markanten Abschwächung des Wachstums konfrontiert.

Mehrfach waren Länder von Insolvenz bedroht. Die Anfälligkeit kann verschiedene Ursachen haben: ­

Bei überdimensionierten, vorwiegend fremdfinanzierten Bankenbilanzsummen im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung eines Landes bestehen hohe systemische Risiken. Ein Beispiel ist Island.

6387

­

Bei einem Zwillingsdefizit von Haushalt und Leistungsbilanz werden Länder besonders anfällig auf den Rückgang ausländischer Portfolio- und Direktinvestitionen, wie das Beispiel Ungarn gezeigt hat.

­

Bei Schwellenländern ohne Öl- oder andere Rohstoffeinnahmen können die allgemeine Risikoaversion gegenüber «Emerging Markets» und der Abzug von ausländischen Investitionen genügen, um Krisen zu bewirken, wie der Fall Pakistan zeigt.

Massnahmen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise und Debatte über die Finanzarchitektur Internationale Gegenmassnahmen Die Regierungen, die Zentralbanken und die internationalen Finanzinstitutionen, namentlich der Internationale Währungsfonds, leiteten Gegenmassnahmen ein.

Zunächst war das nationale Krisenmanagement gefordert und die internationale Abstimmung darüber; dann rückten die konjunkturstützenden Massnahmen in den Vordergrund. Zudem wurde die Debatte über die Mängel bei der Regulierung und über zu treffende Vorkehrungen begonnen: Bereits im Oktober 2007 war das «Financial Stability Forum» (FSF) von der G-7 beauftragt worden, Massnahmen für die sich anbahnende Krise vorzuschlagen. Das FSF, dem auch die Schweiz angehört, erliess im April 2008 68 Empfehlungen zur Verbesserung der Finanzstabilität, die seither umgesetzt werden. Trotz verschiedenster nationaler Rettungsaktionen, Liquiditätshilfen, Devisenswaps und Leitzinssenkungen verstärkte sich die Abwärtsdynamik im Sommer 2008. Im Oktober 2008 beschlossen die G-7-Finanzminister einen Aktionsplan, hinter den sich auch die 185 Mitgliedsländer des Internationalen Währungsfonds stellten. Es wurde namentlich beschlossen, den Kollaps wichtiger Finanzinstitute zu verhindern, Anstösse zur Wiederbelebung der Kreditströme und des Geldmarktes zu geben, Finanzinstitute auch aus öffentlichen Geldern zu rekapitalisieren und die Spareinlagen für Kleinsparer zu sichern. Die Massnahmen sollten so konzipiert werden, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler möglichst geschont und schädliche Folgen für andere Staaten vermieden werden. Zur neuerdings wieder deutlich erhöhten Kreditvergabe durch den Währungsfonds siehe Ziffer 3.4.2.

Die nationalen Massnahmen der meisten Industriestaaten bestehen aus der Rekapitalisierung von systemrelevanten Banken, aus dem Aufkauf von Problempositionen, aus Staatsgarantien für (Interbank-)Kredite und Obligationen sowie aus der Verstärkung der Einlagensicherungen. Die wichtigsten Zentralbanken verstärkten ihre schon bisher intensive Zusammenarbeit. Etliche Zentralbanken sind grosszügiger in der Definition von Sicherheiten geworden. Sie nehmen illiquide Wertpapiere an und geben liquide Staatspapiere aus.

Gegenmassnahmen in der Europäischen Union Innerhalb der EU wurden die Massnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors
ab Herbst 2008 verstärkt. Im Gegensatz zur Schweiz, die unter anderem mit einer Überführung von illiquiden Vermögenswerten in eine Zweckgesellschaft und mit einer Pflichtwandelanleihe die Aktivseite und die Passivseite der Bilanz der systemrelevanten UBS gleichermassen festigte, ergriffen die EU-Mitgliedstaaten Massnahmen, die sich anfänglich auf die Passivseite der in Bedrängnis geratenen Banken konzentrierten. Finanzinstitute wurden entweder vollständig verstaatlicht oder 6388

zumindest teilweise mit staatlichen Mitteln rekapitalisiert, um ihre Eigenmittelbasis zu stärken. Zudem wurden in einigen EU-Mitgliedstaaten allgemeine Garantieschirme oder politische Patronatserklärungen zugunsten der Einlagen von Privatkundinnen und -kunden sowie anderer Gläubiger ausgesprochen. Diese Massnahmen, die in der EU als staatliche Beihilfen gelten, bedürfen einer Vorabgenehmigung seitens der EU-Kommission, die darüber wacht, dass die EU-Wettbewerbsregeln nicht verletzt werden. Angesichts der Dimension der Finanzkrise erfolgt die Genehmigung in einem Eilverfahren, wobei auf die Bedeutung von systemrelevanten Banken besonders geachtet wird.

Konjunkturmassnahmen Die wichtigsten Zentralbanken leiteten eine Kehrtwende bei den Zinsen ein und senkten diese zumeist rasch und kräftig. Die realen Zinsen bewegen sich teils im negativen Bereich. Dennoch kam die Kreditvergabe unter den Banken nicht wieder in Schwung. Mit zunehmend düsteren Wirtschaftsprognosen und entsprechend steigenden Ausfallrisiken stiegen die Kreditkosten für Firmen und Private über das Niveau vor der Krise. Da die Geldpolitik der Wirtschaft vorderhand keine Impulse zu geben vermochte, wurden mehr und mehr Forderungen nach einer expansiven Fiskalpolitik laut. Je nach nationaler Präferenz fielen die Antworten auf die Frage nach dem Sinn, der Grösse und der Ausgestaltung von Konjunkturpaketen sehr unterschiedlich aus. Während es naheliegend ist, primär die Wirtschaft im eigenen Land zu stützen, so ist gleichwohl nicht von der Hand zu weisen, dass die Stärkung der Nachfrage immer auch den Handelspartnern nützt. Von einer koordinierten Antwort auf den allgemeinen Abschwung kann jedoch keine Rede sein. Sogar in der eng vernetzten EU konnten sich die Mitgliedstaaten nicht verbindlich auf Eckwerte und das Timing ihrer Konjunkturpakete einigen.

Eine gemeinsame Stossrichtung auf internationaler Ebene ist die Ausgestaltung der Konjunkturmassnahmen nach umweltverträglichen Kriterien. Das UNO-Umweltprogramm hat dazu eine «Green-Economy-Initiative» lanciert, die auch unter dem Namen «Global Green New Deal» bekannt ist. Mit der Initiative sollen Anreize für eine grüne Wirtschaft gesetzt werden, die nachhaltige, sogenannte «grüne» Arbeitsplätze schafft. Viele Regierungen haben einen beträchtlichen Anteil ihrer Massnahmen für Vorhaben mit
ökologischem Mehrwert reserviert.

Debatte in der G-20 Auf europäische Anregung entstand die Idee eines Weltfinanzgipfels im Format der G-20, zu dem die USA am 14./15. November 2008 nach Washington einluden. Das Niveau der Staats- bzw. Regierungschefs war neu für die G-20, die bislang ein Gremium der Finanzminister und der Notenbankchefs gewesen war. Zwar wurden am Gipfel erst wenige konkrete Entscheidungen getroffen, doch der umfangreiche Aktionsplan mit 47 Punkten enthält viele klare Anstösse zur besseren Aufsicht und Regulierung sowie zur internationalen Zusammenarbeit. Am Folgetreffen vom 2. April 2009 in London sollten konkrete Reformvorschläge zu den kurzfristig anzugehenden Punkten dieses Aktionsplans verabschiedet werden. Zudem sollten weitere konjunkturpolitische Massnahmen vereinbart werden. Die Schlusserklärung der G-20 ist umfassender und weitgehender, als angesichts der Heterogenität der Gruppe noch einige Monate vor dem Treffen hätte erwartet werden können. Um den systemischen Risiken zu begegnen und um den nationalen Politiken einen solideren internationalen Rahmen zu geben, wird die Zusammenarbeit verstärkt. Das um nicht 6389

weniger als 13 Mitglieder ausgeweitete FSF wird in das neue «Financial Stability Board» übergeführt. Was die Inhalte angeht, so überlässt die G-20 die Detailarbeit weitgehend dem FSB als eigentlichem Koordinator verschiedener Standardsetzungsgremien. Neue Anstösse gab die G-20 jedoch zur Aufsicht über Hedge-Fonds und über Rating-Agenturen. Auch populäre Anliegen, die mit den Ursachen und der Überwindung der Krise nur wenig zu tun haben, wurden aufgenommen. Darunter fällt namentlich der Kampf gegen sogenannte Steueroasen und gegen die Geldwäscherei. Die Debatte in der G-20 bezieht sich stark auf Arbeiten, die in anderen Gremien und Organisationen wie der OECD (vgl. Ziff. 3.4.4), dem FSB, dem IWF und der «Financial Action Taskforce» geleistet werden.

Richtungsweisende Entscheide traf die G-20 zur Stärkung des IWF und der multilateralen Entwicklungsbanken (vgl. Ziff. 3.4.2). Wenig Übereinstimmung gab es hingegen in der Frage der Nachfragestützung. Die Ansichten über die globalen Ungleichgewichte und die Lösungsansätze gingen weit auseinander. Die USA und, etwas schwächer, Grossbritannien forderten eine möglichst massive weltweite Stimulierung. Sie halten ihre eigene Verschuldung und das Leistungsbilanzdefizit nicht für ein Grundproblem. Anders Deutschland und Frankreich, die als Exportnationen für eine stabilitätsorientierte Ausgabenpolitik mit begrenzter Stimulierung eintraten. Sie haben dafür den Fokus auf verstärkte Regulierung gerichtet. Aus Deutschland stammt die Idee eines globalen Weltfinanzrats im UNO-Rahmen.

Wiederum anders das Exportland Japan, das, geprägt von der Deflation in den 1990er-Jahren, möglichst viel Stimulierung forderte, um das Risiko einer weltweiten Depression zu verkleinern.

Das erneute Treffen der Staats- und Regierungschefs im September 2009 und die Berichterstattung des IWF und des FSB an die G-20 deuten auf eine weitere Stärkung der G-20 hin ­ ein Hinweis auf die in Ziffer 2.2 beschriebene machtpolitische Verschiebung.

Auswirkungen auf die Schweiz und getroffene Massnahmen Die Finanzkrise hat sich in der Schweiz hauptsächlich auf die beiden stark im amerikanischen Markt engagierten Grossbanken sowie auf den führenden Rückversicherer ausgewirkt. Die restlichen Banken, Versicherungen und Pensionskassen wurden weit weniger und anfangs lediglich über indirekte Kanäle
erfasst. Der Geschäftsrückgang bei vielen Produkten und die Börsenbaisse hatten für sie teilweise auch einschneidende Konsequenzen. Glücklicherweise war die Schweiz konjunkturell in guter Verfassung, aber ohne Überhitzungsanzeichen.

Massnahmen für die UBS Ende September 2008 manifestierte sich bei der UBS eine markante Verwundbarkeit. Um das Risiko einer verschärften Vertrauenskrise zu verhindern, die sich massiv auf die schweizerische Volkswirtschaft auswirken würde, beschlossen der Bundesrat, die Schweizerische Nationalbank und die Eidgenössische Bankenkommission am 15. Oktober 2008 ein Massnahmenpaket. Im Gegensatz zu anderen Ländern steht ein einziges, aber systemisch wichtiges Institut im Vordergrund. Das Paket steht im Einklang mit dem Aktionsplan der G-7. Es enthält zwei aufeinander abgestimmte Massnahmen: ­

6390

Die Übertragung illiquider Aktiven der UBS an eine Zweckgesellschaft (SNB StabFund): Ende März 2009 wurde diese Transaktion im Umfang von rund 39 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Die Nationalbank gewährte

dem StabFund dafür ein Darlehen in entsprechender Höhe. Die UBS erhielt dadurch Liquidität und wurde von Risiken entlastet. Die Nationalbank trägt als Eigentümerin der Zweckgesellschaft die Risiken. Die UBS stattete die Zweckgesellschaft mit einem Eigenkapital in der Höhe von 10 % der ausgelagerten Aktiven aus.

­

Die Eigenmittelbasis der UBS wurde Anfang Dezember 2008 durch die Zeichnung einer Pflichtwandelanleihe in der Höhe von 6 Milliarden Franken durch den Bund gestärkt. Dies ermöglichte der Bank, den StabFund mit dem nötigen Eigenkapital auszustatten, ohne die eigene Kapitalbasis zu schmälern. Der Bund wird ­ zumindest vorerst ­ nicht Miteigentümer der UBS, sondern wird mit einem Coupon von 12,5 % angemessen entschädigt.

Die UBS war seit 2008 in eine mehrschichtige Untersuchung der amerikanischen Justiz- und Steuerbehörden sowie der Börsenaufsicht involviert. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe amerikanische Bankkundinnen und -kunden ohne Bewilligung bei Wertschriftenanlagen beraten und ihnen dabei geholfen, den amerikanischen Fiskus zu betrügen. Trotz eines laufenden Amtshilfeverfahrens erhöhte das amerikanische Justizministerium den Druck mit der Androhung einer Strafklage gegen die Bank massiv. Um die Folgen einer solchen Anklage für die UBS und die Stabilität des Schweizer Finanzsystems mit einem Vergleich abwenden zu können, ordnete die schweizerische Finanzmarktaufsicht (seit Anfang 2009 Nachfolgeorganisation der Bankenkommission) am 18. Februar 2009 die sofortige Übergabe einer begrenzten Zahl von 255 Kundendaten an die US-Steuerbehörden an. Damit konnte die UBS einen Vergleich mit dem amerikanischen Justizministerium abschliessen; die drohende formelle Anklage wurde abgewendet. Der Vergleich schloss allerdings die US-Steuerbehörde nicht ein, die gegen weitere Kundinnen und Kunden der UBS ermittelte und in einem zivilrechtlichen Verfahren von der UBS die Herausgabe von Tausenden von Kundendaten verlangte. Dieses Verfahren konnte mit dem am 19. August 2009 unterzeichneten Abkommen mit den USA beigelegt werden. Dabei verpflichtete sich die Schweiz, ein neues, rund 4'450 Konten betreffendes Amtshilfegesuch innerhalb eines Jahres zu bearbeiten. Am 20. August 2009 hat der Bundesrat zudem sein Engagement bei der UBS beendet. Aus dem umfassenden Abbau resultiert ein Nettoerlös von rund 1,2 Mia. Franken.

Andere Massnahmen im Finanzsektor Die eidgenössischen Räte passten im Rahmen des Massnahmenpakets rasch den Einlegerschutz an, mit einer Anhebung der geschützten Einlagen von 30 000 auf 100 000 Franken. Betreffend die Entschädigungssysteme erarbeitet die Finanzmarktaufsicht Mindeststandards für die gesamte Finanzbranche, und die UBS musste ihre Entschädigungssysteme für Verwaltungsrat und Management in Übereinstimmung mit den sich etablierenden internationalen Regeln neu ausrichten.

Weiter werden die beiden Grossbanken bis 2013 strengere Eigenmittelvorschriften zu erfüllen haben, und es wird ein maximaler Verschuldungsgrad («Leverage ratio») eingeführt. Mit diesen Vorschriften hat die Schweiz im internationalen
Vergleich schnell reagiert.

Konjunkturstabilisierung Die eidgenössischen Räte beschlossen letztes Jahr erste Massnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur. In einer ersten Stufe wurden Ausgaben in der Höhe von 432 Millionen Franken getätigt. Zum anderen wurden bei den Firmen steuerbegünstigte 6391

Arbeitsbeschaffungsreserven in der Höhe von 550 Millionen Franken freigegeben.

Gemeinsam mit den durch Dritte ausgelösten Ausgaben betrug der Impuls insgesamt mehr als 1,1 Milliarden Franken. Ein zweites Paket von 710 Millionen Franken, das im Februar 2009 beschlossen wurde, enthielt zahlreiche staatliche Mehrausgaben, Verbesserungen bei der Exportrisikoversicherung und eine Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung auf 18 Monate. Gemeinsam mit den durch Dritte ausgelösten Ausgaben betrug dieser Impuls rund 1,3 Milliarden Franken. Schliesslich dienten auch Steuerbeschlüsse im Bereich der Ehegatten- und Familienbesteuerung sowie der raschere Ausgleich der kalten Progression dem Zweck der Konjunkturstabilisierung.

Die stabilisierenden Massnahmen der Kantone betragen laut Schätzungen 4,8 Milliarden Franken. Berücksichtigt man zudem den stabilisierenden Beitrag der Arbeitslosenversicherung (2009 und 2010 je 2,4 Milliarden), so resultiert ein Gesamtimpuls von rund 14,4 Milliarden Franken. Dies entspricht rund 2,7 % des Bruttoinlandprodukts.

Bislang bewegt sich die Schweiz im Rahmen ihrer vorsichtigen Politik solider öffentlicher Finanzen und der Einhaltung der Schuldenbremse. Angesichts des Ausmasses der Rezession hat der Bundesrat im Juni 2009 ein weiteres Paket im Umfang von 600 Millionen Franken verabschiedet.

Herausforderungen Chancen und Gefahren für multinationale Firmen und den Finanzplatz Schweiz Im Finanzbereich werden die Karten in den kommenden Jahren international neu verteilt. Es ist Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass einerseits eine Wiederholung der gegenwärtigen Krise möglichst ausgeschlossen werden kann und andererseits die Voraussetzungen für neue Wachstumsperspektiven entstehen. Die Krise eröffnet der Schweiz auch Chancen im internationalen Standortwettbewerb. Die Ausgangslage ist gut: Es gibt weder binnenwirtschaftliche Ungleichgewichte noch eine Preisblase im Immobilienmarkt. Dafür verfügt die Schweiz über eine breit diversifizierte, konkurrenzfähige Exportwirtschaft, in aller Regel gesund finanzierte Unternehmen und eine moderate Staatsverschuldung.

Zumindest vorübergehend muss aber auch die Schweiz mit einem kleineren Wertschöpfungsbeitrag des Finanzplatzes rechnen. Die Rahmenbedingungen werden in engem Austausch mit dem Privatsektor verbessert.
Demgegenüber würde sich eine Verstärkung der protektionistischen Tendenzen für die Schweiz als Standort multinationaler Firmen und mit einem international bedeutenden Finanzplatz stark negativ auswirken, sind doch gerade die internationale Kapitalverkehrsfreiheit und die Investitionsfreiheit wichtige Grundlagen. Diese Freiheiten drohen begrenzt zu werden durch Staaten in der Rezession. Vor dem Hintergrund grosser Budgetdefizite machen sich die Regierungen zudem Sorgen um ihr Steuersubstrat und sind geneigt, ihren Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen Auslandsgeschäfte zu erschweren. Das Verständnis für internationale Konzerne könnte sinken. Die Einsicht, dass es gerade sie sind, die den Wettbewerb mit ihren Ideen und Produkten intensivieren und damit stark zur globalen Dynamik beitragen, wird noch weniger gelten als heute. Nicht nur der Druck auf unregulierte Offshore-Finanzzentren und unkooperative Steueroasen wird zunehmen, sondern es könnte ein allgemein schwieriges Umfeld für grenzüberschreitende Finanztransaktionen entstehen.

6392

Der Druck auf das Bankgeheimnis hat stark zugenommen. Obwohl die Schweiz keine Steueroase ist ­ sie verfügt über ein umfassendes und ganzheitliches Steuersystem und arbeitet bei Verdacht auf Steuerbetrug und Geldwäscherei aktiv mit ausländischen Behörden zusammen ­, wurde das von zahlreichen OECD-Staaten anders empfunden. Das in der Schweiz fest verankerte Prinzip des Bankgeheimnisses als Schutz der Privatsphäre wurde im Ausland nicht gleichermassen akzeptiert.

Zudem kann die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und -hinterziehung im Ausland seit Jahren nicht nachvollzogen werden und wird zusammen mit dem Ausmass der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz im Steuerbereich kritisiert. Aufgrund der zunehmenden Kritik und der Drohungen verschiedener Staaten an die Adresse der Schweiz im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch in Steuerfragen, aber auch gestützt auf die Erkenntnis, dass im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte, insbesondere vor dem Hintergrund der Finanzkrise, die internationale Zusammenarbeit im Steuerbereich an Bedeutung gewonnen hat, entschied sich der Bundesrat am 13. März 2009 zu einer Neuausrichtung der Amtshilfe in Steuersachen. Die Schweiz erklärte sich zur Übernahme des entsprechenden OECDStandards bereit und zog ihren Vorbehalt zu Artikel 26 des einschlägigen OECDMusterabkommens zurück. In Zukunft wird die Schweiz einen erweiterten Informationsaustausch mit dem Ausland vornehmen, allerdings bleibt ein solcher weiterhin auf konkrete und begründete Anfragen von Drittstaaten beschränkt. Die Umsetzung des Beschlusses geschieht im Rahmen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen, die nun zügig ausgehandelt und revidiert werden. Durch diese Massnahmen erfüllt die Schweiz die relevanten internationalen Standards.

Aussenwirtschaftspolitik ­ Freihandel und Solidarität Der Marktzugang und die Stärkung des internationalen Regelwerks bilden den klassischen Hauptpfeiler der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik.31 Angesichts protektionistischer Tendenzen und wettbewerbsverzerrender Wirkungen von Konjunkturpaketen ist die Schweiz noch mehr als früher gefordert, ihr Interesse an einem geregelten, diskriminierungsfreien aussenwirtschaftlichen Rahmen zu verteidigen. Der Einsatz zugunsten des freien und nachhaltigen Handels ist ein Hauptanliegen. Zum einen geschieht dies in der WTO,
zum anderen durch das Nutzen von Chancen für den Ausbau von Freihandelsabkommen ­ bilateraler Art oder im EFTA-Verbund ­ mit aussereuropäischen Ländern. Die Zusammenarbeit mit der EU ist, wo angezeigt, zu intensivieren. Als wichtiges Forum für die Debatte über internationale Finanz- und Wirtschaftsfragen zeichnet sich die G-20 ab, der die Schweiz nicht angehört. Als eine der 20 grössten Volkswirtschaften mit einem insbesondere im Auslandgeschäft wichtigen Finanzplatz hat die Schweiz jedoch ein eminentes Interesse daran, auf allen Stufen in die Arbeiten dieser Gruppe einbezogen zu werden.

Ein zweites Handlungsfeld ist die Binnenmarktpolitik. Dank zeitgerechten internen Reformen wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz gestärkt.

Das dritte Handlungsfeld ist sodann die aktive, solidarische Kooperation mit anderen. Dies umfasst die Entwicklungszusammenarbeit, die auf die Steigerung des Wohlergehens von Ländern abzielt, die künftige Handelspartner sein können, ebenso wie die Unterstützung der Ärmsten. Zur Frage, wie sich die Zusammenarbeit mit den Schwellen- und Entwicklungsländern heute differenziert gestaltet, sei auf Ziffer 31

Vgl. BBl 2005 1089, ferner Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2008, BBl 2009 727.

6393

3.3.8.3 verwiesen. Eine verantwortungsbewusste Aussenpolitik geht jedoch weiter und ist gerade in der momentan schwierigen Phase der Weltwirtschaft gefordert.

Wer jetzt vorbildlich und solidarisch handelt, wird Ansehen ernten. Beispielhaft war bislang das agile Wirken der Nationalbank zusammen mit den wichtigsten Zentralbanken der USA, West- und Zentraleuropas. Unter dem Gesichtspunkt der geteilten Verantwortung sind auch die Konjunkturpakete zu betrachten. Obwohl primär ein Instrument zur Abfederung der Rezession im eigenen Land, haben die Konjunkturmassnahmen eine Ausstrahlung nach aussen. Über den Handel und Stimmungsfaktoren sind alle Konjunkturpakete miteinander verbunden und enthalten damit ein Element der Solidarität. Am ausgeprägtesten ist dies selbstverständlich im Verhältnis mit unseren Nachbarstaaten, die unsere engsten Partner sind.

3.3.2

Klimaaussenpolitik

Der Klimawandel als globale Herausforderung Der Klimawandel und seine Auswirkungen Der 2007 veröffentlichte vierte Sachstandsbericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat aufgezeigt, dass die Erwärmung des globalen Klimas erwiesen ist, dass diese Erwärmung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch menschliche Aktivitäten verursacht wird und dass ohne wesentliche Reduktion des heutigen Treibhausgasausstosses die globale Durchschnittstemperatur weiter stark zunehmen wird.

Ohne einschneidende Gegenmassnahmen im Bereich der Treibhausgasemissionen wird die Klimaerwärmung zu einem merklichen Anstieg des Meeresspiegels, zu einer Zunahme von Wirbelstürmen und Überschwemmungen, zum Aussterben zahlreicher Tier- und Pflanzenarten, zur weiteren Ausbreitung von Krankheiten wie Malaria und zu verstärkter Wüstenbildung führen. Es ist absehbar, dass damit unter anderem Migrationsbewegungen und eine Beeinträchtigung der Menschenrechte (Recht auf Nahrung, Zugang zu Wasser, Schutz der Gesundheit usw.) einhergehen werden.

Die Entwicklungsländer werden vom Klimawandel besonders stark betroffen sein.

Aber auch die Schweiz wird sich den negativen Auswirkungen nicht entziehen können. Im globalen Vergleich ist die Temperatur im Alpenraum überdurchschnittlich gestiegen. Die Folge wird ­ neben dem Rückgang der Gletscher ­ vor allem eine Zunahme von Erdrutschen und Überschwemmungen sein.

Weltweiter Handlungsbedarf Um diesen negativen Auswirkungen zu begegnen, muss die Staatengemeinschaft prioritär folgende Herausforderungen angehen: 1.

6394

Die globalen Emissionen von Treibhausgasen sind entscheidend zu senken («Mitigation»). Im Vordergrund steht die Notwendigkeit, den Energieverbrauch zu reduzieren, von fossilen Energieträgern wegzukommen und verstärkt auf nachhaltige Energieträger zu setzen (sog. «Entkarbonisierung der Wirtschaft»). Über die Reduktion der Treibhausgasemissionen hinaus müssen auch die Entwaldung gestoppt und der Schutz der Wälder als Kohlenstoffsenken gesichert werden: Die Entwaldung in den Tropen ist heute Ursache für einen Fünftel der globalen CO2-Emissionen.

2.

Der Anpassung (Adaptation) an die bereits nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels kommt ebenfalls grosse Bedeutung zu. Sie setzt den Umgang mit Klimarisiken voraus. Hierzu gehören Massnahmen wie der Bau oder die Verstärkung von Schutzbauten (u.a. Dämme), Schritte zur effizienteren Nutzung der Wasserressourcen und Anpassungen in der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung. Nebst den Präventivmassnahmen zur Verminderung der klimabedingten Risiken, die unter anderem im HyogoRahmenaktionsplan zur Katastrophenvorsorge dargelegt sind, umfasst die Anpassung auch einen Bereich Risikotransfer, namentlich in Form von öffentlichen und privaten Versicherungen. Die zahlreichen Aufgaben im Bereich der Anpassung an den Klimawandel werden viele Staaten, insbesondere aber die Entwicklungsländer, vor grosse Herausforderungen stellen.

Vor diesem Hintergrund will die dritte Weltklimakonferenz der UNO-WeltMeteorologie-Organisation (WMO), die im September 2009 in Genf stattfindet, die Verfügbarkeit von Klimadaten für die Planung wie auch für die kurz- und langfristige Umsetzung der Anpassungsmassnahmen verbessern.

3.

Es müssen Wege aufgezeigt werden, die den Entwicklungsländern eine möglichst umweltfreundliche, mit geringen Treibhausgasemissionen verbundene Entwicklung erlauben. Das Recht auf Entwicklung wird durch den Kampf gegen den Klimawandel nicht in Frage gestellt: Zur Ermöglichung einer «grünen Entwicklung» werden vor allem ein Transfer umweltfreundlicher Technologien, Innovationen im Energiebereich und die nachhaltige Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch erforderlich sein.

Die Industrieländer, die durch ihre CO2-intensive wirtschaftliche Entwicklung die grösste Verantwortung am Klimawandel tragen, stehen besonders in der Pflicht, den Technologietransfer zu fördern.

Der 2006 publizierte Stern-Bericht («Stern Review on the Economics of Climate Change») dokumentiert, dass die volkswirtschaftlichen Kosten zur Bekämpfung des Klimawandels längerfristig weit unter den Kosten liegen, die anfallen, wenn keine Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen ergriffen werden. Diese Aussagen werden von weiteren, seither publizierten Berichten bestätigt. Dem Klimawandel als globaler Herausforderung muss deshalb rasch mit einer umfassenden Antwort der Staatengemeinschaft begegnet werden. Die internationale Gemeinschaft sucht diese Antwort unter anderem im Rahmen der UNO-Klimakonvention («United Nations Framework Convention on Climate Change», UNFCCC). Ziel ist es, bis Ende 2009 ein Nachfolgeabkommen für das im Dezember 2012 auslaufende KyotoRegime zu erarbeiten, das den globalen Herausforderungen gerecht wird.

Der Klimawandel wird zur internationalen Priorität Der Stern-Bericht, der vierte Sachstandsbericht des Weltklimarates sowie die UNOKlimakonferenz im Dezember 2007 in Bali brachten den Klimawandel prominent auf die internationale Agenda: ­

Im Rahmen der UNO-Klimaverhandlungen in Bali wurden mögliche Optionen für ein neues globales Klimaregime ausgearbeitet (Lastenverteilung von Mitigationsmassnahmen, Finanzierung von Adaptation und Technologietransfer). Die gemeinhin als «Bali Road Map» bezeichneten Beschlüsse der Staatengemeinschaft stellen die Grundlage für einen globalen klimapolitischen Konsens dar, der Ende 2009 anlässlich der UNO-Klimakonferenz in Kopenhagen verabschiedet werden soll.

6395

­

Die EU hat mit der Verabschiedung eines Energie- und Klimapakets im Dezember 2008 ihre Position für die laufenden Klimaverhandlungen festgelegt und präzisiert. Sie strebt für die Periode 2013­2020 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20 % gegenüber dem Stand von 1990 an. Dieses EU-weite Ziel soll durch Emissionsreduktionen der Mitgliedstaaten und durch den Zukauf von handelbaren Emissionszertifikaten erreicht werden.

Ergeben die internationalen Klimaverhandlungen ein für die EU befriedigendes Ergebnis, so erhöht sie ihr Reduktionsziel auf 30 %. Des Weiteren strebt die EU eine markante Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an, die 2020 20 % des europäischen Energiebedarfs decken sollen. Schliesslich soll in dieser Zeitspanne auch die Energieeffizienz um 20 % erhöht werden.

­

Die USA waren bis vor kurzem der weltweit grösste Emittent von Treibhausgasen. Wegen ihrer Nichtratifikation des Kyoto-Protokolls hatten sie sich jedoch zu keinen quantifizierten Emissionsreduktionen verpflichtet.

Nun zeichnet sich aber ab, dass die US-Regierung im Klimabereich fortan einen Ansatz vertreten wird, der sich unter anderem an der fortschrittlichen Klimapolitik von Gliedstaaten an den amerikanischen Ost- und Westküsten orientiert und eine markante Umkehr in der Entwicklung der nationalen Treibhausgasemissionen anstrebt.

­

Die Schwellenländer gaben sich an den internationalen Verhandlungen zurückhaltend betreffend nationale Emissionsreduktionen und verlangten, im Einklang mit der Verhandlungsgruppe aller Entwicklungsländer, weitgehende finanzielle und technologische Unterstützung von Seiten der Industrieländer. Gleichzeitig unternahmen einige Schwellenländer auf nationaler Ebene bereits zum Teil substanzielle Schritte, um das Problem des Klimawandels anzugehen. Zu erwähnen ist zum Beispiel Südafrika, das klare Vorgaben zur Stabilisierung seiner Treibhausgasemissionen bis 2020­2025 erlassen hat.

Die Position der Schweiz Die Schweiz hat ein grosses Interesse an einer zielgerichteten und globalen Bekämpfung des Klimawandels, der ein weltweites Problem darstellt und eine koordinierte Antwort der gesamten internationalen Staatengemeinschaft erfordert.

Die schweizerische Politik basiert auf dem in der UNO-Klimakonvention vereinbarten Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung aller Staaten bei der Bekämpfung des Klimawandels. Dabei orientiert sie sich ­ im Einklang mit der EU ­ am Ziel, eine globale Erwärmung von mehr als 2 Grad zu verhindern und damit schwerwiegenden Umweltauswirkungen möglichst zuvorzukommen. Dieses Ziel setzt markante Treibhausgasemissionsreduktionen voraus.

Die Schweiz vertritt die Haltung, dass ein neues globales Klimaregime eine ausgewogene Lastenverteilung beinhalten muss. Dies bedeutet, dass neben den Industriestaaten insbesondere auch die grossen Schwellenländer ihren Beitrag leisten müssen.

Die ärmsten Entwicklungsländer sollen dagegen nicht zu Emissionsreduktionen verpflichtet werden.

Vor diesem Hintergrund positioniert sich die Schweiz wie folgt:

6396

Reduktion der Emissionen Die Schweiz hat das Kyoto-Protokoll 1997 ratifiziert und sich in der Folge dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen zwischen 2008 und 2012 im Verhältnis zum Ausstoss von 1990 um 8 % zu senken. Diese internationale Verpflichtung, die im Vergleich zu anderen Ländern als eine der ehrgeizigsten gilt, wurde in das nationale CO2-Gesetz von 1999 aufgenommen. Dieses sieht Folgendes vor: freiwillige Massnahmen zur Emissionsminderung, die Einführung einer Gebühr, falls die Massnahmen unzureichend sind, die im Kyoto-Protokoll vorgesehene Anwendung flexibler Mechanismen (Emissionszertifikatemarkt und Mitigationsprojekte, namentlich in den Entwicklungsländern), die Förderung von erneuerbaren Energien und die Stärkung der Energiewirksamkeit.

Dank ihrer praktisch CO2-freien Elektrizitätsproduktion und dem weitgehenden Fehlen emissionsintensiver Industriezweige hat die Schweiz pro Kopf vergleichsweise geringe Treibhausgasemissionen. Im Transport- und Gebäudebereich bestehen allerdings namhafte Potenziale für Emissionsreduktionen, die für Gegenwart und Zukunft den weiteren Weg des nationalen Klimaengagements weisen. Die vom Bundesrat im Jahr 2008 beschlossenen Aktionspläne zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Förderung der erneuerbaren Energien werden die Verknüpfung von Klima- und Energiepolitik weiter stärken.

Die Schweiz muss ihre internationalen Verpflichtungen bezüglich Emissionsminderungen im Rahmen der laufenden multilateralen Verhandlungen für die Zeit nach 2012 erneuern. Gleichzeitig steht eine Totalrevision des nationalen CO2-Gesetzes an. Die Vorbereitung dazu begann 2008, und das Vernehmlassungsverfahren wurde im März 2009 abgeschlossen. Einerseits geht es hier um das Reduktionsziel, das die Schweiz bis 2020 erreichen muss, und andererseits um die Mittel, über die sie verfügen kann.

Die Schweiz hat aufgrund der globalen Resonanz der internationalen Klimaschutzbemühungen ein wesentliches Interesse, als solidarische Akteurin wahrgenommen zu werden. Dies bedingt einerseits Reduktionsmassnahmen im Inland, die der Bundesrat mit den Aktionsplänen der Energiepolitik und mit neuen Vorschlägen im Rahmen der Revision des CO2-Gesetzes vorantreiben will. Andererseits wird sich die Schweiz massgeblich am Kapital- und Technologietransfer zugunsten der Entwicklungs- und
Schwellenländer beteiligen müssen, wofür Mechanismen des Emissionshandels und der direkten Finanzierung über bilaterale Massnahmen der Entwicklungszusammenarbeit oder über internationale Finanzinstitutionen in Frage kommen.

Ein zentrales Anliegen im Falle einer Auslandskompensation muss die Qualität der erworbenen Zertifikate sein. Die Schweiz setzt sich in den internationalen Verhandlungen dafür ein, dass im Rahmen des «Clean Development Mechanism» (CDM, siehe unten) die notwendige Qualität und Additionalität der Projekte zuverlässig sichergestellt wird. Falls dieses Ziel nicht erreicht wird, kann von der Schweiz beispielsweise der Ausschluss von umstrittenen Projektkategorien erwogen werden.

Anpassung an den Klimawandel Die Schweiz verfügt im Bereich der Anpassung über jene Kompetenzen, die zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels erforderlich sind. Die tatsächliche Herausforderung der Industrieländer besteht in der Unterstützung, die sie den verletzlichsten Ländern zur Bewältigung dieser Auswirkungen bereitstellen müssten. Ihre 6397

Verletzlichkeit ist nicht nur dadurch bedingt, dass sie diesen Klimarisiken ausgesetzt sind, sondern auch dadurch, dass sie nicht über genügend Mittel verfügen, um diesen Risiken zu begegnen. Besonders schwierig ist die Situation der am wenigsten entwickelten Länder und der kleinen Inselstaaten, die selbst nicht verantwortlich sind für den Klimawandel, da sie sehr geringe Treibhausgasemissionen aufweisen.

Die Kosten notwendiger Anpassungsmassnahmen werden weltweit in die Milliarden gehen. Die Schweiz hat sich deshalb in den internationalen Verhandlungen frühzeitig mit einem eigenen Vorschlag zur Generierung der dafür notwendigen Mittel positioniert. Dieser Vorschlag einer globalen CO2-Abgabe (die die ärmsten Entwicklungsländer nicht belastet) zielt darauf ab, nach dem Verursacherprinzip massgebliche Finanzmittel bereitzustellen. Davon sollen alle Staaten profitieren, prioritär allerdings die vom Klimawandel am härtesten betroffenen Entwicklungsländer.

Vorschläge anderer Staaten und Staatengruppen zielen ebenfalls auf die Generierung zusätzlicher Mittel.

Klimawandel und Entwicklungszusammenarbeit Die DEZA hat den Klimawandel zum Schwerpunkt eines ihrer neuen globalen Programme gemacht (vgl. Ziff. 3.3.8.2). Sie führt in verschiedenen Ländern spezifische Klimaprogramme durch, und in einigen Ländern (z.B. Indien) stellt die Klimafrage gar das Schwerpunktthema der bilateralen Zusammenarbeit dar, wobei Technologie- und Wissenstransfer zur Steigerung der Energieeffizienz und der nachhaltigen Energiegewinnung im Zentrum stehen. Hinzu kommt die Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Umsetzung konkreter Anpassungsmassnahmen.

Auch das SECO stärkt im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung seine Anstrengungen zugunsten des Klimaschutzes. Es konzentriert sich dabei auf die Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien und damit auch auf den Technologietransfer. Das nachhaltige Tropenwaldmanagement und die Mitgestaltung der Klimaschutzprogramme der Entwicklungsbanken sind weitere diesbezügliche Schwerpunktaktivitäten.

Klimawandel und Migration Mit zunehmender Klimaerwärmung ist davon auszugehen, dass ­ wegen graduellen (z.B. Wechsel des Niederschlagsregimes und damit verbundene Wüstenbildung) wie auch abrupten Klimaereignissen (z.B. Wirbelstürme) ­ vermehrt Menschen ihre
Herkunftsregionen verlassen müssen. Prognosen über das Ausmass klimabedingter Migration sind schwierig zu machen, doch ist davon auszugehen, dass die Anzahl betroffener Menschen bis Mitte dieses Jahrhunderts stark ansteigen wird.

Die Schweiz fördert auf nationaler Ebene einen koordinierten und umfassenden Ansatz und erarbeitet ein Positionspapier zu Klimawandel und Migration. Ausserdem soll im Gesamtkontext der Schweizer Verhandlungsposition in Klimadebatten die Möglichkeit evaluiert werden, humanitäre Aspekte des Klimawandels zu reflektieren und gezielt in die Verhandlungsführung einzubringen. Grundsätzlich ist die Schweiz überzeugt, dass dem Thema auf der internationalen Agenda vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.

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Internationale Verknüpfung des schweizerischen Emissionshandelssystems Das schweizerische Emissionshandelssystem muss international verknüpft werden, um den Schweizer Akteuren Zugang zu einem grösseren Markt zu verschaffen. Als Partner bietet sich das Emissionshandelssystem der EU an. Gespräche zwischen der Schweiz und der EU zu einer entsprechenden Verknüpfung haben bereits auf technischem Niveau stattgefunden. Sie sollen in eine formelle Vereinbarung münden, die den Zugang der schweizerischen Unternehmen zum EU-Emissionshandelssystem gewährleistet und damit auch die Handelbarkeit von schweizerischen Emissionsrechten auf dem europäischen Markt sicherstellt (siehe auch Ziff. 3.2.2.1.4).

Der Weg nach Kopenhagen Notwendigkeit eines umfassenden globalen Klimaregimes Die UNO-Klimaverhandlungen sollen im Dezember 2009 in Kopenhagen in ein völkerrechtlich bindendes internationales Klimaregime für die Periode nach 2012 münden.

Die dringlichste Aufgabe aus Schweizer Sicht wird darin bestehen, sowohl die Industriestaaten, einschliesslich der USA, als auch die grossen Schwellenländer dazu zu bringen, sich zu substanziellen Reduktions- oder Stabilisierungszielen in Bezug auf die Treibhausgasemissionen zu verpflichten. Wie wichtig der Einbezug der Schwellenländer ist, zeigt sich daran, dass China in absoluten Zahlen inzwischen zum weltweit grössten Treibhausgasemittenten aufgestiegen ist. Indien erlebt ebenfalls eine wirtschaftliche Entwicklung, die massgeblich zum globalen CO2-Ausstoss beitragen wird. Ähnliches gilt für Schwellenländer wie Brasilien, Mexiko, die Republik Korea oder Südafrika. Es ist darum offensichtlich, dass die bisher im internationalen Klimaregime bestehende strikte Trennung zwischen Industrieländern mit verpflichtenden Reduktionszielen und Schwellen- und Entwicklungsländern ohne bindende Vorgaben aufgegeben werden muss.

Im Bereich der Anpassung geht es in erster Linie darum, die finanziellen Ressourcen zu schaffen, die für eine Bewältigung der Folgen des Klimawandels erforderlich sind (siehe oben).

Die Schweiz koordiniert seit 2000 eine Verhandlungsgruppe («Environmental Integrity Group», EIG), der Liechtenstein, Mexiko, das Fürstentum Monaco und die Republik Korea angehören. Diese Gruppe erlaubt es der Schweiz, während der laufenden Verhandlungen mit ihren Partnern zusammen eine
konstruktive Rolle als Brückenbauerin zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern einzunehmen. Die EIG muss sich dabei jedoch bewusst sein, dass der Rahmen der multilateralen Klimaverhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zwar eine privilegierte Diskussionsplattform bildet, aber längst nicht mehr die einzige ist.

Die Treffen der G8, der G8+ einschliesslich gewisser Schwellenländer, das «Major Economies Forum» (MEF) oder die neuen Initiativen der Weltbank machen dies deutlich.

Reform des «Clean Development Mechanism» (CDM) Entscheidend für den Erfolg der Klimaverhandlungen wird auch die Reform des «Clean Development Mechanism» sein. Der CDM sieht vor, dass Industrieländer Projekte zur Verminderung von CO2-Emissionen in Entwicklungsländern finanziell unterstützen und dafür Emissionszertifikate erhalten, die an ihre nationalen Reduktionsanstrengungen anrechenbar sind. Damit verknüpft ist ein grosses Potenzial an 6399

Impulsen zur nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungsländern, das durch eine gezielte Förderung des Transfers fortschrittlicher und umweltfreundlicher Technologien bestmöglich ausgeschöpft werden muss. Schweizer Unternehmen können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Wie gross der Anteil von im Ausland erworbenen Emissionszertifikaten sein darf, den sich industrialisierte Staaten an ihre Emissionsverpflichtungen anrechnen lassen können, wird zurzeit noch diskutiert. Das im Kyoto-Protokoll verankerte Prinzip der Supplementarität sieht diesbezüglich keine quantifizierten Vorgaben vor. Die Supplementarität bedeutet aber gemäss dem geltenden internationalen Verständnis, dass die Anrechnung von Emissionsreduktionen im Ausland nur ergänzend zu Emissionsreduktionen innerhalb der eigenen Grenzen erfolgen darf; das heisst, der Hauptteil der Reduktionen muss im Inland erfolgen.

Bisher haben vor allem Schwellenländer von CDM-Projekten profitiert. Ärmere Entwicklungsländer (insbesondere in Afrika) konnten vom CDM-Potenzial zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung kaum profitieren. Zudem schaffen gewisse zugelassene Projektkategorien wie grosse Wasserkraftwerke oder die Gewinnung von Methan aus Kohlegruben zwar CO2-Reduktionen, genügen aber nicht immer anderen Kriterien einer nachhaltigen Entwicklung. Eine Behebung dieser Probleme ist sehr wichtig und muss Gegenstand internationaler Verhandlungen zur Verbesserung des CDM sein.

Klimafreundliches Engagement ist wirtschaftsfreundlich Die Staatengemeinschaft muss alles daran setzen, dass die Klimakonferenz in Kopenhagen Ende 2009 ein Erfolg wird. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die gegenwärtige Wirtschaftskrise das rasche Zustandekommen eines griffigen internationalen Klimaabkommens gefährdet. Die momentan herrschende Verunsicherung wegen einer möglicherweise länger anhaltenden Rezession hat nämlich Stimmen laut werden lassen, die einschneidende klimarelevante Massnahmen nur dann durchzusetzen wollen, wenn damit keine negativen volkswirtschaftlichen Folgen verbunden sind. Es muss sich deshalb noch vermehrt die Einsicht durchsetzen, dass ein starkes und nachhaltiges Engagement im Bereich Klima und erneuerbare Energie wesentlich dazu beitragen kann, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.

3.3.3

Energieaussenpolitik

Herausforderungen im Energiebereich Wie die meisten anderen Staaten steht auch die Schweiz im Energiebereich vor grossen Herausforderungen. Die steigende Energienachfrage, die starke Abhängigkeit von Energieimporten, die begrenzten weltweiten Reserven an fossilen Energieträgern, die Notwendigkeit einer Diversifizierung der Energiequellen und der Versorgungswege sowie der emissionsbedingte Klimawandel erfordern eine regelmässige Überprüfung der strategischen Ausrichtung der Energiepolitik unseres Landes.

Es ist nicht sinnvoll, diese Herausforderungen ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der Energie anzugehen, denn sie berühren fundamentale Interessen der Schweiz, die über rein technische Fragen hinausgehen. Die weltweite Interdependenz erfordert sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene einen globalen 6400

und kohärenten politischen Ansatz sowie koordinierte Lösungen. Aus diesem Grund hat der Bundesrat im Februar 2008 eine Strategie für die Energieaussenpolitik der Schweiz verabschiedet (siehe unten).

Nach Prognosen der Internationalen Energie-Agentur (IEA) wird die weltweite Energienachfrage bis 2030 um mehr als 50 % ansteigen. Dieses Nachfragewachstum wird weitgehend von den Schwellenländern (allen voran China und Indien) und den Entwicklungsländern, aber auch von Nordamerika verursacht. Fossile Energieträger (Erdöl, Kohle und Erdgas) werden gemäss Prognose der IEA auch in Zukunft unverändert rund 80 % des weltweiten Energiebedarfs decken. Trotz kräftigem Wachstum werden neue erneuerbare Energien wie Biomasse sowie Sonnen- und Windenergie den weltweiten Energiehunger nur beschränkt stillen können.

Die EU hat in den letzten Jahren einen Strom- und Gasbinnenmarkt errichtet. Zudem hat sie Anfang 2007 einen Aktionsplan verabschiedet, der die Erhöhung der Versorgungssicherheit, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung eines nachhaltigen Energiesystems vorsieht. Mit der Schaffung der Energiegemeinschaft hat die EU ihren Energiebinnenmarkt auch auf Staaten in Südosteuropa ausgeweitet.

Zwischen der Schweiz und der EU gibt es mehrere energierelevante Abkommen, ein eigentliches Energieabkommen bislang jedoch nicht.

Verschiedene Energiequellen Die Schweiz deckt etwa 55 % ihres Bruttoenergieverbrauchs mit fossilen Energieträgern (rund 45 % Erdöl und knapp 10 % Erdgas) und 25 % mit Kernbrennstoffen ab. Die restlichen 20 % stammen aus einheimischen Energiequellen, davon die Hälfte aus Wasserkraft und die andere Hälfte aus festen Brennstoffen (Abfall, Holz) sowie weiteren erneuerbaren Energien. Diese Struktur der Energieversorgung ist auch unter Berücksichtigung der folgenden Punkte zu betrachten: Erdöl Die vorhandenen und vermuteten Erdölreserven sollten ausreichen, um den Bedarf bis 2030 zu decken. Ihre geografische Konzentration kann nicht nur die Störungsanfälligkeit der Lieferungen, sondern auch das Niveau und die Volatilität der Erdölpreise erhöhen.

Erdgas Gemäss Schätzungen reichen die zurzeit bekannten Erdgasreserven noch etwa 60 Jahre. Erdgas muss durch teure Pipelines oder als Flüssiggas transportiert werden, das in aufwendigen Anlagen hergestellt wird. Für die Realisierung der
grenzüberschreitenden Erdgasinfrastrukturen sind zwischenstaatliche Vereinbarungen erforderlich. In Eurasien muss Erdgas oft durch Drittstaaten transportiert werden, um zu den Endabnehmern zu gelangen. Mehrere Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, wie wichtig diese Transitländer sind.

Kernenergie In manchen Ländern erlebt die Kernenergie derzeit aus klimapolitischen und versorgungstechnischen Gründen eine Renaissance. Die bekannten Uranvorkommen reichen noch rund 70 Jahre, die Brennstoffnachfrage könnte jedoch mit heute noch nicht ausgebeuteten Uranvorkommen und neuen Wiederaufbereitungstechnologien noch mehrere Jahrhunderte lang gedeckt werden.

6401

Erneuerbare Energien Während die Versorgung mit fossilen Energieträgern im Wesentlichen von der internationalen Zusammenarbeit abhängt, ist die Förderung von erneuerbaren Energien vor allem Aufgabe der innerstaatlichen Energiepolitik. Jeder Staat entwickelt diejenigen erneuerbaren Energien, für die ihm die erforderlichen Ressourcen (Sonne, Wind, Wasser usw.) zur Verfügung stehen. Die Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen für solche Energien sowie ihre Finanzierung und der Technologietransfer erfordern aber neben einzelstaatlichen Massnahmen auch eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit. Organisationen wie die Internationale EnergieAgentur (IEA), das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die Weltbank setzen sich für diese Zusammenarbeit ein. Am 26. Januar 2009 wurde in Bonn eine neue internationale Organisation ins Leben gerufen, die Internationale Agentur für erneuerbare Energien («International Renewable Energy Agency», IRENA), deren vorrangiges Ziel es ist, erneuerbare Energien in grossem Massstab zu fördern. Mit der Schaffung dieser Agentur setzte die internationale Gemeinschaft erneut ein Zeichen für die immer wichtigere Rolle, die erneuerbare Energien in der Zukunft spielen werden. Die Schweiz hat am 27. Mai 2009 in Berlin die Statuten der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) unter Vorbehalt der Ratifikation durch die Bundesversammlung unterzeichnet.

Strategie der Energieaussenpolitik Am 21. Februar 2008 verabschiedete der Bundesrat eine Strategie für die Energieaussenpolitik der Schweiz, die unter der Federführung des Bundesamtes für Energie von UVEK, EDA und EVD umgesetzt wird. Mit dieser Strategie werden drei Hauptziele verfolgt: 1)

Sicherung der Energieimporte (Energieversorgungssicherheit)

2)

Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Energiemarktes (Wirtschaftlichkeit)

3)

Förderung einer effizienten und klimafreundlichen Energienutzung (Umweltverträglichkeit).

Das dritte Ziel umfasst auch die Unterstützung der nachhaltigen Energieproduktion und des nachhaltigen Energiekonsums in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

Der Bundesrat setzt somit eine profilierte und engagierte Energieaussenpolitik um.

Er will an der Ausarbeitung internationaler Energiebeschlüsse mitwirken (insbesondere im Rahmen der IEA, der IAEA und der Energiecharta), durch internationale Zusammenarbeit (insbesondere im Rahmen von Energiedialogen mit bestimmten Produzenten- und Transitländern sowie mit unseren Nachbarländern) die langfristige Sicherheit der Versorgung mit fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas sicherstellen und die Position der Schweiz als Drehscheibe im Zentrum des europäischen Stromnetzes stärken (Verhandlungen mit der EU).

Perspektiven und künftige Massnahmen Energie spielt eine wichtige Rolle in der Schweizer Aussenpolitik. Deshalb hat der Bundesrat beschlossen, seine entsprechenden Aktivitäten auf die folgenden Bereiche zu konzentrieren: Energiedialoge mit den Nachbarländern

6402

Die Nachbarländer der Schweiz sind wichtig für die Energieversorgung des Landes, denn ein Grossteil der in der Schweiz verbrauchten Energie (Erdgas, Erdöl, Strom) wird zuvor durch diese Länder transportiert. Die Schweiz ist aber auch Transitland für fossile Energieträger, die für ihre Nachbarn bestimmt sind, und ist generell an einer weitgehenden Zusammenarbeit interessiert. Zu diesem Zweck unterhält sie mit diesen Ländern ständige Kontakte in den Bereichen Elektrizität und Erdgas, Energietransport und -handel sowie Förderung von erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Forschung. Sie hat die Absicht, diese Kontakte durch regelmässige Energiedialoge noch zu verstärken.

Verhandlungen mit der EU Die EU hat in den letzten Jahren einen Energiebinnenmarkt geschaffen, der sowohl einen liberalisierten Erdgas- und Strommarkt als auch die Förderung der erneuerbaren Energien und der effizienten Energienutzung umfasst. Angesichts der Verflechtung der Energiemärkte und der zunehmenden energiepolitischen Harmonisierung ist die Schweiz von der europäischen Entwicklung im Energiebereich unmittelbar betroffen und hat daher grosses Interesse an einer Abstimmung zwischen dem schweizerischen und dem europäischen Energiemarkt. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Aushandlung eines Stromabkommens zwischen der Schweiz und der EU, das Themen wie den Stromtransit, Sicherheitsstandards beim Stromverkehr, die gegenseitige Anerkennung der Herkunftsnachweise für Strom aus erneuerbaren Energiequellen und den gegenseitigen Marktzugang behandelt (vgl. Ziff.

3.2.2.1.4). Mittelfristig könnte sich auch ein Harmonisierungsbedarf in weiteren Energiebelangen abzeichnen, so etwa in Bezug auf Erdgas. Zudem wird die Schweiz mehr als bisher als Beobachterin in den verschiedenen energiepolitischen Foren und Gremien der EU mitwirken, um die Entwicklung des europäischen Energiemarktes aus nächster Nähe zu verfolgen.

Zusammenarbeit mit ausgewählten Drittländern In erster Linie ist es Aufgabe des privaten Energiesektors, die Versorgungssicherheit der Schweiz zu gewährleisten. Mit ihrer Energieaussenpolitik will die Schweiz jedoch aktiv zur Erreichung dieses Ziels beitragen. Deshalb will sie Gespräche über Energiefragen führen und gegebenenfalls Energiepartnerschaften mit ausgewählten Drittstaaten aufbauen, die fossile
Energieträger produzieren oder ihren Transit erlauben oder die erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder die Forschung in diesem Bereich fördern. In dieser Hinsicht für die Schweiz besonders interessante Länder sind Aserbaidschan, die Türkei, Russland, Algerien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Schweiz beteiligt sich an den Bemühungen um eine Diversifizierung der Erdgaslieferungen in Europa (vierter Korridor), indem sie offiziell das Projekt der «Transadriatic Pipeline» (TAP) unterstützt, das von der Schweizer ElektrizitätsGesellschaft Laufenburg (EGL) und der norwegischen Firma StatoilHydro getragen wird. Dieses Projekt hat strategische Bedeutung für die Schweiz und soll die Versorgungssicherheit Europas und damit der Schweiz langfristig gewährleisten. Die TAP soll ab 2015/16 Erdgas aus der Kaukasusregion und dem Nahen Osten über die Türkei, Griechenland und Albanien nach Italien liefern (siehe auch Ziff. 3.2.5.3).

Der jüngste Gaskonflikt und seine gravierenden Folgen für einige osteuropäische Länder haben erneut deutlich gemacht, dass eine möglichst weitgehende Diversifizierung der Energieversorgung (mehrere Energiequellen und unterschiedliche 6403

Transportwege) von entscheidender Bedeutung ist. Diese Diversifizierung ist im Übrigen eine zentrale Säule der Schweizer Energieaussenpolitik. Um sie zu realisieren, bedarf es ­ wie auch das TAP-Projekt zeigt ­ einer gezielten diplomatischen Tätigkeit sowohl auf technischer wie auf politischer Ebene. In diesem Bereich werden unsere Botschaften regelmässig angefragt, und sie leisten hier einen substanziellen politischen Beitrag. Dies ist einer der Gründe für die 2008 erfolgte Eröffnung einer Schweizer Botschaft in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.

Unsere Energieaussenpolitik darf sich nicht nur auf die Märkte konzentrieren, denn jede politische Frage kann dabei relevant werden. Bei Verhandlungen müssen wir einen globalen Ansatz verfolgen, um unsere Interessen möglichst gut zu koordinieren und zu wahren.

Konzentration der multilateralen Aktivitäten Mit Energiefragen befassen sich mehrere internationale Organisationen. Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass die IEA mit Sitz in Paris, die IAEA mit Sitz in Wien und die Energiecharta mit ihrem Sekretariat in Brüssel auch weiterhin die entscheidenden multilateralen Institutionen für den Energiebereich bleiben und noch verstärkt werden. Es liegt im Interesse der Schweiz, dass die globale Energiepolitik von multilateralen Gremien gestaltet wird. Im Rahmen ihrer Mitarbeit in diesen Gremien hat die Schweiz die Möglichkeit, auch in Fragen von geopolitischer Tragweite zu intervenieren.

Entwicklungszusammenarbeit und Energie Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit wird Energiefragen in Zukunft stärker zu berücksichtigen haben. Sie will im Rahmen der multilateralen Programme der Entwicklungsbanken sowie durch bilaterale Projekte dazu beitragen, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer Energie effizienter nutzen, häufiger erneuerbare Energien einsetzen und klimaschädliche Energieproduktionsanlagen durch umweltverträgliche Anlagen ersetzen.

3.3.4

Gesundheitsaussenpolitik

Neue Bedeutung der Gesundheitsaussenpolitik In den letzten zehn Jahren hat das Thema Gesundheit international stark an Bedeutung gewonnen. Die Rolle des Faktors Gesundheit, insbesondere in Bezug auf Entwicklung, Stabilität und Wohlstand eines Landes, ist heute allgemein anerkannt. Die globalisierungsbedingten Veränderungen im Kontext der internationalen Entwicklung und Gesundheit bedingen eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und unterstreichen den Begriff der Gesundheit als öffentliches Gut. So zeigen die Erfahrungen mit der SARS-Epidemie oder den Grippepandemie-Vorbereitungen, dass angesichts der Abhängigkeiten von Staaten und Gesellschaften über die Landesgrenzen hinaus international koordinierte Ansätze bei der Behandlung dieser Herausforderungen notwendig sind.

Gesundheitsthemen werden deshalb nicht mehr nur rein fachspezifisch und auf nationaler Ebene angegangen, sondern bedürfen immer stärker einer themenübergreifenden und international ausgerichteten Betrachtungsweise und Lösungssuche.

Diese Entwicklung spiegelt sich exemplarisch wider in der Resolution der UNO6404

Generalversammlung vom September 2008, mit der Gesundheit (im Sinne von «Global Health») als aussenpolitisches Schwerpunktthema in allen Mitgliedstaaten etabliert werden sollte. Weitere Initiativen wie beispielsweise die Oslo-Erklärung (eine von sieben Ländern32 aller Kontinente unterzeichnete Erklärung zur aussenpolitischen Bedeutung von Gesundheit) verfolgen dasselbe Ziel.

Analog zur Interdependenz, die unsere Gesellschaft charakterisiert und durch die vermehrt themenübergreifende, koordinierte Lösungen gefunden werden müssen, ist auch die Situation unter den verschiedenen Akteuren im Gesundheitsbereich komplexer geworden. So sind zusätzlich zur Weltgesundheitsorganisation (WHO), die nach wie vor die zentrale Plattform und normative Agentur für internationale Gesundheitsfragen ist, viele neue staatliche, private und gemischte Institutionen entstanden. Inhaltlich meist auf die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele ausgerichtet, haben letztere durch ihre teilweise hohe Finanzkraft rasch international an Einfluss gewonnen (Bill und Melinda Gates Foundation, Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria usw.). Die internationale Gesundheitsarchitektur ist dadurch komplexer und die Gouvernanz auf globaler Ebene schwieriger geworden.

Massnahmen und zukünftige Herausforderungen Die zunehmende Bedeutung des Bereichs Gesundheit bringt sowohl neue Herausforderungen wie auch neue Chancen für die Schweizer Aussenpolitik. Wurden Gesundheitsinteressen in der Aussenpolitik bisher eher indirekt verfolgt und vorrangig als sektorielle Aufgabe der Gesundheits- und Entwicklungspolitik gesehen, so verlangt die globale Interdependenz einen ganzheitlichen, kohärenten Politikansatz und national wie international koordinierte Problemlösungen. Es gilt, die vielen Politikfelder, die betroffen sind, in einen gemeinsamen Rahmen einzubinden.

Zu diesem Zweck haben das EDA und das EDI im Oktober 2006 eine aussenpolitische Zielvereinbarung im Bereich Gesundheit (kurz Zielvereinbarung) abgeschlossen, welche die verwaltungsinterne Basis für die schweizerische Gesundheitsaussenpolitik bildet. Angesichts der positiven Zwischenbilanz der Hauptakteure wurde eine Verlängerung der Zielvereinbarung bis Ende 2009 beschlossen. Es wird angestrebt, die im Rahmen der Zielvereinbarung aufgebaute enge Zusammenarbeit auch danach
auf konstruktive Art und Weise weiterzuführen.

Verhandlungen mit der EU Sowohl auf Seiten der Schweiz wie auch der EU besteht Interesse an einer engeren Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit (vgl. Ziff. 3.2.2.1.4). Schwerpunkte eines möglichen Gesundheitsabkommens Schweiz­EU sind die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, allgemeine Gesundheitsbelange, Lebensmittelsicherheit und allgemeine Produktesicherheit. Für die Schweiz stehen die Teilnahme an zwei EUAgenturen (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten/ Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit), der Anschluss an drei Schnellund Frühwarnsysteme sowie die Beteiligung am EU-Gesundheitsprogramm im Vordergrund eines Abkommens.

32

Brasilien, Frankreich, Indonesien, Norwegen, Senegal, Südafrika und Thailand

6405

Globale Zusammenarbeit und Koordination Die Schweiz misst der Thematik der globalen Gesundheit und deren Koordination grosse Bedeutung bei. 2008 wurde deshalb ein interner Konsultationsprozess zur Frage initiiert, wie die globale Gesundheitsgouvernanz verbessert werden und wie sich die Schweiz hier engagieren könnte.

Die Schweiz beteiligt sich aktiv an den Arbeiten der WHO, die sie als Schlüsselagentur und führende internationale Plattform für Gesundheitsthemen sieht. Entsprechend hat sich die Schweiz auch im Jahr 2008 in den verschiedensten WHOGremien und Verhandlungen engagiert.

Im Mai 2008 hat die Weltgesundheitsversammlung nach intensiven Verhandlungen, in denen die Schweiz eine zentrale Rolle spielte, eine globale Strategie samt Aktionsplan für öffentliche Gesundheit, Innovation und geistiges Eigentum verabschiedet (in Umsetzung des Berichts der Kommission zu Immaterialgüterrechten, Innovation und öffentlicher Gesundheitspflege, die von alt Bundesrätin Ruth Dreifuss geleitet wurde). Die Schweiz wird sich für eine rasche nationale und internationale Umsetzung der Strategie einsetzen, wobei es insbesondere bei der Thematik des Zugangs zu Medikamenten wichtig bleiben wird, die Positionen innerhalb der Bundesverwaltung zu konsolidieren. Die 2007 begonnenen intergouvernementalen Verhandlungen zur Frage des Austauschs von Grippeviren und des Zugangs zu Impfstoffen wurden mit aktiver Teilnahme der Schweiz weitergeführt. Im Oktober 2008 konnte mit finanzieller Unterstützung der Schweiz ein von der WHO und der OECD gemeinsam geleiteter Dialog zur Problematik der Migration von Gesundheitspersonal durchgeführt werden, auch als Vorbereitung zur Ausarbeitung eines WHO-Verhaltenskodex bezüglich der Rekrutierung von Gesundheitspersonal.

Die Schweiz wird sich im Rahmen der WHO weiterhin für die konsensorientierte Umsetzung der Prioritäten der Organisation einsetzen. Nebst inhaltlichen Fragen zu aktuellen Themen wie Übergewicht, Pandemievorbereitung oder Zugang zu Medikamenten werden insbesondere auch die Mitwirkung der WHO bei den UNOReformbestrebungen auf Länderebene (ONE-UN) sowie die Frage der längerfristigen Rolle der Organisation im Zusammenspiel mit der Vielzahl multidisziplinärer Akteure im Gesundheitsbereich für die Schweiz von zentraler Bedeutung sein.

Auch in anderen multilateralen Organen,
die im Gesundheitsbereich tätig sind, wie beispielsweise das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen für HIV/AIDS (UNAIDS), hat die Schweiz 2008 departementsübergreifend konsolidierte Positionen vertreten und wird dies auch weiterhin tun.

Die Stärkung der Rolle Genfs als internationales Kompetenzzentrum für globale Gesundheitsfragen ist und bleibt eine Priorität der Schweiz. In Ergänzung zu ihrer Rolle als Sitzstaat der WHO hat sie ein grosses Interesse daran, das internationale Genf gezielt an die neuen Gegebenheiten mit einer Vielzahl zusätzlicher Akteure im Gesundheitsbereich anzupassen. Mit dem Projekt des «Campus Santé» beispielsweise ist vorgesehen, die inhaltlichen Synergien und räumlichen Verhältnisse betreffend WHO, UNAIDS und den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zu verbessern. Durch den Abschluss eines Sitzabkommens zwischen der Schweiz und der Globalen Allianz für Impfstoffe und Immunisierung (GAVI) sollen der Campus Santé und damit Genf als internationale «Gesundheitshauptstadt» ebenfalls gestärkt werden. Auf akademischer Ebene sorgt das Institut des hautes études internationales et du développement (IHEID) mit seinem Fachbereich Gesundheit und dessen zahlreichen Schwerpunktveranstaltungen (Global 6406

Health Programme, Summer Course on Global Health and Diplomacy usw.) für internationale Fachkompetenz.

Gesundheit und Entwicklung Aus entwicklungspolitischer Sicht steht das Thema Gesundheit vor grossen Herausforderungen. Drei von acht der im Jahr 2000 von allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDG) betreffen Gesundheitsziele als solche (MDG 4: Kindersterblichkeit verringern; MDG 5: Gesundheit der Mütter verbessern; MDG 6: HIV/Aids, Malaria und andere übertragbare Krankheiten bekämpfen), mindestens drei MDG dienen zudem indirekt der Verbesserung der Gesundheit der Ärmsten dieser Welt. Gleichzeitig steht fest, dass es in Subsahara-Afrika eines grossen Zusatzaufwandes bedarf, um die MDG zu erreichen. Die Botschaften über die Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des Südens und Osteuropas sowie über humanitäre Hilfe gehen auf diese und weitere Herausforderungen ein, und die DEZA trägt ihnen im Rahmen ihrer Reorganisation mit einer Stärkung ihrer internen Strukturen Rechnung. Inhaltlich sollen mittels gezielterem Einbezug von Ländererfahrungen und -realitäten die Synergien zwischen bilateralen Massnahmen in Schwerpunktländern und multilateraler Zusammenarbeit (WHO, UNAIDS, GFATM usw.) verstärkt werden. Dabei bleibt die DEZA der bedarfsorientierten, mit anderen Gebern in sinnvoller Arbeitsteilung vereinbarten Ausrichtung auf die Stärkung des Gesundheitssystems, die Bekämpfung von übertragbaren Armutskrankheiten sowie die Verbesserung der reproduktiven Gesundheit treu. Die in der Pariser Erklärung für verbesserte Wirksamkeit verabschiedeten Prinzipien der Zusammenarbeit eröffnen der DEZA neue, vielversprechende Möglichkeiten, im Politikdialog Einfluss zu nehmen. Themen wie der gerechtere Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen stehen hier im Zentrum. Auf dem Gebiet der übertragbaren Krankheiten wird zudem vermehrt die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft gesucht und gefördert (z.B. Swiss Malaria Group).

3.3.5

Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik

3.3.5.1

Kontext

Die Thematik der weltweiten Abrüstung und der Verhinderung der Proliferation aller Arten von Waffen und Munition wird die Schweiz auch in den nächsten Jahren vor beträchtliche Herausforderungen stellen.33 Sicherheitspolitisch befindet sich die Staatengemeinschaft zurzeit in einer komplexen Situation. Zwar haben die USA ihre Vormachtstellung, die sie seit dem Zerfall der Sowjetunion eingenommen haben, in vielen Bereichen aufrechterhalten können. Trotzdem ist spätestens seit dem 11. September 2001 klar, dass von einem stabilen unipolaren System kaum die Rede sein kann. Vielmehr befinden wir uns in einem neuen geopolitischen Kontext (siehe Ziff. 2), in dem eine Vielzahl von Akteuren auf verschiedenen Ebenen ihre Ziele zu realisieren sucht. Zum einen beanspruchen immer mehr Staaten regionale oder globale Führungsrollen, die sie unter anderem durch Aufrüstung ihrer Waffenarsenale zu unterstreichen suchen. Zum andern wird das Gewaltmonopol der Staaten durch nichtstaatliche Akteure in Frage gestellt. Bedingt durch diese Entwicklungen 33

Siehe auch den Bericht des Bundesrates vom 10. Sept. 2008 über die Rüstungskontrollund Abrüstungspolitik der Schweiz 2008, BBl 2008 7975.

6407

hat die Gefahr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen weiter zugenommen. Gleichzeitig hat die anhaltende Blockierung der multilateralen Verhandlungsgremien, vor allem im Bereich der Massenvernichtungswaffen, neue Fragen über die Zukunft der internationalen Abrüstungs- und Nonproliferationsstruktur aufgeworfen.

Um auf diese Herausforderungen angemessen reagieren zu können, muss die Schweiz weiterhin eine aktive, auf Pragmatismus und Realismus fussende Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik führen. Nur so kann sie ihre Interessen erfolgreich vertreten und angemessen auf die gegenwärtigen Entwicklungen reagieren. Die schweizerische Politik auf diesem Gebiet entspricht den Grundsätzen der Aussenpolitik, wie sie in Artikel 54 der Bundesverfassung definiert sind. Es besteht zum Beispiel ein direkter Zusammenhang zwischen dem friedlichen Zusammenleben der Völker nach Artikel 54 und einer aktiven Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik.

Des Weiteren ergänzt die Abrüstungspolitik die Rolle und die Interessen der Schweiz als dauernd neutraler Staat. So erhöht die angestrebte weltweite Reduktion von Waffenarsenalen auch die Sicherheit der Schweiz. Da diese wegen ihrer dauernden Neutralität keiner Militär- oder Verteidigungsallianz angehört und daher selbst für ihre Sicherheitsbedürfnisse sorgen muss, liegt es in ihrem ureigenen Interesse, sich mit einer aktiven Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik für ein friedlicheres internationales Umfeld einzusetzen.

3.3.5.2

Prioritäten der Schweiz

Gestützt auf diese Überlegungen verfolgt die Schweiz drei Prioritäten im Bereich der Abrüstung und der Nonproliferation: 1)

Stärkung der internationalen Übereinkommen,

2)

Abrüstung und Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und

3)

Abrüstung konventioneller Waffen und konventioneller Munition sowie Verhinderung von deren Proliferation.

Stärkung der internationalen Übereinkommen Ein starkes und durchsetzungsfähiges Völkerrecht erhöht die Sicherheit der Schweiz. Deshalb tritt sie grundsätzlich allen ihr offen stehenden Konventionen bei, die die internationale Abrüstung, Nonproliferation und Rüstungskontrolle zum Ziel haben. Eine Ausnahme bildet der Open-Skies-Vertrag von 2002, bei dem aus finanziellen Gründen auf einen Beitritt verzichtet wurde. Um Transparenz und Vertrauen zu erreichen, ist es für die Schweiz von grösster Wichtigkeit, dass solche internationalen Instrumente möglichst nichtdiskriminierend und völkerrechtlich verbindlich sind sowie über einen Verifikationsmechanismus verfügen. Vor allem Letzteres ist jedoch noch nicht überall der Fall, weshalb sich die Schweiz auch in Zukunft für eine institutionelle Stärkung und glaubwürdige Umsetzung der bestehenden Übereinkommen einsetzen wird. Sie wird sich zudem weiterhin an den Anstrengungen beteiligen, die Zahl der Mitgliedstaaten der verschiedenen Abrüstungs- und Nonproliferationskonventionen zu erhöhen. Schliesslich haben für unser Land universelle Abkommen Vorrang vor Absprachen zwischen einzelnen Staatengruppen.

6408

Abrüstung und Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen Als zweite Priorität strebt die Schweiz die vollständige Zerstörung aller Massenvernichtungswaffen sowie die Verhinderung der Weiterverbreitung dieser Waffen und der entsprechenden Trägermittel an. Diese beiden Aspekte lassen sich aus der Sicht der Schweiz nicht voneinander trennen. Die mangelnden Fortschritte, vor allem in den Bereichen der nuklearen und der biologischen Waffen, stellen die Relevanz der entsprechenden Instrumente zunehmend in Frage.

Ein wichtiges Instrument zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stellt die Exportkontrolle dar. Auf internationaler Ebene existieren drei Regime mit je rund 40 Mitgliedstaaten: NSG («Nuclear Suppliers Group») im Nuklearbereich, MTCR («Missile Technology Control Regime») im Bereich der Trägersysteme und die Australiengruppe im Bereich der biologischen und chemischen Güter. Sie befassen sich mit der Kontrolle der Ausfuhr von sowohl zivil wie militärisch verwendbaren Gütern («Dual-Use-Güter») im Bereich der Massenvernichtungswaffen. Ferner besteht im Bereich der konventionellen Rüstungsgüter das Wassenaar-Arrangement als viertes internationales Kontrollregime. Die Schweiz ist Mitglied aller vier Regime und hat sich damit verpflichtet, die jeweiligen Richtlinien und Güterlisten ins Landesrecht aufzunehmen.

Nuklearwaffen Die Nuklearthematik hat in der letzten Zeit an Bedeutung gewonnen. So hat beispielsweise die 2008 von der Gruppe der Nuklearlieferstaaten (NSG) auf Drängen der USA beschlossene Ausnahmeregelung für die nukleare Zusammenarbeit mit Indien grundsätzliche Fragen zur Zukunft der internationalen Nonproliferationsstruktur aufgeworfen. Iran reichert weiterhin Uran an, und auch die Zweifel an der zivilen Ausrichtung seines Nuklearprogramms sind nicht ausgeräumt. Die Schweiz hat die Resolutionen 1737, 1747 und 1803 des UNO-Sicherheitsrats, die Iran Sanktionen auferlegen, umgesetzt.34 Auch die Resolution 1718 des UNOSicherheitsrats, die Nordkorea nach seinem Nukleartest von 2006 Sanktionen auferlegte, wird von der Schweiz implementiert.

Diese Entwicklungen erfolgen in einem Umfeld, das durch das Scheitern der Konferenz von 2005 zur Überprüfung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen («Nuclear Non-Proliferation Treaty», NPT) gekennzeichnet
ist. Aus diesen Gründen bemüht sich die Schweiz, die multilateralen Aspekte des nuklearen Nichtverbreitungsregimes zu stärken, und unterstützt die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) bei deren Bemühungen zur Eindämmung der nuklearen Proliferation. Im Zentrum der Diskussionen steht auch die Multilateralisierung des nuklearen Brennstoffzyklus. Die Schweiz setzt ihre gegenwärtige Mitgliedschaft im Gouverneursrat der IAEA dazu ein, um bei diesen Themen Fortschritte zu erzielen. Im Hinblick auf die NPT-Überprüfungskonferenz 2010 wird sie weiterhin für ein Gleichgewicht zwischen Abrüstung, Nonproliferation und friedlicher Nutzung der Kernenergie eintreten. Sie wird sich dafür einsetzen, dass sich die Vertragsstaaten an dieser Konferenz auf ein substanzielles Schlussdokument einigen.

Als weiteren Beitrag zur Stärkung der nuklearen Abrüstungs- und Nonproliferationsstruktur im multilateralen Rahmen unterbreitete die Schweiz 2007 und 2008, 34

Das Engagement der Schweiz in Bezug auf das iranische Nuklearprogramm wird in Ziffer 3.3.6 (Friedensförderung) behandelt.

6409

zusammen mit fünf weiteren Staaten, in der UNO-Generalversammlung eine Resolution, die eine Herabsetzung des Grades der Einsatzbereitschaft von Nuklearwaffen verlangt.35 Die Thematik des «De-Alerting» wird gegenwärtig im Rahmen einer von der Schweiz in Auftrag gegebenen Studie vertieft und soll auch mittelfristig weiterverfolgt werden.

Die Schweiz plant, ihr Engagement im Bereich der nuklearen Abrüstung in den kommenden Jahren zusätzlich zu verstärken. Ins Auge gefasst werden insbesondere das Angebot guter Dienste für Verhandlungen im Bereich der Abrüstung, Schritte im Hinblick auf ein Verbot des Einsatzes von Nuklearwaffen36 und Vorstösse, die die Transparenz der Nukleararsenale fördern sollen. Die Schweiz ist in einer guten Position, um in diesen Themen eine aktivere Rolle zu spielen. Dank ihrer traditionellen Neutralität und der damit einhergehenden Allianzfreiheit verfügt sie über eine hohe Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit beim Einsatz zugunsten von Abrüstung und Nonproliferation. Sie pflegt gute Beziehungen zu allen Nuklearwaffenstaaten, hat mit Erfolg internationale Prozesse zur Abrüstung von Chemiewaffen und konventionellen Waffen mitgestaltet und verfügt über eine lange Tradition guter Dienste. Sie kann sich somit im Interesse der Sache einsetzen, ohne dass man ihr verdeckte Absichten unterstellen könnte.

Chemische Waffen Auch bezüglich der Abrüstung und Nonproliferation von chemischen Waffen weist die Schweiz ein langjähriges Engagement auf, das sie aufrechtzuerhalten gedenkt.

Das Chemiewaffenübereinkommen («Chemical Weapons Convention», CWC) ist von besonderer Bedeutung, weil es als einziges Übereinkommen das Verbot und die Vernichtung einer ganzen Kategorie von Massenvernichtungswaffen enthält und über ein funktionierendes Verifikationssystem verfügt. Die Vernichtung aller Bestände von Chemiewaffen, die gemäss CWC bis 2012 abgeschlossen sein muss, ist die grösste unmittelbare Herausforderung für die Vertragsstaaten. Mittlerweile ist fraglich, ob die USA und Russland, welche die bedeutendsten Bestände an Chemiewaffen besitzen, diese Frist werden einhalten können. Eine der Prioritäten der Schweiz beim CWC liegt bei der Stärkung des Verifikationssystems, vor allem in Bezug auf Inspektionen in der chemischen Industrie. Neben der Ausbildung von Inspektoren engagiert sich die Schweiz auch
im Rahmen von Artikel X der Konvention, der die internationale Zusammenarbeit und Unterstützung im Falle eines Einsatzes von Chemiewaffen oder dessen Androhung vorsieht. Ein weiterer Schwerpunkt ist es, durch diplomatische und wissenschaftliche Vorstösse sicherzustellen, dass neueste Entwicklungen in der chemischen Forschung vom CWC laufend berücksichtigt werden. Die Schweiz ist überzeugt, dass das Abkommen nur so sicherheits- und proliferationstechnisch relevant bleiben kann. Nach der endgültigen Vernichtung aller Chemiewaffenbestände wird sich die Frage der Neuausrichtung des Chemiewaffenübereinkommens stellen. Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass das CWC in erster Linie ein Nonproliferationsinstrument bleibt und nicht in ein reines Instrument zur Entwicklungshilfe und zum Transfer von Know-how verwandelt wird.

35 36

Resolution der UNO-Generalversammlung A/RES/63/41, «Decreasing the Operational Readiness of Nuclear Weapons Systems».

Die Frage, ob das Völkerrecht den generellen Einsatz von Nuklearwaffen verbietet, wurde bisher von Lehre und Rechtsprechung offengelassen, obwohl der Einsatz von Kernwaffen und die Einsatzdrohung unter kriegsvölkerrechtlichen Gesichtspunkten kontrovers sind.

6410

Biologische Waffen Im Unterschied zum Chemiewaffenübereinkommen verfügt das Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen («Biological Weapons Convention», BWC) über keinen Verifikationsmechanismus. Dies schwächt das Übereinkommen, vor allem angesichts der rasanten Fortschritte in der Biotechnologie und der Gentechnik.

Eine Wiederaufnahme der 2001 abgebrochenen Verhandlungen über einen Verifikationsmechanismus mag zum heutigen Zeitpunkt wenig realistisch erscheinen. Dennoch steht die Schweiz weiterhin für die Schaffung eines Instruments ein, das die Verifikation im Rahmen des BWC ermöglicht. Um diese Lücke im Übereinkommen aber behelfsmässig zu schliessen, haben sich die Vertragsstaaten auf vertrauensbildende Massnahmen geeinigt, die einen Austausch von relevanten Informationen erlauben. Die Schweiz beteiligt sich im Hinblick auf die nächste Überprüfungskonferenz 2011 aktiv an den Diskussionen über eine Verstärkung der vertrauensbildenden Massnahmen.

Abrüstung konventioneller Waffen und konventioneller Munition sowie Verhinderung von deren Verbreitung Eines der Hauptziele der Schweiz im Bereich der konventionellen Waffen besteht darin, den illegalen Handel mit Kleinwaffen zu bekämpfen und so einen Beitrag zur Stärkung der menschlichen Sicherheit zu leisten. Angestrebt werden auch eine höhere Transparenz und der Abbau von Arsenalen unter der Wahrung von Stabilität und Sicherheit.

Kleinwaffen und leichte Waffen Die Schweiz setzt sich nach wie vor sehr engagiert für die Bekämpfung der Proliferation von Kleinwaffen und leichten Waffen ein.37 In der UNO trug die Schweiz im Juli 2008 dazu bei, dass die Verhandlungen über alle Aspekte der Umsetzung des Aktionsprogramms zur Verhütung, Bekämpfung und Beseitigung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen wieder aufgenommen werden konnten, indem sie an der Dritten Zweijährlichen Tagung der Staaten die Rolle einer Fazilitatorin übernahm. Die aktive Suche nach Lösungen für das Problem der Kleinwaffen und leichten Waffen wird auch weiterhin im Mittelpunkt der schweizerischen Bemühungen um Friedensförderung und Rüstungskontrolle stehen. Sie erfolgt im Rahmen der Umsetzung der internationalen Strategie der Schweiz, die 2008 verabschiedet wurde, oder der Genfer Erklärung über bewaffnete Gewalt und Entwicklung. Seit ihrer Lancierung im Juni
2006 ist die Genfer Erklärung über bewaffnete Gewalt und Entwicklung von 106 Staaten unterzeichnet worden. Zu ihrer Umsetzung koordiniert die Schweiz eine Gruppe von Staaten, die sich um die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen bemüht. In den kommenden Jahren wird sich die Schweiz insbesondere dafür einsetzen, dass möglichst viele Staaten die Problematik ernst nehmen, dass in den am stärksten betroffenen Ländern konkrete Projekte durchgeführt werden und dass die Kosten der weltweiten bewaffneten Gewalt quantifiziert werden (siehe Ziff. 3.3.6.2).

Ein weiterer Aspekt der schweizerischen Politik im Bereich der Kleinwaffen und leichten Waffen ist die Unterstützung des «Small Arms Survey», eines Kompetenzzentrums für Kleinwaffen, das dem «Institut des Hautes Études Internationales et du 37

Siehe auch die «Strategie der Schweiz im Kampf gegen die illegale Proliferation von leichten Waffen und Kleinwaffen 2008­2011».

6411

Développement» (IHEID) in Genf angegliedert ist und international als eine der Referenzinstitutionen im Bereich der Kleinwaffenproblematik gilt. Das vielfältige Engagement der Schweiz im Bereich der Kleinwaffen und leichten Waffen soll auch in den kommenden Jahren beibehalten werden.

Schwere konventionelle Waffen Im Bereich der schweren konventionellen Waffen unterstützt die Schweiz die vertrauens- und sicherheitsbildenden Instrumente der UNO, der OSZE und anderer Gremien und beteiligt sich aktiv an Verifikations- und Transparenzaktivitäten. Ein besonderes Augenmerk gilt dem aus dem Jahr 1990 stammenden und 1999 revidierten Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE). Die Ratifikation des Angepassten KSE-Vertrags von 1999 wurde von den NATO-Staaten jedoch an die Erfüllung gewisser Bedingungen durch Russland geknüpft, was dieses bisher abgelehnt hat. Die Schweiz betrachtet diesen Vertrag aber nach wie vor als einen wesentlichen Pfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur und wird deshalb, sollte er in Kraft treten, eine mögliche Unterzeichnung prüfen.

Waffenhandelsvertrag Seit Jahren haben sich auf der Ebene der UNO die Bemühungen verstärkt, im universellen Rahmen einen Vertrag auszuhandeln, der den weltweiten Handel mit konventionellen Waffen verbindlichen Regeln unterstellen soll. Aufgrund einer von der Schweiz mitunterzeichneten Resolution der UNO-Generalversammlung von 2006 wurde eine 28 Mitgliedstaaten umfassende Regierungsexpertengruppe einberufen, der auch die Schweiz angehörte. Diese Expertengruppe verfasste 2008 einen Bericht über Machbarkeit, Geltungsbereich und möglichen Inhalt eines solchen rechtlich verbindlichen Abkommens und gab zuhanden der Generalversammlung Empfehlungen ab. Auf der Basis einer neuen Resolution der Generalversammlung wurde Anfang 2009 eine offene Arbeitsgruppe («Open-Ended Working Group») eingesetzt, die gestützt auf den Bericht der Expertengruppe die Diskussion über die Frage fortsetzen soll, wie der weltweite Import, Export und Transfer von konventionellen Waffen in verbindlicher Weise internationalen Standards unterstellt werden kann. Die Schweiz hat, gemeinsam mit weiteren Staaten, die Vizepräsidentschaft in der offenen Arbeitsgruppe inne. Sie wird weiterhin aktiv darauf hinarbeiten, dass die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden.
Personenminen Die Schweiz unterstützt die internationalen Bemühungen für ein weltweites Verbot von Personenminen und deren Vernichtung. Sie setzt dafür sowohl diplomatische als auch finanzielle Mittel ein. Die zweite Strategie des Bundes zur Minenbekämpfung, die für den Zeitraum 2008­2011 gilt, definiert sechs Ziele:38

38

1)

Umsetzung und weltweite Anwendung der Ottawa-Konvention (Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung),

2)

Umsetzung und weltweite Anwendung des Protokolls V über explosive Kampfmittelrückstände und des revidierten Protokolls II des Übereinkommens über konventionelle Waffen («Convention on Certain Conventional Weapons», CCW),

Siehe auch die «Strategie des Bundes in der humanitären Minenräumung 2008­2011».

6412

3)

Verstärkung des Schutzes der Zivilbevölkerung vor den humanitären Folgen von Minen und explosiven Kampfmittelrückständen,

4)

Räumung von Minengebieten,

5)

Opferhilfe und Prävention,

6)

Integration der Minenbekämpfung in die Entwicklungszusammenarbeit.

Zu den politischen und operationellen Zielen der Schweiz gehört die Förderung der Bemühungen um den Einbezug der nichtstaatlichen bewaffneten Akteure in das Minenverbot. Die Schweiz unterstützt insbesondere die Umsetzung der Massnahme 46 des Aktionsplans von Nairobi, wonach die Staaten Antiminenprogramme in den von nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren kontrollierten Gebieten unterstützen sollen. In diesem Zusammenhang unterstützt die Schweiz die NGO «Appel de Genève», die sich bemüht, nichtstaatliche bewaffnete Akteure zum Verzicht auf den Einsatz von Antipersonenminen zu bewegen.

2009 präsidiert die Schweiz die Ottawa-Konvention. Schwerpunkt der Präsidentschaft wird es sein, Fortschritte bei der Vernichtung der Bestände und der vollständigen Minenräumung zu erzielen. Der Verzug wichtiger Staaten bei der Minenvernichtung und -räumung ist nicht nur für unser Land ein Grund zur Sorge. Ein weiteres Ziel wird es sein, die Universalisierung der Konvention voranzutreiben.

Weiter unterstützt die Schweiz Programme von UNO, betroffenen Staaten und NGO, indem sie Material und Experten zur Räumung von Minen bereitstellt und vor Ort den Wissenstransfer sicherstellt. Der Fokus des Schweizer Engagements in diesem Zusammenhang liegt auf Südosteuropa, Afrika und dem Nahen Osten. Auch anderswo wurden jedoch Projekte zur Aufklärung über die Gefahren von Minen und zur Opferhilfe durchgeführt, zum Beispiel in Kolumbien und Afghanistan.

Ein weiterer Aspekt des schweizerischen Engagements im Bereich der Minenbekämpfung ist die Unterstützung des Genfer Zentrums für humanitäre Minenräumung, das seit 2001 das Sekretariat der Ottawa-Konvention führt. Der Bund leistet einen wesentlichen Beitrag an die Betriebskosten dieser regierungsunabhängigen und international anerkannten Stiftung.

Streumunition/Übereinkommen über bestimmte konventionelle Waffen (CCW) Streumunition hat Eigenschaften, die sie sowohl zum Zeitpunkt des Einsatzes als auch nach der Einstellung der Kampfhandlungen (Blindgänger) zu einer Gefahr für die Zivilbevölkerung machen. In den vergangenen vier Jahrzehnten tötete oder verletzte Streumunition Zehntausende von Menschen. Mehr als 70 Staaten verfügen über Streumunitionsbestände, und rund 20 Staaten wurden durch Streumunition in Mitleidenschaft gezogen. Diese Waffe wurde zwar schon im Zweiten Weltkrieg
verwendet, doch erst nach ihrem Einsatz bei den Feindseligkeiten zwischen Israel und Libanon 2006 gelang es, die Problematik dieser Waffe auf die internationale Abrüstungsagenda zu setzen.

Die Verabschiedung des Übereinkommens über Streumunition («Convention on Cluster Munitions», CCM) im Mai 2008 in Dublin war einer der wichtigsten Fortschritte bei der Entwicklung des humanitären Völkerrechts und des internationalen Rechts im Bereich der konventionellen Waffen. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, an der Dritten Überprüfungskonferenz der Vertragsstaaten des Übereinkommens über bestimmte konventionelle Waffen (CCW) von 1980 Verhandlungen über ein neues Protokoll zur Frage der Streumunition aufzunehmen, lancierte Norwegen 6413

im Februar 2007 in Oslo mit Unterstützung einer «Core Group» einen multilateralen Prozess ausserhalb des üblichen institutionellen Rahmens (Oslo-Prozess). Anlässlich von Konferenzen in Lima, Wien, Wellington und Dublin schlossen sich immer mehr Staaten dem Oslo-Prozess an, sodass an der diplomatischen Konferenz in Dublin schliesslich 107 Staaten das Übereinkommen über Streumunition annahmen. Die Schweiz wirkte als Fazilitatorin bei den schwierigen Verhandlungen über das Problem der Interoperabilität und trug damit entscheidend zu der im Konsens erfolgten Annahme des CCM bei. Die Länder, die am meisten Streumunition herstellen und einsetzen (USA, China, Russische Föderation, Israel, Brasilien und Indien), beteiligten sich nicht am Oslo-Prozess und haben bislang nicht die Absicht bekundet, das Übereinkommen zu unterzeichnen.

Das Übereinkommen über Streumunition sieht namentlich ein allgemeines Verbot der Herstellung, der Lagerung, der Weitergabe und des Einsatzes von Streumunition (mit Ausnahme bestimmter Munitionstypen mit Zielsensoren) vor sowie die Verpflichtung, noch vorhandene Bestände spätestens 8 Jahre nach dem Inkrafttreten des CCM für den betreffenden Staat zu vernichten. Die Schweiz gehörte zu den ersten Staaten, die das Übereinkommen am 3. Dezember 2008 in Oslo unterzeichneten.

Das Ratifikationsverfahren, das eine Revision des Kriegsmaterialgesetzes vom 13. Dezember 199639 notwendig macht, wurde eingeleitet. Eine allfällige Ratifikation wird Auswirkungen auf die Schweizer Armee haben, die für die Artillerie Streumunition gelagert hat.

Die Schweiz wird sich dafür einsetzen, dass Genf Sitz des CCM-Sekretariats wird und dass das CCM unter optimaler Nutzung der Synergien mit dem OttawaÜbereinkommen über das Verbot von Antipersonenminen auf internationaler und nationaler Ebene umgesetzt wird.

Seit Ende 2007 verhandeln die Vertragsstaaten des CCW, darunter die Schweiz und alle grossen Militärmächte, im Rahmen der UNO in Genf über ein Protokoll über Streumunition. Die Verhandlungen werden 2009 fortgesetzt. Es geht vor allem darum, die oben erwähnten Staaten, die zu den grössten Produzenten und Besitzern von Streumunition gehören, in eine internationale Regelung einzubinden.

Trägersysteme und Bewaffnung des Weltalls In den letzten Jahren wurden weltweit vermehrt Trägersysteme (ballistische
Raketen, Marschflugkörper und unbemannte Flugkörper) entwickelt, die nicht nur konventionelle, sondern auch nukleare, chemische und biologische Waffen transportieren können. Die Schweiz bemüht sich, die Weiterverbreitung solcher Systeme zu verhindern. Sie unterstützt die Anstrengungen, die bestehenden, allerdings lückenhaften, internationalen Mechanismen zu konsolidieren und rechtlich bindende Normen auszuarbeiten. 2008 organisierte sie zum Beispiel ein Seminar über die Stationierung von Raketenabwehrsystemen, an dem politische Antworten auf diese Entwicklungen gesucht und Initiativen entwickelt werden sollten.

Bisher hat noch kein Staat Waffen im Weltraum stationiert oder Satelliten einer anderen Macht neutralisiert. Mehrere Staaten arbeiten jedoch an der Entwicklung von Weltraumwaffen, wie die Zerstörung eines eigenen Satelliten durch China letztes Jahr gezeigt hat. Aus der Sicht der Schweiz könnten diese Entwicklungen den Grundsatz der friedlichen Nutzung des Weltraums in Frage stellen und die wichtigen 39

SR 514.51

6414

Dienstleistungen, die in einer wachsenden Anzahl von Staaten durch Weltraumsysteme erfüllt werden, gefährden. Um dies zu verhindern, unterstützt die Schweiz die internationalen Bemühungen zur Wiederherstellung von Vertrauen und Transparenz über die Nutzung des Weltraums.

3.3.6

Friedensförderung

3.3.6.1

Leitlinien

Menschliche Sicherheit als Herausforderung Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich die Herausforderungen im Bereich der menschlichen Sicherheit vervielfacht. Krisen haben immer komplexere Ursachen und Auswirkungen. Bewaffnete Konflikte spielen sich heute häufig innerhalb von Staaten oder Regionen ab, in denen die staatlichen Strukturen geschwächt sind.

Dabei stehen sich staatliche und nichtstaatliche Akteure gegenüber. Die internationalen Verflechtungen sind heute so eng, dass selbst geografisch weit entfernte Länder die Folgen solcher Konflikte in Form von steigenden Rohstoffpreisen, Zunahme der organisierten Kriminalität oder Migrationsdruck zu spüren bekommen können. Das Engagement zugunsten der menschlichen Sicherheit ist deshalb zu einer Priorität einer wachsenden Zahl von Staaten, internationalen Organisationen und NGO geworden.

Das Engagement für die menschliche Sicherheit ist seit Jahrzehnten Bestandteil der schweizerischen Aussenpolitik. Seit Beginn der 1990er-Jahre wird die Bedeutung der Förderung der Prävention und der friedlichen Regelung von Konflikten auch in unserem Land immer breiter anerkannt. Die Anstrengungen sind während der letzten zehn Jahre besonders intensiviert worden.40 Die Schweiz, die durch ihre Geschichte begünstigt ist, kann auf diesem Gebiet einen Mehrwert erbringen. Sie verfügt über Kompetenzen in den Bereichen Föderalismus, Demokratie, Wahlverfahren, Achtung der Minderheiten und Vergangenheitsarbeit, die bei den Konfliktparteien ebenso gefragt sind wie bei Regierungen und multilateralen Institutionen. Bei der Vermittlung verfolgt die Schweiz weder versteckte Interessen, noch verfügt sie über die Macht, Lösungen zu erzwingen. Sie gilt deshalb als vertrauenswürdige, neutrale Vermittlerin.

40

Das Engagement des Bundes für die Achtung der Menschenrechte und das friedliche Zusammenleben der Völker wurde in Artikel 54 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 verankert und im Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und Stärkung der Menschenrechte (SR 193.9) ausgeführt. In seinem Aussenpolitischen Bericht 2000 hielt der Bundesrat zudem fest, dass er künftig «einen wesentlichen und deutlich sichtbaren Beitrag zur Verhütung gewaltsamer Konflikte leisten», «eine eigenständige und profilierte humanitäre Politik der Schweiz betreiben» und «seine Bestrebungen zur Achtung und Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat mit entsprechenden Massnahmen verstärken» will. Der Bundesrat bekräftigte die Notwendigkeit des Engagements für Friedensförderung und Konfliktprävention zudem in seiner Legislaturplanung 2007­2011 (BBl 2008 753) und den Jahreszielen 2009.

6415

Im Jahr 2008, als der vom Parlament verabschiedete neue Rahmenkredit in Kraft trat41, setzte die Schweiz 56,5 Millionen Franken für die menschliche Sicherheit ein.42 Die Expertinnen und Experten des EDA in Bern, in den Einsatzgebieten und in den multilateralen Organisationen trugen mit den folgenden, im Laufe der Jahre entwickelten Instrumenten zur Lösung von Konflikten und zur Formulierung internationaler Strategien bei: Programme der zivilen Konfliktbearbeitung (40 %, 22 Mio. CHF), Schweizerischer Expertenpool für zivile Friedensförderung (29 %, 16,6 Mio. CHF), bilaterale Menschenrechtsdialoge (1 %, 820 000 CHF), diplomatische Initiativen (14 %, 7,8 Mio. CHF) und strategische Partnerschaften (16 %, 9,2 Mio. CHF).

Wissenschaftlichen Studien43 zufolge hat sich die Zahl der bewaffneten Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges weltweit praktisch halbiert. Die Fachleute führen dies zu einem grossen Teil auf das verstärkte Engagement der internationalen Akteure (Staaten, UNO, regionale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen) im Bereich der Friedensförderung zurück. So vielversprechend solche Erkenntnisse auch sind, es darf nicht vergessen werden, dass weltweit noch Dutzende von Konflikten im Gang sind, die zahlreiche Opfer fordern und bei denen es zu zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte und Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht kommt. Der Einsatz von Waffengewalt ausserhalb von Konflikten ist weiterhin eine der Haupttodesursachen: Weltweit sterben jährlich nahezu 490 000 Personen auf diese Weise.44 Ausserdem verursachen Konflikte und Gewalttätigkeit einen immensen finanziellen Schaden.45 In Anbetracht dieser weltweiten Herausforderungen und ihrer Auswirkungen auf die Innen- und Aussenpolitik ist es für die Schweiz ­ die seit Jahrhunderten auf die Durchsetzung ihrer Interessen mit Gewalt verzichtet und an die internationale Solidarität glaubt ­ ein fundamentales Anliegen, sich weiterhin für die Förderung der menschlichen Sicherheit einzusetzen.

Die Prävention und die friedliche Regelung von Konflikten, das Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und für eine menschenwürdige und wirkungsvolle Migrationssteuerung sind unerlässliche Faktoren in der Sicherheitspolitik der Schweiz und der Wahrnehmung ihrer Interessen in 41

42

43 44 45

Der neue Rahmenkredit (von insgesamt 240 Millionen Franken) hat eine Laufzeit von vier Jahren mit Beginn am 1. Mai 2008. Das 2004 eingeführte Instrument des Rahmenkredits mit vierjähriger Laufzeit wirkt sich sehr positiv auf die Planung der Aktivitäten aus. Der zweite Rahmenkredit erlaubt dem EDA eine weitere Professionalisierung des Managements und damit eine noch effizientere Umsetzung der Projekte.

Die Politische Abteilung IV ist innerhalb der Politischen Direktion des EDA für Fragen der menschlichen Sicherheit, d.h. zivile Friedensförderung, Stärkung der Menschenrechte, humanitäre Politik und Migration zuständig und verfügt über den Hauptteil des Rahmenkredits. Die DEZA trägt mit ihren Entwicklungsprogrammen und der humanitären Hilfe ebenfalls zur Konfliktprävention, zur Umsetzung der Menschenrechte und zur Verbreitung des humanitären Völkerrechts bei. Die Schwerpunkte des EDA im Bereich der zivilen Friedensförderung sind Gegenstand der vorliegenden Ziffer. Die Aktivitäten der DEZA in den Bereichen Stärkung der Menschenrechte, humanitäre Politik und Migration werden in Ziffer 3.3.7 behandelt. Auch weitere Akteure in der Bundesverwaltung setzen sich für den Frieden ein. Das VBS ist für die militärische Friedensförderung zuständig (siehe Kap. 2.6).

Zum Beispiel «Human Security Report 2005», Human Security Centre, Oxford University Press, Oxford 2005, S. 22.

Small Arms Survey, «The Global Burden of Armed Violence», Genf 2008, S. 3.

Allein für den Nahen und Mittleren Osten wird der finanzielle Verlust durch die verschiedenen Konflikte der letzten 20 Jahre auf über 12 000 Mrd. $ geschätzt. Vgl. Sundeep Waslekar, Ilmas Futehally, «Cost of Conflict in the Middle East», Strategic Foresight Group, Mumbai 2009.

6416

der Welt. Die Schweiz will ihr Engagement in diesen Bereichen in den kommenden Jahren verstärken. Im Jahr 2009 wird sie rund 60 Millionen Franken aus dem Rahmenkredit für die menschliche Sicherheit investieren.46 Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse und Rollen von Frauen und Männern Das EDA ist bestrebt, beim Einsatz der verschiedenen Instrumente zur Förderung der menschlichen Sicherheit in allen Programmsphasen (Analyse, Konzeption, Realisierung konkreter Aktivitäten, Evaluation) die unterschiedlichen Bedürfnisse und Rollen konfliktbetroffener Frauen und Männer zu berücksichtigen und sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt einzusetzen. Im Jahr 2008 wiesen 56 % der Ausgaben des EDA für Aktivitäten im Bereich menschliche Sicherheit eine erheblich bis ausgeprägte und 32 % eine geringe Gender-Sensibilität auf.47 Im Rahmen diverser Aktivitäten der zivilen Friedensförderung werden Massnahmen getroffen, um Frauen in friedensrelevante Prozesse einzubeziehen, beispielsweise in Nepal, in Burundi oder in Kolumbien. Das EDA unterstützt das weltweite Netzwerk der 1000 Friedensfrauen in dessen Bemühungen, die Resolution 1325 des UNOSicherheitsrats systematisch umzusetzen.

Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten ist für das EDA eine Priorität: Das EDA unterstützt das entsprechende UNO-Programm («UN-Action Against Sexual Violence in Conflict ­ Stop rape now!») und das Projekt GenCap der humanitären Stellen der UNO, in dem GenderExpertinnen in 18 Ländern eingesetzt werden, um die UNO-Missionen dabei zu unterstützen, damit die UNO-Aktivitäten vor Ort gendergerecht ausgestaltet werden und insbesondere genderspezifischer Gewalt entgegengewirkt wird.

Das EDA hat im Juni 2009 gemeinsam mit den chilenischen Behörden im Rahmen des UNASUR, der Union der 12 Staaten Südamerikas, ein Seminar zur Bekämpfung häuslicher Gewalt durchgeführt. Die in den Bereichen Friedensförderung, Stärkung der Menschenrechte, humanitäre Politik und Migration tätigen Stellen des EDA werden inskünftig die Genderdimension noch stärker berücksichtigen. Die seit 2007 in der Schweiz laufende Umsetzung der Resolution 1325 des UNO-Sicherheitsrats zu Frauen, Frieden und Sicherheit begünstigt eine solche Entwicklung.

Kriterien für das Engagement der Schweiz Die Art der heutigen Gewaltkonflikte
verlangt von den Friedensakteuren wirksame Strategien.

Die Schweiz kann nicht bei jeder neuen Krise aktiv werden, da ein seriöses Engagement mit einem erheblichen Zeit- und Mittelaufwand verbunden ist. Die über den speziellen Rahmenkredit finanzierten Anstrengungen sind daher gezielt auf bestimmte Länder und Regionen zu fokussieren. Gestützt auf eine vertiefte Überprüfung der bisherigen Engagements im Bereich der Friedensförderung im Jahr 2005

46

47

Wie im Aussenpolitischen Bericht 2000 (BBl 2001 261) und in der Botschaft vom 15. Juni 2007 über die Weiterführung von Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und Stärkung der Menschenrechte (BBl 2007 4733) angekündigt, werden die Mittel für die menschliche Sicherheit leicht gesteigert, um eine Konsolidierung der Anstrengungen zu ermöglichen.

Bei 12 % der Ausgaben war das Kriterium nicht anwendbar.

6417

wurden geografische Prioritäten definiert. Die Zahl der Schwerpunktländer und -regionen wurde von 13 (2004) auf 7 (2007) reduziert und seither konstant gehalten.

Beim Entscheid über ein neues Engagement berücksichtigt die Schweiz zudem eine Reihe von Kriterien: ­

die Interessen des Landes: Im Hinblick darauf wird abgeklärt, welche sicherheits-, wirtschafts-, migrations- und entwicklungspolitischen sowie humanitären und ökologischen Auswirkungen ein Konflikt auf die Schweiz haben kann;

­

das Bestehen besonderer historischer, politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen der Schweiz und der Konfliktregion;

­

das Vorliegen einer Anfrage seitens der Konfliktparteien oder seitens eines internationalen oder regionalen Expertenteams;

­

die Möglichkeit von Synergien mit anderen Aktivitäten der Schweiz, namentlich mit der Entwicklungszusammenarbeit und der militärischen Friedensförderung, oder mit Massnahmen auf multilateraler Ebene;

­

kalkuliertes Risiko: Die Schweiz kann es sich nicht leisten, ihre Expertinnen und Experten zu gefährden oder ihre bilateralen oder internationalen Beziehungen aufs Spiel zu setzen.

Die Schweiz wird weiterhin vorzugsweise mittelfristige Engagements verfolgen.

Selbst bei erfolgreichen Friedensprozessen sind die erzielten Ergebnisse in den meisten Fällen recht fragil. Ein nachhaltiger und glaubwürdiger Beitrag für den Frieden erfordert deshalb ein Engagement über mehrere Jahre hinweg.

3.3.6.2

Aktivitäten der Schweiz

Dialog als Mittel zur Konfliktlösung Eine der historischen Stärken der Schweiz ist ihre Fähigkeit zum Dialog und zur Förderung des Dialogs. Es braucht den Dialog, um Konfliktsituationen sowie heikle und komplexe Herausforderungen anzugehen. Die Schweiz versucht Allianzen zu bilden mit dem Ziel, die Anstrengungen auf bestimmte wichtige Fragen der menschlichen Sicherheit zu fokussieren. Der Dialog war bis anhin ein besonders zweckdienliches Mittel der schweizerischen Aussenpolitik: Er hat der Schweiz bemerkenswerte Erfolge und eine gesicherte Stellung in der internationalen Gemeinschaft eingebracht und sich als eine der raffiniertesten Ausdrucksformen der Diplomatie erwiesen. In den vergangenen Jahren hat sich die Schweiz um die Einstellung der Gewalt in verschiedenen Konfliktgebieten bemüht, einen Beitrag zu mehreren Friedensprozessen geleistet und neue Aspekte der menschlichen Sicherheit auf der internationalen Tagesordnung platziert. Die Schweiz will das Instrument des Dialogs in Zukunft noch stärker ins Zentrum stellen (siehe Ziff. 2.5).

Eine wachsende Anzahl Länder und internationale Organisationen verfolgen eine ähnliche Strategie, sei es im Bereich der nationalen Interessenpolitik, bei der Lösung globaler Probleme oder bei der Fazilitation von Gesprächen zwischen Konfliktparteien. Im Falle von bewaffneten Konflikten gehen allerdings die Meinungen darüber auseinander, mit welchen Akteuren gesprochen werden soll. Die Schweiz vertritt die Auffassung, dass der Einbezug aller Parteien Voraussetzung für eine dauerhafte 6418

friedliche Lösung ist. Gewisse Regierungen, politische Persönlichkeiten und nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verletzen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht, manchmal auf gravierende Art und Weise. Nichtsdestotrotz sind es gewichtige Akteure, an denen kein Weg vorbeiführt, wenn man ein Ende der Gewalt erreichen will. Mit diesen Akteuren zu reden heisst nicht, ihre Taten zu billigen, und schon gar nicht, Amnestien zu befürworten. Die Schweiz sagt ganz klar, dass die Suche nach Frieden die Einhaltung der Normen und Grundsätze des Völkerrechts (Menschenrechte, humanitäres Völkerrecht und internationales Strafrecht) voraussetzt und dass dies nicht verhandelbar ist.

Mediation Die Schweiz hat im Laufe der Jahre ein beträchtliches Knowhow im Mediationsbereich erworben, das bei den Konfliktparteien selbst und bei internationalen Verhandlungsteams gefragt ist. Im Jahr 2008 hat die Schweiz 1,1 Millionen Franken für direkte Vermittlungstätigkeiten eingesetzt.

In Nepal, wo die Schweiz seit Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, spielte unser Land eine wichtige Rolle im Friedensprozess der vergangenen Jahre. Ab 2005 unterstützte ein Schweizer Berater für Friedensförderung den Aufbau von Kontakten zwischen den politischen Parteien und den Maoisten. Er wirkte durch seinen Einsatz hinter den Kulissen an der Gestaltung des Verhandlungsprozesses mit und leistete einen wesentlichen Beitrag zum Friedensabkommen, das am 21. November 2006 in Kathmandu unterzeichnet worden war und einem zehnjährigen Bürgerkrieg ein Ende setzte. In den Jahren 2007 und 2008 trug die Schweiz zur Umsetzung der wesentlichen Elemente des Friedensabkommens bei, leistete einen wichtigen Beitrag zur Durchführung der Wahlen der verfassungsgebenden Versammlung im April 2008 und beriet diese in Föderalismusfragen und in der Ausgestaltung eines neuen Sicherheitssystems. Die Schweiz wird 2009 den lokalen Prozess der Friedenskonsolidierung weiter unterstützen. Diese Begleitung wird gerade in härteren Zeiten, wie während der Vertrauenskrise des Friedensprozesses im Mai/Juni 2009, besonders geschätzt.

In Burundi engagiert sich die Schweiz seit Ende der 1990er-Jahre in der Mediation48. In den letzten Jahren förderte sie mit einem Berater für Friedensförderung und mit der Unterstützung der Nichtregierungsorganisation
«Initiative et Changement» den Dialog zwischen der Regierung des Landes und der letzten Rebellenorganisation, der Palipehutu-FNL. Die Organisation hatte über Jahre den Kontakt zu den Rebellen aufgebaut und diese während der Verhandlungen unter südafrikanischer Führung begleitet. Nach einem ersten Waffenstillstand im September 2006, dessen Umsetzung sich verzögert hatte und der wiederholt gebrochen worden war, wurde im Mai 2008 das geltende Abkommen unterzeichnet. Bei der Umsetzung des Abkommens und im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen unterstützt die Schweiz die Umwandlung der Rebellenbewegung in eine politische Partei.

Zudem ist ein Berater für Friedensförderung der Schweiz in Darfur im Einsatz. Die Schweiz möchte mit ihrem Knowhow dazu beitragen, einen Friedensprozess einzuleiten, der alle Seiten einbezieht und gleichberechtigt behandelt. In den Jahren 2008 und 2009 führte sie in Absprache mit der Mediation und mit nachträglichem Debrieiefing für die sudanesische Regierung Schulungen für Rebellengruppen durch mit dem Ziel, ihr Verständnis für die Funktionsweise staatlicher Institutionen zu 48

Von 1998­2000 unterstützte die Schweiz den Friedensprozess von Arusha.

6419

vertiefen, die Einhaltung der Menschenrechte zu fördern und ihre Verhandlungskompetenzen zu stärken.

Die Schweiz leistet seit 2006 auch einen Beitrag zur Lösung des Streits um das iranische Nuklearprogramm. Sie verfolgt dabei folgenden Ansatz: Vom Iran wird verlangt, dass er seine völkerrechtlichen Verpflichtungen gemäss NPT einhält. Im Gegenzug soll die Bereitschaft der Gruppe E3+3 (Deutschland, China, USA, Frankreich, Grossbritannien, Russland) zu einer diplomatischen Lösung erhöht werden.

Zu diesem Zweck führte die Schweiz 2008 ihre zahlreichen schon früher geknüpften Kontakte zu den beiden direkt involvierten Parteien (Iran und E3+3), zur IAEA in Wien sowie zum Team des Hohen Vertreters der EU, Javier Solana, fort. Alle diese Tätigkeiten mündeten im Sommer 2008 in die Genfer Gespräche zwischen dem iranischen Chefunterhändler für Nuklearfragen, Jalili, und dem EU-Vertreter Solana, bei denen Solana einen Verhandlungsvorschlag einbrachte, der sich direkt an dem von der Schweiz entwickelten Konzept des «Freeze for Freeze» orientierte. Obschon die Genfer Gespräche ohne greifbares Ergebnis endeten, stellten sie einen wichtigen Schritt im Dialogprozess zwischen den E3+3 und dem Iran dar. Die Schweiz hat ihre Bereitschaft bekundet, Modalitäten für eine mögliche Aufnahme von direkten Gesprächen zwischen den USA und Iran zu erarbeiten, und führt dazu mit beiden Seiten Gespräche auf hoher Ebene. Beide Seiten begrüssen die schweizerischen Bemühungen und Vorschläge.

Des Weiteren leistet die Schweiz einen Beitrag zum Abbau der Spannungen im Südkaukasus: Sie unterstützt den von OSZE-Vertretern geführten Dialog im Hinblick auf eine Verhandlungslösung zwischen Aserbaidschan und Armenien für das Problem Berg-Karabach und die von Armenien besetzten Gebiete. Auf Ersuchen Armeniens und der Türkei begleitete die Schweiz zudem einen Verhandlungsprozess, dessen Ergebnisse für beide Parteien annehmbar waren.

Unterstützung von Mediation und Fazilitation Neben der direkten Vermittlungstätigkeit wird die Schweiz weiterhin Unterstützung für Mediationen leisten, indem sie zum Beispiel den logistischen Rahmen für Verhandlungen bietet oder inhaltliches Knowhow zur Verfügung stellt. In Anbetracht der Besonderheiten heutiger Konflikte wird es immer wichtiger, mit internationalen und regionalen Akteuren sowie mit anderen
Staaten Synergien zu finden: Friedensverhandlungen werden heutzutage häufig von einer erfahrenen Mediationsfachperson geleitet, die ihrerseits von Expertinnen und Experten unterstützt wird, die für verschiedene Aufgaben zuständig sind. In den kommenden Jahren beabsichtigt das EDA, die Forschung, die Aufarbeitung von Erfahrungen und den Wissensaustausch mit den wichtigsten Akteuren im Bereich der Mediation und der Fazilitation ­ namentlich der UNO ­ zu intensivieren und die Zahl der verfügbaren erfahrenen Mediatorinnen und Mediatoren zu erhöhen, um Fachkräfte für internationale Mediationsteams stellen zu können. Zu diesem Zweck wird das EDA weiterhin Ausbildungskurse für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ausländische Expertinnen und Experten sowie lokale Mediatorinnen und Mediatoren durchführen. Die Schweiz wandte 2008 2,3 Millionen Franken zur Unterstützung der Mediation, d.h.

für Fazilitation und Ausbildung, auf.

Zivile Friedensförderungsprogramme In den vergangenen Jahren führte das EDA sein Engagement mit zivilen Friedensförderungsprogrammen in verschiedenen Ländern und Regionen fort. Dieses Enga6420

gement erfolgte in enger Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren des Bundes vor Ort, zum Beispiel der Entwicklungszusammenarbeit oder der militärischen Friedensförderung, und war eingebettet in die Gesamtstrategie des Departements. Im Jahr 2008 waren Südosteuropa (6,7 Mio. CHF), der Nahe Osten (4,6 Mio. CHF), Sudan (2,7 Mio. CHF), die Region der Grossen Seen (2,3 Mio. CHF), Nepal (2 Mio. CHF), Sri Lanka (1,5 Mio. CHF) und Kolumbien (2,4 Mio. CHF) Schwerpunkte der zivilen Friedensförderung der Schweiz. Im vergangenen Jahr war die Schweiz überdies im Rahmen von Pilotprogrammen tätig und führte punktuelle Interventionen durch, so zum Beispiel in Tadschikistan oder im Nordkaukasus.

Nach der Aufkündigung des Friedensabkommens in Sri Lanka im Januar 2008 und der Ablehnung internationaler Vermittlungsangebote durch die Regierung konzentrierte die Schweiz ihr friedenspolitisches Engagement auf die Förderung der Menschenrechte. Zudem setzte sie sich dafür ein, dass das humanitäre Völkerrecht von allen Beteiligten eingehalten wird. Sollten sich die Rahmenbedingungen ändern, so ist die Schweiz bereit, ihr Engagement erneut zu intensivieren. Demgegenüber mündeten die in den letzten Jahren unternommenen Anstrengungen in West- und Zentralafrika 2008 in der Lancierung eines zivilen Friedensförderungsprogramms für die Region.

Südosteuropa In Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien führte die Schweiz 2008 ihr Friedensförderungsprogramm fort, um weiter zur Stabilisierung einer Region beizutragen, die durch enge Beziehungen mit der Schweiz verbunden ist (siehe auch Ziff. 3.2.2.2.2). Im Mittelpunkt der Bemühungen stand die Vergangenheitsarbeit, ein Prozess, der für die Wiederherstellung des Vertrauens und die Versöhnung unerlässlich ist. Ausserdem organisierte das EDA weitere Rundtischgespräche zum Zweck der Vertrauensbildung. In Kosovo leistete die Schweiz einen wesentlichen Beitrag zur multilateralen Präsenz, namentlich im Rahmen der Internationalen Lenkungsgruppe des Internationalen Zivilbüros, die die Umsetzung des Ahtisaari-Plans überwacht, eines der Schlüsselinstrumente zum Schutz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Im Jahr 2008 waren 45 der 188 Expertinnen und Experten des Schweizerischen Expertenpools für zivile Friedensförderung in Südosteuropa tätig, so zum Beispiel in Missionen zur Stärkung
von Justiz und Polizei integriert wie EUPOL (Bosnien und Herzegowina) und EULEX (Kosovo). In den kommenden Jahren wird die Schweiz ihr Engagement in Südosteuropa fortführen, wiederum mit Schwerpunkt auf Kosovo. In der gesamten Region konzentriert sie ihre Tätigkeit auf die Bereiche Vergangenheitsarbeit und Justiz in Transitionsprozessen, Schutz und institutionelle Integration von Minderheiten sowie den politischen Dialog. Dabei wird die Schweiz weiterhin die Durchführung regionaler Rundtische zu gemeinsamen Themen unterstützen und den Aufbau spezifischer Aktivitäten in Kosovo und Mazedonien fördern. In Bosnien und Herzegowina wird das EDA seinen Beitrag an die humanitäre Minenräumung weiterführen. Eine Aktion dieser Art ist auch für Kosovo geplant.

Naher Osten Im Nahen Osten unterhält die Schweiz seit Jahren ein ziviles Friedensförderungsprogramm, das vier Schwerpunkte umfasst. Zum einen unterstützt sie verschiedene israelisch-palästinensische Organisationen, die sich für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts einsetzen. Dabei setzt sie sich insbesondere für die Weiterentwicklung der 6421

Genfer Initiative und deren Verbreitung durch israelische und palästinensische NGO ein. Zum andern unterstützt sie die Aktivitäten des Genfer Zentrums für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF) im Libanon und im besetzten Palästinensischen Gebiet. Im Libanon hat das DCAF im Rahmen des informellen Dialogs zwischen allen Parteien, der Anfang 2008 in der Schweiz stattfand und von den libanesischen Behörden und insbesondere von Präsident Suleiman begrüsst wurde, seine Unterstützung bei der Ausarbeitung einer neuen nationalen Sicherheitsdoktrin angeboten. Unter der Ägide des Präsidenten wurde im Rahmen des nationalen libanesischen Dialogs eine Diskussion über dieses entscheidende Thema eingeleitet.

Im besetzten Palästinensischen Gebiet trägt das DCAF zu den internationalen Bemühungen um die Reform und Professionalisierung der palästinensischen Sicherheitskräfte bei. Drittens beteiligt sich die Schweiz personell an der bisher einzigen internationalen Präsenz im besetzten Palästinensischen Gebiet, der internationalen Beobachtungsmission in Hebron («Temporary International Presence in the City of Hebron», TIPH). Schliesslich führte die Schweiz den Dialog mit allen vom Nahostkonflikt betroffenen Akteuren auf diplomatischer Ebene fort, um für die komplexen Probleme des Friedensprozesses weiterhin erschweren, praktikable Lösungen zu suchen und zu testen (siehe auch Ziff. 3.2.5.2).

Sudan Im Sudan sind die Herausforderungen noch immer besonders zahlreich. Im Südsudan sind der Übergang zur Demokratie und der Aufbau staatlicher Strukturen gefährdet. Die Nord-Süd-Beziehungen, die Gegenstand des umfassenden Friedensabkommens von 2005 sind, bleiben angespannt. Strittige Punkte sind insbesondere der Grenzverlauf, die Verteilung der Ressourcen und die Vorbereitung der für 2009 geplanten allgemeinen Wahlen sowie des Referendums über die Unabhängigkeit des Südens, das 2011 durchgeführt werden soll. In Darfur sind die humanitäre Situation und die Sicherheitslage besonders prekär, und der Friedensprozess steckt seit Langem in einer Sackgasse. Im März 2009 erliess die Vorverfahrensabteilung I des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Al-Bashir. Trotz des Ausmasses der Krise im Sudan sind noch Handlungsspielräume vorhanden, und die Bemühungen der Schweiz
werden zunehmend geschätzt. Seit Ende 2008 leitet ein Schweizer Experte das Büro der «Assessment and Evaluation Commission» in Juba im Südsudan. Dieses Gremium ist mit der Überwachung der Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens betraut. Die Schweiz wird die verschiedenen Möglichkeiten ausloten, um zur Prävention von Konflikten beizutragen, die während des Wahl- und Referendumsprozesses entstehen könnten. In Darfur, dem Schauplatz der derzeit grössten humanitären Operation weltweit (4,6 Mio. Vertriebene), wird die Schweiz ihr Engagement zur Förderung des Dialogs zwischen den Konfliktparteien fortsetzen und weiterhin humanitäre Hilfe leisten (siehe auch Ziff. 3.2.6.5).

Grosse Seen In der Region der Grossen Seen, einem von Bürgerkriegen und Gewalt zerrütteten Gebiet, engagiert sich die Schweiz seit den 1990er-Jahren für den Frieden. In Burundi, wo sie seit 2005 ein ziviles Friedensförderungsprogramm unterhält, geniesst die Schweiz den Ruf einer vertrauenswürdigen Akteurin und ist entsprechend in der Mehrzahl der politischen Foren vertreten. Neben der Unterstützung des Dialogs mit der letzten Rebellenorganisation, der Palipehutu-FNL, führte das EDA in Burundi in den vergangenen Jahren seine Arbeit im Bereich Vergangenheitsarbeit 6422

fort und setzte sich dabei insbesondere für die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission und die Schaffung eines unabhängigen Sondergerichtshofs ein. Weitere Tätigkeitsfelder waren das Engagement gegen die Verbreitung von leichten Waffen und Kleinwaffen sowie die Fortsetzung der Anstrengungen im Menschenrechtsbereich. Im Jahr 2009 will die Schweiz ihr Engagement auf diesen Gebieten fortsetzen. Ein Ausbau der zivilen Friedensförderung in der Region wird derzeit geprüft. Die Koordination mit den lokalen DEZA-Aktivitäten wird durch die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie für die Jahre 2009­2013 verstärkt (siehe auch Ziff. 3.2.6.4).

West- und Zentralafrika Die Schweiz konzentrierte sich 2007 und 2008 auf die Konsolidierung eines zivilen Friedensförderungsprogramms für West- und Zentralafrika, zwei Schlüsselregionen auf dem afrikanischen Kontinent. Sie erarbeitete ein Konzept für das mittelfristige Engagement, das schwerpunktmässig auf Mali, Niger und Tschad ausgerichtet ist. In Westafrika trifft die afrikanische, arabische und europäische Welt aufeinander. Die Entwicklungen in der Gegend des Sahels und der Sahara (z.B. Emigration, Bildung von Rückzugsgebieten für terroristische Gruppen, Geiselnahmen) haben gravierende Auswirkungen auf die Stabilität der Region und bergen Risiken, die Europa direkt betreffen. Zentralafrika seinerseits ist zerrüttet durch Konflikte (wie die Konflikte in Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik, die mit dem Darfur-Konflikt zusammenhängen), die das Gleichgewicht der ganzen Region bedrohen. Im Jahr 2008 trug die Schweiz insbesondere dazu bei, einen politischen Dialog in Gang zu setzen, der sich mit dem Konflikt im Norden Malis und mit den Konflikten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen befasst. Sie wird diesen Dialog in den kommenden Jahren weiter begleiten. Ausserdem setzte die Schweiz ihre Unterstützung für die «Ecole de maintien de la paix» in Bamako fort: Sie führte erstmals für Expertinnen und Experten, die sich auf Einsätze im Rahmen friedenserhaltender Missionen der Afrikanischen Union vorbereiten, einen Kurs über Friedenskonsolidierung durch. In den kommenden Jahren will sie sich ferner für die Stärkung der Kapazitäten einheimischer Friedensakteure engagieren, die in verschiedene Friedensprozesse in der Region involviert sind. Zu
diesem Zweck sollen zusammen mit afrikanischen Partnerorganisationen wie der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), dem «Institut des relations internationales du Cameroun» und dem «Centre des Nations Unies pour la démocratie et les droits de l'homme en Afrique centrale» Ausbildungs- und Sensibilisierungsaktivitäten durchgeführt werden (siehe auch Ziff. 3.2.6.6).

Nepal Im Rahmen des zivilen Friedensförderungsprogramms und der Länderstrategie für Nepal unterstützte die Schweiz 2008 den Abschluss der langen Transitionsphase des Friedensprozesses nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Kathmandu von 2006. Im Oktober 2008 statteten Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung sowie Expertinnen und Experten aus Nepal der Schweiz einen Besuch ab, der ihnen eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema Föderalismus erlaubte. Der Prozess der Umsetzung der Friedensabkommen erwies sich, wie in den meisten solchen Fällen, als schwieriger als erwartet, und 2009 kam es auch zu internen Vertrauenskrisen, in der unsere informelle Beratungsrolle aber stark gefragt war. Die Schweiz fördert den Prozess 2009 weiterhin, indem sie eine konstruktive Debatte über die zukünftige Verfassung und über die Reform des Sicherheitssektors 6423

unterstützt. Auch wird sie weiterhin Knowhow über den Umgang mit Konflikten während dieser heiklen Phase zur Verfügung stellen. Die Vergangenheitsarbeit und die Förderung der Einhaltung der Menschenrechte werden 2009 ebenfalls Bestandteil des Engagements der Schweiz in Nepal sein. Sie hatte bereits 2008 einen erheblichen Beitrag zur Mission des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte geleistet.

Kolumbien In Kolumbien begleitete die Schweiz im ersten Halbjahr 2008 gemeinsam mit Frankreich und Spanien den Prozess zur Aufnahme eines humanitären Dialogs mit den FARC. Im Juli 2008 zog es die kolumbianische Regierung allerdings vor, auf die internationale Fazilitation zu verzichten und den direkten Kontakt zur Guerilla zu suchen. Die Schweiz leistete 2008 zudem einen Beitrag zur Integration internationaler Standards im Bereich Vergangenheitsarbeit in die Aktivitäten der nationalen Gremien, die für die Wiederherstellung des Rechts auf Wahrheit, auf Gerechtigkeit und auf Wiedergutmachung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen zuständig sind. Ein erster Bericht der Arbeitsgruppe für die historische Aufarbeitung ist erschienen, und seine Empfehlungen haben direkte Auswirkungen auf den Kampf gegen die Straflosigkeit. Im vergangenen Jahr setzte die Schweiz auch die Anstrengungen zur Stärkung der Friedensinitiativen der Zivilgesellschaft fort, insbesondere mit dem «Friedensprogramm der Schweiz in Kolumbien».

Thematische Schwerpunkte Die zivilen Friedensförderungsprogramme werden auch in Zukunft Themen betreffen, die zu einem nachhaltigen Friedensprozess beitragen und für die Schweiz prioritär sind: Mediation, Stärkung des Rechtsstaats, Gewaltenteilung, Föderalismus, Unterstützung von Wahlprozessen, humanitäre Minenräumung, Förderung von Menschenrechten, Gerechtigkeit und Frieden, Vergangenheitsarbeit. In diesen Bereichen kann die Schweiz im Vergleich zu anderen Staaten oder internationalen Organisationen einen Mehrwert erbringen.

Im Rahmen von Prozessen zur Aufarbeitung der Vergangenheit unterstützt die Schweiz die betroffenen Länder beispielsweise bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen in den Bereichen Bekämpfung der Straflosigkeit, Untersuchungskommissionen, Gerechtigkeit/Justiz, Wiedergutmachung und Garantierung der Nichtwiederholung.

Dazu gehören zum Beispiel Wahrheitskommissionen, der Schutz der
Archive, die Rückkehr von Vertriebenen, die Suche nach Verschollenen oder auch die Entschädigung von Opfern. Im Jahr 2008 engagierte sich die Schweiz insbesondere in Guatemala (Schutz der Archive) und im Balkan (Frage der Verschwundenen). Die Schweiz gehört zudem der Gruppe der Freunde der Nürnberger Erklärung zu Frieden und Gerechtigkeit an. Diese Erklärung formuliert eine Reihe von Prinzipen und Empfehlungen, mit denen Frieden und Gerechtigkeit in Nachkonfliktsituationen verwirklicht werden sollen. Ein weiteres Engagement der Schweiz gilt der Genozidprävention. Zusammen mit der argentinischen Regierung organisierte sie 2008 ein erstes regionales Forum zu diesem Thema. Zwei weitere Foren sollen 2009 und 2010 in Afrika und Asien durchgeführt werden.

Expertenpool Im Jahr 2008 standen 188 Mitglieder des Schweizerischen Expertenpools für zivile Friedensförderung im Rahmen bilateraler oder multilateraler Missionen in 36 Län6424

dern im Einsatz. Neun Beraterinnen und Berater für Friedensförderung und drei Menschenrechtsberaterinnen und -berater leisteten bilaterale Einsätze. Durchschnittlich waren jeweils rund 80 Poolmitglieder (darunter 43 % Frauen) gleichzeitig in verschiedenen Krisengebieten tätig. Ein besonderes Schwerpunktgebiet ist der Kosovo. Mehrere Expertinnen und Experten bekleideten dort wichtige Positionen im Rahmen der internationalen Präsenz: Ein Schweizer war OSZE-Missionschef in Kosovo, ein anderer leitet bis heute die Abteilung «Community Affairs» «International Civilian Office» (ICO). Wie bereits 2007 unterstützte ein Experte des Pools das Büro des kosovarischen Premierministers bei Rechtsfragen im Zusammenhang mit den verschiedenen Gemeinschaften. Weitere Expertinnen und Experten arbeiteten in der EULEX-Mission mit. Im Jahr 2008 entsandte der Pool 15 zivile Polizisten sowie 6 Grenzwächter und Zollbeamte in die Einsatzgebiete. Eine grosse Herausforderung wird es in Zukunft sein, dem Mangel an Bewerbungen für Stellen als Polizeiexpertinnen und -experten zu begegnen. In den kommenden Jahren wird der Pool auch sein Engagement im Bereich der Wahlbeobachtung fortsetzen. Die Wahlbeobachtungen finden stets im Rahmen internationaler Missionen und in Partnerschaft mit der OSZE, der EU oder der OAS statt. 2008 wurden 78 Mitglieder des Schweizerischen Expertenpools als Wahlbeobachterinnen und -beobachter bei Präsidentschafts-, Parlaments- oder Kommunalwahlen in über einem Dutzend Staaten eingesetzt, darunter Georgien, der Ukraine, Serbien, Mazedonien, Nepal, Angola und Ruanda.

Entwicklung internationaler Strategien Die Schweiz legt Wert darauf, zur Entwicklung von internationalen Strategien im Bereich Friedenspolitik und zur Stärkung des internationalen Systems der Konfliktbeilegung und zur Rechtsanwendung beizutragen. Wie in den vorangegangenen Jahren wirkte sie 2008 aktiv an der Entwicklung diplomatischer Initiativen im Rahmen von multilateralen Organisationen mit, um den Frieden, die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts sowie den Migrationsdialog zu fördern.

Die Genfer Erklärung über bewaffnete Gewalt und Entwicklung Im Bereich der Bekämpfung von Kleinwaffen und leichten Waffen (siehe auch Ziff. 3.3.5) werden sich die Aktivitäten 2009 nach den Erfolgen der letzten Jahre auf die Umsetzung
der Genfer Erklärung über bewaffnete Gewalt und Entwicklung konzentrieren. Diese Erklärung zielt darauf ab, die Regierungen für die Zusammenhänge zwischen bewaffneter Gewalt und Entwicklung zu sensibilisieren.49 Diverse Studien zeigen, dass Länder, die unter bewaffneter Gewalt zu leiden haben, einen tiefen Entwicklungsindex aufweisen und dass schwach entwickelte Länder häufig bewaffneter Gewalt ausgeliefert sind. Die 2006 von der Schweiz und dem UNOEntwicklungsprogramm (UNDP) lancierte Genfer Erklärung geniesst auf internationaler Ebene grossen Rückhalt. Im September 2008 trafen sich 85 Unterzeichnerstaaten50 zu einer Ministerkonferenz in Genf. Die Bedeutung dieser diplomatischen Initiative wurde von der UNO-Generalversammlung anerkannt: In einer im November 2008 im Konsens verabschiedeten Resolution erteilte die Generalversammlung dem Generalsekretär den Auftrag, im Jahr 2009 einen Bericht über die Problematik der Waffengewalt und Entwicklung vorzulegen. In den kommenden Jahren werden 49 50

www.genevadeclaration.org Bis März 2009 stieg die Zahl der Signatarstaaten auf 106 an.

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sich die Aktivitäten weiterhin auf drei Handlungsebenen konzentrieren: die Sensibilisierung möglichst vieler Staaten für die Problematik, die Realisierung konkreter Projekte in den am stärksten von bewaffneter Gewalt betroffenen Ländern und die Quantifizierung der weltweiten Schäden durch bewaffnete Gewalt51. Ziel ist es, bis 2015 die bewaffnete Gewalt weltweit auf quantifizierbare Weise einzudämmen.

Konfliktprävention: Brücken zwischen den Zivilisationen bauen Die Schweiz wird 2009 ihr Engagement im Rahmen der «Allianz der Zivilisationen» fortführen, die 2004 nach den Attentaten von Madrid auf Anregung Spaniens ins Leben gerufen wurde (siehe auch Ziff. 3.4.1.2.3). Die Schweiz setzt sich dabei für eine Strategie des Brückenschlags zwischen den Zivilisationen ein. Die Erfahrung der Schweiz im Bereich der Prävention und Transformation von Konflikten, bei denen sich Politik und Religion vermischen, zeigt, dass der Dialog und der Austausch über Werte zwar zentral sind, aber nicht ausreichen, um Vertrauen herzustellen und ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Die Schweiz wird daher im Nahen Osten und in Zentral- und Südasien weiterhin «Dialoge durch konkrete Zusammenarbeit» unterstützen. Diese Dialoge fördern die Zusammenarbeit zwischen politischen Akteuren mit unterschiedlichen Wertesystemen, die gemeinsam einen konkreten Spannungs- oder Konfliktfaktor beseitigen möchten. So haben Vertreter der religiösen und säkularen Eliten in Tadschikistan mit Unterstützung der Schweiz einen Lehrplan ausgearbeitet, der an Koranschulen auch die Vermittlung von weltlichen Themen und staatsbürgerlichen Rechten vorsieht. Die Schweiz unterstützt zudem die Identifikation von Aktivitäten, die von einem protestantischen Hilfswerk in der Schweiz und einem muslimischen Hilfswerk in Ägypten gemeinsam durchgeführt werden können. Die verschiedenen Etappen dieser Zusammenarbeit werden erfasst und analysiert, um deren Austausch und Weiterverbreitung auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

Die Partner der Schweiz: ein Multiplikatoreffekt Die Förderung der menschlichen Sicherheit ist eine kollektive Aufgabe. Die Schweiz wird deshalb in den kommenden Jahren weiter mit verschiedenen Partnern zusammenarbeiten, zum Beispiel mit gleichgesinnten Ländern, mit der UNO sowie mit anderen internationalen und regionalen Organisationen,
nichtstaatlichen Gremien und wissenschaftlichen Institutionen. Die Zusammenarbeit mit externen Partnern hat sich im Laufe der Jahre als unerlässliche Stütze erwiesen: Dank ihrem Know-how, ihrem Einfluss und ihrer Präsenz vor Ort haben die externen Partner einen Multiplikatoreffekt, der den Anstrengungen der Schweiz mehr Gewicht verleiht und ihre eigenen Möglichkeiten ergänzt.

51

Ein erster Bericht wurde im vergangenen Jahr publiziert: Small Arms Survey, «The Global Burden of Armed Violence», Genf 2008.

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3.3.7

Menschliche Sicherheit und Stärkung des Völkerrechts

3.3.7.1

Menschenrechtspolitik

Neue Herausforderungen Mehr als 60 Jahre nach der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 bietet die Durchsetzung dieser Rechte in aller Welt ein zwiespältiges Bild. Der internationale Schutz der Menschenrechte entwickelt sich nach wie vor in eine erfreuliche Richtung. Immer mehr Regierungen gehen rechtlich verbindliche Verpflichtungen ein, indem sie den wichtigsten internationalen Menschenrechtsübereinkommen oder den neuen Instrumenten beitreten, die diese Übereinkommen ergänzen, zum Beispiel zum Verschwindenlassen von Personen. Zudem verfügt die internationale Gemeinschaft über Gerichte ­ darunter den Internationalen Strafgerichtshof ­, die die für schwere Verbrechen verantwortlichen Personen bestrafen, und über politische Mechanismen zur Förderung der Achtung der Menschenrechte. Der jüngste dieser Mechanismen ist der UNO-Menschenrechtsrat mit seinem Verfahren der allgemeinen regelmässigen Überprüfung («Universal Periodic Review», UPR), in dessen Rahmen jeder Staat seine Menschenrechtsbilanz vorstellt. Andererseits gibt es eine Reihe gravierender Probleme. Noch immer praktizieren mehr als 70 Staaten die Todesstrafe. Etwa ebenso viele Länder wenden regelmässig Folter und andere grausame und erniedrigende Methoden an. Nach wie vor werden Zehntausende von Menschen willkürlich inhaftiert oder verschwinden spurlos. Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Armut: Millionen Menschen bleibt das Recht auf Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Bildung verwehrt, ganz zu schweigen von ihrem Recht auf Teilhabe am politischen Leben und auf Chancengleichheit.

Im vergangenen Jahrzehnt ist die Achtung der Menschenrechte in verschiedener Hinsicht sogar zurückgegangen. Die Terrorismusbekämpfung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und später in anderen Ländern wurde von manchen Staaten dazu missbraucht, die innerstaatliche Repression zu verschärfen oder oppositionelle Gruppierungen mundtot zu machen. Die Glaubwürdigkeit der westlichen Welt im Hinblick auf die Förderung und den Schutz der Menschenrechte ist durch die Auswüchse der Terrorismusbekämpfung beeinträchtigt worden. Auch andere Entwicklungen haben die Lage für die Akteure der Menschenrechtspolitik verändert. Die grausamen Auswirkungen interner Konflikte auf die Zivilbevölkerung, die Zunahme der
Migration, die immer breitere Kluft zwischen Reich und Arm, Defizite bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Rolle der transnationalen Unternehmen, der Klimawandel und die Ernährungskrise sind Probleme, mit denen sich die Menschenrechtsaussenpolitik auseinandersetzen muss.

In diesem Kontext sind die traditionellen Prioritäten der Schweizer Aussenpolitik im Bereich der Menschenrechte, namentlich die gezielte Förderung der Grundrechte, der Schutz besonders verletzlicher Gruppen oder die Festigung der bestehenden Instrumente und insbesondere des Menschenrechtsrates, auch weiterhin gültig.

Während es 2007 auf institutioneller Ebene vor allem um die Konsolidierung des Menschenrechtsrates ging, der seine Verfahrensordnung und seine Arbeitsinstrumente festlegte, wurden im Jahr 2008 diese Instrumente ­ namentlich die allgemeine regelmässige Überprüfung (siehe Ziff. 3.4.1) ­ konsolidiert und umgesetzt.

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Im Übrigen muss die Schweiz auch bereit sein, sich neuen Herausforderungen zu stellen, die durch die sich ständig verändernde Realität entstehen. So wird sie sich beispielsweise bemühen, neue Instrumente zu fördern, wie dies Ende 2008 anlässlich des 60-Jahr-Jubiläums der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geschah.

Damals lancierte sie die Agenda für Menschenrechte mit Vorschlägen zu globalen Prioritäten für die kommenden zehn Jahre. Der Bund wird sich in seinen bilateralen Beziehungen auch künftig für die Förderung der Menschenrechte einsetzen. Er ist jedoch nach wie vor überzeugt, dass die gegenwärtigen Herausforderungen nur dann sinnvoll anzugehen sind, wenn dies auch im Rahmen von Partnerschaften mit anderen Staaten, mit internationalen Organisationen und mit nichtstaatlichen Akteuren geschieht. Im derzeitigen Kontext, der von Polarisierungen ­ zwischen Ost und West, zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern und auch zwischen westlichen Ländern und Staaten islamischer Kultur ­ geprägt ist, die gerade in internationalen Gremien besonders spürbar sind, wird sich die Schweiz bemühen, die Einhaltung der internationalen Menschenrechtsnormen im Dialog zu fördern. Denn sie ist nach wie vor der Überzeugung, dass der Sache der Menschenrechte am besten gedient ist, wenn zwischen verschiedenen Positionen Brücken gebaut werden.

Staatenberichtsverfahren vor den UNO-Ausschüssen Der UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung begutachtete am 8. und 11. August 2008 den aktuellen Bericht (kombinierter 4., 5. und 6. Bericht) der Schweiz über die Umsetzung des Internationalen Übereinkommens von 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Eine Delegation aus Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung sowie kantonaler Behörden unter Leitung des EDA präsentierte den Bericht in Genf und beantwortete Fragen der Ausschussmitglieder. Am 15. August 2008 veröffentlichte der Ausschuss seine Schlussbeobachtungen über die Schweiz.

Der Ausschuss begrüsst darin die ausführliche Berichterstattung und äussert sich zufrieden über den offenen und konstruktiven Dialog mit der Schweizer Delegation.

Er stellt anerkennend fest, dass die Schweiz seit ihrem letzten Bericht zahlreiche Anstrengungen im Kampf gegen jede Form von Rassendiskriminierung unternommen hat, so etwa in Form der Anerkennung
des individuellen Mitteilungsverfahrens gemäss Artikel 14 des Übereinkommens im Juni 2003, der Einrichtung des Fonds «Projekte gegen Rassismus und für Menschenrechte» und der entsprechenden Sensibilisierungs- und Präventionsaktivitäten der Fachstelle für Rassismusbekämpfung.

Positiv vermerkt wurden zudem die konsequente Praxis der Behörden bei der Handhabung des Straftatbestands der Rassendiskriminierung (Art. 261bis Strafgesetzbuch) und die Setzung von Standards bei der Aus- und Weiterbildung der Polizeikräfte im Bereich der Menschenrechte.

Der UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wird im Rahmen seiner 44. Session vom 20. Juli bis 7. August 2009 den Dritten Bericht der Schweiz über die Umsetzung des Übereinkommens von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau begutachten. Eine Delegation aus Vertreterinnen und Vertretern der Bundesverwaltung sowie kantonaler Behörden wird den Bericht in New York präsentieren und Fragen der Ausschussmitglieder beantworten. Der Bericht, der am 2. April 2008 vom Bundesrat genehmigt wurde, schildert eine Vielzahl von Massnahmen, die Bund, Kantone und Gemeinden in den letzten Jahren ergriffen haben. Dazu zählen etwa die Einführung der Mutterschaftsversicherung, verstärkte Massnahmen gegen häusliche Gewalt, die Förderung der 6428

Schaffung familienergänzender Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen, das die Möglichkeit schafft, bei konkreten Fällen von Frauendiskriminierung dem UNO-Ausschuss eine individuelle Mitteilung einzureichen.

Der Bundesrat hiess am 10. April 2008 den Zweiten und Dritten Bericht über die Umsetzung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) gut. Der Bericht, der anschliessend dem UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte übermittelt wurde, enthält einen ausführlichen Überblick über die Umsetzung der im Pakt enthaltenen Rechte in der Schweiz. Die Begutachtung des Berichts durch den Ausschuss findet voraussichtlich im November 2010 statt.

Eine Agenda für die Menschenrechte 2008 wurde auch das 60-Jahr-Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begangen. Diese Erklärung und ihre universelle Geltung werden im Allgemeinen nicht in Frage gestellt. Selbst wenn hier und dort relativistische Thesen vertreten werden ­ oder sogar die Tragweite der Erklärung in Frage gestellt wird ­, so ist doch kein einziger Staat der Auffassung, diese Erklärung sei überholt oder unvollständig. Das ist ein grosser Erfolg und gibt Anlass zur Hoffnung, dass die künftigen Diskussionen über eine möglichst weitgehende Verwirklichung der in der Erklärung verankerten Ideale Früchte tragen.

Die Schweiz initiierte die Ausarbeitung einer Agenda für Menschenrechte, die für die kommenden zehn Jahre einen Bezugsrahmen für eine wirksamere Förderung und einen besseren Schutz dieser Rechte bieten soll.52 Die Agenda wurde von einer völlig unabhängigen Gruppe namhafter Persönlichkeiten mit Unterstützung der Genfer Akademie für humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte ausgearbeitet.

Sie bietet Denkanstösse zu Themen wie gemeinsame Verantwortung, Beseitigung der Armut durch die Einführung einer «Pflicht zur Solidarität», Rechtspflege und Zugang zur Justiz, Klimawandel und Einsetzung eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofs. Im Jahr 2009 und in den folgenden Jahren wird es notwendig sein, die Agenda für Menschenrechte zu vertiefen. Die Arbeit wird begleitet von Partnerländern und Hochschuleinrichtungen.

Fortsetzung der Konsultationen und der bilateralen Gespräche In den letzten Jahren wurden die
Konsultationen und bilateralen Gespräche über Menschenrechte mit Vietnam, China, Iran, Kuba und Russland fortgesetzt, und zwar jeweils in einem eigenen Rhythmus und mit unterschiedlichen Ergebnissen. Dialog ist nach wie vor ein sehr sinnvolles Instrument. Die meisten dieser bilateralen Gespräche wurden erst vor relativ kurzer Zeit aufgenommen. Der Dialog mit China ­ und mehr noch derjenige mit Iran ­ ist ziemlich unregelmässig, während der Dialog mit Vietnam und der kürzlich begonnene Dialog mit Kuba vielversprechend sind. Darüber hinaus hat die Schweiz 2009 beschlossen, einen Menschenrechtsdialog mit Tadschikistan aufzunehmen. Da diese Gespräche vertraulich sind, kann die Schweiz ein Vertrauensverhältnis zu den Gesprächspartnern aufbauen. Erst dieses Vertrauen erlaubt es, so heikle Themen wie etwa die Art und Weise anzusprechen, wie ein Staat die Menschenrechte beispielsweise im Bereich des Strafrechts (Strafvollzug, Strafprozessrecht) oder im Bereich der Minderheitenrechte umsetzt. Besteht 52

www.udhr60.ch

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ein Vertrauensverhältnis, dann können die vorgeschlagenen Themen vertieft und erweitert werden, und der Dialog kann effektiv weitergeführt werden. Die Gespräche werden durch konkrete Projekte beispielsweise im Bereich der Gefängnisverwaltung oder der Rechte der Frau ergänzt.

3.3.7.2

Humanitäre Politik und Migration

Zunehmender Schutzbedarf Der Schutz verletzlicher Personen, die Gefahren wie Krieg, Gewalt oder Naturkatastrophen ausgesetzt sind, ist auch weiterhin ein sehr aktuelles Problem. Heute sind rund 200 Millionen Migrantinnen und Migranten unterwegs ­ das entspricht 3 % der Weltbevölkerung. Unter ihnen befanden sich Ende 2007 nach Angaben des UNOHochkommissariats für Flüchtlinge 67 Millionen Vertriebene, darunter 16 Millionen Flüchtlinge. Besonders inhumane Praktiken wie Menschenhandel, dessen Opfer häufig Frauen und Kinder sind, breiten sich aus. Zudem sind die Bewegungen von Bevölkerungsgruppen sehr komplex geworden: So geraten zum Beispiel Menschen, die vor bewaffneter Gewalt flüchten, in Gruppen von Menschen, die Armut und Hunger zu entkommen suchen. Der Migrationsdruck verstärkt sich nicht nur auf die Industrieländer, sondern auch auf die Entwicklungsländer, die weder über die Fähigkeit noch über die Mittel verfügen, diesem Druck zu begegnen.

Auch die Konflikte ­ die zu den traditionellen Ursachen von Vertreibung zählen ­ sind komplexer geworden. Die Anzahl der klassischen Kriege zwischen regulären Streitkräften ist im vergangenen Jahrzehnt zurückgegangen, und immer häufiger gibt es eine Vielzahl innerstaatlicher bewaffneter Konflikte, in denen sich reguläre Streitkräfte und nichtstaatliche bewaffnete Gruppen und in manchen Fällen sogar private Militärfirmen gegenüberstehen. Oft kann man zwischen Zivilpersonen und Kombattanten kaum unterscheiden, sodass die Zivilbevölkerung ganz besonders gefährdet ist. Völkerrechtswidrige Praktiken wie etwa gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder die Missachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit gehören zu den Strategien beider Seiten. In diesem Zusammenhang geht es insbesondere darum, zum einen die Staaten und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen dazu zu bringen, die bestehenden Normen einzuhalten, und zum andern im Feld die operationellen Lösungen bereitzustellen, die den Bedürfnissen der Zivilpersonen entsprechen.

Trotz des zunehmenden Schutzbedarfs scheint die Bevölkerung der Industrieländer die Migration vorwiegend als Bedrohung wahrzunehmen und reagiert vielfach mit Abwehrreflexen. Das Asylrecht steht beständig unter Druck, und die positiven Aspekte der Migration geraten aus dem Blickfeld. Diese Haltung wird durch die drohende Rezession und
die Angst vor zunehmender Arbeitslosigkeit noch verstärkt.

In diesem Kontext steht die Schweiz vor zwei grossen Herausforderungen: Sie muss nicht nur die Ursachen der Vertreibungen angehen und nach menschenwürdigen, innovativen und nachhaltigen Lösungen suchen, sondern auch die Wahrnehmung der Migration dahingehend verändern, dass es als Chance für unser Land angesehen wird, um das Potenzial der Migration für unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung zu nutzen. Daher wird es darauf ankommen, die Hilfe vor Ort sowie die Partnerschaften mit den Herkunfts- und Transitländern zu verstärken.

6430

Humanitäre Politik: Umsetzung der Strategie des EDA Im Bereich der humanitären Politik war das Jahr 2008 durch Bemühungen gekennzeichnet, den Einsatz der Schweiz für die Zivilbevölkerung wirksamer und kohärenter zu gestalten. Zu diesem Zweck arbeitete das EDA eine Strategie für den Schutz von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten (2009­2012) aus. Diese erlaubt es dem EDA, eine gemeinsame Vision zu verfolgen und eine gemeinsame Sprache zu sprechen, Arbeitsschwerpunkte festzulegen und die interne Kohärenz dieses Einsatzes sowie dessen Synergien zu erhöhen. Auf diese Weise wird das EDA die Wirksamkeit seines multilateralen und bilateralen Engagements steigern, seine internationale Positionierung in dieser Frage konsolidieren und mehr Einfluss auf die Debatte über dieses Thema nehmen können.

Im Jahr 2009 und in den vier darauffolgenden Jahren wird sich das EDA bemühen, die wichtigsten Elemente dieser Strategie umzusetzen, und sich dabei auf drei Hauptthemen konzentrieren: Klärung und Stärkung sowie Einhaltung des normativen Rahmens, der Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten Schutz bietet (namentlich durch Fachseminare über die gegenwärtigen Herausforderungen für das humanitäre Völkerrecht und für die Stärkung der Mechanismen, die die Überwachung und Umsetzung dieses Rahmens gewährleisten); Verbesserung der operationellen Aktivitäten zum Schutz von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten (namentlich Fragen des Schutzes der verletzlichsten Gruppen von Zivilpersonen, des humanitären Zugangs und der Sicherheit der operationellen Akteure) und Stärkung seiner Kompetenzen im Bereich des Schutzes von Zivilpersonen.

Im Laufe des Jahres 2009 wird zudem das Projekt eines Handbuchs über Luftkrieg und Raketeneinsatz («Air and Missile Warfare Manual») abgeschlossen, das die Kenntnis und Einhaltung der in diesem Zusammenhang anwendbaren Regeln des Völkerrechts fördern soll. Durch bilaterale und regionale Staatenkonsultationen und in enger Zusammenarbeit mit dem IKRK war eine Gruppe namhafter Expertinnen und Experten beauftragt worden, ein Handbuch und einen Kommentar zu dem für Luftkrieg und Raketeneinsatz geltenden Gewohnheitsrecht auszuarbeiten. Das Handbuch und der Kommentar richten sich an nationale Streitkräfte, politische Entscheidungsträger, Leute aus der Praxis sowie Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler. Dieses aus dem Alabama-Prozess hervorgegangene Projekt wird 2009 mit der Vorstellung der beiden endgültigen Texte und der Lancierung von Aktivitäten abgeschlossen, die der Verbreitung und der Weiterbildung in diesem Bereich dienen.

Die intern Vertriebenen sind eine der verletzlichsten Gruppen der Zivilbevölkerung, die Gegenstand des zweiten Hauptthemas der EDA-Strategie ist. Hier unterstützt die Schweiz auch weiterhin den Beauftragten des UNO-Generalsekretärs für die Menschenrechte der Binnenflüchtlinge, Prof. Walter Kälin, bei seinen Gesprächen mit Regierungen sowie internationalen und regionalen Organisationen. Ziel dieser Gespräche ist es, die Anwendung der UNO-Leitlinien betreffend intern Vertriebene sicherzustellen. Bei der Suche nach dauerhaften Lösungen für die durch Vertreibung verursachten Probleme unternahm das EDA zusätzliche Anstrengungen im Bereich der Absicherung von Bodenrechten, namentlich mit der Erarbeitung eines einschlägigen Leitfadens und der Aufstellung von Projekten für spezifische Kontexte wie Kolumbien und die Demokratische Republik Kongo. Die Schweiz leistete sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene humanitäre Hilfe für intern Vertriebene. Zudem unterstützt sie internationale Akteure wie IKRK, UNHCR und UNICEF und ist im Bereich der Opferanwaltschaft aktiv.

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Menschen, die durch bewaffnete Konflikte oder Naturkatastrophen vertrieben wurden oder sich aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels gezwungen sahen, ihre Heimat zu verlassen, erhalten von der Schweiz auch weiterhin besondere Aufmerksamkeit, und zwar in rechtlicher, politischer und operationeller Hinsicht. Durch einen ständigen Austausch und mit Unterstützung unserer wichtigsten soll sowohl die Einhaltung des Rechts als auch die Suche nach dauerhaften Lösungen für Millionen von Vertriebenen gefördert werden. Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Beauftragten des UNO-Generalsekretärs für intern Vertriebene und die Partnerschaft mit dem Brookings-Berne-Projekt über interne Vertreibung werden die Möglichkeit bieten, in einen direkten Dialog mit den nationalen Behörden, der Zivilgesellschaft und den humanitären Akteuren der von Vertreibung betroffenen Länder zu treten. Des Weiteren wird die Verstärkung der Zusammenarbeit mit dem «Internal Displacement Monitoring Centre» (IDMC) in Genf erlauben, die Verbreitung der UNO-Leitlinien zu systematisieren.

Die Frage des Zugangs zur Zivilbevölkerung ist ein für die humanitäre Arbeit zentrales Problem. Zu diesem Thema organisierte die Schweiz ein hochrangiges Treffen, an dem Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen sowie Mitglieder von internationalen und nichtstaatlichen Organisationen teilnahmen. Dabei wurden Ansätze formuliert, die weiter vertieft werden sollten (siehe auch Ziff. 3.3.7.3). Des Weiteren unterstützte das EDA eine Initiative des UNO-Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), deren Ziel es ist, die Mechanismen weiterzuentwickeln, die die Schwierigkeiten beim Zugang zur Zivilbevölkerung überwachen und darüber Bericht erstatten («Monitoring and Reporting»). Hierbei geht es unter anderem darum, die entsprechenden Debatten im UNO-Sicherheitsrat zu erleichtern. Die wachsende Anzahl der Drohungen und Übergriffe, denen das humanitäre Personal in Konfliktgebieten ausgesetzt ist, stellt ein zunehmend komplexes Hindernis für die humanitäre Arbeit dar. Im Jahr 2009 wird das EDA die Unterstützung der «Security Management Initiative» (SMI) in Genf fortsetzen, eines Kompetenzzentrums, das operationelle Lösungen für Sicherheitsfragen bei der Tätigkeit von humanitären Organisationen entwickelt. Im Rahmen der Initiative für gute
Geberpraktiken im humanitären Bereich («Good Humanitarian Donorship») bemüht sich die Schweiz um eine Stärkung der Systeme zur Koordination und Abstimmung mit den humanitären Organisationen.

Migration: Chancen fördern und Herausforderungen bewältigen Die Einführung des Konzepts der Migrationspartnerschaft im Jahr 2008 stellte einen Abschnitt in der Schweizer Migrationspolitik dar, denn sie hat nunmehr eine globale Perspektive und kann sich auf Partnerschaften mit den Herkunftsländern stützen.

Der Ausschuss der interdepartementalen Arbeitsgruppe Migration hat erste operationelle Massnahmen getroffen. «Memoranda of Understanding», die die Grundlagen einer Migrationspartnerschaft umreissen wurden mit Bosnien und Herzegowina (13. April 2009) und Serbien (30. Juni 2009) unterzeichnet. Ein ähnlicher Text ist mit Kosovo paraphiert worden (Juni 2009) - die Unterschrift ist für diesen Herbst geplant - und mit Nigeria sind erste Kontakte geknüpft worden.

Ende 2007 verabschiedete der Ausschuss ein Konzept zur Verbesserung des Schutzes von Flüchtlingen in den Herkunftsregionen («Protection in the Region»). Damit entsprach er dem Wunsch des Parlaments und des Bundesrates nach einer Ausweitung der Hilfe, die Flüchtlingen im Bedarfsfall vor Ort geboten wird. Die Schweiz will mit ihrem Engagement in diesem Bereich dazu beitragen, dass die Flüchtlinge 6432

in ihrer Herkunftsregion rasch wirksamen Schutz finden, und den Aufnahmeländern in diesen Regionen helfen, ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich des Flüchtlingsschutzes nachzukommen. Eine Verbesserung des Flüchtlingsschutzes in den Erstasylländern kann mittelfristig zu einer Verringerung der irregulären Migrationsströme nach Europa führen. Bei der Migration vom Horn von Afrika und aus Eritrea konzentriert sich das Engagement der Schweiz 2009 vor allem auf Jemen. In Zusammenarbeit mit der jemenitischen Regierung und internationalen Organisationen werden mehrere Dienststellen der Bundesverwaltung ein entsprechendes Programm aufstellen, darunter die Politische Direktion, die DEZA und das Bundesamt für Migration (BFM). Das Programm in Jemen wird verstärkt durch bereits bestehende Projekte des BFM zur Prävention der irregulären Migration sowie der humanitären Hilfe für die Region am Horn von Afrika. 2009 soll die Möglichkeit geprüft werden, in Syrien ein Programm mit Fokus auf die Flüchtlinge aus Irak zu lancieren.

In den nächsten Jahren wird die Schweiz auch ihre Tätigkeit in einigen internationalen und regionalen Gesprächsforen über Migration fortsetzen. Für 2009 handelt es sich insbesondere um das Globale Forum über Migration und Entwicklung in Athen sowie um die Folgearbeiten zur zweiten euro-afrikanischen Ministerkonferenz zu Migration und Entwicklung, die im November 2008 in Paris stattfand. Im Rahmen der UNO ist für 2011 ein informeller Dialog geplant, dem 2013 ein zweiter hochrangiger Dialog über Migration und Entwicklung folgen wird. Der Beschluss, in der UNO einen zweiten hochrangigen Migrationsdialog einzuleiten, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Formulierung eines gemeinsamen politischen Aktionsprogramms für die zahlreichen Probleme und Chancen der Migration.

Das neue Globalprogramm Migration der DEZA fördert den Einbezug von Migrationsaspekten in die Entwicklungszusammenarbeit mit Schwerpunktländern der DEZA oder mit Ländern, die auf der Länderstrategieliste des Ausschusses aufgeführt sind. Dank der Koppelung von Migrations- und Entwicklungsfragen kann die Schweiz ihre Ziele sowohl im Migrations- als auch im Entwicklungsbereich besser und effizienter erreichen.

Zudem wird die Schweiz sich auch mit der Frage der Auswirkungen des Klimawandels auf die Migration
auseinandersetzen müssen, um eine kohärente Position zu den damit zusammenhängenden Herausforderungen zu formulieren und aktiv an der internationalen Debatte teilzunehmen (siehe auch Ziff. 3.3.2).

Der vom Bundesrat neu ernannte Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit wird departementsübergreifend die internationale Migrationszusammenarbeit der Schweiz vorantreiben und somit den seit einigen Jahren erfolgreich eingeschlagenen «whole-of-government approach» im Migrationsbereich weiter stärken. Er wird u.a. in den obern genannten Bereichen tätig sein und die konkrete Zusammenarbeit intensivieren und optimieren. Die Schweiz wird dadurch ihr Profil auf internationaler Ebene stärken und die Interessen im Migrationsbereich noch besser vertreten können.

Menschenhandel: Prävention, Schutz und Ausbau der lokalen Kapazitäten In den letzten Jahren hat die Schweiz ihr Engagement zur Bekämpfung des Menschenhandels erneut intensiviert, um die Prävention zu verbessern, die Opfer wirksamer zu schützen und die entsprechenden Kapazitäten der ausländischen Behörden (z.B. in Moldawien, der Ukraine, der Russischen Föderation, in Nigeria und im Schwarzmeerraum) zu verstärken. Des Weiteren hat es Bemühungen gegeben, die 6433

Kontakte zwischen Schweizer Expertinnen und Experten und ausländischen Partnern zu verstärken. So begab sich eine Schweizer Delegation nach Rumänien, um den Informationsaustausch über die Aufdeckung von Menschenhandel sowie die Ermittlungen, die Arbeit der Justiz und den Schutz der Opfer zu verbessern.

Die Schweiz wird ihren sichtbaren, konkreten Beitrag in diesem Bereich in Zukunft aufrechterhalten. Zu diesem Zweck muss sie bei der Festlegung und Aktualisierung der internationalen Normen und Standards mitwirken. Derzeit prüft sie die Frage, ob ein multilateraler Beitrag zur Stärkung der Empfehlungen sinnvoll wäre. Sie wird weiterhin auch vor Ort tätig sein, namentlich im Südwesten Rumäniens, wo sie ein Projekt für Romakinder durchführt, die dem Risiko von Ausbeutung und Menschenhandel ausgesetzt sind. Im Bestreben, die Kontakte zwischen ausländischen Einrichtungen und Schweizer Akteuren zu verstärken und die internationale Zusammenarbeit zu verbessern, plant die Schweiz schliesslich die Entsendung einer zweiten Delegation in ein Land, das von den Schweizer Akteuren als prioritär eingestuft wird.

3.3.7.3

Stärkung des humanitären Völkerrechts

Die Schweiz setzt sich traditionell für die Förderung und Entwicklung des Völkerrechts, eine der Konstanten ihrer Aussenpolitik, ein. Als Staat ohne politische oder militärische Macht hat die Schweiz ein besonderes Interesse daran. Im Vordergrund stehen dabei die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht.

Staaten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Organisationen wie das IKRK sind sich grundsätzlich einig, dass die Herausforderungen sich weniger auf der Ebene des bestehenden Rechts stellen als auf derjenigen der Einhaltung und Anwendung beziehungsweise der Auslegung bestimmter Regeln auf und in spezifischen Situationen. Dies schliesst nicht aus, dass das humanitäre Völkerrecht in gewissen Bereichen, wie dem Einsatz bestimmter Waffen, punktuell weiterentwickelt werden kann. In der Folge wird anhand von zwei Beispielen gezeigt, wie die Schweiz sich zur Klärung bestimmter Regeln und zur Förderung des humanitären Völkerrechts sowie der internationalen Strafgerichtsbarkeit einsetzt.

Humanitärer Zugang in bewaffneten Konflikten Der Zugang zu den Opfern bewaffneter Konflikte und deren Unterstützung ist eines der Kernanliegen des humanitären Völkerrechts und der humanitären Politik.

Regelmässig wird aber in bewaffneten Konflikten der Zugang entweder von einer oder mehreren Konfliktparteien eingeschränkt oder ganz verweigert, oder die Sicherheit der humanitären Akteure kann nicht gewährleistet werden. Mit aller Deutlichkeit hat sich dies wieder im Gaza-Konflikt von Ende 2008/Anfang 2009 gezeigt. Die Schweiz rief alle Konfliktparteien dazu auf, den humanitären Organisationen rasch und ungehindert Zugang zu gewähren und medizinisches Personal sowie Spitäler und andere medizinische Einrichtungen zu schützen. Sie setzte sich bei den israelischen Behörden dafür ein, dass ein medizinisches Nothilfeteam des IKRK möglichst rasch in den Gazastreifen einreisen konnte. Die humanitäre Hilfe des Bundes stellte zusätzlich zu den bereits geplanten 3 Millionen Franken weitere finanzielle Mittel für das UNRWA und das IKRK zur Verfügung. Schliesslich führte die Schweiz einen humanitären Einsatz durch, bei dem eine Delegation von Experten in den Bereichen Medizin, Trinkwasser und Logistik vor Ort entsandt wurde.

6434

Oft ist auch nicht klar, mit wem Verhandlungen geführt werden sollen bzw. auf welcher Basis diese geführt werden müssen, um den Zugang zu gewährleisten. Um solche Fragen zu klären, organisierte das EDA am 30. Juni und 1. Juli 2008 in Montreux ein Treffen zur Frage des humanitären Zugangs in bewaffneten Konflikten. Ziel war es, die grössten Hindernisse beim Zugang zu identifizieren und rechtliche, politische und operationelle Möglichkeiten zu deren Überwindung zu prüfen.

An diesem Treffen nahmen etwa 50 Personen teil (aus Regierungs-, Militär- und Wissenschaftskreisen sowie mit Vertreterinnen und Vertreter von humanitären Organisationen und mit Mitgliedern internationaler Organisationen), die sich überzeugt zeigten von der grundlegenden Bedeutung dieses Themas.

Die Diskussionen beschränkten sich auf bewaffnete Konflikte im Allgemeinen und betrafen nicht eine bestimmte Situation. Der erste Teil des Expertentreffens befasste sich schwergewichtig mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für den humanitären Zugang in bewaffneten Konflikten, während der zweite Teil den praktischen Problemen vor Ort gewidmet war. Drei Arbeitsgruppen behandelten folgende Aspekte: ­

Ausmass der Behinderung des Zugangs;

­

Koordination zwischen internationalen Organisationen, NGO und militärischen Akteuren vor Ort;

­

Verhandlungen über den Zugang: humanitäre, staatliche und nichtstaatliche Akteure.

Das Expertentreffen kam zu mehreren interessanten Schlussfolgerungen. Zuerst einmal zeigten die Diskussionen, dass im Bereich des humanitären Zugangs in bewaffneten Konflikten ein Bedarf an zusätzlichen Analysen und «Good Practices» besteht. Zudem wurde über den Unterschied zwischen humanitären und militärischen Operationen diskutiert, eine zentrale Unterscheidung, wenn Probleme bei der Tätigkeit des humanitären Personals vor Ort vermieden werden sollen. Auf operationeller Ebene sollte das OCHA insbesondere in der UNO wegen seiner koordinierenden Funktion bei der Lösung von Problemen im Zusammenhang mit dem humanitären Zugang eine grössere Rolle spielen. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer wiesen auf die Notwendigkeit hin, die Kapazitäten und Kompetenzen der humanitären Akteure für Verhandlungen über den Zugang zu verbessern.

Schliesslich wurde darauf hingewiesen, dass auf rechtlicher Ebene gewisse Unklarheiten bestehen, insbesondere was die Kriterien für die Verweigerung oder die Beschränkung des Zugangs für die humanitären Akteure betrifft.

Aufgrund dieses nützlichen und lehrreichen Treffens und seiner Schlussfolgerungen wurden Empfehlungen erarbeitet, wie diese Problematik weiterverfolgt werden soll.

Die Schweiz möchte die Arbeit in diesem Bereich fortsetzen und könnte sich insbesondere folgende Punkte vorstellen: ­

Erstellung von Fallstudien, z.B. in Zusammenarbeit mit den betroffenen politischen, operationellen und rechtlichen Akteuren, um die von diesen Akteuren gewählten Ansätze zu erfassen und zu analysieren und auf die konkreten Probleme hinzuweisen, die den humanitären Zugang begrenzen.

­

Aufgrund dieser Fallstudien Erarbeitung eines Handbuchs mit «Good Practices» für alle betroffenen Akteure vor Ort (staatlich, nichtstaatlich, humanitär, militärisch usw.) und eines Massnahmenkatalogs für die Umsetzung.

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­

Im Rahmen der Erarbeitung dieses Handbuchs könnte ein Expertentreffen organisiert werden, das sich gezielt mit rechtlichen Fragen und den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen befasst.

Private Militär- und Sicherheitsfirmen Zunehmend kommen in Konflikten jüngeren Datums private Militär- und Sicherheitsfirmen zum Einsatz. Die Präsenz solcher Akteure in Konfliktgebieten ist zwar kein neues Phänomen, doch haben sich deren Zahl und die Art ihrer Tätigkeiten seit Beginn der 1990er-Jahre verändert. Geschätzte 180 000 Angestellte von über 300 privaten Militär- und Sicherheitsfirmen sind beispielsweise zurzeit im Irak im Einsatz. Diese nehmen Aufgaben wahr, die immer näher bei den militärischen Kernaufgaben liegen, so etwa das Verhören von Gefangenen oder der Unterhalt technisch komplexer Waffensysteme.

Der Einsatz privater Firmen in bewaffneten Konflikten ist umstritten. Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle, in denen die im bewaffneten Konflikt geltenden völkerrechtlichen Regeln kodifiziert sind, sehen für solche Firmen keine massgebende Rolle vor. Übergriffe von Mitgliedern solcher Firmen im Irak haben in jüngerer Zeit den Eindruck genährt, dass die Angestellten privater Militär- und Sicherheitsfirmen in einem rechtsfreien Raum agieren und insbesondere keine Rechenschaft über ihr Handeln ablegen müssen.

Seit 2005 setzt sich das EDA (Direktion für Völkerrecht) dafür ein, dass das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte auch von privaten Militär- und Sicherheitsfirmen in Konfliktgebieten besser beachtet werden. Gemeinsam mit dem IKRK hat das EDA eine intergouvernementale Initiative lanciert. Infolge intensiver Bemühungen und vorgängiger Konsultationen auch mit der Zivilgesellschaft und der betroffenen Branche fand vom 15. bis 17. September 2008 das abschliessende Treffen der Initiative unter 17 hauptsächlich betroffenen Staaten statt, darunter die USA, Irak und Afghanistan.53 Diese verabschiedeten am letzten Tag des Treffens das Montreux-Dokument über private Militär- und Sicherheitsfirmen.54 Einerseits klärt und bekräftigt das Montreux-Dokument die von Staaten zu beachtenden völkerrechtlichen Verpflichtungen beim Einsatz privater Militär- und Sicherheitsfirmen. Nach dem geltenden Völkerrecht können sich Staaten ihren Verpflichtungen nicht entziehen, indem sie private Militär- und Sicherheitsfirmen einsetzen.

Sie müssen geeignete Massnahmen treffen, um Verstösse solcher Firmen gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu verhindern, und die notwendigen
Instrumente zur Ahndung von Rechtsverletzungen bereitstellen. Sie sind direkt verantwortlich für das Verhalten solcher Unternehmen, wenn diese im Auftrag der Regierung tätig sind.

Zum anderen führt das Dokument sogenannte «Good Practices» auf, welche Staaten bei der praktischen Umsetzung dieser Verpflichtungen konkret unterstützen sollen.

Empfohlen werden etwa der Erlass geeigneter Bestimmungen und die Einführung eines Lizenzverfahrens, um die Kontrolle und die Verantwortlichkeit der privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen zu erhöhen. Es ist wichtig, dass Angestellte 53

54

Die 17 Teilnehmerstaaten waren: Afghanistan, Angola, Australien, China, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Irak, Kanada, Österreich, Polen, Schweden, die Schweiz, Sierra Leone, Südafrika, die Ukraine und die USA.

Inzwischen ist das Montreux-Dokument als offizielles Dokument der UNO abrufbar.

Siehe UN Doc. A/63/467­S/2008/636 (6. Okt. 2008). Originalsprache ist Englisch.

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überprüft und im Bereich des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte ausgebildet werden, dass rechtskonforme Einsatzverfahren und -regeln entwickelt und interne Verfahren vorgesehen werden, um Rechtsverletzungen des Personals zu ahnden.

Insbesondere hält das Montreux-Dokument aber fest, dass private Militär- und Sicherheitsfirmen nicht in einem rechtsfreien Raum agieren. Darüber waren sich sämtliche Teilnehmerstaaten in Montreux einig.

Weitere Staaten und internationale Organisationen sowie die Branche selbst sind nun aufgefordert, das Dokument als Referenztext zu verwenden und die darin vorgeschlagenen Massnahmen umzusetzen. Der Kreis der Teilnehmerstaaten soll erweitert werden. Das EDA ist deshalb zusammen mit dem IKRK darum bemüht, das Montreux-Dokument über die bisherigen Teilnehmerstaaten hinaus bekannt zu machen. Präsentationen in internationalen Organisationen wie UNO, NATO, OSZE, OAS, Europarat und EU sind Teil dieser Bemühungen, ebenso die Durchführung von Seminaren in Asien, Afrika und Lateinamerika. Darüber hinaus hat die Politische Direktion (Politische Abteilung IV) interessierte Unternehmen und Interessenverbände zu einem internationalen Dialog eingeladen, dessen Ziel die Verabschiedung eines global anerkannten Verhaltenskodex für die Branche ist.

3.3.7.4

Der Internationale Strafgerichtshof

Die Schweiz wirkte von Beginn an bei den Verhandlungen über die Schaffung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs mit und setzte sich für einen starken, universellen und unabhängigen Gerichtshof ein. Dieses Engagement hörte mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court, ICC) und der Ratifizierung des Römer Statuts durch die Schweiz (SR 0.312.1) nicht auf.

Die Schweiz setzt sich weiterhin unermüdlich für die Förderung der internationalen Strafgerichtsbarkeit und insbesondere des ICC ein, der zum Hauptpfeiler der internationalen Strafverfolgung geworden ist. Das Engagement der Schweiz nährt sich aus der Überzeugung, dass der Kampf gegen die Straflosigkeit schwerster Verbrechen ein wesentlicher Faktor für die Herstellung und die Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit ist.

In den Jahren 2007 und 2008 beteiligte sich die Schweiz aktiv an den Gesprächen und Verhandlungen an den Jahreskonferenzen der Vertragsstaaten des Römer Statuts. Sie wird dieses Engagement weiterführen und auch an der Konferenz zur Überprüfung des Römer Statuts teilnehmen, die in der ersten Hälfte des Jahres 2010 stattfindet. Die Schweiz beabsichtigt, sich nicht nur bei der Vorbereitung dieser Sonderkonferenz, vor allem bei den Verhandlungen über die Definition des Verbrechens der Aggression, aktiv einzubringen. Sie will in den Verhandlungen auch darauf hinwirken, dass bei der Revision des Römer Statuts für den Gerichtshof realistische Lösungen gefunden werden.

Die Schweiz hat den Strafgerichtshof stets unterstützt. Sie tat dies einerseits in Form von ordentlichen und freiwilligen finanziellen Beiträgen, etwa an den Treuhandfonds für die Opfer von Verbrechen, andererseits durch die Zusammenarbeit mit dem ICC. In diesem Rahmen wird die Schweiz in den nächsten beiden Jahren prüfen, ob sie das Übereinkommen über die Privilegien und Immunitäten des ICC ratifizieren kann, das sie im September 2002 unterzeichnet hat.

6437

Zudem unterstützt die Schweiz in verschiedenen Staaten Projekte, mit denen die weltweite Ratifizierung des Römer Statuts und dessen Umsetzung auf nationaler Ebene gefördert werden sollen. Schliesslich hat der Bundesrat dem Parlament am 23. April 2008 seine Botschaft über die Änderung von Bundesgesetzen zur Umsetzung des Römer Statuts des ICC überwiesen55.

3.3.7.5

Die Problematik der Potentatengelder

Seit dem Ende der 1980er-Jahre hat die Frage der Potentatengelder aufgrund mehrerer aufsehenerregender Fälle (Marcos, Abacha, Montesinos) in der Schweizer Aussenpolitik an Bedeutung gewonnen. Diese Vermögenswerte von politisch exponierten Personen werden oftmals aus Ländern abgezogen, in denen sie veruntreut wurden, und gelangen auf die internationalen Finanzplätze, unter anderem in die Schweiz.

Angesichts dieser Entwicklung hat die Schweiz ein System entwickelt, das auf zwei Säulen beruht: der Prävention und der Rechtshilfe.

Der Bereich Prävention wurde in Zusammenarbeit mit dem Bankensektor ausgebaut. Eines der wichtigsten Instrumente ist hier das Geldwäschereigesetz vom 10. Oktober 1997 (SR 955.0). Es verpflichtet die Finanzintermediäre, unrechtmässig erworbene Vermögenswerte zu identifizieren und sie der Meldestelle für Geldwäscherei MROS (Money Laundering Reporting Office of Switzerland) zu melden.

Die zweite Säule stützt sich auf das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. März 1981 (SR 351.1), das die Zusammenarbeit mit Drittstaaten bei der Beschlagnahmung und Rückführung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ermöglicht. Das wachsende Problem der sogenannten «Failed States» hat jedoch die Grenzen des Systems aufgezeigt, wie etwa die Fälle Duvalier und Mobutu deutlich machen.

Insgesamt hat sich das System aber bewährt. Mit über 1,7 Milliarden Franken hat die Schweiz in den letzten 15 Jahren den Herkunftsländern mehr Geld zurückerstattet als jeder andere Finanzplatz der Welt. Trotz dieser positiven Bilanz sind die Möglichkeiten unseres Systems vor allem im Ausland immer noch weitgehend unbekannt. Zudem werfen illegale Gelder und insbesondere unrechtmässig erworbene Vermögenswerte von politisch exponierten Personen, ob sie nun aus Korruption oder der Veruntreuung öffentlicher Gelder stammen, ein schlechtes Licht auf die Schweizer Finanzinstitute.

Die Schweiz findet nur sehr wenig Unterstützung bei ihren Bemühungen zu zeigen, dass ihr System zur Bekämpfung der Geldwäscherei und das gesetzliche Instrumentarium, das die Rechtshilfe zur Wiedererlangung solcher Gelder erleichtert, gut funktionieren. Sie steht deshalb bei ihrer Kommunikationspolitik vor einer echten Herausforderung: Sie muss zeigen, dass die zahlreichen Blockierungen von widerrechtlich erworbenen
Geldern auf unserem Finanzplatz nicht darauf gründen, dass diese Gelder wegen des Schutzes durch das Bankgeheimnis in der Schweiz liegen.

Vielmehr hat die Schweiz die erforderlichen Instrumente geschaffen und zeigt den politischen Willen, solche Vermögenswerte ausfindig zu machen, zu beschlagnahmen und zu blockieren.

55

BBl 2008 3863

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Als Pionierin bei der Rückerstattung von Potentatengeldern ist die Schweiz auf internationaler und nationaler Ebene aktiv: a. Internationales Engagement der Schweiz Die Schweiz lancierte und unterstützt verschiedene Initiativen zur Förderung einer koordinierten Bekämpfung der Finanzkriminalität auf internationaler Ebene. Die internationalen Finanzzentren müssen gemeinsam den Zufluss krimineller Gelder verhindern, entsprechende Vermögenswerte rasch blockieren und sie den rechtmässigen Eigentümerinnen und Eigentümern zurückerstatten: ­

2001 lancierte die Schweiz den Lausanne-Prozess, in dessen Rahmen Fachleute aus aller Welt regelmässig zusammenkommen, um die bestehenden Verfahren zu verbessern und Kontakte zu knüpfen. Bei diesem Prozess geht es auch darum, auf technischer Ebene ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, damit Fälle von internationaler Rechtshilfe zur Wiedererlangung von Geldern besser gelöst werden können. Am Seminar «Lausanne IV», das vom 25.­27. Mai 2008 stattfand, nahmen rund 60 Regierungsvertreterinnen und -vertreter sowie internationale Expertinnen und Experten teil. Sie diskutierten vor allem über die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Wiedererlangung von Vermögenswerten, die sich aus dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ergeben. Ebenfalls Gegenstand der Gespräche waren die Herausforderungen, die sich in den immer zahlreicher werdenden Fällen von «Failed States» stellen.

­

Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Geldgebern des in Basel ansässigen «International Center for Asset Recovery» (ICAR), und zwar seit dessen Gründung. Ziel dieses Zentrums ist es, die Entwicklungs- und Transitionsländer bei ihren Bemühungen zur Wiedererlangung von Vermögenswerten zu unterstützen. Es leistet diesen Ländern technische Hilfe in Form von Kursen, mit denen Kapazitäten aufgebaut und die Schaffung der notwendigen Verfahren und Institutionen für die Rechtshilfe im Bereich der Rückerstattung von Geldern ermöglicht werden. Das ICAR hat auch ein breites Angebot an Kursen im Bereich Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung, die jeweils den lokalen Gegebenheiten und Realitäten angepasst werden.

Ausserdem bestehen Partnerschaften mit der Weltbank und dem UNODC.

­

Auf multilateraler Ebene ist die Schweiz die Hauptinitiantin einer Klausel im UNO-Übereinkommen gegen Korruption (Art. 57), welche die Staaten dazu verpflichtet, Ländern, die Opfer von Korruption geworden sind, widerrechtlich erworbene Vermögenswerte zurückzuerstatten. Diese Bestimmung stellt international ein Novum dar. Die Schweiz dürfte das UNO-Übereinkommen gegen Korruption 2009 ratifizieren und setzt sich dafür ein, dass dieses Übereinkommen ­ und insbesondere Artikel 57 ­ in der ganzen Welt umgesetzt und effizient angewendet wird, vor allem was die Behandlung von Potentatengeldern anbelangt. Die Schweiz beteiligt sich aktiv an den entsprechenden Arbeitsgruppen und Vertragsstaatenkonferenzen.

­

Die Schweiz arbeitet mit der «Stolen Assets Recovery Initiative» (StAR) zusammen, die von der Weltbank und dem UNODC im September 2007 lanciert wurde. Diese Initiative will insbesondere alle Staaten befähigen, internationale Rechtshilfeersuchen zu behandeln und einzureichen, effiziente Massnahmen zur Beschlagnahmung von illegalen Vermögenswerten zu ver6439

abschieden und umzusetzen und die Transparenz und Rechenschaftspflicht der öffentlichen Finanzverwaltungen zu verbessern.

b. Projekt eines Bundesgesetzes über die Beschlagnahmung und Rückerstattung von Potentatengeldern Als es im Juni 2007 schien, dass die Duvalier-Gelder freigegeben werden müssten, reichte Nationalrat Felix Gutzwiller ein Postulat zur Rechtshilfe im Falle von «Failing States» ein (07.3459). Darin wurde der Bundesrat beauftragt, Bericht zu erstatten über das Vorgehen der Schweiz bei der Herausgabe von Geldern, wenn der Staat, dem Rechtshilfe geleistet werden soll, nicht in der Lage ist, seine Verfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Menschenrechtsgarantien durchzuführen. Der Bundesrat hat das Postulat angenommen.

Nach Auffassung des Bundesrates bestehen hier tatsächlich Lücken, sodass ein Spezialgesetz wünschenswert wäre, das die bestehenden rechtlichen Bestimmungen zum Schutz des guten Rufs des Finanzplatzes Schweiz ergänzt. Dieses Gesetz soll dort zum Tragen kommen, wo das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht mehr greifen kann, weil die Voraussetzungen für Rechtshilfe nicht erfüllt sind. Mit dem Gesetz können auch die Voraussetzungen für die Rückerstattung beschlagnahmter Gelder geklärt werden, denn es liegt im Interesse der Schweiz, dass die Rückgabe transparent erfolgt und die Gelder der Bevölkerung der Herkunftsstaaten zugute kommen.

3.3.8

Gerechte und nachhaltige Entwicklung

3.3.8.1

Ausgangspunkt: die Millenniumserklärung und die MDGs

Der Kernauftrag der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit ist im Entwicklungshilfegesetz von 197656 festgelegt. Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz unterstützt Entwicklungsländer in ihren Eigenanstrengungen zur Armutsminderung. Die internationale Staatengemeinschaft hat im Jahre 2000 mit der Millenniumserklärung und den Millenniumsentwicklungszielen (Millennium Development Goals, MDGs) einen strategischen Handlungsrahmen mit entsprechenden Zielvorgaben bis 2015 gesteckt. Die DEZA unterstützt ihre Partnerländer bei der Erreichung dieser Ziele. Armut hat mehrdimensionale Ursachen. Finanz-, Ernährungs- und Klimakrise verstärken den Druck auf Entwicklungsländer massiv. Sie können die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte in der Armutsbekämpfung rückgängig machen. Die mit der Globalisierung verbundenen grenzüberschreitenden Auswirkungen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Handelns rücken heute Fragen der fairen und nachhaltigen Entwicklung ins Zentrum der internationalen Politik. Die von 189 Staaten verabschiedete Millenniumserklärung macht die positive Gestaltung der Globalisierung zu einer zentralen Herausforderung der Staatengemeinschaft. Für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele sind Entwicklungs- und Industrieländer gemeinsam verantwortlich. Das Prinzip der gemeinsamen und geteilten Verantwortung verlangt von den Entwicklungsländern Anstrengungen für politische und wirtschaftliche Reformen und von den OECD56

Bundesgesetz vom 19. März 1976 über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe, SR 974.0.

6440

Ländern die Berücksichtigung der Ansprüche der Entwicklungsländer in allen Politikbereichen sowie eine Aufstockung der öffentlichen Mittel für Entwicklungshilfe.

Internationale Konferenzen haben das Prinzip der globalen Partnerschaft bekräftigt, letztmals im Dezember 2008 in Doha. Um die Entwicklungszusammenarbeit wirksamer zu machen, haben sich die Geberländer auf gemeinsame Modalitäten (Pariser Erklärung 2005; Accra Aktionsagenda 2008) und auf eine stärkere Ergebnisorientierung in den Massnahmen geeinigt. Dieser Rahmen von Zielen, Prinzipien, Modalitäten und Ergebnisorientierung ist für die Schweizer Entwicklungspolitik eine wichtige Vorgabe.

3.3.8.2

Auswirkungen der globalen Krisen auf die Entwicklungsländer

Auswirkungen der Finanzkrise Die internationale Finanzkrise verschärft die Auswirkungen der Klima- und Ernährungskrise.

Die Volkswirtschaften der meisten Schwellen- und Entwicklungsländer haben sich in der Finanzkrise bis vor kurzem eher robust gezeigt. Die Auswirkungen werden aber vermehrt deutlich: Kurseinbrüche an den Börsen der Schwellenländer, stark gestiegene Risikoprämien auf Anleihen von Entwicklungsländern, Schwierigkeiten bei externer Finanzierung, Abwertungsdruck auf die Währungen, Liquiditätsengpässe lokaler Finanzinstitute.

Ein Abzug von Investitionen und ausbleibende Kapitalzuflüsse werden starke wirtschaftliche Auswirkungen haben. Steigende Kosten für Kredite führen zu einem Rückgang des Wachstums. Für Rohstoff- und Energieexporteure in Afrika, Asien und Lateinamerika bringt ein Absinken der Öl- und Rohstoffpreise Einnahmenverluste. Rohstoff- und Energieimporteure hingegen können entlastet werden. Die Wachstumseinbrüche in den Industrieländern werden sich auf die Finanztransfers aus Industrieländern in arme Länder auswirken (z.B. Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten).

In besonderem Masse sind Entwicklungsländer mit engen Wirtschaftsbeziehungen zu den USA (Mexiko, Länder Mittel- und Südamerikas) betroffen. Wegen des Einbruchs der US-Nachfrage werden ihre Exporte sinken. Eine deutliche Verlangsamung werden osteuropäische Transformationsländer erfahren, vor allem wegen der rückläufigen Exporte nach Westeuropa. Im südlich der Sahara gelegenen Teil Afrikas bestehen grössere Unterschiede; die Ausfuhr von Rohstoffen hängt von der Wirtschaftslage der betroffenen Länder ab. Es ist davon auszugehen, dass die humanitären Bedürfnisse in Entwicklungsländern, die von den Auswirkungen der Finanzkrise betroffen sind, stark zunehmen.

Die Auswirkungen der Finanzkrise können UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zufolge die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte in der Armutsbekämpfung rückgängig machen und die bis 2015 zu erreichenden Millenniumsentwicklungsziele in weite Ferne rücken. Viele Staats- und Regierungschefs haben an der UNO-Generalversammlung im Herbst 2008 darauf hingewiesen, dass eine globale nachhaltige Entwicklung eine Neugestaltung der Weltwirtschaftsordnung erfordert.

Was das Krisenmanagement betrifft, leistet der Internationale Währungsfonds einer Reihe von Ländern Zahlungsbilanzkredite (siehe auch Ziff. 3.4.2). Die Weltbank 6441

unterstützt mit «Policy Loans» mittlere Einkommensländer und trägt zur Rekapitalisierung von Bankensystemen in Entwicklungsländern bei. Regionale Entwicklungsbanken werden ihre Ausleihungen erhöhen müssen, was möglicherweise Kapitalaufstockungen erforderlich macht. Mittel- und langfristige Lösungen (wie z.B. die neue Initiative des UNO-Umweltprogramms «Global Green New Deal») verbinden die Finanz-, Klima- und Ernährungskrise und treiben eine «grüne» Modernisierung der Weltwirtschaft voran.

Auswirkungen der Ernährungskrise Die Zahl der weltweit hungernden Menschen ist innerhalb eines Jahres von 848 auf 923 Millionen angestiegen. In 33 Ländern leiden die Menschen unter einer dramatischen Hungersnot. Der kürzlich veröffentlichte «Welthunger-Index» spricht von einer «alarmierenden oder extrem alarmierenden Hungersituation». Trotz Fortschritten in einigen Regionen (Süd- und Südostasien, Naher Osten, Nordafrika, Lateinamerika und Karibik) bleibt die Zahl der Hungernden in Südasien und in Afrika südlich der Sahara (Demokratische Republik Kongo, Eritrea, Burundi, Simbabwe, Niger und Sierra Leone) hoch. Ein Ende hoher Lebensmittelpreise ist noch nicht in Sicht. Im Vergleich zum rasanten Preiszerfall bei Öl und Agrarrohstoffen blieben die Endverbraucherpreise für Lebensmittel bisher fast konstant.

Nach Schätzungen der UNO sind 25­40 Milliarden US-Dollar nötig, um die Hungerkrise zu überwinden. Die Hilfszahlungen für die Landwirtschaft haben sich von 18 % in den 1980er-Jahren auf knapp 4 % des gesamten Budgets für Entwicklungszusammenarbeit verringert. In den Entwicklungsländern geben Familien knapp zwei Drittel ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Einer Oxfam-Studie zufolge haben von den Profiten aus den Preissteigerungen vor allem wenige internationale Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten profitiert. Moderat höhere Preise für Agrarprodukte können für Entwicklung und Armutsbekämpfung dann positiv genutzt werden, wenn es gelingt, die marktorientierte Produktionskapazität und die Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten zu erhöhen.

Für eine langfristig erfolgreiche Lösung der Ernährungskrise muss das Recht auf Nahrung zur Grundlage für die Ausgestaltung der Strategien der ländlichen Entwicklung und Hungerbekämpfung werden. Zentral sind die schonende Nutzung der Ressource Boden und die Verbesserung
der Bodenfruchtbarkeit. Nebst der Erhaltung der Biodiversität spielen auch der Kampf gegen die Wüstenbildung und der Schutz der Wälder eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit und die Armutsbekämpfung. Die nachhaltige Erhaltung und die Nutzung der Biodiversität stellen in der Tat den Grundpfeiler für das Management von Ökosystemen dar. Denn oft sind es die ärmsten Bevölkerungsgruppen, die besonders stark von ihrem natürlichen Umfeld und seinen Ressourcen abhängen. Sowohl in der Agrarforschung als auch in den Operationen der Entwicklungszusammenarbeit muss dieses Ziel prioritär sein und müssen entsprechende Massnahmen ausreichend finanziert werden. Die DEZA verfügt über eine langjährige Erfahrung im Bereich der ländlichen Entwicklung. 2007 hat sie knapp 20 % der Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit für Projekte und Programme in diesem Bereich eingesetzt.

Auswirkungen der Klimakrise Der enge Zusammenhang zwischen Klima- und Umweltpolitik sowie Entwicklungspolitik ist heute allgemein anerkannt. Ein ungebremster Klimawandel trifft insbesondere arme Länder und zerstört dort landwirtschaftliche Flächen, verschärft Was6442

serprobleme, führt zu extremen Wetterereignissen und Katastrophen und verursacht massive Verluste und wirtschaftliche Kosten. Eine globale nachhaltige Entwicklung erfordert sowohl Änderungen bezüglich des Umgangs mit natürlichen Ressourcen wie auch Massnahmen zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele.

Anders als die meisten Industrieländer, die in gemässigten klimatischen Zonen liegen, sind die Entwicklungsländer aufgrund ihrer geografischen Lage besonders stark exponiert. Der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderung (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) prognostizierte in seinem vierten Sachstandsbericht 200757, dass die Intensität und Häufigkeit von Extremwetterlagen wie Wirbelstürme oder Dürreperioden stark zunehmen werden. Eine wetterabhängige Landwirtschaft prägt die Wirtschaftslage vieler Entwicklungsländer. In armen Ländern wird sich die Einkommens- und Nahrungsmittelsituation wegen der globalen Erwärmung verschlechtern. In Afrika dürften bis zum Ende des Jahrhunderts wegen der knapper werdenden Ressource Wasser 9 % der gesamten Anbaufläche verloren gehen.

Was die Anpassungskapazitäten der Entwicklungsländer anbelangt, fehlt es häufig an Mitteln für gezielte Massnahmen. Es herrscht Mangel an kompetentem Personal und handlungsfähigen Institutionen. Dies gilt besonders dort, wo politische Verhältnisse instabil sind. Viele Länder unternehmen massive Anstrengungen zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele. Die Wirkung wird jedoch beschränkt bleiben, wenn die OECD- und Schwellenländer (die weitgehend für die Treibhausgase verantwortlich sind) arme Länder bei der Anpassung an den Klimawandel nicht stark unterstützen. Die Industrieländer haben sich in der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) dazu verpflichtet, Unterstützung zu leisten. Bei der Anpassung an den Klimawandel geht es nicht um separate Aktivitäten, sondern vielmehr um kohärente Entwicklungsstrategien. Arme Länder müssen bei der Umsetzung von Strategien zur Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden. Eine solche Unterstützung soll die Massnahmen zur Armutsbekämpfung ergänzen.

Klimatische Extremereignisse können die Entwicklungsvorhaben in armen Ländern, die auf Katastrophen häufig schlecht vorbereitet sind, um Jahre zurückwerfen. Mit den Instrumenten
der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit sowie den Leistungen weiterer Bundesstellen unterstützt die Schweiz Länder in der Prävention von und der Vorbereitung auf Klimakatastrophen. Sie leistet damit auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Entwicklungsvorhaben.

Der Klimagipfel von Posen (Dezember 2008) hat die formalen Voraussetzungen geschaffen, die es erlauben, 2009 in Kopenhagen ein ambitioniertes globales Abkommen für die Zeit nach 2012 zu vereinbaren. Bei vielen Industriestaaten war die Bereitschaft noch schwach, ernsthaft über eine Verringerung ihrer Emissionen bis 2020 um 25­40 % gegenüber 1990 ­ gemäss den Vorgaben des IPCC ­ zu verhandeln. Eine Ausnahme bildeten die EU, Norwegen und die Schweiz. Weiterhin unklar ist, wie die Finanz- und Technologiekooperation mit armen Ländern ausgebaut und nachhaltig verankert werden kann. In dieser Hinsicht sind aber die 2008 lancierten Klimainvestitionsfonds («Climate Investment Funds») der Weltbank vielversprechend. Diese sind mit mehreren Milliarden Dollar dotiert. Der Entscheid über eine finanzielle Beteiligung der Schweiz steht zum jetzigen Zeitpunkt noch aus.

57

www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/syr/ar4_syr.pdf

6443

Die Entwicklungsländer scheiterten beim Versuch, neue Finanzierungsquellen für den Kyoto-Adaptationsfonds zu erschliessen. Über die Ausgestaltung dieses Fonds hingegen gab es eine Einigung, sodass dieser voraussichtlich ab 2009 mit Projektfinanzierungen beginnen kann. Die Schweiz hat einen von 16 Sitzen im Exekutivrat dieses Fonds, der statt durch Gelder der öffentlichen Entwicklungshilfe durch eine innovative globale Steuer finanziert wird. Für die Finanzierung für Anpassungsmassnahmen nach 2012 schlägt die Schweiz eine weltweite CO2-Steuer vor, wobei der Steuersatz tief ist und die am wenigsten entwickelten Länder nur Empfänger von Geldern wären, selbst aber nicht einzahlen müssten.

Eine faire Klimapolitik erfordert im Besonderen drei Bausteine: starke eigene Minderungsleistungen der Industriestaaten; Umstieg auf eine nichtfossile Energiebasis; technologische und finanzielle Unterstützung der Entwicklungs- und insbesondere der Schwellenländer bei der Umstellung sowie Unterstützung der ärmeren Staaten bei der Anpassung an den unvermeidlichen Klimawandel.

Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit misst der Klimakrise eine immer grössere Bedeutung bei. In verschiedenen Ländern werden heute Programme in diesem Bereich umgesetzt. In einigen Fällen (z.B. Indien) stellt das Klima die Hauptkomponente der bilateralen Zusammenarbeit dar. Für 2009 ist ebenfalls ein globales Programm geplant, das sich mit Klimafragen befasst und sowohl bilaterale wie auch multilaterale Massnahmen enthält. Mit diesen Klimaprogrammen unterstützt die DEZA auch andere Vorhaben der Schweiz auf diesem Gebiet wie diejenigen des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).

Die Migration und die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit Die Mobilität ist ein Phänomen der globalisierten Welt. Die bereits genannten Krisen werden diesen Trend noch verstärken. Die Auswirkungen des Klimawandels (Naturkatastrophen, Trockenheit usw.) und der Armut, aber auch die Folgen der Finanzkrise und die Verschärfung der Menschenrechtssituation werden einen immer grösseren Anteil der Weltbevölkerung zur Migration zwingen. Migration und Entwicklung sind folglich eng miteinander verknüpft. Vor diesem Hintergrund versucht die DEZA mit ihren Programmen in den wichtigsten Herkunfts- und Durchgangsländern der
Migrationsströme Richtung Schweiz präventiv gegen die Migration vorzugehen. Das globale Migrationsprogramm ist ein fester Bestandteil des Beitrags des EDA an die schweizerische Migrationspolitik. Konkret und gezielt sollen mit diesen Vorhaben neue Möglichkeiten für die ärmsten Bevölkerungsgruppen geschaffen werden (z.B.

Berufsbildung oder effizienter Umgang mit den Auslandüberweisungen). Denkbar sind auch Anstrengungen zur Konfliktprävention und zum Schutz der Bevölkerung in fragilen Staaten. Die Ergebnisse und Lehren, die aus diesen Aktivitäten gezogen werden, dienen als Grundlage für den bilateralen Dialog der Schweiz mit den Durchgangs- oder Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten.

3.3.8.3

Änderungen der Entwicklungsarchitektur: Potenzial für die Schweiz

Eine der wichtigsten Lehren aus der gegenwärtigen Finanzkrise lautet: In einer zunehmend multipolaren Welt sind globale Interdependenzprobleme vermehrt durch multilaterale Kooperation und ausgewogenen Interessenausgleich zu bewältigen.

6444

Dabei müssen die Entwicklungs- und Schwellenländer bei den für sie relevanten Themen stärker einbezogen werden. Die zweite UNO-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung hat im Dezember 2008 in Doha entschieden, dass das Thema der «Global Governance» nicht von der G-20 monopolisiert werden darf. Das Gewicht der UNO-Mehrheit in der Reform der internationalen Finanzarchitektur konnte erhöht werden. Die Industrieländer werden im Konsens von Doha aufgefordert, zusätzliche konkrete Schritte zur Erreichung des 0,7 %-Ziels einzuleiten. Weitere Initiativen und Finanzierungsinstrumente werden gebraucht, um die Entwicklungsfinanzierung abzusichern. Der Doha-Konsens bekräftigt, dass die Reform der internationalen Finanzinstitutionen fortgeführt und der Zugang zur Welthandelsorganisation für Entwicklungsländer weiter unterstützt werden soll. Ein Fortschritt gegenüber dem Monterrey-Konsens besteht darin, dass ein Nachfolgeprozess festgelegt wurde, der eine Kontrolle über die Umsetzung der Beschlüsse möglich macht.

Angesichts des rasanten Bedeutungszuwachses einer ganzen Reihe von Entwicklungsländern stellt sich die Frage, entlang welchen normativen Leitlinien westliche Demokratien drängende regionale und globale Probleme verhandeln wollen. Globale Fragen, Ernährungssicherheit, internationaler Klimaschutz, UNO-Reform, die Eindämmung des transnationalen Terrorismus oder die Lösung von Gewaltkonflikten sind für die mit zunehmender Verhandlungsmacht ausgestatteten Ankerländer (China, Indien, Brasilien, Südafrika) aufs Engste mit entwicklungspolitischen Fragen nach Wachstum und Wohlstand verknüpft. Ein erfolgreiches Auftreten gegenüber den Entwicklungsländern erfordert dementsprechend einen überzeugenden entwicklungspolitischen Orientierungsrahmen über das Verhältnis von Staat, Markt und Demokratie.

International trag- und konsensfähige Konzepte für die Entwicklungspolitik werden von drei Gravitationszentren des internationalen Systems erwartet. Ein erster Hoffnungsträger ist die neue Regierung der USA unter Präsident Barack Obama. Ein sich in der Aussenpolitik manifestierender New Global Deal wird nicht nur sozialstaatliche und regulierungsintensive Aspekte in die internationalen Organisationen der Entwicklungspolitik einbringen, sondern zugleich eine Hinwendung zu kooperativen und damit kompromissbereiteren Formen
des multilateralen Engagements bedeuten.

Ein weiterer Impulsgeber mit hohem normativem Gestaltungspotenzial ist China.

Mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung und der internationalen Bedeutung ist von einem neuen Ansatz in der Entwicklungspolitik, dem sogenannten Pekinger Modell für Entwicklungsländer die Rede. In dem Masse, wie die enormen Devisenreserven Chinas auch international zur Bewältigung der Finanzkrise eingesetzt werden, kann China deren Verwendung an wirtschaftspolitische Vorgaben knüpfen.

Der dritte Impulsgeber ist die EU.

Die Globalisierung hat die internationale Aufmerksamkeit darauf gerichtet, ob und wie die Gewinner der Globalisierung ihrem wirtschaftlichen und politischen Gewicht entsprechend Verantwortung in der Klima-, Finanz- und Handelspolitik wahrnehmen. Das betrifft nicht nur die direkten Beziehungen zwischen den Industrieländern und den grossen dynamischen Entwicklungsländern, wie z.B. China und Indien, sondern zunehmend auch deren Rolle für die ärmeren Entwicklungsländer als Rohstoffimporteure und Investoren. Die Gestaltung der Globalisierung erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie-, Anker- und Entwicklungsländern.

Die Lösung weltweiter Probleme wie Finanzstabilität, Ernährungssicherheit und Klimawandel, aber auch die Stabilisierung schwacher Staaten oder Regionen und die Migration erfordern eine enge Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern.

6445

Finanz-, Ernährungs- und Energiekrise führen ­ aufgrund von Machtverschiebungen ­ zu stärkeren Unterschieden in der Gruppe der Entwicklungsländer. Sie akzentuieren zudem die Beziehungen der OECD-Länder zu den Entwicklungsländern: ­

die Finanzkrise im Hinblick auf Sicherheit: Wird die Entwicklung einer neuen globalen Gouvernanz ein besseres Krisenmanagement erlauben und zu einer erhöhten Stabilität weltweit führen?

­

die Ernährungskrise im Hinblick auf Gerechtigkeit: Ist der Hunger der Ärmsten gerechtfertigt angesichts der Ursachen der Krise? Einflüsse der Finanzmärkte auf die Rohstoffpreise, Verwendung von Lebensmitteln für Nichternährungszwecke, Versorgungslücken wegen Zollschranken usw.

­

die Energiekrise im Hinblick auf Nachhaltigkeit: Passt sich der Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Industrie- und Schwellenländer genügend schnell ihrer begrenzten Verfügbarkeit und ihrer veränderten Verteilung an?

Die Finanzkrise zeigt zudem, dass die Nationalstaaten allein mit der Dynamik der Globalisierung nicht Schritt halten können. Die bestehenden Bemühungen der Entwicklungsländer zur Armutsbekämpfung werden nur erfolgreich sein, wenn globale Rahmenbedingungen die Entwicklungsländer in die internationale Entwicklungsdynamik einbeziehen.

Die aktuelle Krise eröffnet die Chance, globale wirtschaftliche Arrangements neu zu bewerten, Institutionen und Instrumente zu entwickeln, welche die Stabilität und Gerechtigkeit des globalen Finanzsystems stärken. Fragen der «Global Governance» sind wieder ganz oben auf der internationalen Agenda. Das verschiebt auch die Parameter der Entwicklungspolitik.

Aus Schweizer Perspektive muss es darum gehen, in diesem Prozess der Umstrukturierung internationale Gestaltungsspielräume zu sichern und auszubauen. Die Schweiz will die Chancen, die in der gegenwärtigen Krise für eine globale Neuordnung der Beziehungen zwischen der OECD und den Entwicklungsländern liegen, nutzen. Vorschläge zur Neuordnung der Finanzmärkte müssten einhergehen mit Initiativen gegen die Hunger- und Ernährungskrise, mit Vorstössen in der Handelsund Klimapolitik, um die Weichenstellungen in Richtung einer auf nichtfossilen Energieträgern aufgebauten Weltwirtschaft zu verknüpfen. Die Schweiz will, im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel, eine deutlich sichtbarere Rolle bei den multilateralen Entwicklungsagenturen einnehmen und mit einem entwicklungspolitischen Aktionsplan vorangehen, der die Folgen der Finanzkrise in den Entwicklungsländern zu bekämpfen hilft. Die Schweiz hält an den Klimazielen fest.

3.3.8.4

Strategie des Bundes im Entwicklungsbereich

Die vom Bundesrat im Frühjahr 2008 beschlossene und vom Parlament im Dezember verabschiedete Botschaft über die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit und der Finanzhilfe zugunsten von Entwicklungsländern58 enthält zum ersten Mal eine einheitliche entwicklungspolitische Strategie des Bundes. Sie ist zwar noch vor den genannten Krisen entstanden. In ihrer Darstellung, wie heute die internationale Politik in einer vernetzten Welt die Entwicklungschancen der Entwicklungslän58

BBl 2008 2959

6446

der bestimmt und welchen Beitrag die Schweiz leisten kann, liegt sie jedoch richtig.

Sie zeigt, wie die Schweiz international agiert, um ihre wohlverstandenen Interessen zu wahren.

Eine Beschränkung der Entwicklungspolitik auf die Armutsbekämpfung vor Ort wird den heutigen Problemen im Verhältnis zwischen den OECD-Ländern und den Entwicklungsländern nicht gerecht. Entwicklungspolitik ist heute ein Politikbereich, der Aussen-, Sicherheits-, Handels-, Finanz-, Landwirtschafts- und Umweltpolitik einbeziehen muss. Die Entwicklungspolitik des Bundes ist auf drei Ebenen aktiv: 1.

Die Schweiz setzt sich gemeinsam mit anderen Staaten für globale Rahmenbedingungen ein, die den Chancen für Entwicklungsländer Rechnung trägt und eine globale nachhaltige Entwicklung fördert. Entwicklungspolitik ist demzufolge Teil der Aussenpolitik und für die Gestaltung der aussenorientierten Beziehungen der Schweiz besonders wichtig.

2.

Die Schweiz unterstützt schwerpunktmässig einzelne Länder in ihren Eigenanstrengungen, ihre Entwicklungsprobleme zu lösen. Langfristig sind nur die Länder selber in der Lage, Entwicklung und Wohlstand zu schaffen.

Geber und multilaterale Organisationen können dazu Beiträge leisten. Deshalb sind die Massnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zur Förderung von Rechtstaatlichkeit, guter Regierungsführung, von Grund- und Menschenrechten sowie demokratischen Institutionen von herausragender Bedeutung.

3.

Weiterhin erforderlich sind konkrete Programme und Projekte, die es benachteiligten Bevölkerungsgruppen ermöglichen, die unterste Stufe der gesellschaftlichen Leiter zu erreichen. Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit (Staat, zivilgesellschaftliche Organisationen) wird auch künftig benachteiligte Bevölkerungsgruppen direkt unterstützen.

Wie kann Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, die Interdependenzen zwischen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Entwicklung für einen positiven Reformprozess zu nutzen? Wie kann die Globalisierung entwicklungsfreundlich gestaltet werden? In einer global dicht vernetzten Welt umfasst die Entwicklungspolitik des Bundes drei strategische Schwerpunkte: 1.

Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele und Verminderung der Armut: Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz soll die eigenen Anstrengungen ausgewählter Partnerländer in der Armutsreduktion unterstützen und zur Erreichung national angepasster Millenniumsentwicklungsziele beitragen.

2.

Förderung menschlicher Sicherheit und Reduktion von Sicherheitsrisiken: Die Schweiz trägt aktiv zur Prävention und Minderung der Folgen von lokalen oder regionalen Krisen bei. Dazu gehören Länder mit fragiler Staatlichkeit oder besonderen Entwicklungsproblemen, Umweltveränderungen als Folge des Klimawandels, unkontrollierter Migration aufgrund von Unterentwicklung oder Konflikten.

3.

Mitgestaltung einer entwicklungsfördernden Globalisierung: Die Schweiz leistet einen Beitrag zur Anwendung und Umsetzung von kooperativen Regeln für eine zukunftsfähige Globalisierung, damit die einzelnen Länder, die sich gegen Wirtschaftskrisen, Epidemien, ökologische Gefahren und staatenlose Gewalt nicht allein schützen können, in Zeiten sozialer und ökologischer Krisen weniger verwundbar sind.

6447

Ergänzend zu diesen drei Schwerpunkten wurden Gender und Gouvernanz als Querschnittsthemen bekräftigt; sie sollen in allen Aktivitäten angemessen berücksichtigt werden.

Die entwicklungspolitische Strategie des Bundes gilt für alle Akteure der Entwicklungszusammenarbeit, neben der DEZA auch für die entsprechenden Tätigkeiten des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und anderer Bundesstellen. Die Zahl der Schwerpunktländer wird reduziert, die Mittel werden stärker auf die verbleibenden Länder konzentriert. Sie führt auch zu einer Reduktion der heute bestehenden weiten thematischen Vielfalt der Aktivitäten. Die Kohärenz mit anderen Politikbereichen des Bundes wird gestärkt. Die Präsenz und Wirkung der DEZA vor Ort soll vergrössert werden. Die schweizerischen Beiträge sollen gut sichtbar sein. Die Schweiz soll sich in Bereichen engagieren, in denen unser Land selber über hohe Kompetenz und komparative Vorteile verfügt, weil sie so wirksame Arbeit leisten kann.

Kooperationsbereiche der Entwicklungszusammenarbeit Innerhalb dieser drei strategischen Schwerpunkte übernimmt die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit klar umrissene Aufgabenfelder in der Entwicklungszusammenarbeit. In insgesamt sechs Kooperationsbereichen werden zu erreichende Resultate definiert.

1.

Unterstützung von Armutsminderungsstrategien: Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit führt bilaterale und multilaterale Aktivitäten in zwölf Schwerpunktländern durch. Die Hälfte der Schwerpunktländer befindet sich in Afrika. Einkommen und Beschäftigung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Bildung, Gesundheit, Wasser, natürliche Ressourcen und Umwelt, Demokratieförderung und Rechtsstaatlichkeit/Menschenrechte sind die wichtigsten Arbeitsbereiche.

2.

Unterstützung ausgewählter Regionen mit fragiler Staatlichkeit, Konflikten und Sicherheitsrisiken: Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit unterstützt mittels sechs Sonderprogrammen ausgewählte Regionen mit fragiler Staatlichkeit, Konflikten und Sicherheitsrisiken. Im Vordergrund stehen Massnahmen zur Prävention von Risiken, unter anderem durch Stärkung des Staates, und zur Bewältigung von Konflikt- und Krisensituationen.

3.

Beitrag zur Mitgestaltung einer entwicklungsfördernden Globalisierung: Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit realisiert drei globale Programme: Ernährungssicherheit, Klimawandel, Migration.

4.

Finanzielle Beteilung an multilateralen Entwicklungsorganisationen und aktive Mitwirkung in ihren Leitungs- und Aufsichtsorganen: Die Schweiz leistet angemessene Finanzbeiträge an internationale Finanzierungsinstitutionen und Entwicklungsfonds, an entwicklungsrelevante UNO-Organisationen, an globale thematische Fonds und Netzwerke sowie an den Entwicklungshilfeausschuss der OECD.

5.

Zusammenarbeit mit Hilfswerken und Forschungsanstalten sowie öffentlichprivate Entwicklungspartnerschaften in der Schweiz: Zur Realisierung von Synergien arbeitet die DEZA mit spezialisierten Schweizer Hilfswerken, mit Firmen, die in Entwicklungsländern tätig sind, sowie mit Kompetenzzentren an Schweizer Universitäten und Hochschulen zusammen.

6448

6.

Koordination der Entwicklungspolitik in der Bundesverwaltung: Die DEZA koordiniert die Entwicklungspolitik und die Massnahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit allen beteiligten Organisationseinheiten der Bundesverwaltung.

In der Wintersession 2008 hat das Parlament den Bundesrat beauftragt, ihm eine Zusatzbotschaft zu unterbreiten mit dem Ziel, die öffentliche Entwicklungshilfe (APD) bis 2015 auf 0,5 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. Am 20. Mai 2009 hat der Bundesrat dieser Anfrage des Parlaments in Form eines Berichts stattgegeben. Der Bericht trägt der aktuellen wirtschaftlichen Situation Rechnung, vor allem der Tatsache dass, wie im Bericht zum Finanzplan 2011­2013 vom 19. August 2009 erwähnt ist, mit einem Defizit von mehr als 4 Milliarden Franken pro Jahr für jedes der im Finanzplan berücksichtigten Jahre zu rechnen ist.

Unter Einbezug der Regeln der Schuldenbremse führt dies zu einem Sanierungsbedarf von bis zu 10 Milliarden Franken über die Gesamtperiode.

Humanitäre Hilfe Die humanitäre Hilfe des Bundes hat ein weltweites Mandat. Sie rettet Leben und lindert Not, wo immer die Zivilbevölkerung von Krisen, Konflikten und Katastrophen direkt betroffen ist. Die humanitäre Hilfe leistet Unterstützung nach den Prinzipien des humanitären Völkerrechts. Sie setzt ihre Hilfe nach den Grundsätzen der Humanität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität um. Sie ist ­ im Unterschied zur Entwicklungszusammenarbeit ­ nicht an politische Bedingungen gebunden. Sie ist ein wichtiges Instrument im Einsatz für die Betroffenen von Konflikten und Katastrophen und ist ein wichtiger Ausdruck der internationalen Solidarität der Schweiz mit den betroffenen Ländern, Familien und Personen. Die humanitäre Hilfe des Bundes umfasst vier strategische Aufgabenfelder: (1) Prävention von und Vorbereitung auf Naturgefahren; (2) Nothilfe; (3) Wiederaufbau und (4) Anwaltschaft.

Sie hilft und unterstützt vor, während und nach Krisen oder Katastrophen.

1.

Naturgefahren: Zahlreiche Regionen in Entwicklungsländern sehen sich mit zunehmender Häufigkeit Naturkatastrophen ausgesetzt. Das Ausmass der Zerstörungen scheint sich zu erhöhen und führt zu akuten Notsituationen und erschwerten Lebensbedingungen für die oft bereits verletzliche Bevölkerung. Die meisten der 2008 für Soforthilfe bereitgestellten Mittel der DEZA wurden für Ereignisse in diesen Regionen eingesetzt (Zyklon in Myanmar, Erdbeben in China, Hurrikane in der Karibik, Überschwemmungen in Bolivien und Nepal, Kältewelle in Zentralasien). Vermehrte Anstrengungen im Bereich der Risikoverminderung («Disaster Risk Reduction») müssen unternommen werden, um die Behörden und die Bevölkerung bei der Vorbereitung auf die zunehmenden Naturkatastrophen zu stärken. Eine intensive Zusammenarbeit der verschiedenen DEZA-Bereiche ist besonders in der Prävention und Vorbereitung für den Fall von Naturkatastrophen vordringlich. So spielt Risikominderung gegenüber Naturkatastrophen eine wichtige Rolle sowohl für den Schutz der Bevölkerung als auch für die Nachhaltigkeit der Entwicklungsvorhaben. Prävention hat einen engen Bezug zum neuen Globalen Programm Klimawandel. Die gemeinsamen Initiativen für Anpassungsmassnahmen aufgrund des Klimawandels und für den Schutz vor Naturkatastrophen zum Beispiel in Peru oder in Bangladesch sind vielversprechend. Neben dem Thema Klimawandel bieten auch die anderen Globalen Programme (Migration, Ernährungssicherheit) und das 6449

Engagement im Wassersektor zahlreiche Möglichkeiten für eine enge Zusammenarbeit zwischen Entwicklung und humanitärer Hilfe. Die Rolle des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) wird im 2009 auch neu auf die Bedürfnisse im Rahmen der Globalen Programme ausgerichtet werden.

2.

Rapid Response: Die Abläufe der «Rapid Response» der Sofort- und Überlebenshilfe der humanitären Hilfe des Bundes sind ISO-9001-zertifiziert.

Damit wird eine rasche und effiziente Umsetzung der Nothilfemassnahmen sichergestellt. Die Rettungskette Schweiz, ein weiteres wichtiges Einsatzinstrument, bestand im November 2008 erfolgreich die UNO-Klassifizierung.

Diese vom UNO-Koordinationsbüro für humanitäre Hilfe (OCHA) kontrollierte Einsatzfähigkeit zeichnet weltweit jene Retterteams aus, die in schwierigen Situationen Menschen aus komplexen Trümmerlagen retten können.

Die Schweiz gehört damit als eines der 5 zertifizierten Teams zur Weltspitze.

3.

Krisen und Konflikte: Krisen und Konflikte gefährden die menschliche Sicherheit und zwingen die Bevölkerung, ihr Heim zu verlassen. In Kolumbien leidet vor allem die ländliche Zivilbevölkerung unter der zunehmenden Anzahl von bewaffneten und sich gegenseitig bekämpfenden Gruppierungen. Die Intensivierung des Konflikts in Sri Lanka hat zu einer weiteren Verschlechterung der Menschenrechtssituation und des Zugangs zu den Konfliktopfern geführt. Die Versorgung von intern Vertriebenen und Flüchtlingen bleibt auch in Afghanistan und Pakistan ein besorgniserregendes Problem. Die internationale Gemeinschaft ist herausgefordert, die Schutzkomponente in ihren Engagements zu verstärken, um die Opfer von Krisen und Konflikten zu unterstützen. Das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten («United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East», UNRWA) ist der wichtigste Erbringer von Dienstleistungen für Palästina-Flüchtlinge. Die Schweiz unterstützt die UNRWA und damit die Betroffenen des Nahostkonflikts mit Beträgen an das Globalbudget und an die entsprechenden beiden Appelle (Nothilfe im besetzten palästinensischen Gebiet, Wiederaufbau von Nahr al Bared in Libanon). Während des Konflikts um Südossetien unterstützte die Schweiz die georgische Bevölkerung mit verschiedenen Nothilfemassnahmen: Hilfsgüter an Georgien, Detachierungen an das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge, an das UNO-Kinderhilfswerk, an das Welternährungsprogramm («World Food Programme», WFP), finanzieller Beitrag an das WFP und an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), «Cash for Winterization» in Westgeorgien (Bargeldunterstützung).

4.

Migration: Im Migrationsbereich wurden in Marokko und Libyen Nothilfemassnahmen zugunsten von gestrandeten Migrantinnen und Migranten und verletzlichen (z.T. inhaftierten oder sozial sehr schwachen) Flüchtlingen umgesetzt. Dabei ging es in erster Linie um die Abgabe von lebenswichtigen Gütern, psychologische Beratung, medizinische Grundversorgung, Schulbildung der Kinder und Verbesserung von Unterkunft. Im Jemen wurden ähnliche Hilfsprogramme zugunsten von Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten unterstützt und konkrete Aktivitäten für die Umsetzung des Konzepts «Protection in the region» eingeleitet.

6450

5.

Wiederaufbau und Transition: Im Wiederaufbau liegt die Herausforderung darin, allfällige Übergänge oder Transitionsprozesse von humanitärer Hilfe zu späteren Entwicklungsmassnahmen oder umgekehrt noch besser zu gestalten. Gerade in Ländern mit fragiler Staatlichkeit ist der arbeitsteilige und komplementäre Einsatz beider Instrumente entscheidend, um die Lebenssituation der Menschen vor Ort zu verbessern. Mit seinem SKH-Milizkorps hat die humanitäre Hilfe des Bundes unter anderem die Möglichkeit, direkte Aktionen vor Ort durchzuführen. Diese weltweit einzigartige Form der direkten Umsetzung von Programmen durch eine Regierungsorganisation gilt es ­ wo sinnvoll und falls kostengünstig ­ auch in der Entwicklungsund Ostzusammenarbeit nutzbar zu machen.

Wegen der Unvorsehbarkeit von Krisen und Katastrophen decken sich ihre hauptsächlichen Einsatzländer nicht notwendigerweise mit den Schwerpunktländern der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit. Wo dies aber der Fall ist (z. B. im Nahen Osten, in Afghanistan und in der Region der Grossen Seen) werden die eingesetzten Instrumente und Aktivitäten der DEZA im Interesse der Zielgruppen aufeinander abgestimmt, um nachhaltige Fortschritte und möglichst optimale Wirkung zu erzielen.

Ostzusammenarbeit Die Ostzusammenarbeit besteht aus zwei Mandaten: (1) Transitionsunterstützung und (2) Erweiterungsbeitrag. Beide basieren auf dem Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas von 200659. Die 2007 durchgeführte Reorganisation der Ostzusammenarbeit der DEZA hat die notwendigen institutionellen Voraussetzungen und Strukturen geschaffen, um den schweizerischen Erweiterungsbeitrag an die neuen Mitgliedstaaten der EU umzusetzen.

Die Transitionsunterstützung leistet einen Beitrag an den Aufbau von demokratisch-rechtsstaatlichen Institutionen und fördert eine soziale, umweltverträgliche Marktwirtschaft in Osteuropa und der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS).

Eine langfristige Stabilität ist noch nicht gesichert. Die Länder Osteuropas und der GUS sind weiterhin auf westliche Hilfe angewiesen. Die Unterstützung der Schweiz erfolgt in jenen Ländern, in denen die reformpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse am grössten sind. Die Schweiz leistet mit Projekten in den Bereichen Sicherheit, Gouvernanz, Umwelt sowie wirtschaftlich-soziale Entwicklung einen Beitrag zu rechtstaatlichen und wirtschaftlichen Reformen sowie verbesserten Lebensbedingungen.

Bestimmend für die Schwerpunkte der Zusammenarbeit sind einerseits die nationalen Strategien und andererseits die europapolitische Agenda (Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess im Westbalkan; Europäische Nachbarschaftspolitik für Moldawien und die Ukraine). Der Aufbau von demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen und die Stärkung dezentraler, zentraler und zivilgesellschaftlicher Institutionen unterstützen den Reformprozess. Die Ostzusammenarbeit will ambitiöse Resultate erreichen: Stabilität, soziale Sicherheit, reduzierte Migration, ökologische Sicherheit. Geografisch führt sie die begonnene Konzentration weiter, 2008 mit der Rückstufung von Mazedonien vom Schwerpunkt- zum Sonderprogramm.

59

Bundesgesetz vom 24. März 2006 über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas, SR 974.1.

6451

Die Schweiz profitiert mehrfach von der Osterweiterung der EU. Sie hat ein besonderes Interesse an einer friedlichen und stabilen Entwicklung sowie an einem sozial und ökologisch verträglichen Wachstum in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Der Erweiterungsbeitrag ist ein Instrument der schweizerischen Europapolitik und Bestandteil des gewählten bilateralen Wegs. Er trägt zur positiven Wahrnehmung der Schweiz als verlässlicher Partnerin bei, hilft die politische Zusammenarbeit zu vertiefen und verstärkt die bilateralen Beziehungen. Eine enge thematische und geografische Fokussierung unterstützt eine wirkungsvolle Umsetzung. Da die Partnerländer die Umsetzungsverantwortung haben, ist ein neues Betriebs- und Delegationsmodell ausgearbeitet worden. Die Umsetzung ist 2008 angelaufen.

3.3.8.5

Ziele des Bundesrates für 2009

Unter den Jahreszielen 2009 des Bundesrates ist in erster Linie das Ziel 17 «Armutsreduktion», das die Umsetzung der einheitlichen Strategie zum Ziel hat, entwicklungspolitisch relevant.60 Der Bundesrat hat das Geschäft dem Parlament unterbreitet. Die strategischen Implikationen der Ziele wurden in den vorhergehenden Abschnitten erörtert. Erwähnt werden soll hier deshalb nur noch die Erhöhung des Zielwerts für die öffentliche Entwicklungshilfe. Der Bundesrat hatte in seinen Vorlagen am langjährigen Ziel von 0,4 % des Bruttonationaleinkommens festgehalten. Im Umfeld klarer Erhöhungen der europäischen Entwicklungsbudgets führten parlamentarische Vorstösse, flankierend unterstützt von einer Petition der Schweizer Hilfswerke, dazu, dass das Parlament einen neuen Zielwert von 0,5 % des Bruttonationaleinkommens festsetzte, der bis 2015 erreicht werden soll. Es hat den Bundesrat damit beauftragt, 2009 eine Zusatzbotschaft für die zusätzlichen Mittel in der SüdZusammenarbeit vorzulegen. In dieser Botschaft soll der Bundesrat die geographische und thematische Konzentration für die zusätzlichen Mittel definieren. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, dass, wie bereits im Bericht zum Finanzplan 2011-2013 vom 19. August 2009 vermerkt, mit einem jährlichen Defizit von über 4 Milliarden Franken für jedes der im Finanzplan berücksichtigten Jahre zu rechnen ist. Unter Einbezug der Regeln der Schuldenbremse führt dies zu einem Sanierungsbedarf von bis zu 10 Milliarden Franken über die Gesamtperiode. Die Erhöhung der Bundesmittel, die für die Erreichung des 0,5 %-Ziels erforderlich wäre, bliebe nicht ohne Auswirkungen auf andere Aufgabenbereiche des Bundes. Der Bundesrat wird sich daher bei der Frage der Umsetzung des Beschlusses nicht nur von entwicklungspolitischen, sondern auch von finanzpolitischen Überlegungen leiten lassen müssen. Der Bundesrat hat am 20. Mai 2009 eine Aussprache über das Vorgehen zur Umsetzung des Parlamentsentscheides geführt. Der Bundesrat hat das EDA und das EVD beauftragt, ihm zuhanden des Parlaments bis spätestens Ende September 2009 einen Bericht vorzulegen, der die finanziellen und entwicklungspolitischen Konsequenzen der APD-Erhöhung auf 0,5 % des Bruttonationaleinkommens ­ ausgehend von den aktuellen Wirtschaftsdaten ­ darstellt. Das EDA und das EVD werden auch beauftragt,
dem Bundesrat im Jahr 2010 eine Botschaft zur Beteiligung der Schweiz an den Kapitalerhöhungen der multilateralen Entwicklungsbanken zu unterbreiten Ein klares Zeichen für die stärkere Integration der Entwicklungspolitik in die Aussenpolitik ist die Aufnahme der drei strategischen Schwerpunkte der Entwicklungs60

www.bk.admin.ch/dokumentation/publikationen/00290/00928/01284/ index.html?lang=de&unterseite=yes

6452

politik in die Jahresziele 200961, die der Bundesrat Mitte November beschlossen hat.

Darin sind explizit als Ziel der Aussenpolitik genannt: Ziel 8 «Unterstützung der Armutsminderungsstrategien in Schwerpunktländern», Ziel 9 «Unterstützung ausgewählter Länder/Regionen mit fragiler Staatlichkeit, Konflikten und Sicherheitsrisiken», Ziel 10 «Beitrag der Schweiz zur Mitgestaltung einer entwicklungsfördernden Globalisierung». Darüber hinaus sind auch die Indikatoren der Zielerreichung aus der Süd-Botschaft übernommen.

Für die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit von besonderer Bedeutung sind zudem die drei Ziele, die sich mit ihrer Stellung in der Bundesverwaltung beschäftigen: Ziel 11 «Koordination der Entwicklungspolitik in der Bundesverwaltung», Ziel 12 «Reorganisation des Departementes» und Ziel 13 «Institutionelle Anpassungen an Anforderungen der neuen Süd-Botschaft und Reorganisation der DEZA».

3.3.8.6

Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit

Die Entwicklungszusammenarbeit ist einem ständigen Legitimationsdruck ausgesetzt, der in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Gründe hierfür sind: ­

die Entwicklungsfortschritte bleiben in einer Reihe von Ländern trotz umfangreichen Investitionen der Entwicklungszusammenarbeit unbefriedigend;

­

die Entwicklungszusammenarbeit kann ihre Wirksamkeit wegen methodisch begründeter Schwierigkeiten zu wenig überzeugend belegen; internationale Querschnittsanalysen zeichnen ein eher uneinheitliches Bild;

­

das internationale System der Entwicklungszusammenarbeit wird zunehmend komplexer und kann die Wirksamkeit und Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit beeinträchtigen;

­

ehrgeizige Beschlüsse der internationalen Gemeinschaft setzen die Entwicklungszusammenarbeit unter Erfolgszwang; die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit kann nur ungenügend dargestellt werden.

Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit hat eine gewisse Zeit gebraucht, um ihre Stärken plausibel erklären zu können, die sie in der internationalen Zusammenarbeit über längere Erfahrungsprozesse und konsequentes Lernen aufgebaut hat.

Entscheidend für gute Resultate sind: partnerschaftliche Orientierung, umsichtige Planung, Sensibilität für den Kontext, Kontinuität, dezentrale Lösungen, ein Mix von Fachwissen und Lösungswissen, der vor Ort generiert wird.

Im Juni 2008 haben DEZA und SECO diese Zusammenhänge zum ersten Mal in einem thematischen Wirkungsbericht «Wasser»62 dargestellt. Er zeigt anhand konkreter Beispiele von Wasserprogrammen, die von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wurden, die unmittelbaren Ergebnisse für die Zielgruppen sowie die Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen.

Das dritte hochrangige Forum zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit hat die Umsetzung der Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit aus dem Jahr 2005 überprüft. In der Accra-Aktionsagenda verpflichteten 61 62

www.bk.admin.ch/dokumentation/publikationen/00290/00928/index.html?lang=de www.deza.admin.ch/ressources/resource_de_168568.pdf

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sich die Regierungsvertreter, schnelle und effektive Schritte für mehr Transparenz und Vorhersagbarkeit in der Entwicklungshilfe sowie eine bessere Rechenschaftspflicht der Regierungen einzuleiten, um die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer zu stärken. Ausserdem wurden Massnahmen und zeitgebundene Selbstverpflichtungen zur besseren Vorhersagbarkeit der Entwicklungshilfe festgeschrieben.

Politische Konditionalitäten, gegen die sich die Zivilgesellschaft besonders eingesetzt hatte, wurden in der Agenda zwar eingeschränkt, aber nicht gänzlich aufgegeben. Ausserdem können Geber ihre Entwicklungshilfemassnahmen auch weiterhin über parallele, von aussen auferlegte Strukturen anbieten und somit der Eigenverantwortung der Entwicklungsländer entgegenwirken. Parlamente sollen künftig eine stärkere demokratische Kontrollfunktion einnehmen. Insgesamt konnte die Stellung der Zivilgesellschaft gestärkt werden.

Der Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit hat im Kern eine einfache und konkrete Messgrösse: Es geht letztlich darum, die Lebensumstände und -perspektiven von Menschen zu verbessern, die in schlechten Verhältnissen leben. Diese Messgrösse lässt sich allerdings nicht einfach in die Grössen übersetzen, die in politischen Prozessen gebräuchlich sind, wie Wachstum, Einkommensverteilung, Pro-KopfEinkommen usw. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit ist in den letzten beiden Jahren in die Kritik derer geraten, die bei ihr wirtschaftliche Kosten-NutzenModelle vermissten. Wirksamkeit ist auch international zur Kernfrage der Entwicklungsdebatten geworden.

Ausblick Mit der entwicklungspolitischen Strategie des Bundes und der Reorganisation der DEZA sind 2008 zwei entscheidende Schritte zur Präzisierung der Aufgaben und des Tätigkeitsfelds der Entwicklungszusammenarbeit gemacht worden. Sie werden zu realistischeren Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit führen. Entwicklungszusammenarbeit ist allerdings ein zähes und langwieriges Geschäft. Entwicklung kann nicht herbeigeplant und herbeifinanziert werden. Der Weg zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse führt weiterhin über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, für welche die Entwicklungsländer selber die Verantwortung tragen. An der Gültigkeit des grundlegenden Prinzips der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit,
der Hilfe zur Selbsthilfe, wird sich auch in Zukunft nichts ändern, ebenso wenig am Respekt gegenüber unseren Partnern in Ländern des Südens und des Ostens. Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit betreibt die Schweiz letztlich im wohlverstandenen Eigeninteresse. Indem wir die Lebensverhältnisse benachteiligter Menschen verbessern, verbessern wir auch unsere eigenen Zukunftschancen.

Die Schweiz profitiert in hohem Masse von der Globalisierung. Sie ist folglich auch verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Globalisierung gerechter wird und zu einer stabilen Weltordnung beiträgt. Die Entwicklungspolitik ist Teil dieser Logik. Über die traditionelle Armutsbekämpfung hinaus leistet sie heute einen Beitrag zur Meisterung der globalen Herausforderungen, sei es mithilfe von bilateralen Zusammenarbeitsprogrammen oder mit Beiträgen an multilaterale Fonds.

6454

3.4

Konsolidierung des multilateralen Systems

3.4.1

UNO

3.4.1.1

Die Vereinten Nationen in einem schwierigen Umfeld

Eine universelle Organisation Mit 192 Mitgliedern sind die Vereinten Nationen (UNO) die einzige Organisation, in der eine Vielzahl an Fragen von globaler Bedeutung unter Einschluss aller Länder und wichtigen Akteure diskutiert werden können. Die UNO besitzt eine einmalige Universalität, was die behandelten Themen, die Mitgliedschaft, die Beteiligung an Entscheidungsprozessen, die Mitwirkung bei der Erarbeitung internationaler Normen und Standards sowie die internationale Ausstrahlung betrifft. Trotz gewisser Unzulänglichkeiten besitzt die Weltorganisation damit eine einzigartige Legitimität.

Für die Schweiz ist ein Engagement in der UNO unerlässlich. Die gegenwärtigen Herausforderungen in den Bereichen Sicherheit und Frieden, Armutsbekämpfung, Menschenrechte oder Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen haben eine globale Dimension. Die UNO ist der Ort, wo dieser Dimension Rechnung getragen werden kann. Sie bietet der Schweiz die Möglichkeit, zur Lösung globaler Probleme beizutragen und für das globale Wohlergehen Verantwortung zu übernehmen. Sie stellt aber auch eine Plattform zur Förderung unserer nationalen Interessen dar.

Die UNO erlebte eine Blütezeit in den 1990er-Jahren. Mit dem Wegfall des Antagonismus zwischen West und Ost erlangte die Weltorganisation eine verbesserte Handlungsfähigkeit. Mit ihren Blauhelmeinsätzen in Afrika oder auf dem Balkan konnte die UNO ihre Rolle als oberste Hüterin des Friedens vermehrt wahrnehmen, obwohl das Bild durch das Versagen in Ruanda, Somalia und Bosnien-Herzegowina getrübt wird. In dieser Zeit fanden auch wichtige UNO-Weltkonferenzen zu wirtschaftlichen, ökologischen oder sozialen Themen statt, womit sich die UNO als «Agenda Setter» hervortun konnte und wesentlich zur Erarbeitung internationaler Normen und zur Regulierung globaler Probleme beigetragen hat.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der anschliessend proklamierte «Kampf gegen den Terror» brachten eine Zäsur. Die Auseinandersetzung um die militärische Intervention im Irak setzte die UNO und ihre Mitgliedstaaten grossen Spannungen aus, deren Nachwirkungen noch heute spürbar sind. Der damalige Generalsekretär Kofi Annan reagierte auf diese Krise mit dem Bericht «In grösserer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle» und leistete damit wichtige
Vorarbeit für den UNO-Weltgipfel vom September 2005.

An diesem Gipfel beschlossen die Staats- und Regierungschefs eine breite Palette an Reformen, um die UNO besser auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten: die Ablösung der Menschenrechtskommission durch den Menschenrechtsrat, die Schaffung einer Kommission für Friedenskonsolidierung, die Bekräftigung der Millenniumsentwicklungsziele, die Förderung der Koordination und Kohärenz der operationellen Tätigkeiten der UNO im Feld (auch bekannt unter dem Stichwort «One UN» oder «System-wide Coherence»), die Anerkennung des Prinzips der Schutzverpflichtung («Responsibility to Protect»), die Stärkung der internationalen Institutionen, Instrumente und Prozesse zum Schutz der Umwelt («International Environmental Governance») sowie die Reform des UNO-Sekretariats. Die äusserst zähen Verhandlungen über das Schlussdokument und die stockenden 6455

Bemühungen im Bereich der Abrüstung/Nonproliferation von Massenvernichtungswaffen sowie der Erweiterung des Sicherheitsrates deckten jedoch beträchtliche Meinungsverschiedenheiten auf. Sie hatten zur Folge, dass die Konkretisierung und Umsetzung etlicher Reformmassnahmen auf später verschoben werden mussten.

Die an den Weltgipfel anschliessenden Reformprozesse bestimmen seither die Agenda der UNO. Sie führten dazu, dass der neue Generalsekretär Ban Ki-moon bei seinem Amtsantritt eine Organisation mit vielen Baustellen und einer gewissen Reformmüdigkeit vorfand. Zugleich sind unter den UNO-Mitgliedstaaten zahlreiche Bruchlinien erkennbar: ­

zwischen den westlichen und muslimischen Ländern im Kontext der Terrorbekämpfung und der Situation im Nahen Osten ganz allgemein;

­

zwischen den Industriestaaten sowie den Schwellen- und Entwicklungsländern, welche die Akzente bei der Bekämpfung von Armut und fortschreitender Umweltzerstörung unterschiedlich setzen;

­

zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrates und den übrigen UNO-Mitgliedern als Folge der zusehends breiteren Interpretation des Begriffs «Bedrohung für den internationalen Frieden und Sicherheit» und der damit einhergehenden Ausdehnung des Aktionsradius des Sicherheitsrates;

­

zwischen den westlichen und nichtwestlichen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates im Nachgang zu den Konflikten und Spannungen in Kosovo, Georgien, Darfur, Myanmar und Simbabwe.

Herausforderungen Die Nahrungsmittel-, Energie- und Finanzkrise sowie der Klimawandel und die Migrationsproblematik haben diese Bruchlinien verschärft und neue hinzugefügt.

Zusammen mit der zunehmenden Virulenz von regionalen Konflikt- und Spannungsherden (Horn von Afrika, Grosse Seen, Naher Osten, Sudan, Tschad, Iran, Irak, Afghanistan u.a.m.) stellen sie die UNO vor grosse Herausforderungen: ­

Im Bereich der Friedensoperationen stösst die UNO an ihre Kapazitätsgrenze. Die Abteilung für friedenserhaltende Einsätze führt heute 16 Blauhelmmissionen mit über 110 000 Personen und einem jährlichen Budget von rund 7,3 Milliarden US-Dollar. Es wird immer schwieriger, genügend geeignetes Personal und Material zu finden, um die vom Sicherheitsrat erteilten Mandate umzusetzen. Dies wiederum bewirkt einen Vertrauensverlust und untergräbt die Legitimität der UNO und den Respekt vor den Entscheidungen des Sicherheitsrates.

­

Die Rahmenbedingungen im Feld sind generell schwieriger geworden. Die UNO wird nicht selten als Partei betrachtet und ist dadurch verstärkt terroristischen Anschlägen ausgesetzt. Neu ist auch, dass gewisse Gaststaaten den UNO-Truppen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Truppenzusammensetzung restriktive Auflagen machen. Beides zusammen vermindert die Effektivität der Operationen und führt zu Mehrkosten.

­

Die im langjährigen Vergleich noch immer sehr hohen Nahrungsmittelpreise haben die Zahl der unterernährten Personen wieder auf gegen eine Milliarde Menschen anwachsen lassen. Gleichzeitig strapazieren höhere Energie- und Nahrungsmittelkosten die Budgets der humanitären Organisationen.

6456

­

Auch die globale Wirtschaftskrise lässt befürchten, dass bisherige Fortschritte bei den Millenniumsentwicklungszielen wieder rückgängig gemacht werden und Versprechungen seitens der Empfänger- und insbesondere der Geberländer nicht eingehalten werden können.

­

Obwohl generell anerkannt wird, dass fortschreitende Umweltbedrohungen wie der Klimawandel oder der Verlust an Artenvielfalt das Überleben der Menschheit gefährden und das bestehende Umweltsystem nicht stark genug ausgestaltet ist, um den Problemen effektiv zu begegnen, hat sich die internationale Gemeinschaft bisher nicht auf griffige Massnahmen zur Stärkung der internationalen Umweltgouvernanz im Rahmen der UNO einigen können.

­

Die Kapazität des UNO-Sekretariats, rasch auf neue Herausforderungen zu reagieren, ist aufgrund der komplizierten, jedoch in Revision begriffenen Personalreglemente, des schwerfälligen Budgetprozesses und des eingeschränkten Handlungsspielraums des Generalsekretärs begrenzt.

­

Besonders auf Kritik stösst auch der Umstand, dass das mächtigste Organ der UNO, der Sicherheitsrat, in seiner Zusammensetzung noch immer die Mächtekonstellation nach dem Zweiten Weltkrieg reflektiert und den neuen geopolitischen Realitäten ungenügend Rechnung trägt.

Die in Ziffer 2 erwähnten neuen Herausforderungen genereller Art haben den Bedarf nach globalen Lösungen erhöht, gleichzeitig jedoch die Fähigkeit der UNO, gemeinsam Lösungen zu erzielen, verringert. Es fehlt grösstenteils an einem Grundkonsens darüber, welche Rolle die UNO und ihre Hauptorgane bei der Bewältigung der verschiedenen Krisen spielen sollen. Das militärische Vorgehen Israels in Gaza zu Beginn des Jahres dürfte zudem zur Folge haben, dass etliche UNO-Themen, insbesondere jene mit humanitärem Bezug, vor dem Hintergrund des israelischpalästinensischen Konflikts diskutiert werden, was die Suche nach Gemeinsamkeiten nicht erleichtert. Bemerkenswert ist schliesslich auch, dass etliche der genannten Bruchlinien ­ und hier insbesondere die Blockbildung zwischen westlichen und nichtwestlichen Staaten ­ im Menschenrechtsrat besonders stark hervortreten, gerade weil dieses Organ, im Gegensatz etwa zum Sicherheitsrat, in seiner Zusammensetzung den neuen globalen Machtverhältnissen angepasst worden ist.

3.4.1.2

Die Aktivitäten der Schweiz

3.4.1.2.1

Einleitende Bemerkungen

Die Schweiz ist seit ihrem Beitritt zur UNO ein aktives und innovatives Mitglied. Sie hat in etlichen Bereichen Akzente setzen können, so beispielsweise bei der Gründung des Menschenrechtsrates, der Reform des Sicherheitsrates, der internationalen Umweltpolitik oder der Förderung der Rechtsstaatlichkeit allgemein. Die in der vorangehenden Ziffer erwähnten Herausforderungen stellen aber auch die Schweiz vor neue Fragestellungen: Was wollen wir von der UNO? Mit welchen Themen soll sich die UNO befassen? Wie können wir ihre Handlungsfähigkeit verbessern? Wie kann die Schweiz ihre Interessen am besten wahren? Es ist schwierig, diese Fragen pauschal zu beantworten. Tendenziell dürfte es für einen Staat wie die Schweiz jedoch besser sein, wenn Themen von globaler Bedeutung in der UNO behandelt

6457

werden, da die Schweiz dort gleichberechtigt mit am Tisch sitzt und Entscheide der UNO ein grosses Mass an Universalität und Legitimität besitzen.

Die oben beschriebenen Bruchlinien führen auch zu einer verstärkten Gruppenbildung. Diese wiederum hat zur Folge, dass Länder, die nicht in einen Gruppenzwang eingebunden sind, grösseren Handlungsspielraum haben, ihre Position direkt und unverfälschter einbringen und gegebenenfalls als Vermittler auftreten können. Die Kehrseite dieser Unabhängigkeit allerdings ist, dass es solchen Ländern in entscheidenden Momenten an politischer Macht mangelt. Die Schweiz als ein von Gruppen weitgehend unabhängiges Land hat es in der Vergangenheit gut verstanden, den vorhandenen Handlungsspielraum zu nutzen, und wird dies auch weiterhin tun.

3.4.1.2.2

Engagement in den wichtigsten UNO-Organen

Reform des Sicherheitsrates Angesichts der blockierten Erweiterungsdiskussion engagiert sich die Schweiz primär für eine Reform der Arbeitsmethoden.

«Small Five-Initiative» Gemeinsam mit Costa Rica, Jordanien, Liechtenstein und Singapur (man spricht deshalb von den sogenannten «Small Five» oder S-5) hat die Schweiz konkrete Vorschläge vorgelegt, welche die Transparenz und die Rechenschaftspflicht des Sicherheitsrats erhöhen, Nichtmitglieder stärker in die Entscheidungsfindung einbinden und das Vetorecht einschränken würden. Diese Vorschläge fanden die Zustimmung einer grossen Mehrheit der Mitgliedstaaten. Weniger begeistert reagierten die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Sie sahen sich aber gezwungen, in einer ratseigenen Arbeitsgruppe einen Katalog von Massnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmethoden zu erarbeiten, in den auch einzelne Vorschläge der S-5 aufgenommen wurden. Im August 2008 fand zudem auf Antrag der S-5 eine offene Debatte zu dieser Thematik im Sicherheitsrat statt, die erste derartige Debatte seit über 14 Jahren.

Erweiterung des Sicherheitsrates In der Erweiterungsdiskussion zeigt sich die Schweiz flexibel und versucht, eine Kompromisslösung in Form einer neuen Kategorie von nichtständigen Sitzen mit längerer Mandatsdauer zu fördern. Neue Vetorechte werden abgelehnt. Damit soll die andauernde Blockade zwischen den Ländern, die in einem erweiterten Sicherheitsrat neue ständige Sitze befürworten, und denjenigen, die das vehement ablehnen, überwunden werden. Am 15. September 2008 entschied die Generalversammlung, die jahrelangen und ergebnislosen Diskussionen ihrer diesbezüglichen Arbeitsgruppe zu beenden und bis spätestens Ende Februar 2009 konkrete Verhandlungen über eine Reform des Sicherheitsrats zu beginnen. Damit erhält dieser Prozess, in dem sich die Schweiz konstruktiv engagiert, eine neue Dynamik.

Menschenrechtsrat Durch die Schaffung des Menschenrechtsrates erlangten die Menschenrechte im UNO-System eine höhere Visibilität. Der Rat trifft sich dreimal pro Jahr zu ordentlichen Sessionen und hat überdies die Möglichkeit, Sondersessionen einzuberufen.

Damit ist er besser in der Lage, innert nützlicher Frist auf Menschenrechtsverletzungen zu reagieren. Von 2007 bis 2009 führte der Menschenrechtsrat mehrere 6458

Sondersessionen durch: zur Situation in Myanmar (Okt. 2007), zur Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten (Jan. 2008 und 2009), zur Nahrungsmittelkrise (Mai 2008), zur Menschenrechtssituation in Nord-Kivu (Dez. 2008) und zur Finanzkrise (Febr. 2009). Schliesslich ist positiv zu vermerken, dass die interaktiven Dialoge mit den Sonderberichterstattern im Vergleich zu früher stark an Qualität und Substanz gewonnen haben.

Die universelle periodische Überprüfung Mit der universellen periodischen Überprüfung («Universal Periodic Review», UPR) steht dem Menschenrechtsrat ein innovatives Instrument zur Verfügung, welches das Potenzial hat, zur Verbesserung der Menschenrechte in allen Teilen der Welt beizutragen.

Im Jahr 2008 wurden 48 Staaten dieser Prüfung unterzogen. Die schweizerische Einschätzung dieser ersten UPR-Sessionen des Rates fällt grundsätzlich positiv aus, und diese Einschätzung wird von vielen anderen Staaten, dem Hochkommissariat für Menschenrechte und den NGO geteilt: Die Mehrzahl der Staaten nahm das Verfahren ernst und beantwortete die zahlreichen Fragen zur nationalen Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen. Die ersten konkreten Ergebnisse dürften indessen erst ab 2012 sichtbar werden, wenn die zweite UPR-Runde beginnt und die Staaten über die Verwirklichung der von ihnen angenommenen Empfehlungen Rechenschaft abzulegen haben.

Die Schweiz hat ihrerseits am 8. Mai 2008 ihren Staatenbericht vorgelegt. Ihr Ziel war es, einen glaubwürdigen und transparenten Bericht über die Lage der Menschenrechte zu erstellen, dies in ständigem Dialog mit den Vertretern der Zivilgesellschaft. Der Bericht und die Debatte, die in Anwesenheit der Vorsteherin des EDA in Genf stattfand, wurden von den anderen Delegationen, vom Hochkommissariat und von den NGO geschätzt.

Die Schweiz ist nun gehalten, die vom Bundesrat angenommenen Empfehlungen auf innerstaatlicher Ebene umzusetzen. Insbesondere sollen die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft fortgesetzt und die Kantone als eigentliche Umsetzungsinstanz für die internationalen Normen in unserem Land stärker eingebunden werden. Die Schweiz will damit ihre Glaubwürdigkeit im Bereich der Menschenrechtspolitik auf nationaler und internationaler Ebene unter Beweis stellen.

Weitere Engagements innerhalb des Menschenrechtsrates Darüber hinaus hat
die Schweiz im Menschenrechtsrat bis heute zwei Resolutionen eingebracht. Zusammen mit Marokko legte sie im September 2007 eine Resolution vor, die die Ausarbeitung einer Erklärung der UNO über Bildung und Schulung im Menschenrechtsbereich verlangt. Diese transregionale Initiative bezweckt die Verbreitung der Menschenrechte durch den schulischen Unterricht und durch die Ausbildung verschiedener Berufsstände (insbesondere Polizei, Richter/innen, Strafvollzugspersonal, Spitalpersonal, Lehrkräfte) und unterstreicht damit, wie wichtig es ist, die Menschenrechte bekannt zu machen, damit sie respektiert werden.

Die zweite, im September 2008 eingereichte Resolution befasst sich mit der Problematik der Justiz in Transitionsprozessen. Sie beauftragt das Hochkommissariat, einen Bericht zum Thema Menschenrechte und Justiz in Transitionsprozessen auszuarbeiten, der unter anderem eine Auflistung der menschenrechtsrelevanten

6459

Aspekte in neueren Friedensabkommen enthalten soll. Beide Resolutionen wurden von den Mitgliedern des Rates im Konsens angenommen.

Darüber hinaus hat die Schweiz die Arbeit von John Ruggie, Sonderbeauftragter des UNO-Generalsekretärs für Wirtschaft und Menschenrechte, substanziell unterstützt.

Sie hat sich unter anderem erfolgreich für die Verlängerung und Konkretisierung des Mandats und die breite Anerkennung seines Referenzrahmens der Unternehmensverantwortung eingesetzt. Im Nachgang zur Verlängerung des Mandats wird sich die Schweiz weiterhin für die Verbesserung von Managementpraktiken zur Achtung der Menschenrechte und die spezifische Verantwortung von Unternehmen in Konfliktgebieten engagieren.

Herausforderungen Der Menschenrechtsrat steht jedoch vor mehreren Herausforderungen: ­

Die Plenumsdebatten und Resolutionsverhandlungen stehen häufig im Zeichen einer Blockbildung, insbesondere zwischen den Mitgliedern der Organisation der Islamischen Konferenz und der afrikanischen Gruppe auf der einen Seite, sowie der EU und den anderen westlichen Ländern auf der anderen Seite.

­

Den Sonderberichterstattern, die sich mit den Menschenrechten in Bezug auf bestimmte Länder oder Themen befassen, werden vermehrt Verhaltensvorgaben auferlegt. Zudem wird teilweise versucht, die Autonomie des Hochkommissariats für Menschenrechte einzuschränken.

­

In der Vergangenheit bestand die Tendenz, der Menschenrechtssituation im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts mehr Beachtung zu schenken als etwa anderen Spannungsgebieten. Diese Fokussierung auf den Nahostkonflikt hat mehrere Gründe (Emotionalität und Dauer des Konflikts, politische Entwicklungen in der Region, Zusammensetzung des Menschenrechtsrates), dürfte teilweise aber auch darauf zurückzuführen sein, dass der Sicherheitsrat in dieser Frage bislang wenig Handlungsfähigkeit bewiesen hat.

­

Während die thematischen Mandate (Sonderverfahren) bis anhin nicht in Frage gestellt wurden, sind bei den länderbezogenen Mandaten erhebliche Rückschläge zu verzeichnen. Insbesondere wurden die Mandate zur Überprüfung der Lage in der Demokratischen Republik Kongo und in Liberia aufgehoben und diejenigen zum Sudan und zu Burundi zeitlich befristet. Die Gegner jeglicher Ländermandate führen als Argument oft die universelle periodische Überprüfung ins Feld, der sich jedes Land unterziehen muss. In den kommenden Jahren gilt es daher, ein besseres Gleichgewicht zwischen diesen beiden Instrumenten zu finden und deren Komplementarität stärker zu betonen. Zudem sollte geprüft werden, ob der Menschenrechtsrat ­ neben Resolutionen und Sonderberichterstattern ­ auch über andere Instrumente verfügen sollte, um auf kritische Situationen in manchen Ländern zu reagieren.

Angesichts dieser Situation wird die Schweiz ihr Augenmerk weiterhin auf folgende Punkte richten: Erstens strebt sie einen sachlichen Dialog über Gruppengrenzen hinweg an und sucht dafür die Zusammenarbeit mit moderaten Staaten. Zweitens sollen trotz der vorgenannten Unzulänglichkeiten auch die positiven Seiten des Rates Erwähnung finden und gewürdigt werden. Drittens wird sich die Schweiz für 6460

die Stärkung und Glaubwürdigkeit der wichtigen Instrumente wie der universellen periodischen Überprüfung und der Sonderberichterstatter einsetzen. Viertens soll die Autonomie des Hochkommissariats für Menschenrechte gewahrt und darauf geachtet werden, dass der Menschenrechtsrat nicht zu dessen Steuerungsorgan umfunktioniert wird. Und fünftens soll weiterhin auf eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Menschenrechtsrat und drittem Ausschuss der UNO-Generalversammlung hingearbeitet werden (für weitere Ausführungen betreffend Menschenrechtspolitik vgl.

Ziff. 3.3.7.1).

Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) Am Weltgipfel 2005 wurden Massnahmen zur Verbesserung der Effizienz des ECOSOC beschlossen. Die Schweiz setzt sich besonders für die Umsetzung zweier dieser Massnahmen ein: für die Schaffung eines Forums für Entwicklungszusammenarbeit im hochrangigen Segment des Rates und für die Stärkung der Beziehungen zwischen dem Rat und der Zivilgesellschaft.

Im Rahmen einer engen partnerschaftlichen Beziehung mit dem Ratssekretariat gelang es der Schweiz, die Agenda des ersten Forums für Entwicklungszusammenarbeit vom Sommer 2008 substanziell zu beeinflussen. Da die Vereinfachung der multilateralen Entwicklungsarchitektur und die Wirksamkeit von Konditionalitäten bis anhin nie in einem wirklich universellen Kreis erörtert worden waren, liess sie diese beiden Punkte auf die Agenda des Forums setzen. Ausserdem stellte sie dem Sekretariat Vertiefungsstudien zu diesen beiden Themen zur Verfügung. Deren Inhalt floss in den Bericht des Generalsekretärs ein, der als Grundlage für die Beratungen des Forums diente. Die erste Session des Forums wurde weitgehend als Erfolg gewertet, sowohl was die Teilnahme zahlreicher einflussreicher Persönlichkeiten aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit betrifft, als auch im Hinblick auf die Qualität der Diskussionen. Die Schweiz beabsichtigt, diese Zusammenarbeit mit dem Sekretariat im Hinblick auf die kommenden Sessionen fortzuführen und zu vertiefen.

Die Schweiz unterstützte ferner die über 500 Mitglieder umfassende Konferenz der Nichtregierungsorganisationen mit ECOSOC-Konsultativstatus bei der Organisation einer Mitgliederkonsultation. Diese Konsultation fand einige Tage vor Eröffnung der Jahreshauptsitzung des Rates 2008 in Genf statt. Die anlässlich dieser Konsultation
erörterten Botschaften und Empfehlungen der Zivilgesellschaft wurden dem Rat anschliessend von einer Delegation von Vertreterinnen und Vertretern der Nichtregierungsorganisationen überbracht. Dieses Vorhaben soll 2009 wiederholt und aufgrund der Erfahrungen von 2008 optimiert werden.

3.4.1.2.3

Engagement in thematischen Fragen

Entwicklung Am Weltgipfel 2005 wurde im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ein Reformprozess in Gang gesetzt, mit dem die vor allem auf Länderebene feststellbare Zersplitterung des operationellen UNO-Systems behoben werden soll. Dieser Prozess hatte in erster Linie zum Ziel, die Kohärenz, Effizienz und Wirksamkeit aller in einem Land tätigen UNO-Akteure zu verbessern. Die betroffenen UNO-Institutionen wurden aufgefordert, einen Ansatz zu entwickeln, um ihre Aktionen besser untereinander zu koordinieren und deren Komplementarität sicherzustellen («One UN»).

6461

Nach intensiven Verhandlungen unter der Leitung der Schweiz verabschiedete die Generalversammlung im Dezember 2007 eine Resolution zur «Dreijährlichen Grundsatzüberprüfung der operationellen Entwicklungsaktivitäten des Systems der Vereinten Nationen». Diese Resolution richtet sich an das gesamte operationelle System der UNO und enthält konkrete Empfehlungen.

Die Schweiz wird darauf achten, dass diese Empfehlungen nun auch umgesetzt und weitergehende Reformen angestrebt werden. Sie setzt sich auch dafür ein, dass die UNO-Agenturen ihre Transaktionskosten senken, indem sie ihre operationellen Verfahren vereinfachen und harmonisieren. Dazu nutzt sie ihren Einfluss in den entsprechenden Verhandlungen der UNO-Generalversammlung sowie in den Exekutivorganen wichtiger UNO-Agenturen wie beispielsweise dem UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP), dem UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) und dem UNOBevölkerungsfonds (UNFPA).

Ausserdem setzte sich die Schweiz erfolgreich dafür ein, dass die UNO-Fonds und -Programme einen gemeinsamen Rahmen der Rechenschaftspflicht verabschieden, der unter anderem die Voraussetzungen für den öffentlichen Zugang zu den Revisionsberichten und zu weiteren vertraulichen Informationen regelt, die Aufschluss über allfällige Fehlleistungen der länderspezifischen Entwicklungsprogramme geben können.

Bewaffnete Gewalt und Entwicklung Die Arbeiten zur Genfer Erklärung über «Bewaffnete Gewalt und Entwicklung» wurden im vergangenen Jahr erfolgreich in die UNO getragen. Im November 2008 verabschiedete die UNO-Generalversammlung eine Konsensresolution, in der auf die Wechselwirkung zwischen bewaffneter Gewalt und Unterentwicklung hingewiesen wird. Der UNO-Generalsekretär wird nun im laufenden Jahr einen Bericht zum Thema verfassen und diesen den UNO-Mitgliedstaaten zur Diskussion vorlegen. Im Kern wird es darum gehen, konkrete Empfehlungen zu entwickeln, wie bewaffnete Gewalt reduziert und dadurch ein Beitrag zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele geleistet werden kann (vgl. Ziff. 3.3.6).

Schutz vor Piraterie Ein Beispiel für den Teufelskreis zwischen bewaffneter Gewalt und Unterentwicklung ist die Bedrohung der Lebensmittelversorgung Somalias durch Piraterie (zu den allgemeinen Herausforderungen vgl. Ziff. 2.6). Im Mai 2008 forderte der UNOSicherheitsrat die Staaten und Regionalorganisationen
auf, Massnahmen zum Schutz des Schiffsverkehrs für humanitäre Hilfslieferungen nach Somalia zu ergreifen (Resolution 1814). Vier weitere Beschlüsse des Sicherheitsrats haben ebenfalls die Pirateriebekämpfung zum Ziel, darunter die Resolutionen 1846 und 1851. Diese begrüssen den Beschluss der EU, ab Dezember 2008 eine Marineoperation zum Schutz gefährdeter Schiffe einzurichten. Die EU hat auch die Schweiz und andere Nichtmitglieder ersucht, diese Mission zu unterstützen.

Die Schweiz verfügt über eine eigene Hochseeflotte von 35 Handelsschiffen. Monatlich fahren zwei bis vier von ihnen durch die gefährliche Zone im Golf von Aden.

Die Flotte erfüllt einen Landesversorgungsauftrag in Krisenzeiten und wird aus diesem Grund vom Bund auch mit Bürgschaftskrediten unterstützt. Ein Einsatz von Schweizer Armeeangehörigen zum Schutz des Schiffsverkehrs am Horn von Afrika dient somit nicht nur humanitären Zwecken, sondern liegt auch im direkten Interesse des Bundes und der Schweizer Wirtschaft. Auch die Sonderoperationskräfte der 6462

Schweizer Armee könnten von dieser internationalen Erfahrung profitieren. Der Bundesrat hat deshalb am 25. Februar 2009 entschieden, dass sich ein Schweizer Kontingent von maximal 30 Armeeangehörigen an der EU-Operation «Atalanta» beteiligen soll. Als letzte Instanz werden die eidgenössischen Räte über diesen Einsatz entscheiden.

Terrorismusbekämpfung Mit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 hat der internationale Terrorismus eine neue Dimension erreicht. Die Anschläge führten allen Staaten die Aktualität und Intensität der terroristischen Gefahr vor Augen. Sie machten ihnen bewusst, wie wichtig die Terrorismusbekämpfung und die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich sind. Die Schweiz beteiligt sich aktiv daran. Aufgrund ihrer internationalen Bestimmung und ihrer Ideale von Frieden, Freiheit und Toleranz stellt die UNO den angemessenen Rahmen dar, um der Bekämpfung des Terrorismus eine weltweite Legitimität zu verleihen.

In den letzten 40 Jahren hat die UNO 16 universelle Übereinkommen und Protokolle zur Bekämpfung spezifischer Formen des Terrorismus verabschiedet. Die Schweiz hat alle 16 ratifiziert.

Seit dem Jahr 2000 verhandelt ein Ausschuss der UNO-Generalversammlung über ein umfassendes Übereinkommen gegen den internationalen Terrorismus. Es soll die Lücken bei der Bekämpfung des Terrorismus schliessen. Allerdings sind die Verhandlungen seit einiger Zeit blockiert. Umstritten ist die Frage, wie weit das Übereinkommen für staatliche Streitkräfte und für Befreiungsbewegungen gelten soll.

Die Schweiz setzt sich für die Wiederaufnahme der Verhandlungen und eine baldige Verabschiedung des Übereinkommens unter Wahrung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ein.

Im September 2006 verabschiedete die UNO-Generalversammlung die Globale Strategie zur Terrorismusbekämpfung. Diese Strategie zeichnet sich durch einen umfassenden Ansatz aus und beruht auf vier Pfeilern: ­

Beseitigung der Umstände, die Terrorismus begünstigen;

­

Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus;

­

Aufbau staatlicher Kapazitäten und Stärkung des UNO-Systems;

­

Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit bei der Bekämpfung des Terrorismus.

Als Beitrag zur Umsetzung dieser Strategie hat die Schweiz im November 2007 zusammen mit Costa Rica, Japan, der Slowakei und der Türkei einen «Internationalen Prozess zur weltweiten Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung» initiiert. Ziel des Prozesses ist es, Ideen für eine effizientere Koordination der Terrorismusbekämpfung innerhalb der UNO zu entwickeln und den Massnahmen der Vereinten Nationen gegen den Terrorismus grössere Legitimität und nachhaltigere Wirkung zu verleihen, namentlich auch hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte. Am 21./22. Januar 2008 fand im Rahmen des Prozesses ein erster internationaler Workshop in Küsnacht (ZH) statt, an dem mehr als 50 hochrangige Expertinnen und Experten aus über 30 Staaten und verschiedenen internationalen Organisationen und Institutionen teilnahmen. Weitere Workshops fanden in Bratislava, Antalya, Tokio und New York statt.

6463

Das Schlussdokument des Prozesses enthält 19 Empfehlungen zuhanden der UNOGeneralversammlung. Diese Empfehlungen wurden anlässlich der ersten formellen Überprüfung der Globalen Strategie zur Terrorismusbekämpfung im September 2008 berücksichtigt. Als Anschlussmassnahme beabsichtigt die Schweiz, zusammen mit weiteren interessierten Partnern und den betroffenen Instanzen der UNO ein Treffen der nationalen Kontaktstellen für Terrorismusbekämpfung zu veranstalten, das zur besseren Koordination der nationalen Anstrengungen mit der globalen Strategie der UNO beitragen soll.

Sanktionen Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat verschiedene Resolutionen zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet. Hierzu gehören unter anderem gezielte Finanzund Reisesanktionen sowie ein Waffenembargo gegen natürliche und juristische Personen, die einer Verbindung mit Al-Qaïda oder den Taliban verdächtigt werden.

Die Schweiz setzt diese Sanktionen seit dem 3. Oktober 2000 um. Gegenwärtig stehen etwa 500 natürliche und juristische Personen auf der Sanktionsliste der UNO.

Für die Betroffenen existiert jedoch kein genügend wirksamer Mechanismus, der es erlauben würde, ihre Aufnahme in die Liste von einer unabhängigen Instanz überprüfen lassen zu können. Dieses Manko führte auch in Europa zu verschiedenen Gerichtsverfahren. Dadurch wird die Legitimität des Sanktionssystems der UNO in Frage gestellt.

Die Schweiz hat deshalb 2005 zusammen mit Schweden und Deutschland eine Initiative zur Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte im Rahmen solcher Sanktionsverfahren lanciert. In diesem Zusammenhang unterbreitete die Schweiz dem Sicherheitsrat im Frühjahr 2006 die Studie einer amerikanischen Universität mit Vorschlägen für ein transparenteres und faireres Verfahren. Als Fortsetzung ihrer Initiative unterbreitete die Schweiz dem Sicherheitsrat im Jahr 2008 zusammen mit Dänemark, Deutschland, Liechtenstein, den Niederlanden und Schweden in einem Diskussionspapier konkrete Vorschläge für die Errichtung eines unabhängigen Experten-Panels, das dem zuständigen Sanktionskomitee des Sicherheitsrates Empfehlungen für die Streichung von der Sanktionsliste unterbreiten kann («Delisting»). Es ist nun am UNO-Sicherheitsrat, über die Reformvorschläge zu entscheiden. Die Schweiz wird ihr Engagement zugunsten einer besseren Beachtung der
Menschenrechte im Sanktionsverfahren der UNO zusammen mit ihren Partnern fortsetzen.

Umwelt Im Anschluss an den Weltgipfel 2005 hat der Präsident der Generalversammlung die ständigen Vertreter der Schweiz und Mexikos in New York beauftragt, informelle Konsultationen zur Stärkung der internationalen Umweltgouvernanz zu leiten. Trotz intensiver Bemühungen war es nicht möglich, sich im Rahmen dieser Konsultationen auf Massnahmen zu einigen, die gegenüber früher beschlossenen Massnahmen einen Mehrwert erbracht hätten. Die Konsultationen wurden deshalb mit einem Bericht an den Präsidenten der Generalversammlung vorläufig abgeschlossen und die Diskussion über das Thema dem Verwaltungsrat des UNO-Umweltprogramms überantwortet. Dieser setzte im Anschluss daran eine Gruppe von Ministern oder hochrangigen Vertretern ein, die innerhalb eines Jahres neue Optionen für eine Stärkung des internationalen Umweltsystems erarbeiten soll.

6464

Durban-Überprüfungskonferenz gegen Rassismus Die Durban-Überprüfungskonferenz, die vom 20. bis 24. April 2009 in Genf stattfand, endete mit einem Schlussdokument, das von 182 Staaten einstimmig verabschiedet wurde.

Dieses Dokument enthält aus Schweizer Sicht wichtige Elemente. Es unterstreicht einerseits die zentrale Rolle des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, und fokussiert andererseits auf Massnahmen zur Umsetzung der bestehenden Normen. Als zentrales Mittel im Kampf gegen die Diskriminierung wird namentlich die Meinungsäusserungsfreiheit genannt, die eine Vielfalt an Ideen und Gedanken zulässt. Das Schlussdokument weist aber auch darauf hin, dass in etlichen Bereichen weitergehende Massnahmen ergriffen werden müssen: Diskriminierung von Frauen und Kindern, mehrfache und verschärfte Formen der Diskriminierung sowie Rassismus gegenüber Migrantinnen und Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen.

Nach langen Verhandlungen wurde schliesslich entschieden, umstrittene Themen wie die Situation im Nahen Osten und die Diffamierung von Religionen als Grenze der Meinungsäusserungsfreiheit nicht in die Schlusserklärung aufzunehmen. Das Dokument enthält zudem einen Verweis auf den Holocaust und unterstreicht die Bedeutung der Meinungsäusserungsfreiheit, der Demokratie, der Ausbildung im Bereich der Menschenrechte sowie der kompetenten, unabhängigen und unparteiischen Rechtssysteme zur Bekämpfung von Rassismus. Im Vergleich zur Erklärung und zum Aktionsprogramm von Durban aus dem Jahr 2001 enthält der Text ebenfalls neue und spezifische Massnahmen, die namentlich die Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, im Rahmen der Terrorismusbekämpfung fordern.

Die Schweiz hat aktiv an den Vorbereitungsarbeiten mitgewirkt, um ihre Vorstellungen bezüglich Rassismusbekämpfung einzubringen. Als Mitglied der Gruppe der «Freunde der Präsidentschaft» unterstützte sie dessen Bemühungen während der gesamten Verhandlungen. Die Schweiz wertet die Konferenzergebnisse positiv. Die Schlusserklärung respektiert die vom Bundesrat im Mai 2008 festgelegten Vorgaben. Es liegt nun ein ausgewogenes Dokument vor, das trotz der Aufnahme heikler Themen einstimmig verabschiedet wurde. Die verwerflichen Äusserungen, die teilweise gemacht wurden, blieben isoliert
und konnten die Konferenz nicht von ihrem Ziel abbringen.

Allianz der Zivilisationen Die von Spanien 2005 vorgeschlagene und von der Türkei mitgetragene Initiative für eine «Allianz der Zivilisationen» soll einen Beitrag zum besseren Verständnis zwischen der islamischen Welt und dem Westen leisten. Die Schweiz sieht die Initiative primär als einen Versuch, jene politischen Probleme anzugehen, die dazu führen, dass religiöse und kulturelle Identitäten zu Konfliktfaktoren werden oder als solche gestärkt werden. Sie hat in der Vergangenheit den Schwerpunkt darauf gelegt, ihre eigenen Erfahrungen mit Projekten im Themenbereich «Religion und Politik» in die Allianz einzubringen.

Die Schweiz ist seit Beginn aktives Mitglied der «Group of Friends» der Allianz und seit 2007 im Steuerungsausschuss der «International Donor Working Group» vertreten. Auch am zweiten Forum der Allianz, das am 6./7. April 2009 in Istanbul stattfand, war die Schweiz auf Regierungsebene vertreten und hat Vorschläge zur 6465

Umsetzung der Initiative gemacht. Diese zielten vor allem darauf ab, die mittlerweile über 80 Länder umfassende «Group of Friends» in Untergruppen zu organisieren, in denen interessierte Staaten an konkreten Themen und Projekten mitarbeiten können. Diese Anregung wurde positiv aufgenommen und soll nun umgesetzt werden.

Managementreform Die Umsetzung der am Weltgipfel 2005 lancierten Sekretariats- und Managementreform schreitet weniger rasch voran als erwartet. Gründe dafür liegen in der Vielzahl und Komplexität der Themen und Prozesse, in der Politisierung von Managementfragen sowie der Tatsache, dass die meisten der vorgeschlagenen Reformen Mehrkosten verursachen. Ebenfalls problematisch ist aus Sicht der Schweiz, dass die Generalversammlung versucht, die Reformen bis ins kleinste Detail selbst zu regeln, anstatt dem Generalsekretär Stossrichtung und Ziele vorzugeben und ihm den nötigen Handlungsspielraum für die Umsetzung einzuräumen. Unter diesen Umständen ist es als Erfolg zu werten, dass im Verlauf des vergangenen Jahres bei der internen Rechtspflege (Administration of Justice), dem Personalmanagement sowie der Verbesserung der Informatik- und Telekommunikationsmittel zum Teil beträchtliche Forschritte erzielt werden konnten.

Die Schweiz wird sich auch in Zukunft für den Abschluss noch offener Reformprozesse einsetzen, die eine Verbesserung von Effizienz, Wirksamkeit, Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht des UNO-Sekretariats zum Ziel haben.

Engagements in weiteren Bereichen Kommission für Friedenskonsolidierung Die Schweiz hat per 1. Juli 2009 die Präsidentschaft für die Burundi-Konfiguration der Kommission für Friedenskonsolidierung übernommen. Dieses Amt dauert ein Jahr. Die Kommission für Friedenskonsolidierung hat den Auftrag, die Aufmerksamkeit und die Ressourcen der internationalen Gemeinschaft zu mobilisieren und integrierte Strategien für die Konsolidierung und den Wiederaufbau nach einem Konflikt vorzuschlagen. Hintergrund für dieses Mandat bildet die Tatsache, dass die Hälfte der Friedensprozesse in den ersten fünf Jahren nach einem Waffenstillstand scheitert.

Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) Die Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen aus dem Jahr 2005 und das 2003 abgeschlossene
Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes sind vom Parlament ratifiziert worden und für die Schweiz am 16. Oktober 2008 in Kraft getreten. Die Schweiz ist auch dem internationalen Übereinkommen gegen Doping im Sport beigetreten, mit Inkrafttreten per 1. Dezember 2008. Die Schweiz nahm als Beobachterin an der 32. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees Anfang Juli 2008 in Quebec teil, bei der die Projekte «Rhätische Bahn in der Landschaft Albula/Bernina» und «Tektonikarena Sardona» in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen wurden. Im Sommer 2009 hat das Welterbekomitee beschlossen, «La Chaux-de-Fonds/Le Locle, Stadtlandschaft Uhrenindustrie» ebenfalls in die Welterbeliste der UNESCO aufzunehmen. Die 48. Sitzung der Internationalen Bildungskonferenz vom November 2008 bildete den Auftakt für eine Reihe von weltweiten Konferenzen im Zeitraum 6466

2008­2010 zu verschiedenen Bildungsformen und Bildungsstufen (Bildung für nachhaltige Entwicklung, Erwachsenenbildung, höhere Bildung, frühkindliche Bildung).

Informationsgesellschaft und Verwaltung des Internets Die Schweiz setzt sich aktiv für die Umsetzung des am Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) definierten Ziels der Schaffung einer menschenorientierten und entwicklungsbezogenen Informationsgesellschaft ein. Sie ist seit 2006 Mitglied der UNO-Kommission für Wissenschaft und Technologie im Dienste der Entwicklung, die im UNO-System unter anderem für den Folgeprozess des WSIS zuständig ist.

Die Schweiz trägt ebenfalls seit 2006 inhaltlich und finanziell zum Funktionieren des am WSIS geschaffenen Internet Governance Forum (IGF) der UNO bei. Das IGF ist derzeit der weltweit einzige Ort, an dem sich die relevanten Akteure aus Privatwirtschaft, Regierungen und Zivilgesellschaft auf gleicher Augenhöhe über die Herausforderungen durch das Internet und dessen Verwaltung austauschen können.

Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Die Schweiz ist überzeugt, dass eine dynamische, aktive und partizipative Zivilgesellschaft für ein gutes Funktionieren der UNO sehr wichtig ist. Eine verstärkte Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft im Allgemeinen und ihren dynamischsten Kreisen im Besonderen ist sowohl der Qualität als auch der Legitimität der Arbeit der UNO förderlich.

Die Partnerschaft mit den Hochschulen nahm unterschiedliche Formen an. Zum einen wurden die Beziehungen zum neuen «Institut de hautes études internationales et du développement» (IHEID) in Genf gestärkt, zum andern wurde die Errichtung des Forschungsnetzwerks UNO-Academia unterstützt, das den Aufbau seiner Strukturen und Aktivitäten vorantrieb und 2008 verschiedene Veranstaltungen organisierte. Anlässlich der Jahreskonferenz des Netzwerks wurde der «UNO Academia Award» an zwei Studierende verliehen, die den Preis für ihre Forschungsarbeiten über die Vereinten Nationen erhielten.

Die Schweiz kann nunmehr auf hochrangige Unterstützung aus der Universität der Vereinten Nationen zählen. Die Berufung des Schweizers Konrad Osterwalder zum Rektor dieser Universität mit dem Titel eines Untergeneralsekretärs, der Ban Kimoon direkt unterstellt ist, stellt eine einmalige Chance für unser Land dar. Die Schweiz unterstützte 2008 die
externen Aktivitäten des Rektorats im Hinblick auf eine Neuausrichtung und Neupositionierung der Universität innerhalb des UNOSystems.

Die sichtbarste und dynamischste Partizipation der schweizerischen Zivilgesellschaft im Jahr 2008 geht allerdings auf das Konto der Jugend. Noch nie zuvor haben sich derart viele Gruppen, Vereine und Einzelpersonen für die Organisation von Konferenzen, Seminaren und Tagungen über die UNO eingesetzt. Das Schweizer Jugendnetzwerk für die UNO (JUNES), ein eigentlicher Dachverband studentischer Vereinigungen, verstand es, die Energien zu bündeln und den Austausch zwischen seinen Mitgliedern zu beleben.

Die unter Ziffer 3.4.1.2.2 und 3.4.1.2.3 aufgeführten Punkte stellen nur einen Teil der schweizerischen Aktivitäten in der UNO dar. Weitere Angaben finden sich in anderen Ziffern des vorliegenden Berichts. Bei vorstehender Aufzählung handelt es sich teils um neue, teils um die Fortsetzung früherer Initiativen. Dies ist aus zwei 6467

Gründen so: Erstens braucht es für Reformen in der UNO einen langen Atem. Zweitens kann die Schweiz nur dort glaubwürdig auftreten, wo sie sich im Laufe der Jahre entsprechendes Knowhow angeeignet hat.

Die Schweiz stützt ihre Initiativen breit ab und arbeitet dazu eng und regionsübergreifend mit anderen Ländern zusammen. Es ist die Absicht der Schweiz, wo angemessen vermehrt auch über die Frankophonie zu arbeiten. Diese Organisation versammelt rund ein Drittel aller Mitgliedstaaten und könnte sich ­ neben ihrer Funktion als Plattform für Stimmtauschgeschäfte ­ auch zur Förderung schweizerischer Initiativen und Anliegen eignen.

3.4.1.2.4

Finanzielle und personelle Beiträge der Schweiz

Die Stellung und der Einfluss der Schweiz in der UNO hängen nicht nur von Initiativen und guten Ideen, sondern auch von den Beiträgen ans UNO-System ab. In Bezug auf die finanziellen Pflichtbeiträge steht die Schweiz an 14. Stelle. Bei den freiwilligen Beiträgen und den personellen Einsätzen hat die Schweiz jedoch etwas an Profil verloren.

Budget ­ obligatorische Beiträge Die Schweiz leistet jedes Jahr rund 150 Millionen Franken an obligatorischen Beiträgen an die UNO. Damit gehört unser Land zu den grössten Beitragszahlern (Rang 14, Beitragssatz 1,216 %). Vor dem Hintergrund steigender Budgets setzt sich die Schweiz zusammen mit der Gruppe grosser Beitragszahler (Genfer Gruppe) für eine Optimierung des Budgetprozesses der UNO ein. Dieser ist heute zu kompliziert und zu schwerfällig. Dadurch erschwert er die strategische Steuerung der Organisation durch die Mitgliedstaaten. Ausserdem wird die Schweiz ab Herbst 2009 die Präsidentschaft des 5. Ausschusses der UNO-Generalversammlung sowie 2009 die Koordination der Verhandlungen über den neuen Beitragsschlüssel für die UNOBeiträge übernehmen.

Personelle Beiträge an Friedensmissionen Im Beitrittsjahr erschien unser Land in den im Dezember veröffentlichten offiziellen Statistiken der Vereinten Nationen mit 31 Personen (von insgesamt 39 652) auf dem 56. Rang, was die Bereitstellung von Truppen, militärischen Beobachtern und Polizisten anbelangt. Aufgrund der wesentlichen Zunahme der Friedensmissionen in den letzten Jahren befindet sich die Schweiz heute mit 24 Personen von insgesamt 92 196 Mitgliedern des uniformierten Personals (März 2009) auf Rang 85. Nicht enthalten in diesen Statistiken sind die Kontingente, die die Schweiz der NATO und der EU zur Verfügung stellt. Obwohl sie vom UNO-Sicherheitsrat bewilligt werden, gelten sie nicht als direkte Beiträge an die UNO-Strukturen. Die personelle Beteiligung der Schweiz an UNO-Friedensmissionen ist damit vergleichsweise bescheiden, weshalb die Besetzung von Spitzenpositionen mit Schweizerinnen und Schweizern im Bereich der UNO-Friedenserhaltung und UNO-Friedensmissionen eine besondere Herausforderung darstellt.

Finanzielle Beiträge an humanitäre Organisationen Bei den humanitären multilateralen Organisationen haben die Budgets in den vergangenen Jahren zugenommen. Zum einen, weil traditionelle Beitragszahler ihr 6468

Engagement erhöht haben, zum andern, weil neue Länder als Beitragszahler aufgetreten sind. Die Schweiz stellt rund ein Drittel ihrer humanitären Hilfe den UNOOrganisationen zur Verfügung. Die schweizerischen Beiträge an das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), an das Welternährungsprogramm (WFP) oder an das UNO-Büro für die Koordination der Humanitären Hilfe (OCHA) blieben über die vergangenen Jahre nominell jedoch konstant. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass die Schweiz in der Rangliste der wichtigsten Geldgeber zurückfiel (Zahlen 2007 im Vergleich zu 1999): UNHCR vom 9. auf den 15. Rang; WFP vom 13. auf den 17. Rang; OCHA vom 8. auf den 13. Rang. Diese Entwicklung ist nicht unbedenklich, weil sie unserem Selbstverständnis als wichtiger humanitärer Akteur nicht im Einklang steht und das Risiko besteht, dass sich unser Einfluss auf die humanitären Organisationen, insbesondere in Genf, verringert.

Da de facto auch in der UNO gilt, dass eher auf Länder gehört wird, die sich personell und finanziell stark engagieren, besteht ein gewisses Risiko, dass die Schweiz in den vorgenannten Bereichen an Einfluss verliert. Bei den Diskussionen über das künftige Engagement der Schweiz ist diesem Aspekt Rechnung zu tragen.

3.4.1.3

Die Schweiz als Gaststaat internationaler Organisationen

Langjährige Tradition als Sitz internationaler Organisationen Die Schweiz verfügt über eine langjährige Tradition als Gaststaat internationaler Organisationen. Von den insgesamt 25 Organisationen, mit denen die Schweiz ein Sitzabkommen abgeschlossen hat, sind 22 in Genf beheimatet (z.B. Welthandelsorganisation und Internationales Komitee vom Roten Kreuz), zwei in Bern (Weltpostverein und Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr) und eine in Basel (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich).

Mit 7 quasizwischenstaatlichen Organisationen (gemäss Art. 8 des Gaststaatgesetzes) hat die Schweiz ein Fiskalabkommen abgeschlossen. Dazu kommen eine grosse Zahl weiterer Einheiten wie beispielsweise Programme oder Sekretariate internationaler Abkommen und internationale Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in der Schweiz.

Genf, als wichtigster europäischer Sitz der UNO, gilt zusammen mit New York als eines der beiden weltweit wichtigsten Zentren für multilaterale Zusammenarbeit.

Die zunehmende Zahl von Staaten, die mindestens eine ständige Mission in Genf unterhalten (161 Staaten im Jahr 2008) wie auch die Rekordzahl von rund 200 000 Delegierten sowie Expertinnen und Experten, die 2007 an den mehreren Tausend von internationalen Organisationen und NGO in Genf organisierten Tagungen und Konferenzen63 teilgenommen haben, zeugen von der Attraktivität des internationalen Genf. Politisch gesehen verleiht das internationale Genf der Schweiz ein im Verhältnis zur Landesgrösse überproportionales Gewicht in den internationalen Beziehungen. Es trägt damit zur Verwirklichung der aussenpolitischen Ziele der Schweiz bei. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht haben die grosse Präsenz internatio-

63

Vgl. Résultats statistiques, Les organisations internationales à Genève, Résultats de l'enquête 2008, Office cantonal de la statistique ­ OCSTAT (2008); http://www.ge.ch/statistique/tel/publications/2008/resultats/dg-rs-2008-13.pdf

6469

naler Organisationen und NGO sowie die ausgeprägte Konferenztätigkeit positive Auswirkungen für unser Land.

Trotz dieser beneidenswerten Situation ist die Schweiz im Zusammenhang mit der Aufnahme internationaler Organisationen und Konferenzen mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, allen voran mit den finanziellen Auswirkungen der zunehmenden Konkurrenz durch andere Gaststaaten, der wachsenden Bedeutung von Sicherheitsfragen und den Bemühungen um eine universelle Vertretung der Staatengemeinschaft in Genf (vgl. dazu Ausführungen unter «Herausforderungen in der Gaststaatpolitik»).

Instrumente der Schweizer Gaststaatpolitik Die Gaststaatpolitik der Schweiz konzentriert sich thematisch auf folgende fünf Kerngebiete: 1)

Frieden, Sicherheit und Abrüstung;

2)

humanitäre Angelegenheiten und Menschenrechte;

3)

Gesundheit;

4)

Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft und

5)

nachhaltige Entwicklung und Erhaltung der natürlichen Ressourcen.

Die Schweiz bietet hierbei den auf ihrem Territorium angesiedelten Organisationen vorteilhafte Arbeits- und Lebensbedingungen, Sicherheitsvorkehrungen sowie ein attraktives Angebot an Büro- und Konferenzräumlichkeiten. Dazu arbeiten Bund und Kantone, die internationale Organisationen beherbergen, eng zusammen. Die schweizerische Gaststaatpolitik stützt sich in erster Linie auf folgende Instrumente: Immobilienstiftung für die internationalen Organisationen (FIPOI) Zur Unterstützung der Beschaffung von Lokalitäten steht den internationalen Organisationen in Genf die FIPOI zur Seite, eine 1964 gegründete privatrechtliche Stiftung von Bund und Kanton Genf. Um der FIPOI die Wahrnehmung ihres Mandats zu ermöglichen, gewährt ihr der Bund zinsfreie und innert 50 Jahren rückzahlbare Darlehen, womit die FIPOI ihrerseits den internationalen Organisationen den Kauf, den Bau oder die Umnutzung von Gebäuden ermöglicht.

Die per 31. Dezember 2008 ausstehenden, vom Bund der FIPOI gewährten Darlehen belaufen sich auf 349 Millionen Franken. Der Kanton Genf seinerseits steuert bei Bauprojekten internationaler Organisationen das Grundstück unentgeltlich im Baurecht bei. Seit einer Statutenrevision im Jahr 2004 kann die FIPOI in Einzelfällen auch auf dem Gebiet des Kantons Waadt tätig werden. Gleichzeitig ist die FIPOI befugt, selber Immobilien zu kaufen, zu bauen, zu vermieten und zu verwalten. Die FIPOI besitzt unter anderem das Internationale Konferenzzentrum Genf (CICG).

Der Bund übernimmt im Rahmen ihrer Gaststaatpolitik jährlich einen Teil der Betriebskosten des CICG, sodass das internationale Konferenzzentrum klar umschriebenen Benützerkategorien unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden kann.

Modernisierte Rechtsgrundlagen Am 1. Januar 2008 ist das neue Bundesgesetz über die von der Schweiz als Gaststaat gewährten Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen sowie finanziellen Beiträge 6470

(Gaststaatgesetz, GSG; SR 192.12) und die entsprechende Gaststaatverordnung (SR 192.121) in Kraft getreten. Mit den beiden Erlassen wurden die bestehenden Rechtsgrundlagen konsolidiert und die über die Jahre entstandene Praxis im Bereich der Gaststaatpolitik kodifiziert. Damit wird allen Beteiligten (Bund, Kantone, internationale Organisationen usw.) die Arbeit erleichtert, da diese sich nunmehr auf eine einheitliche und transparente Grundlage berufen können.

Mit der Annahme des Gaststaatgesetzes haben die eidgenössischen Räte den Bundesrat zudem ermächtigt, eine Bundesregelung für die privaten Hausangestellten von «Internationalen» zu erlassen, soweit dies das Völkerrecht zulässt (Art. 27 GSG). Wie in der Botschaft des Bundesrates zum Gaststaatgesetz vom 13. September 2006 festgehalten wird, besteht seit 1987 eine Richtlinie des EDA über die Anstellung von privaten Hausangestellten durch die Mitglieder von ausländischen Vertretungen in der Schweiz und durch internationale Beamte. Diese wurde am 1. Mai 2006 letztmals revidiert. Allerdings gibt es weiterhin Probleme, die insbesondere daher rühren, dass sich die Arbeitsbedingungen zurzeit noch nach der entsprechenden kantonalen Gesetzgebung (kantonale Standardarbeitsverträge) richten.

Eine spezielle bundesrätliche Verordnung hierzu ist in Vorbereitung. Diese wird schweizweit gültige einheitliche Lohn- und Arbeitsbedingungen gemäss dem Gaststaatgesetz für alle privaten Hausangestellten definieren, auf welche die soeben genannte Richtlinie des EDA Anwendung findet.

Massnahmen zugunsten der Sicherheit Das Thema Sicherheit hat in den letzten Jahren für alle internationalen Organisationen zentrale Bedeutung erlangt und beträchtliche Investitionen in diesem Bereich ausgelöst. Die Finanzierung von Sicherheitseinrichtungen in und an den Gebäuden sowie innerhalb ihrer Umfriedung ist Sache der Organisationen und damit der Gesamtheit ihrer Mitgliedstaaten. Gemäss internationaler Praxis ist hingegen der Gaststaat für den Aussenschutz der Gebäude wie auch für deren Umfriedung verantwortlich. Da die Schweiz der Aussensicherheit der von internationalen Organisationen belegten Gebäude grosse Bedeutung beimisst, haben die eidgenössischen Räte im Juni 2006 einen Verpflichtungskredit von 10 Millionen Franken für bauliche Sicherheitsmassnahmen bewilligt.

Die wichtigsten
derzeitigen Immobilienprojekte für das internationale Genf Die Befriedigung der Immobilienbedürfnisse der in der Schweiz ansässigen internationalen Organisationen ist von grösstem Interesse für die Schweizer Gaststaatpolitik. Die FIPOI betreut bzw. plant gegenwärtig in den Kantonen Genf und Waadt die folgenden Bauprojekte: Welthandelsorganisation (WTO) Um alle WTO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter künftig unter einem Dach zusammenführen zu können, ist von 2008 bis Ende 2012 die Renovation, bauliche Verdichtung und Erweiterung des WTO-Sitzgebäudes in Genf geplant. Das Gesamtvolumen des Projekts beträgt 130 Millionen Franken, wovon 60 Millionen in Form von FIPOI-Darlehen und 70 Millionen als A-fonds-perdu-Beiträge des Bundes zur Verfügung gestellt werden sollen. Der Bundesrat hat am 1. August 2008 in einem Abkommen mit der WTO die Eckwerte des Gesamtprojekts festgehalten (vorbehältlich der Budgetkompetenz des Parlaments). Die eidgenössischen Räte haben in der Herbstsession 2008 einen A-fonds-perdu-Beitrag in Höhe von 45 Millionen Franken 6471

für die Renovation (die erste von drei Phasen) gutgeheissen. Für die weiteren beiden Phasen (Verdichtung und Erweiterung) werden dem Parlament zu gegebener Zeit weitere Botschaften unterbreitet.

Europäische Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN) Das CERN errichtet bis Ende 2010 für 11,3 Millionen Franken in Genf ein neues Gebäude zur Unterbringung der zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Zusammenhang mit dem neuen Teilchenbeschleuniger. Das Parlament hat in der Herbstsession 2008 einen Verpflichtungskredit für die Gewährung eines entsprechenden FIPOI-Darlehens bewilligt.

Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) Das IKRK plant den Bau einer neuen Logistikhalle in Genf für rund 32 Millionen Franken. Diese soll mittels eines FIPOI-Darlehens in Höhe von 26 Millionen Franken finanziert werden. Das IKRK wird den Rest der Baukosten selber tragen. Die Botschaft an die eidgenössischen Räte über die Gewährung des FIPOI-Darlehens wurde am 10. September 2008 vom Bundesrat verabschiedet und in der Wintersession 2008 vom Nationalrat sowie in der Frühjahrssession 2009 vom Ständerat gutgeheissen.

Internationale Union zur Erhaltung der Natur und der natürlichen Lebensräume (IUCN) In der Frühjahrssession 2008 haben die eidgenössischen Räte einen Verpflichtungskredit in Höhe von 20 Millionen Franken für den Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes der IUCN (2008­2010) in Gland VD genehmigt. Die Mittel werden der IUCN ebenfalls in Form eines FIPOI-Darlehens zur Verfügung gestellt. Der Bau des Gebäudes schreitet planmässig voran und sollte innerhalb der vorgesehenen Zeitspanne abgeschlossen werden können.

Herausforderungen in der Gaststaatpolitik Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die internationale Konkurrenz um die Ansiedlung internationaler Organisationen und Konferenzen verstärkt, sodass es für die Schweiz zunehmend schwieriger wird, bestehende internationale Organisationen in Genf zu halten bzw. neue anzuziehen. Verschiedene europäische Staaten und Städte (insbesondere Wien, Den Haag, Kopenhagen, Bonn, aber auch Budapest sowie Spanien) haben seit den 1990er-Jahren ihr Angebot im Gaststaatbereich (Büroräume, Konferenzzentren, diverse kostenlose Unterstützungsleistungen usw.)

ausgebaut und konnten einige Erfolge bei der Ansiedlung internationaler Organisationen verbuchen.
In den letzten Jahren machen zudem neue Akteure aus dem Nahen und Fernen Osten im Gaststaatbereich auf sich aufmerksam (Singapur, Abu Dhabi, Dubai und mit Einschränkungen auch Katar und Südkorea). Letztere peilen vorerst lediglich die Ansiedlung von Regionalbüros internationaler Organisationen an. Allerdings verfügen viele der genannten Staaten über teilweise sehr gute Voraussetzungen (Finanzmittel, kurze politische Entscheidungswege, globale Ambitionen), um künftig eine wichtigere Rolle als Gaststaaten für internationale Organisationen zu übernehmen.

Die Verschärfung der internationalen Konkurrenz hat ­ zusammen mit den zunehmenden Sicherheitsmassnahmen, welche die Gaststaaten umsetzen müssen ­ für die Schweiz die Kosten der Gaststaatpolitik erhöht.

6472

Ein weiteres wichtiges Thema, mit dem die Schweiz konfrontiert wird, ist die Renovation und der Unterhalt der Sitzgebäude der in Genf ansässigen Organisationen, zumal einige dieser Organisationen den Unterhalt ihrer Gebäude vernachlässigt und nur ungenügende Rückstellungen für eine Gesamtrenovation gebildet haben. Die Situation ist insbesondere bei einigen älteren Gebäuden wie dem Sitz der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) oder dem Palais des Nations kritisch. Die Kosten für die dringend nötigen Renovationsarbeiten belaufen sich auf mehrere hundert Millionen Franken, die den Organisationen derzeit nicht zur Verfügung stehen.

Die angespannte Lage auf dem Genfer Immobilienmarkt schränkt die Möglichkeit, das Angebot des internationalen Genf auszubauen, stark ein und bedeutet eine zusätzliche Herausforderung für die Schweizer Gaststaatpolitik, zumal die Nachfrage nach zusätzlichen (möglichst kostengünstigen) Büroräumlichkeiten bei den internationalen Organisationen und ausländischen Missionen nach wie vor hoch ist.

Der knappe und teure Wohnraum erhöht zudem die Personalkosten für die in Genf ansässigen Organisationen, da diese ihre entsprechenden Beiträge an die Wohnkosten ihrer Angestellten erhöhen müssen. Die Tatsache, dass 31 Staaten keine Mission in Genf haben, ist insofern eine weitere Herausforderung, als Genf somit im Vergleich etwa zu New York noch keine universelle Vertretung der Staatengemeinschaft beanspruchen kann.

Perspektiven der Gaststaatpolitik Der kritische Zustand bei einigen Gebäuden internationaler Organisationen in Genf und die fehlenden Finanzmittel bei den betroffenen Organisationen haben den Druck auf die Schweiz steigen lassen, sich entgegen ihrer bisherigen Politik als Gaststaat an den Renovationskosten zu beteiligen. Die Schweiz wird dabei an der Politik jener Gaststaaten gemessen, die vollumfänglich (z.B. Österreich für die UNO in Wien und Italien für die FAO in Rom) oder zumindest teilweise (z.B. Frankreich für die UNESCO in Paris) für die Kosten der Gebäudesanierungen aufkommen. Allerdings lässt sich die Situation in diesen Ländern nicht in jeder Hinsicht mit derjenigen Genfs vergleichen, unter anderem wegen der ungleich höheren Präsenz internationaler Organisationen in Genf, sowie wegen der unterschiedlichen Modelle der Gaststaatpolitik in Bezug auf Eigentümerschaft
der Gebäude.

Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass die internationalen Organisationen ihre Sitzgebäude regelmässig renovieren und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über funktionale und moderne Räumlichkeiten verfügen. Gut unterhaltene und attraktive Bürogebäude verbessern einerseits den Ruf und das Image des Sitzstaates unter den internationalen Funktionären und tragen so zur Attraktivität des internationalen Genf bei. Andererseits bedeuten regelmässige Renovationen auch Aufträge für die lokale Bauwirtschaft und somit einen Beitrag an die Wirtschaft im Raum Genf. Aufgrund des schon vorhandenen umfangreichen Immobilienparks und der Unwahrscheinlichkeit grösserer Neuansiedlungen im internationalen Genf in den nächsten Jahren dürfte sich das Gewicht der Immobilienbedürfnisse künftig von Neubauten zu Renovationen und Umbauten der bestehenden Gebäude verlagern.

Zwar betrachtet es der Bundesrat, in Übereinstimmung mit seiner diesbezüglich konstanten Politik, als Sache jeder einzelnen Organisation, die Kosten für Unterhalt und Renovation ihrer Gebäude bereitzustellen. Nichtsdestotrotz ist er, in Übereinstimmung mit seiner in der Vergangenheit befolgten Praxis, bereit zu erwägen, ob die Schweiz, zusammen mit anderen Mitgliedstaaten, einen Beitrag an die Renova-

6473

tionskosten leisten soll. Dies war zum Beispiel bei den Renovationsarbeiten am Sitz der UNO in New York der Fall.

Zusammen verfolgen die zuständigen Stellen des EDA und des EFD die Situation genau und stellen damit laufend sicher, dass die Gaststaatpolitik der Schweiz den Bedürfnissen des internationalen Genf angemessen Rechnung trägt.

3.4.1.4

Präsenz der Schweiz im System der Vereinten Nationen

Kandidaturen für Haupt- und Repräsentativorgane Um weiterhin eine aktive Rolle in den Tätigkeitsbereichen der UNO wahrnehmen zu können, ist die Schweiz bestrebt, ihre Vertretung in den für sie prioritären Hauptund Repräsentativorganen auszubauen sowie die Präsenz des Schweizer Personals in den Exekutivorganen auf allen Hierarchiestufen zu fördern.

Wirtschaft, Soziales und Entwicklung Die Verhandlungen über den Schweizer Einsitz im Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) innerhalb der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten (WEOG), die über 13 der insgesamt 54 Sitze verfügt, konnten erfolgreich abgeschlossen werden. Die Schweiz wurde in das Rotationssystem dieser geografischen Gruppe miteinbezogen und wird ein erstes Mal 2011 und 2012 im Wirtschafts- und Sozialrat Einsitz nehmen. Als ein Hauptorgan der UNO koordiniert der ECOSOC die Aktivitäten in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Kultur, Umwelt, Entwicklung und Gesundheit. Überdies ist der Rat ein wichtiges Wahlgremium für zahlreiche UNO-Nebenorgane.

Die Schweiz ist bereits jetzt in mehreren Unterorganen des ECOSOC vertreten. Seit 2005 ist sie Mitglied der Kommission für Bevölkerung und Entwicklung. Dieses Mandat läuft 2009 aus, wobei die Schweiz ihre Kandidatur für eine zweite Mandatsdauer angemeldet hat.

Bis Mitte 2009 hat Prof. Robert Waldburger für die Schweiz in der Sachverständigengruppe für internationale Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten Einsitz genommen. Seine Nachfolge hat Jürg Giraudi, Vizedirektor der Eidgenössischen Steuerverwaltung, angetreten.

Darüber hinaus ist die Schweiz seit 2008 in der Suchtstoffkommission sowie der Kommission für nachhaltige Entwicklung vertreten. Von 2010­2013 wird sie zudem auch Mitglied der Kommission für soziale Entwicklung.

Ende April 2008 wurde die Schweiz ferner für die Amtszeit von 2009­2012 in die Kommission für Wissenschaft und Technologie im Dienste der Entwicklung gewählt.

Menschenrechte und internationales Recht Die Schweiz wird noch bis Juni 2009 dem Menschenrechtsrat in Genf als Mitglied angehören und strebt ab 2010 ein zweites dreijähriges Mandat an. Diese Kandidatur ist für die Schweiz von grosser Bedeutung, weil die Generalversammlung 2011 eine grundsätzliche Überprüfung des Statuts des Menschenrechtsrates vornehmen wird

6474

und die Schweiz ihre Interessen durch eine direkte Einsitznahme im Rat effizienter in den Prozess einbringen könnte.

Im März 2008 wurde Jean Ziegler als unabhängiger Experte in den beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrates gewählt. Dieses Mandat wurde Ende März 2009 erneuert. Die erste Amtsperiode von Jean Zermatten im Ausschuss für die Rechte des Kindes ging im Februar 2009 zu Ende; er wurde jedoch bereits im Dezember 2008 für eine weitere Amtsperiode bis 2013 wiedergewählt.

Im Mai 2008 trat der Völkerrechtsprofessor Walter Kälin vorzeitig aus dem Menschenrechtsausschuss der UNO zurück, um sich vollumfänglich seinem Mandat als Beauftragter des UNO-Generalsekretärs für die Menschenrechte Binnenvertriebener zu widmen. Professorin Helen Keller ersetzt Walter Kälin als unabhängige Expertin für die verbleibende Amtsdauer bis Ende 2010.

Im Dezember 2008 wurde Monique Jametti Greiner für die Amtsdauer von fünf Jahren in den Direktionsrat des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts gewählt.

Schliesslich ist die Schweiz mit Prof. Lucius Caflisch in der Völkerrechtskommission vertreten. Das Mandat von Prof. Caflisch läuft 2011 aus.

Wissenschaft, Kulturelles und Umwelt Im wissenschaftlichen Bereich nimmt die Schweiz seit 1999 an den Tagungen des Ausschusses der Vereinten Nationen für die friedliche Nutzung des Weltraums teil, zunächst als Beobachterin und seit 1. Januar 2008 als Mitglied des Ausschusses.

Angesichts der starken Zunahme der Akteure im Weltraumsektor und der Anwendungen in der Raumfahrttechnik im vergangenen Jahrzehnt ist für die Schweiz eine Stärkung ihrer internationalen Position in diesem Sektor unerlässlich.

Im kulturellen Bereich steht im Herbst 2009 eine bedeutende Kandidatur an: Die Schweiz kandidiert für das Welterbekomitee der UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) für die Mandatszeit von 2010­2013. Das Komitee ist für die Umsetzung des Übereinkommens zum weltweiten Schutz der Kultur- und Naturgüter verantwortlich.

Im Umweltbereich wurde Thomas Stocker (Professor für Klima- und Umweltphysik) im September 2008 zum Kopräsidenten einer Arbeitsgruppe des Weltklimarates gewählt. Die Schweiz ist seit 2009 auch Expertenmitglied des Sachverständigenausschuss für die Beförderung gefährlicher Güter. Und schliesslich kandidiert
unser Land Ende 2009 für den Einsitz im Verwaltungsrat des Umweltprogramms der UNO (UNEP) für die Amtsperiode 2010­2013. Für den Sitz im UNEP-Verwaltungsrat hat die Schweiz ein langjähriges informelles Rotationsabkommen mit Österreich.

Exkurs: Mögliche Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat Um die institutionelle Stellung der Schweiz in der UNO zu stärken, hat der Bundesrat in seinen UNO-Berichten 2007 und 2008 auch die Möglichkeit einer eventuellen mittelfristigen Kandidatur für den Sicherheitsrat ins Auge gefasst. Auf Wunsch von Mitgliedern der eidgenössischen Räte hat das EDA im Januar 2009 nach vorgängiger Kenntnisnahme durch den Bundesrat den Aussenpolitischen Kommissionen zusätzliche Informationen über die Auswirkungen einer derartigen Kandidatur zukommen lassen.

6475

Wie jeder andere UNO-Mitgliedstaat hat die Schweiz grundsätzlich Anspruch auf eine temporäre Einsitznahme im Sicherheitsrat. Eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat würde unserem Land ein zusätzliches Instrument für die Vertretung seiner Interessen und die Verwirklichung seiner aussenpolitischen Ziele in die Hand geben.

Die Schweiz erhielte auf internationaler Ebene eine höhere Visibilität und könnte ihre Kontakte zu wichtigen wirtschaftlichen und politischen Akteuren ausbauen.

Eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat würde es unserem Land auch erlauben, seine Bemühungen um eine Reform dieses Organs von innen her fortzusetzen. Da sich Entscheidungen des Sicherheitsrats, insbesondere Beschlüsse über Friedensoperationen, unmittelbar auf den Pflichtbeitrag der Mitgliedstaaten auswirken, hätte unser Land als einer der 15 grössten Beitragszahler zudem ein offensichtliches Interesse, die Entscheidungsfindung direkt zu beeinflussen.

Zeithorizont und Vorgehen Die westeuropäische Ländergruppe hat alle zwei Jahre Anspruch auf zwei nichtständige Sitze im Sicherheitsrat. Gemäss der aktuellen Übersicht über die bereits bekannten Kandidaturen böten die Jahre 2018 und 2022 eine gute Ausgangslage für eine schweizerische Kandidatur. Für 2018 liegt nämlich erst eine Kandidatur für einen der beiden westeuropäischen Sitze vor, für 2022 noch keine. Die Erfahrungen vergleichbarer Länder, wie zum Beispiel Österreichs, zeigen, dass eine erfolgreiche Kandidatur ungefähr eine Vorlaufzeit von zehn Jahren benötigt (vom Zeitpunkt der Anmeldung bis zur Wahl). Zudem füllen sich die freien Plätze in der Regel rasch.

Sollte also eine Kandidatur für 2018 oder 2022 in Erwägung gezogen werden, so wäre es von Vorteil, wenn der Bundesrat noch in dieser Legislaturperiode die Anmeldung der Kandidatur in der westeuropäischen Ländergruppe beschliessen würde. Je nach Verlauf der dann notwendigerweise vertieft zu führenden innenpolitischen Diskussion könnte der Bundesrat die Anmeldung bestätigen und eine Wahlkampagne lancieren oder die Anmeldung der Kandidatur zurückziehen. Der Rückzug einer Kandidatur ist jederzeit möglich und kommt immer wieder vor.

Der Erfolg einer Kampagne hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören das glaubwürdige Profil des Bewerberstaats in der UNO, das klare politische Bekenntnis der Entscheidungsträger zur
Kandidatur sowie schliesslich eine optimale Koordination.

Bereits vor der Einsitznahme im Sicherheitsrat müsste die Schweiz prioritäre Aktionsfelder definieren, die mit ihren aussenpolitischen Schwerpunkten übereinstimmen. Aufgrund ihres Profils würde sich die Schweiz im Rat insbesondere als Brückenbauerin und Vermittlerin in umstrittenen Fragen einbringen können. Zudem müsste im Hinblick auf den Einsitz eine gewisse Stärkung der personellen Ressourcen in New York und bei den relevanten Stellen in Bern ins Auge gefasst werden.

Der Entscheid über eine Kandidatur der Schweiz für den Sicherheitsrat bedarf, wie vorher erwähnt, einer vertieften innenpolitischen Diskussion. Die Anfang Jahr den Aussenpolitischen Kommissionen auf ihren Wunsch übermittelten Zusatzinformationen sowie die nachfolgend geführten Diskussionen stellen einen ersten Schritt in diesem Prozess dar.

Schweizerinnen und Schweizer im Sekretariat und in anderen Exekutivorganen Neben der Wahrung der aussenpolitischen Interessen durch die Präsenz in den Haupt- und Repräsentativorganen der UNO ist die Schweiz auch bemüht, die Präsenz von Schweizerinnen und Schweizern auf allen Hierarchiestufen der UNO6476

Vollzugsorgane zu stärken und möglichst auszubauen. Mit der Bereitstellung und Förderung von qualifiziertem Schweizer Personal für den internationalen öffentlichen Dienst der Vereinten Nationen verleiht die Schweiz ihrem Engagement in den für sie wichtigen aussenpolitischen Bereichen Nachdruck und erhöhte Sichtbarkeit.

Sie kommt damit der Nachfrage des Sekretariats und anderer Vollzugsorgane der UNO nach leistungsfähigen und fachlich geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten entgegen.

Seit den Demissionen von alt Bundesrat Adolf Ogi als Leiter des Büros des Sonderberaters des UNO-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden im Range eines Untergeneralsekretärs Anfang 2008, von Prof. Nicolas Michel als Untergeneralsekretär für Rechtsangelegenheiten und als Rechtsberater des UNO-Generalsekretärs im Sommer 2008 sowie von Botschafterin Carla del Ponte als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien hat die Präsenz der Schweiz auf den obersten Hierarchiestufen der UNO abgenommen. Teilweise kompensiert werden diese Abgänge durch die Ernennung von Nicolas Michel zum Sonderberater und Vermittler im Grenzdisput zwischen Äquatorialguinea und Gabun sowie von Konrad Osterwalder zum Rektor der UNO-Universität. Ferner präsidiert der ehemalige Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Walter Fust, den zwischenstaatlichen Ausschuss des internationalen Medienentwicklungsprogramms der UNESCO.

Die Strategie zur Unterstützung von Schweizer Kandidaturen setzt auf jeder der drei Hierarchiestufen (hohes und mittleres Kader, Nachwuchs) spezifische Schwerpunkte. Beim hohen Kader setzt sich die Schweiz vor allem für jene Bewerbungen ein, die eine Stelle betreffen, welche in einem für unser Land relevanten aussenpolitischen Bereich angesiedelt ist. So wurde beispielsweise im September 2007 eine Schweizerin, Katharina Kummer Peiry, zur Leiterin des Sekretariats des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung ernannt.

Beim mittleren Kader schreibt die Schweiz in einer ersten Phase die offenen Stellen öffentlich aus, um eine ausreichende Anzahl qualifizierter Kandidatinnen und Kandidaten für das Rekrutierungsverfahren zu vermitteln. In einer zweiten Phase unterstützt sie
dann diejenigen Bewerbungen, die es in die Endauswahl geschafft haben und aus schweizerischer Sicht geeignet sind.

Auf der untersten Hierarchiestufe wird der Einstieg von Schweizerinnen und Schweizern ins UNO-System vor allem durch die Finanzierung von sogenannten «Junior Professional Officer»-Stellen gefördert.

Im Jahre 2007 waren im ganzen UNO-System rund 84 000 Personen beschäftigt.

Der Anteil der Schweizerinnen und Schweizer machte mit 902 Personen rund 1 % aus. Im Sekretariat der UNO waren am 30. Juni 2008 rund 40 000 Personen angestellt. Beim Sekretariat wird unterschieden zwischen Stellen, die bindend einem geografischen Verteilschlüssel unterliegen, und solchen, bei denen eine geografisch ausgewogene Verteilung Berücksichtigung finden sollte. Die erstgenannte Kategorie macht rund 7 % aller Sekretariatsstellen aus. Der Soll-Bestand für diese Stellen liegt für die Schweiz bei 0,98 %. Diese Vorgabe konnte im Jahre 2007 nicht ganz erfüllt werden. Dank einer gezielten Nachwuchsförderung hat sich die Präsenz von Schweizerinnen und Schweizern in dieser Kategorie bis Mitte 2008 jedoch auf über 1 % erhöht. Weitere Details sind der untenstehenden Tabelle zu entnehmen.

6477

Die Präsenz der Schweiz im System der Vereinten Nationen (2008) Personalbestand

Anteil CH absolut

%

Organisationen des UNO-Systems Personal insgesamt*

84 137

902

1,0 7

akademisches Personal*

36 885

400

1,0 8

Personal insgesamt

39 503

300

0.7 6

akademisches Personal

11 142

123

1.1 0

2 797

29

1.0 4

Sekretariat der UNO**

Personal dem geografischen Verteilschlüssel unterliegend * **

3.4.2

Zahlen für 2007 Quelle: A/63/310

Bretton-Woods-Institutionen

Die Schweiz ist seit 1992 Mitglied der Bretton-Woods-Institutionen und verfügt über einen der 24 Sitze in den Exekutivräten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Sie bildet mit Polen, Serbien, Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan eine Stimmrechtsgruppe. Die BrettonWoods-Institutionen beschäftigen sich seit einigen Jahren mit zwei grossen Herausforderungen: der Gouvernanzreform (Vertretung im Exekutivrat) und der Bewältigung der verschiedenen Krisen (Rohstoff-, Finanzkrise).

Erstes Reformpaket 2008 Das Vertretungssystem wird sowohl im IWF als auch in der Weltbank seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Die Zusammensetzung der Exekutivräte ist historisch bedingt: 5 der heute 24 ständigen Sitze haben die westlichen Grossmächte der Nachkriegszeit inne (USA, Japan, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien).

Die europäischen Länder stellen 8 Exekutivdirektoren, Asien 5 und Afrika 2. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind der Ansicht, dass die Zusammensetzung der Exekutivräte ihr Gewicht in der Weltwirtschaft nicht widerspiegelt, und dass sie in den Exekutivräten untervertreten sind.

Internationaler Währungsfonds Die Debatte über die Repräsentation der Mitglieder im IWF führte im April 2008 schliesslich zur Verabschiedung einer Resolution zur Stimmrechtsreform im Gouverneursrat. Sie enthält eine Erhöhung der Kapitaleinlagen (sog. Quoten) von insge6478

samt 11,5 % für 54 untervertretene Länder, eine Verdreifachung der Basisstimmen sowie die Gewährung eines zweiten stellvertretenden Exekutivdirektors für die beiden afrikanischen Sitze. Ziel ist es, die Quoten der Mitgliedstaaten an ihre derzeitige Position in der Weltwirtschaft anzupassen. Dabei wird insbesondere die Position der aufstrebenden Volkswirtschaften verbessert. Die Schweiz unterstützt die grundlegende Stossrichtung dieser Reform, betont aber, dass die neue Methode zur Berechnung der Länderquote verschiedene Mängel aufweist. Das Stimmengewicht der Schweizer Stimmrechtsgruppe im IWF beträgt heute 2,79 % (Schweiz 1,57 %, übrige Länder 1,22 %); nach der Reform wird die Gruppe den zwanzigsten Rang von insgesamt 24 einnehmen statt wie heute den achtzehnten Rang.

Parallel zur Stimmrechtsreform wurde ein neues Einkommensmodell für den IWF entwickelt, mit dem den rückläufigen Einnahmen des IWF begegnet werden soll.

Das Modell sieht eine Erhöhung der Einnahmen über einen beschränkten Verkauf der Goldbestände sowie die aktivere Bewirtschaftung der Reserven vor. Bis 2010 sind Ausgabenkürzungen von rund 10 % (oder rund 100 Mio. US-Dollar) geplant, die mit einem erheblichen Personalabbau einhergehen.

Weltbank Auch die Weltbank setzte sich im vergangenen Jahr intensiv mit der Reform «Voice and Participation» auseinander. Im Nachgang zur Quoten- und Stimmrechtsreform im IWF sollen auch in der Weltbankgruppe Entwicklungs- und Schwellenländer durch eine auf drei Pfeiler gestützte Reorganisation mehr Gewicht erhalten. Ein erstes konkretes Massnahmenpaket zur Modernisierung der Gouvernanzstrukturen wurde im Herbst 2008 verabschiedet; vorgesehen sind eine Verdoppelung der Basisstimmen und die Einsetzung eines zusätzlichen Exekutivdirektors für Afrika. Die Schweiz hat sich kontinuierlich an diesen Reformen beteiligt, da sie eine angemessene Vertretung aller Länder für die Legitimität und Wirksamkeit der Institution als zentral erachtet. In diesem Sinne steigt der Stimmrechtsanteil der Entwicklungsländer von 42,6 auf 44 %. Die Position der Schweizer Stimmrechtsgruppe verbesserte sich um einen Platz auf Rang 16, da sie als Ganzes durch die Anpassung der Basisstimmrechte um 0,03 % zulegen konnte (von 3,04 % auf 3,07 %) und der zusätzliche afrikanische Sitz zu kleineren afrikanischen Stimmrechtsgruppen
führte. Allerdings musste die Schweiz einen leichten Rückgang ihrer Stimmrechtsanteile hinnehmen (von 1,66 % auf 1,63 %).

Künftige Herausforderungen der Reform und Interessen der Schweiz Die Gouvernanzreform der Bretton-Woods-Institutionen hat durch die jüngsten politischen, strategischen und ideologischen Herausforderungen neuen Aufschwung erhalten. Vor allem die Finanzkrise hat den Druck, die Reform zügig abzuschliessen, erhöht. Die ärmsten Staaten und vor allem die wichtigsten Schwellenländer (BRICS, d.h. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) drängen zunehmend darauf, dass ihre Vertretung in den Exekutivräten der Bretton-Woods-Institutionen verbessert wird. Die G-20 ist zu einem unumgänglichen Partner in der Diskussion über Rolle und Aufgaben dieser Institutionen geworden und nimmt erheblichen Einfluss auf die Verhandlungsergebnisse (vgl. Ziff. 3.3.1). Die Schweiz vertritt konsequent die Position, dass solche wichtigen Themen in den zuständigen Verwaltungsausschüssen der Bretton-Woods-Institutionen diskutiert und entschieden werden sollen.

Diese Ausschüsse sind repräsentativ für alle Mitgliedsländer, was von der G-20 nicht gesagt werden kann.

6479

Am G-20-Gipfel vom 2. April 2009 wurden wichtige Vorentscheide für die BrettonWoods-Institutionen getroffen, die der Internationale Währungs- und Finanzausschuss an der Frühjahrestagung von IWF und Weltbank Ende April 2009 zu für ihn gültigen Empfehlungen erklärt hat. Es soll sichergestellt werden, dass der IWF über genügend Mittel verfügt, um seinen Mitgliedstaaten die notwendige Unterstützung bei der Krisenbewältigung zu gewähren. Konkret sollen die Mittel des IWF über bilaterale Kredite unmittelbar um 250 Milliarden US-Dollar erhöht werden. Über eine Ausdehnung der Neuen Kreditvereinbarungen sollen anschliessend bis zu 500 Milliarden US-Dollar an weiteren Mitteln zur Verfügung gestellt werden. An der Frühjahrstagung wurde ferner beschlossen, die Gouvernanz des IWF zu verbessern, indem die bereits beschlossene Stimmrechtsreform von 2008 von den Mitgliedsländern ratifiziert, die nächste Quotenüberprüfung bereits 2011 abgeschlossen und der Internationale Währungs- und Finanzausschuss stärker in die strategische Steuerung des IWF einbezogen wird. Schliesslich sollen die geschäftsführenden Direktoren oder Präsidenten der internationalen Finanzinstitutionen künftig nach dem Verdienstprinzip bestimmt werden. Zudem wurde entschieden, dass die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken ihren finanziellen Spielraum voll ausschöpfen sollen, um langfristige Entwicklungsprogramme zu finanzieren, die wegen der Finanzkrise und der entsprechenden Fiskaldefizite sonst in Frage gestellt wären. Somit wird die Weltbank in den kommenden drei Jahren mindestens 100 Milliarden US-Dollar ausleihen, und das Kapital der Asiatischen Entwicklungsbank wird bis nächstes Jahr verdreifacht. Auch wurde empfohlen, dass die Afrikanische und die Interamerikanische Entwicklungsbank ihr Kapital bald erhöhen sollen.

Die Weltbank wird abklären, ob eine Kapitalerhöhung nötig ist oder ob andere Wege gefunden werden können, damit ihre Kapazität zur Unterstützung der Schwellenund armen Länder während der Finanzkrise erhöht werden kann.

Die Schweiz hat ein grosses Interesse an einer raschen Überwindung der Krise und an einer nachhaltigen Stärkung des internationalen Finanzsystems. Der Bundesrat sieht deshalb eine schweizerische Beteiligung an der Mittelerhöhung des IWF vor, indem dieser eine zeitlich befristete Kreditlinie von bis zu
10 Milliarden US-Dollar erhält. Über eine Ablösung dieses Beitrags durch eine Ausdehnung der Neuen Kreditvereinbarungen wird später befunden werden.

Aufgrund der bisherigen Diskussionen über die Exekutivräte ist eine Verkleinerung derselben eine der diskutierten Optionen. Zu den ursprünglich 20 Sitzen kamen im Laufe der Jahre aus politischen Gründen weitere Sitze hinzu (1980 China, 1986 Saudi-Arabien, 1992 Russland und die Stimmrechtsgruppe Schweiz). Heute weist der Trend jedoch in Richtung einer Verkleinerung: Unter der Bush-Administration plädierten die USA im IWF klar für eine Rückkehr zu 20 Sitzen bis 2012. Die neue amerikanische Regierung hat diese Position während der Frühjahrstagung bestätigt; eine Umsetzung ist aber nur möglich, wenn die EU-Mitgliedstaaten bereit sind, ihre zahlreichen Sitze zu konsolidieren. Somit besteht ein grosser Unsicherheitsfaktor bezüglich der Grösse eines neuen Exekutivrats.

Die zweite Phase der Weltbankreform «Voice and Participation» konzentriert sich auf die Überprüfung der Grundsätze und Kriterien für die Festlegung des Aktienkapitals der beiden wichtigsten Weltbankagenturen, nämlich der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) und der Internationalen Finanzkorporation (IFC). Obwohl im Herbst 2008 entschieden wurde, den Exekutivrat um einen Sitz von 24 auf 25 zu vergrössern, damit Afrika besser vertreten ist, wird auch dort eine Diskussion über eine Reduktion der Anzahl von Exekutivdirektoren geführt.

6480

Diese zweite Phase wird während der Jahresversammlung der Bretton-WoodsInstitutionen im Oktober 2009 in Istanbul diskutiert werden und sollte bis Frühling 2010 abgeschlossen sein.

Die Gebergemeinschaft ist daran, über die Weltbankgruppe und die regionalen Entwicklungsbanken schnell zusätzliche Mittel zur Linderung der Auswirkungen der Krise auf die Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Die Schweiz wird abwägen, ob und in welchem Umfang sie sich an den einzelnen Fondsauffüllungen der multilateralen Finanzierungsinstitutionen beteiligen wird, und dabei die Implikationen für die schweizerische Vertretung und Einflussnahme innerhalb dieser Institutionen beachten. Zudem ist dem Beschluss des Parlaments, die Ausgaben für die multilateralen Institutionen auf maximal 40 % des elften Rahmenkredits zu beschränken, Rechnung zu tragen.

Diese beiden Tendenzen zusammen (Reformen und stärkeres Gewicht der Entwicklungsländer sowie Kürzung der finanziellen Mittel für das multilaterale Engagement der Schweiz) könnten sich mittelfristig negativ auf die allgemeine Einflussnahme der Schweiz und ihre Sitze auswirken. Unter der Federführung des EFD befassen sich das EDA, das SECO und die Schweizerische Nationalbank eingehend mit den Zielen der Reform und mit deren Folgen für die Schweiz.

Antworten der Bretton-Woods-Institutionen auf die globalen Krisen Die Arbeit im IWF und in der Weltbank wurde im vergangenen Jahr stark von den Ereignissen rund um die Finanzkrise geprägt. Die Schweiz unterstützt die allgemeine Auffassung der internationalen Gemeinschaft, wonach dieser Krise nur mit einer koordinierten, gemeinsamen Lösung, möglichst innerhalb bestehender Foren und Institutionen wie dem «Financial Stability Board» (FSB), dem IWF, der Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken, beizukommen ist. Der IWF schuf mit der «Flexible Credit Line» im ersten Quartal 2009 als Antwort auf die spezifischen Herausforderungen der Krise für Schwellenländer ein neues Instrument mit Versicherungscharakter. Dieses Instrument stellt jenen Ländern, die sich bis anhin ohne Probleme an den Finanzmärkten finanzieren konnten und die eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzsektorpolitik nachweisen können, kurzfristig eine Kreditlinie zur Verfügung. Mexiko hat Anfang 2009 als erstes Land von diesem Instrument Gebrauch gemacht.
Ausserdem wurde im September 2008 vor dem Hintergrund der hohen Öl- und Nahrungsmittelpreise die «Exogenous Shocks Facility» angepasst. Dieses Kreditfenster des Währungsfonds wurde 2005 zur Unterstützung von armen Ländern mit Zahlungsbilanzproblemen aufgrund externer Schockeinflüsse, wie Malawi, Senegal und Kirgisistan, geschaffen. Die jüngsten Anpassungen haben zum Ziel, eine erste Tranche schneller und mit weniger Auflagen bereitzustellen. Der IWF vergab im Rahmen seiner traditionellen Instrumente zudem Ländern wie der Ukraine, Ungarn, Rumänien, Lettland, Pakistan oder Island beträchtliche Mittel zur Überbrückung akuter Zahlungsbilanzprobleme. Im Falle Islands ist dies besonders bemerkenswert, handelt es sich doch um ein Industrieland mit hohem Einkommensniveau. Island wurde ein Beistandsabkommen in der Höhe von 2,1 Milliarden US-Dollar gewährt, das Massnahmen zur Stabilisierung des Wechselkurses, die mittelfristige Konsolidierung des öffentlichen Haushalts sowie eine grundlegende Reform des Finanzsektors umfasst.

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Der IWF hat seine Expertise in der Überwachung des Finanzsektors weiterentwickelt, namentlich über die Wechselwirkungen zwischen den Finanzsystemen und der Realwirtschaft sowie über die grenzüberschreitenden Verflechtungen der Finanzsysteme. Daneben hat der IWF zusammen mit dem FSB entschieden, die Überwachung zu verstärken und besser zu koordinieren. Um dies zu erreichen, sollen die jeweiligen Zuständigkeiten besser aufeinander abgestimmt und ein gemeinsames Frühwarnsystem entwickelt werden.

Die Weltbank suchte bereits Anfang 2008 im Rahmen ihrer «Global Food Response»-Programme unermüdlich nach geeigneten Lösungen für das Problem der gestiegenen Lebensmittelpreise und deren direkten negativen Folgen auf die ärmsten Länder dieser Welt. Bei den Massnahmen im Zusammenhang mit der Finanzkrise engagiert sich die Weltbank aktiv in den Empfängerstaaten von IBRD-Krediten und plant, Darlehen von 100 Milliarden US-Dollar von 2009­2011 zu sprechen, damit die Auswirkungen der Krise etwas abgefedert werden können. Für das Jahr 2009 wird deshalb mit einem Kredittotal von mindestens 35 Milliarden US-Dollar gerechnet. In den ärmeren Ländern erstellte die Weltbank eine detaillierte Schadenspotenzialanalyse und verbesserte ihre Aktionsbereitschaft durch die vorgezogene Bereitstellung der Mittel für Auszahlungen von bis zu 2 Milliarden US-Dollar und durch die Konsolidierung bestehender Notfallprogramme. Auch die regionalen Entwicklungsbanken in Asien, Afrika und Lateinamerika geben zusätzliche Darlehen im Rahmen der international koordinierten Programme, um die langfristigen Entwicklungsperspektiven der Schwellen- und Entwicklungsländer trotz der Krise sichern zu können und um die Auswirkungen auf die ärmsten Länder und Bevölkerungsschichten abzufedern.

3.4.3

WTO

Die 1995 als Nachfolgeorganisation des GATT gegründete Welthandelsorganisation (WTO) regelt als einzige internationale Organisation die grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen der Staaten auf globaler Ebene. Ziele der WTO sind der Abbau von Handelshemmnissen und die Schaffung von durchsetzbaren Handelsregeln. Die WTO ist nicht nur ein Verhandlungsforum, in dem 153 Staaten zusammensitzen, um über die anstehenden Handelsthemen zu diskutieren. Sie ist auch ein Forum zur Weiterentwicklung der bestehenden und zur Aushandlung neuer Handelsregeln. Die Mitgliedstaaten überprüfen sodann gegenseitig ihre Handelspolitiken in regelmässigen Abständen. Die Schweiz hat sich 2008 zum fünften Mal seit 1991 einer solchen Überprüfung durch die WTO-Mitgliedstaaten unterzogen.

Wichtigkeit der WTO für die Schweiz Eine funktionierende WTO ist im Interesse kleiner und mittlerer Länder, weil sie damit über eine verlässliche Plattform verfügen, um andere Länder zu Konzessionen betreffend Marktzugang bewegen zu können. Die stark in den Welthandel integrierte Schweiz ist auf ein funktionierendes Welthandelssystem mit verlässlichen und einfachen Regeln angewiesen und daher an einer starken WTO interessiert. Die Rechtssicherheit, die die WTO bietet, ist für die Schweiz der ideale Schutz, um ihre Güter und Dienstleistungen in die übrigen WTO-Mitgliedstaaten exportieren zu können. Die WTO ist mit einem effizienten Durchsetzungsmechanismus für die von ihr geschaffenen Handelsregeln ausgestattet.

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Doha-Runde In Doha wurde 2001 eine neue WTO-Verhandlungsrunde lanciert, die inoffiziell den Beinamen «Doha Development Agenda» erhielt. Bei einem Abschluss der DohaRunde läge der eigentliche Vorteil für die Entwicklungsländer in der verbesserten Integration und Teilhabe am Welthandel auf der Grundlage der gewährten Liberalisierungen (z.B. Auslaufen der Agrar-Exportsubventionen bis 2013, Marktöffnung im Landwirtschafts- und Industriebereich). So sollte die Doha-Runde nicht zuletzt auch den Handel der Entwicklungsländer untereinander verbessern.

Stand der Verhandlungen Nach sieben Verhandlungsjahren hat sich an der Ausgangslage allerdings wenig geändert. Die Entwicklungsländer machen geltend, dass die Ambitionen der Verhandlungsrunde an den Ergebnissen im Landwirtschaftsbereich gemessen werden müssten. Die Industrieländer und damit auch die Schweiz streben demgegenüber ein breites Resultat mit ausgewogenen Konzessionen in allen Verhandlungsbereichen an (vor allem auch in den Bereichen Industriegüter, Dienstleistungen, Handelserleichterung, geistiges Eigentum sowie Handel und Umwelt).

Anlässlich eines informellen Ministertreffens im Juli 2008 in Genf wurde versucht, die Grundlagen für eine Liberalisierung in den Bereichen Landwirtschaft und Industriegüter zu beschliessen. Nach neun Verhandlungstagen wurden die Verhandlungen mangels Einigung abgebrochen. Vorher zeichneten sich in drei zentralen Verhandlungspunkten aber Kompromisslösungen ab. Seit September 2008 werden auf technischer Ebene die Doha-Verhandlungen vor allem im Agrar- und im Industriegüterdossier intensiv fortgeführt.

Freihandelsverträge als Alternative?

Da die Doha-Verhandlungen stocken, behelfen sich viele Länder ­ auch die Schweiz ­ damit, sich via Freihandelsverträge diskriminierungsfreien Zugang zu anderen Märkten zu verschaffen. Allerdings können Freihandelsabkommen das multilaterale Verhandlungs- und Regelsystem der WTO höchstens ergänzen, nicht aber ersetzen, denn die Freihandelsabkommen basieren auf den WTO-Abkommen. Gerade für die auf offene Märkte angewiesene Schweiz ist die WTO als multilaterales Verhandlungsforum und Rechtssicherheit bietende Institution unabdingbar. Die Schweiz wäre nicht in der Lage, mit allen WTO-Mitgliedern bilateral zu verhandeln, um sich den Zugang zu diesen Märkten zu sichern. Sie setzt sich deshalb
auch weiterhin stark für einen erfolgreichen und zügigen Abschluss der Doha-Runde ein.

Wichtigkeit eines raschen Abschlusses der Doha-Runde Am informellen WTO-Ministertreffen vom 31. Januar 2009 in Davos, das von der Schweiz initiiert und organisiert wurde, waren sich die Handelsminister über die Wichtigkeit offener Märkte sowie des Handels für die wirtschaftliche Erholung einig. Der Abschluss der Doha-Runde wäre ein ausgezeichnetes Mittel zur Stimulierung der Weltwirtschaft. Ausserdem wäre ein solcher Abschluss sehr hilfreich für die Bekämpfung des wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise international zunehmenden Protektionismus. Die WTO ist wohl die einzige multilaterale Organisation, die Instrumente zur Überwachung und Verhinderung bzw. Beilegung protektionistischer Handelsmassnahmen zur Verfügung stellt, weshalb sie ihre Aufsichtsfunktion in diesem Bereich noch aktiver wahrnehmen sollte.

6483

Ein Scheitern der Doha-Runde würde der Glaubwürdigkeit der WTO grossen Schaden zufügen. Die wichtigsten Handelsnationen könnten sich aus innenpolitischen Gründen noch stärker versucht sehen, protektionistische Handelsgesetze zu verabschieden. Der auf Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit angewiesenen Schweiz würde eine solche Entwicklung nur schaden.

3.4.4

OECD

Politik der Öffnung: Erweiterung und verstärktes Engagement Im Zuge der im Mai 2007 eingeleiteten Erweiterungspolitik wurden Chile, Estland, Israel, die Russische Föderation und Slowenien offiziell eingeladen, der Organisation mittelfristig beizutreten. Der zweite Pfeiler der Öffnungspolitik der OECD, das sogenannte verstärkte Engagement, ist die Annäherung an wichtige Länder und Regionen, die nicht bereit oder nicht interessiert sind, der Organisation mittelfristig beizutreten. Zu diesem Programm gehören Südafrika, Indien, China, Brasilien, Indonesien und Südostasien. Die OECD arbeitete 2008 eine Strategie für diese Länder aus. Dabei spielte die Schweiz eine wesentliche Rolle.

Ausgangspunkt der Beitrittsgespräche bildet ein Memorandum, das die Kandidatenländer zu ihrer Haltung gegenüber allen Rechtsinstrumenten der OECD einreichen.

Anschliessend geben die Fachausschüsse eine technische Stellungnahme zur Lage und zu den notwendigen Fortschritten in den Kandidatenländern ab. Diese Phase ist derzeit im Gang und dürfte bis Juni 2009 abgeschlossen sein. Wenn die technischen Stellungnahmen vorliegen, entscheidet der OECD-Rat über den formellen Beitritt.

Mit Ausnahme der Russischen Föderation haben alle Kandidaten ihr Memorandum in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 eingereicht. Sie bestimmten eine Anlaufstelle und delegierten hochrangige Vertreter, die den Beitrittsprozess begleiten. Der Wille und das politische Engagement der Kandidatenländer sind ermutigend. Die russischen Behörden scheinen sich derzeit eher abwartend zu verhalten; ihr Beitritt zur WTO ist eine Voraussetzung für eine OECD-Mitgliedschaft.

Die Öffnung der OECD hat eine nicht zu vernachlässigende politische Dimension.

Zwar basiert die OECD in erster Linie auf dem Austausch von «Good Practices» im öffentlichen Bereich, aber die Wahl der Länder, denen man den Beitritt anbietet, setzt ein starkes politisches Signal gegenüber der internationalen Gemeinschaft: Die OECD will unter Berücksichtigung eines gewissen geografischen Gleichgewichts sowie des Standes der Vorbereitung und des Interesses der Kandidaten die neuen Schwergewichte der Weltwirtschaft (Brasilien, Russland, Indien, Indonesien, China und Südafrika ­ die BRIICS-Länder) aktiver einbeziehen. China, Brasilien und Indien sind an einer Zusammenarbeit in gewissen Sektoren interessiert,
haben jedoch bisher keine konkreten Zeichen für eine langfristige strukturelle Annäherung gegeben. Hier besteht die Gefahr einer Instrumentalisierung des OECD-Annäherungsprozesses für die eigene Visibilität, ohne eigentliches Engagement oder Gegenleistung. Auch wenn die OECD in erster Linie eine Organisation zur Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist, können politische Konflikte wie die jüngsten Krisen mit Russland oder Israel (Georgien bzw. Gaza) und deren Folgen für die Einhaltung des internationalen Rechts und der Menschenrechte in einem Beitrittsprozess nicht völlig ausgeblendet werden.

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Antwort der OECD auf die Finanz- und Wirtschaftskrise und Druck auf das Schweizer Bankgeheimnis Die Finanzkrise ist seit Ende 2008 Gegenstand intensiver Debatten. Die OECD hat einen Aktionsplan entwickelt, wie sie ihre Kompetenzen und ihre Erfahrung zur Verfügung stellen kann, um eine Antwort auf die einzelnen Probleme der Krise zu finden. Die «Strategische Antwort der OECD auf die Finanz- und Wirtschaftskrise», deren Themen im Dezember 2008 verabschiedet wurden, umfasst zwei Schwerpunkte: die Regulierung der Finanzmärkte und die langfristige Wiederbelebung des Wachstums. Die OECD empfiehlt zudem eine Stärkung der Wirtschaft durch Investitionen in Märkte mit einem Wirtschaftspotenzial, das auf Innovationen in Sektoren mit einem hohen Mehrwert basiert. In ihrer «Strategischen Antwort» setzt die OECD auch auf die Zweckmässigkeit konsequenter Investitionen, die zur Schaffung einer CO2-armen Wirtschaft («grüne» Wirtschaft) beitragen.

Die Reaktionen der Regierungen auf die Finanzkrise, die vor allem darin bestehen, grosse Summen in einzelne Sektoren einzuschiessen, belasten die öffentliche Hand schwer. Die Staaten suchen deshalb nach neuen Finanzierungsquellen. Vor diesem Hintergrund fordern die wichtigsten Wirtschaftspartner der Schweiz international mehr Transparenz und Kooperation in Steuerfragen. Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs beriefen am 21. Oktober 2008 in Paris eine informelle Sitzung zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ein. Dabei einigten sich die 17 Teilnehmerländer darauf, die vollständige Umsetzung der OECD-Normen bezüglich Transparenz und Informationsaustausch zu beschleunigen. Die Schweiz, die nicht anwesend war, wurde mit dem Drohfinger aufgefordert, die OECD-Standards beim Informationsaustausch einzuhalten. Die Schweiz kritisierte die Teilnahme des OECD-Generalsekretärs ­ dessen Aufgabe die Vertretung aller OECD-Mitglieder ist ­ an der Pressekonferenz nach diesem informellen Treffen mit aller Deutlichkeit.

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung erhielt eine noch stärkere Dynamik, als sich die G-20 dieses Themas annahm und dabei auf Arbeiten der OECD zurückgriff.

Auf aktiven Wunsch einiger grosser Mitglieder erarbeitete das OECD-Sekretariat neue Listen von «Steueroasen» und anderen unkooperativen Finanzzentren zuhanden der G-20. Nach mehreren Entwürfen
publizierte die OECD am 2. April 2009 schliesslich einen «Fortschrittsbericht», der die vom Globalen Steuerforum der OECD bewerteten Länder in vier Kategorien einteilt. Die Schweiz figuriert darin als Finanzzentrum, das sich zwar zum OECD-Standard bekennt, diesen aber noch nicht genügend umgesetzt hat. Als Kriterium gilt der Abschluss von 12 Abkommen über den Informationsaustausch, die den Standards des OECD-Musterabkommens entsprechen. Die Schweiz kritisierte die OECD insbesondere, weil sie nicht im Rahmen ihrer eigenen formellen Verfahren agierte, sondern auf Bestellung der G-20. Zur neuen schweizerischen Amtshilfepolitik in Steuersachen siehe Ziffer 3.3.1 (Abschnitt Herausforderungen).

4

Konsularische Angelegenheiten

4.1

Konsularische Dienstleistungen

Die Schweizer Vertretungen im Ausland bieten eine breite Palette von konsularischen Dienstleistungen an. Deren Umfang ist erheblich und erweitert sich noch aufgrund von Faktoren, die die Vertretungen nicht beeinflussen können. Die Nach6485

frage bestimmt das Angebot an Dienstleistungen, die ihrerseits auf der Bundesverfassung, den Bundesgesetzen oder ihren Ausführungsverordnungen beruhen.

Die Vertretungen im Ausland sind die Ansprechpartner von Schweizer Staatsangehörigen, die in dem betreffenden Land ihren ständigen Wohnsitz haben oder sich vorübergehend dort aufhalten. Damit erfüllen sie ähnliche Aufgaben wie die Gemeindeverwaltungen in der Schweiz. Sie gewährleisten die Verbindung der Auslandschweizerinnen und -schweizer zu ihrem Heimatland. Sie tragen wesentlich zur Förderung der Beziehungen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer untereinander und zur Schweiz bei, wie es die Bundesverfassung vorsieht. Darüber hinaus nehmen sie Aufgaben im Zusammenhang mit dem konsularischen Schutz wahr und spielen eine wichtige Rolle im Krisenmanagement. Auch in diesen Bereichen nehmen die Aufgaben zu und werden zudem anspruchsvoller.

Das neue Ausländergesetz64 sieht eine Mitarbeit der Vertretungen bei der Umsetzung der Bestimmungen vor, die die Vorbereitung von Eheschliessungen, Partnerschaften und Familienzusammenführungen betreffen. Infolgedessen wurden sie mit neuen Aufgaben betraut, die sie auf Ersuchen der Zivilstandsbehörden und unter der Aufsicht des Eidgenössischen Amtes für das Zivilstandswesen erfüllen.

Im Migrationsbereich sind die Vertretungen für die Bearbeitung von Visumsgesuchen zuständig und unterstützen das Bundesamt für Migration sowie die Kantone bei der Ausführung ihrer Aufgaben. Eine besonders wichtige und heikle Aufgabe der Vertretungen ist die Erteilung von Visa, mit der sich die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates bereits mehrmals befasst hat. Nachdem die GPK-N am 17. April 2007 einen Bericht zur Visaerteilung durch die Schweizer Auslandvertretungen vorgelegt hatte, beschloss der Bundesrat auf Empfehlung der Kommission, die zusätzlichen Mittel in Höhe von 4,3 Millionen Franken, die das EDA 2007 erhalten hatte, definitiv zu verankern und damit 30 zusätzliche Stellen zu finanzieren. Dabei konnte jedoch der Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum nicht berücksichtigt werden, dessen finanzielle Auswirkungen zum Zeitpunkt des Entscheids noch nicht bekannt waren.

Vor dem operationellen Inkrafttreten der Schengen/Dublin-Assoziierungsabkommen am 12. Dezember 2008 waren die Schweizer Auslandvertretungen im
Vergleich zu denen der Schengen-Länder nicht ausreichend mit versetzbarem Konsularpersonal ausgestattet, wie die Evaluation der in den Vertretungen vorgenommenen Visaerteilungen ergab. Das Konsularpersonal musste verstärkt werden, damit ein Kontrollniveau gewährleistet ist, das den Verantwortlichkeiten entspricht, damit komplexere und teilweise auch neue Aufgaben übernommen werden können und damit die Schengen-Tauglichkeit der Prozesse sichergestellt ist. Deshalb beschloss der Bundesrat, den Ausgabenrahmen des EDA ab 2009 um 5,2 Millionen Franken zu erhöhen, um eine Verstärkung des Konsularpersonals und insbesondere des Schweizer Karrierepersonals zu ermöglichen.

Dank diesen Massnahmen konnten Visaspezialistinnen und -spezialisten sowie zusätzliches konsularisches Personal eingestellt werden, die ihre Ausbildung Ende 2008 abschlossen. Durch diese Einstellungen werden diejenigen Vertretungen gestärkt, die einem starken Migrationsdruck ausgesetzt sind und die zahlreiche und häufig auch heikle Visumsgesuche zu bearbeiten haben. Das EDA verfolgt die Entwicklung aufmerksam. Es wurde vom Bundesrat beauftragt, den Bedarf, den die 64

SR 142.20

6486

Umsetzung der Schengen/Dublin-Assoziierungsabkommen zur Folge hat, im Jahr 2010 auf der Grundlage der praktischen Erfahrungen neu zu analysieren.

Seit dem 12. Dezember 2008 wendet die Schweiz die Schengen/Dublin-Assoziierungsabkommen an. Dies bedeutet für die Auslandvertretungen, dass bei der Erteilung von Visa für Kurzaufenthalte (bis zu drei Monaten) ein neuer Ansatz gilt. Die Vertretungen stellen nunmehr Visa aus, die die Inhaberinnen und Inhaber berechtigen, sich frei in einem Raum zu bewegen, der 25 Staaten umfasst. Daher ist bei der Prüfung der Visumsgesuche besondere Wachsamkeit geboten, namentlich im Hinblick auf Rückfragen bei anderen Staaten. Zudem macht die Umsetzung der Schengen/Dublin-Assoziierungsabkommen in den Vertretungen organisatorische und infrastrukturelle Änderungen notwendig. Das bestehende System der elektronischen Visaausstellung (EVA) musste sowohl hinsichtlich der Anwendung als auch hinsichtlich der Software an die neuen Vorschriften angepasst werden. Das gesamte im Visabereich tätige Personal wurde in Kursen mit den neuen Vorschriften vertraut gemacht.

Ein wichtiges Element, das 2009 und 2010 für alle Schweizer Auslandvertretungen relevant werden wird, ist die Einführung der Biometrie im Visumverfahren. Diese Neuerung wird nicht einfach zu bewerkstelligen sein, denn die Erfassung der biometrischen Daten ­ darunter die Abdrücke aller zehn Finger sowie ein digitales Foto eines jeden der rund 650 000 Antragstellerinnen und Antragsteller (so viele Visa stellten die Schweizer Vertretungen 2007 aus) ­ wird nur dann möglich sein, wenn das Ausstellungsverfahren erheblich geändert und die Infrastruktur zahlreicher Vertretungen an die neuen Erfordernisse angepasst wird.

Die EG plant, das VIS-System (Visa-Informationssystem, VIS), das die Ausstellung von biometrischen Visa beinhaltet, regional und zeitlich gestaffelt einzuführen. Sie will im Dezember 2009 mit ihren Vertretungen in Nordafrika beginnen und das neue Verfahren sodann in den Golfstaaten, im Nahen Osten und anschliessend in Zentral-, West- und Südafrika einführen. Danach sollen Lateinamerika, die GUS-Staaten, Zentralasien und der Kaukasus folgen. Sobald die Umsetzung in diesen Ländern begonnen hat, wird es dort nicht mehr möglich sein, ausserhalb des VIS-Systems ein Schengen-Visum auszustellen. Diejenigen Vertretungen
der Schengen-Staaten, die technisch noch nicht in der Lage sind, die neue Aufgabe wahrzunehmen, müssen sich von einem Staat vertreten lassen, der über die erforderliche Infrastruktur verfügt.

Auch die Schweiz wird das Visa-Informationssystem zu diesem Zeitpunkt in Betrieb nehmen, was die Umsetzung biometrischer Visa einschliesst, um eine gleichzeitige Umsetzung in der EG und in der Schweiz zu garantieren. Was die in den SchengenVorschriften vorgesehene Vertretung anbelangt, so intensiviert die Schweiz ihre Kontakte zu den Schengen-Staaten, insbesondere zu Österreich. Die konsularische Zusammenarbeit mit Österreich wurde im Jahr 2008 durch die Verwirklichung eines konkreten Projekts verstärkt: In den Räumlichkeiten der Schweizer Botschaft in Santo Domingo (Dominikanische Republik) wurde ein österreichisches Büro eröffnet, das von einem österreichischen Konsularagenten geleitet wird. Ein ähnliches Projekt ist für 2009 geplant; ein Schweizer Konsularagent wird ein Büro in den Räumlichkeiten einer österreichischen Botschaft beziehen.

6487

4.2

Konsularischer Schutz

Der konsularische Schutz ­ d.h. die Hilfeleistung an Schweizerinnen und Schweizer bei Notlagen im Ausland ­ ist eine klassische Aufgabe des EDA. Die Zahl der betreuten Notfälle pro Jahr liegt bei rund 2000 (2007: 1925, 2008: 1750). Nicht mitgerechnet sind Hilfeleistungen aufgrund des Bundesgesetzes vom 21. März 197365 über Fürsorgeleistungen an Auslandschweizer, die Ausstellung von provisorischen Reisedokumenten und Bagatellfälle.

Einzelfälle beschäftigen immer wieder Medien und Öffentlichkeit. Wenig bewusst ist dabei, dass der Staat auch im konsularischen Schutz ­ wie in anderen Bereichen, in denen es um Unterstützung von Einzelpersonen geht ­ grundsätzlich nur subsidiär tätig sein kann, dann nämlich, wenn Selbsthilfe nicht möglich und zumutbar ist.

Die häufigsten schwerwiegenden Notlagen von Auslandreisenden sind Krankheit und Unfall. Hierbei sind neben dem EDA die Kranken- und Reiseversicherer, die Rega und der TCS die Hauptakteure. Sie nehmen jährlich in ihren Callcentern über 100 000 Anrufe von Schweizer Touristen entgegen und leisten in rund 10 000 medizinischen Notfällen Hilfe; rund 80 % der Reisenden haben eine entsprechende Versicherung abgeschlossen. Die Auslandvertretungen des EDA unterstützen einerseits die genannten Dienstleister namentlich in Ländern, in denen diese keine Vertretungen haben, andererseits diejenigen Reisenden, die keine Versicherungsdeckung haben. Diese Leistungen sind nach den massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich gebührenpflichtig. Eine Überprüfung der geltenden Gebührenverordnung soll sicherstellen, dass dem Einzelfall gerecht werdende Kostenlösungen getroffen werden können. In Zusammenarbeit mit dem über den entsprechenden Kredit verfügenden Bundesamt für Justiz leisten die Auslandvertretungen grundsätzlich rückzahlbare finanzielle Not- und Rückkehrhilfe.

Zu den Aufgaben der Auslandvertretungen gehört auch die Unterstützung von Personen, die durch eine Gewalttat im Ausland in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität verletzt wurden. Mit der Inkraftsetzung des revidierten Opferhilfegesetzes66 per 1. Januar 2009 wird der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Ausländerinnen und Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz erweitert.

Zugenommen haben die Fälle von Kindern, die durch einen nicht sorgeberechtigten Elternteil aus der Schweiz
in Länder verschleppt wurden, die das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung67 nicht unterzeichnet haben. Das EDA setzt sich in der Regel in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und privaten Hilfsorganisationen in diesen menschlich sehr schwierigen Fällen für eine gütliche Einigung zwischen den Elternteilen ein ­ oft in langjährigen, aufwendigen Bemühungen, wie 24 per Ende 2008 ungelöste Fälle zeigen.

Eine besondere Rolle spielen die Auslandvertretungen, gestützt auf das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen68, bei der Betreuung von inhaftierten Schweizer Staatsangehörigen. Per Ende 2008 betraf dies 195 Personen, von denen sich rund die Hälfte wegen Drogendelikten zu verantworten hatten. Diese Zahl, ebenso wie die Zahl der laufend gemeldeten Festnahmen (2007: 148; 2008: 65 66 67 68

SR 825.1 SR 312.5 SR 0.211.230.02 SR 0.191.02

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150), bewegt sich seit Jahren in derselben Bandbreite. Aufwendig ist die Betreuung in Ländern mit schwierigen Haftbedingungen, wenn Personen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden oder im Strafvollzug schwer erkranken.

Eine ständige Herausforderung des konsularischen Schutzes ist die Sicherstellung von raschen, effizienten Hilfeleistungen in Notsituationen ausserhalb der ordentlichen Öffnungszeiten der Auslandvertretungen. Kleine und mittlere Vertretungen stehen im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Mitbürgerinnen und Mitbürger und knappen personellen Ressourcen. Das EDA prüft daher in diesem Bereich neue Lösungen, um den Service public weiter zu verbessern.

4.3

Krisenprävention und Krisenmanagement

Nach der Libanon-Krise im Jahr 2006, die zur grössten Evakuierungsoperation der Schweizer Geschichte führte, waren auch in den vergangenen zwei Jahren in zahlreichen Ländern Krisen zu verzeichnen, die die Sicherheit der dort befindlichen Schweizer Staatsangehörigen gefährdeten (Terroranschläge, Unruhen, kriegerische Auseinandersetzungen). 2008 war mit 14 Krisen, in denen die Krisenzelle des EDA aktiv wurde, ein Rekordjahr. Mehrmals mussten Kriseneinsatzteams entsandt werden, teilweise in verschiedene Länder gleichzeitig, um die Schweizerinnen und Schweizer vor Ort zu betreuen und mögliche Evakuierungen vorzubereiten. Nur in einem Fall wurde eine Evakuierung tatsächlich unvermeidlich: Im Tschad wurden im Januar/Februar 2008 mit Hilfe Frankreichs 91 Schweizerinnen und Schweizer evakuiert oder bei der selbstständigen Ausreise unterstützt. In jüngster Zeit waren es vor allem die Libyen-Krise, die Terroranschläge in Mumbai, die Blockade der Flughäfen von Bangkok und die Entführungen auf den Philippinen und in Mali, die das EDA stark beanspruchten.

Die Verhandlungen zur Lösung der Spannungen zwischen der Schweiz und Libyen gestalten sich äusserst schwierig und sind noch nicht abgeschlossen. Ein Hauptproblem liegt darin, dass Libyen seine eigentlichen Forderungen nicht bekannt gibt.

Zudem bekundet Libyen Mühe mit der Forderung der Schweiz, simultan zum Verhandlungsabschluss auch die beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger ausreisen zu lassen. Aufgrund dieser Verhandlungen und der Betreuung der beiden Schweizer in Libyen werden im EDA erhebliche personelle Ressourcen gebunden.

Das EDA setzt auch weiterhin alles daran, um möglichst rasch eine Lösung zu finden.

Nach der Entführung eines Schweizer Ehepaars in Mali am 22. Januar 2009 baute die Schweiz gemeinsam mit Deutschland, Grossbritannien und Kanada, die anfangs auch betroffen waren, ein umfassendes Dispositiv auf politischer, diplomatischer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Ebene auf, um eine sichere und bedingungslose Freilassung der Geiseln zu erreichen. Unter der Leitung des EDA nahm eine interdepartementale Krisenzelle mit Vertretern des Bundesamtes für Polizei (fedpol), dem Strategischen Nachrichtendienst (SND) und der Kantonspolizei Zürich die Arbeit auf. Das EDA ernannte einen Sondergesandten, die in Bamako gemeinsam mit
Vertretern anderer Bundesstellen die Bemühungen zur Freilassung koordinierten. Im Rahmen der Geiselnahme war die fedpol auch in Berlin und London mit Experten vertreten. Inzwischen sind die beiden schweizerischen Geiseln freigelassen worden.

6489

Rund 90 000 Schweizerinnen und Schweizer haben ihren Wohnsitz in Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen die staatliche Pandemievorsorge unzureichend ist. Das EDA hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit die dort lebenden Landsleute seit 2005 wiederholt aufgefordert, sich auf eine mögliche Pandemie vorzubereiten und insbesondere Tamiflu® vorsorglich privat zu beschaffen. Für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in Ländern, in denen Tamiflu® nicht im Verkauf war, wurde eine Medikamenten-Reserve angelegt. Nach Erhöhung der Pandemiealarmstufe durch die Weltgesundheitsorganisation am 29. April 2009 verschickte das EDA 7500 Packungen an die Auslandvertretungen in diesen Ländern. Die Abgabe erfolgt erst im Ernstfall, unter ärztlicher Aufsicht und nur an bereits erkrankte Personen. Gleichzeitig wurden auch die Empfehlungen zur persönlichen Pandemievorsorge wiederholt.

Die Anstrengungen des EDA für eine Professionalisierung des Krisenmanagements bei Krisen im Ausland, von denen Schweizer Staatsangehörige betroffen sind, wurden im Berichtszeitraum fortgesetzt.

Die Vorbereitung auf Krisensituationen ist für die Auslandvertretungen eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe. Das EDA hat nach der Flutwellenkatastrophe in Südostasien die diesbezügliche Weisung revidiert und den Vertretungen ein MusterKrisendispositiv zur Verfügung gestellt. Die über 200 von den Auslandvertretungen erstellten Krisendispositive werden durch ein Controlling und Monitoring der Zentrale des EDA regelmässig auf ihre Gültigkeit überprüft, bei Bedarf optimiert und den aktuellen Gegebenheiten angepasst.

Eine umfassende Überprüfung ist jedoch von Bern aus nicht möglich. Aus diesem Grund wurden Krisenvorsorgemissionen (KVM) ins Leben gerufen, um die Vertretungen in besonders gefährdeten Ländern bei der Vorbereitung auf mögliche Krisen gezielt zu unterstützen: Gestützt auf eine umfassende Risikoanalyse werden jeweils Massnahmenkataloge zu Zusammenarbeit mit Partnern, Sammelstellen, Evakuierungsplanung, Krisenkommunikation usw. erstellt und umgesetzt. Im Berichtszeitraum führten Expertenteams aus dem EDA und dem VBS 11 solche Krisenvorsorgemissionen durch.

Eine zentrale Massnahme zur Stärkung des Krisenmanagements war die Schaffung eines Kriseneinsatzpools (KEP) zur temporären Verstärkung betroffener Vertretungen. Dieser
wurde im Berichtszeitraum erweitert und die Ausbildung systematisiert.

Bei den nunmehr weltweit rund 200 Mitgliedern handelt es sich um Mitarbeitende des EDA aller Karrieren, die sich freiwillig für diese Zusatzaufgabe gemeldet haben.

100 von ihnen haben bis Januar 2009 eine besondere dreitägige Krisenausbildung durchlaufen, in der sie die Methodik des Krisenmanagements kennen lernten, aber auch für psychologische Aspekte sensibilisiert wurden. Die übrigen KEP-Mitglieder werden im Lauf des Jahres ausgebildet. Speziell ausgerüstete regionale «Krisenhubs» sollen künftig einen schnellen Einsatz gewährleisten.

Eine dreitägige Krisenmanagementausbildung erhalten auch die Missions-, Postenund Kanzleichefs. Dieser Kurs gehört zu den obligatorischen Entwicklungsmassnahmen des EDA und wird zweimal pro Jahr durchgeführt. Er wird ergänzt durch eine zweitägige interne Ausbildung für Assistentinnen und Assistenten, Ausbildungen für diplomatische und konsularische Stagiaires und Ad-hoc-Ausbildungsgefässe für versetzbare Mitarbeitende auf Heimaturlaub. Ziel ist, dass bis Ende 2011 80 % aller EDA-Mitarbeitenden ein Ausbildungsmodul im Krisenmanagement absolviert haben.

6490

Die Hotline EDA ist im Krisenfall die erste Kontaktstelle für besorgte Angehörige und steht diesen bei Bedarf 24 Stunden zur Verfügung. Die Infrastruktur der Hotline EDA wird laufend ausgebaut und optimiert. Eine neue Version der Software für die Erfassung von Such- und Rückmeldungen und deren Bearbeitung wird demnächst fertig gestellt. Die Hotline EDA wird in Krisen, von denen eine grosse Anzahl von Schweizer Staatsangehörigen im Ausland betroffen ist, von einem Operator-Pool unterstützt. Der Pool umfasst derzeit rund 100 freiwillige Mitarbeitende des EDA an der Zentrale. Diese werden in regelmässigen Grund-, Weiterbildungs- und Wiederholungskursen schwerpunktmässig im psychosozialen Bereich ausgebildet und anhand realitätsnaher Szenarien auf ihre Aufgabe an der Hotline vorbereitet.

Das laufende Informatikprojekt EDAssist+ wird die bestehenden Applikationen des Krisenmanagements zusammenfassen und soll durch weitere Module ergänzt werden. Darunter befinden sich solche für eine effizientere Bearbeitung von Evakuierungen und die Online-Registrierung für durchreisende Schweizer Staatsangehörige.

Intensiviert wurde die Zusammenarbeit zwischen den Departementen (EDA, VBS, EJPD): Bei monatlichen Arbeitstreffen werden die Sicherheitslage für Schweizer Staatsangehörige im Ausland analysiert und die erforderlichen Massnahmen beschlossen.

Zu den wichtigsten und am stärksten beachteten Instrumenten der Krisenvorsorge gehören die Reisehinweise, mit denen das EDA seit 1998 auf mögliche Schwierigkeiten und Gefahren im Zielland aufmerksam macht. Sie werden in den drei Amtssprachen für 150 Länder publiziert und regelmässig, nach sicherheitsrelevanten Ereignissen innert Stunden aktualisiert. Rät das EDA von einem Land oder einer Region ab, so halten sich alle grösseren Reiseveranstalter ebenso wie die meisten Individualtouristen daran. Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer werden bei sicherheitsrelevanten Ereignissen vermehrt auch per SMS informiert.

Die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen werden voraussichtlich zu einer weiteren Zunahme von Krisen führen. Nicht zuletzt deswegen sind zahlreiche weitere Massnahmen in Vorbereitung, um Krisenvorsorge und Krisenmanagement weiter zu optimieren. Das Budget wurde zu diesem Zweck für 2009 auf 300 000 Franken erhöht, wobei bei schwerwiegenden Krisen weiterhin Nachtragskredite erforderlich sein werden.

4.4

Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer

Die Zahl der immatrikulierten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer hat in den letzten beiden Jahren weiter zugenommen: Ende Dezember 2008 lebten 676 176 Schweizer Staatsangehörige im Ausland. Gegenüber Dezember 2006 bedeutet dies eine Zunahme um 31 166 Personen oder 4,8 %. In den vorangegangenen Jahren schwankte der jährliche Zuwachs jeweils zwischen 1,2 % und 2,3 %. Die überdurchschnittliche Zunahme der Zahl immatrikulierter Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ist hauptsächlich auf eine vermehrte Immatrikulation von Personen zurückzuführen, die ihren Wohnsitz schon länger im Ausland haben. Anlass zur nachträglichen Immatrikulation dürfte vor allem der endgültige Verfall verlängerter Reisepässe Modell 83 gegeben haben. Auf kürzlich erfolgten Zuzug kann die starke Zunahme der Auslandschweizergemeinschaften in wachstumsstarken Ländern wie

6491

den Vereinigten Arabischen Emiraten (+50 %), Singapur (+35 %) und China (+18 %) zurückgeführt werden.

Unter den 113 363 Personen, um die die Auslandschweizerbevölkerung allein in den zehn Jahren von 1999 bis 2008 gewachsen ist, sind Doppelbürger mit 86 % vertreten. Oft handelt es sich dabei um Kinder der zweiten oder dritten Generation, die keine Schweizer Landessprache mehr beherrschen. Die Auslandvertretungen sind dadurch zunehmend gefordert, mit der Auslandschweizergemeinschaft in mehreren Sprachen zu kommunizieren bzw. bei direkten Kontakten vermehrt Lokalpersonal beizuziehen.

Stark zugenommen hat im Zusammenhang mit den eidgenössischen Wahlen vom Dezember 2007 das Interesse der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer an der Schweizer Politik. Ende 2008 waren 124 299 Personen bzw. 24 % der Stimmberechtigten im Ausland in schweizerische Stimmregister eingetragen. Das verstärkte politische Interesse führte indessen auch zu zunehmender Frustration über in manchen Ländern zu spät zugestellte Abstimmungsunterlagen. Abhilfe wird hier die elektronische Stimmabgabe schaffen, für deren Einführung sich das EDA in Zusammenarbeit mit der federführenden Bundeskanzlei einsetzt. Der erstmalige Einbezug von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern in einen Pilotversuch hat am 1. Juni 2008 im Kanton Neuenburg erfolgreich stattgefunden.

In Erfüllung hängiger parlamentarischer Vorstösse will der Bundesrat sich auch dafür einsetzen, dass Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sich in allen Kantonen an den Ständeratswahlen beteiligen können, und beabsichtigt zu prüfen, wie ihre Interessen im Parlament besser vertreten werden können.

Die «Genossenschaft Solidaritätsfonds der Auslandschweizer» (Soliswiss), die ihren Mitgliedern eine Versicherung gegen politische Risiken anbietet, verfügt gemäss Bundesbeschluss vom 22. Juni 196269 über eine Ausfallgarantie des Bundes. Auflagen der Eidgenössischen Bankenkommission zwangen die Genossenschaft 2007, die verrechnungssteuerfreien Sparkonti ihrer Mitglieder aufzuheben. Der nicht zuletzt dadurch stark gesunkene Mitgliederbestand konnte in der Zwischenzeit stabilisiert werden; per Ende 2008 zählte Soliswiss 5565 Mitglieder. Neue Herausforderungen stellen sich allerdings infolge der Finanzkrise, die das Genossenschaftsvermögen stark in Mitleidenschaft zog.
Gestützt auf das Bundesgesetz über Fürsorgeleistungen an Auslandschweizer werden bedürftige Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer durch die Auslandvertretungen des EDA im Auftrag des Fachbereichs Sozialhilfe für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer (SAS) des Bundesamtes für Justiz mit jährlich zwischen 5 und 7 Millionen Franken unterstützt, wobei die Beträge in etwa hälftig für Rückkehrerinnen und Rückkehrer in die Schweiz und für Schweizerinnen und Schweizer im Ausland aufgewendet werden. Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 141 (2007) bzw. 154 (2008) Rückkehrhilfen aus dem Ausland in die Schweiz bezahlt. In 518 bzw. 457 Fällen wurden die Sozialhilfeleistungen für die ersten 3 Monate an die Kantone vergütet und total 441 bzw. 437 Sozialhilfeunterstützungen im Ausland bewilligt.

Die «Schweizer Revue», die alle Auslandschweizer Haushalte gratis erhalten, wird graduell auf elektronischen Versand umgestellt, und gleichzeitig wird ihr InternetAuftritt modernisiert und an die veränderten Lesegewohnheiten angepasst. In diesem 69

SR 852.8

6492

Zusammenhang baut das EDA eine internetbasierte Adressverwaltung auf, die in Zukunft auch die Kommunikation zwischen Schweizer Vertretungen und den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern erleichtern und beschleunigen sowie als Grundlage für E-Government-Lösungen dienen wird.

Das EDA hat das im Internet abrufbare Angebot an Merkblättern zu verschiedenen Themen, die für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer relevant sind, weiter ausgeweitet. Der «Ratgeber für Auslandschweizer», der in den letzten Jahren nur im Internet aktualisiert wurde, wurde in interdepartementaler Zusammenarbeit umfassend überarbeitet und wird dieses Jahr neu aufgelegt. Daneben beantwortet das EDA zahlreiche individuelle Anfragen von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern.

5

Reorganisation des EDA

5.1

Schwerpunkte der Reorganisation

Die Rolle des Staates in der Gesellschaft verändert sich im Laufe der Zeit. Auch die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an den Staat verändern sich. Für die Verwaltung bedeutet dies, dass sie ihre Strukturen anpassen muss, damit sie den neuen Aufgaben und Zielsetzungen und den künftigen Herausforderungen gewachsen ist. Heute wird von der Verwaltung und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch mehr als früher erwartet, dass sie nicht nur wirksam, sondern auch effizient sind. Es genügt mit anderen Worten nicht, wenn eine Dienstleistung in einer für den Benutzer zufriedenstellenden Weise ausgeführt wird ­ es muss im Interesse der Steuerzahler auch gewährleistet sein, dass die eingesetzten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum Resultat stehen. Da die verfügbaren Mittel begrenzt sind, spielen Überlegungen über ihren optimalen Einsatz eine immer grössere Rolle.

Das EDA muss nicht nur auf die veränderten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger eingehen, sondern auch auf die Veränderungen auf internationaler Ebene und die neuen Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Neue Fragen stellen sich oder werden wichtiger, so etwa die sogenannten globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Migrationsströme oder Ernährungssicherheit, während andere Fragen in den Hintergrund treten. So wurde 2008 in der Zentrale eine umfassende Reorganisation der DEZA vorgenommen, damit sie auf künftige Herausforderungen besser vorbereitet und besser in der Lage ist, die Entwicklungsstrategie des Bundesrates umzusetzen. Auch andere Direktionen werden neu organisiert (siehe Ziff. 5.2), um Veränderungen zu bewirken, die letztlich dem gesamten Departement zugute kommen. Das Netz der Auslandvertretungen ist Gegenstand einer Evaluierung, mit der sichergestellt werden soll, dass die Ressourcenzuteilung den derzeitigen Prioritäten und Interessen der Schweizer Aussenpolitik entspricht (siehe Ziff. 5.3). Die Arbeiten werden 2009 in allen diesen Bereichen fortgesetzt.

Die Reorganisationen sollen gewährleisten, dass der Schweiz für ihre Aussenpolitik eine möglichst leistungsfähige Organisation zur Verfügung steht. Neben den strukturellen Änderungen legt das EDA auch grossen Wert auf eine Modernisierung seiner Managementinstrumente. Die Tätigkeiten sollen sich nach Gesamtstrategien richten, die klar wirkungsorientiert sind,
und die Organisationseinheiten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen mehr Autonomie erhalten, was allerdings auch mit mehr Verantwortung und mit der Einführung von Nachkontrollen verbunden ist. Im 6493

Wesentlichen geht es darum sicherzustellen, dass Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten aufeinander abgestimmt sind und dort angesiedelt werden, wo das entsprechende Wissen vorhanden ist.

5.2

Reorganisation der Zentrale

Reorganisation der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit In der Zentrale gehörte das Inkrafttreten der neuen Struktur der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres 2008. Dies stellte die erste Etappe einer umfangreichen Reorganisation dar.

Zielsetzungen Die Reorganisation der DEZA wurde eingeleitet, um die einheitliche Gesamtstrategie umzusetzen, die von der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vorgebrachten Punkte zu integrieren und sich den neuen globalen Herausforderungen zu stellen.

Mit der Reorganisation werden vier Zielsetzungen verfolgt: ­

Verbesserung der Wirksamkeit der DEZA-Tätigkeit und der Abstimmung der verschiedenen Bereiche (multilateral, bilateral und thematisch);

­

Neugestaltung der Strukturen und der Arbeitsmethoden der DEZA und Vorbereitung auf künftige Herausforderungen, seien dies nun globale Herausforderungen oder neue Formen der Zusammenarbeit;

­

Förderung der Zusammenarbeit der DEZA mit den übrigen Ämtern des EDA und mit der Bundesverwaltung; diese Zusammenarbeit soll die Kohärenz in der internationalen Politik der Schweiz stärken;

­

zunehmende Präsenz der Schweiz vor Ort, in den Kooperationsbüros und in den Partnereinrichtungen, um die Sichtbarkeit der Schweiz zu erhöhen und die Umsetzung der Botschaft vom 14. März 2008 über die Weiterführung der technischen Zusammenarbeit und der Finanzhilfe zugunsten von Entwicklungsländern (Südbotschaft) sicherzustellen70.

Bei der Reorganisation der DEZA geht es also nicht darum, Kosten zu senken oder Stellen abzubauen, sondern darum, die Arbeit wirksamer zu gestalten.

Vorgehen Die Reorganisation ist in vier Phasen gegliedert. In der Vorbereitungsphase wurde ein Einstellungsstopp verhängt, der verhindern sollte, dass freie Stellen im Rahmen der bisherigen Struktur besetzt werden und damit die Neuausrichtung behindern.

70

1.

Phase 0 war der Vorbereitung und Definition der Reform gewidmet.

2.

In der Phase 1 erfolgte die Reorganisation in der Zentrale.

3.

In der Phase 2 werden gegenwärtig Kompetenzen vor Ort verlagert, was eine umfangreiche Umschichtung der den Kooperationsbüros zugeordneten Kompetenzen und Ressourcen zur Folge hat.

BBl 2008 2959

6494

4.

In der Phase 3 wird es darum gehen, die Bereiche Regionale Zusammenarbeit und Ostzusammenarbeit zusammenzulegen.

Vorbereitungsphase Die Reorganisation begann im Mai 2008 mit der Bildung einer Taskforce, der der neue Direktor der DEZA sowie drei Direktionsmitglieder angehörten. Diese Taskforce sollte innerhalb eines Monats ein Projekt zur Reorganisation der DEZA ausarbeiten. Die Taskforce wurde von 19 Arbeitsgruppen unterstützt, die ab Anfang Juni während des gesamten Prozesses eingesetzt wurden. Die Arbeitsgruppen hatten die Aufgabe festzustellen, welche Elemente für den Übergang zur neuen Organisationsform erforderlich waren.

Neben den Arbeiten im Zusammenhang mit der Reorganisation mussten auch die laufenden Geschäfte erledigt und die mit der Südbotschaft verbundenen parlamentarischen Beratungen unterstützt werden. Es erwies sich als eine der schwierigsten Herausforderungen, den Reorganisationsprozess zu steuern und parallel dazu die tägliche Arbeit auszuführen.

Das Reorganisationsprojekt, das Anfang Juni 2008 von der Vorsteherin des Departements und dem Direktor der DEZA vorgestellt wurde, umfasste eine verbindliche Festlegung der Grundzüge der neuen Organisationsstruktur der DEZA ab Oktober 2008. Die Taskforce wurde in ein Steuerungsorgan umgewandelt, dessen Aufgabe es war, die ausserordentlich umfangreichen Arbeiten zu koordinieren.

Phase 1 Ab 1. Oktober 2008 funktionierte die DEZA im Rahmen ihrer neuen Struktur. Die Anzahl der Direktionsmitglieder der DEZA wurde von 11 auf 7 verringert. Es wurden 2 neue Bereiche geschaffen (Regionale Zusammenarbeit und Globale Zusammenarbeit). Die Bereiche Themen und Fachwissen sowie Multilaterale Zusammenarbeit wurden aufgelöst, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden in die operationellen Bereiche Globale Zusammenarbeit, Regionale Zusammenarbeit und Ostzusammenarbeit integriert. Damit steht die thematische Arbeit neu im Dienst der operationellen Tätigkeit und der Programmwirksamkeit.

6495

Organigramm bis 30. September 2008

Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit ­ DEZA DEZA

Internes Internes Audit Audit Medien Medien ++Kommunikation Kommunikation Personal Personal Evaluation ++Controlling Controlling Evaluation Förderung Förderungder derGleichstellung Gleichstellung von von Männern Männern und und Frauen Frauen Bereich Bereich M M Multilaterale Multilaterale ZusammenZusammenarbeit arbeit

Bereich Bereich E Bilaterale Bilaterale ZusammenZusammenarbeit arbeit

Bereich Bereich H H Humanitäre Humanitäre Hilfe Hilfe

Bereich Bereich O O Zusammenarbeit Zusammenarbeit mit mit Osteuropa Osteuropa und und der der GUS GUS

Bereich Bereich FF Themen Themenund und Fachwissen Fachwissen

Bereich Bereich A A Allgemeine Allgemeine Dienste Dienste

Organigramm ab 1. Oktober 2008 Direktion irektion für für Entwicklung Entwicklung

und und Zusammenarbeit Zusammenarbeit DEZA DEZA

Institutionelle Institutionelle Partnerschaften Partnerschaften

Direktionsstab Direktionsstab

Unterstützung Unterstützung des des Personals während während der der Reorganisation Reorganisation

G lobale Globale ZZusamm usammenarbeit enarbeit

Regionale Regionale Zusam menarbeit Z usamm enarbeit

OstOstzusam enarbeit zusamm menarbeit

Humanitäre Hum anitäre Hilfe Hilfe

Support Support

Der Bereich Globale Zusammenarbeit legt die Politik für alle Bereiche fest. Er formuliert die Modalitäten der Zusammenarbeit mit multilateralen internationalen Institutionen wie zum Beispiel der Weltbank und den UNO-Organisationen und unterhält drei globale Programme (Ernährungssicherheit, Klimawandel und Migration). Auch die Organisationseinheit Wissensmanagement wurde in diesen Bereich integriert. Neue Arbeitsmethoden und Organisationsformen gewährleisten den Wissensaustausch.

Der Bereich Regionale Zusammenarbeit unterstützt die Umsetzung der Strategien zur Armutsbekämpfung in den Schwerpunktländern Afrikas, Lateinamerikas und 6496

Asiens und formuliert die Modalitäten der Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen (z. B. den regionalen Entwicklungsbanken). Er unterstützt des Weiteren einzelne Regionen, in denen die staatlichen Strukturen geschwächt sind oder die mit Konflikten oder Sicherheitsrisiken konfrontiert sind. Der gezielte Einsatz bilateraler und multilateraler Instrumente soll die Wirksamkeit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit erhöhen.

Im operationellen Bereich Humanitäre Hilfe sind die Veränderungen eher geringfügig. Hier gibt es jetzt drei operationelle Regionen (Asien und Amerika, Afrika, Europa und Mittelmeerraum). So kann die strategische Führung besser mit den anderen Bereichen abgestimmt werden. Für Fragen im Zusammenhang mit der humanitären Politik ist nunmehr der Bereich Globale Zusammenarbeit zuständig.

Der Bereich Ostzusammenarbeit leistet Transitionshilfe wie auch Erweiterungsbeiträge. Grundlage der Ostzusammenarbeit sind das neue Bundesgesetz vom 24. März 200671 über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas und die beiden Rahmenkredite, die das Parlament 2007 genehmigt hat. In diesem Bereich, der 2006 reorganisiert wurde, wurden nur geringe Veränderungen vorgenommen (interdisziplinäre thematische Aufgaben, Arbeitsmethoden).

In der ersten Phase gelang es, die Koordinationssysteme zu verbessern und in der Zentrale mehr Querverbindungen herzustellen. Mit der Einführung des neuen Organigramms wurden 700 Entwicklungsprojekte in andere Organisationseinheiten der DEZA transferiert, und 340 Personen wechselten die Stelle. All dies geschah innerhalb von weniger als vier Monaten.

Die Kommunikation spielte im Reorganisationsprozess eine besonders wichtige Rolle. Ab Anfang Juni 2008 informierten die Mitglieder der Taskforce sowie zahlreiche Vorgesetzte ständig über den Fortgang der Reorganisation. Die Information war von entscheidender Bedeutung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wurde in zahlreichen Sitzungen und in Rundschreiben sowie im Rahmen von Einzelund Gruppengesprächen weitergegeben. Informiert wurden des Weiteren das Parlament, der Bundesrat, die Ämter der Bundesverwaltung, die Partnerorganisationen, die Personalverbände und ­ über die Medien ­ die Öffentlichkeit.

Phase 2 Zurzeit bereitet die DEZA die Umsetzung der zweiten Reorganisationsphase vor. Sie soll die Präsenz der
Schweiz vor Ort verstärken sowie den Kooperationsbüros die Kompetenzen übertragen, die ihren Verantwortlichkeiten entsprechen. Diese Etappe umfasst erstens einen Transfer von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Ausland, und zwar in die Kooperationsbüros oder in die Partnerorganisationen. Sie führt zweitens zu einer Klärung der Aufgaben- und Rollenverteilung zwischen der Zentrale und den Büros vor Ort. Die finanziellen und administrativen Kompetenzen werden von der Zentrale an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort verlagert.

Zudem werden zur Messung der Ergebnisse der von der DEZA finanzierten Programme und Projekte neue Standards eingeführt, um die Wirksamkeit und Effizienz der DEZA-Tätigkeit zu erhöhen. Diese Etappe sollte in der zweiten Hälfte 2010 abgeschlossen sein.

Mit Arbeitsgruppen werden der Transfer, die Aufgaben- und Rollenverteilung und die Standards vorbereitet. Die Standards betreffen Vorgaben für Instrumente, die der 71

SR 974.1

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Planung, Ausschreibung und Durchführung der Projekte und Programme dienen, sowie auch der Messung der Ergebnisse. Durch grössere Projekte und Programme soll deren Anzahl und damit der Aufwand zur Erarbeitung derselben reduziert werden. Zudem werden Instrumente überarbeitet, die den Leiterinnen und Leitern eine wirksamere Führung der Kooperationsbüros erlauben. Die nachfolgende Umsetzung der Standards beinhaltet Training und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie schon in der 1. Phase der Reorganisation wird die Kommunikation eine wichtige Rolle spielen.

Phase 3 2010 beginnt die dritte und letzte Phase der Reorganisation. In dieser Phase werden die Bereiche Regionale Zusammenarbeit und Ostzusammenarbeit zusammengelegt.

Was den Transfer von Organisationseinheiten der DEZA in die Direktion für Ressourcen und Aussennetz (DRA) und in das Generalsekretariat des EDA betrifft, so ist Folgendes geplant: Im Zusammenhang mit dem Umbau der DRA in ein Dienstleistungszentrum für das gesamte EDA (siehe unten) soll die Reorganisation der DEZA auch dazu dienen, Doppelspurigkeiten mit anderen Strukturen des Departements abzubauen. Aus diesem Grund wurden am 1. Oktober 2008 die Dienste internes Audit, externe Evaluation, Information und Chancengleichheit (Gender und Mehrsprachigkeit) in das Generalsekretariat des EDA integriert und das Ressort Telematik sowie die Sprachdienste in die DRA eingegliedert.

Reorganisation des Generalsekretariats Die Reorganisation stärkt die strategische Rolle des Generalsekretariats. Dieses konzentriert sich noch mehr als bisher auf seine Schlüsselkompetenzen, das heisst Planung, Koordination und Kontrolle der Departementsgeschäfte, Inspektion ­ einschliesslich externes Audit und externe Evaluation ­, Information und Genderpolitik. Bislang wurden die Funktionen Inspektion und Information sowie Genderpolitik sowohl vom Generalsekretariat als auch von der DEZA erfüllt. Künftig werden sie vom Generalsekretariat für das gesamte EDA wahrgenommen.

Inspektorat Angesichts der Tatsache, dass das EDA eine Verstärkung der Wirkungsorientierung anstrebt, die mit einem grösseren Handlungsspielraum und mehr Verantwortung der Organisationseinheiten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einhergeht, gewinnt das Inspektorat an Bedeutung. Da eine Ausdünnung der internen Richtlinien
und unnötiger bürokratischer Kontrollen vorgesehen ist, wird man die Verwendung der zur Verfügung gestellten Mittel nachträglich kontrollieren müssen. Das Inspektorat EDA überprüft die Führung der Schweizer Vertretungen in den Bereichen Diplomatie, Konsulat, Finanzen und Visa sowie das Finanzgebaren aller Einheiten der Zentrale einschliesslich der DEZA. Die Empfehlungen des Inspektorats haben neu Weisungscharakter und müssen umgesetzt werden. Zurzeit werden die Voraussetzungen für eine integrierte Inspektion ab 2009 geschaffen. Das eigentliche Inspektorat soll ergänzt werden durch ein neues Kompetenzzentrum für unabhängige externe Evaluation für das ganze Departement. Dieses wird thematische Analysen der Programme durchführen, und zwar vorrangig der Programme der DEZA und der Politischen Abteilung IV, die Mittel aus Rahmenkrediten verwalten.

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Information Im Bereich der Information ist der entsprechende Dienst des Generalsekretariats für die Umsetzung der Informations- und Medienpolitik des gesamten Departements ­ auch hier einschliesslich der DEZA ­ verantwortlich. Dieser Dienst entstand aus der Zusammenlegung des Informationsdienstes des EDA, der im Generalsekretariat angesiedelt war, und der früheren Abteilung Medien und Kommunikation der DEZA. Der neu geschaffene Dienst bündelt die vorhandenen Ressourcen und koordiniert die Arbeiten mit den Direktionen des EDA auf der Grundlage von Leistungsvereinbarungen. Diese Vereinbarungen sollen die Leistungen, welche die Direktionen von Information EDA erwarten, klar und transparent definieren sowie sicherstellen, dass diese Erwartungen mit den verfügbaren Mitteln erfüllt werden können. Der Dienst Information EDA ist in vier Teams gegliedert. Das Team «Medien» ist zuständig für die Presse- und Medienarbeit im Zusammenhang mit aktuellen Tagesthemen. Das Team «Kommunikation» ist verantwortlich für die Kommunikationsarbeit bei voraussehbaren Ereignissen und Einzelthemen mit dem Ziel, die Öffentlichkeit für aussenpolitische Anliegen zu sensibilisieren; dies geschieht beispielsweise durch die Erarbeitung von Publikationen oder die Unterstützung von Anlässen wie den Jahreskonferenzen, die von einigen Direktionen des EDA organisiert werden. Das Team «Web» konzentriert sich auf die Kommunikationsarbeit im Internet. Das Team «Administration und Logistik» stellt Sekretariatsleistungen und logistische Unterstützung bereit und verfügt auch über Kompetenzen im Bereich der grafischen Gestaltung.

Präsenz Schweiz Seit dem 1. Januar 2009 ist Präsenz Schweiz in das Generalsekretariat des EDA integriert. Damit verfügt der Bundesrat über ein Instrument zur Wahrung der Interessen der Schweiz durch eine Kommunikation, die das Image unseres Landes im Ausland fördert. Der Bundesrat legt die Strategie für die Landeskommunikation fest, die von Präsenz Schweiz umgesetzt wird. Der Entscheid des Bundesrats, die ausserparlamentarische Kommission Präsenz Schweiz aufzuheben, die Geschäftsstelle Präsenz Schweiz ins EDA zu integrieren und die allgemeine Landeskommunikation in den Dienst der Schweizer Aussenpolitik zu stellen, erforderte eine Anpassung des Bundesgesetzes vom 24. März 200072 über die Pflege des schweizerischen
Erscheinungsbildes im Ausland; diese wurde vom Parlament im März 2008 verabschiedet.

In einem nächsten Schritt wurden die Verordnung vom 12. Dezember 200873 über die Pflege des schweizerischen Erscheinungsbildes im Ausland sowie die EDAOrganisationsverordnung74 angepasst (Bundesratsbeschluss vom 12. Dez. 2008).

Demnach werden die Aufgaben der Landeskommunikation neu vom Generalsekretariat EDA besorgt. Gemäss der Verordnung über die Pflege des schweizerischen Erscheinungsbildes im Ausland gehört es zu den ständigen Aufgaben der Landeskommunikation, die Visibilität der Schweiz im Ausland zu fördern, der ausländischen Öffentlichkeit die politischen Anliegen und Positionen unseres Landes zu erklären und das Beziehungsnetz zu Entscheidungsträgern und Meinungsführern jenseits unserer Grenzen auszubauen und zu pflegen. Erweitert wurde die Verordnung mit den vom Bundesrat am 3. September 2008 neu definierten Aufgaben des EDA bei Imagebedrohungen oder -krisen. Die Verordnung sieht vor, dass der Bun72 73 74

SR 194.1 SR 194.11 SR 172.211.1

6499

desrat über Kommunikationsstrategien in ausserordentlichen Lagen entscheidet. So hat der Bundesrat auf Antrag des Bundesratsausschusses, bestehend aus den Departementen EFD, EDA und EJPD, Kommunikationsstrategien für die USA und Deutschland zur Unterstützung der politischen Bewältigung der aktuellen Herausforderungen für den Finanzplatz Schweiz verabschiedet und das EDA mit der Umsetzung beauftragt. Im Zusammenhang mit dieser Erweiterung verstärkt das EDA das Monitoring und die Analyse der jeweils aktuellen Wahrnehmung der Schweiz und schweizrelevanter Themen im Ausland.

Die vom Bundesrat ebenfalls am 12. Dezember 2008 verabschiedete Strategie der Landeskommunikation sieht für die Jahre 2010/11 folgende Schwerpunkte vor: ­

Förderung des Verständnisses bei ausländischen Politikern und Journalistinnen für das politische System und Politikansätze der Schweiz, beispielsweise im Bereich des Finanzplatzes, der Steuer- oder der Verkehrspolitik;

­

Förderung des Verständnisses bei ausländischen Politikerinnen und Journalisten für den bilateralen Weg der Schweiz mit der EU;

­

Steigerung des Bekanntheitsgrades der Schweiz als Referenzland für eine moderne Umwelt- und Verkehrspolitik und als Standort für Spitzentechnologie im Umwelt-, Energie- und Verkehrsbereich;

­

Steigerung der Kenntnisse über die Schweiz bei den Jugendlichen Europas.

Kompetenzzentrum für Kulturaussenpolitik Neben Präsenz Schweiz soll auch das Kompetenzzentrum für Kulturaussenpolitik (KKA) dem Generalsekretariat des EDA angeschlossen werden. Die Aufgaben des KKA umfassen namentlich die Unterstützung von Schweizer Vertretungen bei der Realisierung kultureller Projekte, die den Zielen der Schweizer Aussenpolitik entsprechen, sowie eher konzeptionelle Aufgaben wie etwa politische Analysen oder die Mitwirkung beim Rechtsetzungsprozess im Kulturbereich.

Damit werden die Pflege des Erscheinungsbildes der Schweiz (Präsenz Schweiz), die Unterstützung von Kulturprojekten der Schweizer Vertretungen im Ausland (KKA) und das Wirken des EDA im Bereich Information und Kommunikation (Information EDA) unter einem Dach vereint.

Chancengleichheitspolitik Des Weiteren hat das Generalsekretariat die Aufgabe, die Chancengleichheitspolitik des EDA festzulegen, die sich sowohl mit der Gleichstellung von Frauen und Männern (Genderpolitik) als auch mit der Förderung der Mehrsprachigkeit befasst. Wie bei der Inspektion und der Information nimmt auch das Kompetenzzentrum, das im Generalsekretariat für die Chancengleichheit zuständig ist, seine Aufgaben für das gesamte EDA wahr.

Andere Punkte Das Generalsekretariat wirkt auch als Beschwerdedienst des Departements.

Damit sich das Generalsekretariat seiner strategischen Rolle mit der gebührenden Aufmerksamkeit widmen kann, wurde es von Unterstützungsfunktionen entlastet, die ­ wie zum Beispiel die Telematik oder die Sprachdienste ­ nichts mit dieser Rolle zu tun haben. Diese Funktionen und die Funktionen, die die DEZA bis zum

6500

1. Oktober 2008 parallel wahrgenommen hatte, werden nunmehr von der DRA erfüllt.

Reorganisation der Direktion für Ressourcen und Aussennetz Der Umbau der Direktion für Ressourcen und Aussennetz (DRA) zu einem Kompetenzzentrum entspricht der Stossrichtung der internen Reorganisation: Diese soll die Kompetenzen so bündeln, dass sie zu Verbesserungen für das ganze Departement führt. Damit alle vorhandenen Synergien maximal genutzt werden können, müssen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten aufeinander abgestimmt werden.

Es geht darum, eine Vision für das ganze Departement zu schaffen, damit das gesamte Departement deutlich kohärenter und interoperabler wird.

Umbau zu einem Dienstleistungszentrum Gegenwärtig ist die DRA ein Mischgebilde. Es fungiert im Wesentlichen als Dienstleistungszentrum, dessen Leistungen zum Teil dem ganzen Departement, zum Teil nur einzelnen Direktionen zur Verfügung stehen. Der Grossteil der bereitgestellten Leistungen ist interner Natur und dient der reibungslosen Funktion des Departements (Finanzen, Personal, Logistik, Allgemeine Dienste, Recht und Sicherheit).

Doch der DRA ist auch ein Teil der konsularischen Dienstleistungen für Kundinnen und Kunden ausserhalb des Departements unterstellt. Und schliesslich erfüllt sie eine Reihe von Aufgaben, die kaum mit der Dienstleistungslogik vereinbar sind (strategische Aufgaben, Bewilligungen, Schlichtung, Kontrollen).

Die Bemühungen, die DRA zu einem Dienstleistungszentrum für das ganze Departement zu machen, stützen sich auf Lehren, die aus der Reform der Bundesverwaltung gezogen wurden (insbesondere auf die Empfehlungen des Delegierten des Bundesrates für Verwaltungsreform, Ulrich Fässler, zu den Führungsunterstützungsstrukturen der Departemente). Darüber hinaus berücksichtigen sie die Grundsätze, die im Rahmen der verstärkten Wirkungsorientierung des Departements (Programm VEKTOR) entwickelt wurden, sowie Erkenntnisse aus anderen internen Reorganisationsmassnahmen.

Neue Rollenverteilung Organisatorisch werden mit der Umwandlung in ein Dienstleistungszentrum eine klarere Verteilung der Rollen und Kompetenzen, die Trennung von strategischen Aufgaben, Führungsaufgaben und Unterstützungsfunktionen sowie ein Mehr an Kohärenz und Interoperabilität angestrebt. In diesem Sinne wurden die Sprachdienste und die Telematik des
Departements, die zuvor verschiedenen Direktionen unterstellt waren, bereits in die DRA eingegliedert. Eine eingehende Überprüfung der anderen Dienste wird erlauben festzustellen, ob sie in der DRA oder anderswo zentralisiert und damit dem ganzen Departement zur Verfügung gestellt werden können. Parallel dazu sollen Tätigkeiten, die keine Dienstleistungen sind (z. B.

Planung und Ressourcensteuerung, Bewilligungen, Kontrollen), nach und nach in die Zuständigkeit der anderen Direktionen ­ d.h. der Linienverantwortlichen ­ übergehen. Wenn die Linie ihrer Managementverantwortung vollumfänglich gerecht werden soll, muss sie auch in der Lage sein, sich ganz auf die Umsetzung ihres Auftrags zu konzentrieren, und sie muss sich darauf verlassen können, dass alle Unterstützungsleistungen vom Dienstleistungszentrum bereitgestellt werden. Sie muss des Weiteren in der Lage sein, über die Formulierung ihres Bedarfs Einfluss auf die Dienstleistungen zu nehmen, die sie vom Dienstleistungszentrum erwartet.

6501

Und sie muss die Möglichkeit haben, sich vom Dienstleistungszentrum beraten zu lassen und Empfehlungen zu erhalten, denn dieses ist zugleich auch ein Kompetenzzentrum mit Fachleuten für alle Ressourcenfragen.

Erwartete Auswirkungen Je nach Bereich kann sich die Umsetzung der Reorganisation über mehrere Jahre erstrecken. Sie soll zu einer wirtschaftlicheren und ressourceneffizienteren Verwaltung führen, namentlich durch Skaleneffekte, die Vereinheitlichung und Verbesserung der Prozesse und die gemeinsame Nutzung elektronischer Plattformen. Darüber hinaus soll sie auch zu einer Verbesserung der Dienstleistungsqualität und der Nutzerzufriedenheit führen. Die Einführung einer Vision für das gesamte Departement wird Synergien freisetzen, die den Abbau von Doppelspurigkeiten erlauben.

Dank den damit verbundenen Einsparungen kann das Departement seinen Auftrag besser erfüllen. Im Übrigen wird durch die Vereinheitlichung der besten Praktiken der betroffenen Organisationseinheiten die Qualität der Dienstleistungen verbessert.

Generell soll der Umbau der DRA zu einem Dienstleistungszentrum zu einer ausgeprägteren und konsequenteren Ausrichtung auf interne Dienstleistungen führen. Die oben erwähnten konsularischen Dienstleistungen (siehe Ziff. 4.1) haben eine andere Stossrichtung und sind für Kundinnen und Kunden ausserhalb des Departements bestimmt. Dieser Bereich wird keineswegs von der Reform ausgenommen, denn auch bei den konsularischen Aufgaben wurde ein erhebliches Potenzial zur Verbesserung des Service public festgestellt. Angesichts der besonderen Gegebenheiten in diesem Bereich wird jedoch die Neuausrichtung der konsularischen Dienste voraussichtlich zu strukturellen Veränderungen führen und deshalb nicht im Zusammenhang mit dem Umbau der DRA zu einem Dienstleistungszentrum erfolgen. Mit der Neuausrichtung werden die Transparenz der bereitgestellten Leistungen erhöht, die Qualität des Service public verbessert und sichergestellt, dass Aufgaben und Ressourcen besser aufeinander abgestimmt werden.

5.3

Reorganisation des Aussennetzes

Projekt VEKTOR ­ Führung und Steuerung des Aussennetzes Im Rahmen der Bundesverwaltungsreform schloss das EDA das Pilotprojekt VEKTOR erfolgreich ab, mit dem eine effizientere Steuerung der Schweizer Auslandvertretungen angestrebt wurde. Ziel von VEKTOR ist eine Sensibilisierung für Ressourcenfragen, für betriebswirtschaftliche Fragen sowie für eine wirkungsorientierte Verwaltungsführung.

Mit VEKTOR wurde ein neues Führungs- und Steuerungsmodell eingeführt, das auf der Festlegung eines Leistungskatalogs, dem Übergang zum Geschäftsprozessmanagement und der Verbesserung des Controllings beruht. Die Schweizer Auslandvertretungen haben neu Zugang zu einem Online-Informationssystem mit standardisierten Geschäftsprozessen. Zudem haben sie einen grösseren finanziellen Spielraum.

Die Auslandvertretungen verwalten heute über 140 Millionen Franken und verfügen damit über eine grosse finanzielle Autonomie. In allen Bereichen, in denen die Kredite den Vertretungen übertragen wurden, hat sich die Geschäftsführung erheblich verbessert, und die frei gewordenen Ressourcen sind sehr wichtig für die Bewältigung der steigenden Aufgaben.

6502

Das Modell VEKTOR ermöglicht eine wirtschaftlichere Ressourcensteuerung und administrative Vereinfachungen. Das Projekt wurde Ende 2007 erfolgreich abgeschlossen. Im Jahr 2008 konkretisierte das EDA die Projektresultate und leitete eine weitere Etappe in der wirkungsorientierten Verwaltungsführung ein, indem sie die Grundsätze von VEKTOR an der Zentrale einführte: klare Ziele und Vorgaben, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung in einer Hand, mehr Autonomie und Verantwortung, erhöhtes Ressourcenbewusstsein und verstärkte unternehmerische Führung. Mit der der dezentralen Verwaltung der Globalkredite und ­budgets der Auslandvertretungen wurden sehr positive Erfahrungen gemacht, was die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit anbelangt. Im Idealfall sollte die finanzielle Steuerung des Aussennetzes über einen Leistungsauftrag mit entsprechendem Globalkredit erfolgen, der dem EDA für die Verwaltung des Aussennetzes übertragen wird.

Dieser Globalkredit könnte unter den Vertretungen aufgeteilt werden, was ihnen eine grössere Autonomie bei der Ressourcenplanung und -verwendung einräumen würde. Ein ähnlicher Mechanismus wäre auch denkbar für die Betriebskosten der Zentrale. Auf diese Weise liesse sich das Potenzial des VEKTOR-Konzepts umfassend ausschöpfen.

Mit VEKTOR kann das Prinzip, wonach Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung in eine Hand gehören, besser eingehalten werden. Zudem konnten Übersteuerungen und unzweckmässige Bewilligungsverfahren abgebaut werden. Die Auslandvertretungen verfügen über genügend Handlungsspielraum, damit sie effizienter und wirksamer handeln und sich auf ihre Leistungen und ihre Wirkung konzentrieren können. Auf diese Weise sind sie in die Lage, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen, die mit einigen wenigen Stichworten zusammengefasst werden können: Qualität, Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Transparenz. Diese Erwartungen lassen sich mit einer prozessorientierten Organisation erfüllen, wie sie mit VEKTOR gewählt wurde. Die zunehmende Komplexität der Aufgaben, die gestiegenen Qualitätsanforderungen der Öffentlichkeit und die beschränkten personellen Ressourcen stellen das Vertretungspersonal vor sehr grosse Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund ist eine Prozessorientierung notwendig, aber nicht ausreichend. VEKTOR führt zu Veränderungen bei Arbeitsmethoden und
Strukturen, aber auch in den Köpfen: Es geht darum, wegzukommen vom Denken in Hierarchien, Status und Dienstwegen und vermehrt leistungs- und wirkungsorientiert zu arbeiten. Dieser Prozess führt zu einer modernen und effizienten öffentlichen Verwaltung. Die weiter oben erwähnten Reorganisationen im Departement waren ebenfalls sehr stark von diesen Grundsätzen geleitet.

Personalpolitik Mit der Reorganisation soll die Schweizer Aussenpolitik eine leistungsfähige Organisation erhalten. Eine solche Organisation drängt sich nicht nur aus Gründen der Bereitstellung und Verwendung der vorhandenen Ressourcen auf. Sie ist auch aus personalpolitischer Hinsicht erforderlich. Wie die übrigen Arbeitgeber wird auch der Bund in Zukunft einen verstärkten Wettbewerb verspüren, was die Gewinnung und Bindung von Talenten für die Umsetzung der Schweizer Aussenpolitik anbelangt.

Das Personal mit seinen Kompetenzen und seinem Know-how stellt das grösste Kapital dar, wenn es um die Interessenvertretung geht. Dies gilt sowohl für das Personal des EDA als auch für dasjenige der übrigen Departemente. Die Gestaltung einer zeitgemässen und ehrgeizigen Personalpolitik wird sich auch positiv auf die Leistungen der Aussenpolitik auswirken. Eine solche Personalpolitik ist zudem notwendig, um angemessen auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu 6503

reagieren. Das EDA ist bestrebt, eine zeitgemässe und wirksame Personalpolitik zu definieren, die Raum für die Entfaltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihrer Kompetenzen schafft, und die im Einklang mit der gesellschaftlichen Entwicklung und den Erwartungen unserer Bürger und Bürgerinnen steht. Das Departement soll als attraktiver Arbeitgeber auftreten, der nebst flexiblen Laufbahnmodellen auch unterschiedliche Arbeitsformen anbietet (Teilzeit, Jobsharing, Career for Both usw.).

Im EDA sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Weiterbildungsmöglichkeiten haben, damit sie während ihrer gesamten Laufbahn einen Beruf ausüben, der sie erfüllt.

Um auf die heutigen gesellschaftlichen und demografischen Herausforderungen zu reagieren, hat das EDA fünf Ziele für diese neue Personalpolitik definiert: 1)

eine einheitliche Politik für das gesamte Departement,

2)

eine zeitgemässe Politik, die die Mitarbeitenden respektiert und die soziale Verantwortung des Arbeitgebers widerspiegelt,

3)

eine Politik, die der Chancengleichheit Rechnung trägt,

4)

eine Politik, die eine grössere Durchlässigkeit und Flexibilität erlaubt,

5)

eine Politik, die in der Lage ist, Talente zu gewinnen und zu binden dank einer schnelleren Beförderungspraxis.

Die Attraktivität des EDA als Arbeitgeber misst sich an seiner Fähigkeit, Talente zu gewinnen, die den hohen Anforderungen an seine unterschiedlichen Berufsprofile entsprechen, und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ihre Kompetenzen weiterentwickeln und umsetzen können. Das Departement verfügt heute über verschiedene Instrumente, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Seine Rekrutierung und Ausbildung fördert nicht nur das Gefühl der Zugehörigkeit und die Entwicklung gemeinsamer Werte, sondern auch die Schaffung und Pflege von Netzwerken, die in unserer Arbeit besonders wichtig sind. Allerdings sind Anpassungen und Erneuerungen unerlässlich, um die Vision einer Personalpolitik umzusetzen, die auf Kompetenz und Potenzial setzt.

So wird im EDA ein funktionales Lohnsystem für alle eingeführt, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zukunft aufgrund ihrer Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung entlöhnt werden können. Mit der Einführung dieses Systems sollen gemäss dem Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» für alle die gleichen personalrechtlichen Bedingungen gelten. Durch eine Modernisierung des Systems sollen neben den bisher linearen auch offenere und diskontinuierlichere Laufbahnen ermöglicht werden, die sich im Lauf der Zeit entwickeln. Das EDA wird für grössere Durchlässigkeit sorgen, genauso wie es dafür sorgen wird, dass Mitarbeitende je nach Interesse des Dienstes und den erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen ins Departement eintreten oder wiedereintreten können. Schliesslich wird das EDA die Versetzungsdisziplin abschwächen, ein Instrument, das bereits heute kaum Anwendung findet, da es unter gewissen Umständen zu einer Demotivierung des Personals führen kann. Das bewährte Rotationsmodell wird indes beibehalten.

Umschichtung von Ressourcen Die Kosten des Aussennetzes sind in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Um den derzeitigen Prioritäten und Interessen der Schweizer Aussenpolitik besser zu entsprechen, wurden die Ressourcen umgeschichtet. Mittel, die bisher für Westeuro-

6504

pa und Nordamerika bestimmt waren, werden nunmehr in Asien, Afrika und dem Nahen Osten eingesetzt. Diese Entwicklung erklärt sich folgendermassen: In Europa ist die Schweiz gut vertreten. Hier ist nahezu die Hälfte der versetzbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig; dies entspricht den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Schweiz. In den bilateralen Beziehungen veränderte sich mit dem Ausbau der EU (Vergemeinschaftung, d.h. Transfer von Bereichen nach Brüssel) die Rolle der Hauptstädte im Laufe der Jahre teilweise zugunsten der europäischen Institutionen. Gleichzeitig haben sich die Beziehungen zur EU erheblich intensiviert. Die Vertretung der Schweizer Interessen erfordert daher nicht nur in den Hauptstädten, sondern auch am Sitz der Gemeinschaftsinstitutionen eine umfangreiche Lobbytätigkeit.

Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Interessen unseres Landes sowie eines Grossteils der Schweizer Gemeinschaft im Ausland liegt eindeutig in Westeuropa. Aufgrund der Tatsache, dass uns die westeuropäischen Rechtsordnungen, Institutionen und Kulturen vertrauter sind, erfordert die Vertretung der Schweizer Unternehmen und der Schweizerinnen und Schweizer in Westeuropa jedoch einen geringeren Aufwand als in anderen Regionen der Welt. Schweizer Behörden, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger sind hier im Allgemeinen in der Lage, ihre Interessen selbst zu vertreten. Dasselbe gilt für Nordamerika. In Asien, in Afrika und im Nahen Osten sowie in Mittel- und Südamerika hingegen sind unsere Vertretungen mit immer schwierigeren Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert. Aus diesen Regionen kommt der grösste Migrationsdruck. Hier konzentrieren sich die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe sowie die Aktivitäten im Zusammenhang mit der Friedensförderung und dem Schutz der Menschenrechte. Hier brauchen auch am meisten Schweizer Bürgerinnen und Bürger Unterstützung, sei es im Rahmen des konsularischen Schutzes, bei Naturkatastrophen oder in Krisensituationen. In diesen Regionen nehmen Schweizer Unternehmen häufig die Dienste unserer Vertretungen in Anspruch.

Die Umschichtung von Ressourcen nach Osten und Süden hat Auswirkungen auf die Neueinstufung der Vertretungen, die wegen der Entwicklung der Aufgaben und Herausforderungen überprüft wurde, ohne dass dabei Prestigeüberlegungen eine
Rolle spielten. Die neue Einstufung der Vertretungen berücksichtigt das Profil der einzelnen Posten und die damit verbundenen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten in Anbetracht der Bedeutung des Landes im internationalen Kontext und für die Wahrung der Schweizer Interessen, der Anforderungen im Führungs- und Managementbereich, der konsularischen Angelegenheiten und insbesondere des Visa- und Migrationsbereichs.

Veränderungen im Vertretungsnetz Die Schweiz verfügt im internationalen Vergleich über ein dichtes diplomatisches und konsularisches Netz. Dafür gibt es drei Hauptgründe: 1)

Als neutrales und unabhängiges Land bemüht sich die Schweiz, zu allen Ländern der Welt gute Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen (Prinzip der Universalität).

2)

Die Schweizer Wirtschaft ist weitgehend in die Weltwirtschaft integriert und daher sehr stark exportabhängig (jeder zweite Franken wird im Ausland verdient).

6505

3)

Die Schweiz vertritt ihre Interessen selbst; sie stützt sich nicht auf Bündnisse oder supranationale Organisationen. Dies gilt sowohl für ihre politischen Interessen als auch für den diplomatischen und konsularischen Schutz.

Da das Netz sehr dicht ist, verfügen die Vertretungen über wenig Personal. Vier Fünftel der bilateralen Posten zählen nicht mehr als sechs versetzbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (diplomatische und konsularische Karriere sowie Fachdienste) und decken auch Nachbarländer ab.

Die geopolitischen Herausforderungen ­ und damit die Interessen der Schweiz ­ verändern sich ständig. Die Ressourcenzuteilung innerhalb des Netzes wird je nach Veränderungen regelmässig angepasst. Zu diesem Zweck stehen mehrere Instrumente zur Verfügung: die Suche nach Synergien zwischen verschiedenen Vertretungstypen, Einsparungen bis hin zur Schliessung von Posten und schliesslich eine Anpassung der Leistungen. Die wichtigsten Veränderungen im Berichtszeitraum sind die folgenden: ­

Der Bundesrat genehmigte die Eröffnung zweier Botschaften in Katmandu (Nepal) und Luanda (Angola), die ihre Tätigkeit im Laufe des Jahres 2009 aufnehmen werden.

­

Zwischen 2006 und 2008 wurden die Konsulate in Manchester, Houston, Las Palmas, Dresden, Melbourne, Neapel, Osaka und Bordeaux geschlossen, und für 2009 ist die Schliessung des Schweizer Generalkonsulats in Hamburg vorgesehen. Die konsularischen Aufgaben werden von anderen Vertretungen in den betreffenden Ländern wahrgenommen.

­

Die Karrierevertretungen in Hauptstädten, die bisher noch keine Botschaften waren, wurden in den Rang von Botschaften erhoben. Dies wertet die bilateralen Beziehungen auf und erleichtert den Zugang zu den Behörden ganz erheblich. Dies erlaubt wiederum den Vertretungen, ihre Aufgaben besser zu erfüllen. Es handelt sich um die Botschaften in Asunción, Baku, Khartum, Port-au-Prince, Santo Domingo und Yaoundé. Die Eröffnung einer Botschaft in Astana (Kasachstan) folgt der gleichen Logik: Das Generalkonsulat in Almaty wurde auf diesen Zeitpunkt geschlossen. Die finanziellen Auswirkungen dieser Massnahmen sind relativ geringfügig. Im gleichen Zeitraum wurden Generalkonsulate in St. Petersburg und Guangzhou eröffnet.

Für 2009 ist die Eröffnung eines Generalkonsulats in Bangalore vorgesehen, dem auch ein Swissnex-Büro für Wissenschaft und Forschung angeschlossen sein wird, das als Partner des Staatssekretariats für Bildung und Forschung tätig ist.

Systematische Evaluation und Grundsätze für künftige Veränderungen Es muss sichergestellt werden, dass die Ressourcenzuteilung den Prioritäten und den derzeitigen Interessen der Schweizer Aussenpolitik entspricht. Daher wird das EDA eine systematische Evaluation der Schweizer Interessen vornehmen, um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Zunächst wird es für jede Vertretung eine detaillierte Evaluation der jeweiligen Interessen der Schweiz vornehmen. Dabei wird es die wichtigsten Tätigkeitsbereiche nach objektiven Kriterien beurteilen, sei dies nun unter dem Gesichtspunkt der Politik (Nachbarländer, EU- oder EFTAMitglieder, ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, Mitglieder der G20, Regionalmächte usw.), der Wirtschaft (insbesondere Handelsvolumen und Umfang der gegenseitigen Investitionen), der Entwicklungszusammenarbeit, der Transitions6506

hilfe und der Friedensförderung oder der konsularischen Angelegenheiten, insbesondere der Dienstleistungen für Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Die Ressourcenzuteilung erfolgt aufgrund der Ergebnisse der detaillierten Evaluation nach folgenden Grundsätzen: ­

Aufrechterhaltung einer guten geografischen Abdeckung (Prinzip der Universalität);

­

Aufrechterhaltung eines qualitativ guten Service public;

­

Berücksichtigung der geopolitischen Entwicklungen, die zu den folgenden regionalen Anpassungen führen: tendenzielle Verringerung der Ressourcen für Europa und Nordamerika; Stabilisierung der Ressourcen für Lateinamerika und Ozeanien auf dem derzeitigen Niveau; tendenzielle Erhöhung der Ressourcen für Asien und leichte Erhöhung der Ressourcen für Afrika und den Nahen Osten. Der Abbau der Ressourcen in Europa und Nordamerika kann ­ alternativ oder kumulativ ­ auf unterschiedliche Weise erfolgen: Abbau in den grössten Botschaften, Abbau bis zu einer Minimalpräsenz mit beschränktem Leistungskatalog, Schliessung von Vertretungen zugunsten von regionalen Hubs. Die Umsetzung solcher Massnahmen wird zu einer Überprüfung der Posteneinstufung aufgrund der weiter oben aufgeführten Kriterien, d.h. erforderliche Kompetenzen und Erfahrungen, sowie der an die Missionschefinnen und Missionschefs gestellten Anforderungen führen, ohne dass dabei das Prestige eines Postens berücksichtigt wird.

Bisher deckten die Karrierevertretungen die ganze Bandbreite der diplomatischen und konsularischen Dienstleistungen ab: Sie vertraten die politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der Schweiz im Gastland und in internationalen Foren (Koordination, Beilegung bilateraler Konflikte, Beobachtung und Informationsübermittlung, Monitoring globaler politischer Prozesse); sie markierten Präsenz für die Schweiz und förderten ihr Image; sie sorgten für die Aufrechterhaltung des umfangreichen Beziehungsnetzes; sie unterstützten Schweizer Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen und boten schweizerischen und ausländischen Bürgerinnen und Bürgern alle konsularischen Dienstleistungen an.

Die detaillierte Prüfung der verschiedenen Interessen wird eine Differenzierung erlauben. Zum einen ist ein Katalog der von jeder Vertretung erwarteten Dienstleistungen aufzustellen; dieser Katalog kann sowohl hinsichtlich der Art der erwarteten Dienstleistungen als auch hinsichtlich ihrer Intensität variieren. Zum anderen ist die Art der Präsenz zu bestimmen, die unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten am besten geeignet ist, die erwarteten Dienstleistungen zu bieten. Hierbei kann es sich je nachdem um eine Botschaft, ein Kooperationsbüro, ein Konsulat oder ein Honorarkonsulat handeln.

Wenn es um die Frage geht, welche Form der Präsenz am geeignetsten ist, wird nicht nur die Art der Vertretung (Botschaft, Konsulat, Kooperationsbüro usw.) in Betracht gezogen, sondern auch alle denkbaren Kombinationen von verschiedenen Vertretungsformen.

Die Bestimmung der geeignetsten Form der Vertretung richtet sich nach folgenden Grundsätzen: ­

Die Form der Vertretung muss den Anforderungen des betroffenen Postens und dem Katalog der erwarteten Leistungen entsprechen.

6507

­

Es wird künftig nicht mehr erwartet, dass jeder Posten alle im Aussennetz angebotenen Aufgaben erfüllt. Es werden eingeschränkte Leistungskataloge definiert, die den verfügbaren Ressourcen entsprechen.

­

Die Zusammenarbeit der Akteure vor Ort wird gefördert. Wenn möglich und sinnvoll werden diese Akteure unter einem Dach versammelt.

Eine optimale Ressourcenverteilung, die den Prioritäten und Interessen der Schweizer Aussenpolitik Rechnung trägt, sowie eine effiziente, wirkungsvolle und wirtschaftliche Verwendung dieser Mittel sind unserlässlich für die Wahrung der Interessen der Schweiz. Der Bundesrat befasst sich regelmässig mit der Frage der Ressourcen für die Aussenpolitik, im Besonderen im Rahmen des Budgets und des Finanzplans. So ist der Bundesrat permanent engagiert in Bezug auf die Positionierung der Schweiz und die beste Wahrung ihrer Interessen.

6

Schlussfolgerungen: «Stark durch Kohärenz und Vernetzung in einem sich stetig wandelnden Umfeld»

6.1

Verändertes internationales Umfeld

Geostrategische Machtverschiebungen Vor zwanzig Jahren wurden an der österreichisch-ungarischen Grenze die ersten Löcher in den eisernen Vorhang geschnitten. Danach sah es aus, als ob inskünftig eine einzige Supermacht die Geschicke der Welt bestimmen und eine geopolitisch stabile Situation eintreten würde. Es kam aber schliesslich weder zur Pax americana noch zu einer Rückkehr zur vertrauten bipolaren Welt. Wir befinden uns heute in einer geopolitisch viel komplexeren Situation. Diese ist einerseits durch politische und wirtschaftliche Ungleichgewichte geprägt, andererseits durch eine Zunahme der wechselseitigen internationalen Beziehungen. Letztere werden zwischen den einzelnen Ländern immer enger; und kein Staat kann seine Interessen mehr alleine durchsetzen. Auch die verschiedenen Politikfelder sind thematisch immer stärker miteinander verknüpft. Diese Veränderungen schlagen sich in internationalem Organisationen und Gebilden nieder und ändern den Charakter traditioneller Interessenvertretung. Dies wiederum führt zu einer Vielzahl von Abmachungen, Regeln, Normen und Mechanismen der Zusammenarbeit. Auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure operieren vermehrt auf regionaler und globaler Ebene, nehmen an politischen Entscheidungsprozessen jenseits der nationalen Grenzen teil und verändern damit das internationale System.

Die Machtverschiebungen in der internationalen Politik haben auch auf die schweizerische Aussenpolitik Auswirkungen: ­

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China und Indien haben sich in den letzten Jahren zu Lokomotiven des globalen Wirtschaftswachstums entwickelt. Laut Prognosen dürften beide Staaten bis 2020 zu den wichtigsten Volkswirtschaften zählen. Brasilien, Russland, Indien, China (die sogenannten BRIC-Staaten) tragen unter Berücksichtigung der Kaufkraftparitäten schon heute mehr als einen Viertel der Weltwirtschaftsleistung bei. Der Anteil Asiens an der Weltwirtschaft hat sich seit Anfang der 80er Jahre verdreifacht und ist von 14 % auf 46 % gestiegen. Dies führt auch politisch zu einem neuen Beziehungsgeflecht zwischen einer wachsenden Anzahl von Machtzentren. Die Konsequenz ist

ein neues Selbstbewusstsein dieser ehemals als Schwellenländer bezeichneten Staaten.

­

Nebst jenem den BRIC-Staaten ist der Aufstieg von weiteren regionalen Mächten zu beobachten. Zu ihnen zählen im Nahen und Mittleren Osten Ägypten, Saudi-Arabien und der Iran. In Asien gehören Indonesien, Thailand und Malaysia dazu. In Afrika sind es Nigeria, Libyen und Südafrika, in Lateinamerika schliesslich Mexiko und Argentinien. Diese Länder sind aufgrund ihrer regionalen Bedeutung, ihrer Handlungskompetenz und ihres Leistungsvermögens in der Lage, in bestimmten Feldern der internationalen Politik Initiativen zu lancieren, Allianzen zu bilden oder Vorstösse der grössten Machte zu blockieren.

­

Die EU ist auf dem europäischen Kontinent die dominierende Kraft geworden und hat sich als Sprachrohr Europas in der Welt etabliert. Sie ist bestrebt, das von ihr entwickelte Recht auch in den Beziehungen mit Drittstaaten zur Richtschnur zu machen. Es sind drei sich gegenseitig verstärkende Entwicklungen zu beobachten, die für die Schweiz als Nichtmitglied der EU relevant sind. Einerseits verliert Europa gegenüber andern Regionen relativ an Bedeutung. Andererseits verstärken sich die integrativen Kräfte innerhalb der Europäischen Union, und schliesslich bestimmt die EU mit ihren Aussenbeziehungen massgeblich das Verhältnis Europas zu andern Weltgegenden.

­

Neue Akteure tauchen auch dort auf, wo für die globalisierte Wirtschaft natürliche Ressourcen von strategischer Bedeutung vorhanden sind. Erdöl ist das bekannteste Beispiel, doch auch Uran, Edelmetalle und Diamanten können Ländern und Regionen strategische Bedeutung geben. Aufgrund der massiven Erdölexporteinnahmen und der zunehmenden Abhängigkeit der Weltwirtschaft werden wir in Zukunft mit einem stärkeren Selbstbewusstsein der energie- und rohstoffexportierenden Länder konfrontiert sein. Diese Länder werden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ihren Einfluss ausbauen wollen. Der Kampf um natürliche Ressourcen verschärft vermehrt auch Konflikte und kompliziert die Suche nach Verhandlungslösungen.

Anpassungsdruck für internationale Institutionen («Gouvernanz») Das internationale Staatensystem war zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch ein fragmentiertes UN-System, einen zunehmenden Unilateralismus der USA und eine mangelnde Einbindung der aufstrebenden Staaten des Südens geprägt. Die heutigen multilateralen Institutionen sind im Wesentlichen das Produkt der Nachkriegszeit und widerspiegeln nicht mehr die heutigen Kräfteverhältnisse. Durch ihre Entwicklung hat sich der Anspruch regionaler Mächte verstärkt, in den internationalen Organisationen angemessen repräsentiert zu sein.

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Notwendigkeit, die internationale Finanzarchitektur zu reformieren, untermauert. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind der Ansicht, dass der Westen, vor allem Europa, in diesen Institutionen tendenziell übervertreten ist und fordern sowohl im Internationalen Währungsfonds (IWF) als auch in der Weltbank eine ausgewogenere Repräsentation. Dies ist für die Schweiz, aber auch für die anderen europäischen Staaten, eine Herausforderung. Es geht darum, den sich verschiebenden globalen Machtverhält6509

nissen im internationalen System Rechnung zu tragen und gleichzeitig die eigenen Interessen weiterhin angemessen vertreten zu können. Die Tatsache, dass die G-20 zu einer wichtigen Plattform für die Bemühungen rund um die Reform des BrettonWoods Systems avanciert, bedeutet für die Schweiz als Nichtmitglied der G-20 eine zusätzliche Herausforderung. Die drei betroffenen Departemente werden eine Analyse zu diesen Fragen verfassen, die dem Bundesrat als Diskussionsbasis dienen wird.

Was die Finanz- und Wirtschaftskrise bei der internationalen Finanzarchitektur blossgelegt hat, manifestiert sich beim UNO-Sicherheitsrat schon seit Jahren. Zwischen einer Erweiterung des Mitgliederkreises und der Sorge um die Effektivität des Systems wird die Machtfrage von «alten» und «neuen» Akteuren gestellt. Als Kern einer internationalen Sicherheitsarchitektur sieht sich auch der Sicherheitsrat der Kritik mangelnder Repräsentativität und damit dem Druck auf Erweiterung und Reform ausgesetzt.

Die multilateralen Institutionen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschaffen worden sind, haben im Allgemeinen Mühe, auf die zunehmend komplexen Themen zu reagieren. Auch sehen sie sich dem Druck ausgesetzt, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Kräfte in die Entscheidungsprozesse und in die Lösungssuche einzubeziehen und neue Partnerschaften einzugehen. Sie suchen nach neuen, flexibleren Organisationsformen, doch diese sind schwierig zu realisieren. Es gibt jedoch verschiedene Beispiele, die belegen, dass dies möglich ist. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich beispielsweise im Fall der SchweinegrippePandemie als effizient und leistungsfähig erwiesen. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat sich trotz grosser Widerstände gewisser Staaten einen festen institutionellen Platz in den Bemühungen gegen den Klimawandel erobert.

Auch die UNO hat Organe geschaffen, um auf neue Konflikte angemessener reagieren zu können oder strategische Prioritäten besser zum Ausdruck zu bringen und zu operationalisieren. Ein Beispiel dafür ist die UNO-Peacebuilding Commission, die 2005 geschaffen worden ist.

Die Machtverschiebungen in der internationalen Politik verändern sowohl die internationalen Organisationen, als auch die von diesen bestimmten politischen Prozesse.

Dies zeigt sich besonders
deutlich bei Themen wie Klima, Gesundheit, Menschenrechte oder Sicherheit. Als Beispiel sei der Menschenrechtsrat angeführt. Dieser reflektiert die Verschiebungen der globalen Machtverhältnisse und erfüllt somit die Forderung nach einer geostrategisch ausgewogenen Repräsentation. Die Diskussionen rund um das Gewicht einzelner Gruppen und Regionen im Menschenrechtsrat können jedoch gleichzeitig als Illustration für grundlegendere Veränderungen im internationalen System verstanden werden, sowohl was die Nord-Süd- als auch die Süd-Süd-Beziehungen betrifft.

Die Entwicklung einer kooperativen globalen Gouvernanz auf der Basis eines effektiven Multilateralismus bedarf grosser politischer Kraftanstrengungen. Notwendig sind insbesondere partnerschaftlich, «auf gleicher Augenhöhe» entwickelte Strategien zur Bewältigung globaler Herausforderungen. Auch müssen die neuen Akteure des Südens in die Verantwortung eingebunden und an den Prozessen zur Bewältigung dieser Herausforderungen beteiligt werden.

Die wachsende Diskrepanz zwischen den Herausforderungen einerseits, und der beschränkten Kapazität des internationalen Systems, zeitgerechte Entscheide zu fällen und umzusetzen andererseits, wird immer stärker als Krise der internationalen 6510

Gouvernanz erlebt: Dort, wo eine Reform der traditionellen Institutionen schwierig ist, bilden sich flexiblere Netzwerke und Gebilde wie die G-20 oder themenspezifische Gruppierungen. Letztere umfassen oft nicht mehr nur Staaten, sondern auch Nicht-Regierungsorganisationen oder grosse wirtschaftliche Unternehmen. Auch in dieser Perspektive erhöht sich der Druck auf Reformen der Institutionen und Entscheidstrukturen.

Wachsende Verflechtung von Politikfeldern, Rechtssystemen und Institutionen Wie oben aufgezeigt, haben instabile internationale Finanzmärkte, Klimawandel, Epidemien, soziale Polarisierung oder der Migrationsdruck aus Armutsregionen weltweite Ausstrahlung. Gerade die Veränderungen in der natürlichen Umwelt stellen jedoch nicht einfach «ein zusätzliches Problem» dar, sondern erfordern grundlegende Anpassungen. Klimaveränderungen zum Beispiel rufen nach einer fundamentaleren Umgestaltung des Produktions- und Konsumverhaltens. Sie stellen somit auch die Grundlagen der bisherigen internationalen Wirtschaftsordnung in Frage. Der Wandel der Weltwirtschaft zu einer «grünen Ökonomie» steckt noch in den Kinderschuhen. Gleichzeitig bleiben die grossen Probleme, die das 20. Jahrhundert dominiert haben ­ Armut, Unterentwicklung und gewaltsame Konflikte ­ in zahlreichen Regionen und trotz aller Fortschritte ungelöst.

Regionale Wirtschafts- und Finanzkrisen schwappen auf die Weltwirtschaft über und können einzelne Staaten in kurzer Frist in die Zahlungsunfähigkeit treiben.

Lokale Kriege haben Auswirkungen auf die Nachbarstaaten und lösen Flüchtlingsströme aus, die auch an unseren Grenzen nicht Halt machen. Intra- und interkontinentale Wanderungs- und Fluchtbewegungen werden zunehmend als Bedrohung der inneren Sicherheit wahrgenommen. Mit der Verflechtung wächst die Verwundbarkeit in Zeiten sozialer und ökologischer Krisen, denn alle Länder der Welt sind Teil eines globalen Ökosystems.

Neben diesen räumlichen bestehen zeitliche Verflechtungen. Was heute in den verschiedenen Politikbereichen versäumt wird, hat Auswirkungen in der nahen und fernen Zukunft. Die Steuerung dieser Zusammenhänge überschreitet die Reichweite der nationalen Politik und verlangt eine den Bedingungen der Globalisierung angepasste Zusammenarbeit zwischen Staaten und beteiligten Akteuren.

Aber nicht nur Politikfelder verzahnen
sich; auch globale und regionale Institutionen und Rechtsräume nehmen in der Aussenpolitik der jeweiligen Länder einen immer wichtigeren Platz ein. Wachsende Verflechtungen führen dazu, dass sich verschiedene Rechtsräume und Regelwerke überlagern und dass Abstimmungs- und Klärungsbedarf besteht, welche Normen im Einzelfalle zur Geltung kommen.

Dies bedeutet, dass Länder ihre Interessen nur durchsetzen können, wenn sie in ihrer Aussenpolitik die Verflechtung der Themen, Institutionen und Rechtsräume berücksichtigen und ihre Politik so gestalten, dass sie mit diesen neuen Formen der Zusammenarbeit umgehen können. Da durch die zunehmende Verflechtung zwischen Staaten auch die traditionellen Grössenverhältnisse relativiert werden, trifft dies für Grossmächte genauso zu wie für kleine und mittelgrosse Staaten. Mehr denn je gilt heute, dass kein Staat im Alleingang die hier dargelegten Probleme lösen kann. Nur im Konzert mit anderen Akteuren können Interessen nachhaltig gewahrt werden.

Diese Situation ist für die schweizerische Aussenpolitik massgeblich, und die Schweiz muss daher die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente bestmöglich einsetzen.

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Im Zuge der Globalisierung werden nationale Zielsetzungen wie nachhaltige Entwicklung, Sicherheit, Gesundheit, Bildung oder Rechtsstaatlichkeit gewissermassen zu globalen öffentlichen Gütern. Die Investition in öffentliche Güter ist auch für die Stabilität der Weltwirtschaft, den friedlichen Interessenausgleich und die Bewältigung von Umweltkrisen von besonderer Bedeutung. Da sie über Markttransaktionen allerdings nur unzureichend zur Verfügung gestellt werden, kann die Sicherstellung globaler öffentlicher Güter nur durch internationale Kooperation gelingen. Das zehnjährige Jubiläum der UNO Millennium Deklaration 2010 ist die nächste Gelegenheit, Fragen der globalen Gouvernanz zu thematisieren und neue Wege einzuschlagen.

6.2

Folgen für die Schweizer Aussenpolitik

Traditionell dient Aussenpolitik dazu, Souveränität und Unabhängigkeit und damit Handlungsfreiheit, zu garantieren. Dies entspricht dem Auftrag der Aussenpolitik, wie er in Artikel 54 Bundesverfassung definiert worden ist.75 Es stellt sich also für die Schweiz die Frage, wie dieser Auftrag in einem veränderten Umfeld am besten erfüllt werden kann.

Immer öfter zeigt sich, dass nationale Interessen in vielen Bereichen nur auf der Grundlage internationaler Kooperation und gemeinsamen Ansätzen zur Lösung von Problemen gesichert werden können. Sicherheit und Wohlfahrt der Schweiz hängen stark von der Ordnungskraft des internationalen Systems ab, d.h. von dessen Fähigkeit, legitime Regeln auszuhandeln, Konflikte einzudämmen, Gesellschaften zu stabilisieren und staatliche Institutionen zu stärken.

Die Interessen der Schweiz sind vielfältig «verflochtene Interessen». Bi- und multilaterale Interessenvertretung ist ebensowenig voneinander zu trennen wie die Verbindungen zwischen zahlreichen Politikbereichen (z.B. Umwelt und Sicherheit, Sicherheit und Gesundheit, Gesundheit und Klima). Entsprechend steigen die Anforderungen nach kohärenter und koordinierter Interessenwahrung, horizontal zwischen Politikbereichen, aber auch gegenüber Institutionen, Rechtssystemen und Ländern. Sektorielle Interessen sind mit spezifisch aussenpolitischen Interessen (gegenüber einem Staat oder einer multilateralen Organisation) abzustimmen.

Der EU beitreten?

Die EU ist trotz der Verschiebungen im internationalen Kräfteverhältnis für die schweizerische Aussenpolitik mehr denn je ein zentraler Bezugspunkt. Unser Wohlstand und unsere Sicherheit sind primär von den Entwicklungen in Europa abhängig. Die Schweiz kann sich ihrer geostrategischen Lage nicht entziehen und verfolgt im internationalen Kontext weitgehend gleiche Ziele. Die wichtigsten Entscheide für die zukünftige Entwicklung Europas werden heute im Rahmen der EU gefällt. Die Schweiz kann als Nichtmitglied ihren Einfluss nicht in den Institutionen der EU geltend machen. Hinzu kommt, dass sich die EU in zunehmenden Masse legitimiert sieht, auch in Bereichen Recht zu setzen, die traditionell zu den 75

Art. 54, Absatz 2: «Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.»

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Kernkompetenzen anderer Organisationen gehören, wie der OECD oder des Europarats, denen die Schweiz als vollberechtigtes Mitglied angehört. In ihren Beziehungen mit der EU muss die Schweiz deshalb darauf bedacht sein, ein Maximum an Mitgestaltungsrechten zu erhalten und diese aktiv zu nutzen.

Es stellt sich aber unter den neuen internationalen Bedingungen auch die Frage, wie das Verhältnis zur Europäischen Union in Zukunft zu gestalten ist. Dabei ist nach den Chancen und Risiken von Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft zu fragen, nach der Übereinstimmung von Zielen und Politiken und den für eine Mitgliedschaft notwendigen Anpassungen, nach der konkreten Ausgestaltung von Rechten und Pflichten, den Chancen und Möglichkeiten der künftigen Einflussnahme auf Entscheidprozesse, den Nutzen und Kosten und natürlich den institutionellen Auswirkungen einer Mitgliedschaft auf den politischen Entscheidungsprozess und auf die schweizerischen Institutionen. Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt politisch keine klaren Antworten auf diese Fragen.

Bis heute hat der bilaterale Weg der Schweiz erlaubt, ihre gesetzten Ziele weitgehend zu erreichen. Die Europafrage wird aber in Zukunft brisanter denn je. Umso wichtiger ist die Befassung mit der Frage, ob die Schweiz ihre Interessen letztlich in oder ausserhalb der EU besser wahrnehmen kann. Die im Interesse des Landes gebotenen Entscheide können nur getroffen werden, wenn zu dieser Frage eine ernsthafte und vorurteilslose Debatte geführt wird. In diesem Zusammenhang wird der Bundesrat das Integrationsbüro beauftragen, eine Studie, die als Diskussionsbasis dienen soll, zu erstellen.

Was allerdings schon heute gesagt werden kann ist, dass in oder ausserhalb der EU schweizerische Interessenvertretung nur möglich ist, wenn die Schweiz noch stärker an der Lösung globaler Probleme teilnimmt. Bleibt die Schweiz ausserhalb der EU, muss sie sich vermehrt engagieren, um ihre Interessen eigenständig zu vertreten.

Möchte die Schweiz dereinst EU Mitglied werden, kann sie ihre Interessen im Rahmen der EU primär durch ihre langjährige Kompetenz, ihre Leistungen, Ideen und Engagement bei der Lösung globaler Fragen zur Geltung bringen.

Globales Engagement und Ausbau der Beziehungen zu Schlüsselakteuren Obwohl der Schwerpunkt schweizerischer Beziehungen und Interessen in Europa
liegt, kann und muss die Schweiz gerade als Nichtmitglied der EU besondere Anstrengungen auf ihre aussereuropäischen Beziehungen setzen. So ist es für die Schweiz als europäisches Land mit starker globaler Vernetzung wichtig, die Beziehungen zu allen weltpolitischen Akteuren auszubauen und auf neue Kooperationsfelder auszuweiten. Sie alle sind bedeutende Partner sowohl für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, als auch bei der Stärkung des multilateralen Handlungsrahmens und der internationalen Regime. Da jedoch der «Süden» oft nicht mehr mit einer Stimme spricht, muss auch die schweizerische Aussenpolitik der wachsenden Differenzierung von Interessen Rechnung tragen. Die vom Bundesrat 2005 eingeschlagene Strategie der Intensivierung von Beziehungen mit aufstrebenden Ländern muss daher auch in Zukunft fortgesetzt werden.

Wichtige Themen Aufgrund der oben diskutierten wachsenden Vernetzung globaler Herausforderungen ist für die Schweizer Aussenpolitik nicht nur die Fokussierung auf Länder, sondern auch auf wichtige globale Politikfelder, Institutionen und Regelwerke wichtig. Das internationale Finanzsystem und die Welthandelsordnung, Abrüstung 6513

und Non-Proliferation, internationale Sicherheitsfragen einschliesslich transnationale Kriminalität, Konfliktprävention und Friedensförderung, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte, Migration, sowie Klima-, Energiepolitik und Umweltschutz gehören zu einer Reihe von untereinander vernetzten Politikbereichen, bei denen die Schweiz ihre wohlverstandenen Eigeninteressen gezielt einbringen muss.

Dies kann ihr durch den gezielten Einsatz aller Instrumente der Schweizer Aussenpolitik gelingen. Die bestehenden Instrumente ­ Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Friedens- und Menschenrechtsförderung ­ haben sich grundsätzlich bewährt und müssen auch in Zukunft weiter ausgebaut werden. Im Bereich der Abrüstung und der Non-Proliferation soll das Engagement verstärkt werden.

Die Beteiligung der Schweiz am internationalen Lastenausgleich («burden sharing») ist in den letzten Jahren trotz dieser Anstrengungen tendenziell zurückgegangen. Auf Dauer kann die Schweiz Einfluss und Reputation in der Staatengemeinschaft nicht aufrechterhalten, wenn sie sich nicht stärker an der Lösung von anstehenden Problemen und an Stabilisierungsbeiträgen beteiligt. Eine Beteiligung kann, muss aber nicht notwendigerweise in Form erhöhter Transferzahlungen zugunsten von ärmeren Ländern oder globalen Themen erfolgen. Wie die Klimapolitik zeigt, können Marktund Steuermechanismen notwendige Ressourcen generieren; die Marktöffnung für Agrarprodukte und innovative Lösungsansätze beim Patentschutz können in gewissen Situationen bessere Instrumente zur Lösung von internationalen Problemen sein.

Angesichts der grossen Bedeutung solcher Themen wird sich der Bundesrat inskünftig vermehrt mit der Stellung der Schweiz im internationalen «burden sharing» befassen und fortlaufend Massnahmen und mögliche Finanzierungsoptionen, die Einfluss und Stellung der Schweiz beeinflussen, evaluieren. Das EDA wird regelmässig über entsprechende Entwicklungen informieren.

Multilaterale und bilaterale Diplomatie: Partnerschaften und Dialog Im Gefolge der Globalisierung erhalten Partnerschaften mit wichtigen Exponenten von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gerade für ein Land wie die Schweiz besondere Bedeutung. Es ist dies die Konkretisierung von «soft power» im besten Sinne des Konzeptes: Wissen und innovative
Lösungen können nicht staatlich verordnet werden. Als Land kann die Schweiz aber noch vermehrt zu objektiven und sachbezogenen Diskussionen beitragen, indem sie Experten- und Wissensnetzwerke fördert und hilft, innovative Lösungen in die internationalen Entscheidprozesse einzuspeisen.

Divergierende Interessen können nur durch strukturierte Verhandlungen und Diplomatie auf friedliche Weise versöhnt und zum Wohle aller ausgeglichen werden. Die Schweiz kann sich aussenpolitisch nicht abschotten und die internationale Zusammenarbeit nicht als zweitrangig betrachten, ohne ihre Handlungsfreiheit, Sicherheit und Wohlfahrt einzubüssen. In der Tat gehört der Dialog auch in schwierigen Situationen und mit schwierigen Partnern zur konstanten Aufgabe der schweizerischen Aussenpolitik. Die Prävention respektive die Regelung von Konflikten bleiben das Ziel; Sachlichkeit und das pragmatische Suchen von Lösungen bleiben wichtige Ansätze.

Die Schweiz gehört keiner festen politischen oder regionalen Allianz an und muss deshalb vermehrt in flexiblen, variablen und transregionalen Partnerschaften operieren. Es gilt, solche Netzwerke zu stärken und gemeinsame Interessen und Werte mit 6514

Partnern auch gemeinsam zu verfolgen. Dies wiederum bedingt, dass die Schweiz ein möglichst breites und umfassendes Beziehungsnetz pflegt, um Partnerschaften mit anderen Staaten und Organisationen in Europa und weltweit eingehen zu können. Ein Beispiel ist die von der Schweiz initiierte Plattform der Small Five (S5) für die Reform des UNO-Sicherheitsrats.

In diesem Zusammenhang stellt das internationale Genf für die Schweiz eine grosse Chance dar, denn es erlaubt ihr, in gewissen Gebieten eine spezielle Rolle zu spielen. Dabei ist an die internationalen Abrüstungsverhandlungen zu denken, aber auch an die humanitäre Politik oder die Organisation des Welthandels. Nicht zu unterschätzen ist auch die schlichte Tatsache, dass führende Exponenten des internationalen Systems regelmässig nach Genf kommen. Die neben New York einzigartige Konzentration von multilateralen Institutionen bedeutet aber auch eine Verantwortung und eine Verpflichtung, weiterhin den wachsenden Ansprüchen, die an die Schweiz als Gaststaat gestellt werden, nachzukommen. Es gilt, die Attraktivität des Gaststaates Schweiz auch in Zukunft in einem zunehmend kompetitiven Umfeld sicherzustellen.

Rechtsstaatlichkeit und Kampf gegen Diskriminierung Die Tatsache, dass die Schweiz in allen Politikbereichen, von Finanz und Wirtschaft über Umwelt und Energie bis hin zu Migration und Gesundheit, direkt oder indirekt von den internationalen Entwicklungen betroffen ist, bedeutet, dass sie aufgefordert ist, auf regionaler wie globaler Ebene an der Ausarbeitung von besseren internationalen Rahmenbedingungen mitzuarbeiten.

Der Vorrang des Rechts vor der Machtpolitik des Stärkeren ermöglicht es, globale Probleme und Interessensgegensätze anhand von fairen, allgemein gültigen Regeln zu lösen. In der Tat lässt sich eine Nichtdiskriminierung der Schweiz, ihrer Bürger oder ihrer Unternehmen im internationalen Wettbewerb am besten durch das Aushandeln gemeinsamer Spielregeln erzielen, die völkerrechtlich durchsetzbar sind und für alle gleichermassen gelten.

Für die Schweiz steht ausser Frage, dass der Einsatz von militärischer Gewalt zur Konfliktlösung nur eine Massnahme der «ultima ratio» sein darf und in einem solchen Fall durch die UNO legitimiert werden muss. Die Schweiz muss sich daher konsequent für die internationale Rechtsvereinheitlichung und
das Errichten neuer Regelwerke stark machen. Dieser Ansatz setzt auch die Bereitschaft voraus, neue Wege zu beschreiten und einen internationalen Konsens auch in Fragen mitzutragen, bei denen mindestens kurzfristige schweizerische Interessen nicht deckungsgleich sind.

Organisation der schweizerischen Aussenpolitik Die Schweiz kann eine erfolgreiche Aussenpolitik nur betreiben, wenn sie die oft gegensätzlichen Interessen von Gesellschaft, Wirtschaft und staatlichen Bürokratien aufeinander abstimmt und gegen aussen wirkungsvoll vertritt. In dem Sinne ist Aussenpolitik eine Dienstleistung, die den verschiedenen Akteuren hilft, Positionen zu koordinieren, Strategien zu entwickeln und taktische Absprachen zu treffen.

Kohärenz ist nicht ein Selbstzweck, sondern verspricht auf Dauer mehr Wirkung und effizienteren Mitteleinsatz. Ohne Kohärenzanstrengungen kann es keine starke Aussenpolitik geben. Zudem gewährleistet Kohärenz die demokratische Verankerung im Innern und erhöht die aussenpolitische Glaubwürdigkeit und Einflussmöglichkeiten gegen aussen.

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Interessenwahrung nach aussen und Einfluss auf die Gestaltung des internationalen Umfeldes verlangen eine Politik des Engagements. Diese benötigt Ressourcen zur Führung der Aussenpolitik und ­ wie weiter oben erläutert ­ zur Teilnahme am internationalen «burden sharing». Gehör verschaffen kann sich die Schweiz nur in dem Masse, in dem sie sich durch personelle und finanzielle Beiträge engagieren und innovative Ideen in die internationale Diskussion einbringen kann.

Das EDA übt sein Mandat ­ zusammen mit den aussenpolitisch tätigen Fachspezialistinnen und -spezialisten der übrigen Departemente ­ zuhanden des Bundesrats aus. Die Schweiz verfügt alleine nicht über das notwendige Gewicht, die relevanten Entwicklungen und die internationale Agenda massgeblich zu beeinflussen.

Verknüpfung von Aussen- und Innenpolitik Eine weitere Folge der wachsenden Verknüpfung von Ländern und Problemen auf internationaler Ebene ist, dass Aussen- und Innenpolitik heute viel stärker voneinander abhängen als je zuvor. Diese Entwicklung hat vor allem zwei Konsequenzen: Einerseits kommt die Innenpolitik nicht darum herum, die Auswirkungen von gesetzgeberischen oder anderen Beschlüssen für das Aussenverhältnis als wichtiges Entscheidkriterium zu berücksichtigen, und zwar selbst in Bereichen, in denen die Schweiz grundsätzlich autonom und frei entscheiden kann. Umgekehrt müssen aussenpolitische Weichenstellungen innenpolitisch breit abgestützt sein, was einen kontinuierlichen Dialog mit dem Parlament, den Kantonen und der Öffentlichkeit im Rahmen des demokratischen Meinungsbildungsprozesses voraussetzt. Das System der direkten Demokratie, das gerade auch im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten gut entwickelt ist, schafft die institutionellen Voraussetzungen hierfür.

Die Schweiz ist dank ihrem relativen Wohlstand, ihrer Innovationskraft und ihrer bereits heute starken internationalen Verflechtung in einer guten Ausgangslage, um bei der Bewältigung der Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft einen bedeutenden Beitrag zu leisten. Als Nichtmitglied der EU bedarf es umso grösserer Anstrengungen, um ihre Interessen im europäischen Kontext, aber auch auf globaler Ebene effizient zu vertreten. Die Grundvoraussetzung für die Lösung dieser für unser Land vitalen Aufgabe ist die Bereitstellung angemessener Ressourcen
und die Fähigkeit und die Bereitschaft, alle zur Verfügung stehenden Instrumente in kohärenter Weise einzusetzen. Die Schweiz benötigt somit eine starke, selbständige Aussenpolitik.

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Anhang

Zusatzinformationen zum Europarat Vorbemerkung Die wichtigsten Herausforderungen und Aktivitäten der Schweiz betreffend den Europarat werden in Ziffer 3.2.2.3.2 behandelt. Der Anhang enthält Zusatzinformationen über die wichtigsten Tätigkeiten der Schweiz in den einzelnen Zuständigkeitsbereichen des Europarats. Damit enthält der vorliegende Bericht die gleichen Grundinformationen wie die bisherigen Jahresberichte über die Tätigkeiten der Schweiz im Europarat.

1

Ministerkomitee

Die 118. Sitzung des Ministerkomitees fand am 7. Mai 2008 in Strassburg statt. Im informellen Teil besprachen die anwesenden Aussenminister die Situation in Südosteuropa sowie die angespannte Situation im Südkaukasus.

Im anschliessenden formellen Teil der Sitzung stand die ausstehende Ratifikation von Protokoll Nr. 14 (Reform des Europäischen Gerichtshofs) durch Russland im Vordergrund. Einen weiteren Schwerpunkt bildete der interkulturelle Dialog mit der Verabschiedung eines Weissbuchs. Verabschiedet und zur Unterzeichnung aufgelegt wurden zwei neue völkerrechtliche Instrumente des Europarats: das revidierte Europäische Übereinkommen über die Adoption von Kindern sowie das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin betreffend Gentests zu gesundheitlichen Zwecken.

Eine ausserordentliche informelle Sitzung des Ministerkomitees zur Georgienkrise fand ausserdem am 24. September 2008 auf Einladung der schwedischen Präsidentschaft am Rande der UNO-Generalversammlung in New York statt.

2 2.1

Demokratischer Zusammenhalt Menschenrechtsfragen

Im Zentrum der Aktivitäten des Lenkungsausschusses für Menschenrechte und des ihm unterstellten Expertenausschusses für die Verbesserung der Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) standen auch in diesem Berichtsjahr die Diskussionen über die Reform des EMRK-Kontrollsystems und, damit zusammenhängend, die Bemühungen um die Stärkung der innerstaatlichen Durchsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Umsetzung der Urteile des EGMR in den Mitgliedstaaten.

Die Diskussion um die Reform des Gerichtshofs befindet sich derzeit in einer Krise, bedingt durch die Blockade Russlands bezüglich des Inkrafttretens des Protokolls Nr. 14 zur EMRK. Die Ungewissheit über das Schicksal dieses Protokolls prägt auch die Diskussion über die Massnahmen, die über das Protokoll hinausgehen.

Diese Diskussionen wurden im Berichtsjahr formell noch nicht im Plenum des 6517

Lenkungsausschusses für Menschenrechte, sondern in einer von ihm eingesetzten Arbeitsgruppe geführt, in der auch die Schweiz vertreten ist. Die Hauptaufgabe der Arbeitsgruppe besteht in der Überprüfung der im Bericht der Weisen vom November 2006 vorgelegten Reformvorschläge, wobei zunächst diejenigen Massnahmen zu analysieren sind, die ohne eine Änderung der Konvention möglich sind, und anschliessend diejenigen, die eine Änderung, also ein weiteres Änderungsprotokoll erfordern würden.76 Die Arbeitsgruppe kann überdies Massnahmen thematisieren, die im Bericht der Weisen nichts vorgeschlagen wurden.

Neben der Reformdiskussion begleitete der Lenkungsausschuss für Menschenrechte die Aktivitäten seiner Unterausschüsse sowie deren Arbeitsgruppen. Zu den wichtigsten gehören die Arbeiten in folgenden Bereichen: Menschenrechte in einer multikulturellen Gesellschaft, Menschenrechte im beschleunigten Asylverfahren sowie Entwurf eines Begleitberichts zum Konventionsentwurf über den Zugang zu öffentlichen Dokumenten. Ausserdem verabschiedete der Lenkungsausschuss für Menschenrechte den Entwurf einer Stellungnahme zur Empfehlung der PV 1824 (2008) ­ «Listes noires du Conseil de sécurité des Nations Unies et de l'Union européenne».

Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter hat Ende März 2008 den Schweizer Behörden seinen Bericht über den Besuch vom 24. September bis zum 5. Oktober 2007 in der Schweiz übermittelt. In diesem Bericht befasst sich dieser Ausschuss besonders mit den Garantien zum Schutz von festgenommenen Personen sowie von Personen, die gestützt auf das Ausländergesetz vom 16. Dezember 200577 inhaftiert sind, vor Misshandlungen. Bei den Strafvollzugsanstalten hat er sein Augenmerk auf Verwahrte, auf Personen, denen gegenüber therapeutische Massnahmen angeordnet wurden, und auf die Haftbedingungen in den Hochsicherheitstrakten gerichtet. Ausführlich behandelt wird schliesslich auch die Lage Minderjähriger und junger Erwachsener in Erziehungsanstalten.

Am 19. November 2008 verabschiedete das Ministerkomitee seine zweite Resolution zur Umsetzung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten durch die Schweiz.

Der Expertenausschuss für den Schutz nationaler Minderheiten, ein Unterausschuss des Lenkungsausschusses für Menschenrechte, hielt seine beiden jährlichen Treffen im März
und im Oktober 2008 ab. Er prüfte insbesondere die Frage neuer Richtlinien zu Verfahren zur Entwicklung von Beziehungen zwischen einem Staat und seinen in einem anderen Staat ansässigen Minderheiten («kin-minorities»).

Das Ministerkomitee hat im Mai 2008 das Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention betreffend genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken verabschiedet. Das neue Zusatzprotokoll definiert Prinzipien in Bezug auf die Qualität genetischer Untersuchungen, die Information und die vorgängige Einwilligung. Es stellt generelle Regeln für die Durchführung genetischer Tests auf und behandelt erstmals auf internationaler Ebene direkt zugängliche genetische Tests, deren Kommerzialisierung in Zukunft wachsen könnte. Es präzisiert die Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, wenn genetische Tests an einwilligungsunfähigen Personen durchgeführt werden sollen. Auch der Schutz der Privatsphäre sowie das Recht auf die mithilfe 76 77

Vgl. dazu auch den Jahresbericht des Bundesrates über die Tätigkeiten der Schweiz im Europarat im Jahr 2007, BBl 2008 4501.

SR 142.20

6518

genetischer Tests gesammelten Informationen sind erfasst. Ausgeklammert vom Geltungsbereich des Zusatzprotokolls bleiben genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken.

Das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin und das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen ist für die Schweiz am 1. November 2008 in Kraft getreten.

2.2

Die Schweiz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Im Berichtszeitraum fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vier Urteile in Schweizer Fällen.

Im Fall Hadri-Vionnet (Urteil vom 14. Febr. 2008) hatte die Beschwerdeführerin, die als Asylsuchende in einer Empfangsstelle lebte, ein totgeborenes Kind zur Welt gebracht. Sowohl sie als auch der Vater des Kindes waren von den zuständigen kommunalen Stellen dahingehend verstanden worden, dass sie den Leichnam des Kindes nicht mehr sehen wollten. Darauf ordnete die Zivilstandsbeamtin der Gemeinde ein Begräbnis ohne Zeremonie an, ohne die Beschwerdeführerin darüber zu informieren. Der Leichnam des Kindes wurde in einem Sarg mit einem Lieferwagen zum Gemeindefriedhof gebracht und dort im Grab für Totgeburten bestattet.

Das in der Folge eingeleitete Strafverfahren wurde wegen fehlenden Vorsatzes bzw.

Rechtsirrtum eingestellt. Der Gerichtshof hielt fest, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, ihre Behörden und Beamten so zu organisieren bzw. auszubilden, dass Konventionsverletzungen verhindert werden. In einem Bereich, der so intim und sensibel ist wie der Tod eines nahen Angehörigen, haben die Staaten ein besonderes Mass an Sorgfalt und Umsicht walten zu lassen. Auf dieser Grundlage bejahte der Gerichtshof einen Eingriff in das Privat- und Familienleben. Die Verletzung von Artikel 8 EMRK wird damit begründet, dass dieser Eingriff ohne gesetzliche Grundlage erfolgte: Das Vorgehen der Gemeinde widersprach dem kommunalen Bestattungs- und Friedhofsreglement sowie der Verkehrsregelnverordnung (Leichentransport).

Im Fall Meloni (Urteil vom 10. April 2008) ging es um eine Strafuntersuchung wegen Wirtschaftskriminalität. Der Beschwerdeführer erhob in Strassburg mehrere Rügen im Zusammenhang mit seiner Untersuchungshaft. Er machte insbesondere geltend, für die Fortsetzung der Haft habe zeitweise ein gültiger Haftbefehl gefehlt (Art. 5 Abs. 1 EMRK). Der EGMR hiess die Beschwerde teilweise, d.h. in Bezug auf gewisse Perioden der Haft, gut. Zur Begründung des Urteils wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der ursprüngliche Verzicht des Beschwerdeführers auf die Ex-officio-Kontrolle der Rechtmässigkeit der Haft die Behörden nicht davon entbunden habe, die Haft auf die gesetzlich vorgesehene Weise rechtzeitig vor Ablauf der ursprünglichen Haftdauer zu verlängern. Auch der negative Entscheid über ein
Haftentlassungsgesuch könne einen solchen neuen Hafttitel nicht ersetzen, zumal im vorliegenden Fall im Entscheid über das Entlassungsgesuch keine neue Haftfrist festgelegt worden war. Der Gerichtshof erkannte auf eine Verletzung von Artikel 5 EMRK.

Im Fall Emre (Urteil vom 22. Mai 2008) stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) fest. Der als Kleinkind in die Schweiz eingewanderte Beschwerdeführer war zu mehreren Frei6519

heitsstrafen von insgesamt 18 ½ Monaten verurteilt und infolgedessen ausgewiesen worden. Gestützt auf die vom EGMR in ständiger Rechtsprechung entwickelten Kriterien qualifizierte er die Ausweisung als nicht «notwendig in einer demokratischen Gesellschaft». Ausschlaggebend waren neben der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers insbesondere die begrenzte Schwere der Straftaten, die kaum mehr vorhandenen Beziehungen zum Herkunftsland sowie der Umstand, dass die Ausweisung unbefristet war.

Im Fall Carlson (Urteil vom 6. Nov. 2008) ging es um die verfahrensrechtliche Behandlung eines Rückführungsgesuchs im Falle einer internationalen Kindesentführung. Der Gerichtshof stellte verfahrensrechtliche Fehler und Versäumnisse fest, die im Widerspruch zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindsentführung stünden und das Rückführungsverfahren in unzulässiger Weise in die Länge gezogen hätten. Der EGMR erkannte auf eine Verletzung des Rechts auf Familienleben (Art. 8 EMRK).

2.3

Gleichstellung von Frau und Mann

Die Kampagne des Europarats zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, einschliesslich der häuslichen Gewalt, wurde im Juni 2008 beendet. Die Schweiz legte ihren Schlussbericht über die ergriffenen Tätigkeiten am Treffen der nationalen Anlaufstellen vom 21./22. April 2008 in Strassburg vor. Der Bericht gibt einen Überblick über die kürzlich verabschiedeten rechtlichen Bestimmungen für die Bekämpfung von häuslicher Gewalt auf kantonaler und nationaler Ebene. Er erwähnt auch die vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann veröffentlichte Studie «Beratungsarbeit und Anti-Gewalt-Programme für Täter und Täterinnen häuslicher Gewalt in der Schweiz» (2008).

2.4

Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

Vom 15. bis 19. September 2008 besuchte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz zum vierten Mal die Schweiz. Auf dem Programm standen Gespräche mit staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen in den Kantonen Zürich und Waadt sowie ein Treffen mit der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz stützte sich in ihrer Fragestellung und der Auswahl von konsultierten Nichtregierungsorganisationen unter anderem auf die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus.

Letztere konnte der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz einen von ihr erstellten Bericht zur gegenwärtigen Lage der Rassismusbekämpfung in der Schweiz übermitteln. Die Delegation zeigte sich sehr beeindruckt von der Offenheit und Informiertheit der Gespräche.

2.5

Rechtliche Zusammenarbeit und Strafrechtsfragen

Das Schwergewicht der Tätigkeit des Expertenausschusses für die Anwendung der Strafrechtsübereinkommen lag bei der Erarbeitung eines Entwurfs zu einem dritten Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen. Mit dem neuen

6520

Instrument soll die Auslieferung im Falle der Zustimmung der verfolgten Person vereinfacht und beschleunigt werden.

Die Schweiz ist seit Mitte 2006 Mitglied der Staatengruppe gegen die Korruption. In dieser Eigenschaft hatte sich unser Land dem kombinierten Länderexamen (Phasen I und II) zu unterziehen. Der Bericht über die Schweiz wurde anlässlich der Plenarsitzung vom 31. März bis 4. April 2008 in Strassburg verabschiedet und am 2. Juni 2008 veröffentlicht. Er anerkennt, dass die Schweiz seit dem Jahr 2000 bedeutende Anstrengungen zur Prävention und Repression der Korruption unternommen hat.

Verbesserungsbedarf wird unter anderem bei der innerstaatlichen Koordination der Abwehrmassnahmen gesehen. Für die Korruptionsprävention in der Verwaltung werden klarere Regeln bezüglich Geschenkannahme und Interessenkonflikten sowie eine Meldepflicht der Bundesangestellten bei Korruptionsverdacht (einschliesslich Schutz von «Whistleblowers») gefordert. Der Bericht enthält 13 Empfehlungen an die Schweiz.78

2.6

Medienbereich

Das Ministerkomitee verabschiedete am 20. Februar 2008 eine Erklärung zum Schutz der Würde, Sicherheit und Privatsphäre von Kindern im Internet. Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert zu prüfen, wie von Kindern geschaffene Inhalte und die Spuren, die sie im Internet hinterlassen, möglichst rasch entfernt oder gelöscht werden können, damit sie keine nachteiligen Folgen haben.

Das Ministerkomitee nahm am 20. Februar 2008 die Erklärung über die Verteilung und Verwaltung der digitalen Dividende und das öffentliche Interesse an. Diese ruft dazu auf, die aufgrund der Digitalisierung von Radio und Fernsehen frei werdenden Rundfunkfrequenzen als öffentlich zu anerkennen und sie im öffentlichen Interesse zu nutzen.

Am 26. März 2008 verabschiedete das Ministerkomitee eine Empfehlung zu Förderungsmassnahmen für die Achtung von Meinungs- und Informationsfreiheit im Hinblick auf Internetfilter. Internetfilter sollen so eingesetzt werden, dass ein Gleichgewicht zwischen Meinungs- und Informationsfreiheit und dem Schutz von Kindern vor schädlichen Websites gewährleistet ist.

In seiner Erklärung vom 26. März 2008 zur Unabhängigkeit und zu den Funktionen von Regulierungsbehörden für den Rundfunksektor rief das Ministerkomitee die Mitgliedstaaten dazu auf, eine frühere Empfehlung umzusetzen, mit der nicht nur die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden, sondern auch deren Effizienz, Transparenz und Verantwortlichkeit sichergestellt werden sollen.

Die Parlamentarische Versammlung nahm am 3. Oktober 2008 eine Entschliessung und eine Empfehlung über Indikatoren für die Medien in einer Demokratie an.

Ausserdem verabschiedete der Europarat in Zusammenarbeit mit der «Interactive Software Federation of Europe» Richtlinien zur konkreten Unterstützung von Anbietern von Online-Spielen beim Verständnis und bei der Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Informationsgesellschaft, insbesondere unter Berücksichtigung von Artikel 10 EMRK. Die Richtlinien rufen die Anbieter dazu auf, die Privatsphäre, die Sicherheit und die Meinungsfreiheit von Internetnutzern zu 78

Der Bericht ist erstmals für den Herbst 2009 vorgesehen.

6521

schützen, die E-Mails versenden oder an einem Chat, einem Blog oder einem Online-Spiel mitmachen.

Es wurde zudem in Zusammenarbeit mit der «European Internet Service Providers Association» praktische Richtlinien zur konkreten Unterstützung von Internetanbietern beim Verständnis und bei der Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Informationsgesellschaft, insbesondere unter Berücksichtigung von Artikel 10 EMRK, erarbeitet. Die Schweiz ist ad personam in drei Sachverständigengruppen des Lenkungsausschusses für Medien und neue Kommunikationsdienste sowie in zwei Ad-hoc-Arbeitsgruppen vertreten.

Die Sachverständigengruppe für Medienvielfalt arbeitete weiter an einem Überwachungsverfahren, mit dem die Auswirkungen der Medienkonzentration auf den Pluralismus und die Vielfalt der Medieninhalte gemessen werden können.

Die Sachverständigengruppe für öffentliche Medien in der Informationsgesellschaft prüfte Strategien, mit denen öffentliche Medien die Mitwirkung der Bevölkerung in der Demokratie fördern können. Er verfasste einen Bericht und praktische Empfehlungen für diesen Bereich.

In der Sachverständigengruppe für Menschenrechte in der Informationsgesellschaft wirkte der Vertreter der Schweiz, der auch das Präsidium innehat, aktiv bei der Vorbereitung des Europäischen Dialogs zur Internetverwaltung (EuroDig) in Strassburg und der Erarbeitung der Beiträge des Europarats für das UNO-Forum für Internetverwaltung in Hyderabad mit.

Im Ad-hoc-Ausschuss, der eine Bestandesaufnahme der verwandten Schutzrechte von Rundfunkorganisationen vornehmen soll, plädiert die Schweiz dafür, ein Übereinkommen des Europarats über die verwandten Schutzrechte von Rundfunkorganisationen auszuarbeiten.

Die Schweiz gehört der Ad-hoc-Redaktionskommission des Ständigen Ausschusses für das grenzüberschreitende Fernsehen an, die den Auftrag hat, Vorschläge zur Änderung des Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen zu formulieren. Der ständige Ausschuss behielt den Artikel über Fernsehwerbung und Teleshoppingprogramme bei, die sich gezielt an einzelne Vertragsstaaten richten. Diese Bestimmung soll Vertragsstaaten wie die Schweiz vor der Umgehung ihrer innerstaatlichen Werbevorschriften schützen.79 Der Lenkungsausschuss von «Eurimages» befasste sich an insgesamt fünf Sitzungen mit der Unterstützung
von europäischen Koproduktionen, Filmverleihern und Kinosälen. An 6 Koproduktionen war die Schweiz beteiligt, eine davon war ein Projekt mit schweizerischer Mehrheitsbeteiligung. Auf Schweizer Produzenten entfiel ein Anteil von insgesamt 420 000 Euro. Schweizer Verleihfirmen werden für den Verleih von Dokumentarfilmen und Kinderfilmen unterstützt; 2008 wurde eine Verleihfirma mit 4000 Euro unterstützt.

79

Der Ständige Ausschuss für das grenzüberschreitende Fernsehen hat den endgültigen Text des Europäischen Übereinkommens über grenzüberschreitende audiovisuelle Mediendienste sowie des erläuternden Berichts im Juni 2009 verabschiedet.

6522

2.7

Gemeinden und Regionen, grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Vom 27. bis 29. Mai 2008 fand die 15. Plenarsession des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates in Strassburg statt. Die Schweizer Delegation wurde vom St. Galler Regierungsrat Ulrich Stöckling geleitet. Sie beteiligte sich aktiv an den Diskussionen, dies auch während des Jahres im Rahmen des Ständigen und der vier statutarischen Ausschüsse (Institutionelle Fragen; Kultur und Erziehung; nachhaltige Entwicklung; sozialer Zusammenhalt).

Die Ausarbeitung eines Rechtsinstruments betreffend den Status der Einrichtungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wurde dem neuen Expertenausschuss für die Institutionen der lokalen und regionalen Körperschaften übertragen, der die Aktivitäten des früheren Expertenausschusses für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit übernommen hat. Der zurzeit in Prüfung befindliche Text hat die Unterstützung der schweizerischen Behörden auf Bundes- und kantonaler Ebene. Es handelt sich um das 3. Protokoll zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften oder Behörden (STE 106).80

3 3.1

Sozialer Zusammenhalt und Lebensqualität Migrationsfragen

An seiner Tagung vom Mai 2008 nahm der Lenkungsausschuss für Migrationsfragen die «Empfehlung zu einem verbesserten Zugang von Migrantinnen und Migranten und Personen mit Migrationshintergrund zur Beschäftigung» an. Die Empfehlung war unter Mitwirkung der Schweiz erarbeitet worden. Sie wurde am 10. Juli 2008 vom Ministerkomitee verabschiedet.81 Zusammen mit dem Gastgeberland Ukraine war der Lenkungsausschuss für Migrationsfragen insbesondere mit der Vorbereitung und Durchführung der 8. Konferenz der für Migrationsfragen zuständigen europäischen Minister beschäftigt.82 Das zentrale Thema war die Wirtschaftsmigration, wobei die Zusammenhänge zwischen ihr und der Migrationssteuerung, der Entwicklung und dem sozialen Zusammenhalt untersucht wurden. Das erklärte Ziel war ein integrierter Ansatz, der die drei Bereiche verbinden und die Herkunfts-, Transit- und Zielländer in einer für sie gewinnbringenden Art und Weise einbinden würde. In ihrer Schlusserklärung und namentlich im darin enthaltenen Aktionsplan riefen die Minister den Europarat auf, einen solchen integrierten Ansatz zu erarbeiten und in der Folge die Mitgliedstaaten bei seiner Umsetzung zu unterstützen. Der Aktionsplan bildet gleichzeitig die Grundlage für das Arbeitsprogramm des Lenkungsausschusses für Migrationsfragen für die kommenden Jahre.

80

81 82

Der Text konnte in diesem Jahr jedoch nicht fertiggestellt werden. Einige Staaten verlangen Zusatzinformationen zur Tragweite sowie Erklärungen über das Verhältnis des Protokolls zu einem EU-Erlass zum gleichen Thema: Verordnung (EG) Nr. 1082/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ), ABl. L 210 vom 31.7.2006, S. 19.

CM/Rec(2008)10 Die Konferenz fand am 4./ 5. September 2008 in Kiew statt.

6523

3.2

Raumordnungspolitische Zusammenarbeit

Es wurden zwei Seminare durchgeführt: zu Beginn des Jahres 2008 zum Thema «Challenges & Strategies for Metropolises» und im Herbst 2008 zum Thema «Spatial Planning and Human Rights».

3.3

Sozialpolitik

Der Europäische Ausschuss für den sozialen Zusammenhalt ist beauftragt, die Umsetzung der Empfehlungen sicherzustellen, die die hochrangige Taskforce für den sozialen Zusammenhalt in ihrem Bericht «Auf dem Weg zu einem im Sozialbereich aktiven, gerechten und kohäsiven Europa» vom November 2007 formuliert hat. In diesem Zusammenhang bereitet er die erste Konferenz des Europarates der für den sozialen Zusammenhalt zuständigen Minister vor.

Der Expertenausschuss über Sozialpolitik für Familien und Kinder, in dem die Schweiz vertreten ist, wird demnächst seine Tätigkeiten abschliessen. Er befasst sich hauptsächlich mit der Erarbeitung von Leitlinien zu den Familienpolitiken und mit der Weiterverfolgung der Empfehlung Rec (2006) 19 betreffend die positive Elternschaft, indem er die Mitgliedstaaten bei deren innerstaatlichen Umsetzung unterstützt.

Im Berichtsjahr nahm das Koordinationsforum für den Aktionsplan des Europarates zugunsten von Menschen mit Behinderungen seine Tätigkeit auf. In diesem Forum werden die Aktivitäten des Europarates zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen koordiniert, die bisher nur im Rahmen eines Teilabkommens im Bereich Soziales und Gesundheit berücksichtigt wurden. Im Zentrum der Tätigkeit des Koordinationsforums steht die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Aktionsplans des Europarats zugunsten von Menschen mit Behinderungen.

Dazu wurde im Berichtsjahr unter aktiver Beteiligung der Schweiz ein Fragebogen verabschiedet, der es den Mitgliedstaaten und dem Europarat erlauben soll, die Fortschritte auf dem Weg zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen aufzuzeigen und zu messen.

3.4

Gesundheitswesen

Das Europäische Komitee für Gesundheit hielt vom 11.­13. Juni 2008 in Strassburg seine 61. Sitzung ab, und am 15. Oktober 2008 genehmigten die Vertreter der Minister das Mandat des Europäischen Komitees für Gesundheit für die kommenden zwei Jahre. Als Ziel ist darin festgelegt, die Aktivitäten auf die besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen83 auszurichten. Die Zukunft des Europäischen Komitees für Gesundheit bleibt aufgrund des Personalmangels im Sekretariat und der beschränkten finanziellen Mittel ungewiss. Angesichts der ungewissen Situation und der geplanten Neuausrichtung der Aktivitäten des Europarats spricht sich die Schweiz gegen die Weiterführung der Arbeiten des Komitees aus, die von anderen Organen des Europarats oder von anderen internationalen Organisationen übernommen werden könnten.

83

Kinder, ältere Menschen sowie Migrantinnen und Migranten.

6524

Am 6. Februar 2008 verabschiedeten die Vertreter der Minister in einer auf die Vertragsparteien des Teilabkommens im Bereich Soziales und öffentliche Gesundheit beschränkten Zusammensetzung das Mandat des Komitees für den Gesundheitsschutz der Konsumentinnen und Konsumenten, welches das Komitee für öffentliche Gesundheit ablöst. Das Komitee für den Gesundheitsschutz der Konsumentinnen und Konsumenten hielt seine erste Sitzung am 12. Juni 2008 in Strassburg ab, an der auch die Schweiz teilnahm. Weiter hiessen die Vertreter der Minister am 20. Februar 2008 die Resolution ResAP (2008) 1 über die Anforderungen und Kriterien für die Sicherheit von Tätowierungen und Permanent Make-ups gut, die unter der Federführung des Komitees für den Gesundheitsschutz der Konsumentinnen und Konsumenten erstellt worden war. Die Schweiz beteiligte sich aktiv an deren Erarbeitung. Die Vertreter der Minister stimmten am 2. Juli 2008 auch dem Antrag auf Auflösung des Teilabkommens per Ende 2008 zu. Die betroffenen Aktivitäten im Zusammenhang mit Kosmetika und Materialien, die für den Kontakt mit Lebensmitteln vorgesehen sind, werden der Europäischen Direktion für die Qualität von Medikamenten und der Gesundheitsversorgung übertragen. Die Schweiz unterstützte diesen Vorschlag, der die Weiterführung dieser Aktivitäten unter besten Voraussetzungen gewährleistet.

Die Europäische Pharmakopöe84 stellt in den 37 Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Ausarbeitung einer Europäischen Pharmakopöe (einschliesslich der EU) ein rechtsverbindliches Werk dar. Im Berichtsjahr wurden die 6. Ausgabe sowie die Nachträge 6.1 und 6.2 der Europäischen Pharmakopöe vom Europarat veröffentlicht.

Bei der Ausarbeitung der Europäischen Pharmakopöe werden ausserdem 22 Beobachterstaaten einbezogen.85 Die Schweiz war 2008 mit 61 Expertinnen und Experten aus Industrie, Hochschulen und Behörden mit 73 Mandaten in Gremien der Europäischen Pharmakopöe vertreten. Insgesamt leisteten unsere Expertinnen und Experten sechs Personenjahre an Facharbeit für die Europäische Pharmakopöe. Dies verdeutlicht den hohen Stellenwert der Pharmakopöe und die Expertise, die unser Land in diesem pharmazeutischen Bereich aufweist. Als eines der weltweit wichtigsten Länder mit pharmazeutischer Industrie erbringen wir unerlässliche Beiträge zu dem sich ständig entwickelnden
Regelungsbedarf im Arzneimittelsektor.

Es wird dem Stand der Technik und Wissenschaft entsprochen, eine angemessene Kontrolle der Rohstoffe und Präparate in einem globalisierten Markt wird gewährleistet und/oder pharmazeutische Verbrechen werden erkannt und bekämpft: Diesem Umstand kam 2008 eine besondere Bedeutung zu, nachdem weltweit in Arzneimitteln, die zur Blutgerinnungshemmung verwendet werden (Heparine), gesundheitsgefährdende Verunreinigungen erkannt wurden, die sich mit den bisherigen Prüfvorschriften der Europäischen Pharmakopöe nicht aufdecken liessen. Innert kürzester Zeit erarbeiteten die Expertinnen und Experten der Europäischen Pharmakopöe eine revidierte Prüfvorschrift, mit der die möglichen Verunreinigungen erkannt werden können. Die Inkraftsetzung erfolgte im Schnellverfahren.

84 85

Die Ph.Eur ist eine Sammlung von Vorschriften über die Qualität von Arzneimitteln, pharmazeutischen Hilfsstoffen und einzelnen Medizinprodukten.

Damit haben die Qualitätsanforderungen Einfluss auf die Qualität von Arzneimitteln und Arzneistoffen, die weltweit verwendet werden.

6525

Neben innovativen und hochtechnisierten Bereichen wie der Zell- und Gentherapie gewinnt die Qualitätsstandardisierung auch bei traditionellen und komplementärmedizinischen Arzneimitteln (Homöopathie und Traditionelle Chinesische Medizin) zunehmend an Bedeutung. Dies zeigt sich an einem wachsenden Anteil von Vorschriften auf den erwähnten Gebieten.

Die Gruppe des Europarates für die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Missbrauch von und den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln, die «Groupe Pompidou», koordiniert unter den Mitgliedsländern Aspekte der Drogenpolitik, die von gemeinsamem Interesse sind, und trägt zu einer Vernetzung von Politik, Wissenschaft und täglicher Drogenarbeit bei.86 Die Schweiz verfolgte die im letzten Jahr im Themenbereich Forschung angeregte Aktivität «kohärente Suchtpolitik» auch in diesem Jahr engagiert und brachte ihre Standpunkte ein. Ebenso bringt sich die Schweiz in den Plattformen «Prävention», «Therapie und Behandlung» sowie «Ethik» ein und hat so die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in diesen Bereichen weiterzugeben und von den Erfahrungen der anderen Länder zu profitieren.

Nachdem die Hälfte der Zeit des neuen Arbeitsprogramms verstrichen war, veranstaltete die polnische Präsidentschaft eine Mid-term-Konferenz zur Frage, inwiefern die «Groupe Pompidou» die Anforderungen der Politik erfüllt. Die Schweiz war vertreten und konnte ihre Sicht vor allem im Hinblick auf die abgeschlossenen Arbeiten zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 195187 darlegen.

3.5

Tierschutz

Im Bereich Tierschutz kommt der Europarat seinen in den Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport (STE 193) und zum Schutz von Wirbeltieren zu wissenschaftlichen und anderen Versuchszwecken (STE 123) festgelegten Pflichten nicht mehr nach.

Auch die Erläuterungen zu verschiedenen Empfehlungen (Teil B) des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Wirbeltieren zu wissenschaftlichen und anderen Versuchszwecken (STE 123) konnten aufgrund von Budgetkürzungen im Europarat nicht bearbeitet werden.

Der Ständige Ausschuss des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen (STE 087) wie auch das Büro dieses Ausschusses konnten aufgrund von Interventionen verschiedener Mitgliedsländer und des Präsidenten des Ausschusses beim Generalsekretär T. Davis im Berichtsjahr ihre Arbeit im früheren Umfang wieder aufnehmen. Anlässlich der Plenarsitzung im November 2009 sollen Empfehlungen zur Kaninchenhaltung sowie zur Farmhaltung verschiedener Fischarten verabschiedet werden.

86 87

Der «Groupe Pompidou» gehören heute 35 Staaten sowie die Europäische Kommission an.

SR 812.121

6526

3.6

Umwelt und Naturschutz

Der Rat für die paneuropäische Strategie zur Erhaltung der biologischen und landschaftlichen Vielfalt hielt eine Bürositzung ab, um die Zukunft der Strategie und des gemeinsamen Sekretariats Europarat/UNEP Europa zu besprechen und die nächste Konferenz zur biologischen Vielfalt in Europa vorzubereiten. Der Rat für die paneuropäische Strategie zur Erhaltung der biologischen und landschaftlichen Vielfalt wird von der Schweiz präsidiert.

Da der Ausschuss für die Tätigkeit des Europarats auf dem Gebiet der biologischen und landschaftlichen Vielfalt aufgehoben wurde, übernimmt der Ständige Ausschuss des Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer Lebensräume (Berner Übereinkommen; STE 104) einige seiner Aufgaben.

Ein Schweizer Experte (vom Bundesamt für Umwelt) wirkte in der Expertengruppe zur Schaffung des Smaragd-Netzwerks für besonders schützenswerte Lebensräume und im Expertenausschuss zur Schaffung des paneuropäischen ökologischen Netzwerks mit, die im Oktober 2008 in Strassburg tagten.

Des Weiteren nahm die Schweiz am Treffen zum Europäischen Diplom für geschützte Gebiete teil, das am 17./18. März 2008 stattfand. Der Schweizer Vertreter hat den Vorsitz dieser Expertengruppe inne.

Die Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Übereinkommen; STE 104) kamen vom 24. bis 27. November 2008 zusammen. Sie führten insbesondere ihre Arbeiten zum Schutz verschiedener Artengruppen (Pilze, Pflanzen, wirbellose Tiere, Amphibien, Reptilien, bedrohte Vögel) sowie zur europäischen Strategie über invasive nichteinheimische Arten fort.

Das im Jahre 2004 in Kraft getretene Europäische Landschaftsübereinkommen (STE 176) hat zum Ziel, den Schutz, die Pflege und die Gestaltung von städtischen und stadtnahen Landschaften sowie von Kultur- und Naturlandschaften zu fördern, die Landschaft in die verschiedenen sachpolitischen Strategien zu integrieren und geschädigte Landschaften wiederherzustellen. Die Schweiz hat das Übereinkommen unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Auf fachlicher Ebene fand am 23./24. April 2008 in der Slowakei das siebte Workshop-Treffen zur Umsetzung des Übereinkommens statt, das dem Thema «Landschaft als Thema politischer Raumplanungsmassnahmen
und Regierungsführung: Wege zu einer integrierten Raumplanung» gewidmet war. Rund 300 Regierungsvertreterinnen und ­vertreter sowie Expertinnen und Experten aus über 30 Staaten nahmen daran teil. Im Zuge der Umstrukturierungen im Sekretariat des Europarats wurde das Landschaftsübereinkommen dem neuen Lenkungsausschuss für kulturelles Erbe und Landschaft unterbreitet, der den Schweizer Vertreter zum Vizepräsidenten für 2008 und 2009 wählte.

6527

3.7

Entwicklungsbank des Europarats

Nach dem Gewinn von 93 Millionen Euro im Vorjahr konnte die Entwicklungsbank des Europarats ihren Geschäftsgang ­ trotz der globalen Finanzkrise ­ auch 2008 weitgehend stabil fortsetzen.88 Die strategische Leitlinie bildet der Geschäftsplan 2005­2009, der einen kontinuierlichen Anstieg der Investitionen der Bank in Zentral- und Südosteuropa vorsieht. Politisch sensibel gestaltete sich 2008 der Dialog um das Engagement der Entwicklungsbank des Europarats in Georgien. Unter anderem im Hinblick auf eine verstärkte geografische und thematische Fokussierung sowie eine Verbesserung der Gouvernanz und Steigerung der Effizienz unterzog sich die Bank 2008 einer eingehenden Analyse. Die Umsetzung der Empfehlungen beginnt 2009.

3.8

Nord-Süd-Zentrum

Das Teilabkommen des Europarates umfasst nach dem Austritt von Frankreich und ­ für 2009 angekündigt ­ Malta noch 18 Staaten. Die zeitweise angespannte Budgetsituation scheint sich aber mit der finanziellen Unterstützung der EU-Kommission in der Höhe von 400 000 Euro zu stabilisieren. Alt Nationalrat Claude Frey führte sein mehrfach verlängertes Mandat als Präsident des Exekutivrates noch bis März 2009 weiter. Das Aktivitätsprogramm befasst sich vor allem mit Jugend, interkulturellem Dialog und Universalität der Menschenrechte.

4

Kultureller Zusammenhalt und Pluralismus der Kulturen Kultur und Kulturerbe

4.1

Am 2./3. Dezember 2008 fand in Baku (Aserbaidschan) eine Ministerkonferenz zum Thema «Interkultureller Dialog als Basis für Stabilität und nachhaltige Entwicklung in Europa und seinen Nachbarregionen» statt. Die Schweiz war durch ihren Botschafter in Baku vertreten.

Im Berichtsjahr war die Schweiz weiterhin im Lenkungsausschuss für Kultur aktiv.

Der Ausschuss führt die Strategie zur Konsolidierung und Fokussierung seiner Aktivitäten auf die Kernaufgaben des Europarats fort. Mit dem Projekt «Culture Watch Europe» soll die Rolle des Europarats als Observatorium für Kulturpolitiken gestärkt werden, indem bestehende Ressourcen zu einem kohärenten Rahmenwerk verbunden werden.

Im Bereich Kulturerbe war die Schweiz im Lenkungsausschuss für Kulturerbe und Landschaft vertreten. Zuletzt war der Ausschuss ausschliesslich mit Themen des Denkmalschutzes befasst, seit April 2008 sind seine Aufgaben um die Erhaltung der Kulturlandschaften erweitert. Die Schweiz spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Projekts «European Heritage Net».

88

Bewertung AAA

6528

4.2

Erziehungs- und Hochschulwesen

Die Tätigkeiten der Abteilung für Sprachenpolitik des Europarats sind für die Schweiz von grosser Bedeutung. Im Rahmen der Ausschreibung des 3. Arbeitsprogramms des Europäischen Fremdsprachenzentrums 2008­2011 wurden auch Schweizer Projekte eingereicht. Ausserdem nahmen mehrere Lehrkräfte, hauptsächlich aus dem Bereich der pädagogischen Hochschulen, an Tagungen des Fremdsprachenzentrums Graz teil.

Im Rahmen des Europäischen Sprachenportfolios bestand Anfang 2008 die letzte Ausgabe des Schweizer Sprachenportfolios das Validierungsverfahren beim Europarat erfolgreich. Nach dem Schweizer Sprachenportfolio III (15 Jahre und darüber) im Jahr 2001 und dem Schweizer Sprachenportfolio II (11­15 Jahre, obligatorische Schule) im Jahr 2004 wird nun auch das Schweizer Sprachenportfolio I (7­11 Jahre) mit einem «Portfolino» (für die Vorschulstufe) in der Schweiz eingeführt. Die Sprachenportfolios der obligatorischen Schule stützen sich seit dem 14. Juni 2007 auf eine rechtliche Grundlage im HarmoS?Konkordat (Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule), was zu einer stärkeren und rascheren Anwendung beitragen wird.

Im Übrigen nahm die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren im November 2008 an der von Deutschland in Nürnberg organisierten Tagung der Bildungsminister der Mitgliedländer des Europarats zum Thema des Gedenkens an den Holocaust teil.

Der Leitende Ausschuss für Höheres Bildungswesen und Forschung (CDESR) hielt im Jahr 2008 seine siebte Plenarversammlung ab. Der Ausschuss beschloss, sich über das Projekt «Universitäten zwischen Humanismus und Markt» an den Überlegungen zur Rolle der Hochschulen bei der Stärkung der demokratischen Kultur und des interkulturellen Dialogs zu beteiligen. In den Jahren 2009­2011 sollen entsprechende Tätigkeiten in Angriff genommen werden, die schliesslich in Empfehlungen münden sollen.

Die wesentliche Rolle, die der Ausschuss bei der Entwicklung des BolognaProzesses spielt, drückt sich in zwischenstaatlichen, bilateralen und regionalen Tätigkeiten und durch aktive Beiträge zur Thematik der Anerkennung der Qualifikationen und der Verantwortung der öffentlichen Hand für das Hochschulwesen und die Forschung aus. Zu erwähnen sind auch die Tätigkeiten im Bereich Koordination und Erfahrungsaustausch im Hinblick auf die
Bereitstellung der nationalen Qualifikationsrahmen gemäss Vorgaben des Europäischen Qualifikationsrahmens. In diesem Zusammenhang führt der CDESR auch die Überlegungen zu seiner Rolle in der Strategie zur weiteren Entwicklung des Bologna-Prozesses über das Jahr 2010 hinaus fort.

4.3

Jugend

Die Jugendminister trafen sich am 10./11. Oktober 2008 in Kiew. Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel (Schaffhausen), Vertreterin der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, leitete die Schweizer Delegation. Die Minister konnten mit Vertreterinnen und Vertretern der Jugend über konkrete Herausforderungen wie den Zugang zur Bildung debattieren. Sie konnten dabei feststellen, dass den Jugendli6529

chen die Beteiligung an Entscheidungsprozessen ein echtes Anliegen ist. Ausserdem konnten sie sich auf drei Prioritäten für die Jugendpolitik des Europarats einigen: Menschenrechte und Demokratie, Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft sowie soziale Eingliederung von Jugendlichen. Eine Agenda über die künftige Politik des Europarates bis 2020 wurde gutgeheissen. Diese Agenda setzt Prioritäten für die künftige Politik des Europarates im Hinblick auf diese drei Prioritäten und schlägt Massnahmen für deren Implementierung vor. Die Minister verpflichteten sich, sich bei der Politik auf nationaler Ebene von der politischen Erklärung inspirieren zu lassen.

4.4

Sport

Die Schweiz trat am 1. Januar 2008 dem Sport-Teilabkommen aufgrund des Beschlusses des Bundesrates vom 21. September 2007 bei.89 Im Laufe des ersten Jahres seines Bestehens fanden mehrere Sitzungen des «Comité de Direction» (verantwortlich für die Umsetzung der Programme des Sport-Teilabkommens) und des «Comité exécutif» (verantwortlich für das Budget) statt, um die Rolle und den Status des Sport-Teilabkommens zu konsolidieren. Dabei wurden die Prioritäten für 2009 festgelegt, nämlich die Autonomie des Sports und die Ethik im Sport. Dieselben Themen wurden an der 11. Konferenz der Sportminister vom 10. bis 12. Dezember 2008 in Athen mit Priorität behandelt, zusätzlich zum Thema Doping.

Das ständige Komitee, das die Umsetzung des Übereinkommens vom 19. August 1985 über Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen von Zuschauern bei Sportanlässen überwacht, konzentrierte seine Aktivität hauptsächlich auf den Kampf gegen Gewalt im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen. Im Berichtsjahr stand vor allem die Sicherheit an der Fussball-Europameisterschaft EURO 2008 in der Schweiz und Österreich im Zentrum des Interesses. Anlässlich dieses Grossereignisses in den beiden Ländern wurden im Ständigen Komitee wichtige Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit behandelt. Das Ständige Komitee traf sich zu diesem Zweck 2007 in Zürich und 2008 in Solothurn. Beide Treffen wurden von der Schweiz organisiert. Mit den im Jahr 2007 in Kraft getretenen Rechtsgrundlagen für Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen erfüllt die Schweiz die Anforderungen des genannten Übereinkommens und befindet sich als Nicht-EU-Land nun auf hohem europäischem Niveau, was die gesetzgeberischen Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportanlässen betrifft.

Im Rahmen der verschiedenen Arbeitsgruppen zur Europaratskonvention gegen Doping leistete die Schweiz ihren Beitrag zur Entwicklung des Welt-Anti-DopingProgramms. So stiessen insbesondere die von der Welt-Anti-Doping-Agentur entwickelten Standards zu Dopingkontrollen, Ausnahmebewilligungen zu therapeutischen Zwecken und zum Schutz persönlicher Daten bei vielen europäischen Ländern auf Kritik. Durch die Arbeit im Rahmen des Europarats konnten Ideen und Vorschläge ausgearbeitet werden, die zu einer Verbesserung dieser Standards führten. Die Schweiz wird ihr Engagement
im Rahmen der Europaratskonvention gegen Doping künftig noch verstärken, indem Fachpersonen der am 1. Juli 2008 gegründeten Stiftung «Antidoping Schweiz» die Vertretung des Bundes in der begleitenden Folgegruppe und in den diversen Arbeitsgruppen unterstützen werden.

89

Bis Ende 2008 schlossen sich 27 Staaten dem Sport-Teilabkommen an.

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