07.436 Parlamentarische Initiative Keine Diskriminierung älterer Arbeitnehmer Änderung des Freizügigkeitsgesetzes Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 14. Januar 2009

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung Bundesgesetz vom 17. Dezember 1993 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (Freizügigkeitsgesetz, FZG). Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

14. Januar 2009

Im Namen der Kommission Der Präsident: Jürg Stahl

2009-0229

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 9. November 2007 gab die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) der von Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer am 6. Juni 2007 eingereichten parlamentarischen Initiative einstimmig Folge. Die Schwesterkommission stimmte diesem Beschluss am 19. Februar 2008 ebenfalls einstimmig zu. In der Folge beauftragte die SGK-NR am 9. September 2008 das Kommissionssekretariat, zusammen mit der Verwaltung einen Erlassentwurf und einen entsprechenden Bericht auszuarbeiten. Diese wurden an der Sitzung der SGK-NR vom 14. Januar 2009 beraten und einstimmig angenommen.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage

Nach der Praxis des Bundesgerichtes führt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einem Zeitpunkt, in dem die reglementarischen Voraussetzungen der Vorsorgeeinrichtung für eine vorzeitige Pensionierung erfüllt sind, zur Entstehung des Anspruchs auf die im Reglement vorgesehenen Altersleistungen, auch wenn die versicherte Person weiterhin erwerbstätig sein will.1 Damit erhält diese Person bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstelle einer Freizügigkeitsleistung eine Rente. Diese Situation stellt verschiedene Probleme.

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Weil die Person das ordentliche reglementarische Rentenalter noch nicht erreicht hat, wird diese Rente lebenslänglich gekürzt.

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Während der weiteren Erwerbstätigkeit ist der kontinuierliche Aufbau der berufliche Vorsorge einer solchen Person behindert, denn sie hat keine Freizügigkeitsleistung, die sie in ihre neue Vorsorgeeinrichtung einbringen könnte.

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Die Kumulation von Erwerbseinkommen und Altersleistung führt zu gewichtigen steuerlichen Nachteilen.

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Auch erhält diese Person gegebenenfalls weniger Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, da die Rentenleistungen von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen werden.

Die Nachteile einer derartigen «Zwangsverrentung» für die betroffenen Personen sind offensichtlich und widersprechen im Übrigen auch den heutigen Bemühungen, Anreize für ältere Personen zu schaffen, damit diese länger im Erwerbsleben verbleiben.

Für die Kritikerinnen und Kritiker widerspricht diese Praxis ebenfalls dem Sinn und Geist des Freizügigkeitsgesetzes (FZG)2. Allerdings stellt sich das Problem, wie das Bundesgericht in seinem Entscheid 129 V 381 festhielt, dass die «Beendigung der

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BGE 120 V 311, 126 V 92, B 38/00 vom 24. Juni 2002 sowie 129 V 381.

SR 831.42

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Erwerbstätigkeit» (vgl. Art. 13 Abs. 2 BVG)3 gemäss einer langjährigen und gefestigten Praxis der Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses gleichgestellt wird.

Damit tritt bei diesen Reglementen der Vorsorgefall mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses ein und aufgrund des klaren Wortlauts von Artikel 2 FZG ist in der Folge keine andere Auslegung mehr möglich. Nur bei Vorsorgeeinrichtungen, die in ihrem Reglement die vorzeitige Ausrichtung von Rentenleistungen von einer Willenserklärung der Arbeitnehmenden abhängig machen, löst nach Beginn der Vorbezugsmöglichkeit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht automatisch die gekürzte Altersrente aus.

2.2

Lösung des Problems

Auf diesem Hintergrund braucht es eine Änderung der rechtlichen Grundlagen, um das Problem zu lösen. Dies wurde vom Bundesrat zwar bereits im Zusammenhang mit der 11. AHV-Revision anerkannt, welche allerdings am 16. Mai 2004 in der Volksabstimmung abgelehnt wurde. Die damalige Vorlage enthielt unter «Änderung bisherigen Rechts» eine Revision des FZG, bei der in Artikel 2 ein neuer Absatz 1bis eingefügt wurde4. Darin wurde explizit festgehalten, dass die vorzeitige Ausrichtung einer Altersleistung nur möglich ist, wenn der Versicherte seinen Anspruch auf den Vorbezug der Altersleistung tatsächlich geltend macht. Für den Fall, dass er im Gegenteil seine Erwerbstätigkeit fortsetzen wollte, hatte er Anspruch auf eine Freizügigkeitsleistung. Um Missbräuche zu begrenzen, wurde verlangt, dass diese Person ihren Willen zur Fortführung der Erwerbstätigkeit in gewissem Ausmass auch in ihrem tatsächlichen Verhalten zum Ausdruck bringe.

Die hier beantragte Lösung basiert auf der damals vorgesehenen Regelung, inklusive der klärenden Ergänzungen, die das Parlament in den Beratungen angebracht hatte.

Zudem berücksichtigt sie die seitdem erfolgten Entwicklungen. Ihr primäres Ziel ist die künftige Verhinderung des zwangsweisen vorzeitigen Bezugs von Rentenleistungen in der beruflichen Vorsorge.

Die Revision kann natürlich nicht verhindern, dass jemand den Willen zur Fortführung der Erwerbstätigkeit nur vortäuscht, um eine Überweisung der Freizügigkeitsleistung auf eine Freizügigkeitseinrichtung zu erlangen, die er dann später in Kapitalform beziehen kann, da die Auszahlung der Altersleistung aus einer Freizügigkeitseinrichtung regelmässig in Kapitalform erfolgt. Das Gesetz erlaubt den Vorsorgeeinrichtungen aber bereits heute, ihren Versicherten den Bezug der gesamten Altersleistung in Kapitalform anzubieten (vgl. Art. 37 Abs. 3 BVG). Aus dieser Sicht ist es nur unter dem Aspekt problematisch, dass die Versicherten mit der Überweisung des Guthabens auf eine Freizügigkeitseinrichtung den vollen Kapitalbezug auch dann erlangen, wenn diese Möglichkeit in ihrer Pensionskasse nicht angeboten wurde oder indem sie damit die oft vorgesehenen Fristen für die Anmeldung der Kapitaloption umgehen können. Allerdings ist es auch hier schon heute möglich, gezielt vor Beginn des frühestmöglichen regelementarischen Rentenalters
zu kündigen. Es gilt ausserdem zu bedenken, dass nicht alle Personen eine Kapitalleistung einer lebenslänglichen Altersrente vorziehen. In diesem Fall werden sie, wenn sie unsicher sind, ob sie ihre Erwerbstätigkeit tatsächlich weiter führen und 3 4

SR 831.40 BBl 2003 6629

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wieder in eine Pensionskasse eintreten können, keinen Anspruch auf eine Freizügigkeitsleistung wegen Weiterführung der Erwerbstätigkeit geltend machen. Um Missbräuche zu vermeiden, soll aber in jedem Fall nicht nur auf die Willenserklärung der versicherten Person, sondern auch auf ihr tatsächliches Verhalten abgestellt werden.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 2 Abs. 1bis (neu) Vorsorgeeinrichtungen können in ihren Reglementen vorsehen, dass frühestens ab dem vollendeten 58. Altersjahr ein Altersrücktritt möglich ist (vgl. Art. 1i Abs. 1 BVV 2)5. Dabei können die Bestimmungen so gestaltet sein, dass bei Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses ab diesem Zeitpunkt automatisch der Anspruch auf eine Altersrente entsteht. Die neue Bestimmung soll dem entgegenwirken und sicherstellen, dass auch Personen, die das frühestmögliche reglementarische Rentenalter erreicht haben und ihre Erwerbstätigkeit nach Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses anderweitig weiterführen wollen, nicht aufgrund der Vorgänge in der beruflichen Vorsorge davon abgebracht werden.

Die neue Bestimmung soll nur jenen Personen, die ihre Erwerbstätigkeit weiterführen wollen, einen Anspruch auf eine Freizügigkeitsleistung geben. Da der subjektive Wille nicht überprüft werden kann, stellt die Bestimmung auf möglichst objektive Kriterien ab. Dazu gehört die tatsächliche Weiterführung der Erwerbstätigkeit, beispielsweise wenn die Person ein neues Arbeitsverhältnis eingeht. Auch die tatsächliche Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit gilt als Weiterführung der Erwerbstätigkeit. Der eigentlichen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist die Anmeldung bei der Arbeitslosenkasse, da Personen, die nicht unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle finden, nicht benachteiligt werden sollen.

Vorsorgeeinrichtungen können in ihren Reglementen andere ordentliche Rentenalter definieren als das BVG und gestalten dann ihre Pläne im Hinblick auf dieses eigene Rentenalter aus. Viele Einrichtungen übernehmen zwar das gesetzliche Rentenalter, doch soll die Freiheit der Vorsorgeeinrichtungen in dieser Frage nicht eingeschränkt werden. Nach Erreichen des ordentlichen reglementarischen Rentenalters hat eine versicherte Person keinen Anspruch mehr auf eine Freizügigkeitsleistung. Die versicherte Person befindet sich auch nicht in der gleichen Situation wie bei einem aufgezwungenen Vorbezug, da ihr dieses ordentliche Rentenalter weit voraus bekannt war, sie sich also darauf einrichten konnte und sie ­ eine lückenlose Beitragszeit vorausgesetzt ­ bereits die volle Rente erhält.

In jüngerer Zeit gehen Vorsorgeeinrichtungen zum Teil auch dazu über, in ihren Reglementen kein
«ordentliches» reglementarisches Rentenalter sondern eine Zeitspanne ab dem frühesten bis zum spätesten vorgesehenen Rentenalter zu definieren.

Für bestimmte Fragen, insbesondere die Berechnung der Invalidenleistungen, stellt die Einrichtung zwar auf einen bestimmten Zeitpunkt ab, doch soll er bei diesen Reglementen nicht zu einem «ordentlichen Rentenalter» erhoben werden. Dadurch sollen traditionelle Automatismen beim Übergang in den Ruhestand überwunden und die Flexibilität gestärkt werden. Auch diese Möglichkeit soll keinesfalls beschränkt werden, doch soll sie sich nicht zulasten der Versicherten auswirken: 5

SR 831.441.1

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auch nach Erreichen des frühestmöglichen reglementarischen Rentenalters soll ein Anspruch auf die Freizügigkeitsleistung möglich sein. Falls die Einrichtung kein anderes ordentliches Rentenalter festlegt, soll in dieser Frage das gesetzliche Rentenalter nach Artikel 13 Absatz 1 BVG gelten.

Die Vorsorgeeinrichtungen können in ihren Reglementen auch Teilvorbezugsmöglichkeiten für die Altersleistungen vorsehen. Der Zwang zum Vorbezug einer Teilaltersrente ist in den Auswirkungen zwar weniger einschneidend, doch widerspricht er ebenso dem Grundsatz der Freizügigkeit wie der Zwang zum vollen Vorbezug. Die Reglemente definieren als Voraussetzung für den Anspruch auf eine Teilaltersrente meist eine prozentuale Reduktion der Erwerbstätigkeit - zum Beispiel indem man auf die Reduktion des Arbeitspensums oder des Erwerbseinkommens abstellt. Reduziert eine Person ihre Erwerbstätigkeit nicht in diesem Ausmass oder sucht sie zum Beispiel eine Vollzeitstelle, kann ihr auch keine Teilaltersrente aufgezwungen werden, denn sie führt ja ihre Erwerbstätigkeit weiter. In diesem Fall kann sie einen Anspruch auf die ganze Austrittsleistung geltend machen.

Art. 2 Abs. 3 Die Änderung von Absatz 3 ist rein redaktionell und betrifft einzig die Abkürzung BVG, die neu bereits in Absatz 1bis eingeführt wird.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Für den Bund als Arbeitgeber entstehen keine Mehrkosten. Gemäss dem Vorsorgereglement, das für den Bund als Arbeitgeber gilt, wird zwischen dem vollendeten 60.

und dem vollendeten 65. Altersjahr eine Freizügigkeitsleistung an eine nachfolgende Vorsorgeeinrichtung überwiesen, während eine Überweisung an eine Freizügigkeitseinrichtung nicht vorgesehen ist. Andererseits kann ­ unter Einhaltung einer 3-jährigen Anmeldungsfrist ­ bis zu 100 Prozent der Altersleistung als Kapital bezogen werden.

Da nur ein sehr begrenzter Personenkreis betroffen ist, sollten auch die Auswirkungen auf die Arbeitslosenversicherung begrenzt sein. Einerseits dürften im Vergleich zu heute gewisse Mehrkosten entstehen, da bei den Leistungen etwas weniger häufig Altersrenten angerechnet werden können. Andererseits ist ein positiver Effekt in Form zusätzlicher Beiträge nicht auszuschliessen, falls die betroffenen Personen länger einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Effekte sind nicht bezifferbar, dürften auf jeden Fall aber minim sein.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Es stellen sich keine besonderen Vollzugsprobleme.

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5

Verhältnis zum europäischen Recht

Das Verhältnis zum europäischen Recht wird nicht berührt.

6

Verfassungsmässigkeit

Die vorliegenden Änderungen stützen sich auf Artikel 113 der Bundesverfassung6.

Dieser gibt gemäss Absatz 1 dem Bund die Kompetenz, Vorschriften über die berufliche Vorsorge zu erlassen.

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SR 101

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