19.066 Botschaft zur Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Uri, Tessin, Waadt, Wallis und Genf vom 6. Dezember 2019

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Uri, Tessin, Waadt, Wallis und Genf.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. Dezember 2019

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2019-2406

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Übersicht Der Bundesversammlung wird beantragt, mit einfachem Bundesbeschluss Änderungen in den Verfassungen der Kantone Uri, Tessin, Waadt, Wallis und Genf zu gewährleisten. Alle Änderungen sind bundesrechtskonform. Die Gewährleistung ist somit zu erteilen.

Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Steht eine kantonale Verfassungsbestimmung im Einklang mit dem Bundesrecht, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie diese Voraussetzung nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Uri: ­

die Regulierung von Grossraubtieren;

­

die Ausdehnung des Majorzwahlverfahrens bei Landratswahlen;

im Kanton Tessin: ­

die politischen Rechte der Auslandtessinerinnen und -tessiner;

­

die Fristen für die Unterschriftensammlung;

­

die Volksabstimmung bei Gesetzesinitiativen des Volks;

­

die Variantenvorlagen bei einer Änderung der Kantonsverfassung;

im Kanton Waadt: ­

den Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten aus medizinischen oder sozialen Gründen (Berichtigung);

im Kanton Wallis: ­

das Datum der konstituierenden Session des Grossen Rates und die Frist zwischen erstem und zweitem Wahlgang bei kantonalen Wahlen;

im Kanton Genf: ­

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die öffentlichen Aufgaben im Bereich Kunst und Kultur.

BBl 2020

Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Uri

1.1.1

Kantonale Volksabstimmung vom 10. Februar 2019

Die Stimmberechtigten des Kantons Uri haben in der Volksabstimmung vom 10. Februar 2019 dem neuen Artikel 49 Absatz 2 der Verfassung des Kantons Uri vom 28. Oktober 19841 (KV-UR) betreffend Regulierung von Grossraubtieren mit 6061 Ja gegen 2570 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 20. Februar 2019 ersucht der Kanzleidirektor im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2 Bisheriger Text

Regulierung von Grossraubtieren Neuer Text Art. 49 Abs. 2 2 Der Kanton erlässt Vorschriften zum Schutz vor Grossraubtieren und zur Beschränkung und Regulierung des Bestands. Die Förderung des Grossraubtierbestands ist verboten.

Nach Artikel 49 Absatz 2 erster Satz KV-UR muss der Kanton einerseits Vorschriften zum Schutz vor Grossraubtieren erlassen. Zu diesen gehören nach Bundesrecht der Luchs, der Bär, der Wolf und der Goldschakal.2 Auch nach Bundesrecht sind die Kantone verpflichtet, Massnahmen zur Verhütung von Wildschaden und somit zum Schutz vor Grossraubtieren zu treffen.3 Die Kantone haben dabei einen erheblichen Umsetzungsspielraum. Andererseits muss der Kanton Uri nach dieser Bestimmung Vorschriften zur Beschränkung und Regulierung des Bestands von Grossraubtieren erlassen. Der Abschuss eines einzelnen Wolfes sowie die Bestandsregulierung werden durch das Bundesrecht geregelt. 4 Nach Artikel 25 JSG vollziehen die Kantone das Jagdgesetz unter Aufsicht des Bundes. Grundsätzlich ist es damit zulässig, dass die Kantone z. B. die zumutbaren Schutzmassnahmen nach Artikel 9 bis Absatz 3 JSV präzisieren. In Bezug auf die zu treffenden Schutzmassnahmen ist insbesondere Artikel 10ter Absätze 1 und 2 JSV hervorzuheben. Danach sind die zu treffenden Herdenschutzmassnahmen nicht abschliessend geregelt, womit die Kantone weitere Massnahmen vorsehen können. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die 1 2

3 4

SR 131.214 Vgl. Art. 12 Abs. 5 Jagdgesetz vom 20. Juni 1986 (JSG; SR 922.0), Art. 10ter Jagdverordnung vom 29. Februar 1988 (JSV; SR 922.01) sowie die Erläuterungen zur JSV-Revision vom 6. November 2013.

Vgl. Art. 12 Abs. 1 JSG.

Vgl. Art. 12 Abs. 2 JSG i.V.m. Art. 9bis JSV bzw. Art. 12 Abs. 4 JSG i.V.m. Art. 4 bzw. 4bis JSV.

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Bundesvorschriften, welche die Massnahmen gegen einzelne Wölfe und die Bestandsregulierung festlegen, unmittelbar anwendbar sind. Insofern besteht nur ein geringer Spielraum für weitergehende kantonale Bestimmungen.

Nach Artikel 49 Absatz 2 zweiter Satz KV-UR ist die Förderung des Grossraubtierbestands verboten. Das JSG sieht nicht ausdrücklich die Förderung von Grossraubtieren durch den Bund vor. Gleichwohl ist der Bund verpflichtet, Massnahmen der Kantone zur Verhütung von Wildschaden, der durch Grossraubtiere an Nutztieren verursacht wird, (finanziell) zu fördern und zu koordinieren.5 Indirekt ist darin auch eine Förderung von Grossraubtieren zu sehen. Ziel dieser Förderung ist es, das Konfliktpotenzial zu entschärfen und für den Wolf die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Sollte Artikel 49 Absatz 2 zweiter Satz KV-UR nur auf ein Verbot der finanziellen Förderung durch den Kanton abzielen, so wäre dies nicht bundesrechtswidrig, da Artikel 12 Absatz 5 JSG lediglich den Bund zur finanziellen Förderung verpflichtet. Zu beachten ist, dass der Kanton Uri in diesem Fall aber weiterhin zum Vollzug der durch den Bund geförderten Massnahmen verpflichtet ist. Würde Artikel 49 Absatz 2 zweiter Satz KV-UR jedoch jegliche Schutzmassnahmen verbieten, so würde dies im Widerspruch zu Artikel 12 Absatz 1 JSG stehen, der die Kantone verpflichtet, Massnahmen zur Verhütung von Wildschaden zu treffen.

Artikel 49 Absatz 2 KV-UR kann somit ein Sinn beigemessen werden, der ihn nicht klarerweise als vor Bundesrecht unzulässig erscheinen lässt (Günstigkeitsprinzip). 6 Die Änderung von Artikel 49 KV-UR erweist sich als bundesrechtskonform und ist damit zu gewährleisten. Die kantonalen Ausführungsbestimmungen müssen indessen mit dem höherrangigen Recht, insbesondere mit dem JSG und der JSV, vereinbar sein.

1.1.3

Kantonale Volksabstimmung vom 19. Mai 2019

Die Stimmberechtigten des Kantons Uri haben in der Volksabstimmung vom 19. Mai 2019 der Änderung von Artikel 88 Absatz 1 KV-UR betreffend Ausdehnung des Majorzwahlverfahrens bei Landratswahlen mit 5287 Ja gegen 3909 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 29. Mai 2019 ersucht der Kanzleidirektor im Auftrag des Regierungsrats um die eidgenössische Gewährleistung.

5 6

150

Vgl. BBI 2014 4909, 4943 und Art. 12 Abs. 5 JSG.

BGE 139 I 292 E. 5.7

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1.1.4

Ausdehnung des Majorzwahlverfahrens bei Landratswahlen

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 88 Wahl 1 ... Für Gemeinden, denen drei oder mehr Landräte zustehen, gilt das System der Verhältniswahl, für die übrigen das System der Mehrheitswahl. ...

Art. 88 Abs. 1 zweiter Satz 1 ... Für Gemeinden, denen fünf oder mehr Landräte zustehen, gilt das System der Verhältniswahl, für die übrigen das System der Mehrheitswahl. ...

Mit der Änderung von Artikel 88 KV-UR wird das Majorzwahlverfahren bei der Landratswahl auf Gemeinden ausgedehnt, in denen bis zu vier Landratssitze zu besetzen sind. In den Gemeinden Attinghausen, Flüelen, Seedorf und Silenen wird der Landrat damit nicht mehr nach Proporz, sondern nach Majorz gewählt. Lediglich in den Gemeinden Altdorf, Bürglen, Erstfeld und Schattdorf wird noch nach Proporz gewählt. Neben dem Kanton Uri kennt auch der Kanton Appenzell Ausserrhoden ein solches gemischtes Wahlverfahren für die Wahl des Kantonsparlaments. Beide Wahlverfahren waren Gegenstand von Bundesgerichtsentscheiden.7 Das Bundesgericht erwog in diesen Fällen die Wahl nach Majorz so lange als mit Artikel 34 der Bundesverfassung (BV)8 vereinbar, als für die Wählerinnen und Wähler der betroffenen Gemeinden die zu wählenden Personen und weniger deren Parteizugehörigkeit im Vordergrund stehen. In beiden Kantonen erachtete das Bundesgericht dies als erfüllt.9 Hinsichtlich der Ausdehnung des Majorzwahlverfahrens auf Gemeinden mit bis zu vier Landratssitzen könnte die Auffassung vertreten werden, diese sei unzulässig, da das Bundesgericht in seinem Entscheid zum Kanton Uri die Majorzwahl als verfassungsgemäss beurteilt hatte, «sofern (...) in den Gemeinden mit mindestens drei Landratssitzen ein echtes Proporzwahlverfahren zur Anwendung käme.»10 Aufgrund eines neuesten Bundesgerichtsentscheids, der den Kanton Graubünden betrifft, könnte aber auch die Auffassung vertreten werden, die Ausdehnung sei zulässig. In diesem Urteil stellt das Bundesgericht die Vermutung auf, dass in Wahlkreisen, in denen die schweizerische Wohnbevölkerung weniger als 7000 Personen beträgt und höchstens fünf Sitze zu besetzen sind, davon ausgegangen werden kann, «dass eine gewisse Nähe zwischen den kandidierenden Personen und den Wahlberechtigten besteht und dass die Persönlichkeit der Kandidatinnen und Kandidaten ­ allenfalls neben ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppierung ­ für einen Grossteil der Wahlberechtigten von wesentlicher Bedeutung war.»11 Im Weiteren hat das Bundesgericht in diesem Urteil bestätigt, dass Mischsysteme aus Proporzund Majorzwahl zulässig sein können, und ausdrücklich vorgesehen, dass im Kanton Graubünden ein solches System neu eingeführt werden könnte.12 Die im neuesten Urteil genannten Anforderungen wären im Kanton Uri auch nach der Ausdehnung 7 8 9 10 11 12

BGE 140 I 394 und 143 I 92.

SR 101 Vgl. Bundesgerichtsurteil 1C_59/2012 / 1C_61/2012 vom 26. September 2014 E. 12.5 ff.

(nicht publiziert in BGE 140 I 394) und BGE 143 I 92 E. 6 ff.

BGE 143 I 92 E. 6.5 Bundesgerichtsurteil 1C_495/2017 vom 29. Juli 2019 E. 8.4.

Bundesgerichtsurteil 1C_495/2017 vom 29. Juli 2019 E. 8.5.3.

151

BBl 2020

des Majorzwahlverfahrens erfüllt. So weisen die betroffenen Gemeinden eine Wohnbevölkerung von 2000 Personen oder weniger auf und es sind höchstens vier Landratssitze zu besetzen.13 Nach Auffassung des Bundesrats handelt es sich um einen Grenzfall. In Berücksichtigung der Praxis des Bundesrats, wenn möglich die Gewährleistung von Kantonsverfassungen gutzuheissen, beantragt der Bundesrat der Bundesversammlung vorliegend, die Änderung von Artikel 88 Absatz 1 KV-UR zu gewährleisten.

1.2

Verfassung von Republik und Kanton Tessin

1.2.1

Kantonale Volksabstimmung vom 10. Februar 2019

Die Stimmberechtigten des Kantons Tessins haben in der Volksabstimmung vom 10. Februar 2019 der Änderung von Artikel 30 der Verfassung von Republik und Kanton Tessin vom 14. Dezember 199714 (KV-TI) bezüglich der politischen Rechte der Auslandtessinerinnen und -tessiner mit 50 231 Ja gegen 16 140 Nein zugestimmt. Sie haben im Weiteren den Änderungen der Artikel 37, 42, 83 und 85 KV-TI bezüglich der Fristen zur Unterschriftensammlung mit 52 722 Ja gegen 14 030 Nein, der Änderung von Artikel 39 KV-TI bezüglich der Volksabstimmung bei Gesetzesinitiativen des Volks mit 47 630 Ja gegen 17 297 Nein und der Änderung von Artikel 82 KV-TI bezüglich der Variantenvorlagen bei einer Änderung der Kantonsverfassung mit 57 531 Ja gegen 8145 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 13. März 2019 ersuchen der Präsident und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2

Politische Rechte der Auslandtessinerinnen und -tessiner, Fristen für die Unterschriftensammlung, Volksabstimmung bei Gesetzesinitiativen des Volks, Variantenvorlagen bei einer Änderung der Kantonsverfassung

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 30

Art. 30

5. Tessiner im Ausland

Die Tessiner im Ausland erwerben die politischen Rechte mit dem vollendeten 18. Altersjahr. Das Gesetz regelt die Ausübung dieser Rechte.

13 14

152

5. Auslandtessinerinnen und -tessiner Das Gesetz bestimmt die Fälle, in denen die Tessinerbürgerin oder der Tessinerbürger im Ausland die politischen Rechte erwirbt, und legt deren Ausübung fest.

Vgl. www.ur.ch > Verwaltung > Publikationen > Filtern: «Stand der Wohnbevölkerung Gemeinden / Regionen» > Bestand der Wohnbevölkerung in Uri 2017.

SR 131.229

BBl 2020

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 37 3 Die Unterschriften müssen innert 60 Tagen nach Veröffentlichung des Initiativbegehrens im Amtsblatt gesammelt werden.

Art. 37 Abs. 3 3 Die Unterschriften müssen innert 100 Tagen nach Veröffentlichung des Initiativbegehrens im Amtsblatt gesammelt werden.

Art. 39 2 Im ersten Fall wird sie dem Volk zur Abstimmung unterbreitet, wenn der Grosse Rat ihr nicht zustimmt. Im zweiten Fall muss der Grosse Rat einen Vorschlag im Sinne des Begehrens ausarbeiten.

Art. 39 Abs. 2 und 2bis 2 Im zweiten Fall muss der Grosse Rat einen Vorschlag im Sinne des Begehrens ausarbeiten.

2bis In beiden Fällen wird der Vorschlag dem Volk zur Abstimmung unterbreitet, wenn der Grosse Rat dem Begehren nicht zustimmt.

Art. 42 Der Volksabstimmung unterliegen, wenn dies innert 45 Tagen nach der Veröffentlichung im Amtsblatt von mindestens 7000 Stimmberechtigten oder von einem Fünftel der Gemeinden verlangt wird:

Art. 42 Einleitungssatz Der Volksabstimmung unterliegen, wenn dies innert 60 Tagen nach der Veröffentlichung im Amtsblatt von mindestens 7000 Stimmberechtigten oder von einem Fünftel der Gemeinden verlangt wird:

Art. 82 2 Die Vorlage für eine Teilrevision darf zum gleichen Gegenstand höchstens zwei Varianten enthalten.

Art. 82 Abs. 2 2 Die Vorlagen des Staatsrates und des Grossen Rates zur Totalrevision dürfen zum gleichen Gegenstand höchstens zwei Varianten enthalten.

Art. 83 2 Die Unterschriften müssen innert 60 Tagen nach Veröffentlichung des Initiativbegehrens im Amtsblatt gesammelt werden.

Art. 83 Abs. 2 2 Die Unterschriften müssen innert 100 Tagen nach Veröffentlichung des Initiativbegehrens im Amtsblatt gesammelt werden.

Art. 85

Art. 85 Marginalie und Abs. 4 Teilrevision 1. Vorschlag

Teilrevision 1. auf Vorschlag des Staatsrates oder des Grossen Rates 2. auf Grund einer Volksinitiative 4 Die Unterschriften müssen innert 60 Tagen nach Veröffentlichung des Initiativbegehrens im Amtsblatt gesammelt werden.

4

Die Unterschriften müssen innert 100 Tagen nach Veröffentlichung des Initiativbegehrens im Amtsblatt gesammelt werden.

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt im Weiteren deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Mit der Änderung von Artikel 30 KV-TI legt neu das Gesetz fest, in welchen Fällen Tessinerbürgerinnen und -bürgern im Ausland die politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten zukommen. Die Änderung soll es ermöglichen, dass nicht lediglich das Tessiner Bürgerrecht, sondern insbesondere zusätzlich der letzte Wohnsitz im Kanton Tessin erforderlich sein kann. Mit den Änderungen der Artikel 37, 83 und 85 KV-TI wird die Frist für die Unterschriftensammlung bei Volksinitiativen von 60 auf 100 Tage und mit der Änderung von Artikel 42 KV-TI bei Referenden von 45 auf 60 Tage verlängert. Artikel 39 KV-TI sieht neu vor, dass bei Volksinitiativen in Form einer 153

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allgemeinen Anregung der Vorschlag des Grossen Rates dem Volk zur Abstimmung unterbreitet wird, wenn der Grosse Rat dem Begehren nicht zustimmt. Die Änderung von Artikel 82 KV-TI sieht schliesslich vor, dass nur Vorlagen des Staatsrates und des Grossen Rates zur Totalrevision der KV-TI zum gleichen Gegenstand höchstens zwei Varianten enthalten dürfen. Die Änderungen betreffen die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten und stützen sich auf die kantonale Organisationsautonomie. Sie sind bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.3

Verfassung des Kantons Waadt

1.3.1

Kantonale Volksabstimmung vom 27. September 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Waadt haben in der Volksabstimmung vom 27. September 2009 dem neuen Artikel 65 Absatz 2 Buchstaben cbis der Verfassung des Kantons Waadt vom 14. April 200315 (KV-VD) betreffend den Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten aus medizinischen oder sozialen Gründen mit 161 364 Ja gegen 8741 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2010 ersuchen der Präsident und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2 Bisheriger Text

Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten aus medizinischen oder sozialen Gründen (Berichtigung) Neuer Text Art. 65 Abs. 2 Bst. cbis 2 Zur Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung müssen der Staat und die Gemeinden: cbis. dafür sorgen, dass Personen, die aus Gründen ihres Alters, ihrer Behinderung oder ihrer Gesundheitsschädigung nicht zu Hause bleiben können, Zugang haben zu ihren Bedürfnissen angepassten Unterbringungsmöglichkeiten.

Zur Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung verpflichtet Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe c KV-VD den Staat und die Gemeinden, die Hauspflege zu fördern, damit Patientinnen und Patienten zu Hause bleiben können. In Ergänzung dazu verpflichtet der neue Buchstabe cbis den Staat und die Gemeinden, dafür zu sorgen, dass Personen in Fällen, da sie aus Gründen ihres Alters, ihrer Behinderung oder ihrer Gesundheitsschädigung nicht zu Hause bleiben können, Zugang haben zu ihren Bedürfnissen angepassten Unterbringungsmöglichkeiten. Die neue staatliche Auf15

154

SR 131.231

BBl 2020

gabe im Bereich des Gesundheitswesens fällt in die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV. Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe cbis KV-VD ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

Das Gesuch des Kantons Waadt um Gewährleistung von Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe cbis KV-VD wurde bereits im Rahmen der Botschaft vom 30. Juni 201016 über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Aargau, Thurgau, Waadt, Genf und Jura behandelt. Der Bundesrat hatte darin aber nicht die zur Gewährleistung beantragte Bestimmung, sondern einen Entwurf dieser Bestimmung, die zudem nicht den Buchstaben cbis, sondern den Buchstaben d betraf, der Bundesversammlung zur Gewährleistung beantragt. Die Räte übernahmen die Vorlage des Bundesrats unverändert17 und gewährleisteten mit Artikel 1 Ziffer 3 des Bundesbeschlusses vom 8. Dezember 201018 über die Gewährleistung geänderter Kantonsverfassungen Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe d KV-VD. Diese Gewährleistung war von Anfang an gegenstandslos, da die Stimmberechtigten des Kantons Waadt in der Volksabstimmung vom 27. September 2009 weder einen Buchstaben d von Artikel 65 Absatz 2 KV-VD noch eine Bestimmung mit dem vom Bundesrat zur Gewährleistung beantragten Wortlaut angenommen hatten. Die Gewährleistung von Artikel 65 Absatz 2 Buchstabe d KV-VD gemäss Bundesbeschluss vom 8. Dezember 2010 ist damit aufzuheben.

1.4

Verfassung des Kantons Wallis

1.4.1

Kantonale Volksabstimmung vom 19. Mai 2019

Die Stimmberechtigten des Kantons Wallis haben in der Volksabstimmung vom 19. Mai 2019 den Änderungen der Artikel 44, 52 und 85a der Verfassung des Kantons Wallis vom 8. März 190719 (KV-VS) betreffend das Datum der konstituierenden Session des Grossen Rates und die Frist zwischen erstem und zweitem Wahlgang bei kantonalen Wahlen mit 77 473 Ja gegen 12 400 Nein zugestimmt. Mit Schreiben vom 5. Juni 2019 ersuchen der Präsident und der Kanzler im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

16 17 18 19

BBl 2010 4901 AB 2010 S 1018, 2010 N 1901 BBl 2011 257 SR 131.232

155

BBl 2020

1.4.2

Datum der konstituierenden Session des Grossen Rates und Frist zwischen erstem und zweitem Wahlgang bei kantonalen Wahlen

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 44 1 Der Grosse Rat versammelt sich von Rechts wegen: a. zur konstituierenden Session am vierten Montag nach seiner Gesamterneuerung;

Art. 44 Abs. 1 Bst. a 1 Der Grosse Rat versammelt sich von Rechts wegen: a. zur konstituierenden Session am siebten Montag nach seiner Gesamterneuerung;

Art. 52 6 ... Werden die Wahlverhandlungen am bestimmten Tage nicht vollendet, so sind dieselben am darauffolgenden zweiten Sonntag wieder aufzunehmen. ...

Art. 52 Abs. 6 zweiter Satz 6 ... Werden die Wahlverhandlungen am bestimmten Tage nicht vollendet, so sind dieselben am darauffolgenden dritten Sonntag wieder aufzunehmen. ...

Art. 85a 2 ... Werden die Wahlen am bestimmten Tag nicht vollendet, so sind dieselben am darauffolgenden zweiten Sonntag wieder aufzunehmen. ...

Art. 85a Abs. 2 zweiter Satz 2 ... Werden die Wahlen am bestimmten Tag nicht vollendet, so sind dieselben am darauffolgenden dritten Sonntag wieder aufzunehmen. ...

Nach Artikel 39 Absatz 1 BV regeln die Kantone die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. In die Souveränität der Kantone nach Artikel 3 BV fällt im Weiteren deren Organisationsautonomie. Der Bund beachtet diese (Art. 47 Abs. 2 BV). Nach Artikel 150 Absatz 3 BV wird zudem die Wahl in den Ständerat vom Kanton geregelt. Mit der Änderung von Artikel 44 KV-VS wird das Datum der konstituierenden Session des Grossen Rates vom vierten auf den siebten Montag nach seiner Gesamterneuerung verschoben. Mit den Änderungen der Artikel 52 und 85a KV-VS wird die Frist zwischen erstem und zweitem Wahlgang bei Staatsrats- bzw. Ständeratswahlen von zwei auf drei Wochen verlängert. Die Änderungen betreffen die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen Angelegenheiten und stützen sich auf die kantonale Organisationsautonomie. Sie sind bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

1.5

Verfassung der Republik und des Kantons Genf

1.5.1

Kantonale Volksabstimmung vom 19. Mai 2019

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 19. Mai 2019 der Änderung von Artikel 216 der Verfassung der Republik und des Kantons Genf vom 14. Oktober 201220 (KV-GE) betreffend die öffentlichen Aufgaben im Bereich Kunst und Kultur mit 93 085 Ja gegen 18 826 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 26. Juni 2019 ersuchen der Präsident und die Kanzlerin im Namen des Staatsrates um die eidgenössische Gewährleistung.

20

156

SR 131.234

BBl 2020

1.5.2

Öffentliche Aufgaben im Bereich Kunst und Kultur

Bisheriger Text

Neuer Text

Art. 216 Kunst und Kultur 1 Der Staat fördert das künstlerische und das kulturelle Schaffen. Er sorgt für deren Vielfalt und Zugänglichkeit.

Art. 216 Kunst und Kultur 1 Der Staat fördert das künstlerische und das kulturelle Schaffen. Er gewährleistet deren Vielfalt, Zugänglichkeit und Unterrichtung.

Er fördert den kulturellen Austausch.

2 Zu diesem Zweck stellt er angemessene Mittel, Räume und Arbeitsmittel zur Verfügung.

3 Der Kanton koordiniert, in Abstimmung mit den Gemeinden, eine kohärente Kulturpolitik im Kanton. Die Kulturakteure werden angehört.

4 Der Kanton und die Gemeinden erarbeiten eine Strategie der gemeinsamen Finanzierung des künstlerischen Schaffens und der Kulturinstitutionen und setzen diese um.

2

Zu diesem Zweck stellt er angemessene Mittel, Räume und Arbeitsmittel zur Verfügung.

3 Er fördert den kulturellen Austausch.

Nach Artikel 69 Absatz 1 BV sind für den Bereich Kultur die Kantone zuständig.

Nach Artikel 50 Absatz 1 BV ist die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. Mit der Änderung von Artikel 216 KV-GE wird im Kanton Genf insbesondere die Zuständigkeit für die Kulturpolitik und die Kulturfinanzierung vom Kanton auf die Gemeinden ausgedehnt. Die Änderung ist bundesrechtskonform und damit zu gewährleisten.

2

Rechtliche Aspekte

2.1

Bundesrechtskonformität

Die Prüfung hat ergeben, dass die Änderungen der Verfassungen der Kantone Uri, Tessin, Waadt, Wallis und Genf die Anforderungen von Artikel 51 BV erfüllen.

Somit ist ihnen die Gewährleistung zu erteilen.

2.2

Zuständigkeit der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 Absatz 2 und 172 Absatz 2 BV für die Gewährleistung zuständig.

2.3

Erlassform

Die Gewährleistung erfolgt mit einfachem Bundesbeschluss, da weder die BV noch ein Gesetz das Referendum vorsehen (vgl. Art. 141 Abs. 1 Bst. c i. V. m. Art. 163 Abs. 2 BV).

157

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