Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 24. Juni 2020

2020-1919

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Übersicht Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) beschlossen am 14. Mai 2019, eine Inspektion zur Klärung des zwischen der Bundesanwaltschaft (BA) und der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) divergierenden Aufsichtsverständnisses durchzuführen.

Der Beschluss wurde vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen der BA und der AB-BA in Bezug auf das dritte informelle Treffen zwischen dem Bundesanwalt und dem Präsidenten der FIFA, der Eröffnung einer Disziplinaruntersuchung gegen den Bundesanwalt und dessen kurz bevorstehende Wiederwahl durch die Vereinigte Bundesversammlung getroffen.

Mit dem vorliegenden Bericht schliessen die GPK die 1. Phase ihrer Inspektion ab.

Diese hatte zum Ziel, die Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht zu untersuchen und zugleich zu prüfen, wie das Vertrauen zwischen den beiden Behörden wiederhergestellt werden könnte. Die Untersuchung befasste sich hingegen nicht mit den informellen Treffen zwischen der BA mit der FIFA, da diese Gegenstand der Disziplinaruntersuchung der AB-BA bildeten.

In der 2. Phase werden die GPK Aufträge an externe Experten erteilen, die gestützt auf die Ergebnisse des Berichts eine rechtliche Einordnung vornehmen und Verbesserungsvorschläge zur Ausgestaltung der rechtlichen Grundlagen der AB-BA und der organisationsrechtlichen Grundlagen der BA unterbreiten sollen.

Der Bericht legt zunächst die Entstehung des heutigen Aufsichtssystems sowie die rechtlichen und konzeptionellen Grundlagen der Aufsicht der AB-BA dar (Kap. 2.2).

Sodann analysiert er den Aufbau und die Entwicklung der Aufsichtsinstrumente der AB-BA anhand deren Tätigkeitsberichte und der mindestens jährlich durchgeführten Aussprachen der Subkommissionen Gerichte/BA der GPK mit der AB-BA im Rahmen der Oberaufsicht (Kap. 2.3). In Kapitel 3 werden die Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht anhand der im Herbst 2019 erhobenen Daten dargestellt. Anschliessend werden die jüngsten Entwicklungen des Aufsichtsverhältnisses zwischen AB-BA und BA nach dem Herbst 2019 und der Versuch einer Vermittlung durch die Subkommissionen Gerichte/BA der GPK beschrieben (Kap. 4).

Aufgrund des Berichts zogen die GPK elf Schlussfolgerungen (Kap. 5).

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Einleitung 1.1 Ausgangslage 1.2 Inspektionskonzept 1.3 Abgrenzungen und Koordination 1.4 Vorgehen

9691 9691 9691 9692 9692

2

Schaffung der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) und Entwicklung ihrer Aufsichtstätigkeit von 2011 bis 2018 2.1 Schaffung der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) 2.2 Grundlagen der Aufsicht der AB-BA 2.2.1 Gesetzliche Grundlagen und Aufgaben 2.2.2 Aufsichtskonzept und Aufsichtsgrundsätze 2.2.3 Kurzgutachten von Felix Uhlmann 2.3 Entwicklung der Aufsichtstätigkeit der AB-BA seit 2011 2.3.1 Organisation, Personal und Finanzen 2.3.2 Aufsichtssitzungen 2.3.3 Inspektionen 2.3.4 Weisungen und Empfehlungen 2.3.5 Reporting der BA zu den Strafverfahren 2.3.6 Wahrung der Unabhängigkeit der BA in der Strafverfolgung 2.3.7 Aufsicht im Organisations- und Personalbereich 2.3.8 Disziplinarrecht der AB-BA 2.3.9 Zusammenarbeit zwischen AB-BA und BA

3

Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht 3.1 Kontroverse Darstellungen bezüglich diverser Aufsichtselemente (Momentaufnahme im Herbst 2019) 3.1.1 Gab es einen «Paradigmenwechsel» mit dem Amts-antritt des neuen Präsidenten der AB-BA per 2019?

3.1.2 Veränderung des Aufsichtsverständnisses der AB-BA in der Wahrnehmung des Bundesanwalts 3.1.2.1 Entwurf einer Empfehlung betreffend ein Audit 3.1.2.2 Stellungnahmen der BA bzw. der AB-BA zum Postulat Jositsch (19.3570) 3.1.2.3 Kritik am Disziplinarverfahren sowie an dessen Einleitung und Durchführung 3.1.3 Schreiben der BA vom 30. März 2017 an die AB-BA mit Vorschlägen zur Aufsicht

9693 9693 9694 9694 9695 9696 9697 9698 9699 9701 9705 9707 9707 9708 9711 9711 9714 9714 9714 9716 9717 9717 9718 9719 9689

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3.1.4

3.2

3.3

3.4

4

Gutachten von Prof. Felix Uhlmann zum Rechtscharakter und den aufsichtsrechtlichen Kompetenzen der AB-BA vom 30. Mai 2018 3.1.5 Personalkompetenz des Bundesanwalts, AB-BA als «Arbeitgeber» 3.1.6 Gründe für das Zerwürfnis zwischen AB-BA und BA Erhebungen zu weiteren Instrumenten der Aufsicht (Momentaufnahme im Herbst 2019) 3.2.1 Aufsichtssitzungen 3.2.2 Inspektionen 3.2.3 Weisungen und Empfehlungen 3.2.4 Aufsicht über die Strafverfahren 3.2.4.1 Reporting der BA zu den Strafverfahren 3.2.4.2 Wahrung der Unabhängigkeit der BA in der Strafverfolgung 3.2.5 Aufsicht im Organisations- und Personalbereich 3.2.6 Positionen von AB-BA und BA zum Disziplinarrecht der AB-BA: Gesetzliche Ausgestaltung und praktische Anwendung Kritik am geltenden System und Vorschläge für Gesetzesanpassungen von AB-BA und BA 3.3.1 Positionen der AB-BA 3.3.2 Positionen der BA Vertrauensbildende Massnahmen 3.4.1 Stellungnahmen von AB-BA und BA zu möglichen vertrauensbildenden Massnahmen

Entwicklung des Aufsichtsverhältnisses zwischen AB-BA und BA nach Herbst 2019 4.1 Versuch einer Vermittlung durch die Subkommissionen 4.2 Weitere Entwicklung des Aufsichtsverhältnisses zwischen AB-BA und BA

9720 9721 9721 9725 9725 9727 9728 9730 9730 9731 9732 9733 9735 9735 9739 9741 9741 9743 9743 9744

5

Schlussfolgerungen

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6

Weiteres Vorgehen

9751

Verzeichnis der angehörten Personen

9752

Abkürzungsverzeichnis

9753

9690

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) beschlossen am 14. Mai 2019 an einer gemeinsamen Sitzung, eine Inspektion zur Klärung des zwischen der Bundesanwaltschaft (BA) und der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) divergierenden Aufsichtsverständnisses durchzuführen. Ziel der Inspektion sollte es sein, die Stabilität und Glaubwürdigkeit der Strafverfolgung auf Bundesebene zu stärken. In diesem Zusammenhang sollte zudem geprüft werden, wie das Vertrauen zwischen der BA und der AB-BA wiederhergestellt werden könnte.

Der Beschluss wurde vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen der BA und der AB-BA in Bezug auf das dritte informelle Treffen zwischen dem Bundesanwalt und dem Präsidenten der FIFA1, der Eröffnung einer Disziplinaruntersuchung gegen den Bundesanwalt und dessen kurz bevorstehende Wiederwahl durch die Vereinigte Bundesversammlung getroffen.2 Die GPK beauftragten ihre Subkommissionen Gerichte/BA3 (im Folgenden: Subkommissionen) mit der Durchführung der Inspektion.

1.2

Inspektionskonzept

Die Subkommissionen unterbreiteten den GPK einen Konzeptvorschlag für die Inspektion. Diese stimmten dem Inspektionskonzept an ihrer Sitzung vom 25. Juni 2019 ohne Änderungen und einstimmig zu.

Das Inspektionskonzept sah 3 Untersuchungsbereiche vor:

1 2 3

I.

Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht

II.

Einordnung der identifizierten Probleme gemessen an den rechtlichen Grundlagen der AB-BA und deren praktische Ausgestaltung

Fédération Internationale de Football Association Medienmitteilung der GPK vom 14. Mai 2020 Den Subkommissionen Gerichte/BA gehörten an: SR Hans Stöckli (Präsident), NR Yvette Estermann, SR Daniel Fässler (seit 24.6.2019), NR Erich Hess, NR Philippe Nantermod, SR Beat Rieder (bis, 23.6.2019); bis Ende Legislatur 2015 ­ 2019: NR Thomas Ammann, NR Duri Campell, SR Andrea Caroni, NR Corina Eichenberger-Walther, NR Thomas Hardegger, SR Damian Müller, SR Anne Seydoux-Christe, NR Luzi Stamm, NR Cédric Wermuth; seit Beginn der Legislatur 2019 ­ 2023: NR Marianne Binder-Keller, NR Prisca Birrer-Heimo, SR Thierry Burkart, SR Marco Chiesa, NR Katja Christ, NR Christian Imark, NR Isabelle Pasquier-Eichenberger, SR Carlo Sommaruga, NR Manuela Weichelt-Picard

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III. Einordnung der identifizierten Probleme gemessen an den organisationsrechtlichen Grundlagen der BA und deren praktische Ausgestaltung Die Durchführung der Inspektion sollte in 3 Phasen erfolgen: 1.

Phase: Der Untersuchungsbereich I wird von den Subkommissionen mit Anhörungen und Akteneditionen durchgeführt. Sie erstellen dazu einen Bericht.

2.

Phase: Gestützt auf die Problemanalyse der 1. Phase erteilen die GPK Aufträge an externe Experten zur Begutachtung der Bereiche II und III.

3.

Phase: Die Ergebnisse der Expertenberichte sowie die Schlussfolgerungen der GPK werden in einem Schlussbericht integriert.

1.3

Abgrenzungen und Koordination

Die Inspektion sollte gemäss Konzept unabhängig von der laufenden Disziplinaruntersuchung der AB-BA durchgeführt werden. Die AB-BA hat in der Zwischenzeit ihre Untersuchung abgeschlossen und am 2. März verfügt, dem Bundesanwalt den Lohn für ein Jahr um 8 Prozent zu kürzen. Der Bundesanwalt hat gegen die Verfügung4 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) eingereicht. Das Verfahren ist noch hängig.

Das Verfahren der Disziplinaruntersuchung wird im Rahmen der Inspektion insoweit einbezogen, wie es um die Ausgestaltung des Disziplinarrechts und dessen praktische Anwendung durch die AB-BA geht.

Abklärungen zu den informellen Treffen der BA mit der FIFA sind nicht Gegenstand der Inspektion.

Am 20. Mai 2020 hat die Gerichtskommission der Vereinigten Bundesversammlung ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bundesanwalt Michael Lauber eingeleitet. Die GPK äussern sich im vorliegenden Bericht nicht zu einer möglichen Amtsenthebung des Bundesanwalts; diese war nicht Gegenstand der Inspektion der GPK.

Die Fragestellungen an die Experten werden mit der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) auf deren Wunsch koordiniert. Die RK-N beabsichtigt, nach Abschluss dieser Inspektion allfälligen gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu prüfen.

1.4

Vorgehen

Im Herbst 2019 hörten die Subkommissionen sechs der sieben Mitglieder der ABBA sowie den Sekretär der AB-BA an. Von der BA hörten sie den Bundesanwalt, seine zwei Stellvertreter, den Generalsekretär sowie den Informationschef an. Zu-

4

Verfügung der AB-BA vom 2.3.2020, mit geschwärzten Teilen veröffentlicht auf der Homepage der AB-BA (www.ab-ba.ch/downloads/ AB-BA 02_03_2020_Verfuegung_ de.pdf; letztmals abgerufen: 24.6.2020)

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sätzlich wurden bei den Genannten schriftliche Antworten zu einem strukturierten Fragenkatalog eingeholt.

Die Subkommissionen nahmen zudem Einsicht in zahlreiche Unterlagen der AB-BA sowie der BA, u. a. in Protokolle der Aufsichtssitzungen zwischen AB-BA und BA, Korrespondenzen zwischen den beiden Behörden, Weisungen und Empfehlungen der AB-BA sowie in ein Reporting der BA zu Händen der AB-BA (die BA stellt der AB-BA halbjährliche Reportings über den Stand der Verfahren zu). Ferner wurden die Tätigkeitsberichte der AB-BA sowie die Anhörungsprotokolle der GPK von ABBA und BA seit 2011 beigezogen.

Der vorliegende Bericht wurde vor der Beschlussfassung durch die GPK und der Veröffentlichung der AB-BA und der BA in Konsultation gegeben. Die AB-BA begrüsste eine Veröffentlichung des Berichts, während die BA beantragte, diesen nicht zu veröffentlichen. Auf Antrag des Bundesanwalts wurde dieser von den GPK an ihrer Sitzung vom 24. Juni 2020 nochmals angehört.

Am 24. Juni 2020 genehmigten die GPK den Bericht und beschlossen, ihn zu veröffentlichen. Dieser dient als Grundlage zur Erteilung des Expertenauftrags gemäss der 2. Phase des Inspektionskonzepts (vgl. Kap. 1.2).

2

Schaffung der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) und Entwicklung ihrer Aufsichtstätigkeit von 2011 bis 2018

2.1

Schaffung der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Die BA stand von ihrer Schaffung an bis 2002 unter der Aufsicht des Bundesrats bzw. des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD). Mit der Effizienzvorlage5, die am 1. Januar 2002 in Kraft trat, wurde die Aufsicht über den Bundesanwalt zweigeteilt: Administrativ verblieb die BA unter der Aufsicht des Bundesrates, der auch Wahlbehörde des Bundesanwalts war. Für die gerichtspolizeiliche Tätigkeit stand der Bundesanwalt unter der Aufsicht der Anklagekammer des Bundesgerichts, ab April 2004 der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts.

Die Zweiteilung der Aufsicht in fachliche Aufsicht durch das Bundesstrafgericht und administrative Aufsicht durch den Bundesrat wurde weitherum als unbefriedigend erachtet. Mit der Botschaft zum Strafbehördenorganisationsgesetz6 schlug der Bundesrat daher eine ungeteilte Aufsicht beim Bundesrat vor. Die Bildung eines besonderen Aufsichtsorgans wurde zwar erwogen, aber als weniger geeignet beurteilt, u. a. weil durch die Ausgliederung aus der Bundesverwaltung die Koordination mit den beteiligten Dienststellen erschwert würde; es stelle sich auch die Frage, wie ein solches Gremium in die Trias der Gewalten einzuordnen wäre. In der parlamen5

6

Botschaft vom 28. Jan. 1998 über die Änderung des Strafgesetzbuches, der Bundesstrafrechtspflege und des Verwaltungsstrafrechts (Massnahmen zur Verbesserung der Effizienz und der Rechtsstaatlichkeit in der Strafverfolgung), BBl 1998 1529 Botschaft vom 10. Sept. 2008 zum Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, BBl 2008 8125)

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tarischen Beratung über das StBOG war die Stellung der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht der meistdiskutierte Punkt. Gegen die Skepsis des Bundesrates und gegen eine starke Minderheit beschloss die Bundesversammlung, die Wahl des Bundesanwalts und der Stellvertretenden Bundesanwälte der Bundesversammlung zu übertragen, und ein besonderes von der Bundesversammlung gewähltes Aufsichtsorgan zu schaffen, das sowohl von der Justiz als auch vom Bundesrat unabhängig ist. Zur Begründung wurde angeführt, die Bundesanwaltschaft müsse von der Exekutive unabhängig sein und allgemein gestärkt werden. Im September 2010 wurden die Mitglieder der AB-BA erstmals gewählt, und die Behörde nahm mit dem Inkrafttreten des Strafbehördenorganisationsgesetzes am 1. Januar 2011 ihre Tätigkeit auf.7

2.2

Grundlagen der Aufsicht der AB-BA

2.2.1

Gesetzliche Grundlagen und Aufgaben

Die Tätigkeit der AB-BA stützt sich auf die Art. 23 ff. StBOG8, die Verordnung über die Organisation und die Aufgaben der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft9 und das Reglement der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft10.

Die Neuregelung der Aufsicht trat gleichzeitig mit der neuen gesamtschweizerischen Strafprozessordnung in Kraft.11 Nach Art. 23 StBOG umfasst die Aufsichtsbehörde sieben Mitglieder. Davon muss je ein Mitglied ein Richter oder eine Richterin des Bundesgerichts und des Bundesstrafgerichts sein. Zwei Mitglieder müssen in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragene Anwältinnen oder Anwälte sein. Die andern drei Mitglieder sind Fachpersonen, die weder einem eidgenössischen Gericht angehören noch in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind. Die Mitglieder der AB-BA werden von der Bundesversammlung gewählt. Die AB-BA konstituiert sich selbst.

Aufgaben und Zuständigkeiten der AB-BA sind in den Artikeln 29 ­ 31 StBOG geregelt. Diese Aufgaben bestehen im Wesentlichen darin, die Bundesanwaltschaft (BA) in fachlicher und administrativer Hinsicht zu beaufsichtigen und insbesondere dafür zu sorgen, dass der Bundesanwalt die ihm nach Art. 9 StBOG obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllt. Die AB-BA kann gegenüber der BA generelle Weisungen über die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erlassen. Sie ist aber nicht befugt, ihr Weisungen im konkreten Einzelfall betreffend Einleitung, Durchführung und Abschluss eines Verfahrens, die Vertretung der Anklage vor Gericht und die Ergreifung von Rechtsmitteln zu erteilen (Art. 29 Abs. 2 StBOG).

7 8 9

10 11

Vgl. Tätigkeitsbericht 2014 der AB-BA S. 5 Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG, SR 173.71) Verordnung der Bundesversammlung vom 1. Okt. 2010 über die Organisation und die Aufgaben der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (SR 173.712.24); im Weiteren Organisationsverordnung genannt Reglement vom 4. Nov. 2010 der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (SR 173.712.243) Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (Strafprozessordnung, StPO, SR 312.0)

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Die BA unterliegt einer doppelten Beaufsichtigung. Soweit sich Beanstandungen gegen die Verfahrensführung im konkreten Einzelfall richten, steht dafür die strafprozessuale Beschwerde offen. Parteien und Verfahrensbeteiligte sind berechtigt, gegen alle Verfügungen und Verfahrenshandlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft das ordentliche Rechtsmittel der Beschwerde (Art. 393 StPO) zu ergreifen.

Die fachliche und damit auch inhaltliche Aufsicht der Strafbehörden in einem laufenden Strafverfahren erfolgt somit ausschliesslich über das strafprozessuale Rechtsmittelverfahren und nicht über die Aufsicht.

Die AB-BA ist keine der BA übergeordnete verwaltungsrechtliche Aufsichtsbehörde, sondern ein von der Vereinigten Bundesversammlung eingesetztes selbständiges Fachgremium. In der Literatur wird sie u. a. auch als «Justizrat» bzw. «neuartige Behörde sui generis» oder als «Fachaufsichtsbehörde» bezeichnet. Als vom Parlament eingesetztes Organ ist die AB-BA allein gegenüber der Bundesversammlung rechenschaftspflichtig (vgl. Art. 29 Abs. 1 StBOG). Diese übt ihrerseits die Oberaufsicht über die AB-BA und die BA aus (Art. 26 ParlG12). Die Anordnungen der ABBA gegenüber der BA sind ­ mit Ausnahme allfälliger disziplinarrechtlicher Massnahmen gegenüber den von der Vereinigten Bundesversammlung gewählten Mitgliedern der BA (vgl. dazu Art. 31 Abs. 3 StBOG) ­ abschliessend, und dagegen ist kein Rechtsmittel gegeben.13

2.2.2

Aufsichtskonzept und Aufsichtsgrundsätze

Die Aufsichtsbehörde verabschiedete am 31. August 2011 ein Aufsichtskonzept14, in welchem sie die Ziele der Aufsichtstätigkeit, die einzelnen Aufsichtsaufgaben, deren Umfang und Grenzen, die Zusammenarbeit mit anderen Behörden sowie die interne Organisation der Aufsichtsbehörde festhielt. Das Aufsichtskonzept ist ein behördeninternes Dokument, das die AB-BA den GPK und der BA zur Verfügung stellte.

Die AB-BA beschloss an ihrer Sitzung vom 26. März 2012 Grundsätze für ihre Aufsichtstätigkeit, die sie jeweils im Anhang ihrer Tätigkeitsberichte publiziert.15 Gemäss diesen Grundsätzen mischt sich die AB-BA nicht in die Strafverfolgungstätigkeit der BA ein und übt Zurückhaltung bei der Diskussion hängiger Verfahren mit der BA. Die Grundsätze halten zudem fest, dass die AB-BA keine richterliche Funktion ausübt, d. h. keine Überprüfungen von Einzelfallentscheiden der BA im Sinne einer richterlichen Kontrolle vornimmt und richterliche Entscheide auch nicht in Frage stellt.

In Punkt 4 halten die Grundsätze fest, wann und zu welchem Zweck die AB-BA einzelne Strafverfahren der BA anschauen kann. Punkt 4 lautet:

12 13 14 15

Bundesgesetz vom 13. Dez. 2002 über die Bundesversammlung (SR 171.10) Vgl. Tätigkeitsbericht 2016 der AB-BA S. 5 Nicht veröffentlicht; eine Zusammenfassung der Hauptpunkte wurde im Tätigkeitsbericht 2011, S. 5 ­ 6, publiziert.

Grundsätze für die Aufsicht der AB-BA über die Strafverfolgungstätigkeit der Bundesanwaltschaft vom 26. März 2012, Anhang zum Tätigkeitsbericht 2012 der AB-BA, S. 17

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«Die Aufsichtsbehörde kann Einzelfälle anschauen. Sie konzentriert sich dabei auf jene Tätigkeitsbereiche der Bundesanwaltschaft, die von den Gerichten nicht oder nur unzureichend im Einzelfall überprüft werden können. Ziel dieser Überprüfungen ist nicht die Korrektur von Einzelfallentscheidungen, sondern die Korrektur von Systemfehlern.

a)

Erlaubt ist die Überprüfung einer Praxis oder ausnahmsweise von einzelnen (Verfahrens-)Handlungen der Bundesanwaltschaft, soweit eine Überprüfung dieser Praxis bzw. Handlung durch die Gerichte im Einzelfall nicht gewährleistet ist, z. B. weil keine Beschwerden erhoben werden oder weil auf Beschwerde im Einzelfall immer nur die Rechtmässigkeit im konkreten Fall, nicht aber die Angemessenheit der Praxis als solche überprüft werden kann.

b)

Zu diesem Zweck ist der Aufsichtsbehörde die Auseinandersetzung mit konkreten Einzelfällen aus der Strafverfolgungstätigkeit der BA grundsätzlich erlaubt. In aller Regel erfolgen solche Überprüfungen nachträglich (nicht vor der Rechtskraft von Entscheiden).

c)

Erlaubt ist die Einsichtnahme in Akten von konkreten Verfahren, selbst in Akten von hängigen Verfahren. Die Aufsichtsbehörde nimmt in die Akten von hängigen Verfahren aber nur in besonders begründeten Ausnahmefällen Einsicht. In der Regel wartet sie mit einer Einsichtnahme bis zur Rechtskraft des entsprechenden Entscheids. In die Akten von abgeschlossenen Verfahren nimmt sie Einsicht für allgemeine Zwecke der Verfahrenskontrolle bzw.

Verfahrensanalyse.

d)

Die Aufsichtsbehörde nimmt für die Überprüfung, ob Verfahren sorgfältig geführt und Verfahrensgrundsätze beachtet werden, auch die anderen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wahr: ­ Analyse von Gerichtsentscheiden, die Verfahren der Bundesanwaltschaft betreffen. Die AB-BA sorgt dafür, dass die Bundesanwaltschaft die konkreten Urteile vollzieht, die Entscheide aber auch im Hinblick auf eine mögliche präjudizielle Wirkung prüft und in der Bundesanwaltschaft umsetzt.

­ Das Einholen von Berichten bei der Bundesanwaltschaft.

­ Die Überprüfung der Verfahrenshandbücher der Bundesanwaltschaft.

e)

Im Rahmen der Inspektionen werden regelmässig hängige Fälle mit den Staatsanwälten diskutiert.»

2.2.3

Kurzgutachten von Felix Uhlmann

Im Jahr 2018 beauftragte die AB-BA Prof. Felix Uhlmann, Ordinarius für Staatsund Verwaltungsrecht sowie Rechtsetzungslehre an der Universität Zürich, mit der Erstellung eines Kurzgutachtens16. Die AB-BA stelle innerhalb des Staatsorganisationsrechts des Bundes eine in ihrem Wesen singuläre Behörde dar, schreibt die AB16

Veröffentlicht in: Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 26 ­ 32 (Anhang)

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BA in ihrem Tätigkeitsbericht 201817. Entsprechend bestehe der Bedarf, ihre Rechtsnatur sowie ihre Aufsichtskompetenzen rechtswissenschaftlich vertiefter abzuklären. Das Fazit des Kurzgutachtens wird hier wiedergegeben: «Die AB-BA ist ein eigenständiges Aufsichtsorgan sui generis, welches nicht einer bestimmten Staatstätigkeit zugeordnet werden kann. Die Bezüge sind am stärksten zur Bundesversammlung. Die AB-BA ist , aber mehr als ein blosses des Parlaments. Die Befugnisse der AB-BA gehen über eine parlamentarische Oberaufsicht hinaus. Die AB-BA kann namentlich Weisungen erlassen und verfügt über ­ wenn auch beschränkte ­ personalrechtliche Befugnisse, die typisch für ein hierarchisches Aufsichts- und Leitungsverhältnis sind. Trotz der Fachkompetenz der Mitglieder der AB-BA ist der quasi-justizielle Bereich der Bundesanwaltschaft grundsätzlich zu wahren.

Unsicherheiten bestehen, ob die Aufsicht der AB-BA primär politisch (weil nahe am Parlament) oder fachlich (aufgrund der Sachkompetenz der Mitglieder) ausgerichtet ist. Klärungsbedürftig erscheint auch die Reichweite der Weisungskompetenz. Der AB-BA muss es möglich sein, Weisungen zum äusseren Geschäftsgang der Bundesanwaltschaft zu erlassen, sofern die Bundesanwaltschaft nicht selbst fähig ist, Defizite und Versäumnisse innert nützlicher Frist zu beheben. Die Befugnis zum Erlass kriminalpolitischer Weisungen erscheint demgegenüber unsicher. Unsicher ist auch die Beurteilung des Einzelfalles durch die AB-BA. Dies sollte möglich sein, wenn der Einzelfall eine systematische Bedeutung aufweist.»

2.3

Entwicklung der Aufsichtstätigkeit der AB-BA seit 2011

In diesem Kapitel werden Aufbau und Entwicklung der Aufsichtsinstrumente der AB-BA anhand deren Tätigkeitsberichte und der mindestens jährlich durchgeführten Aussprachen der Subkommissionen mit der AB-BA im Rahmen der Oberaufsicht analysiert. Der Fokus liegt dabei bei der Organisation, den Aufsichtssitzungen, den Inspektionen, den Weisungen bzw. Empfehlungen gegenüber der BA, dem Reporting der BA zu den Strafverfahren, der Wahrung der Unabhängigkeit der BA in der Strafverfolgung, der Aufsicht im Organisations- und Personalbereich und bei der Ausübung des Disziplinarrechts der AB-BA.

Weitere Tätigkeitsbereiche der AB-BA wie etwa die Einsetzung von ausserordentlichen Staatsanwälten des Bundes, die Entbindung des Bundesanwalts und der Stellvertretenden Bundesanwälte vom Amtsgeheimnis, die Zusammenarbeit mit anderen Behörden, die Behandlung parlamentarischer Vorstösse oder die Ausübung der Budget- und Rechnungskompetenzen, werden im Rahmen dieser Analyse nicht näher beleuchtet.

17

Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 7

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2.3.1

Organisation, Personal und Finanzen

Zu Beginn der Tätigkeit der AB-BA Anfang 2011 war Erwin Beyeler amtierender Bundesanwalt. Am 15. Juni 2011 beschloss die Vereinigte Bundesversammlung, ihn für die neue Amtsperiode 2012 ­ 2015 nicht wieder zu wählen. Auf den 1. Januar 2012 erfolgte die Amtsübergabe an Michael Lauber, der von der Bundesversammlung am 28. September 2011 als Bundesanwalt gewählt worden war.

Die AB-BA ist als eine von der Bundesverwaltung, den Gerichten und dem Parlament unabhängige Behörde konzipiert. Im Rahmen des Projekts BA 2011 wurde diese Unabhängigkeit auch auf die organisatorisch-administrative Ebene übertragen.

Gemäss der Organisationsverordnung18 kann die Aufsichtsbehörde von anderen Bundesstellen gegen Verrechnung administrative und logistische Leistungen beziehen. Die Einzelheiten sind mit Leistungsvereinbarungen zu regeln (Art. 10 Abs. 3).

Für den Bezug von Infrastruktur-, Finanz- und Personaldienstleistungen schloss die Behörde Vereinbarungen mit dem Generalsekretariat EFD, dem BBL, dem BIT und dem Dienstleistungszentrum Finanzen EFD ab.

Die Mitglieder der AB-BA üben ihre Tätigkeit nebenamtlich aus. Das Taggeld und der Auslagenersatz richten sich nach Art. 15 der Organisationsverordnung19 und nach der entsprechenden Regelung einer Verordnung der Bundesversammlung20.

Gestützt auf diese Regelung erhalten die Mitglieder nur Taggelder für die Teilnahme an Sitzungen und Inspektionen, nicht aber für anderweitige Arbeit für die Aufsichtsbehörde (z. B. Aktenstudium, Vorbereitung von Referaten usw.). Der Präsident oder die Präsidentin erhält zusätzlich eine nichtversicherte Präsidialzulage von 12 000 Franken pro Jahr.

Die AB-BA führte in ihrem ersten Jahr gestützt auf Art. 9 Abs. 1 Organisationsverordnung21 ein Fachreferentensystem ein. Es gibt Fachreferenten für permanente Traktanden (z. B. Budget und Rechnung), für Einzelfragen (z. B. für ein bestimmtes Verfahren) oder für die Leitung von Projekten. Im Weiteren bildet die AB-BA zu besonderen Themen Arbeitsgruppen (z. B. zur Zusammenarbeit zwischen der BA und dem Nachrichtendienst oder zur organisierten Kriminalität). Inspektionen werden in der Regel durch eine Delegation von drei Mitgliedern durchgeführt (Art. 9 Abs. 2 Organisationsverordnung22).

Das Personal des Sekretariats der AB-BA umfasste zu Beginn eine juristische Mitarbeiterin zu 80 Prozent und ab
November 2011 einen administrativen Sekretär zu 40 Prozent, also insgesamt 120 Stellenprozente. Im Jahr 2012 verfügte das Sekretariat über 140 Prozent, von 2013 bis 2016 über 150 Prozent, von 2017 bis 2018 über 160 bis 180 Prozent und ab dem 1. Mai 2019 über 260 Stellenprozente (180 juristische und 80 administrative Stellenprozente). Das Budget für 2020 sieht

18 19 20

21 22

SR 173.712.24 SR 173.712.24 Verordnung der Bundesversammlung vom 13. März 2007 über die Taggelder und über die Vergütungen für Dienstreisen der Bundesrichter und Bundesrichterinnen (SR 172.121.2) SR 173.712.24 SR 173.712.24

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zwei weitere wissenschaftliche Stellen (je 80 ­ 100 Prozent) vor. Die Stellen sind noch nicht besetzt.

Die budgetierten Ausgaben der AB-BA beliefen sich in der Grössenordnung zwischen 825 000 und 1,6 Mio. Franken (2011: 869 000 Franken, wobei nur 418 000 Franken ausgeschöpft wurden; 2012: 895 200 Franken, nicht ausgeschöpft; 2013: 884 900 Franken, nicht ausgeschöpft; 2014: 903 900 Franken; 2015: 900 300 Franken; 2016: 857 400 Franken; 2017, erstmals im Rahmen des neuen Führungsmodells Bund [NFB]: 840 200 Franken, ausgeschöpft 634 000 Franken; 2018: 825 700 Franken, ausgeschöpft 759 335 Franken; 2019: 1,3 Mio. Franken und Nachtragskredit von 350 000 Franken; 2020: 1,6 Mio. Franken).

2.3.2

Aufsichtssitzungen

Im ersten Geschäftsjahr etablierte sich unter dem ersten Präsidenten der AB-BA, Bundesrichter Hansjörg Seiler, die Praxis, dass die AB-BA ca. monatliche Aufsichtssitzungen durchführte, wobei jeweils ein Teil internen Verhandlungen und ein Teil den Aussprachen mit der BA gewidmet war. Diese Praxis wurde bis 2017 weitergeführt. Ab 2018 führte die AB-BA weiterhin ca. monatlich interne Sitzungen durch, lud die BA aber nur noch ca. alle zwei Monate dazu ein.

An den Sitzungen nahmen regelmässig die Mitglieder der AB-BA, der Bundesanwalt, seine Stellvertreter sowie weitere Mitglieder der Geschäftsleitung teil. Regelmässige Traktanden waren der aktuelle Geschäftsgang, grundsätzliche Fragen im Bereich Organisation und Struktur der BA, Informatikprojekte, Stellungnahmen zu Gesetzesvorlagen und Treffen des Bundesanwalts mit ausländischen Kollegen. Im Weiteren liess sich die AB-BA regelmässig über den Stand besonders bedeutsamer Verfahren informieren. Neben den ordentlichen Traktanden wurden zudem Schwerpunktthemen besprochen. Diese wurden im Voraus definiert und der BA bekanntgegeben. Die BA lieferte der AB-BA vor der Sitzung in der Regel ein Papier dazu als Diskussionsgrundlage.

Im Jahr 2011 bildeten u. a. die Unité de doctrine in der BA, die Delegation von Verfahren an die Kantone, Grundsätze der Anklageerhebung oder das Opportunitätsprinzip Schwerpunktthemen der Aufsichtssitzungen. Eine Rüge erteilte die ABBA dem damaligen Bundesanwalt im Zusammenhang mit seiner in einer Medienmitteilung zum Urteil Holenweger öffentlich geäusserten Kritik am BStGer. Nach der erwähnten Pressemitteilung im Fall Holenweger intervenierte die Aufsichtsbehörde im Rahmen der nächsten Aufsichtssitzung im November 2011 beim Bundesanwalt und stellte klar, dass sie es in keinem weiteren Fall mehr tolerieren würde, wenn die BA via Medien an anderen Behörden in einem solchen Ausmass Kritik übe.23 2012 ging es schwerpunktmässig um die Optimierung der Organisation, das Amtsund operative Controlling sowie um Informatikprojekte der BA. 2013 liess sich die AB-BA von der BA ihr Reorganisationskonzept bzw. das Informatikprojekt «transform it» präsentieren. Im Jahr 2014 wurde eine Sitzung mit dem Besuch des BStGer 23

Tätigkeitsbericht 2011 der AB-BA S. 21

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in Bellinzona verbunden. Schwerpunktthemen waren die Bereiche Börsendelikte, Telefonüberwachung und Mafiaverfahren, grundsätzliche Fragen im Bereich Informatik und HR sowie finanzielle Auswirkungen von Strukturänderungen und Projekten.

2015 definierte die neu zusammengesetzte Aufsichtsbehörde unter dem Präsidium von Bundesrichter Niklaus Oberholzer an ihrer Januarsitzung die Schwerpunkte im Jahresprogramm. Dazu gehörten die Bereiche Mafiaverfahren, Artikel 260ter StGB24 und Cyberkriminalität. Weiter befasste sich die AB-BA schwerpunktmässig mit den Reorganisationsvorhaben Projekt «BA 2016» und «BA Profiles», den erstmaligen Wahlen der Staatsanwälte durch den Bundesanwalt, den finanziellen Auswirkungen von Projekten, den Strukturänderungen und der Personalpolitik der BA. Im Jahr 2016 waren die Schwerpunktthemen die Reformprojekte Projekt «BA 2016» und «BA Profiles» und deren konkrete Auswirkungen sowie die finanziellen Auswirkungen von Projekten und Strukturen der BA. Neue Themen ergaben sich durch den Auftrag der GPK zur Abklärung allfälliger Einflüsse auf das Strafverfahren zum Flugzeugabsturz in Würenlingen 1970, durch zahlreiche Eingaben an die AB-BA in laufenden Verfahren der BA sowie durch Abgrenzungsfragen der Kontrolltätigkeit zwischen der Aufsichtsbehörde und der Eidgenössischen Finanzkontrolle EFK.

2017 trat die AB-BA zu zehn ordentlichen Aufsichtssitzungen und zwei ausserordentlichen Sitzungen zusammen. Eine Sitzung fand extra muros in den Räumlichkeiten des Bundesstrafgerichts in Bellinzona statt. Materiell befasste sich die AB-BA im Rahmen ihrer Sitzungen u. a. verstärkt mit organisatorischen und methodischen Fragen, den Zwischenresultaten der Querschnittsinspektion 2017, den Abklärungen im Fall Daniel M. zu Händen der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), dem Deliktsfeld Völkerstrafrecht, dem Fall-Controlling der BA, dem Projekt «Joining Forces» sowie der Frage der Kompetenzbereiche der BA im Verhältnis mit der EFK.

Weiter behandelte die AB-BA systemische Fragestellungen wie etwa den Umgang mit austretenden Mitarbeitenden der BA, insb. solchen, die nach ihrem Austritt beruflich in ähnlichen Themenfeldern tätig sind, oder den Abschluss von De officiisVereinbarungen durch die BA.

Die AB-BA stellte in ihrem Tätigkeitsbericht 2017 fest, die mit dem operativen Tagesgeschäft befasste und
über 220 Mitarbeitende verfügende BA weise gegenüber der mit bescheidenen Ressourcen ausgestatteten und im Milizprinzip organisierten AB-BA einen Informationsvorsprung auf. Entsprechend habe bis anhin v. a. die BA die im Rahmen der Aufsichtssitzungen zu behandelnden Traktanden vorgeschlagen.

Damit der «Gefahr der konkludenten Zustimmung durch die AB-BA» vermehrt begegnet werden könne, würden im Jahr 2018 traktandierte Themen bei Bedarf einer systematischen Weiterverfolgung zugeführt. Weiter werde die AB-BA ihre nach den Aufsichtssitzungen gefassten Beschlüsse gegenüber dem Bundesanwalt künftig schriftlich artikulieren.25 Im Jahr 2018 befasste sich die AB-BA an internen Sitzungen nebst der Einsetzung von ausserordentlichen Staatsanwälten u. a. mit der Inanspruchnahme von Polizeikräften bei der Durchführung von Zwangsmassnahmen im Auftrag von ausseror24 25

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dez. 1937 (SR 311.0) Tätigkeitsbericht 2017 S. 9

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dentlichen Staatsanwälten, den Erkenntnissen aus der Inspektion des Generalsekretariats der BA sowie dem FIFA-Verfahrenskomplex. An einer Retraite im Sommer behandelte sie u. a. das Kurzgutachten von Prof. Felix Uhlmann, das Konzept zur Inspektion des Generalsekretariats der BA, die Verstärkung des Sekretariats der ABBA sowie die Konzeption ihrer Aufsichtssitzungen. Wie in ihrem Tätigkeitsbericht 2017 angekündigt, kommunizierte die AB-BA an den Aufsichtssitzungen gefasste Beschlüsse gegenüber dem Bundesanwalt schriftlich.

Im Jahr 2019 führte die AB-BA ­ neu unter dem Präsidium von Hanspeter Uster ­ nebst mehreren ausserordentlichen Sitzungen zum Disziplinarverfahren gegen den Bundesanwalt ca. monatlich eine ganztägige Aufsichtssitzung durch. Zusätzlich zog sie sich zu einer eintägigen Retraite zurück. Ergänzend behandelte sie dringliche Fragen telefonisch oder schriftlich. Im Abstand von zwei Monaten lud die AB-BA den Bundesanwalt an die Aufsichtssitzungen ein, wo er zu mehrheitlich vordefinierten Themen angehört wurde. Erstmals basierten die Sitzungen mit dem Bundesanwalt auf einer thematischen Jahresplanung, die ihm zu Beginn des Jahres zur Stellungnahme unterbreitet wurde. Schwerpunkte der Anhörungen betrafen eine Auswahl von aktuellen Fällen bzw. Fallkomplexen, Fallprognosen sowie der aktuelle Stand der Fälle des FIFA-Verfahrenskomplexes.

2.3.3

Inspektionen

Das Gesetz sieht vor, dass die Aufsichtsbehörde bei der BA Auskünfte und zusätzliche Berichte über ihre Tätigkeit verlangen und Inspektionen durchführen kann (Art. 30 Abs. 1 StBOG). Für die Durchführung von Inspektionen kann die AB-BA Delegationen von mindestens drei Mitgliedern entsenden (Art. 9 Abs. 2 Organisationsverordnung26). Bei der Durchführung von Inspektionen haben die Mitglieder der AB-BA Einsicht in die Verfahrensakten, dürfen aber die dabei erlangten Kenntnisse nur in allgemeiner und anonymisierter Form als Grundlage für ihre Berichterstattung und ihre Empfehlungen verwenden (Art. 30 Abs. 2 und 3 StBOG).

Im ersten Jahr ihrer Tätigkeit war für die AB-BA primäres Ziel der Inspektionen, die Arbeit der BA (diese wurde zu diesem Zeitpunkt von Bundesanwalt Erwin Beyeler geführt) kennenzulernen und die Grundlage zu schaffen, die Tätigkeit der BA in ihrem gesamten Umfang würdigen zu können. Sie führte Inspektionen in allen operativen sowie nicht-operativen Einheiten der BA durch. Anders als zuvor das Bundesstrafgericht, inspizierte die AB-BA nicht die einzelnen Staatsanwälte, da die Aufsicht über sie nach dem neuen StBOG nun primär Sache des Bundesanwalts war, sondern setzte inhaltliche Schwerpunktthemen. Inspektionsthemen im Jahr 2011 waren die Verfahrensdauern, die kriminalpolitische Prioritätensetzung und das Bedürfnis der BA nach Polizeiressourcen der BKP.

Jede Inspektion wurde von einem Inspektionsteam aus drei Mitgliedern der AB-BA durchgeführt und protokolliert. Die befragten Mitarbeiter der BA hatten die Möglichkeit, zu den Protokollen im Sinne einer Faktenkontrolle Stellung zu nehmen. Die

26

SR 173.712.24

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Aufsichtsbehörde verfasste einen Schlussbericht über die Inspektionen. Der Bundesanwalt hatte Gelegenheit, zum Schlussbericht Stellung zu nehmen.

Dabei zeigte sich, dass die Vorstellungen betreffend die Inspektionsberichte zwischen AB-BA und BA unterschiedlich waren: Seitens der BA wurde gewünscht, dass die Inspektionsberichte eine Beurteilung der Organisation und der Verfahrensführung der BA, allenfalls mit gewissen Empfehlungen für die Zukunft, enthalten sollten. Die AB-BA ihrerseits traf zwar gestützt auf die Inspektionen gewisse Feststellungen, doch wollte sie diese nicht als definitive Bewertung der Organisation, der Betriebsabläufe und der Qualität der Verfahrensführung verstanden wissen, sondern als provisorische Bestandesaufnahme von Bereichen, denen im Rahmen der künftigen Tätigkeit der Aufsichtsbehörde besondere Aufmerksamkeit zu schenken war.27 Im Jahre 2012 konzentrierte sich eine Inspektion auf die Verfahren. Dabei ging es der Aufsichtsbehörde nicht um einzelne konkrete Verfahren und auch nicht um eine Beurteilung der einzelnen Staatsanwälte, sondern um die generelle Verfahrensführung der BA. Dabei wurden die operativen Einheiten der BA durch Inspektionsteams von je drei Mitgliedern der AB-BA und einer Protokollführerin besucht. Jede Einheit der BA musste für die Inspektion ca. acht Fallberichte aktualisieren. Aus diesen acht Verfahren wählte das Inspektionsteam drei bis vier Verfahren zur Prüfung aus. Im Rahmen der Prüfung der Verfahren nahm die Aufsichtsbehörde teilweise in die Verfahrensakten Einsicht. Die wichtigsten Befunde aus der Inspektion fasste die AB-BA in ihrem Tätigkeitsbericht zusammen.28 Auf die Nachfrage eines Mitglieds der GPK, wie die AB-BA mit den Befunden aus den Verfahrensakten umgehe, führte der Präsident der AB-BA aus, diese Analysen erfolgten in mündlicher Form an den Aufsichtssitzungen der AB-BA und seien in den Protokollen festgehalten. Es werde kein schriftlicher Analysebericht erstellt. Die Analysen würden in den Inspektionsbericht und somit in zusammengefasster Form auch in den Tätigkeitsbericht der AB-BA einfliessen.29 2013 inspizierte die AB-BA die Zweigstellen Zürich, Lugano und Lausanne sowie mehrere Abteilungen der BA in Bern. Im Zentrum standen die Themen Verfahrensplanung und -strategie, Zeitmanagement und Controlling. Nicht zur Diskussion standen
hingegen die konkreten Verfahren und eine Beurteilung der einzelnen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Als Fazit stellte die AB-BA fest, die Inspektionen hätten zu zahlreichen Informationen geführt, erlaubten aber keinen abschliessenden Einblick in die Verfahrensabläufe. Die Aufsichtsbehörde sei sich dieser Problematik bewusst und suche immer wieder nach neuen Inspektionsformen. Alle Inspektionen hätten in einem angenehmen und entspannten Rahmen stattgefunden, und die Inspektionsteams hätten insgesamt einen positiven Eindruck von der Arbeit der inspizierten Abteilungen der BA gewonnen.30 Im Jahr 2014 wählten die Inspektionsleiter aus dem halbjährlichen Reporting der BA rund hundert Verfahren für die Inspektion aus. Das Inspektionsverfahren wurde gegenüber früher leicht geändert: Die Inspektionsteams verschafften sich im ersten 27 28 29 30

Tätigkeitsbericht 2011 der AB-BA S. 9 und 11 Tätigkeitsbericht 2012 der AB-BA S. 7 ­ 9 Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 9. April 2013 S. 11 (nicht öffentlich) Tätigkeitsbericht 2013 der AB-BA S. 9 ­ 10

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Teil der Inspektion mit dem jeweiligen Zweigstellen- oder Abteilungsleiter eine Gesamtübersicht über den Zustand der zu inspizierenden Einheit. Im zweiten Teil prüften ein oder zwei Inspektoren die Verfahren eines einzelnen Staatsanwaltes allein in dessen Präsenz. Nach der Durchführung der Verfahrensprüfungen kamen die Inspektoren zu einer Diskussion über die Schlussfolgerungen zusammen. In einem dritten Teil wurde das Inspektionsergebnis mit dem Zweigstellen- oder Abteilungsleiter besprochen. Themen im Rahmen der Inspektion waren die Qualität der Fallberichte, das Zeitmanagement in den Verfahren, insb. bei den älteren Verfahren, das 2012/2013 eingeführte Controlling sowie die Zusammenarbeit mit der BKP. Im Weiteren überprüfte die AB-BA die Einstellungen in Verfahren ohne (beschwerdelegitimierte) Opfer und nach Art. 53 StGB (Einstellung wegen Wiedergutmachung).

Dabei ging es darum, subsidiär die Rechtmässigkeit des Handelns der Bundesanwaltschaft dort zu kontrollieren, wo keine gerichtliche Beurteilung mehr möglich ist.31 Im Jahr 2015 führte die AB-BA ihre bisherige Praxis zu den Inspektionen unter dem zweiten Präsidenten weiter. Die Inspektionsleiter wählten 87 Verfahren zur näheren Prüfung aus. Zu einem bedeutenden Teil handelte es sich um Fälle, welche die Inspektionsteams bereits im letzten Jahr vertieft betrachtet hatten und bei welchen der seitherige Verfahrensverlauf diskutiert wurde.32 Gegenüber den Subkommissionen betonte der zweite Präsident der AB-BA, jährliche Inspektionen praktisch sämtlicher Abteilungen der BA durch Teams zu drei Personen seien wohl der wichtigste Aspekt der Aufsichtstätigkeit der AB-BA. Die Fallberichte würden analysiert, und einzelne Verfahren würden mit den fallführenden Staatsanwälten in der jeweiligen Abteilung besprochen. Dabei gehe es nicht darum, Anweisungen zu geben, wie Verfahren zu führen sind ­ die Staatsanwälte des Bundes seien vermutlich kompetenter als die Mitglieder der Aufsichtsbehörde ­, sondern es gehe um allfällige Hinweise auf strukturelle, personelle oder Verfahrensmängel. Ausgehend von einer Analyse konkreter Verfahren gehe es also darum, allgemeine Problemstellungen herauszuschälen, und zwar auf der zweiten Ebene und nicht aufgrund der Schilderungen der BA in den Aufsichtssitzungen.33 2016 wählten die Inspektionsleiter aus dem halbjährlichen
Reporting der BA für die Inspektionen rund 40 Einzelverfahren und Verfahrenskomplexe aus. Davon wurden vorab die grossen Verfahrenskomplexe sowie Fälle älteren Datums geprüft. Mit der Einführung der Reorganisation der Bundesanwaltschaft und von «BA Profiles» erhielten Fragen zur neuen Struktur, zu Profilen, Lohnsituation und Arbeitsverhältnis ein recht grosses Gewicht. Im Verfahrensbereich richtete sich der Fokus der Aufsichtstätigkeit auf die ­ auch medial sehr präsenten ­ Verfahrenskomplexe Petrobras, 1MDB und FIFA sowie auf ältere Fälle, die vor ihrem Abschluss standen.

Neben den ordentlichen Inspektionen führte die AB-BA im Auftrag der GPK eine ausserordentliche Untersuchung der Akten zur Strafuntersuchung zum Flugzeugabsturz von Würenlingen im Jahr 1970 durch. Sie gelangte zum Schluss, dass sich den

31 32 33

Tätigkeitsbericht 2014 der AB-BA S. 11 ­ 12, 15 Tätigkeitsbericht 2015 der AB-BA S. 11 Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 6 (nicht öffentlich)

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Akten der Bundesanwaltschaft keinerlei Hinweise auf eine nicht gesetzmässige Durchführung des Strafverfahrens entnehmen liessen.34 2017 führten Delegationen der AB-BA Befragungen im Rahmen einer Querschnittsinspektion bei sämtlichen Amtsstellen der BA durch. Ziel der Inspektion war zu erfassen, wie die BA am konkreten Fall arbeitet. Methodisch wählte die AB-BA einen neuen Prüfungsansatz, indem das mit der Instruktion der Inspektion betraute AB-BA-Mitglied einen standardisierten Fragenkatalog für die jeweilige Dreierdelegation vorbereitete. Auf diese Weise wurde die Vergleichbarkeit der Befragungsresultate über alle Abteilungen sichergestellt. Befragt wurden nicht nur die mit der Fallführung betrauten Staatsanwälte, sondern alle mit dem ausgewählten Fall befassten Mitarbeitenden, um herauszufinden, wer welchen Beitrag leistet. Weiter beschloss die AB-BA die Durchführung zweier ausserordentlicher Inspektionen, eine in Zusammenarbeit mit der GPDel zum Fall Daniel M. sowie eine weitere zum Deliktsfeld Völkerstrafrecht.35 Im Tätigkeitsbericht 2018 hielt der scheidende zweite Präsident der AB-BA Rückschau und führte folgendes aus36: «Die BA hat sich zu einer modernen und selbstbewussten Strafbehörde gewandelt.

Während früher noch der einzelne Staatsanwalt weitgehend auf sich allein gestellt über die ihm zugeteilten Fälle entscheiden konnte, hat die BA mit dem neuen Führungs- und Organisationsmodell an Profil gewonnen. Mit dem ausgebauten Controlling, mit der Fallbewirtschaftung, mit den Deliktsfeldverantwortlichen und vor allem auch mit den Projekten im Bereich UNAVOCE konnte eine Einheitlichkeit erzielt werden, die im Interesse einer effizienten und wirkungsvollen Strafverfolgung unerlässlich ist. Damit einher ging die Erkenntnis, dass sich die neu gewonnene Unabhängigkeit der BA nicht an der Ungebundenheit des einzelnen Staatsanwaltes, der einzelnen Staatsanwältin misst. Denn erst eine kann der BA als oberster Strafverfolgungsbehörde des Bundes zum Durchbruch verhelfen.» Zur Entwicklung der AB-BA führte er aus, nicht nur die BA, sondern auch die ABBA habe sich gewandelt. Nach einer ersten Aufbauphase habe sie sich einen vertieften Überblick über die spezifischen Problemstellungen der BA verschafft. Sie beschränke sich nicht mehr darauf, die BA kritisch zu begleiten, und sei heute
in der Lage, mit gezielten Schwerpunktinspektionen Strukturen und Verfahrensabläufe der BA auszuleuchten. Dazu zählten etwa im Berichtsjahr die aufwändigen Inspektionen des Generalsekretariats37 und des Deliktfelds Völkerstrafrecht38.

Ursprünglich als reine Aufsichtsbehörde über die BA konzipiert, seien in den vergangenen vier Jahren verschiedene neue Aufgaben hinzugekommen. Gemeinsam mit dem EJPD habe die AB-BA einen Bericht zur Optimierung der Schnittstellenprobleme zwischen BA und Bundeskriminalpolizei in Auftrag gegeben. Im Auftrag der parlamentarischen Oberaufsicht habe sie aus rechtshistorischer Sicht die seiner34 35 36 37 38

Tätigkeitsbericht 2016 der AB-BA S. 9 ­ 10, 14 Tätigkeitsbericht 2017 der AB-BA S. 7 ­ 8, 10 ­ 11; Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 19. April 2018 S. 2 Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 5 Die Inspektion wurde im Jahr 2018 durchgeführt, die Auswertung der Ergebnisse für das 2. Quartal in Aussicht gestellt.

Zusammenfassung in: Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 12 ­ 14

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zeitige Strafuntersuchung zum Flugzeugabsturz in Würenlingen aufbereitet. Und im Zusammenhang mit den Kontroversen um den Einsatz eines schweizerischen Spions in Deutschland habe sie in Absprache mit der GPDel das von der BA parallel geführte Strafverfahren gegen diesen Spion analysiert.

Mit der Inspektion FIFA-Verfahrenskomplex führte die AB-BA eine weitere ausserordentliche Inspektion durch. Diese betraf die Untersuchung von zunächst zwei bekannt gewordenen informellen, nichtprotokollierten Treffen des Bundesanwalts mit dem Präsidenten der FIFA.39 Das Jahr 2019 war für die AB-BA gemäss ihrem Tätigkeitsbericht aufgrund des Disziplinarverfahrens betreffend Bundesanwalt Michael Lauber das intensivste Jahr seit Aufnahme ihrer Tätigkeit. Angesichts der Dringlichkeit priorisierte die AB-BA diese Untersuchung im Berichtsjahr. Die Inspektion des Controlling-Systems und der Qualitätssicherung der Anklageschriften der BA verschob die AB-BA auf das Jahr 2020. Ebenso stellte die AB-BA die Auswertung ihrer Erkenntnisse aus der Inspektion des Generalsekretariats der BA aus den genannten Gründen zurück.40

2.3.4

Weisungen und Empfehlungen

Die AB-BA kann gegenüber der BA generelle Weisungen über die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erlassen. Sie ist aber nicht befugt, ihr Weisungen im konkreten Einzelfall betreffend Einleitung, Durchführung und Abschluss eines Verfahrens, die Vertretung der Anklage vor Gericht und die Ergreifung von Rechtsmitteln zu erteilen (Art. 29 Abs. 2 StBOG).

Die Aufsichtsbehörde erliess am 31. August 2011 gestützt auf Art. 29 Abs. 2 StBOG ihre erste und langezeit einzige Weisung an die BA über die Berichterstattung an die AB-BA. Zwei weitere Weisungen wurden am 26. Mai 2020 und am 2. Juni 2020 erlassen (vgl. Kap. 4.2). Bereits das BStGer hatte ähnliche Weisungen an die Adresse der BA erlassen. Gemäss dieser Weisung muss die BA der AB-BA sowohl einen jährlichen Tätigkeitsbericht als auch halbjährliche Berichte abliefern. Die halbjährlichen Berichte (Reportings) umfassen namentlich Angaben zu den hängigen Verfahren, der Verfahrenserledigung und Fallberichte, welche der Aufsichtsbehörde einen Einblick in die konkrete Verfahrensführung der Bundesanwaltschaft ermöglichen.

Im Weiteren muss die BA der AB-BA halbjährlich ein Finanzreporting abliefern.

Zudem enthalten die Weisungen Angaben über die von der AB-BA durchgeführten Inspektionen. Bei der Ausarbeitung der Weisungen legte die AB-BA Wert darauf, dass der Bundesanwaltschaft durch die Berichterstattung an die Aufsichtsbehörde kein übermässiger Aufwand entstehen sollte. In Zusammenarbeit mit der Bundesanwaltschaft wurde eine Lösung getroffen, die es der BA erlaubte, für die Berichterstattung an die AB-BA weitgehend auf die Instrumente zurückzugreifen, die sie für ihr internes Controlling geschaffen hatte.41

39 40 41

Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 14 ­ 16 Tätigkeitsbericht 2019 der AB-BA S. 3 ­ 4 Vgl. Tätigkeitsbericht 2011 der AB-BA S. 8

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Nebst dem Erlass von Weisungen kann die AB-BA nach Art. 30 Abs. 3 StBOG unverbindliche Empfehlungen an den Bundesanwalt richten.

Zu ihrer Praxis zum Einsatz von formell an die BA gerichteten Empfehlungen führte die AB-BA in ihrem Tätigkeitsbericht 2018 aus: «Im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV), das für das gesamte staatliche Handeln bindend ist, sowie der Wahrung der grösstmöglichen Unabhängigkeit der BA, formuliert die ABBA im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags, falls nötig, zunächst mit einer Umsetzungsfrist versehene Empfehlungen an den Bundesanwalt. Setzt der Bundesanwalt die Empfehlungen innerhalb der Frist nicht um, prüft die AB-BA die Gründe für die Nichtumsetzung und richtet ggf. eine verbindliche Weisung an ihn bzw. schreibt die Empfehlung ab. Erlässt die AB-BA eine Weisung, stehen dem Bundesanwalt dagegen keine Rechtsmittel zur Verfügung.»42 2018 richtete die AB-BA erstmals zwei solche formellen Empfehlungen an den Bundesanwalt: Im Zusammenhang mit ihrer ausserordentlichen Inspektion zum Fall Daniel M.

erliess die AB-BA am 13. März 2018 die Empfehlung an die BA, im Memorandum zwischen der BA und dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) über die Abläufe in der Zusammenarbeit in den Bereichen Prävention und Strafverfolgung zu definieren, welche vom NDB beschafften Informationen Eingang in Strafverfahren finden können.43 Im Rahmen ihrer Abklärungen zu zwei unprotokollierten Treffen des Bundesanwalts mit dem Präsidenten der FIFA gab die AB-BA am 23. November 2018 der BA die Empfehlung ab, jedes Treffen mit einer Partei oder einem Verfahrensbeteiligten in einem laufenden Strafverfahren zu dokumentieren44.

Neben den zwei genannten formellen Empfehlungen finden sich in den Tätigkeitsberichten der AB-BA weitere Empfehlungen, die insbesondere im Rahmen von Inspektionen an die BA formuliert wurden. Allerdings scheinen sie von weniger formellem Charakter gewesen zu sein, und ihre konkrete Umsetzung wurde entweder nicht systematisch überprüft oder deren Überprüfung wurde nicht in den Tätigkeitsberichten nachgewiesen.

So hat die AB-BA zum Beispiel bereits im Tätigkeitsbericht 2011 im Zusammenhang mit ihren Inspektionen Empfehlungen zur Verfahrensführung abgegeben, etwa zur Dauer der Verfahren und zur Optimierung des Ressourceneinsatzes.45 Oder im Tätigkeitsbericht 2014 hat
die AB-BA eine Empfehlung in Bezug auf strukturelle Massnahmen zum Personaleinsatz abgegeben.46 Die Empfehlungen wurden zuweilen auch nur als Anregungen formuliert, so z. B.: Die Aufsichtsbehörde regt an, dass die BA eine Strategie entwickelt, um Verfahren, die eingestellt werden können, rascher einzustellen. Oder: Die Aufsichtsbehörde regt an, dass sich die BA mit der

42 43 44 45 46

Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 16 Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 16 Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA S. 14, 17 Tätigkeitsbericht 2011 der AB-BA S. 11 ­ 12 Tätigkeitsbericht 2014 der AB-BA S. 15

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Berechnung der Verjährung und der Verjährungskontrolle in einem geeigneten Rahmen auseinandersetzt.47

2.3.5

Reporting der BA zu den Strafverfahren

Gemäss Weisung der AB-BA vom 31. August 2011 informiert die BA die AB-BA alle sechs Monate über die Strafverfahren. Stichtage sind der 30. Juni und der 31.

Dezember. Die halbjährliche Berichterstattung (Reporting) umfasst namentlich Angaben zu den hängigen Verfahren (inkl. sistierte Verfahren), zu den erledigten Verfahren (inkl. Verfahrensdauer) sowie die aktualisierten Fallberichte, die die BA zu eigenen Zwecken erstellt, sowie eine Liste mit priorisierten Verfahren und ein Finanzreporting. Die Fallberichte ermöglichen der AB-BA, einen Einblick in die konkrete Verfahrensführung der BA zu erhalten und mögliche systematische Probleme zu erkennen. In den ersten Jahren ihres Bestehens beschäftigte sich die AB-BA stark mit den Verfahren (vgl. Kap. 2.3.3 Inspektionen). Die AB-BA wertete die Fallberichte laufend aus und entwickelte ein System für deren Auswertung. Anhand der Fallberichte wählten die Inspektionsteams der AB-BA jeweils eine bestimmte Anzahl Verfahren aus, die im Rahmen der Inspektionen überprüft wurden.48 Durch Rückmeldungen der AB-BA zu den Fallberichten regte die AB-BA zu Verbesserungen deren Qualität an49 und stellte später eine entsprechende Verbesserung fest.50

2.3.6

Wahrung der Unabhängigkeit der BA in der Strafverfolgung

In den ersten Jahren befasste sich die AB-BA eingehend mit der Frage, wie weit sie sich im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit mit Einzelfällen beschäftigen soll. Mitglieder der AB-BA, die bei der BA eine Inspektion durchführen, haben Einsicht in die Verfahrensakten von Strafverfahren, soweit dies für die Erfüllung ihres Auftrags nötig ist (Art. 30 Abs. 2 StBOG). Aber die AB-BA kann keine Weisungen im Einzelfall betreffend Einleitung, Durchführung und Abschluss eines Verfahrens, die Vertretung der Anklage vor Gericht und die Ergreifung von Rechtsmitteln erteilen (Art. 29 Abs. 2 StBOG). Daran halte sich die AB-BA strikt, erklärte der Präsident der AB-BA gegenüber den Subkommissionen. Doch kristallisierten sich anhand von Einzelfällen häufig allgemeine Probleme heraus, welche die AB-BA mit der BA diskutiere. Dabei erweise sich die BA als eine offene, kooperative und konstruktive Gesprächspartnerin. Die AB-BA respektiere die Unabhängigkeit der BA im Einzelfall, und im Gegenzug respektiere die BA das Anliegen der AB-BA, sich anhand von Einzelfällen ein Bild zu machen.51

47 48 49 50 51

Tätigkeitsbericht 2012 der AB-BA S. 9 Tätigkeitsbericht 2012 der AB-BA S. 7 Tätigkeitsbericht 2013 der AB-BA S. 9 Tätigkeitsbericht 2014 der AB-BA S. 12 Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 9. April 2013 S. 3 (nicht öffentlich)

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Gemäss ihrem Tätigkeitsbericht 2011 liess sich die AB-BA an ihren Aufsichtssitzungen regelmässig vom Bundesanwalt über Verfahren informieren, «die von einer gewissen politischen Tragweite sein können, namentlich die Beziehungen der Schweiz zum Ausland berühren, die ein besonderes Interesse bei den Medien hervorrufen könnten, bei denen die BA allenfalls die Unterstützung der Aufsichtsbehörde benötigt oder die aus anderen Gründen von besonderem Interesse sind.»52 Auch im Rahmen ihrer Inspektionen befasste sich die AB-BA regelmässig mit Einzelfällen, konzentrierte sich aber hierbei immer auf die Frage, welche Konsequenzen genereller Art diese Einzelfälle nach sich ziehen.53

2.3.7

Aufsicht im Organisations- und Personalbereich

Gemäss Art. 9 StBOG führt der Bundesanwalt die BA und ist insbesondere verantwortlich für den Aufbau und den Betrieb einer zweckmässigen Organisation und den wirksamen Einsatz von Personal sowie von Finanz- und Sachmitteln. Ihm kommt somit Organisationsautonomie und eine umfassende Personalkompetenz über die Mitarbeitenden der BA ­ mit Ausnahme seiner zwei Stellvertreter, die von der Bundesversammlung gewählt werden ­ zu. Die AB-BA ihrerseits besitzt disziplinarrechtliche Kompetenzen gegenüber dem Bundesanwalt sowie den zwei stellvertretenden Bundesanwälten (Art. 31 StBOG, vgl. Kap. 2.3.8).

In der Aufsichtspraxis beachtet die AB-BA die Organisationsautonomie des Bundesanwalts, wie die Präsidenten der AB-BA regelmässig gegenüber den Subkommissionen betonten. Die AB-BA beaufsichtigt zwar, ob der Bundesanwalt die ihm durch das Gesetz zugewiesenen Aufgaben sachgerecht erfüllt, wahrt dabei aber den Ermessensspielraum des Bundesanwalts und hält sich zurück, wenn es um operative Fragen des Alltagsgeschäfts geht.54 In ihrer Eigenschaft als Fachaufsichtsbehörde, die nicht analog einer Departementsleitung an der Spitze einer verwaltungsrechtlichen Hierarchie steht, obliege es nicht der AB-BA, zu Einzelentscheiden des Bundesanwalts Stellung zu nehmen.55 So hat die AB-BA etwa in der Aufbauphase der verselbständigten BA deren Organisationsreglemente zur Kenntnis genommen, aber nicht interveniert. «Wir mischen uns grundsätzlich nicht in die Organisationsautonomie des Bundesanwalts ein. Wenn wir Probleme feststellen, die auf Organisationsmängel zurückzuführen sind, werden wir aber anregen, hier etwas zu ändern.», sagte der erste AB-BA-Präsident gegenüber den Subkommissionen.56 In ihrem ersten Tätigkeitsbericht hielt die AB-BA fest, die Organisation der BA sei nach den Feststellungen der Inspektionsteams grundsätzlich so, dass damit zweckmässig gearbeitet werden könne. Im Rahmen künftiger Inspektionen werde die ABBA aufgrund der Ergebnisse der Inspektionen 2011 gewisse organisatorische Fragen

52 53 54 55 56

Tätigkeitsbericht 2011 der AB-BA S. 9 Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 9. April 2013 S. 3 (nicht öffentlich) Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 15. April 2015 S. 6 (nicht öffentlich) Tätigkeitsbericht 2017 der AB-BA S. 9 Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 5. April 2011 S. 7 (nicht öffentlich)

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vertieft überprüfen (z. B. Zweckmässigkeit einer eigenen Abteilung Terrorismus u. a. m.).57 Per 1. September 2012 setzte die BA eine Reorganisation um. Dabei installierte sie auch ein Verfahrenscontrolling durch die beiden stellvertretenden Bundesanwälte.

Der Bundesanwalt informierte die AB-BA regelmässig über sein Reorganisationsprojekt. In ihrem Tätigkeitsbericht 2012 vermerkte die AB-BA dazu lediglich, die Aufsichtsbehörde mische sich grundsätzlich nicht in die Organisationsautonomie des Bundesanwalts ein und habe keinen aufsichtsrechtlichen Handlungsbedarf gesehen.58 Im Jahr 2012 diskutierte die AB-BA auch die Frage der Direktunterstellung der Bundeskriminalpolizei (BKP) unter die BA. Diese Frage war vom Bundesanwalt aufgeworfen worden und bildete ebenfalls Gegenstand von Abklärungen der GPK.

Die AB-BA entschied, dazu nicht Stellung zu nehmen, bis die Arbeiten der von der AB-BA gemeinsam mit dem EJPD eingesetzten Arbeitsgruppe vorliegen würden.

Im Jahr 2013 orientierte die Geschäftsleitung der BA die AB-BA regelmässig über ihre Reorganisationspläne in verschiedenen Bereichen wie z. B. Organisationsstruktur, Human Resources und Finanzen. Die laufenden Projekte wie «transform it» im Sektor Informatik oder «Estime» im Personalbereich stellten Traktanden der Aufsichtssitzungen dar und wurden mündlich erläutert und/oder mit Dokumentationen unterlegt. Die Aufsichtsbehörde lasse sich für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben über die Strukturen der BA orientieren, mische sich aber grundsätzlich nicht in die Organisationsautonomie des Bundesanwalts ein und habe bisher keinen aufsichtsrechtlichen Handlungsbedarf festgestellt, heisst es in ihrem Tätigkeitsbericht 2013.59 Im Hinblick auf die zweite Amtszeit des Bundesanwalts (2016 ­ 2019) nahm die BA verschiedene Anpassungen ihrer Organisation vor und richtete ihre Strategien neu aus. Dem Tätigkeitsbericht 2015 der AB-BA ist zu entnehmen, die geplanten, teilweise tiefgreifenden Veränderungen hätten in der Anfangsphase zu gewissen Verunsicherungen innerhalb des Personals der BA geführt. Nachdem das Projekt Ende 2015 weitgehend abgeschlossen war, sei eine markante Beruhigung eingetreten. Die Aufsichtsbehörde habe die personalpolitischen Entscheide des Bundesanwalts eng begleitet, ohne sich aber in dessen Kompetenzen im Einzelfall einzumischen. Insbesondere die
vom Bundesanwalt angeordnete Nichtwiederwahl von fünf Staatsanwälten des Bundes sowie die Absetzung des Leiters der Zweigstelle Lugano seien in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert worden. Es obliege nicht der AB-BA, zu solchen einzelnen Entscheiden Stellung zu nehmen. Sie habe sich aber vergewissert, dass der Bundesanwalt die Bestimmungen des Personalgesetzes eingehalten und den Betroffenen ihre Anhörungs- und Mitwirkungsrechte gewährt habe.60 Die AB-BA äusserte sich auch zur Stimmung unter dem Personal: «Die Nichtwiederwahl verschiedener Staatsanwälte, die von der Geschäftsleitung der BA in Aussicht genommene Reorganisation und die damit einhergehenden Neueinteilungen von Funktionen und Salärstufen, verbunden mit einer zum Teil markanten Mehrar57 58 59 60

Tätigkeitsbericht 2011 der AB-BA S. 11 Tätigkeitsbericht 2012 der AB-BA S. 8 - 9 Tätigkeitsbericht 2013 der AB-BA S. 11 Tätigkeitsbericht 2015 der AB-BA S. 5 ­ 6 und 11

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beit im Administrativ- wie im Verfahrensführungsbereich, haben während der Umsetzungsphase bei den Mitarbeitenden auf allen Ebenen der BA gewisse Unsicherheiten und Ängste ausgelöst. Die im November erfolgte Orientierung über das Projekt und über scheint für die Betroffenen die gewünschte Klärung gebracht zu haben. [...] Die vorhandene Motivation und die im Grundsatz gute Stimmung konnten mit der angekündigten Neuausrichtung der Bundesanwaltschaft gestärkt werden.»61 Nachdem die BA die AB-BA vor den Entscheiden unaufgefordert informiert hatte, verlangte die AB-BA von der BA detailliert Auskunft über die Hintergründe der Nichterneuerung der erwähnten Mandate und über die finanziellen Konsequenzen der im Jahr 2015 gefällten Personalentscheide. Gemäss den Angaben im Tätigkeitsbericht 2015 der AB-BA bezifferten sich die Folgekosten der personellen Umschichtungen (Entlassungen, Nichtwiederwahlen, Abgangsentschädigungen, Übernahme von Anwalts- und Neuorientierungskosten u. a. m.) auf insgesamt 1 288 097 Franken.

Weiter stellte die AB-BA fest: «Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Personalpolitik der BA im Jahr 2015 finanzielle Folgen hatte und auch bei den Angestellten der BA für eine gewisse Unruhe sorgte. Zur Gewährleistung der funktionalen und budgetären Stabilität der Institution muss eine solche Situation die Ausnahme bleiben.

Die AB-BA wird die Entwicklung der Lage weiterhin beobachten.»62 Drei der vom Bundesanwalt nicht wiedergewählten Staatsanwälte erhoben gegen ihre Nichtwiederwahl Beschwerde beim BVGer. Dieses hiess die Beschwerden in zwei Fällen teilweise gut. Die Nichtwiederwahl der Staatsanwälte erachtete das Gericht zwar nicht als missbräuchlich, doch kam es zum Schluss, dass die Pflicht, eine Verwarnung auszusprechen, und das Recht auf Anhörung verletzt worden waren. Deshalb passte das BVGer die Entschädigungszahlungen an.63 Gegenüber den Subkommissionen stellte der Präsident der AB-BA fest, die AB-BA habe den Prozess sehr eng begleitet und in den monatlichen Aussprachen standardmässig traktandiert. Sie sei über das beabsichtigte Vorgehen und die gefällten Grundsatzentscheide regelmässig informiert worden und habe darüber mit dem Bundesanwalt unter Berücksichtigung seiner eigenen Organisationshoheit diskutiert.

Die AB-BA habe sich davon überzeugen lassen,
dass die Neuorganisation «BA Profiles» eine vernünftige Organisationsform sei und den zeitgemässen Ansprüchen entspreche. «Wäre diese Reorganisation an uns gewesen, hätten wir sicher am einen oder anderen Ort Nuancen angebracht oder Prioritäten anders gestaltet, aber unseres Erachtens ist das Ermessen des Bundesanwalts in diesem Bereich sehr gross. Wir hätten nur intervenieren können oder müssen, wenn wir zur Auffassung gelangt wären, diese Organisationsmodelle könnten einer zweckmässigen Erledigung der Arbeit hinderlich sein.».

61 62 63

Tätigkeitsbericht 2015 der AB-BA S. 13 Tätigkeitsbericht 2015 der AB-BA S. 13 ­ 14 Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 8, 22 (nicht öffentlich); Entscheid vom 15.2.2016 A-4054/2015, Punkt 5.3; Entscheid vom 16.03.2016 A-5313/2015, Punkt 5.2.3

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Zur Nichtwiederwahl von Staatsanwälten sagte der Präsident der AB-BA, man habe anerkannt, dass die BA die Möglichkeit haben müsse, sich von Personen zu trennen, mit denen sie nicht in die Zukunft gehen wolle. «Wir wollten und konnten darauf keinen Einfluss nehmen, denn uns fehlen dafür nicht nur die nötigen Informationen, sondern wir sind dafür auch nicht zuständig.»64 Im Jahr 2019 führte der dritte Präsident der AB-BA gegenüber den Subkommissionen aus, dass die AB-BA im Bereich Führung durch den Bundesanwalt einen Schwerpunkt setzen wolle. Im Rahmen ihrer Inspektion des Generalsekretariates sei die AB-BA zum Beispiel zum Schluss gekommen, dass die Führungspersonen, die eine operative Abteilung leiten, in der Geschäftsleitung eingebunden sein müssten.

Deshalb empfehle die AB-BA, dass der Bundesanwalt in seiner Geschäftsleitung nicht nur Vertreter seines Generalsekretariates, sondern auch Personen einbinde, die auf der operativen Ebene tätig sind.65

2.3.8

Disziplinarrecht der AB-BA

Nach Artikel 31 Absatz 2 StBOG kommt der AB-BA Disziplinargewalt über den Bundesanwalt und seine zwei Stellvertreter zu. Bei Amtspflichtverletzungen kann sie gegenüber diesen Personen eine Verwarnung oder einen Verweis aussprechen oder eine Lohnkürzung verfügen. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus der Organisationsverordnung66 der AB-BA. Aus dem Disziplinarrecht ergibt sich auch das Recht der AB-BA, gegen die genannten Personen Disziplinaruntersuchungen durchzuführen.67 Als äusserste Massnahme kann die Aufsichtsbehörde überdies der Vereinigten Bundesversammlung einen Antrag auf Amtsenthebung des Bundesanwalts oder der Stellvertretenden Bundesanwälte stellen (Art. 31 Abs. 1 StBOG).

In den Jahren 2011 bis 2018 gab es keinen Anwendungsfall des Disziplinarrechts durch die AB-BA.

2.3.9

Zusammenarbeit zwischen AB-BA und BA

In den Jahren 2011 bis 2018 erhielten die Subkommissionen im Rahmen ihrer Aussprachen mit den Vertretern der AB-BA und der BA grossmehrheitlich positive Rückmeldungen über die Zusammenarbeit der beiden Behörden. Die Subkommissionen erhielten zwar Kenntnis von einzelnen Meinungsverschiedenheiten; sie stellten aber keine grösseren Konflikte fest.

64 65 66 67

Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 7 ­ 8 (nicht öffentlich) Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 3. April 2019 S. 5 (nicht öffentlich) Art. 16 ­ 19; SR 173.712.24 Art. 17 der Organisationsverordnung; SR 173.712.24

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Äusserungen von Seiten der AB-BA Im Rahmen der Behandlung der Tätigkeitsberichte 2015 von AB-BA und BA äusserte sich der Präsident der AB-BA vor den Subkommissionen wie folgt zu den Aufsichtssitzungen: «Bei diesem langsam standardisierten Informationsaustausch ist es primär die BA und weniger die Aufsichtsbehörde, die Informationen liefert. Wir lassen uns über organisatorisch-administrative Belange der BA, aber auch über anstehende oder hängige Verfahren mit allfälligen politischen Implikationen informieren. Die Aufsichtssitzungen haben sich sehr gut eingespielt, die Diskussionskultur ist sehr gut. Wir sind uns aber bewusst, dass sie z. T. auch von einem Vertrauensverhältnis geprägt sind, d. h. wir sind darauf angewiesen, dass uns die BA vertrauen kann. Sie ist so ihrerseits bereit, uns Informationen zu liefern. Würde sie uns grössere Verfahren verheimlichen, die wir nicht (z. B. via Medien) kennen würden, hätten wir keine Möglichkeit, das festzustellen oder bei der BA nachzufragen. In all den Jahren machten wir aber ebenso die Erfahrung, dass auch wir Vertrauen in die BA haben können, dass sie uns über Verfahrensschritte oder Problemfelder informiert.»68 In Bezug auf die Praxis der AB-BA, Weisungen zu erlassen und deren Umsetzung durchzusetzen, erklärte der Präsident der AB-BA gegenüber den Subkommissionen, die AB-BA erteile relativ wenige allgemeine Weisungen. «Im Rahmen der monatlichen Aufsichtssitzungen konnten wir gewisse Problembereiche einvernehmlich lösen, indem die AB-BA Position bezogen und die BA ihrerseits gesagt hat, sie werde diese im Rahmen der weiteren Arbeiten berücksichtigen. Mit Bezug auf die finanziellen Folgen der Personalpolitik verlangten wir eine klare Zusammenstellung und mussten ein, zwei Mal konkretisieren, was wir genau haben wollten. Wir hatten aber nie das geringste Problem, dass die BA unsere Anliegen nicht berücksichtigt hätte.»69 Eine Kontroverse zwischen AB-BA und BA über eine Randthematik findet sich in den Tätigkeitsberichten 2015 beider Behörden: Die BA schloss mit der Ordre des avocats des Kantons Genf eine Vereinbarung über gewisse Verfahrensabläufe ab und traf im Rahmen des Verfahrens Absprachen. Die AB-BA intervenierte mit dem Argument, neben der Strafprozessordnung oder anderen gesetzlichen Grundlagen für das Strafverfahren gebe es keinen Raum für separate
Vereinbarungen mit einzelnen Anwaltsverbänden. Der Präsident der AB-BA erklärte gegenüber den Subkommissionen: «Wir konnten diese Kontroverse nicht bereinigen, aber unser Standpunkt war ganz klar. Diese Geschichte ist es uns aber nicht wert, einen Machtkampf über das Weisungsrecht der Aufsichtsbehörde aufzunehmen. Die beiden Tätigkeitsberichte zeigen unsere kritische Bemerkung und die Haltung der BA auf. Über diese Frage kann man wirklich in guten Treuen unterschiedlicher Meinung sein, und sie hat auch nicht weltbewegende Konsequenzen.»70

68 69 70

Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 6 (nicht öffentlich) Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 14 (nicht öffentlich) Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 14 (nicht öffentlich)

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Äusserungen von Seiten des Bundesanwalts An der Sitzung vom 11. April 2016 befragten die Subkommissionen den Bundesanwalt unter Ausschluss der Mitglieder der AB-BA zur Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde. Der Bundesanwalt äusserte sich wie folgt: «Das Verhältnis zur AB-BA war unter dem vorherigen Präsidenten, Bundesrichter Hansjörg Seiler, und unter dem jetzigen Präsidenten, Bundesrichter Niklaus Oberholzer, immer gut. Man spürt, dass sämtliche sieben Mitglieder der AB-BA voneinander unabhängig sind und dass ein Präsident die Aufsichtstätigkeit sehr stark prägt: Herr Seiler baute die Aufsicht auf, prägte sie und führte sie sehr stark, auch weil er sich als Bundesrichter bewusst war, dass einige seiner Kollegen fanden, die AB-BA sei extrakonstitutionell, gehe an der Verfassung vorbei, und man brauche sie nicht. Ich spürte damals sehr viel Sensibilität: Die AB-BA wie die BA sind dafür verantwortlich, dass das vom Parlament entschiedene Vorgehen funktioniert. Wir sind aber gleichzeitig beide darauf angewiesen, dass wir unsere Rollen immer wieder neu diskutieren und austarieren. Das hat unter Herrn Seiler gut funktioniert, und das funktioniert unter Herrn Oberholzer als Strafrechtler ebenso gut. Er bringt andere Schwergewichte ein, aber es besteht absolut keine Differenz.» Zur Wahrung der Unabhängigkeit der BA sagte der Bundesanwalt, er habe nie das Gefühl gehabt, dass die Aufsichtsbehörde in die operative Tätigkeit der BA dreinreden wollte.

Zur allgemeinen Zusammenarbeit und zum Umgang mit Differenzen äusserte der Bundesanwalt, die AB-BA mache ihre Arbeit gut. Er gehe mit der Transparenz sehr weit und informiere über wichtige Fälle immer und sehr offen, ohne das Untersuchungsgeheimnis zu ritzen, und er tue das auch bei Themen, die dem Amtsgeheimnis unterliegen, zumal diesem ja beide Gremien unterstehen. Das sei auch deshalb wichtig, damit die AB-BA letztlich eine auf das System bezogene Einschätzung der Arbeit der BA machen könne. «Was will sie denn sonst tun? Den sieben Mitgliedern der AB-BA stehen 220 Personen der BA gegenüber, welche jeden Tag nichts Anderes tun, als in der Strafverfolgung tätig zu sein. Trotz Inspektionen wäre die AB-BA chancenlos, wenn sie nicht ein Grundvertrauen hätte, dass offen und vertrauensvoll kommuniziert wird, so dass sie weiss, wer was macht. Wir halten das mit
den Informationen über die Fälle und mit den rechtlichen Ansichten so, lassen uns aber auch nicht behindern, wie der Code of Conduct mit dem Genfer Anwaltsverband zeigt.

Wir fragen auch nicht in vorauseilendem Gehorsam, ob wir das dürften oder nicht.

Wenn ich überzeugt bin, dass etwas richtig ist, handle ich im Rahmen meiner Organisationshoheit, bei der Verfahrensführung oder mit Personalentscheiden.» Zur Organisationsautonomie und zur Personalkompetenz sagte der Bundesanwalt: «Ich verhehle nicht, dass sich einzelne Mitarbeitende der BA im Zusammenhang mit den neuen Organisationsstrukturen bei der letzten Inspektion direkt an die AB-BA wandten. Ich sage immer, das sei ein gutes Zeichen: Es zeigt, dass wir keine Angstkultur haben und dass die Leute reden können. Mich stört das nicht, und die AB-BA hat sich diesbezüglich auch nie eingemischt, sondern einfach zugehört. Wir haben die AB-BA auch immer von uns aus über die wichtigsten Schritte informiert und ihr

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bei grundsätzlichen Fragestellungen (IT, Strategie, Organisation) an den Aufsichtssitzungen alle Unterlagen abgegeben, alles erklärt und mit ihr darüber diskutiert.»71 Im Jahr 2019 änderte sich das Zusammenarbeitsverhältnis zwischen dem Bundesanwalt und der Aufsichtsbehörde markant. Dieses und die Hintergründe dazu sind Gegenstand von Kap. 3.1 dieses Berichts.

3

Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht

In diesem Kapitel werden die Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen ABBA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht anhand der im Herbst 2019 erhobenen Daten dargestellt (Anhörungen durch die Subkommissionen im Oktober 2019, Fragenkataloge; vgl. Kap. 1.4).

3.1

Kontroverse Darstellungen bezüglich diverser Aufsichtselemente (Momentaufnahme im Herbst 2019)

3.1.1

Gab es einen «Paradigmenwechsel» mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten der AB-BA per 2019?

Laut Bundesanwalt Michael Lauber gibt es unter dem neuen Präsidenten eine völlig neue Idee, wie man die Aufsicht gestalten wolle. Für die BA sei oft nicht klar, was die AB-BA wolle und welche Themen sie bearbeite. Es werde eher generell und oberflächlich gearbeitet. Die BA vermisse insbesondere den Dialog. Er frage sich insbesondere, welches das Aufsichtsverständnis der AB-BA unter dem neuen Präsidenten sei. Die AB-BA entscheide vorschnell, ohne die rechtlichen Grundlagen zu klären, und gebe keine Feedbacks.72 Laut dem Präsidenten der AB-BA, Hanspeter Uster, ist es nicht eigentlich zu einer Veränderung der Aufsicht gekommen. Es werde von einem Paradigmenwechsel gesprochen, aber das sei ein zu starkes Wort. Er, Uster, habe wohl eher ein klassisches Aufsichtsverständnis, das in seiner Tätigkeit in Verwaltungsräten und früher in der Exekutive begründet sei. Dagegen habe sein Vorgänger eher ein coachendes Verständnis der Aufsicht gehabt.73 Generell wurde vom Bundesanwalt die Fachkompetenz der AB-BA in Frage gestellt: «Fragen Sie meine Mitarbeiter, welchen Eindruck sie von der Fachkompetenz der AB-BA haben. Es tut mir leid, aber sie ist nicht vorhanden. Die Fragen werden

71 72 73

Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA vom 11. April 2016 S. 35 ­ 36 (nicht öffentlich) Protokoll der Subkommissionen Gerichte/BA-N/S vom 16./17.10.2019 (im Folgenden: Protokoll) S. 4 ­ 5 Protokoll S. 21

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nicht als richtig oder sachdienlich angesehen, es gibt keine Feedbacks mehr, am Anfang war das noch anders».74 Zum Vorwurf der fehlenden Fachkompetenz sagte der Präsident der AB-BA, das könne er nicht kommentieren. Andere AB-BA-Mitglieder reagierten auf den Vorwurf unaufgeregt und fast etwas belustigt. So meinte Rolf Grädel (ehem. Generalstaatsanwalt des Kantons Bern): «Wenn man uns die Fachkompetenz generell abspricht, geht das wahrscheinlich ein bisschen weit. Ich gehe davon aus, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung der gesetzlichen Grundlage für die Zusammensetzung der AB-BA überlegt hat, möglichst viel Fachwissen einzubringen. [...] Natürlich habe ich nie einen Terrorismusfall geführt, aber ich rieche auch, wenn ein Ei stinkt, obschon ich nie ein Ei gelegt habe. Nach 35 Jahren Strafjustiz habe ich den Eindruck, dass ich sehe, wo die Probleme liegen und wo man die Schwerpunkte suchen muss».75 Insbesondere kritisierte der Bundesanwalt das fehlende Feedback zur Inspektion Generalsekretariat BA von 2018, zu dem kein Bericht und keine Stellungnahme vorliege. Der Generalsekretär der BA führte diese Kritik weiter aus und sagte, es habe nur eine nicht angemessene, durch den Präsidenten stellvertretend erfolgte mündliche Beurteilung des Resultats im Rahmen eines Jahresanlasses gegeben, wobei sich auf Nachfrage zeigte, dass der Vorgänger des aktuellen Präsidenten und nicht dieser gemeint war.76 Der Präsident der AB-BA sagte, zum fehlenden Bericht zur Inspektion Generalsekretariat BA könne er die Kritik nachvollziehen. «Wir haben 2018 das Generalsekretariat inspiziert; wir investierten viel Zeit und haben es aus Ressourcengründen nicht geschafft, die Inspektion wirklich in einen Bericht zu giessen. Das ist eine grosse Aufgabe, die wir dieses Jahr schlicht nicht machen konnten. Diese Kritik des Bundesanwalts akzeptiere ich voll».77 Sämtliche Mitglieder der AB-BA stimmten darin überein, dass wegen des laufenden Disziplinarverfahrens gegen den Bundesanwalt in diesem Jahr die Aufsichtstätigkeit stark beschränkt worden sei. Ebenso einhellig wiesen sie auf die starke Unterdotierung ihres Sekretariats hin, welches bis im Mai 2019 über 0.8 wissenschaftliche Mitarbeiterstelle und seither über 1.4 Stellen verfügt (im Budget 2020 bewilligte das Parlament auf Antrag der AB-BA zwei zusätzliche Stellen von
je 80 ­ 100 Prozent).

Im Weiteren wurde vom Bundesanwalt, vom Generalsekretär und vom Informationschef der BA die Qualität der Aufsichtsprotokolle der AB-BA kritisiert.78 Mit dieser Kritik konfrontiert sagte AB-BA-Mitglied Jörg Zumstein, die Protokolle seien sehr ausführlich und würden das wiedergeben, was er in den Sitzungen wahrnehme.

Soweit sich Dritte an der Qualität der Protokolle stören sollten, was er nicht beurteilen könne, sei es so, dass die Protokolle jeweils rechtzeitig zur Durchsicht verfügbar

74 75 76 77 78

Protokoll S. 9 Protokoll S. 91 ­ 92 Protokoll S. 44 Protokoll S. 22 Protokoll S. 3 ­ 5, 44, 56

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seien und zur Diskussion gestellt würden. Jedermann könne sich dazu äussern, ob sie dem Wahrgenommenen entsprechen würden oder nicht.79 Ruedi Montanari, stellvertretender Bundesanwalt, kritisierte den Sekretär der ABBA im Zusammenhang mit dem Aufsichtsverständnis des Präsidenten und seines Sekretärs, die sozusagen als Einheit zu betrachten seien. Er empfahl den Subkommissionen, den Generalsekretär BA zu fragen, wie sich der Sekretär zuweilen den Mitarbeitenden gegenüber äussere. Das sei zum Teil erschreckend bzw. entlarvend.80 Der Generalsekretär BA seinerseits sagte, das Verhalten des Sekretärs ABBA sei definitiv respektlos, und seine Äusserungen seien unangebracht. Er wisse das nicht direkt, weil dies ihm gegenüber nicht geschehen sei, sondern gegenüber von ihm direkt geführten Mitarbeitenden im Rahmen der Inspektion oder der Zusammenarbeit.81 Auf Kontakte mit dem Sekretär AB-BA angesprochen, sagte der Informationschef BA, die Beziehung zu ihm sei sehr schwierig. Er sei vom Sekretär AB-BA zweimal zum Treffen zwischen dem Welt-Fussballverband und dem Bundesanwalt auf Führungsebene befragt worden. Einmal sei er gefragt worden, ob er unter Amnesie leide.82 Im korrigierten und unterzeichneten Protokollauszug der Subkommissionen fügte der Informationschef Korrekturen ein, aus denen hervorgeht, dass die Anhörungen vom Sekretär AB-BA protokolliert wurden und es der AB-BA-Präsident war, der gefragt hatte, ob er unter Amnesie leide.

Dagegen wurde der AB-BA-Sekretär von AB-BA-Mitglied Jörg Zumstein ausdrücklich gelobt und als kompetent und engagiert beurteilt; er leiste Überdurchschnittliches.83 Auf Vorhalt der Vorwürfe seitens der BA-Vertreter sagte Zumstein, er habe den Sekretär AB-BA an zwei Aufsichtssitzungen im August und im Oktober in der direkten Begegnung mit Mitarbeitenden der BA erlebt und habe keine solche Wahrnehmung gemacht, im Gegenteil. Er habe die Begegnung als eher unbelastet erlebt.

Er wisse auch nichts von anderen Ereignissen, ebenso hätte er nichts Derartiges gehört.84

3.1.2

Veränderung des Aufsichtsverständnisses der AB-BA in der Wahrnehmung des Bundesanwalts

Als Beispiele für das veränderte Aufsichtsverständnis der AB-BA nannte der Bundesanwalt den Entwurf einer Empfehlung für ein Audit, eine Vermischung der Aufsichtstätigkeit mit dem Disziplinarfahren sowie die Handhabung des parlamentarischen Vorstosses Jositsch85 (siehe zu den drei Punkten im Einzelnen nachstehend).

Eine Weiterführung der gemeinsamen Konsolidierung des Aufsichtsverständnisses

79 80 81 82 83 84 85

Protokoll S. 68 Protokoll S. 32 Protokoll S. 50 Protokoll S. 55 Protokoll S. 68 Protokoll S. 69 Protokoll S. 4

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finde nicht statt. Inputs der BA würden vermehrt als Einmischung bzw. Beeinflussungsversuch wahrgenommen.86

3.1.2.1

Entwurf einer Empfehlung betreffend ein Audit

Als Beispiel für ein verändertes Aufsichtsverständnis wertete der Bundesanwalt den Versuch der AB-BA, eine Empfehlung für ein Audit zu erlassen. Als die AB-BA 2018 die Inspektion des Generalsekretariats BA abgeschlossen habe, habe sie eine generelle Aussage von ihm (Lauber) aus dem Zusammenhang gerissen und daraus geschlossen, bei der BA gebe es «gravierende» Mängel in einem organisatorischen Bereich; es brauche ein Audit. Der Bundesanwalt kritisierte, damit sei die Bewertung schon vorab erfolgt. Das gehe nicht. Er habe entgegnet, die BA sehe bereits ein solches Audit für den Herbst 2019 vor. Er wisse bis heute nicht, ob die AB-BA jetzt trotzdem an dieser Empfehlung festhalte oder ob das einfach im Sand verlaufen sei.

Auf Vorhalt des Präsidenten der Subkommission der GPK-S, laut Aufsichtsprotokoll der AB-BA vom 28. Januar 2019 habe der Präsident AB-BA gesagt: «Der in der schriftlichen Stellungnahme der BA aufgeführte Link G1 ist nachvollziehbar. Damit kann die AB-BA vorläufig auf die Formulierung einer Empfehlung verzichten.», sagte der Bundesanwalt, das stehe zwar so im Protokoll, aber für ihn stimme die ganze Methodik nicht. Es geht um eine sehr zentrale Frage. Das gehe für ihn nicht.

Der Bundesanwalt insistierte weiter, man wisse nicht, wie es mit der Empfehlung weitergehe. Man habe die AB-BA eingeladen, an dem von der BA durchgeführten Audit teilzunehmen; das habe die AB-BA aber nicht getan.87 Der Präsident AB-BA erklärte zum Empfehlungsentwurf zum Audit, Ende Januar 2019 sei das Audit tatsächlich ein Thema gewesen. Das sei ein Empfehlungsentwurf gewesen, der noch unter dem früheren Präsidenten der AB-BA entwickelt worden sei und den die AB-BA dann dem Bundesanwalt zur Stellungnahme zugestellt habe.

An der Sitzung im Januar 2019, an der sein Vorgänger nicht mehr dabei war, habe es eine Diskussion über das von der AB-BA empfohlene Audit gegeben. Die AB-BA habe tatsächlich den Begriff «gravierend» verwendet; das sei noch eine Formulierung von seinem Vorgänger gewesen. Seither sei das Thema Audit aus Zeitgründen von der AB-BA nicht weiterbearbeitet worden.

3.1.2.2

Stellungnahmen der BA bzw. der AB-BA zum Postulat Jositsch (19.3570)

Der Bundesanwalt nannte die Stellungnahme der AB-BA zum Postulat Jositsch88 als Beispiel für das veränderte Aufsichtsverständnis der AB-BA. Die BA habe die Stellungnahme für die AB-BA vorbereitet. Dann habe die BA bemerkt, dass später etwas total Anderes in der Stellungnahme stand. Nach Rücksprache habe er erfah86 87 88

Fragenkatalog Lauber, S. 2 Protokoll S. 5 Po 19.3570 Jositsch vom 11.6.2019. Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft

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ren, dass die AB-BA im Juni entschieden habe, ihr bisheriges Vorgehen abzuändern und nach dem Entwurf der BA frei über die Stellungnahme zu entscheiden. Das habe er nicht gewusst. Das gehe von der Methodik her nicht. Das sei für die BA nicht berechenbar.

Insbesondere kritisierte der Bundesanwalt, dass die AB-BA in der Stellungnahme schrieb, es brauche eine wissenschaftliche Abklärung der Frage, ob die BA die richtigen Kompetenzen habe. Wenn die vom Parlament als Fachbehörde eingesetzte AB-BA vor dem Hintergrund von acht Tätigkeitsberichten keine eigene Aussage zur Frage, ob sich die geltende Regelung der Bundesgerichtsbarkeit bewährt habe, machen könne, sondern hierfür externe Experten beiziehen müsse, dann sei das eine Bankrotterklärung.89 Weiter störte sich der Bundesanwalt daran, dass die AB-BA in ihrer Antwort zum Postulat vermerkte, dass die BA im Gegensatz zur AB-BA das Postulat zur Ablehnung empfehle, ohne aber die Begründung der BA anzugeben. Das laufe der Erwartung des Parlaments nach konsolidierten Antworten bzw. Anträgen zuwider und sei unprofessionell.90 Laut dem stellvertretenden Bundesanwalt Jacques Rayroud hat die BA ein grosses Vertrauensproblem wegen der Antwort der AB-BA auf das Postulat Jositsch; diese laufe total der Grundhaltung der BA zuwider.

Dagegen äusserten sich mehrere Mitglieder der AB-BA offen für das Postulat Jositsch und begründeten, weshalb die AB-BA zum Schluss gekommen sei, dem Prüfungsauftrag des Postulats zuzustimmen.

Nach dem Parlamentsgesetz richten sich Postulate an die AB-BA, wenn sie sich auf die Geschäftsführung oder den Finanzhaushalt der Bundesanwaltschaft oder ihrer Aufsichtsbehörde beziehen (Art. 118 Abs. 4bis ParlG). Es liegt somit grundsätzlich im Kompetenzbereich der AB-BA, dem zuständigen Rat Antrag auf Annahme oder Ablehnung zu stellen.

3.1.2.3

Kritik am Disziplinarverfahren sowie an dessen Einleitung und Durchführung

Der Bundesanwalt warf der AB-BA vor, sie vermische ihre Aufsichtstätigkeit mit dem Disziplinarverfahren. Seiner Meinung nach gehe es nicht, dass Akten aus hängigen Verfahren im Rahmen des Disziplinarverfahrens verlangt würden. Der Entscheid der AB-BA werde an das Gericht weitergezogen. Folglich würden Informationen darüber vor Bundesgericht kommen, wann die BA wen einvernehmen wolle. Das gehe doch nicht.91 Wegen des dritten Treffens habe er nun ein Disziplinarverfahren am Hals, obwohl das Bundesstrafgericht in seinem Entscheid «Gauss» (BB.2019.108, S. 6, Kap. 3.2) gesagt habe, es sei unerheblich, ob es zwei oder drei Treffen gegeben habe. Im 89 90 91

Protokoll S. 6; Stellungnahme BA zur Konsultation vom 15.6.2020 Fragenkatalog Lauber S. 4 Protokoll S. 5 ­ 6

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Übrigen äusserte der Bundesanwalt die Ansicht, die Empfehlung betreffend Protokollierung von informellen Treffen (welche noch unter dem früheren Präsidenten AB-BA entstand) greife in die Strafverfahren ein.92 Zur Vorladung der Assistentin des BA zu einer Anhörung ausgerechnet an seinem Wiederwahltag, dem 25. September 2019, gab der Bundesanwalt zu Protokoll: «Es ist schlichtweg anmassend und eine Frechheit. Was soll das?»93. Der Sekretär der AB-BA erklärte dazu, das sei ein Irrtum zwischen ihm und dem mit der Instruktion betrauten AB-BA-Mitglied gewesen. Man habe das aber gesehen und dem Antrag der Assistentin des BA auf Verschiebung stattgegeben.

Zum Disziplinarverfahren selbst erklärte der Bundesanwalt: «Ich bin weiterhin erschüttert, dass man mir nicht im Ansatz Glauben schenkt. [...] Das Disziplinarverfahren ist einfach ein Blödsinn, das vergiftet die Atmosphäre, das muss man abklemmen».94 Bezüglich Anwaltskosten, die ihm im Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren entstehen würden, verlangte der Bundesanwalt eine Regelung des Gesetzgebers zur Übernahme von solchen Inkonvenienzkosten. Er sei erst dann bereit, den Anwalt zu bezahlen, wenn es einen Entscheid des Parlaments gebe. Er wisse ja immer noch nicht, was man ihm vorwerfe. Das Disziplinarverfahren sei noch nicht abgeschlossen, und die AB-BA schulde ihm 3000 Franken wegen des Urteils des BVGer vom 29.7.2019.95

3.1.3

Schreiben der BA vom 30. März 2017 an die AB-BA mit Vorschlägen zur Aufsicht

Mit Schreiben vom 30. März 2017 hatte der Bundesanwalt Vorschläge an die ABBA zur Verbesserung der Aufsicht gerichtet. Betreffend dieses Schreiben führte der Bundesanwalt gegenüber den Subkommissionen aus, er habe nie etwas gehört, weder mündlich noch schriftlich. Er habe aber vom damaligen AB-BA-Präsidenten gehört, das sei nicht gerade gut angekommen; einige Mitglieder hätten das Schreiben als Einmischung betrachtet. Der Bundesanwalt hatte das Papier bereits im Mai 2019 gegenüber den GPK erwähnt und kritisiert, nie eine Antwort erhalten zu haben.

Von AB-BA-Mitglied Rolf Grädel war zu erfahren, dass dieses Schreiben eigentlich das Resultat einer Besprechung zwischen ihm und dem Bundesanwalt von Anfang 2017 war. Der Bundesanwalt habe mit ihm über sein Aufsichtsverständnis sprechen wollen. Er habe ihm das bernische Aufsichtsmodell erklärt und gesagt, was er als sinnvoll erachte. Das habe der Bundesanwalt dann in diesem Schreiben mehr oder weniger aufgenommen und als Wunsch an die AB-BA eingereicht. Das sei nicht überall gut angekommen. Deshalb sei auch keine Antwort gegeben worden. Immerhin sei es teilweise umgesetzt worden.96 92 93 94 95 96

Protokoll S. 9 Protokoll S. 14 Protokoll S. 15 Protokoll S. 15 Protokoll S. 90

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Im Zusammenhang mit dem Schreiben der BA sagte der Präsident der AB-BA, man habe für 2019 erstmals ein Jahresprogramm erstellt, womit man einem Anliegen aus dem Schreiben des BA von 2017 nachgekommen sei. Auch habe man früher sog.

Querschnittsinspektionen gemacht, aber kein eigentliches Inspektionskonzept gehabt, was das Schreiben der BA zu Recht moniert habe. Das wolle man jetzt ändern.

Man habe zu praktisch allen Punkten aus dem Schreiben eine Stellungnahme gemacht. Die meisten Punkte seien seither erfüllt.97 Laut Isabelle Augsburger, der Vizepräsidentin der AB-BA, wurden die Vorschläge, die der Bundesanwalt in seinem Schreiben von 2017 formuliert hatte, von den Mitgliedern der AB-BA damals eher zurückhaltend aufgenommen. Allgemein habe die Ansicht bestanden, dass es nicht am Beaufsichtigten sei, der Aufsichtsbehörde zu erklären, wie sie ihre Arbeit zu machen habe.98 AB-BA-Mitglied Alexia Heine sagte gegenüber den Subkommissionen, sie kenne das Papier und könne - auch mit Blick auf die ihr schriftlich gestellte Frage zur Einigung zwischen BA und AB-BA im Bereich der Aufsichtstätigkeit - nur eines sagen: Sie verstehe das Wort «Aufsicht» eigentlich anders, d. h. es sei an der ABBA zu definieren, wie die Aufsicht aussieht, bzw. am Gesetzgeber, wie er die Aufsicht definiere, aber mit Sicherheit nicht an der beaufsichtigten Behörde. Sie könne das gar nicht nachvollziehen.99

3.1.4

Gutachten von Prof. Felix Uhlmann zum Rechtscharakter und den aufsichtsrechtlichen Kompetenzen der AB-BA vom 30. Mai 2018

Gemäss Aussage des Bundesanwalts hat die AB-BA der BA das Gutachten zugestellt. Die BA wisse aber nicht, wie die AB-BA es beurteile und ob sie eine konsolidierte Meinung dazu habe; die AB-BA habe nie mit der BA darüber diskutiert.

Nach Auskunft des Präsidenten AB-BA befasste sich die AB-BA im Rahmen einer Retraite im Sommer 2018 mit dem Gutachten in Anwesenheit von Prof. Uhlmann.

Die AB-BA wolle die Ergebnisse in die Überarbeitung ihres Aufsichtskonzeptes von 2011 einfliessen lassen. Die Vorbereitungen für eine Überarbeitung des Konzepts seien Anfang 2019 angelaufen. Die AB-BA stehe immer noch in Kontakt mit Prof.

Uhlmann, weil noch nicht alle Fragen geklärt seien. Jedoch habe man die Arbeiten in diesem Jahr wegen den aktuellen Aufgaben nicht im gewünschten Mass weiterführen können.100

97 98 99 100

Protokoll S. 19, 21, 29 Protokoll S. 62 Protokoll S. 76 Protokoll S. 19

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3.1.5

Personalkompetenz des Bundesanwalts, AB-BA als «Arbeitgeber»

Der Bundesanwalt führt aus, bezüglich der personalrechtlichen Kompetenzen gebe es einen «fundamentalen Wechsel». Die AB-BA verstehe sich nun als Arbeitgeber des Bundesanwalts und dessen Stellvertreter.101 Als Beweis dafür verwies er auf den Entscheid des BVGer vom 29. Juli 2019 (Punkt 2.2 und 4). Das BVGer habe der BA in diesem Punkt klar Recht gegeben und gesagt, das Bundespersonalrecht sei beim Bundesanwalt nicht anwendbar. «Es wird entschieden und befohlen, ich bin der Arbeitnehmer. Lesen Sie, wie die Positionierung der AB-BA zur Frage Arbeitgeber/Arbeitnehmer ist. Das ist total quer, so etwas habe ich noch nie gehört. Das ist das Verständnis, das geht einfach nicht».102 Sinngemäss dieselben Aussagen machte der stellvertretende BA Ruedi Montanari, jedoch mit noch deutlicherer Wortwahl: «In der Zeit nach 2018 kam es zu einem Umbruch, es ist, als sei das Gesetz geändert und eine neue Aufsicht definiert worden. Aber das ist nicht der Fall. Plötzlich sehen sich der Präsident und der Sekretär der Aufsichtsbehörde als Chefs der BA. Ich habe es schriftlich, ich werde das auch deponieren: Sie sehen sich als Arbeitgeber, wir sind das Personal. Damit ist er (gemeint ist der Präsident AB-BA) Chef der BA».103 Als schriftliche Belege für seine Aussage reichte er mit seinem Fragenkatalog den bereits vom Bundesanwalt zitierten Entscheid des BVGer, Kap. 2.2, sowie einen Auszug aus dem Voranschlag 2020 der AB-BA ein, wo es unter den strategischen Schwerpunkten heisst: «Laufende Beaufsichtigung der BA, insbesondere der systematischen Aspekte ihrer Tätigkeit» (Im Voranschlag 2019 hatte es dagegen geheissen: «Laufende Beaufsichtigung der systemischen Aspekte der Tätigkeit der BA»).

Der Bundesanwalt räumte aber ein, bis jetzt habe sich die AB-BA nie in einzelne personelle Entscheide oder in die Personalpolitik eingemischt. Er habe es allerdings nicht richtig gefunden, dass in der Aufbauphase Stimmungsbilder unter dem Personal in den Tätigkeitsberichten der AB-BA aufgezeigt wurden. Dies gebe kein Gesamtbild der BA wieder.104 Dagegen führte der Präsident AB-BA aus, die Aufsichtsbehörde sei nicht die vorgesetzte Behörde der BA, sondern die Aufsichtsbehörde. Es sei «sonnenklar», dass Herr Lauber keinen direkten Vorgesetzten habe. Das bedeute, dass die AB-BA in (personalrechtliche) Einzelfälle nicht eingreifen könne und dürfe.105

3.1.6

Gründe für das Zerwürfnis zwischen AB-BA und BA

Der Bundesanwalt selbst bezeichnete das Disziplinarverfahren als Hauptgrund für die Zerrüttung zwischen ihm und der AB-BA: «Warum ist es in den letzten Monaten zu diesem Schlamassel gekommen? Weil die Aufsicht öffentlich gemacht hat, dass 101 102 103 104 105

Protokoll S. 7, 10 Protokoll S. 14 Protokoll S. 32 Protokoll S. 7 Protokoll S. 25

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sie ein Disziplinarverfahren durchführen will. Das habe ich aus der Presse erfahren.

Ich weiss bis heute nicht, was man mir vorwirft».106 Der Bundesanwalt sprach damit den Umstand an, dass er aufgrund einer Medienanfrage vom 17. April 2019 (gemäss seinen Angaben um 15.35 Uhr) erfahren habe, dass die Vorabklärungen der AB-BA zum Zweck hatten zu prüfen, ob gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden soll. Ein Journalist der Süddeutschen Zeitung (SZ) hatte sich beim Leiter des Sekretariates der AB-BA unter Verweis auf das in der Einstellungsverfügung des ausserordentlichen Staatsanwalts des Kantons Wallis, Damian Graf, erwähnte dritte Treffen erkundigt, ob und seit wann die ABBA Kenntnis von diesem dritten Treffen hatte, wie sie auf das Verschweigen desselben durch die BA reagiere und was sie zum Vorwurf der Befangenheit sage. Die Einstellungsverfügung Graf zur Srafuntersuchung gegen Rinaldo Arnold wurde am 10. April 2019 publik, was zu zahlreichen Medienberichten über das «dritte Treffen» führte. Am 17. April 2019 (11.37 Uhr) antwortete der Leiter des Sekretariats namens der AB-BA dem Journalisten per Mail, die AB-BA führe seit Mitte März Vorabklärungen durch, ob allfällige Gründe vorliegen, welche die Eröffnung einer Disziplinaruntersuchung gegen den Bundesanwalt rechtfertigen würden, deren Ausgang offen sei; bis zum Abschluss derselben kommuniziere sie in dieser Sache nicht.

Dass die AB-BA seit Mitte März über das dritte Treffen informiert war und sie Vorabklärungen zu den Fragen rund um das angebliche dritte Treffen vornahm, war dem Bundesanwalt bekannt. Der ausdrückliche Hinweis, dass damit auch geprüft werde, ob es Gründe für ein Disziplinarverfahren gebe, wurde so bis anhin nicht explizit erwähnt; diese Möglichkeit ergibt sich aber grundsätzlich aus Artikel 16 ­ 17 der Organisationsverordnung AB-BA107.

Später am gleichen Tag, um 16.18 Uhr, hatte der Präsident der AB-BA dem Bundesanwalt per E-Mail ein Schreiben der AB-BA zugeschickt, worin es hiess: «Abweichend vom Beschluss vom 25.3.2019 nimmt die AB-BA die zusätzlichen Untersuchungen zur Vorabklärung selbst vor, danach wird sie prüfen, ob ggf. ein Disziplinarverfahren einzuleiten ist.» Das Schreiben der AB-BA war bei ihm ein paar Tage liegen geblieben, bevor er es abschickte. Die SZ publizierte den Artikel online am 17. April 2020
um 19.11 Uhr. Der Präsident AB-BA legte dieses Vorkommnis im Mai 2019 gegenüber den Subkommissionen von sich aus offen und bezeichnete es als Fehler, der ihm unterlaufen sei, und entschuldigte sich an einer Anhörung durch beide GPK für diese Informationspanne.108 Das Disziplinarverfahren gegen den Bundesanwalt wurde am 9. Mai 2019 eröffnet; das entsprechende Schreiben wurde um 16.45 Uhr gegen Quittung übergeben. Die Medienmitteilung der AB-BA datiert vom 10. Mai 2019 mit Sperrfrist 15 Uhr. Der Bundesanwalt hielt von ca. 16 bis 17 Uhr dazu eine Medienkonferenz ab, an der er die Aufsichtsbehörde und insbesondere deren Präsidenten angriff. Er bezeichnete es als Anmassung, dass die AB-BA nicht einmal in Betracht ziehe, dass er die Wahr-

106 107 108

Protokoll S. 8 SR 173.712.24 Protokoll vom 10.5.2019, S. 14; Protokoll der GPK-N/S vom 13.5.2019, S. 18; Unterlagen des Präsidenten AB-BA vom 13.2.2020

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heit sagen könnte. Die eröffnete Disziplinaruntersuchung sei ein Frontalangriff gegen seine Person und ein Eingriff in die Unabhängigkeit der BA.109 Der Präsident AB-BA äusserte gegenüber den Subkommissionen ebenfalls die Ansicht, dass das laufende Disziplinarverfahren zur Abkühlung des vorher guten und konstruktiven Verhältnisses zwischen ihnen geführt habe. Er glaube aber nicht, dass dieses für die normale Aufsichtstätigkeit ein Problem sei. Insbesondere wies er auf die gut verlaufende letzte Aufsichtssitzung vom 14. Oktober 2019 hin.110 Im Fragenkatalog schrieb er: «Die Hauptproblematik der aktuellen Spannungen liegt darin, dass die AB-BA auf klare Anzeichen von Amtspflichtverletzungen des Bundesanwalts gestossen ist.» Persönliche Befindlichkeiten spielten dabei keine Rolle.111 Die Vizepräsidentin der AB-BA, Isabelle Augsburger, sagte, die Situation habe sich Ende 2018 mit den Veröffentlichungen von «Football Leaks» verschärft und es habe Diskussionen rund um ein Mitglied der AB-BA gegeben. Damals sei ihr klargeworden, dass der Bundesanwalt jemand sei, der kritische Fragen nur sehr schwer erträgt und sich mit grosser Selbstsicherheit verteidigt.112 Im Fragenkatalog hielt sie fest, dass der Präsident der AB-BA und der Bundesanwalt nicht auf derselben Wellenlänge seien. Vor dem Amtsantritt des aktuellen Präsidenten sei ihr nicht bewusst gewesen, dass es Spannungen zwischen den beiden gab.

Durch das Verfahren gegen den Bundesanwalt habe sich der bestehende Graben noch vergrössert. Das aggressive und nicht immer höfliche Verhalten des Bundesanwalts sowie die eine oder andere unangebrachte Äusserung des Präsidenten der AB-BA habe die Situation auch nicht gerade verbessert. Mit gewissen öffentlichen Aussagen und auch mit seiner Körpersprache mache der Bundesanwalt deutlich, dass er einige Mitglieder der AB-BA geringschätze und der AB-BA das Verfahren gegen ihn übel nehme.113 Der stellvertretende Bundesanwalt Ruedi Montanari hielt im Fragenkatalog fest, das Hauptproblem liege im komplett veränderten Aufsichtsverständnis, das namentlich der aktuelle Präsident und sein Sekretär vertreten würden. Insbesondere das Gespann Präsident/Sekretär der AB-BA habe bei der BA zunehmend den Eindruck hinterlassen, dass sie primär von der Motivation geprägt seien, Fehler im Detail zu suchen und zu finden.114 AB-BA-Mitglied
Rolf Grädel schrieb im Fragenkatalog, die heutigen Spannungen seien vermutlich nicht eindimensional auf die Disziplinaruntersuchung zurückzuführen. Eine persönliche Unverträglichkeit zwischen dem Bundesanwalt und dem jetzigen Präsidenten der AB-BA hätte er in den beiden ersten Jahren nicht festgestellt. Er habe aber den Umgang zwischen den Beiden seit anfangs Jahr als angespannt erlebt. Dazu habe wohl einerseits die Empfehlung bezüglich der Protokollie109 110 111 112 113 114

Pressekonferenz Bundesanwalt Michael Lauber, Play SRF, 10.5.2019, ab. ca. Minute 11:00 Protokoll S. 22, 29 Fragenkatalog Uster S. 27 Protokoll S. 61 Fragenkatalog Augsburger S. 5 Fragenkatalog Montanari, Ziff. 3.2

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rung von Gesprächen, die aber noch unter dem Vorgänger erlassen worden sei, beigetragen. Und anderseits habe sich die AB-BA auch nicht immer mit der wünschenswerten Gelassenheit verhalten. (z. B. Pressekonferenz des neuen Präsidenten im neuen Jahr mit Äusserungen, durch die sich die BA gekränkt gefühlt haben möge; dazu komme noch die Auskunft an die Süddeutsche Zeitung mit dem Hinweis, dass die Einleitung eines Disziplinarverfahrens geprüft werden müsse, ohne dass dies vorher je in der AB-BA oder im Austausch mit dem BA thematisiert worden sei). Die Reaktion des BA habe das gegenseitige Verhältnis dann zusätzlich belastet.115 Laut AB-BA-Mitglied Stefan Heimgartner liegen die Gründe der Spannungen in der Eröffnung des Disziplinarverfahrens sowie in den in diesem Zusammenhang stehende Kommunikationsaktivitäten.116 AB-BA-Mitglied Jörg Zumstein hielt fest: «Das Verhältnis ist aktuell klar von der Disziplinaruntersuchung geprägt. Ich nehme seitens des Präsidenten AB-BA keine Unverträglichkeit gegenüber dem BA wahr; er äussert sich nie wertend oder persönlich. Vorgänge im Zusammenhang mit der Disziplinaruntersuchung (Pressekonferenz des BA vom 19.05.2019 quasi in eigener Sache, Beizug und Verhalten Anwälte Erni/Caputo, Anfechtung Instruktionsverfügung, Presseberichterstattung dazu) bezwecken nach meinem Verständnis, die fachliche Qualifikation der AB-BA in Zweifel zu ziehen.»117 AB-BA-Mitglied Alexia Heine führte aus: «Ich bestätige, dass wir ein Delta haben (zwischen den Darstellungen der AB-BA und der BA), und zwar, weil der Bundesanwalt die AB-BA eigentlich nicht als Aufsichtsbehörde anerkennt. Ich erzähle hier nichts Neues, er hat das in der Presse so kommuniziert. Aufgrund seines Verhaltens schliesse ich auf eine gewisse Verweigerung in punkto Kooperation und wenig Einsicht. [...] Wenn die Aufsichtsbehörde beispielsweise Protokolle von informellen Treffen möchte, sehe ich wenig Einsicht seitens des Bundesanwaltes. Selbst das BStGer hat entschieden, dass aus diesen Treffen eine Befangenheit resultiert. Ich glaube wirklich, dass sich der Bundesanwalt relativ frei bewegt, das als richtig erachtet und deswegen eigentlich keine Aufsicht wünscht. Folglich - und weil wir zu wenig Informationen erhalten und zu wenig Dokumente haben - haken wir vielleicht nicht genügend nach, wenn wir tatsächlich etwas wollen,
und nehmen so unsere Aufsichtsaufgabe nur limitiert wahr. Damit haben wir ein Delta, und Sie haben im Moment eine Aufsichtsbehörde, die ihrem Auftrag meines Erachtens nicht genügend nachkommt.»118

115 116 117 118

Fragenkatalog Grädel, Ziff. 3.2 Fragenkatalog Heimgartner, Ziff. 3.2 Fragenkatalog Zumstein, Ziff. 3.2 Protokoll S. 74

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3.2

Erhebungen zu weiteren Instrumenten der Aufsicht (Momentaufnahme im Herbst 2019)

3.2.1

Aufsichtssitzungen

Aussagen von Seiten der AB-BA Gegenüber den Subkommissionen legte der seit 2019 amtierende Präsident der ABBA dar, die AB-BA habe erkannt, dass ihre Mitglieder, die alle im Nebenamt tätig sind, mehr zeitliche Ressourcen benötigten, um die Aufsichtstätigkeit nicht nur unmittelbar auszuüben, sondern auch zu reflektieren und zu planen. Früher habe die BA einen Grossteil der Traktanden und Unterlagen eingebracht. Die damaligen Ressourcen von 0,6 bis 0,8 Vollzeitäquivalenten im Sekretariat hätten nicht ausgereicht, um all diese mündlich vorgebrachten Informationen in nützlicher Frist systematisch aufzuarbeiten. Entsprechend habe die Gefahr einer «Globalübernahme» gedroht, d. h. dass die AB-BA faktisch ihr Einverständnis erklärte, weil sich die Mitglieder gar nicht vertieft zu den einzelnen Voten der BA äussern konnten.

Noch unter dem Präsidium von Niklaus Oberholzer beschloss die AB-BA, den Sitzungsrhythmus anzupassen und weiterhin monatlich zu tagen, wobei die BA nur noch an jede zweite Sitzung eingeladen wird. Damit sollte die AB-BA mehr Zeit zur Vorbereitung der Themen und zur Reflexion erhalten.

In der Vergangenheit seien seitens der AB-BA-Mitglieder manchmal nur wenige Fragen gestellt worden, was auf der Seite der BA, die einen grossen Aufwand für die Vorbereitung hatte, zu einer gewissen Frustration geführt habe. Das Sekretariat der AB-BA sollte deshalb die Themen der Aufsichtssitzungen vorbereiten und Fragenkataloge erstellen. In der Umsetzung fehlte es der AB-BA aber vor allem an personellen Ressourcen im Sekretariat.

Seit Anfang 2019 verfügt die AB-BA über eine thematische Jahresplanung der Aufsichtssitzungen, das mit dem Bundesanwalt vorgängig besprochen wurde. Die BA muss an den Sitzungen jeweils über die vorgesehenen Themen informieren.

Kurzfristige Anpassungen sind jedoch möglich.

Laut dem AB-BA-Präsidenten versucht die AB-BA generell, die Aufsicht möglichst konsensuell und in Zusammenarbeit mit der beaufsichtigten BA wahrzunehmen.

Deshalb würden die Traktanden der Aufsichtssitzungen rund zwei Wochen vorher zwischen dem Sekretär der AB-BA und der Referentin des Bundesanwalts vorbesprochen. Dabei könne die BA weitere Traktanden eingeben.119 Ende 2018 habe der damalige AB-BA-Präsident die Traktanden der Aufsichtssitzungen jeweils einige Tage zuvor mit dem Bundesanwalt in dessen Büro
und bei einem folgenden gemeinsamen Mittagessen vorbesprochen; davon hätten die anderen AB-BA-Mitglieder keine Kenntnis gehabt. Dies habe seiner Meinung nach nicht den Grundsätzen der Arbeit in einem Kollegialorgan des Bundes entsprochen. Stattdessen werden nun jährlich ca. vier bilaterale Gespräche, meist in Anwesenheit des Sekretärs der AB-BA und der Referentin des Bundesanwalts durchgeführt, über welche die AB-BA-Mitglieder dann informiert werden.120 119 120

Protokoll S. 8, 17, 18, 20 Fragenkatalog Uster S. 6

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Aus der Sicht des AB-BA-Präsidenten haben sich die Aufsichtssitzungen grundsätzlich als Aufsichtsinstrument bewährt. Sie dienten der AB-BA dazu, sich direkt über aufsichtsrechtlich relevante Themen informieren zu lassen. Es gelte aber zu beachten, dass es sich bei den so erhaltenen Informationen nicht um methodisch objektivierte und belastbare Prüfungsergebnisse handle, welche nur durch Einsicht in die Dokumente der BA oder durch Befragung von Mitarbeitenden der BA zu erzielen seien.121 Aussagen von Seiten der BA Aus der Sicht des Bundesanwalts ist es richtig, regelmässig Aufsichtssitzungen durchzuführen. Die Kadenz der Sitzungen spiele für ihn keine Rolle. Wenn ein wichtiges Thema anstehe, könne man das jederzeit besprechen. Das Problem dabei sei die Verfügbarkeit der Mitglieder der AB-BA, was er verstehe, da sie im Milizsystem arbeiteten. Vielleicht sollte man im Sekretariat AB-BA für eine gewisse Professionalisierung sorgen. Aber man müsse nicht eine doppelte BA einführen. Mit einem Referentensystem, Arbeitsgruppen, die wenige Themen richtig abgestimmt bearbeiten, könnte es funktionieren.122 Wichtig sei, dass die AB-BA in ihrer Jahresplanung Themen definiere, mit denen sie sich mit der notwendigen fachlichen Professionalität und Tiefe befassen könne.

Dabei gehe Qualität vor Quantität, und es brauche eine Abgrenzung zu weiteren, ebenfalls mit der BA befassten Aufsichtsinstanzen.123 In den Aufsichtssitzungen bestreite die BA inhaltlich die Themen. Die Mitglieder stellten manchmal mehr, manchmal weniger Fragen. Zumeist erfolge kein Followup.124 In der ersten Phase der Aufsichtstätigkeit der AB-BA (2012 ­ 2015) habe die BA einen überwiegenden, fast ausschliesslichen Beitrag an die Themensetzung geleistet.

In der zweiten Phase (2016 ­ 2019) sei der Beitrag der AB-BA in Absprache mit dem damaligen Präsidenten der AB-BA erfolgt, mit dem die Aufsichtssitzungen vorbereitet wurden. In diesen beiden Phasen, in denen der Aufbau, eine Konsolidierung und eine laufende Bewirtschaftung des Aufsichtsverständnisses stattgefunden habe, seien die Themen angemessen gewesen und professionell behandelt worden.

Zudem seien sie in der Regel nicht zu weit bzw. nicht an den Kernfragen der BA als Behörde vorbeigegangen.

In Bezug auf die dritte Phase (seit 2019) ist laut dem Bundesanwalt positiv zu vermerken, dass ein
Themenplan für das ganze Geschäftsjahr erstellt wird. Negativ sei, dass zu den Themen vorgängig kein Dialog stattfinde und diese einseitig übermittelt würden. Auch schienen die Mitglieder der AB-BA teilweise nicht in der Lage zu sein, sich in die Themen einzuarbeiten. Wenn zwar Themen von der AB-BA definiert werden, eine effektive fachliche Auseinandersetzung mit diesen jedoch nicht

121 122 123 124

Fragenkatalog Uster S. 8 ­ 9 Protokoll S. 9 Fragenkatalog Lauber S. 3 Protokoll S. 12; Fragenkatalog Lauber S. 5

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erfolge, berge dies die Gefahr unrichtiger oder untauglicher Schlussfolgerungen, Entscheide und Empfehlungen.125 Die BA biete den Mitgliedern der AB-BA an den Aufsichtssitzungen regelmässig ausführliche Fallbeschreibungen, z. B. zu den grossen Verfahrenskomplexen. Nachfragen seitens der Mitglieder erfolgten kaum und wenn, dann zumeist sehr oberflächlich. Ähnliches sei auch bei organisatorischen Themen festzustellen. Die ABBA werde von der BA nicht als initiatives Gremium wahrgenommen.126

3.2.2

Inspektionen

Aussagen von Seiten der AB-BA Der Präsident der AB-BA bezeichnet die Inspektionen als sehr wichtiges Instrument der Aufsichtsbehörde. Es habe in der Vergangenheit einige Inspektionen und auch Untersuchungen auf einem tieferen Level gegeben. Mit Querschnittsinspektionen habe die AB-BA zum Beispiel die Abteilungen Wirtschaftskriminalität und Staatsschutz angeschaut. Dabei habe man sich Fälle zeigen lassen und die Fallführenden und ihre Vorgesetzten befragt. Man habe aber kein eigentliches Inspektionskonzept gehabt, was die BA denn in Ihrem Schreiben von 2017 (vgl. Kap. 3.1.3) auch zu Recht moniert habe. Das wolle man jetzt ändern.

Mit den für 2020 zusätzlich gesprochenen Ressourcen für die Protokollführung und die juristische Unterstützung glaubt die AB-BA nun, die Inspektionen so durchführen zu können, wie sie sich das am Anfang vorgestellt habe.127 Inspektionen sollen künftig nicht flächendeckend, sondern vermehrt risikobasiert durchgeführt werden, d. h. man will dort nachschauen, wo es Anhaltspunkte gibt, dass ein Risiko bestehen könnte, zum Beispiel drohende Verjährung.128 Allerdings habe die AB-BA im laufenden Jahr wegen des Disziplinarverfahrens, welches praktisch alle Ressourcen der AB-BA in Anspruch genommen habe, den geplanten Bericht zur Inspektion Generalserkretariat BA nicht erstellen und die Inspektion Coaching & Controlling nicht plangemäss durchführen können.129 Aussagen von Seiten der BA Laut dem Bundesanwalt wünschte die AB-BA in der ersten Phase ihrer Aufsichtstätigkeit (2012 ­ 2015) v. a. Einblick in die Verfahren der BA, um sich mit dem operativen Kerngeschäft vertraut zu machen. Für die zweite Phase (2016 ­ 2019) habe die BA vorgeschlagen, dass sich die AB-BA auch mit nicht verfahrensbezogenen Teilbereichen ihrer operativen Aufgaben befasst. Für das Ende der zweiten Phase (2018) schlug sie eine Inspektion ihres Generalsekretariats (GS) vor, das sie neu aufgebaut hatte. Für den Beginn der dritten Phase, d. h. das laufende Jahr, bestehe die Ankün-

125 126 127 128 129

Fragenkatalog Lauber S. 3, 5 Protokoll S. 9 Protokoll S. 22 Protokoll S. 22 Protokoll S. 22, 78

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digung einer Inspektion zum Thema Coaching & Controlling; es wurden der BA bislang jedoch weder Termine noch konkrete Ideen bzw. Fragestellungen mitgeteilt.

Für den Bundesanwalt sind die Erwartung und der Auftrag der AB-BA im Vorfeld einer Inspektion zu klären, wofür ein gemeinsamer Dialog notwendig sei. Die Vorbereitung der Inspektion könne für die BA sehr aufwendig sein. Für die Inspektion des GS wurden beispielsweise sehr viele Unterlagen vorbereitet und der AB-BA zur Verfügung gestellt. Gehe es um Verfahren der BA, würden grundsätzlich keine Unterlagen aus den Verfahrensdossiers herausgegeben; die Delegation der AB-BA könne bei der BA vor Ort Einblick in die Verfahrensdossiers nehmen, wenn sie dies wünsche. 130 Die Folgegebung nach Inspektionen sei bislang sehr beschränkt gewesen, hält der Bundesanwalt im Fragenkatalog fest. Weisungen im Zuge von Inspektionen habe es bislang keine gegeben. Zu den ordentlichen Inspektionen 2017 und 2018 lägen nach wie vor keine Berichte vor und damit auch kein Follow-up. Mangels Berichten und Schlussfolgerungen der AB-BA habe die BA bisher auch keine Stellungnahme zu den betreffenden Inspektionen abgeben können.

Sinnvollerweise würde sich die AB-BA auf wenige Inspektionen bzw. eine grosse Inspektion pro Jahr beschränken, aber sich mit dem betreffenden Thema fachlich vertieft auseinandersetzen. Dazu gehörten auch ein Feedback und eine Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse. Letzteres müsse verbessert werden. Seit 2017 gebe es kein eigentliches Feedback mehr. Nur auf diese Weise könne die BA aus den für ihre Mitarbeitenden aufwendigen Inspektionen einen praktischen Nutzen ziehen und die Erkenntnisse in die Optimierung ihrer internen Organisation und Abläufe einbeziehen. Da ein wirklicher Diskurs über die «Findings» der AB-BA fehle, hätten die Inspektionen bislang kaum einen Mehrwert für die BA gehabt.131

3.2.3

Weisungen und Empfehlungen

Ende 2019 liess sich die AB-BA über die Umsetzung der Empfehlung betreffend Dokumentationspflicht informeller Treffen informieren. Der Bundesanwalt bestätigte, dass er die Empfehlung für sich ab Empfehlungsdatum sofort umgesetzt habe. Im Geschäftsverwaltungssystem der BA sei eine Vorlage «Treffen mit Verfahrensbeteiligten» geschaffen worden, welche die Vorgaben der Empfehlung enthalte. Eine Weisung habe der Bundesanwalt nicht erlassen, da die Treffen der Verfahrensleitung mit den Verfahrensbeteiligten immer einen Verfahrensbezug hätten und somit gemäss der Strafprozessordnung zu protokollieren seien.

Auf die Frage, wie er die Anwendung des Formulars prüfe, erklärte der Bundesanwalt, dass er keine Weisung im Einzelfall erteilen könne. Dem widersprach die ABBA und hielt in ihrem Tätigkeitsbericht 2019 fest, dass Artikel 13 StBOG festhalte, dass der Bundesanwalt über eine generelle Weisungsbefugnis gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BA verfüge. Explizit seien auch Weisungen des Bundesanwalts im Einzelfall über die Einleitung, die Durchführung oder den 130 131

Fragenkatalog Lauber S. 7 Fragenkatalog Lauber S. 8

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Abschluss eines Verfahrens sowie über die Vertretung der Anklage und die Ergreifung von Rechtsmitteln zulässig. Die AB-BA werde die praktische Umsetzung der Empfehlung im Rahmen ihrer Inspektion des Controlling-Systems der BA prüfen.

Zudem hielt die AB-BA fest: «Die mit der unterlassenen Nichtprotokollierung informeller Treffen verbundene Verletzung des Prozessrechts durch den Bundesanwalt wurde [...] durch die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts abschliessend festgestellt, mit der Folge, dass er in zwei Fällen des FIFAVerfahrenskomplexes in den Ausstand versetzt wurde (BB.2018.190 und BB.2018.197).»132 Aussagen von Seiten der AB-BA In seinem Fragenkatalog zu Händen der Subkommissionen führte der Präsident der AB-BA zum Instrument der Weisung aus, die AB-BA habe nach der Weisung aus dem Jahr 2011 keine mehr eingesetzt, da es seither aus ihrer Sicht nicht nötig gewesen sei. Bei einer Weisung handle es sich um das stärkste Instrument der AB-BA, das erst als letztes Mittel angewendet werden sollte.133 Zu den Empfehlungen schreibt der AB-BA-Präsident, nach Meinung der AB-BA habe der Bundesanwalt mit dem aufsichtsrechtlichen Instrument der Empfehlungen Mühe. Zur Illustration zitiert er eine Aussage des Bundesanwalts an der Aufsichtssitzung vom 28. Januar 2019: «Sie haben eine Empfehlung [zur Protokollierung im November 2018] gemacht, deren Umsetzung unter dem Vorbehalt von Gerichtsentscheiden steht und durch diese gegebenenfalls relativiert oder obsolet werden kann. Zehn, 20, 30 Empfehlungen, damit die AB-BA zeigt, was sie macht, kann es nicht sein. ... Die Qualität der Empfehlungen ist wahrscheinlich entscheidend. [...] Künftig kann es nicht sein, dass man gegenseitig nicht dasselbe Verständnis hat, was im Protokoll [der Befragungen durch die AB-BA] steht.» Es seien weder zehn, 20, oder 30 Empfehlungen geplant, noch könne die Rechtmässigkeit der Protokollierungspflicht bei Treffen mit in Verfahren involvierten Parteien bestritten werden. Die AB-BA habe während sieben Jahren ihres Bestehens zwei Empfehlungen ­ beide im Jahr 2018 ­ sowie im Jahr 2011 eine allgemein gehaltene Weisung bezüglich des Reportings der BA formuliert. Generell falle es dem Bundesanwalt schwer, die gesetzliche Rolle einer Aufsichtsbehörde zu akzeptieren, die über eine blosse Begleitung bzw. ein Coaching
im Sinne eines Sounding Boards hinausgehe. Dies würden seine öffentlichen Äusserungen an der Medienkonferenz vom 10. Mai 2019, einen Tag nach Eröffnung des ihn betreffenden Disziplinarverfahrens sowie sein Verhalten innerhalb des Disziplinarverfahrens unterstreichen. Mit seinem Vorwurf der fehlenden Kompetenz der AB-BA-Mitglieder hinterfrage er die Legitimation der AB-BA als demokratisch gewähltes Aufsichtsorgan über die BA.134 Aussagen von Seiten der BA Der Bundesanwalt sagte gegenüber den Subkommissionen aus, es gebe eine Weisung, das sei völlig ausreichend. Wenn die AB-BA mehr Weisungen erlassen wollte, 132 133 134

Tätigkeitsbericht 2019 der AB-BA S. 6 ­ 7 Fragenkatalog Uster S. 17 Fragenkatalog Uster S. 19

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bräuchte es zuerst ein Gesamtkonzept. Für den Erlass einer jeden konkreten Weisung wäre es sodann unabdingbar, dass deren Grundlagen von der AB-BA professionell erarbeitet würden, z. B. gestützt auf eine vertiefte Inspektion. Mit dem Erlass einer Weisung müsste die AB-BA die Verantwortung für deren materielle Richtigkeit und Praxistauglichkeit übernehmen. Umgekehrt könne man auch fragen, was es bedeutet, wenn er, der Bundesanwalt, gegen eine Weisung verstosse. Da brauche es eine klare Regelung. Sonst brauche man das Instrument der Weisung nicht. Tätigkeitsbericht und Inspektionen reichten aus.

Empfehlungen in maiore minus seien für ihn kein Problem, führte der Bundesanwalt weiter aus. Die Frage sei aber, für welche Bereiche sie erlassen werden. «Wir haben drei Empfehlungen. Die erste betrifft die Protokollierung. Es war für mich suboptimal, wie sie entstanden ist, nämlich ohne Rücksprache. Ich behaupte hier und heute, diese sei aufgrund des Mediendrucks zustande gekommen.» Die Protokollierung greife in die Strafverfahren ein. Das Bundesstrafgericht habe im Fall «Gauss» geschrieben, es sei unerheblich, ob es zwei oder drei Treffen [mit Infantino] gegeben habe. «Jetzt habe ich wegen des dritten Treffens ein Disziplinarverfahren am Hals und eine Empfehlung, zu der das Gericht sagt, es sei unerheblich, man könne protokollieren oder auch nicht. Wir werden die Empfehlung umsetzen.» Hingegen sei die Empfehlung betreffend den Fall Daniel M. angemessen und richtig gewesen; sie funktioniere auch von der Methodik her. 135 Im Jahr 2019 war der Entwurf einer weiteren Empfehlung Gegenstand von Differenzen zwischen AB-BA und BA (siehe dazu Kap. 3.1.2.1).

3.2.4

Aufsicht über die Strafverfahren

3.2.4.1

Reporting der BA zu den Strafverfahren

Aussagen von Seiten der AB-BA Die BA stellt das Reporting zu den Strafverfahren der AB-BA halbjährlich zu. Die AB-BA gibt dazu an, dass sie diese aufgrund der wenigen ihr zur Verfügung stehenden Personalressourcen und der gegenwärtig starken Belastung in den letzten zwei Jahren nicht umfassend auswerten konnte. Aufgrund der Reporting-Daten wähle sie die Fälle aus, anhand derer die Inspektionen durchgeführt werden. Aus methodischer Sicht müssten die von der BA gelieferten Daten vor Ort durch die AB-BA stichprobenmässig auf ihre Stimmigkeit geprüft werden. Anlässlich einer künftigen Inspektion möchte die AB-BA die Form und die Qualität des Reportings überprüfen.136 Aussagen von Seiten der BA Der Bundesanwalt hält schriftlich fest: «Aufgrund der von Gesetzes wegen beschränkten Aufsichtsbefugnisse betreffend die Durchführung von Strafverfahren (Art. 29 Abs. 2 StBOG) erscheinen die Intensität und der Umfang der Einsicht der AB-BA in Strafverfahren im Rahmen des Reportings als grundsätzlich angemessen.

135 136

Protokoll S. 9 ­ 10, Fragenkatalog Lauber S. 9 Fragenkatalog Uster S. 20 ­ 21

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[...] Es gibt bislang keine Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Reportings. Die AB-BA verfügt mit dem Reporting über alle Informationen, um systemische Fragen der Aufsicht behandeln zu können. Es gilt aber auch anzumerken, dass die AB-BA das Reporting der BA bisher wenig genutzt hat.» Der Bundesanwalt sieht jedoch ein systemisches Risiko darin, dass in der AB-BA jeweils ein Bundesstrafrichter Einsitz hat. «Dieser bekommt in der AB-BA Einsicht in Verfahren der BA und Informationen über ihre Verfahrensführung. Als Mitglied der AB-BA bildet er sich hierzu eine Meinung, muss unter Umständen aber gleichzeitig im selben Verfahren als unabhängiger, nicht vorbefasster Richter des Bundesstrafgerichts amten [...]. Der Bundesstrafrichter befindet sich somit in einer latenten Befangenheitssituation.»137

3.2.4.2

Wahrung der Unabhängigkeit der BA in der Strafverfolgung

Aussagen von Seiten der AB-BA Der Präsident der AB-BA führte aus, die AB-BA dürfe und könne in einzelne Strafverfahren nicht eingreifen. Aufgrund von einzelnen Entscheiden des Bundesstrafgerichts oder des Bundesgerichts schaue die AB-BA jedoch, ob zu bestimmten Fragen ein systemisches Problem bestehe. Das habe die AB-BA auch unter seinem Vorgänger so gemacht. Die AB-BA könne in alle Strafverfahren der BA Einsicht nehmen, unabhängig davon, ob sie hängig oder abgeschlossen sind. Ein Fallkomplex ­ wie der Fallkomplex Weltfussball ­ oder auch ein besonderer Einzelfall wie derjenige des Spions Daniel M.138 könne systemische Aspekte aufweisen, die in den Aufsichtsbereich der AB-BA fallen und von dieser behandelt werden müssten.

Nach Angabe des AB-BA-Präsidenten bildet jedoch die Einsichtnahme der AB-BA in konkrete Fallunterlagen die Ausnahme.139 Aussagen von Seiten der BA Der Bundesanwalt führte aus, die klare Haltung der ersten beiden AB-BAPräsidenten sei gewesen, dass sich die AB-BA Zurückhaltung aufzuerlegen habe, wenn es um laufende Verfahren geht, weil diese der primären strafprozessualen Kontrolle durch Gerichte unterliegen. Jetzt würden die hängigen Verfahren ebenfalls Teil der Aufsicht durch die AB-BA, und es komme zu einer Vermischung. Als Beispiel dafür verwies der Bundesanwalt auf die Disziplinaruntersuchung gegen ihn (vgl. Kap. 3.1.2).

Bei laufenden Verfahren der BA sei die Aufsicht durch die AB-BA per se grenzwertig, da die Fachaufsicht primär durch die Gerichte wahrgenommen werde. Sinnvoll 137 138

Fragenkatalog Lauber S. 10 Die AB-BA prüfte im Rahmen einer ausserordentlichen Inspektion zum Spion Daniel M.

in Zusammenarbeit mit der GPDel laufende Strafverfahren der BA (Inspektion als Folge der Verhaftung einer ehemaligen Quelle des NDB in Deutschland, Bericht der GPDel der Eidg. Räte, BBl 2018 5045) 139 Protokoll S. 25, Fragenkatalog Uster S. 13 ­ 14

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könne die Befassung mit abgeschlossenen Verfahren sein, um die fallübergreifende Praxis der BA zu einem definierten Thema (z. B. Verjährung, Verfahrenseinstellung usw.) zu überprüfen.140

3.2.5

Aufsicht im Organisations- und Personalbereich

Aussagen von Seiten der AB-BA Zu den Aufsichtskompetenzen der AB-BA im Bereich der Organisation der BA führte der Präsident der AB-BA aus: «Artikel 17 Absatz 1 StBOG verlangt vom Bundesanwalt, der AB-BA jährlich den Entwurf für den Voranschlag und die Rechnung zuhanden der Bundesversammlung vorzulegen; zudem erstattet er ihr Bericht über die Tätigkeit der BA. [...] Diese Bestimmung wäre sinnlos, wenn die Aufsichtsbehörde keine Möglichkeit hätte, die aufgeführten Angaben objektiviert zu überprüfen, zumal sie gemäss Artikel 30 StBOG bei der BA Auskünfte und zusätzliche Berichte verlangen sowie Inspektionen durchführen kann bzw. bei Bedarf muss.» Die AB-BA befasse sich mit Fragen wie: Wie sehen die Organisation und das Organigramm aus? Wie werden die Ressourcen eingesetzt? Wie ist die Situation der Mitarbeitenden? Wie sehen die Finanzen aus?

Im Bereich der Personalkompetenzen des Bundesanwalts bestehe im Einzelfall keine Weisungs- oder Empfehlungskompetenz der AB-BA. Bei systemischen Problemstellungen (z. B. grosse Personalfluktuationen), würde sich die AB-BA durch den Bundesanwalt informieren lassen oder erwarten, dass er das Thema von sich aus aufgreift.

An den Aufsichtssitzungen orientiere der Bundesanwalt unter dem Standardtraktandum «Personalfälle von systemischer Relevanz» über relevante Änderungen im Organigramm oder relevante personalrechtliche Fragestellungen. Da der AB-BA die systemisch relevanten Personalfälle der BA in der Regel vorgängig nicht bekannt seien, handle es sich hier um eine Bringschuld des Bundesanwalts.141 Aussagen von Seiten der BA Nach dem Bundesanwalt kann die AB-BA im Bereich Organisation (Personal, Finanzen, Organisationsaufbau) nicht Entscheide anstelle des Bundesanwalts treffen, weil dieser von Gesetzes wegen die alleinige Verantwortung trägt. Die AB-BA kann ergänzend in Problemsituationen generelle Weisungen erteilen, was aber eine effektive, fachliche Befassung mit der Problemstellung voraussetzt. Letztlich geht es darum, dass die AB-BA die Aufgabenerfüllung der BA auf ihre Nachvollziehbarkeit hin prüft.142 In Bezug auf die Organisation der BA habe die AB-BA die Grenzen zur Unabhängigkeit bzw. Organisationsautonomie bislang nicht überschritten. Diesbezügliche Fragen werfe jedoch der Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA auf, in welchem Ideen für mögliche Evaluationen im Rahmen der systemischen Aufsicht der AB-BA 140 141 142

Protokoll S. 6, Fragenkatalog Lauber S. 3, 11 Fragenkatalog Uster S. 23 ­ 24, Protokoll S. 25 Fragenkatalog Lauber S. 3

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genannt werden.143 Hierzu sei festzuhalten, dass es sich um Themen handle, welche das operative Kerngeschäft der BA betreffen und von dieser selber bewältigt werden müsse. Der praktische Nutzen einer parallelen, theoretischen Befassung («Evaluation») durch die AB-BA sei nicht ersichtlich und ein diesbezüglicher, zusätzlicher Ressourcenbedarf nicht begründet.144 Im Bereich der Personalverantwortung und Personalpolitik besteht aus Sicht des Bundesanwalts kein Raum für Weisungen der AB-BA, da der Bundesanwalt als Leiter der BA und Arbeitgeber die Personalentscheide trifft. Die AB-BA könne nicht anstelle des Bundesanwalts Entscheide im oder mit Auswirkungen auf den Personalbereich treffen. Bis jetzt habe sich die AB-BA nie in einzelne personelle Entscheide oder in die Personalpolitik eingemischt. Eine andere Sache sei die Frage des Verständnisses der AB-BA, der Bundesanwalt und seine zwei Stellvertreter seien Arbeitnehmer der AB-BA (zur Kontroverse zwischen BA und AB-BA betreffend Arbeitgeber-Funktion der AB-BA, siehe Kap. 3.1.5).145

3.2.6

Positionen von AB-BA und BA zum Disziplinarrecht der AB-BA: Gesetzliche Ausgestaltung und praktische Anwendung

Am 9. Mai 2019 eröffnete die AB-BA ein Disziplinarverfahren gegen Bundesanwalt Michael Lauber wegen dessen Aussageverhalten gegenüber der AB-BA im Zusammenhang mit Vorgängen innerhalb des FIFA-Verfahrenskomplexes. Die AB-BA beauftragte als externe Fachperson Prof. Peter Hänni, emeritierter Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Freiburg, mit der Durchführung der Untersuchung. Gegen dessen verfahrensleitende Verfügungen erhob der Bundesanwalt Beschwerde beim BVGer. Mit Urteil vom 29. Juli 2019 (A-3612/2019) kam das Gericht zum Schluss, dass die AB-BA die Durchführung einer Disziplinaruntersuchung nicht an eine externe Fachperson delegieren kann. Die AB-BA führte in der Folge die Untersuchung selbst durch.

Die AB-BA hat in der Zwischenzeit ihre Untersuchung abgeschlossen und am 2. März verfügt, dem Bundesanwalt den Lohn für ein Jahr um 8 Prozent zu kürzen.

Der Bundesanwalt hat gegen die Verfügung146 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Das Verfahren ist noch hängig.

143

Tätigkeitsbericht 2018 der AB-BA, Ziff. 1.2, S. 19: «Die AB-BA würde im Rahmen ihrer systemischen Aufsichtstätigkeit bei genügenden eigenen Ressourcen gerne evaluieren, welche Ideen in Bezug auf die Bewältigung von Grossverfahren in der Wirtschaftskriminalität entwickelt werden könnten. Weitere Evaluationen wären im Bereich Cyberkriminalität, bei tausenden geschädigten Kreditkarteninhabern mit Sitz in 40 unterschiedlichen Ländern und entsprechenden Rechtshilfeverfahren, oder beim neuen Phänomen der strafrechtlichen Sammelklagen wünschbar.» 144 Fragenkatalog Lauber S. 16 145 Protokoll S. 7, Fragenkatalog Lauber S. 12 146 Verfügung der AB-BA vom 2. März 2020, mit geschwärzten Teilen veröffentlicht auf der Homepage der AB-BA www.ab-ba.ch/downloads/ABBA_02_03_2020_Verfuegung_de.pdf; letztmals abgerufen: 24. Juni 2020)

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Aussagen von Seiten der AB-BA Nach Meinung der AB-BA zeigt das Disziplinarverfahren gegen den Bundesanwalt auf, dass das Disziplinarrecht der AB-BA im StBOG und in der entsprechenden Verordnung der Bundesversammlung nur rudimentär geregelt ist; sie sollten bestimmter gefasst werden. Zwischen Dienstaufsicht und reiner Fachaufsicht würden verschiedene Aufsichtsmodelle bestehen. Die Ausgestaltung dieses Modells obliege letztlich dem Gesetzgeber. Üblicherweise verfüge ein öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitenden über disziplinarische Kompetenzen (Artikel 98 ff. BPV147). Insofern komme gemäss geltendem Recht der AB-BA stellenweise die Rolle der Arbeitgeberin gegenüber dem Bundesanwalt und seinen beiden Stellvertretern zu. Die entsprechende Verordnung der Bundesversammlung148 enthält weitere Rechte und Pflichten der AB-BA, die üblicherweise einer arbeitgebenden Behörde zukommen.

Unabhängig vom konkreten Aufsichtsmodell sei es jedoch von zentraler Wichtigkeit, dass die Mitarbeitenden der beaufsichtigten Behörde gegenüber der Aufsichtsbehörde rechtlich zur wahrheitsgemässen Aussage verpflichtet sind, ohne dass ihnen Nachteile erwachsen dürften. Diesbezüglich müssten die gesetzlichen Grundlagen der AB-BA präziser gefasst sowie generell aktualisiert werden. Die Verordnung über die Aufsicht über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten149 könnte als Vorlage dienen.150 Aussagen von Seiten der BA Der Bundesanwalt machte in der Anhörung durch die Subkommissionen geltend, es sei ein Unding, dass die AB-BA Entscheidkompetenzen eines Arbeitgebers im Disziplinarrecht habe, obwohl sie gar nicht Arbeitgeber sei. Das gehe nicht. Im Vergleich dazu gebe es bei den erstinstanzlichen Richterinnen und Richtern nur das Amtsenthebungsverfahren, aber kein Disziplinarrecht. Bei der BA sei das Disziplinarrecht noch ein Überbleibsel aus der Zeit, als sie beim EJPD angegliedert war.151 Die Delegation des Disziplinarrechts an die AB-BA habe sich in der Praxis als grundsätzlich nicht richtig erwiesen. Das Disziplinarrecht als personalrechtlicher Teilaspekt sei ein Fremdkörper. Es sei zunehmend unklar, in welcher Eigenschaft die AB-BA bzw. deren Präsident der BA und dem Bundesanwalt gegenübertreten, d. h. ob als Aufsichtsbehörde oder als Disziplinarinstanz.152 Weitere Kritiken des Bundesanwalts zur Anwendung
des Disziplinarrechts durch die AB-BA in seinem konkreten Fall werden hier nicht aufgeführt, da sie Gegenstand des hängigen Beschwerdeverfahrens vor dem BVGer sind.

147 148

149 150 151 152

Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (BPV; SR 172.220.111.3) Verordnung der Bundesversammlung über das Arbeitsverhältnis und die Besoldung des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin sowie der Stellvertretenden Bundesanwälte oder Bundesanwältinnen vom 1. Okt. 2010 (SR 173.712.23) VAND; SR 121.3 Fragenkatalog Uster S. 25, 26 Protokoll S. 7 Fragenkatalog Lauber S. 14

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3.3

Kritik am geltenden System und Vorschläge für Gesetzesanpassungen von AB-BA und BA

Die in diesem Kapitel angeführten Positionen ergeben sich aus den Anhörungen der Vertreter und Vertreterinnen der AB-BA und der BA vom Oktober 2019 sowie aus den Fragenkatalogen. Sie sind insofern nicht als abschliessend zu betrachten, als im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeiten (Expertengutachten, Bewertung durch die GPK) die betroffenen Behörden weiterhin einbezogen werden.

3.3.1

Positionen der AB-BA

Allgemeine Feststellungen

153 154 155

1.

Der Präsident der AB-BA weist darauf hin, dass das Schweizer Strafprozessrecht den Staatsanwaltschaften eine grosse Machtfülle gibt, da diese zwar dem Legalitätsprinzip und der Pflicht zur Strafverfolgung unterstellt sind, aber im Einsatz ihrer Mittel, in der Tiefe der Abklärung und vor allem in der Erledigung der Fälle eine erhebliche Gestaltungsfreiheit haben. Die Strafgerichte könnten im Rahmen der Strafprozesse und der Rechtsprechung keine systemische Kontrolle leisten, noch die von der Staatsanwaltschaft selbständig erledigten Fälle beurteilen, z. B. eine Erledigung durch Strafbefehl.

2.

Einen weiteren Grund, weshalb die BA besonders beaufsichtigt werden müsse, sieht der Präsident der AB-BA darin, dass die BA eine monokratische Spitze aufweist, d. h. nur einem Chef allein unterstellt ist, während andere Justizorgane, wie die Gerichte, kollegiale Führungen aufweisen. Die Macht des Bundesanwalts sei eine ausserordentliche, auch weil er in vielen politisch relevanten Verfahren allein entscheide (z. B. Blockierung von Potentatengeldern).

3.

Weiter ist der Präsident der AB-BA der Meinung, angesichts der ausserordentlichen Machtfülle der BA könne diese nicht durch die Bundesverwaltung, z. B. durch eine Sektion im Bundesamt für Justiz im EJPD, kontrolliert werden. Eine Kontrolle durch die Exekutive könne rasch die Unabhängigkeit der Strafjustiz gefährden; zudem fehle der Verwaltung die sachliche Eigenständigkeit sowie die Praxiserfahrung. Ein spezialisiertes Justiz-Kontrollorgan wie die AB-BA sei somit die vorteilhafteste Lösung.153

4.

Generell seien die aufsichtsrechtlichen Instrumente der AB-BA in der geltenden Gesetzgebung nur rudimentär geregelt und sollten im StBOG präziser gefasst werden. Auf Verordnungsebene könnte die Verordnung über die Aufsicht über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten154 als Vorbild dienen.155

5.

Nach Aussagen der Vizepräsidentin der AB-BA haben sich die gesetzlichen Grundlagen der Aufsicht als Schönwetter-Regeln erwiesen, die der Klärung

Fragenkatalog Uster S. 31 VAND; SR 121.3 Fragenkatalog Uster S. 29

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bedürften, insbesondere in Bezug auf das Disziplinarrecht. Allerdings räumt sie ein, man sollte auch nicht überreagieren, und die Bestimmungen müssten unabhängig von den jetzigen Persönlichkeiten verfasst sein.156 6.

Ein AB-BA-Mitglied äusserte gegenüber den Subkommissionen die Meinung, dass die AB-BA ­ wegen der mangelhaften Herausgabe von Dokumenten durch die BA ­ ihrem Auftrag nicht genügend nachkommen könne.

Hier könne das Parlament der AB-BA auf Gesetzesebene mehr Möglichkeiten geben, um die BA dazu zu bringen, kooperativer zu arbeiten.157

7.

Von mehreren Mitgliedern der AB-BA würde die Schaffung einer Art «Oberbundesanwaltschaft», welche wie in vielen Kantonen jede Abteilung der Bundesanwaltschaft inspiziert, einzelnen Fällen nachgeht und sich um Probleme der einzelnen Staatsanwälte kümmert, nicht als sinnvoll erachtet.158

8.

Ein AB-BA-Mitglied empfiehlt zu prüfen, das Präsidium der AB-BA zu professionalisieren.159

Gesetzliche Zusammensetzung der AB-BA (Art. 23 StBOG) 9.

Grundsätzlich erachtet die AB-BA ihre momentane fachliche Zusammensetzung als angemessen. Es liege in der Verantwortung der vorberatenden Gerichtskommission sowie der Bundesversammlung als Wahlorgan, Mitglieder mit genügenden Fachkompetenzen im Strafprozessrecht, im öffentlichen Recht und in Organisationsfragen, die optimalerweise auch die Abläufe im Bund kennen, zu wählen. Bei der Wahl von neuen AB-BA-Mitgliedern sei es zudem wichtig, dass sich nicht nachträglich Befangenheitsfragen stellen würden.160 Im Weiteren sei bei der Zusammensetzung darauf zu achten, dass die Landessprachen angemessen vertreten sind.161

10. Der Einsitz eines Mitglieds des Bundesstrafgerichts in der AB-BA wird mehrheitlich von den AB-BA-Mitgliedern als positiv bewertet. Es sei vorteilhaft, dass das Bundesstrafgerichtsmitglied Kenntnisse über das Funktionieren der BA mitbringe, die anderen Mitgliedern abgehen würden. Andererseits wird darauf hingewiesen, dass Situationen eintreten können, wo das Mitglied des Bundesstrafgericht in den Ausstand treten müsse.162 Es komme selten vor, dass er in den Ausstand treten müsse, sagte Bundesstrafrichter Stefan Heimgartner. Bei Fällen, mit denen er befasst gewesen sei oder mit denen er sich potentiell befassen müsse, verlasse er den Saal. Es gebe aber viele Fälle, bei denen klar sei, dass er sich nicht mit ihnen befassen werde; dort sei es relativ unproblematisch. Andererseits könne er auf systemische

156 157 158 159 160 161 162

Protokoll S. 62, Fragenkatalog Augsburger S. 6 Protokoll S. 74 Protokoll S. 83, 87 Protokoll S. 83 Fragenkatalog Uster S. 30 Fragenkatalog Grädel S. 5 Protokoll S. 63,

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Fehler im Zusammenhang mit den Strafuntersuchungen, den Anklagen oder den Dossiers hinweisen.163 Gegen den Einsitz eines Mitglieds des Bundesstrafgerichts in der AB-BA wird vorgebracht, es bestehe die Gefahr, dass Alltagsprobleme, die sich im Verkehr zwischen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten immer wieder ergeben, zu Aufsichtsthemen gemacht werden. Mit dem jetzigen Vertreter des Bundesstrafgerichts geht das aber sehr gut. Aus systemischen Gründen müsse man sich überlegen, ob ein Richter, der einem Gremium angehört, das über Fälle urteilt, in die er bereits im Untersuchungsstadium Einsicht nehmen kann, Mitglied der Aufsichtsbehörde sein sollte.164 11. Kritisiert wurde, dass die zwei vorgesehenen Anwälte nicht Strafverteidiger sein dürfen, die Fälle der BA bearbeiten. Profilierte Strafverteidiger würden sich deshalb nicht für das Amt zur Verfügung stellen. Das Problem von möglichen Befangenheitssituationen könne durch die Ausstandsregel gelöst werden.165 Dreierdelegationen bei Inspektionen 12. Artikel 9 Absatz 2 der Organisationsverordnung AB-BA166, wonach die ABBA für Inspektionen eine Delegation von mindestens drei Mitgliedern entsenden muss, sei zu streichen oder zumindest mit einem Vorbehalt dringlicher Befragungen einzuschränken. Die Terminfindung gestalte sich aufgrund dieser nicht sehr praxisfreundlichen Bestimmung als schwierig. Kurzfristige Befragungen von BA-Mitarbeitenden seien aufgrund der nebenamtlichen Tätigkeit der AB-BA-Mitglieder nur erschwert möglich.167 Disziplinarrecht der AB-BA (vgl. Kap. 3.2.6) 13. Die Bestimmungen zum Disziplinarrecht seien klarer auszugestalten. In Bezug auf das Disziplinarrecht sei die Möglichkeit zur Delegierung an einen Untersuchungsbeauftragten vorzusehen.168 Ressourcen der AB-BA 14. Nach Meinung des Präsidenten der AB-BA benötigt die AB-BA ­ nebst präziseren Rechtsgrundlagen und klar gefassten Kompetenzen ­ dringend mehr personelle Ressourcen im Sekretariat. Bis Mai 2019 verfügte die AB-BA bloss über 0,6 bzw. 0,8 juristische FTE169. Seit dem 1. Mai 2019 sind es 1,8 FTE. Im Vergleich dazu verfügt die Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten (AB-ND) über zehn Mitarbeitende.170 Die unge-

163 164 165 166 167 168 169 170

Protokoll S. 79, Fragenkatalog Heimgartner S. 4 Fragenkatalog Grädel S. 5 Protokoll S. 82 ­ 83, Fragenkatalog Erez S. 5, Fragenkatalog Grädel S. 5 SR 173.712.24 Fragenkatalog Uster S. 12 Protokoll S. 62, Fragenkatalog Augsburger S. 6 Full Time Equivalent: Arbeitszeit eines Vollzeitangestellten Fragenkatalog Uster S. 29

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nügenden personellen Ressourcen werden auch von den übrigen Mitgliedern der AB-BA angemahnt.171 15. Die AB-BA-Mitglieder werden nur für Sitzungen mit einem Taggeld entschädigt. Die AB-BA ist der Ansicht, dass die Abgeltung der Mitglieder gleich ausgestaltet werden sollte, wie sie in der Verordnung der Bundesversammlung über die Taggelder und über die Vergütungen für Dienstreisen der Bundesrichter und Bundesrichterinnen172 vorgesehen ist, d. h. sie sollten auch für die Tätigkeiten ausserhalb von Sitzungen, also für die Instruktion, das Aktenstudium und die schriftliche Berichterstattung, entschädigt werden.

Ohne diese Anpassung sei die Rekrutierung geeigneter Fachpersonen erschwert und die adäquate Wahrnehmung der Aufsicht über die BA durch die AB-BA-Mitglieder kaum möglich.173 16. Der Aufwand für die Tätigkeit in der AB-BA wurde seitens der Gerichtskommission bis 2018 mit 15 Tagen pro Jahr angegeben. Dies ist nach Meinung des AB-BA-Präsidenten im Hinblick auf die unerlässlichen Vor- und Nachbereitungen der Aufsichtssitzungen und die Inspektionen eine zu niedrige Schätzung.174 Der Präsident und der Sekretär der AB-BA schätzen, dass es sich bei der Mitgliedschaft in der AB-BA um ein Pensum von 20 bis 30 Prozent handeln müsste. Das Präsidium umfasse ein Pensum von 60 bis 80 Prozent.175 Umschreibung der Rolle des AB-BA-Sekretariats 17. Nach Meinung der AB-BA sollte die Rolle des AB-BA-Sekretariats, analog zum Sekretariat der GPK gemäss Artikel 153 Absatz 1 ParlG, näher umschrieben werden. Zur Entlastung der im Nebenamt tätigen AB-BA-Mitglieder sollten dem Sekretariat Sachverhaltsabklärungen übertragen werden können, die gegebenenfalls auch protokolliert würden. So werde die AB-BA ihre Aufsichtstätigkeit weiter professionalisieren können.176 Administrative Anbindung 18. Als praktisches Hauptproblem nennt die AB-BA die fehlende administrativlogistische Anbindung an einen Partner innerhalb des Bundes wie die Parlamentsdienste, die Bundeskanzlei oder ein Department. Die AB-BA sei derzeit mit ihren geringen Ressourcen gezwungen, aufgrund von Vereinbarungen Leistungen bei der Bundesverwaltung zu beziehen (Art. 10 Abs. 3 Organisationsverordnung AB-BA177). Nebst dem Aufwand zur Aushandlung der Verträge und der bundesinternen Abgeltung würden die Bedürfnisse der AB-BA ­ etwa im Sicherheitsbereich ­ regelmässig seitens der Leistungserbringer tief priorisiert. Die AB-BA, die staatsorganisationsrechtlich direkt 171 172 173 174 175 176 177

Protokoll S. 83, 88 SR 172.121.2 Fragenkatalog Uster S. 29 Fragenkatalog Uster S. 30 Fragenkatalog Uster S. 29 Fragenkatalog Uster S. 12 SR 173.712.24

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der Bundesversammlung unterstellt ist, müsste auf die Dienstleistungen der Parlamentsdienste zurückgreifen können oder, vergleichbar mit anderen Aufsichtsorganen, administrativ an die Bundeskanzlei oder ein Departement angebunden werden.178

3.3.2

Positionen der BA

Allgemeine Feststellungen 1.

Gemäss Bundesanwalt stelle sich grundsätzlich die Frage, ob man das Aufsichtssystem ändern muss, wenn es letztlich gar nicht um Systemfragen gehe, sondern um das Nichtrespektieren rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze durch die Aufsicht. Es sei nicht eine Frage des Systems; ein ideales System gebe es nicht.179

2.

Ein stellvertretender Bundesanwalt sieht das Problem ebenfalls nicht im System selber. Die geltende Regelung habe sich in den vergangenen Jahren bewährt. Nun jedoch werde sie durch die aktuelle Führung der AB-BA grundsätzlich in Frage gestellt. Dieser temporäre Umstand sollte nicht Anlass sein, die bewährte Regelung nun leichtfertig in Frage zu stellen. Zur Vermeidung von weiteren Miss-Interpretationen könnten im Gesetz allenfalls gewisse Präzisierungen eingefügt werden. Beispielsweise könnte festgehalten werden, dass die Aufsicht eine systemische ist und die dem Bundesanwalt übertragene Verantwortung zu respektieren hat.180

3.

Der Bundesanwalt weist darauf hin, dass internationale Gremien wie Gafi181, die Greco182 und die OECD183 das Konstrukt der BA und ihrer Aufsicht angeschaut haben und darin ein Beispiel sehen, wie der Rechtsstaat Schweiz in diesen komplexen Verfahren die Unabhängigkeit der Strafverfolgung sicherstellt. Will die Schweiz eine andere Lösung, muss man das sehr gut begründen. Es reicht nicht, methodisch, rechtsstaatlich und fachlich Fehler zu machen, wie es die Aufsicht tut. Es ist völlig übertrieben, die BA auf den Prüfstand zu stellen, wenn das Problem nicht bei der BA, sondern bei der Ausübung der Aufsicht im jetzigen System liegt.184

Einsitznahme eines Mitglieds des Bundesstrafgerichts in der AB-BA 4.

178 179 180 181 182 183 184 185

Die BA lehnt die Einsitznahme eines Mitglieds des Bundesstrafgerichts in der AB-BA ab. Es sei ein systemisches Problem, wenn ein Bundesstrafrichter einen Fall inspizieren könne, über den er später am BStGer richte, und wenn er dies nicht offen lege.185

Fragenkatalog S. 28 Protokoll S. 15 Fragenkatalog Montanari S. 9 Groupe d'Action financière (Arbeitskreis Massnahmen zur Geldwäschebekämpfung) Groupe d'Etats contre la corruption (Staatengruppe gegen Korruption) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Protokoll S. 16 Protokoll S. 16

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Disziplinarrecht (vgl. Kap. 3.2.6) 5.

Es sei zu prüfen, ob der allgemeinen Aufsicht überhaupt ein Disziplinarrecht zukommen soll. Rechtsvergleichend berücksichtigt werden könnte dabei die Regelung für die erstinstanzlichen eidgenössischen Richter, die ein Disziplinarverfahren im Sinne von Art. 31 Abs. 2 StBOG nicht kennt und sich auf das Amtsenthebungsverfahren beschränkt. Diese Regelung diene dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit. Die Wahl des Bundesanwalts und seiner beiden Stellvertreter durch die Bundesversammlung sei seinerzeit nicht zuletzt aufgrund der Parallelen zwischen der Tätigkeit der BA und jener der richterlichen Behörden und zur Stärkung der Unabhängigkeit der BA beschlossen worden186.

6.

Ein stellvertretender Bundesanwalt schlägt vor, das Gesetz könnte allenfalls gewisse Hinweise geben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Disziplinaruntersuchung eröffnet werden kann und wie diese zu führen ist.187

7.

Der Bundesanwalt möchte im Gesetz geregelt haben, wieweit der Bund Inkonvenienzkosten des Bundesanwalts oder eines stellvertretendenden Bundesanwalts bei Disziplinarverfahren übernimmt. Diese Frage stelle sich im Zusammenhang mit seiner anwaltschaftlichen Unterstützung und professionellen Beratung im Rahmen des gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens.

Bis zu einer entsprechenden Entscheidung der parlamentarischen Oberaufsicht habe er eine vorläufige Regelung getroffen.188

Zeitpunkt der Wahl des Bundesanwalts 8.

Es sei zu erwägen, die Wahl des Bundesanwalts nicht im gleichen Jahr wie die Gesamterneuerungswahl der Bundesversammlung stattfinden zu lassen und damit einer zusätzlichen «Verpolitisierung» entgegenzuwirken.

Handlungsgrundsätze der AB-BA 9.

186

Sinnvoll wäre aus Sicht des Bundesanwalts die Etablierung von Handlungsgrundsätzen für die AB-BA, welche einerseits das gegenseitig (mit der BA) konsolidierte Aufsichtsverständnis beschreiben und andererseits die Zuständigkeiten der AB-BA im Verhältnis zu anderen Behörden und Institutionen mit Aufsichtsaufgaben abgrenzen würden. Diese Handlungsgrundsätze sollten unter Einbezug der parlamentarischen Oberaufsicht periodisch überprüft und wenn nötig angepasst werden.189

vgl. Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 20. Mai 2010 betreffend Parlamentarische Initiative: Arbeitsverhältnis und Besoldung des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin sowie der Stellvertretenden Bundesanwälte oder Bundesanwältinnen, BBl 2010 4101 f.

187 Fragenkatalog Montanari S. 9 188 Protokoll S. 15 189 Fragenkatalog Lauber S. 19

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3.4

Vertrauensbildende Massnahmen

3.4.1

Stellungnahmen von AB-BA und BA zu möglichen vertrauensbildenden Massnahmen

Gemäss dem Beschluss der GPK vom 14. Mai 2019 sollte im Rahmen der Inspektion geprüft werden, wie das Vertrauen zwischen der BA und der AB-BA wiederhergestellt werden könnte (siehe Kap. 1.1). Die Subkommissionen besprachen anlässlich der Anhörungen vom 16. und 17. Oktober 2019 mit den Vertretern der AB-BA und der BA entsprechende Möglichkeiten. Unter anderem wurde geprüft, wieweit eine Vermittlung, allenfalls eine Mediation von Nutzen sein könnte.

Der Bundesanwalt brachte als Erster und von sich aus das Thema Mediation ein: «Es braucht nicht eine Mediation. Es braucht jemanden, der, bis allenfalls das Gesetz geändert wird, die zentralen Fragen des momentanen Aufsichtsverständnisses begleitet, der die gemeinsamen Sitzungen mit BA und AB-BA beobachtet.»190 Diese Person sollte den GPK ­ als Teil ihrer Inspektion zum Aufsichtsverhältnis zwischen AB-BA und BA ­ Bericht erstatten.191 Auf mögliche vertrauensbildende Massnahmen angesprochen, sagte der Präsident AB-BA: «Ich wehre mich nicht gegen eine Vermittlung durch die GPK oder eine andere Instanz. Ich frage mich einfach, ob es neben der Inspektion und der Disziplinaruntersuchung sinnvoll ist, auch noch ein Mediationsverfahren zu machen. Damit wird das Fuder vielleicht überladen, aber wenn Sie das beschliessen, dann machen wir es. Man müsste wohl einen Mediator fragen, ob es möglich und sinnvoll ist, so etwas parallel zur Disziplinaruntersuchung zu machen.».192 Der stellvertretende Bundesanwalt Ruedi Montanari sagte auf die Frage, was es brauche, damit wieder ein normales Verhältnis entstehe: «Wir haben eine Mediation vorgeschlagen. Ehrlich gesagt: Wenn man das Jahr im Januar (recte: es war am 25. März) beginnt, indem man uns sagt, man habe einen Auftrag der GPK, um die Angelegenheit mit diesen drei Treffen zu untersuchen, dann ist das schlicht nicht richtig. Die AB-BA hatte keinen Auftrag der GPK. Das war die erste Lüge im Januar.193 Wir haben gesagt, Schwamm drüber. Dann verdrehte man uns das Wort usw.

usf. Irgendwann war diese Ehe schlicht zerrüttet. Aus meiner Sicht kann man hier nicht mehr mit einer Mediation vorgehen, das führt nicht mehr zum Ziel. Von unserer Seite war der Wille bis zu einem gewissen Zeitpunkt da, [...] aber er (gemeint ist der Präsident AB-BA) hat von Anfang an die Gerichtskommission avisiert. Diese hat ja nichts Anderes zu tun als die Vorbereitung der Wiederwahl. Es ist also klar,

190 191 192 193

Protokoll S. 12 Fragenkatalog Lauber S. 17 Protokoll S. 28 Der Präsident der AB-BA führte am 3. April 2019 vor den Subkommissionen von sich aus aus, er habe dem Bundesanwalt anlässlich dessen Befragung vom 25. März 2019 gesagt, der Bericht der AB-BA (zum dritten Treffen) sei im Auftrag der GPK erstellt worden. Das sei falsch gewesen. Er habe eine Koordination, die zwischen den Sekretariaten der GPK und der AB-BA stattgefunden habe, fälschlicherweise als Auftrag interpretiert.

Das sei sein Fehler gewesen, wofür er sich entschuldige. Der Präsident der Subkommissionen informierte später an der gleichen Sitzung den Bundesanwalt und seine zwei Stellvertreter entsprechend.

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wohin er gezielt hat. Er ist jetzt sehr enttäuscht, weshalb er dem Bundesanwalt auch nicht zu seiner Wiederwahl gratuliert hat»194 Der stellvertretende Bundesanwalt Jacques Rayroud räumte ein, dass die beiden Behörden einen Weg finden müssen, wie sie wieder miteinander kommunizieren können. Ohne eine Person von aussen erscheine ihm dies schwierig, aber es gebe keine Alternative. Er habe das Gefühl, dass der Dialog mit den anderen Mitgliedern der AB-BA noch möglich sei, wie die Sitzung von August und jene vom Montag zuvor gezeigt hätten. Auf die Frage des Präsidenten der Subkommission der GPK-S, was er von einer Mediation halte, antwortete Rayroud, dass die Differenzen erheblich seien und er sich frage, ob eine Mediation noch möglich sei. Jedenfalls müssten sich alle einmal gemeinsam für eine Aussprache an einen Tisch setzen und versuchen, sich gegenseitig zu verstehen.195 Der Generalsekretär der BA äusserte sich wie folgt: «Ich habe schon viele Mediationen und Personalfälle begleitet und habe keine Ahnung, wie eine Mediation bei all diesen Schwierigkeiten und bei dieser Vorbelastung noch funktionieren kann. [...]

Wir sprechen von zwei starken Persönlichkeiten, aber offenbar ­ und für mich offensichtlich ­ mit Werte-Unterschieden. Ich bin nicht sicher, ob man die korrigieren kann».196 Jörg Zumstein, Mitglied der AB-BA sagte: «Aufgrund eines persönlichen Eindrucks denke ich nicht, dass eine Mediation notwendig ist. Wenn Sie aber eine solche als notwendig und zielführend erachten, bin ich überzeugt, dass auch die Aufsichtsbehörde als Ganzes mitwirken wird, und zwar konstruktiv».197 AB-BA-Mitglied Stefan Heimgartner meinte auf die Frage, ob die AB-BA bei einer Mediation mitmachen würde: «Wenn das angeordnet würde, sicher, aber für mich wäre das ein bisschen übertrieben, denn wir sind nicht ein Wohlfühlgremium. Ich bin es mir auch am Gericht gewohnt, dass unterschiedliche Meinungen vertreten werden und Dissonanzen entstehen, die man zu lösen versucht. Es gibt keinen wirklichen Grund, weshalb das Vertrauensverhältnis, ähnlich wie nach dem alten Eherecht vor einer Scheidung, im Sinne einer unheilbaren Zerrüttung zerstört wäre. So wie ich die Beteiligten einschätze, sind alle in der Lage, wieder konstruktiv zusammenzuarbeiten, ich inklusive. Man muss wieder zur Normalität zurückkehren».198 Auf eine mögliche
Hilfe Dritter angesprochen, sagte Rolf Grädel, AB-BA-Mitglied: «Mit externer Hilfe sprechen Sie eine Art Mediation an; ich glaube weniger, dass das weiterhilft und dass wir das brauchen: Der wichtigste Schritt bestünde darin, die Disziplinaruntersuchung möglichst rasch erledigen zu können. [...] Solange die Disziplinaruntersuchung läuft, wird es nicht möglich sein, neues Vertrauen zu bilden, auch mit externer Hilfe nicht. Immerhin habe ich den Eindruck, dass wir wieder sehr korrekt miteinander umgehen können, und wir die Informationen erhalten, damit wir unsere Aufsichtstätigkeit wahrnehmen können. Ich kann Ihnen aber kein Patentrezept liefern.» Grädel räumte jedoch ein: «Wenn Sie eine Mediation zwi194 195 196 197 198

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schen der BA und der AB-BA wünschen, würde ich mich nicht dagegen wehren, auch wenn ich nicht weiss, was dabei herauskommt».199

4

Entwicklung des Aufsichtsverhältnisses zwischen AB-BA und BA nach Herbst 2019

4.1

Versuch einer Vermittlung durch die Subkommissionen

Die Anhörungen vom 16. und 17. Oktober 2019 durch die Subkommissionen zeigten, dass das Verhältnis zwischen AB-BA und BA stark geprägt wurde vom gespannten Verhältnis zwischen dem Bundesanwalt und dem neuen Präsidenten der AB-BA, und dass diese Spannungen hauptsächlich ­ aber nicht nur ­ durch die Eröffnung einer Disziplinaruntersuchung der AB-BA gegen den Bundesanwalt hervorgerufen wurden.

Zwar sollte die Inspektion gemäss Inspektionskonzept unabhängig von der Disziplinaruntersuchung der AB-BA durchgeführt werden. Jedoch sollte im Rahmen der Inspektion auch geprüft werden, wie das Vertrauen zwischen der AB-BA und der BA wiederhergestellt werden kann. Angesichts der gespannten Lage beschlossen die Subkommissionen, vorerst zu prüfen, ob sofortiger Handlungsbedarf in Bezug auf vertrauensbildende Massnahmen gegeben sei. Zu diesem Zweck beauftragten sie das Sekretariat, eine Analyse der konfliktbezogenen Informationen aus den Anhörungen vorzulegen. Sie beschlossen im Weiteren, noch vor dem Legislaturwechsel über allfällige Sofortmassnahmen zu befinden.

An ihrer letzten Sitzung vor dem Legislaturwechsel, am 31. Oktober 2019, nahmen die GPK-N/S von der Berichterstattung über die Anhörungen vom 16./17. Oktober 2019 Kenntnis und erteilten den Subkommissionen Gerichte/BA die Kompetenz, anlässlich ihrer Sitzung vom 22. November 2019 aufgrund ihrer Lageanalyse über allfällige Sofortmassnahmen im Sinne von vertrauensbildenden Massnahmen zu entscheiden.

Die Subkommissionen kamen an ihrer Sitzung vom 22. November 2019 zum Schluss, dass das Verhältnis zwischen AB-BA und BA insbesondere durch das laufende Disziplinarverfahren akut gestört war. Dieser Eindruck verstärkte sich noch durch die laufende Korrespondenz zwischen den beiden Behörden in Bezug auf die Disziplinaruntersuchung, die durch Verfahrensstreitigkeiten blockiert war. Diese Korrespondenz wurde von beiden Seiten den Subkommissionen unaufgefordert zugestellt.

Als mögliche Sofortmassnahme schlossen die Subkommissionen eine Empfehlung an die AB-BA und BA, eine Mediation durchzuführen, aus, da ein solches Verfahren in der Regel den Willen und das Einverständnis beider Seiten voraussetzt, was nicht gegeben war.

Ebenfalls nicht in Frage kam der Vorschlag des Bundesanwalts, ab sofort und bis auf weiteres die Aufsichtstätigkeit der AB-BA von einer Fachperson begleiten zu 199

Protokoll S. 91

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lassen, die den GPK rapportieren würde. Dieser Schritt wäre einer Verbeiständung der AB-BA als Behörde gleichgekommen, was ein nie dagewesener Schritt dargestellt hätte, der nur durch ein weitgehendes Versagen der Funktionsfähigkeit der AB-BA hätte gerechtfertigt werden können. Ein solches Organversagen war in keiner Weise erkennbar.

Da eine Entspannung der Situation erst mit einem Abschluss des Disziplinarverfahrens zu erwarten war, erachteten die Subkommissionen es als einzige verbleibende Möglichkeit, der AB-BA vorzuschlagen, mit dem Bundesanwalt Kontakt aufzunehmen, um mit ihm gemeinsam eine Vertrauensperson mit den nötigen Fachkompetenzen zu bestimmen, welche beide Seiten bei den Verfahrensschritten des Disziplinarverfahrens beraten und zwischen ihnen vermitteln sollte, um so das Verfahren zu deblockieren und zu beschleunigen.

Im Auftrag der Subkommissionen unterbreitete der Präsident der Subkommission Gerichte/BA der GPK-S den Vorschlag dem Präsidenten der AB-BA anlässlich einer Besprechung vom 26. November 2019. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2019 teilte die AB-BA den Subkommissionen mit, sie habe sich in Bezug auf den Vorschlag rechtlich beraten lassen und trete darauf nicht ein. Als Begründung führte die AB-BA insbesondere rechtliche Erwägungen auf. Namentlich könne nach den massgeblichen Rechtsvorschriften (StBOG und Bundespersonalrecht) die für ein Disziplinarverfahren verantwortliche Behörde die Verfahrensleitung weder delegieren noch teilen. Die AB-BA stellte jedoch in Aussicht, nach Beendigung des Disziplinarverfahrens der BA vorzuschlagen, eine aus Vertretern der AB-BA und der BA paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe zu bilden, welche sich im Hinblick auf die künftige Zusammenarbeit zwischen AB-BA und BA austauschen solle. Dabei sollen auch externe Expertinnen und Experten beigezogen werden können.

Weitergehende Schritte waren den GPK als Oberaufsichtsbehörde nicht möglich, da sie aus Gründen der Gewaltenteilung nicht in laufende Verfahren einer Behörde eingreifen kann (Art. 26 Abs. 4 ParlG).

4.2

Weitere Entwicklung des Aufsichtsverhältnisses zwischen AB-BA und BA

Im Herbst 2019 zeigten sich die Mitglieder der AB-BA in der Anhörung vor den Subkommissionen aufgrund der letzten Aufsichtssitzung vom 14. Oktober 2019, die in einem guten, sachlichen Ton und konstruktiv verlaufen sei, zuversichtlich, dass eine ordentliche Aufsichtstätigkeit möglich sei.200 An der Aufsichtssitzung vom 9. Dezember 2019 verdüsterte sich die Stimmung deutlich. Dies ist dem Wortprotokoll der Aufsichtssitzung zu entnehmen. Die Sitzung dauerte nur gerade 25 Minuten; üblicherweise dauern die Sitzungen mindestens zwei Stunden. Ein grosser Teil der Sitzung bestand in Beanstandungen des Bundesanwalts der Traktandenliste, der Nichtberücksichtigung seiner Wünsche, der schlechten Protokollierung der Aufsichtssitzungen in der Vergangenheit und der Kritik, dass die AB-BA Inspektionen und Disziplinarverfahren vermische. Während sich die Mitglieder der AB-BA um 200

Protokoll S. 22, 29, 69, 76

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Zuvorkommenheit bemühten, verhielten sich die Vertreter der Bundesanwaltschaft nicht kooperativ. Bei der Diskussion zur Umsetzung der Empfehlung betreffend Protokollierung von informellen Treffen sagte der Bundesanwalt zu einem AB-BAMitglied: «Sie müssen nicht so schauen», worauf dieses entgegnete: «Ich habe nicht...», und der Bundesanwalt insistierte: «Doch. Sie kommunizieren stark.» Darauf sagte das Mitglied: «Ich habe den Präsidenten angeschaut, weil ich [...] nicht alles weiss, und da stelle ich vielleicht Fragen, die ein bisschen blöd sind, das müssen Sie mir verzeihen.» ­ «Verbal, ich denke, das gehört auch ins Protokoll. Genau das gehört auch ins Protokoll», sagte der Bundesanwalt.

Einer der stellvertretenden Bundesanwälte gab einem Mitglied zu verstehen, dass er nicht über einen Einzelfall Auskünfte erteilen wolle, da es ja um eine systemische Aufsicht gehe, und unterstellte dem Mitglied gleichzeitig implizit, es beschaffe für jemand aus seinem Kanton Informationen über ein Verfahren. Darauf meinte das Mitglied, es finde das jetzt relativ mühsam, so gehe es nicht, und es finde den Umgang unmöglich, den die BA mit der AB-BA treibe. Unter Varia machte der Bundesanwalt folgende Ankündigung: «Wir werden Ihnen zahlreiche Punkte übermitteln, schriftlich, von denen wir denken, dass sie der Grund sind, warum sie unsere Arbeitsbeziehung stören und Sie werden diese erhalten.» Mit Schreiben vom 20. Dezember 2019 schrieb der Bundesanwalt der AB-BA, die aktuellen Umstände würden die ordentliche Zusammenarbeit signifikant belasten.

Die Aufsichtstätigkeit vermische sich aufgrund der involvierten Personen mit der laufenden Disziplinaruntersuchung. Eine Vermischung dieser beiden Tätigkeiten dürfe nicht sein, da sie einen sachlichen Diskurs im Sinne der Institutionen verunmögliche. Er schlug vor, dass er selbst bis zum Abschluss der Disziplinaruntersuchung die Teilnahme an den Aufsichtssitzungen an seine Stellvertreter delegieren würde und im Gegenzug der Präsident der AB-BA und das mit der Untersuchung befasste AB-BA-Mitglied ebenfalls nicht mehr teilnehmen sollten.

Die AB-BA antwortete mit Schreiben vom 7. Januar 2020, nach ihrem Verständnis der Aufsicht sei der Bundesanwalt verpflichtet, an den Aufsichtssitzungen teilzunehmen. Umgekehrt könnten Aufsichtssitzungen nicht unter Ausschluss von Behördenmitgliedern
erfolgen, weil letztlich die AB-BA als Kollegialbehörde und als Ganzes in das Disziplinarverfahren involviert sei. Im Übrigen stehe die AB-BA einer vom Bundesanwalt gewünschten Aussprache zur künftigen gesetzlichen Zusammenarbeit zwischen AB-BA und BA offen gegenüber und schlug vor, zur Vorbereitung einer konstruktiven Aussprache eine aus Vertretern der AB-BA und der BA paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe zu bilden. Die Aussprache erscheine der AB-BA jedoch erst nach Abschluss des Disziplinarverfahrens sinnvoll.

Im Hinblick auf die Aufsichtssitzung vom 9. März 2020 schickte die AB-BA dem Bundesanwalt am 26. Februar 2020 die Traktandenliste zu und schrieb: «Sie sind eingeladen, an dieser Aufsichtssitzung teilzunehmen.» Mit Schreiben vom 3. März 2020 antwortete der Bundesanwalt der AB-BA, der dem Bundesanwalt am 6. Februar 2020 zugestellte Entwurf für eine Verfügung der ABBA im gegen ihn geführten Disziplinarverfahren bringe in aller Klarheit das Misstrauen der AB-BA gegenüber ihm und seinen Stellvertretern zum Ausdruck. Zudem zeige dieser Verfügungsentwurf auf, dass die AB-BA nicht gewillt sei, das seit der

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Funktionsübernahme des neuen Präsidenten grundsätzlich divergierende Aufsichtsverständnis im Rahmen der laufenden Inspektion durch die GPK klären zu lassen.

Vielmehr stelle dieser Verfügungsentwurf einen Versuch dar, das Verständnis der AB-BA im Sinne eines fait accompli einseitig festzulegen. In dieser Situation die Aufsichtssitzungen wie üblich durchführen zu wollen, verkenne die Realität und sei nicht zielführend. Eine konstruktive Aufsichtssitzung sei aufgrund der emotional angespannten Situation ohne Beizug eines Mediators, der an den Aufsichtssitzungen teilnehme und die Situation beobachte sowie der GPK Bericht erstatte, schlicht unrealistisch. Deshalb sehe sich der Bundesanwalt zum Schutz der Institutionen, der Verfahren und ihrer Mitarbeitenden gezwungen, zumindest bis zum Abschluss der Inspektion der GPK oder der Einsetzung eines Mediators der AB-BA auf dem Schriftweg Bericht zu erstatten und nicht persönlich an den Aufsichtssitzungen teilzunehmen.

Nach Abschluss der Disziplinaruntersuchung mit der Verfügung der AB-BA vom 2. März 2020 kam die AB-BA in ihrem Schreiben vom 24. März 2020 auf ihren Vorschlag zur Bildung einer paritätischen Arbeitsgruppe zur Vorbereitung einer Aussprache zurück, wobei der Bundesanwalt und der Präsident der AB-BA ihres Erachtens nicht in der Arbeitsgruppe beteiligt sein sollten. Die AB-BA bat darum, bis zum 30. März 2020 drei BA-Vertreter in die Arbeitsgruppe zu ernennen.

Mit Schreiben vom 30. März 2020 teilte der Bundesanwalt der AB-BA mit, es gehe nicht mehr um eine blosse «Verbesserung der Zusammenarbeit». Die von der ABBA im Laufe des letzten Jahres praktizierte Vermischung von ordentlicher Aufsichtstätigkeit und Disziplinargewalt zum Nachteil der gesetzlichen Aufgabenerfüllung der BA habe zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust bei der BA und ihren Mitarbeitenden geführt. Es müsse somit vor allem um die Bildung einer Basis für einen neuen Vertrauensaufbau gehen. Die Zerrüttung des Verhältnisses zwischen der AB-BA und der BA und der bestehende Konflikt zwischen den beiden Behörden sei wesentlich auf das seit der Funktionsübernahme des Präsidenten AB-BA gegensätzliche Aufsichtsverständnis zurückzuführen. Erst nach Einigung über das Mandat könne gemeinsam (paritätisch) eine nicht nur neutrale, sondern fachlich geeignete Drittperson beauftragt werden und
könne die BA ihre Delegation bestimmen.

Am 31. März 2020 teilte die AB-BA der BA per Brief mit, aufgrund der durch den Bundesrat ausgerufenen ausserordentlichen Lage gemäss Artikel 7 des Epidemiengesetzes (SR 818.101) sehe sie von ihrer Einladung für den 6. April 2020 ab. Stattdessen ersuche die AB-BA die BA, ihr bis am 20. April 2020 die notwendige Dokumentation zu den traktandierten Themen einzureichen.

Mit Schreiben vom 17. April 2020 präzisierte die AB-BA in Beantwortung des Schreibens des Bundesanwalts vom 30. März 2020, die paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe solle im Sinne der sachlichen Durchführung der Sitzungen eine Moderatorin oder einen Moderator beiziehen. Vorstellbar wäre, dass eine weitere qualifizierte Person beigezogen würde, z. B. eine Gerichtsperson oder eine Person aus der Wissenschaft. Für die Aufgabe der Moderation der Arbeitsgruppe habe die AB-BA der BA bereits zwei neutrale Personen genannt. Die AB-BA ersuche den Bundesanwalt, ihr die drei Personen, die er in die Arbeitsgruppe delegieren möchte, sowie eine der mit Schreiben vom 20. März 2020 genannten neutralen Personen, die für ihn in Frage komme, bis am 27. April 2020 zu nennen.

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Am 27. April 2020 schrieb der Bundesanwalt an die AB-BA, Voraussetzung für den Einsatz einer möglichen Mediation sei insbesondere die Klärung, welche Aspekte konkret im Rahmen der Mediation bearbeitet werden sollen. Die allenfalls zu bearbeitenden Konfliktfelder (Rollenverständnis, Aufsichtsverständnis, persönliche Dissonanzen, etc.) seien transparent zu bestimmen. Das Ausblenden oder Verdrängen von existierenden Realitäten stelle keine tragfähige Basis für die Klärung des Auftrags an eine Mediation dar. Als erster Schritt könne bei dieser Ausgangslage angedacht werden, dass sich Delegierte der Institutionen BA und AB-BA treffen, um gemeinsam einen Mediator zu selektionieren, der die oben beschriebenen Realitäten als Ausgangslage analysiere und sodann Empfehlungen zum weiteren Vergehen zuhanden der BA und der AB-BA erarbeite. Falls die AB-BA mit diesem Vergehen einverstanden sei, werde die BA für diesen ersten Schritt zwei Delegierte benennen.

Am 28. April 2020 formulierte die AB-BA gestützt auf Art. 30 StBOG folgende Empfehlung: «Teilnahme des Bundesanwalts an den Aufsichtssitzungen: Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) empfiehlt dem Bundesanwalt, an den Aufsichtssitzungen der AB-BA teilzunehmen und ihr während den Sitzungen mündlich Auskunft zu geben. Für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Sitzungen sind die Beilagen 1 und 2 zu dieser Empfehlung zu beachten.» Im Weiteren ersuchte die AB-BA den Bundesanwalt, die Empfehlung unverzüglich anzunehmen und ihr bis am 6. Mai 2020 eine schriftliche Bestätigung zuzustellen.

Am 6. Mai 2020 schrieb der Bundesanwalt der AB-BA, grundsätzlich begrüsse er die Standardisierung der Vorbereitung, der Durchführung und der Nachbereitung der Aufsichtssitzungen. Er beantrage, sowohl die Empfehlung als auch die Beilage 1 auf die Traktandenliste der nächsten Sitzung vom 2. Juni 2020 zu setzen. Die Benennung «Teilnahme des Bundesanwalts an den Aufsichtssitzungen» der Empfehlung greife inhaltlich zu kurz. Es gehe nicht nur um die Teilnahme des Bundesanwalts. Es gehe um die Aufsichtssitzungen an sich. Die BA beantrage deshalb, die Empfehlung wie folgt zu benennen: «Detaillierte Regelung des Ablaufs der Aufsichtssitzungen der AB-BA mit der BA».

Am 26. Mai 2020 erliess die AB-BA eine verbindliche Weisung gestützt auf Artikel 29 Absatz
2 StBOG über die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Aufsichtssitzungen. In Artikel 6 Absatz 1 dieser Weisung heisst es: Der Bundesanwalt erteilt der AB-BA persönlich an den Aufsichtssitzungen Auskunft.

An der ordentlichen jährlichen Aussprache der Subkommissionen Gerichte/BA der GPK vom 27. Mai 2020 mit dem Bundesanwalt zum Tätigkeitsbericht 2019 der BA überhörte der Bundesanwalt zweimal die Frage eines GPK-Mitgliedes, ob es zutreffe, dass er nicht mehr an den Aufsichtssitzungen teilnehmen wolle. Auf die dritte Nachfrage, erklärte er, er habe die Frage vergessen. Ja, er habe an einer Sitzung nicht teilgenommen und eine Sitzung sei wegen der Coronavirus-Pandemie ausgefallen. Er begrüsse die Weisung der AB-BA und werde an der Sitzung vom 2. Juni 2020 teilnehmen.

Am 2. Juni 2020 erliess die AB-BA eine weitere Weisung zu den Inspektionsbefragungen. Diese legt u. a. fest, dass die AB-BA die Personen der BA bestimmt, die im Rahmen einer Inspektion befragt werden sollen, und weitere Personen der BA nur mit Zustimmung der AB-BA anwesend sein dürfen. Ausserdem bestimmt die Wei-

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sung, dass das Sekretariat AB-BA Wortprotokolle der Befragungen erstellt und zu diesem Zweck die Voten mit einem Audiogerät aufnimmt. Der Weisung vorangegangen war ein Briefwechsel zwischen der AB-BA und der BA im Zusammenhang mit der Inspektion der AB-BA zum Coaching- und Controllingsystem. Am 22. Mai 2020 hatte die BA der AB-BA geschrieben, die Mitarbeitenden der BA würden nicht alleine fünf Mitgliedern der AB-BA (inkl. Sekretär) begegnen; in jedem Meeting würden daher zwei weitere Mitarbeitende der BA anwesend sein. Im Weiteren hatte die BA die Audioaufzeichnung der Inspektion durch ihre Anlagen in den Einvernahmeräumen der BA beantragt.

5

Schlussfolgerungen 1.

Ziel der vorliegenden 1. Phase der Inspektion war, die Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht zu klären. Dabei sollte das laufende Disziplinarverfahren der AB-BA gegen den Bundesanwalt soweit möglich ausgeklammert werden, da das Führen dieses Verfahrens in der alleinigen Kompetenz der AB-BA liegt und sich die Oberaufsicht hier nicht einmischen kann und will. Es zeigte sich jedoch bei den Erhebungen im Oktober 2019, dass dieses laufende Verfahren die Aussagen insbesondere auf Seiten der BA-Vertreter stark überschattete und deren Objektivität zumindest teilweise fraglich erscheint.

2.

Dass der Bundesanwalt die AB-BA im Rahmen des Disziplinarverfahrens als Aufsichtsbehörde nicht mehr akzeptierte, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Ausführungen seitens der Oberaufsicht. Hingegen ist auch in den übrigen Aufsichtsbereichen festzustellen, dass der Bundesanwalt tendenziell Mühe bekundet, Aufsichtshandlungen der AB-BA zu akzeptieren, die nicht zuvor konsensuell mit ihm abgesprochen sind. Die AB-BA kann aufgrund mangelnder Kooperation durch die BA ihre Aufgabe zurzeit nicht im gewünschten Umfang wahrnehmen (vgl. Kap. 4).

3.

Eine Vertrauensbasis zwischen einer Behörde und ihrer Aufsicht ist zwar grundsätzlich gut und anzustreben, aber es ist unerlässlich und vom Bundesanwalt zu verlangen, dass er seiner Aufsichtsbehörde gegenüber den nötigen Respekt entgegenbringt. Unter diesem Aspekt ist es zum Beispiel unhaltbar, wenn der Bundesanwalt wegen seines Konflikts mit der Aufsichtsbehörde nicht mehr zu den Aufsichtssitzungen erscheint oder wenn er an einer Medienkonferenz seine Aufsichtsbehörde frontal angreift. Die Aufsicht muss sich letztendlich durchsetzen können und auch ­ und gerade dann ­ funktionieren, wenn Hinweise bestehen dass in der Behörde etwas falsch gelaufen sein könnte. Dann muss es ihr möglich sein, Sachverhalte lückenlos und unbehindert abzuklären.

4.

Wenn der Bundesanwalt der Aufsicht zum Beispiel Schranken setzen will, wann und wie weit sie von ihrem Recht, gemäss Artikel 30 Absatz 2 StBOG in Akten von Strafverfahren Einsicht zu nehmen, Gebrauch machen darf, entspricht dies einem falschen Aufsichtsverständnis. Es ist die Aufsichtsbehörde und nicht die Bundesanwaltschaft, die zu entscheiden hat, ob eine sol-

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che Einsichtnahme für die Erfüllung ihres Auftrags nötig ist oder nicht. Solche Entscheide der Aufsicht unterstehen keiner gerichtlichen Überprüfung.

Zu erwähnen ist zudem, dass nicht nur der Bundesanwalt und seine Stellvertreter von der Bundesversammlung gewählt sind, sondern auch die Mitglieder der AB-BA. Sie unterstehen einzig der Oberaufsicht durch die Bundesversammlung.

201

5.

Im Weiteren verkennt der Bundesanwalt, dass die Aufsichtsbehörde ebenso unabhängig ist wie die Bundesanwaltschaft selbst, das heisst, wenn sie Einfluss nimmt auf die Bundesanwaltschaft in systemischen oder strategischen Fragen der Geschäftsführung, indem sie untersucht, kritisiert, Verbesserungen empfiehlt und wenn nötig auch Weisungen erteilt, verletzt sie die Unabhängigkeit der Strafverfolgung nicht. Eine solche Einflussnahme war vom Gesetzgeber durchaus erwünscht. Dabei kann es nicht sein, dass die Bundesanwaltschaft der Aufsicht den Takt vorgibt. Das Gesetz verwehrt der Aufsichtsbehörde einzig direkte Weisungen in einzelnen Strafverfahren.

6.

In Bezug auf die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) haben die vorliegenden Abklärungen die Darstellung der Bundesanwaltschaft, mit dem neuen AB-BA-Präsidenten sei eine völlig neue Aufsicht («Paradigmenwechsel») eingeführt worden, nicht bestätigt. Der neue Präsident setzt gewisse Schwerpunkte anders und möchte die Aufsicht teilweise verstärken; in anderen Bereichen ist eine Fortführung der bewährten bisherigen Praxis festzustellen. Auch nicht nachweisen lassen sich auf die Person abzielende Darstellungen der Bundesanwaltschaft, der AB-BA-Präsident sei gegenüber dem Bundesanwalt voreingenommen oder feindlich gesinnt oder er halte sich für den Chef des Bundesanwalts und seiner Stellvertreter. Bei den übrigen AB-BA-Mitgliedern geniesst der Präsident im Übrigen eine hohe Akzeptanz.201 Wäre dem nicht so, hätten diese es in der Hand, das Präsidium anders zu besetzen, denn die AB-BA konstituiert sich selbst.

7.

Der AB-BA-Präsident hat für eine Informationspanne, die den Bundesanwalt persönlich getroffen hat und die so nicht vorkommen dürfte (vgl.

Kap. 3.1.6), die Verantwortung übernommen, und er hat sich dafür vor den GPK entschuldigt. Dies hat zur persönlichen Verletzung des Bundesanwalts beigetragen. Im Weiteren ist zu bemängeln, dass die AB-BA eine wesentliche Information wie die Prüfung einer möglichen Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen den Bundesanwalt nach Abschluss des Vorverfahrens nur einem Medium auf Anfrage weitergab anstatt allen Medien gleichzeitig.

8.

Zu bemängeln ist, dass die Inspektionen der AB-BA bisher teilweise ungenügend ausgewertet und in schriftliche Berichte gefasst wurden. Insbesondere ist der Bericht zur Inspektion «Generalsekretariat BA» anderthalb Jahre nach dem Abschlussgespräch mit der BA immer noch ausstehend. Die ABBA begründet den Verzug mit den knappen Ressourcen im Sekretariat. Das ist zwar nachvollziehbar, doch erwarten die GPK, dass mit dem inzwischen gesprochenen zusätzlichen Personal künftig die Inspektionen zeitnah ausgewertet werden, damit sie für die Entwicklung der BA von Nutzen sind.

Protokoll S. 63, 67, 74, 84, 88, 90

9749

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9.

Der Versuch der GPK, mit vertrauensbildenden Massnahmen das Verhältnis zwischen AB-BA und BA zu verbessern, muss als gescheitert betrachtet werden. Die Voraussetzungen für eine Mediation waren nicht gegeben, und für eine vom Bundesanwalt beantragte quasi-Verbeiständigung der AB-BA gab es keinerlei Rechtfertigung (vgl. Kap. 3.4 und 4.1). Das Verhältnis zwischen diesen beiden Behörden ist stark gestört.

10. Die Erfahrungen der ersten Aufbaujahre des neuen Systems (unabhängige BA mit unabhängiger Fachaufsicht) haben gezeigt, dass dieses grundsätzlich funktionieren kann; es hat sich jedoch nicht als krisenfest erwiesen. Aufgrund der vorliegenden Untersuchung sehen die GPK in mehreren Bereichen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Zu überprüfen sind insbesondere Aspekte in Bezug auf Organisation, Kompetenzen, Instrumente und Ressourcen der AB-BA sowie in Bezug auf die Organisation der BA. Diese Fragen müssen gemäss dem Inspektionskonzept, Ziffer II und III (siehe Kap. 1.2) im Rahmen von Expertengutachten weiter vertieft werden.

11. Im Rahmen der weiteren Arbeiten soll nicht nur der «Status quo plus» (Beibehaltung der heutigen Behördenorganisation mit einzelnen Verbesserungen) weiterverfolgt werden; es sollen auch Möglichkeiten für einen grösseren Umbau der Institutionen geprüft und entsprechende Expertengutachten eingeholt werden (z. B. Rückführung der BA in die Bundesverwaltung oder Überprüfung der Kompetenzverteilung innerhalb der BA bzw. zwischen der BA und der Aufsicht). Eine Neuverteilung der Zuständigkeit in der Strafverfolgung zwischen Bund und Kantonen ist hingegen nicht Gegenstand dieser Abklärungen.

9750

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6

Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen die AB-BA sowie die BA, bis am 15. September 2020 zu den Schlussfolgerungen des vorliegenden Berichts Stellung zu nehmen.

Die GPK haben gleichzeitig mit der Verabschiedung des Berichts über die Expertenaufträge entschieden. Sie werden die Ergebnisse der Expertenberichte sowie ihre Schlussfolgerungen in einem Schlussbericht integrieren.

24. Juni 2020

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Der Präsident der GPK-N: Nationalrat Erich von Siebenthal Die Präsidentin der GPK-S: Ständerätin Maya Graf Der Präsident der Subkommission Gerichte/BA-S: Ständeratspräsident Hans Stöckli Die Präsidentin der Subkommission Gerichte/BA-N: Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard Die Sekretärin der Geschäftsprüfungskommissionen: Beatrice Meli Andres Die Sekretärin der Subkommissionen Gerichte/BA: Irene Moser

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Verzeichnis der angehörten Personen Augsburger, Isabelle

Vizepräsidentin der AB-BA

Curiger, Mario

Generalsekretär der BA

Gättelin, Patrick

Leiter des Sekretariats AB-BA

Grädel, Rolf

Mitglied der AB-BA

Heimgartner, Stefan

Mitglied der AB-BA, Bundesstrafrichter

Heine, Alexia

Mitglied der AB-BA, Bundesrichterin

Lauber, Michael

Bundesanwalt

Marty, André

Informationschef der BA

Montanari, Ruedi

Stellvertretender Bundesanwalt

Rayroud, Jacques

Stellvertretender Bundesanwalt

Uster, Hanspeter

Präsident der AB-BA

Zumstein, Jörg

Mitglied der AB-BA

9752

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Abkürzungsverzeichnis 1MDB

1 MALAYSIA DEVELOPMENT BERHAD

AB-BA

Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft

AB-ND

Unabhängige Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten

BA

Bundesanwaltschaft

BBl

Bundesblatt

BBL

Bundesamt für Bauten und Logistik

BIT

Bundesamt für Informatik

BKP

Bundeskriminalpolizei

BPV

Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (SR 172.220.111.3)

BStGer

Bundesstrafgericht

BVGer

Bundesverwaltungsgericht

EFD

Eidgenössisches Finanzdepartement

EFK

Eidgenössische Finanzkontrolle

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

FIFA

Fédération Internationale de Football Association

FTE

Full Time Equivalent: Arbeitszeit eines Vollzeitangestellten

Gafi

Groupe d'Action financière (Arbeitskreis Massnahmen zur Geldwäschebekämpfung)

GPDel

Geschäftsprüfungsdelegation

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen

Greco

Groupe d'Etats contre la corruption (Staatengruppe gegen Korruption)

NDB

Nachrichtendienst des Bundes

NFB

Neues Führungsmodell Bund

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ParlG

Bundesgesetz vom 13. Dez. 2002 über die Bundesversammlung (SR 171.10)

RK-N

Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates

SR

Systematische Sammlung des Bundesrechts

SRF

Schweizer Radio und Fernsehen

StBOG

Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, SR 173.71) 9753

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StGB

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dez. 1937 (SR 311.0)

StPO

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (Strafprozessordnung, SR 312.0)

u. a. m.

und anderes mehr

VAND

Verordnung vom 16. Aug. 2017 über die Aufsicht über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten (SR 121.3)

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