20.076 Botschaft zum Bundesgesetz über den Miet- und den Pachtzins während Betriebsschliessungen und Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Geschäftsmietegesetz) vom 18. September 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf des Bundesgesetzes über den Miet- und den Pachtzins während Betriebsschliessungen und Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Geschäftsmietegesetz).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2020

M 20.3451

Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden (N 4.6.20, Kommission für Wirtschaft und Abgaben NR)

2020

M 20.3460

Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden (S 8.6.20, Kommission für Wirtschaft und Abgaben SR)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. September 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2020-2121

8307

Übersicht Das dringliche Bundesgesetz über den Miet- und den Pachtzins während Betriebsschliessungen und Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Geschäftsmietegesetz) legt die vertraglichen Leistungen der Mieterinnen und Mieter sowie Pächterinnen und Pächter für eine begrenzte Dauer fest. Für Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter, die aufgrund dieses Gesetzes in eine wirtschaftliche Notlage geraten, ist eine Entschädigung vorgesehen.

Ausgangslage Am 4. Juni 2020 nahm der Nationalrat mit 98 zu 84 Stimmen bei 12 Enthaltungen die Motion 20.3451 seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben.

Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden» an. Der Ständerat nahm am 8. Juni 2020 mit 20 zu 19 Stimmen bei 4 Enthaltungen die gleichlautende Motion 20.3460 seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben an. Dadurch wurde der Bundesrat beauftragt, Massnahmen zur Umsetzung der beiden Motionen zu treffen.

Die Arbeiten am dringlichen Bundesgesetz wurden umgehend an die Hand genommen. Am 1. Juli 2020 eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren zum Covid-19-Geschäftsmietegesetz. Die Vernehmlassung dauerte bis zum 4. August 2020. Aufgrund der Dringlichkeit war die Frist zur Einreichung der Stellungnahmen verkürzt.

Inhalt der Vorlage Die Vorlage legt fest, dass für öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe, die von Schliessungen oder Einschränkungen betroffenen sind oder waren, der Mietoder der Pachtzins für die Zeit der Schliessung oder der Einschränkung 40 Prozent des massgebenden Zinses betragen soll. Sie gilt für Schliessungen bzw. Einschränkungen, welche gestützt auf die Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) (COVID-19-Verordnung 2) in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 statuiert wurden. Die COVID-19-Verordnung 2 wurde per 22. Juni 2020 aufgehoben.

Die Vorlage wurde in der Vernehmlassung kontrovers beurteilt, wobei die ablehnenden die zustimmenden Stellungnahmen leicht überwogen. Da der Vorentwurf sowohl als zu weit, als auch als zu wenig weit gehend beurteilt wurde, stellt er einen Mittelweg dar. Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz orientiert sich eng am Wortlaut der zwei vom Parlament überwiesenen Motionen.
Aufgrund der Vernehmlassung passte der Bundesrat die Vorlage in einigen Punkten an, namentlich um Unsicherheiten in der Anwendung zu bereinigen. So wird präzisiert, dass die Vorlage an die Schliessung bzw. die Einschränkung von öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben aufgrund von Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung des Coronavirus anknüpft. Damit wird eine Abgrenzung zu den ausschliesslich durch die Kantone angeordneten Massnahmen gemacht. Im Ver-

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gleich zum Vorentwurf enthält der Entwurf zudem eine Klarstellung betreffend den Zeitpunkt, in dem die Fristen für die Abgabe der Verzichtserklärung betreffend Anwendung des Gesetzes und die Einreichung des Gesuchs um Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen zu laufen beginnen.

Der Gesetzesentwurf umfasst 10 Artikel: Artikel 1 bezieht sich auf den Gegenstand.

Der Geltungsbereich wird durch eine nicht abschliessende Aufzählung näher umschrieben (Art. 2). Ausnahmen vom Geltungsbereich können namentlich dann zum Tragen kommen, wenn eine ausdrückliche Vereinbarung über den Miet- oder den Pachtzins oder ein rechtskräftiger Gerichtsentscheid vorliegt (Art. 3). Der Gesetzesentwurf konkretisiert den massgebenden Miet- oder Pachtzins (Art. 4). Mieterinnen und Mieter sowie Pächterinnen und Pächter von Einrichtungen und Betrieben, die aufgrund der Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung des Coronavirus schliessen mussten, schulden während der betreffenden Dauer 40 Prozent des massgebenden Miet- oder Pachtzinses (Art. 5). Für Gesundheitseinrichtungen, welche ihren Betrieb einschränken mussten, ist vorgesehen, dass diese Regelung ebenfalls gilt; sie ist aber auf höchstens zwei Monate beschränkt (Art. 6). In Anwendung des Gesetzes können auf Seiten von Vermieterinnen und Vermietern sowie Verpächterinnen und Verpächtern wirtschaftliche Notlagen entstehen. Für diesen Fall ist die Möglichkeit festgelegt, ein Gesuch um Entschädigung einzureichen. Die Vorlage definiert die konkreten Abläufe im Zusammenhang mit der Abwicklung der Anträge auf Entschädigung (Art. 7). Weiter enthält das Covid-19-Geschäftsmietegesetz eine Regelung betreffend den Rechtsschutz (Art. 8), eine Strafbestimmung (Art. 9) sowie Ausführungen betreffend das Referendum und das Inkrafttreten (Art. 10).

Der Bundesrat hält an seiner bisherigen Position fest, dass ein Eingriff in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Mieterinnen und Mietern sowie Vermieterinnen und Vermietern zu vermeiden ist, und verzichtet daher auf einen Antrag auf Zustimmung zu diesem Entwurf.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates 1.3.1 Verhältnis zur Legislaturplanung 1.3.2 Verhältnis zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse 1.5 Vom Parlament noch nicht behandelte Vorstösse

8312 8312 8313

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Vernehmlassungsvorlage 2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens 2.3 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

8315 8315

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 3.1 Einleitung 3.2 Deutschland 3.3 Österreich 3.4 Frankreich 3.5 Italien

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4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Persönlicher Geltungsbereich 4.1.2 Sachlicher Geltungsbereich 4.1.3 Ausnahmen vom Geltungsbereich 4.1.4 Ausstiegsklausel 4.1.5 Massgebender Miet- oder Pachtzins 4.1.6 Vorübergehende gesetzliche Anpassung des massgebenden Miet- oder Pachtzinses 4.1.7 Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen infolge von Miet- und Pachtzinsausfällen 4.2 Umsetzungsfragen 4.2.1 Miet- oder Pachtzins 4.2.2 Entschädigung bei wirtschaftlicher Notlage

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

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6

7

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.1.1 Finanzielle Auswirkungen 6.1.2 Personelle Auswirkungen 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft 6.5 Andere Auswirkungen

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Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes 7.6 Datenschutz

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Bundesgesetz über den Miet- und den Pachtzins während Betriebsschliessungen und Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Geschäftsmietegesetz) (Entwurf)

8333 8334 8334 8335

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Am 4. Juni 2020 nahm der Nationalrat die Motion 20.3451 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-NR) «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden» an. Der Ständerat nahm am 8. Juni 2020 die gleichlautende Motion 20.3460 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-SR) an.

Auf diesem Weg beauftragte das Parlament den Bundesrat, Massnahmen zu ergreifen, damit Betreiberinnen und Betreiber von Restaurants und anderen Betrieben während der vom Bundesrat im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Coronavirus verordneten Schliessung nur 40 Prozent ihrer Miete bezahlen müssen. Die Motionen fordern zudem, dass diese Regelung für Gesundheitseinrichtungen, die ihren Betrieb stark einschränken mussten, für maximal zwei Monate ebenfalls gilt.

Die Regelung soll für Mieterinnen und Mieter sowie Pächterinnen und Pächter gelten, deren Miet- oder Pachtzins maximal 20 000 Franken pro Monat und Objekt beträgt, wobei die Parteien bei einem Miet- oder Pachtzins zwischen 15 000 und 20 000 Franken auf die gesetzliche Regelung verzichten können. Der Bundesrat wird ferner aufgefordert, einen Betrag von 20 Millionen Franken vorzusehen, falls Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter aufgrund von Miet- oder Pachtzinsausfällen in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Wenn die Miet- oder Pachtparteien bereits Vereinbarungen getroffen haben, sollen diese ihre Gültigkeit behalten und nicht durch die gesetzliche Regelung aufgehoben werden.

Der Bundesrat befasste sich seit dem Ausbruch der Coronakrise bereits mehrfach mit dem Thema der Geschäftsmieten. Am 27. März 2020 verabschiedete er die COVID-19-Verordnung Miete und Pacht1, mit der namentlich die Frist bei Zahlungsrückständen vorübergehend von 30 auf 90 Tage verlängert wurde. Diese Verordnung wurde bis zum 31. Mai 2020 befristet und ist nicht mehr in Kraft. Am 8. April 2020 beschloss der Bundesrat, davon abzusehen, in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Mieterinnen und Mietern sowie Vermieterinnen und Vermietern einzugreifen. Vielmehr rief er die betroffenen Mietparteien eindringlich dazu auf, im Dialog konstruktive und pragmatische Lösungen zu finden. Weiter beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische
Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF), zusammen mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) ein Monitoring der Situation im Bereich der Geschäftsmieten durchzuführen und dem Bundesrat bis im Herbst 2020 Bericht zu erstatten. Für die Begleitung des Monitorings wurde die vom WBF am 24. März 2020 eingesetzte Task Force «Mietrecht und Coronakrise» in eine Arbeitsgruppe Geschäftsmieten umgewandelt.

1

SR 221.213.4

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1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Der Bundesrat war sich sehr bewusst, dass die Entscheide von Mitte März 2020, Betriebe und Einrichtungen zu schliessen, für die entsprechenden Geschäfte einschneidende Konsequenzen haben würden. Während des Zeitraums der Schliessung oder der Einschränkung der Tätigkeit konnte kein oder nur ein reduzierter Umsatz erzielt werden. Gleichzeitig bestanden verschiedene vertragliche Verpflichtungen, darunter auch diejenige zur Bezahlung des Miet- oder Pachtzinses. Der Bundesrat beschloss deshalb eine Reihe von Unterstützungsmassnahmen. Beim Entscheid vom 8. April 2020, nicht in die privatrechtlichen Verhältnisse der Miet- und Pachtparteien einzugreifen und diese zu einvernehmlichen Lösungen aufzurufen, ging es dem Bundesrat darum, die unterschiedlichen Verhältnisse in den Mietverhältnissen zu respektieren. Zudem appellierte er an die Eigenverantwortung der Miet- und Pachtparteien, die grundsätzlich daran interessiert sein sollten, ihr Miet- oder Pachtverhältnis fortzusetzen.

Das Parlament wählte mit der Zustimmung zu den zwei Motionen einen anderen Lösungsansatz. Das Bundesgesetz über den Miet- und den Pachtzins während Betriebsschliessungen und Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Geschäftsmietegesetz) setzt diesen parlamentarischen Auftrag um. Dieser beinhaltet einen Eingriff in die Vertragsverhältnisse der Mietparteien.

Die durchaus erwünschte Pauschallösung führt zu gewissen Abgrenzungsfragen, und die Lösung dürfte erst mehrere Monate nach dem ursächlichen Grund zum Tragen kommen.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

1.3.1

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 29. Januar 20202 zur Legislaturplanung 2019­ 2023 nicht angekündigt.

Sie ist eine unmittelbare Folge der Zustimmung des Parlaments zu den gleichlautenden Motionen WAK-NR 20.3451 und WAK-SR 20.3460 «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden».

1.3.2

Verhältnis zu Strategien des Bundesrates

Die vom Parlament überwiesenen Motionen zielen darauf ab, eine Flut von Rechtsverfahren und von Konkursen bei den betroffenen öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben zu vermeiden. Anstelle der von den Motionen geforderten Massnahmen setzte der Bundesrat auf Verhandlungen zwischen den Mietparteien, 2

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um so individuell angepasste Lösungen zu finden. Zudem behielt sich der Bundesrat vor, aufgrund des Monitorings, mit dem er am 8. April 2020 das WBF zusammen mit dem EFD beauftragte, falls nötig weitere Massnahmen zu beantragen.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Der Bundesrat beantragt, die folgenden gleichlautenden Vorstösse als erledigt abzuschreiben: Motion 20.3451 der WAK-NR und Motion 20.3460 der WAK-SR «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden». Diese Motionen beauftragen den Bundesrat, Massnahmen für Betreiberinnen und Betreiber von öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben, die aufgrund von Massnahmen des Bundes vorübergehend schliessen mussten (Art. 6 Abs. 2 der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 13. März 2020 [COVID-19-Verordnung 2] in der Fassung vom 17./19./21. März 2020)3 und für Betreiberinnen und Betreiber von Gesundheitseinrichtungen, die ihren Betrieb aufgrund von Massnahmen des Bundes reduzieren mussten (Art. 10a Abs. 2 COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 21. März 2020), zu ergreifen. Für Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter, welche in eine wirtschaftliche Notlage geraten, ist eine Finanzhilfe in der Höhe von 20 Millionen Franken vorzusehen. Bereits getroffene Vereinbarungen sollen gültig bleiben.

Mit dem vorliegenden Entwurf werden die gleichlautenden Motionen erfüllt und können abgeschrieben werden.

1.5

Vom Parlament noch nicht behandelte Vorstösse

Seit der Annahme der beiden gleichlautenden Motionen 20.3451 der WAK-NR und 20.3460 der WAK-SR «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden» sind im Parlament weitere Vorstösse eingereicht worden, welche sich mit dem gleichen Thema bzw. den Folgen der Coronakrise auf die Miet- und die Pachtverhältnisse befassen:

3

­

Interpellation 20.3838 Flach vom 19. Juni 2020 «Werden eigenverantwortliche und kantonale Lösungen bei den Mietzinserlassen berücksichtigt?»;

­

Motion 20.3386 Brenzikofer vom 06. Mai 2020 «Covid-19. Kündigungsschutz und Fristerstreckung im Geschäfts-Mietwesen».

Die mittlerweile aufgehobene COVID-19-Verordnung 2 ist zu finden auf der Publikationsplattform des Bundes bei der heute geltenden Covid-19-Verordnung 3, SR 818.101.24 > Revisionen > COVID-19-Verordnung 2. Dort sind alle Fassungen auf die im Botschaftstext Bezug genommen wird, einsehbar.

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Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Vernehmlassungsvorlage

Der Bundesrat eröffnete am 1. Juli 2020 das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes. Der Vorentwurf regelte die Festlegung des Miet- oder des Pachtzinses für öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe, die aufgrund der Massnahmen des Bundes zur Bekämpfung des Coronavirus für das Publikum schliessen mussten, und für Gesundheitseinrichtungen, die aufgrund der erwähnten Massnahmen des Bundes ihren Betrieb einschränken mussten. Die Regelung sollte Anwendung finden, wenn der Miet- oder Pachtzins für eine Miet- oder Pachtsache monatlich maximal 20 000 Franken beträgt. Bei einem monatlichen Miet- oder Pachtzins zwischen 15 000 und 20 000 Franken war eine einseitige Verzichtsmöglichkeit vorgesehen. Ausdrückliche Vereinbarungen der Vertragsparteien über die Höhe des Miet- oder Pachtzinses während der Schliessung aufgrund von Massnahmen des Bundes sowie rechtskräftige Gerichtsentscheide sollten die Anwendung des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes ausschliessen. Für die Vermieterinnen und Vermieter sowie die Verpächterinnen und Verpächter, die aufgrund von Miet- und Pachtzinsausfällen aufgrund des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes in eine wirtschaftliche Notlage geraten, war eine Entschädigung vorgesehen. Der Bundesrat war gegenüber der Entschädigung skeptisch und schlug den Verzicht vor.

Das Vernehmlassungsverfahren dauerte bis zum 4. August 2020. Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit war die Vernehmlassungsfrist verkürzt. Insgesamt gingen 178 Rückmeldungen ein. Stellung nahmen 25 Kantone, sieben in der Bundesversammlung vertretene politische Parteien, ein Dachverband der gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, vier gesamtschweizerische Dachverbände der Wirtschaft, fünfzehn weitere interessierte Organisationen und mehr als hundert nicht geladene Organisationen und Personen.

2.2

Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Das vorgeschlagene Covid-19-Geschäftsmietegesetz wurde in der Vernehmlassung kontrovers aufgenommen.4 Elf Kantone (AR, BL, GE, LU, NW, OW, SZ, TG, UR, ZG, ZH), die FDP, die SVP und die meisten Wirtschafts- sowie Vermieter- und Immobilienverbände haben die Vorlage abgelehnt. Für sie ist die Vorlage ein problematischer Eingriff in verfassungsmässige Rechte der Wirtschaftsfreiheit und der Eigentumsgarantie sowie in die privatrechtlichen Vertragsverhältnisse. Auch führe das Covid-19-Geschäftsmietegesetz zu Ungleichbehandlungen und Wettbewerbsverzerrungen. Der Vorlage zugestimmt haben acht Kantone (AI, BS, FR, GL, GR, NE, SO, VD), die SP, die CVP, die EVP, die Grüne Partei, der Schweizerische 4

Die Vernehmlassungsunterlagen, die Stellungnahmen und der Ergebnisbericht sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2020 > WBF.

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Städteverband sowie Mieterorganisationen und Gastro- und Berufsverbände. Für sie bringt das Covid-19-Geschäftsmietegesetz Klarheit und Rechtssicherheit. Allerdings geht der Gesetzesentwurf vielen Zustimmenden zu wenig weit; sie fordern u. a., dass er auch Bereiche umfassen solle, die durch die Motionen nicht abgedeckt sind. Viele Vernehmlassungsteilnehmende, insbesondere die Kreise von betroffenen Mieterinnen und Mieter bzw. Pächterinnen und Pächter, haben auf die zeitliche Dringlichkeit einer Lösung hingewiesen.

Umstritten ist die Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen. Diese wurde in vielen Rückmeldungen als unnötig abgelehnt; andere hingegen haben nicht nur die finanzielle Ausweitung dieser Entschädigung gefordert, sondern sie als zentral für die Verfassungsmässigkeit und die Ausgewogenheit der Vorlage erachtet.

2.3

Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Da der Vorentwurf von den einen als zu weit und von den anderen als zu wenig weit gehend beurteilt wurde, stellt er wohl einen Mittelweg dar. Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz orientiert sich eng am Wortlaut der zwei vom Parlament überwiesenen Motionen.

Aufgrund der Vernehmlassung passte der Bundesrat die Vorlage in einigen Punkten an, namentlich um Unsicherheiten in der Anwendung zu bereinigen. So wird in den Artikeln 1, 3, 5 und 6 des E-Covid-19-Geschäftsmietegesetzes ausdrücklich festgehalten, dass eine Schliessung oder eine Einschränkung des Betriebs aufgrund einer Massnahme des Bundes erfolgt sein muss, damit die im Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen zur Anwendung kommen können. Mit dieser Formulierung wird eine Abgrenzung zu den ausschliesslich durch die Kantone angeordneten Massnahmen geschaffen. Die Regelungen finden auf Schliessungen bzw. Einschränkungen Anwendung, welche gestützt auf die COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 angeordnet wurden, dies kommt in Artikel 1 Absatz 1 des E-Covid-19-Geschäftsmietegesetzes mit der Nennung des Zeitraums zwischen dem 17. März 2020 und dem 21. Juni 2020 zum Ausdruck. Die COVID-19Verordnung 2 vom 13. März 2020 wurde per 22. Juni 2020 aufgehoben. Die vorgenommene Anpassung verneint die in der Vernehmlassung vorgebrachte Frage nach der Geltung im Falle einer allfälligen zweiten Welle. Der Bundesrat passte die beiden Artikel mit einem Fristenlauf ab dem Inkrafttreten des Gesetzes an. Die Frist für die schriftliche Verzichtserklärung betreffend die Anwendung des Gesetzes an die andere Vertragspartei (Art. 3 Abs. 2 E-Covid-19-Geschäftsmietegesetz) und für die Einreichung der Gesuche um Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen (Art. 7 Abs. 3 E-Covid-19-Geschäftsmietegesetz) laufen ab dem ersten Tag nach der Publikation in der Amtlichen Sammlung (AS). In Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b des E-Covid-19-Geschäftsmietegesetzes wird präzisiert, dass der rechtskräftige Gerichtsentscheid vor dem Datum des ersten Tages nach der Publikation in der AS vorliegen muss. Der Bundesrat kann Ausführungsbestimmungen erlassen, wenn sich ein entsprechender Bedarf ergeben sollte.

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3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

3.1

Einleitung

Das Mietrecht der Mitgliedstaaten wird durch das Recht der Europäischen Union (EU) nicht direkt geregelt. Die Zuständigkeit für die Regelung des Mietrechts liegt bei den einzelnen Mitgliedstaaten. Die historisch gewachsene mietrechtliche Gesetzgebung ist jeweils sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die Covid-19-Pandemie hat die einzelnen europäischen Staaten und die EU vor neuartige Herausforderungen gestellt. Die Verantwortlichen haben jeweils unterschiedliche Bewältigungsstrategien gewählt, welche sich auch auf die Mietverhältnisse auswirken und ihrerseits Folgen ausgelöst haben. Diese staatlichen Regelungen sind jeweils vor dem Hintergrund der vor der Covid-19-Pandemie vorhandenen Rechtslage zu sehen. Vergleiche sind damit schwierig.

3.2

Deutschland

In Deutschland hat der Bundestag am 27. März 2020 das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht5 beschlossen. In Artikel 5 Paragraph 2 des erwähnten Gesetzes ist eine Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen enthalten. Ein Mietverhältnis über Grundstücke oder Räume kann von Seiten der Vermieterin oder des Vermieters nicht ausschliesslich aus dem Grund gekündigt werden, dass die Mieterin oder der Mieter im Zeitraum zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 den Mietzins trotz Fälligkeit nicht leistet. Die Nichtleistung muss auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruhen. Artikel 5 Paragraph 2 Absatz 1 des Gesetzes berührt die anderen Kündigungsrechte nicht. Die Beschränkung der Kündigung aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie gilt bis zum 30. Juni 2022. Die Bundesregierung von Deutschland weist darauf hin, dass in sehr vielen Fällen auf privater Basis Einigungen zwischen den Mieterinnen und Mietern sowie den Vermieterinnen und Vermietern erzielt werden konnten.6

3.3

Österreich

Für Österreich enthält das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie7 (ABGB) in Paragraph 1104 5 6

7

Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 Teil I Nr. 14, ausgegeben zu Bonn am 27. März 2020, S. 569574 www.bundesregierung.de/breg-de > Themen > Coronavirus in Deutschland > Informationen zu Miete und Verbraucherschutz > Regelungen zu Miete, Pacht und Wohneigentum > Was wird zum Schutz von Mietern und Pächtern neu geregelt?

(besucht 10. August 2020).

Der Erlassist einsehbar auf der Plattform des Rechtsinformationssystems des Bundes RIS, JGS Nr. 946/1811: www.ris.bka.gv.at > Bundesrecht > Bundesrecht konsolidiert > ABGB, Stand: 28. August 2020.

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vom 1. Januar 1917 eine Regelung für ausserordentliche Zufälle. Wenn eine in Bestand genommene Sache aufgrund ausserordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder auch Seuche, wegen grosser Überschwemmungen, Wetterschläge, oder aufgrund vollständigen Misswachses nicht gebraucht oder nicht benutzt werden kann, besteht keine Verpflichtung der Bestandgeberin oder des Bestandsgebers zur Wiederherstellung. Gleichzeitig ist in solchen Fällen kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten. Ob sich eine betroffene Miet- oder Pachtpartei erfolgreich auf Paragraph 1104 ABGB stützen kann, ist von den Umständen des Einzelfalls und dem konkreten Miet- oder Pachtvertrag abhängig. Paragraph 1105 ABGB vom 1. Januar 1917 sieht im Weiteren vor, dass einer Mieterin oder einem Mieter, die oder der trotz eines ausserordentlichen Zufalls einen beschränkten Gebrauch des Mietstückes behält, ein verhältnismässiger Teil des Mietzinses erlassen wird. Bei einem Pachtverhältnis müssen noch weitere Voraussetzungen berücksichtigt werden. Beim Bundesminister für Finanzen wurde gestützt auf das Bundesgesetz über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds (COVID-19-FondsG)8 ein COVID19-Krisenbewältigungsfonds eingerichtet. Die finanziellen Mittel können gemäss Paragraph 3 Absatz 1 Ziffer 5 COVID-19-FondsG unter anderem für Massnahmen zur Abfederung von Einnahmeausfällen infolge der Krise gebraucht werden.

In Bezug auf Wohnungsmietverträge enthält Artikel 37 Paragraph 1. des 4. COVID19-Gesetzes9 Beschränkungen der Rechtsfolgen bei Mietzinsrückständen. Wenn eine Mietpartei den Mietzins für die Wohnung, der zwischen dem 1. April 2020 und dem 30. Juni 2020 fällig wird, nicht oder nicht vollständig entrichtet, weil sie als Folge der Covid-19-Pandemie in Bezug auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in erheblicher Weise beeinträchtigt ist, kann die Vermieterin oder der Vermieter allein wegen des betreffenden Zahlungsrückstands weder den Mietvertrag kündigen noch dessen Aufhebung auf der Grundlage von Paragraph 1118 ABGB fordern. Bis zum Ablauf des 31. Dezembers 2020 hat die Vermieterin oder der Vermieter nicht die Möglichkeit, den Zahlungsrückstand auf dem Gerichtsweg einzufordern oder aus der von der Mieterin oder vom Mieter einbezahlten Kaution abzudecken.

3.4

Frankreich

Die französische Regierung hat am 26. März 2020 einen Solidaritätsfonds geschaffen. Die Begünstigten aus diesem Solidaritätsfonds müssen seit dem 26. März 2020 keine finanziellen Sanktionen befürchten, wenn sie den Mietzins für Geschäfts- oder Gewerberäume nicht bezahlen. Die Vermieterinnen und Vermieter dürfen sich zudem nicht auf vertragliche Kündigungsklauseln stützen oder die Kaution in Anspruch nehmen (Art. 4 in Verbindung mit Art. 1 Ordonnance no 2020-316 du 25 mars 2020 relative au paiement des loyers, des factures d'eau, de gaz et d'électricité afférents aux locaux professionnels des entreprises dont l'acitivité est affectée 8

9

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform des Rechtsinformationssystems des Bundes RIS: www.ris.bka.gv.at > Bundesrecht > Bundesrecht konsolidiert > COVID-19-FondsG.

Gesetzesnummer: 20011074, Stand: 16. März 2020.

Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 2020, ausgegeben am 4. April 2020, Teil I, 24. Bundesgesetz: 4. Covid-19-Gesetz.

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par la propagation de l'épidémie de covid-19)10. Die konkreten Voraussetzungen sind im Décret n° 2020-378 du 31 mars 2020 relatif au paiement des loyers, des factures d'eau, de gaz et d'électricité afférents aux locaux professionnels des entreprises dont l'activité est affectée par la propagation de l'épidémie de covid-1911 festgehalten. Die Regelung gilt für Mietzinse, deren Fälligkeitsdatum sich zwischen dem 12. März 2020 und einer Frist von zwei Monaten nach dem Datum der Beendigung des durch Artikel 4 des Loi no 2020-290 du 23 mars 2020 d'urgence pour faire face à l'épidémie de covid-19 (1)12 erklärten Gesundheitsnotstands liegt (Art. 4 Ordonnance no 2020-316 du 25 mars 2020 relative au paiement des loyers, des factures d'eau, de gaz et d'électricité afférents aux locaux professionnels des entreprises dont l'activité est affectée par la propagation de l'épidémie de covid-19). Die Unternehmen, welche von diesen Vorschriften profitieren können, sind praktisch identisch mit denjenigen, die in den Genuss des Solidaritätsfonds kommen können.

Eine von mehreren Anforderungen besteht darin, dass zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. März 2020 ein Zutrittsverbot bestand oder ein Unternehmen zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. März 2020 einen Umsatzverlust von mindestens 50 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode erlitten hat (Art. 2 Décret n o 2020371 du 30 mars 2020 relatif au fonds de solidarité à destination des entreprises particulièrement touchées par les conséquences économiques, financières et sociales de la propagation de l'épidémie de covid-19 et des mesures prises pour limiter cette propagation13).

Die französische Regierung hat eine Mediation zwischen Vermieterinnen und Vermietern sowie Mieterinnen und Mietern von Geschäftsräumen eingerichtet. Daraus ist eine Charta mit bewährten Praktiken entstanden.14 Diese enthält unter anderem die Möglichkeit und die Modalitäten der Stundung von Geschäftsmietzinsen. Weiter wird auch die Aufhebung der Mietzinspflicht thematisiert.15

10

11

12

13

14

15

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform République française, Légifrance: www.legifrance.gouv.fr/ > https://beta.legifrance.gouv.fr > Ordonnance n o 2020-316.

Stand: 27. März 2020.

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform République française, Légifrance: www.legifrance.gouv.fr/ > https://beta.legifrance.gouv.fr > Décret n o 2020-378.

Stand: 16. August 2020.

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform République française, Légifrance: www.legifrance.gouv.fr/ > https://beta.legifrance.gouv.fr > Loi no 2020-290.

Stand: 11. Juli 2020.

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform République française, Légifrance: www.legifrance.gouv.fr/ > https://beta.legifrance.gouv.fr > Décret n o 2020-371.

Stand: 16. August 2020.

www.economie.gouv.fr/mediateur-des-entreprises > Baux commerciaux: une charte de bonnes pratiques pour encadrer les reports et annulations de loyers, 24/06/2020 (besucht: 11. August 2020).

Charte des bonnes pratiques entre commerçants et Bailleurs pour faire face à la crise du COVID-19, 03 juin 2020, Ziffern 2.3 ff. und Präambel, (www.economie.gouv.fr/mediateur-des-entreprises/baux-commerciaux-chartede-bonnes-pratiques, besucht: 11. August 2020).

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3.5

Italien

Artikel 65 des Decreto Cura italia (Decreto-Legge 17 marzo 2020, n. 18, Misure di poteziamento del Servizio sanitario nazionale e di sostegno economico per famiglie, lavoratori e imprese connesse all'emergenza epidemiologica da COVID-19.

[20g00034] [GU Serie Generale n.70 del 17-03-2020]16) sah eine Steuergutschrift in der Höhe von 60 Prozent des Mietzinses mit Bezug auf den Monat März 2020 vor.

Diese bezog sich auf Gebäude der Katasterkategorie C/1 (Geschäfte und Boutiquen) und erforderte eine geschäftliche Tätigkeit. Dadurch sollten negative Auswirkungen der Massnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 begrenzt werden. Am 19. Mai 2020 trat das Decreto-Legge 19 maggio 2020, n. 34, Misure urgenti in materia di salute, sostegno al lavoro e all'economia, nonché di politiche sociali connesse all'emergenza epidemiologica da COVID-19 (20G00052) (GU Serie Generale n.128 del 19-05-2020 Suppl. Ordinario n. 21)17 in Kraft. Dieser Erlass regelt in Artikel 28 die Steuergutschrift und enthält im Vergleich zum Decreto Cura italia Änderungen und zum Teil Erweiterungen des Adressatenkreises.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Persönlicher Geltungsbereich

Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz regelt die Festlegung des Miet- oder Pachtzinses für öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe, welche gestützt auf die COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 für das Publikum schliessen mussten, und für Gesundheitseinrichtungen, welche den Betrieb aufgrund derselben Verordnung einschränken mussten. Zur Verdeutlichung wird im Covid-19-Geschäftsmietegesetz festgehalten, wer insbesondere unter den persönlichen Geltungsbereich fällt.

Für Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter, welche aufgrund der im Covid-19-Geschäftsmietegesetz vorgesehenen Massnahmen in eine wirtschaftliche Notlage geraten, ist eine Entschädigung vorgesehen.

Die beantragte Neuregelung entspricht damit dem eingereichten Text der zugrundeliegenden Motionen. Der Wortlaut des im Obligationenrecht (OR)18 geregelten Mietrechts enthält weitgehend einheitliche Regelungen für die Mieterinnen und Mieter und differenziert nur in Bezug auf spezifische Fragestellungen zwischen Mieterinnen und Mietern von Geschäftsräumen und solchen von Wohnräumen. Die in den gleichlautenden Motionen vorgenommene Ausscheidung ist der unterschiedlichen Betroffenheit der durch die COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 abgestützten Massnahmen geschuldet.

16 17 18

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform Gazzetta Ufficiale delle Repubblica Italiana: www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2020/03/17/20G00034/sg.

Der Erlass ist einsehbar auf der Plattform Gazzetta Ufficiale delle Repubblica Italiana: www.gazzettaufficiale.it/eli/id/2020/05/19/20G00052/sg.

SR 220

8320

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4.1.2

Sachlicher Geltungsbereich

Die vom Covid-19-Geschäftsmietegesetz vorgesehenen Regelungen sind anwendbar, wenn der Miet- oder Pachtzins für die Miet- oder Pachtsache pro Monat nicht mehr als 20 000 Franken beträgt. Die Obergrenze wurde bewusst eingeführt, um kleine und mittlere Unternehmen zu schützen. Die Urheber der Motionen gingen davon aus, dass sich Mieterinnen und Mieter, welche einen Mietzins von mehr als 20 000 Franken bezahlen, im Verhältnis zu den Vermieterinnen und Vermietern in einer ausgewogenen Verhandlungsposition befinden.19

4.1.3

Ausnahmen vom Geltungsbereich

Am 8. April 2020 rief der Bundesrat die von der herausfordernden Situation betroffenen Vertragsparteien dazu auf, zu konstruktiven und pragmatischen Lösungen Hand zu bieten. In diesem Zusammenhang wurde festgehalten, dass die Lösung der konkreten Lage der betroffenen Mietparteien Rechnung tragen solle. 20 Daneben schufen mehrere Kantone oder Gemeinden Anreize für die Vertragsparteien, indem im Falle einer Einigung ein gewisser Betrag vom Gemeinwesen übernommen wird.

Weiter gibt es Gemeinwesen, welche Geschäftsräume vermieten und den Mieterinnen und Mietern finanziell entgegengekommen sind. Soweit die beschriebenen ausdrücklichen Vereinbarungen sich auf die Höhe des Miet- oder Pachtzinses während der Dauer der Schliessung oder des eingeschränkten Betriebs beziehen, ist das Covid-19-Geschäftsmietegesetz nicht anwendbar. Damit greift es nur dort ein, wo eine Betroffenheit im Sinne der COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 besteht und die Mieterinnen und Mieter sowie Pächterinnen und Pächter einerseits sowie die Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter andererseits keine gemeinsame Lösung finden konnten oder kein vor dem ersten Tag nach der Publikation in der AS rechtskräftiger Gerichtsentscheid vorliegt.

4.1.4

Ausstiegsklausel

Wenn sich der massgebende Miet- oder Pachtzins auf 15 000 Franken bis 20 000 Franken beläuft, hat jede Partei die Möglichkeit, auf die Anwendung der durch das Covid-19-Geschäftsmietegesetz geschaffenen Regelung zu verzichten. Dieser Wille wird durch eine einseitige Erklärung an die andere Vertragspartei realisiert. Die Verzichtserklärung bezieht sich auf die Anwendung der Miet- und Pachtzinsregelung nach dem Covid-19-Geschäftsmietegesetz. Dies bedeutet, dass sowohl die Miet- oder Pachtzinshöhe von 40 Prozent als auch die Möglichkeit der Vermieterin 19 20

Amtliches Bulletin Ständerat, Sommersession 2020, Fünfte Sitzung, 08.06.2020, 20.3460 Motion WAK-S, AB 2020 S 396.

www.bwo.admin.ch > Medienmitteilungen > Medienmitteilung vom 8. April 2020, Coronavirus: Bundesrat ruft Mietparteien auf, Lösungen bei Geschäftsmieten zu finden, (besucht: 11. August 2020).

8321

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oder des Vermieters respektive der Verpächterin oder des Verpächters bei Vorliegen einer durch die Anwendung des Gesetzes verursachten wirtschaftlichen Notlage ein Gesuch um Entschädigung einzureichen, abgelehnt werden. Nur in einem sehr kleinen Teil der Miet- und Pachtverträge sind monatliche Miet- oder Pachtzinse zwischen 15 000 und 20 000 Franken vereinbart.

Aus Beweisgründen ist die Verzichtserklärung durch schriftliche Mitteilung auszuüben. Durch eine ab dem 1. Tag nach der Publikation des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes in der AS laufende Frist wird für die Gegenpartei Gewissheit geschaffen.

Die Ausstiegsklausel verschafft den Parteien die Möglichkeit doch noch eine eigene Vereinbarung zu treffen oder allenfalls den Rechtsweg zu beschreiten. Die Option, auf die Anwendung der Miet- und Pachtzinsregelung des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes zu verzichten, beschränkt den Eingriff in das Vertragsverhältnis auf das Nötigste.

4.1.5

Massgebender Miet- oder Pachtzins

Mit Miet- oder Pachtzins ist der Nettomiet- oder der Nettopachtzins mit allen zusammen zum Gebrauch überlassenen Sachen gemeint. Dazu gehören beispielsweise Mobilien, Garagen, Autoeinstell- und Abstellplätze sowie Gärten (Art. 253a Abs. 1 OR in Verbindung mit Art. 1 der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohnund Geschäftsräumen vom 9. Mai 199021, VMWG), selbst wenn mehrere Vertragsverhältnisse bestehen. Vom Nettomiet- und Nettopachtzins ausgenommen sind die Nebenkosten.

Wenn die Parteien im Miet- oder Pachtvertrag vereinbart haben, dass die Nebenkosten im Miet- oder Pachtzins eingeschlossen sind, haben sie für die Ermittlung des massgebenden Miet- oder Pachtzinses einen angemessenen Abzug einzurechnen.

Ein solcher ist auch vorzunehmen, wenn das Miet- oder Pachtobjekt nicht nur für geschäftliche Zwecke genutzt wird, sondern auch dem Wohnen dient.

Für die Ermittlung des massgebenden Mietzinses werden Anteile, welche nach dem Geschäftsumsatz bemessen sind, nicht berücksichtigt. Mit der Schliessung oder der Einschränkung des Betriebs geht ein Rückgang des Umsatzes einher. Der Miet- oder Pachtzins würde sich ohnehin reduzieren. Mit der ausschliesslichen Berücksichtigung der Sockelmiete wird vermieden, dass der Umsatz sich doppelt auf das Mietoder Pachtverhältnis auswirkt.

4.1.6

Vorübergehende gesetzliche Anpassung des massgebenden Miet- oder Pachtzinses

Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz regelt die Festlegung des Miet- oder des Pachtzinses für öffentlich zugängliche Einrichtungen und Betriebe, welche gestützt auf die COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 für das 21

SR 221.213.11

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Publikum schliessen mussten. Für die Dauer der vom Bund verordneten Schliessung schulden die betroffenen Betriebe 40 Prozent des massgebenden Miet- oder Pachtzinses (ohne Nebenkosten). Dies stellt eine Abweichung von den Bestimmungen des Obligationenrechts dar.

Gesundheitseinrichtungen mussten ihren Betrieb gemäss der COVID-19 Verordnung 2 in der Fassung vom 21. März 2020 einschränken. Während einer Dauer von maximal zwei Monaten schulden die Betroffenen 40 Prozent des massgebenden Miet- oder Pachtzinses (ohne Nebenkosten). Auch mit dieser Regelung weicht das Covid-19-Geschäftsmietegesetz von den Bestimmungen des Obligationenrechts ab.

Mit der Festlegung des geschuldeten Miet- oder Pachtzinses wird eine Lösung präsentiert, welche dazu dienen soll, aufwändige und lange Verfahren zu vermeiden.

In der Lehre und Praxis ist umstritten, ob die behördlich verordnete Schliessung oder der eingeschränkte Betrieb und die damit einhergehende Reduktion in der Nutzung des Miet- oder Pachtobjekts einen Mangel im Sinne der Artikel 259a ff. OR darstellen. Das Vorliegen eines mietrechtlichen Mangels könnte unter anderem eine verhältnismässige Herabsetzung des Mietzinses oder einen Schadenersatz zur Folge haben. Die Schliessung und die Einschränkung des Betriebs aufgrund von Massnahmen des Bundes infolge der Covid-19-Pandemie liegen nicht im Verantwortungsbereich der Vermieterinnen und Vermieter sowie der Verpächterinnen und Verpächter. Die beantragte Neuregelung bietet einen effektiven Weg, um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie rasch abzufedern. Für die Betroffenen wird dadurch schnell Rechtssicherheit geschaffen und es muss nicht zwingend der Rechtsweg beschritten werden.

4.1.7

Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen infolge von Miet- und Pachtzinsausfällen

Wenn in Anwendung des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes während eines zu konkretisierenden Zeitraums nur 40 Prozent des massgebenden Miet- oder Pachtzinses geschuldet sind, stellt dies auf der einen Seite für die Mieterinnen und Mieter sowie die Pächterinnen und Pächter eine finanzielle Entlastung dar. Auf der anderen Seite erleiden die Vermieterinnen und Vermieter sowie die Verpächterinnen und Verpächter eine Einbusse von 60 Prozent des massgebenden Miet- oder Pachtzinses. Eine wirtschaftliche Notlage kann beispielsweise dann entstehen, wenn mit der reinen Kostenmiete gerechnet wird oder die Einbusse die wirtschaftliche Existenz bedroht.

Für diese Sachverhalte sieht das Covid-19-Geschäftsmietegesetz die Bereitstellung eines Betrags von höchstens 20 Millionen Franken vor. Der Bundesrat ist allerdings skeptisch gegenüber dieser Entschädigung und schlägt deshalb vor, darauf zu verzichten.

Die betroffenen Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter können beim Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) ein begründetes Gesuch auf Entschädigung einreichen. Die wirtschaftliche Notlage muss eine Folge der aufgrund des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes erlittenen Einbusse sein. Die Parteien des betroffenen Miet- oder Pachtverhältnisses sind dazu verpflichtet, sachdienliche Unterlagen einzureichen und die nötigen Auskünfte zu erteilen. Auf diese 8323

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Weise kann sichergestellt werden, dass die notleidenden Parteien Unterstützung erhalten. Die Höhe der Entschädigung wird im Einzelfall festgestellt. Sie darf nicht höher sein als der Betrag der erlittenen finanziellen Einbusse. In Bezug auf die Beurteilung der Gesuche sind die allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege heranzuziehen.

Für den Fall, dass der Umfang der Gesuche die verfügbaren Mittel übersteigt, enthält das Gesetz zwei Mechanismen. Das BWO kann zusätzliche Anforderungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage festlegen, und es kann die Höhe der Entschädigung allgemein begrenzen.

Da es eine gewisse Zeit dauern kann, bis geklärt ist, ob auf Seiten einer Vermieterin oder eines Vermieters sowie einer Verpächterin oder eines Verpächters eine wirtschaftliche Notlage vorliegt, enthält das Covid-19-Geschäftsmietegesetz, eine Frist von sechs Monaten ab dem 1. Tag nach der Publikation in der AS für die Einreichung des Gesuchs um Entschädigung.

Im Zusammenhang mit Finanzhilfen im Allgemeinen und insbesondere auch in Bezug auf die Unterstützungsmassnahmen aufgrund der Covid-19-Pandemie wird jeweils die Befürchtung von Missbräuchen geäussert. Diesem Umstand wird durch eine Strafbestimmung mit der Androhung einer Busse von bis zu 10 000 Franken Rechnung getragen.

4.2

Umsetzungsfragen

4.2.1

Miet- oder Pachtzins

Die Vorlage bezieht sich einerseits auf die Festlegung des Miet- oder Pachtzinses von Einrichtungen und Betrieben, welche gestützt auf die COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 während einer bestimmten Zeit schliessen oder die Tätigkeit einschränken mussten. Es handelt sich hierbei um eine Anknüpfung an die Gegenleistung für die Überlassung der Räumlichkeiten zum Gebrauch. Die Miet- und Pachtverträge als Ausfluss der Privatautonomie weisen in der Praxis vielgestaltige Erscheinungsformen auf. Zudem befindet sich die Abwicklung der vertraglichen Forderungen in unterschiedlichen Stadien. Ein Teil der Mieterinnen und Mieter sowie der Pächterinnen und Pächter hat den Miet- bzw. Pachtzins vollständig beglichen, während andere Vertragsparteien in einem Rückstand sind. Es gibt auch Vertragsparteien, welche bewusst zuwarten. Die Umsetzung der Vorlage im Bereich der Miet- und Pachtzinse erfolgt durch die Vertragsparteien. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes in unterschiedlichen Ausgangspositionen befinden. Zudem erhalten die Betroffenen die Möglichkeit, eigene auf den konkreten Einzelfall angepasste Lösungen zu realisieren.

In den Fällen, in denen die Abwicklung umstritten ist, können die Betroffenen die in der Zivilprozessordnung22 vorgesehenen Verfahren einleiten. Dem Grundsatz nach ist zunächst ein Schlichtungsversuch vor der Schlichtungsbehörde in Mietsachen 22

SR 272

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einzuleiten. Es gibt bestimmte Abweichungen, welche in der Zivilprozessordnung aufgeführt sind (Art. 198: Ausnahmen; Art. 199: Verzicht auf das Schlichtungsverfahren). Die Vertragsparteien können auch den Antrag auf eine Mediation stellen, welche an die Stelle des Schlichtungsverfahrens tritt. Abhängig vom Ausgang des Schlichtungsverfahrens oder einer allfälligen Mediation können nachfolgend die Gerichte angerufen werden.

4.2.2

Entschädigung bei wirtschaftlicher Notlage

Die Voraussetzungen für ein Gesuch auf Entschädigung in wirtschaflichen Notlagen sind in Ziffer 4.1.7 beschrieben, Für das Verfahren und namentlich auch die Beschwerde gegen eine Verfügung des BWO sind Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 196823 anwendbar.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 1

Gegenstand

Die gleichlautenden Motionen 20.3451 der WAK-NR und 20.3460 der WAK-SR «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden» nehmen Bezug auf die Schliessung von öffentlich zugänglichen Einrichtungen gestützt auf Artikel 6 Absatz 2 sowie auf Betriebseinschränkungen bei Gesundheitseinrichtungen gestützt auf Artikel 10a Absatz 2 der COVID-19-Verordnung 2, Fassungen vom 21. März 2020 und 19. März 2020. Diese Schliessungen und Einschränkungen gehen zurück auf die Beschlüsse des Bundesrates vom 16. März 2020 und sind von kantonalen Einschränkungsbeschlüssen zu unterscheiden. In Absatz 1 wird festgehalten, dass durch das Gesetz die Festlegung des Miet- oder Pachtzinses für diese Einrichtungen und Betriebe geregelt wird. Das Gesetz soll für alle Schliessungen und Einschränkungen aufgrund der Verordnung Geltung haben.

Mit der Angabe der Frist wird klargestellt, dass sich die Vorlage auf Schliessungen bzw. Einschränkungen der Tätigkeit bezieht, welche gestützt auf die COVID-19Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 angeordnet worden sind.

In Bezug auf den erfassten Zeitraum stellen die beiden gleichlautenden Motionen ausdrücklich auf die Schliessungen und Einschränkungen von Betrieben im Frühjahr 2020 ab. Sowohl der Vorentwurf als auch der Entwurf für das Covid-19-Geschäftsmietegesetz setzen diesen Auftrag um. Im Vernehmlassungsverfahren wurde die Thematik einer zweiten Welle aufgeworfen. Am 12. August 2020 hat der Bundesrat die Botschaft zum Gesetzesentwurf über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) zuhanden der Bundesversammlung verabschiedet.24 Sollte das erwähnte dringliche 23 24

SR 172.021 Coronavirus: Bundesrat verabschiedet Botschaft zum Covid-19-Gesetz, www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > 12.08.2020 (besucht: 13. August 2020).

8325

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Bundesgesetz in Kraft treten, so stünden gesetzliche Grundlagen für die Aufrechterhaltung von Massnahmen, die zur Bewältigung der Covid-19 Epidemie weiterhin nötig sind, zur Verfügung. Das Covid-19-Gesetz enthält allerdings keine ausdrückliche Bestimmung zum Mietrecht.

Der Hinweis auf den Miet- oder Pachtzins erfolgt ohne Einschränkungen. Dies hat zur Folge, dass sich das Gesetz auch auf die Untermiete gemäss Artikel 262 OR sowie auf die Unterpacht gemäss Artikel 291 OR bezieht.

Durch die Motionen 20.3451 und 20.3460 wird der Bundesrat ferner beauftragt, einen Betrag von 20 Millionen Franken für Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter vorzusehen, falls diese aufgrund von Miet- oder Pachtzinsausfällen in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Dieser Zweck ist in Absatz 2 festgehalten, wobei zum Ausdruck gebracht wird, dass wirtschaftliche Notlagen gemeint sind, die durch Miet- oder Pachtzinsausfälle aufgrund des vorliegenden Gesetzes hervorgerufen worden sind.

Art. 2

Geltungsbereich

Die Aufzählung in Artikel 2 ist nicht abschliessend. Die Buchstaben a­e nennen einzelne Einrichtungen und Betriebe, die in Artikel 6 Absatz 2 der COVID-19Verordnung 2 (so beispielsweise in der Fassung vom 19. März 2020) aufgeführt waren. Buchstabe f bezieht sich auf Gesundheitseinrichtungen gemäss Artikel 10a Absatz 2 der COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 21. März 2020. Ob ein Geschäftsbetrieb aufgrund der Verordnung geschlossen werden musste oder von Betriebseinschränkungen betroffen war, muss für den jeweiligen Einzelfall beurteilt werden. Gleiches gilt für Geschäftsbetriebe, die gestützt auf die Ausnahmebestimmung von Artikel 6 Absatz 3 der COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 offenbleiben konnten. In Buchstabe a wird exemplarisch das Beispiel von Lebensmittelläden oder anderen Einkaufsläden für Gegenstände des täglichen Bedarfs genannt. Konnte ein solches Geschäft geöffnet bleiben, so fällt es selbst dann nicht unter das Gesetz, wenn einzelne Gegenstände für den nichttäglichen Bedarf, die ebenfalls im Sortiment geführt werden, nicht verkauft werden durften. Massgebend für die Anwendung des Gesetzes ist der Sachverhalt der Schliessung oder der Betriebseinschränkung und nicht die Auswirkung auf den Umsatz.

Das Gesetz gilt auch, wenn ein Miet- oder Pachtobjekt nicht nur ein Ladenlokal umfasst, sondern auch anderen Zwecken dient. So verfügen beispielsweise Autogaragen oder Fahrradgeschäfte regelmässig sowohl über Verkaufsräume, die geschlossen werden mussten, als auch über eine Werkstatt, in der der Reparaturbetrieb aufgrund von Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe i der COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 (Werkstätten für Transportmittel) offenbleiben konnte. Dass solche Betriebe im Unterschied zu Einrichtungen mit umfassender Schliessung einen (reduzierten) Ertrag generieren konnten, spricht nicht gegen die Geltung des Gesetzes, denn dieses sieht für alle betroffenen Einrichtungen eine pauschale Lösung vor, die sich nicht nach der konkreten Umsatzentwicklung richten kann.

8326

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Im Vernehmlassungsverfahren wurde in mehreren Stellungnahmen gefordert, dass auch Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, Optikerinnen und Optiker sowie Fitness- und Gesundheitscenter unter den Geltungsbereich des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes fallen sollen. In der Regel handelt es sich bei den erwähnten Akteuren um Gesundheitseinrichtungen im Sinne von Artikel 10a Absatz 2 der COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 21. März 2020, auf welche das Covid-19-Geschäftsmietegesetz entsprechend der Vorgabe der beiden gleichlautenden Motionen 20.3451 und 20.3460 anwendbar ist.

Zudem ist die Aufzählung in Artikel 2 Absatz 1 des Entwurfs für das Covid-19Geschäftsmietegesetz nicht abschliessend.

Das Gesetz ist nicht anwendbar, wenn der Nettomiet- oder Nettopachtzins 20 000 Franken übersteigt. Mit dem Hinweis auf Geschäftsräume wird verdeutlicht, dass der Monatszins pro Miet- oder Pachtobjekt und nicht das Vertragsvolumen gemeint ist. Werden in einem einzelnen Vertrag mehrere eigenständige Miet- oder Pachtsachen zusammengefasst, so gilt das Gesetz für jedes dieser Objekte, für das ein Miet- oder Pachtzins von höchstens 20 000 Franken vereinbart ist, selbst dann, wenn die monatliche Gesamtsumme darüber liegt.

Art. 3

Ausnahmen vom Geltungsbereich

Die Motionen 20.3451 und 20.3460 verlangen, dass zwischen den Parteien bereits getroffene Vereinbarungen ihre Gültigkeit behalten sollen. Auch künftige Einigungen sollen möglich sein. Deshalb wird festgehalten, dass das Gesetz nicht anwendbar ist, wenn eine ausdrückliche Einigung über die Höhe des Miet- oder Pachtzinses während der Zeit der Schliessung oder Betriebseinschränkung gestützt auf die COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 17./19./21. März 2020 besteht. Dies bedeutet umgekehrt, dass andere Abmachungen, wie beispielsweise Stundungs- oder Ratenzahlungsabreden, keine Vereinbarung im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a darstellen, welche die Anwendung des Gesetzes ausschliessen. Ebenso wenig wird eine Einigung dadurch begründet, dass der bisherige Miet- oder Pachtzins bezahlt worden ist.

In einigen Kantonen gelten sogenannte Anreizlösungen, die eine staatliche Unterstützung vorsehen für den Fall, dass die Vertragsparteien eine einvernehmliche Lösung erzielen. Auch solche Vereinbarungen stellen eine Einigung im Sinne dieser Bestimmung dar und haben zur Folge, dass das Gesetz nicht anwendbar ist. Die kantonalen Lösungen beziehen sich zum Teil auf einen Zeitraum nach der Schliessung. Demnach ist es möglich, dass das Covid-19-Geschäftsmietegesetz und eine Vereinbarung nacheinander und damit nicht kumulativ zur Anwendung gelangen.

Es ist denkbar, dass sich eine Vereinbarung nur auf einen Teil der Periode der Schliessung oder Betriebseinschränkung bezieht. Liegt beispielsweise eine Einigung über einen Mietzinserlass für einen Monat vor, so muss aufgrund der konkreten Umstände beurteilt werden, ob damit die ganze Zeitdauer der Schliessung oder Betriebseinschränkung abgedeckt oder aber nur der betreffende Monat geregelt sein soll. Letzteres würde bedeuten, dass das Gesetz für die verbleibende Periode der Beeinträchtigung anwendbar wäre.

8327

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Sofern über die Höhe des Miet- oder Pachtzinses ein vor dem ersten Tag nach der Publikation in der AS rechtskräftiger Gerichtsentscheid vorliegt, hat dieser die gleiche Wirkung wie eine verbindliche Einigung. Für laufende Gerichtsverfahren, die seinen sachlichen Anwendungsbereich betreffen, kommt das Gesetz rückwirkend zur Anwendung (vgl. Art. 10 Abs. 2).

Der Wortlaut der Motionen 20.3451 und 20.3460 gibt vor, dass bei einem Zins zwischen 15 000 Franken und 20 000 Franken beide Parteien die Möglichkeit haben, von dieser Regelung abzusehen. Diese «Optout-Klausel» wird umgesetzt, indem das Gesetz keine Geltung hat, wenn eine entsprechende Verzichtserklärung erfolgt. Dies bedeutet auch, dass in solchen Fällen keine Grundlage für eine Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen gestützt auf Artikel 7 besteht. Ergeben sich also nach einer Ausstiegserklärung einer der Parteien Miet- oder Pachtzinsausfälle (beispielsweise aufgrund eines Gerichtsurteils), so können Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter kein Gesuch auf Entschädigung einreichen.

Ein Miet- oder Pachtzins zwischen 15 000 und 20 000 Franken ist nur in einem sehr kleinen Teil der Miet- und Pachtverträgen vereinbart worden.

Im Interesse der Rechtssicherheit soll die Verzichtserklärung innerhalb nützlicher Frist und deshalb innerhalb von 60 Tagen ab dem 1. Tag nach der Publikation dieses Gesetzes in der AS erfolgen.

Art. 4

Massgebender Miet- oder Pachtzins

Es wird klargestellt, dass der gesamte Miet- oder Pachtzins gemeint ist, also auch für alle Sachen, die zusammen mit den Räumen zum Gebrauch überlassen werden.

Gemäss Artikel 1 VMWG gehören dazu insbesondere Mobilien, Garagen, Autoeinstell- und Abstellplätze sowie Gärten, selbst wenn mehrere Vertragsverhältnisse bestehen. Massgebend für die Berechnung ist jedoch nur der Nettomiet- oder Nettopachtzins, also der Miet- oder Pachtzins ohne die Nebenkosten. Die Höhe der Nebenkosten richtet sich nach der letzten Nebenkostenabrechnung. Handelt es sich um ein neues oder umfassend erneuertes Objekt, für das noch keine Nebenkostenabrechnung erstellt wurde, dürfte je nach dem auf einen vereinbarten Akontobetrag oder auf eine Schätzung durch eine Fachexpertin oder einen Fachexperten abgestellt werden. Sofern eine entsprechende Abmachung besteht, ist schliesslich die vereinbarte Nebenkostenpauschale entscheidend.

Die Nebenkosten werden nicht immer separat ausgeschieden. In manchen Vertragsverhältnissen sind sie im Miet- oder im Pachtzins inbegriffen. In solchen Fällen ist eine Ausscheidung vorzunehmen, indem für den Nebenkostenanteil ein angemessener Abzug vorgenommen wird.

Viele Miet- oder Pachtverhältnisse beschränken sich nicht auf geschäftliche Einrichtungen, sondern umfassen auch Wohnraum. Zu denken ist etwa an einen Gastronomiebetrieb mit eingebauter Wohnung für die Wirtsleute. In solchen Fällen ist eine Ausscheidung vorzunehmen, indem für den Wohnungsanteil ein angemessener Abzug vorgenommen wird. Beläuft sich der Saldo auf nicht mehr als 20 000 Franken, so ist das Gesetz aufgrund der Regelung in Absatz 2 anwendbar.

Im Bereich der Miete und Pacht von Geschäftsräumen sind Vertragsvereinbarungen üblich, wonach der Miet- oder Pachtzins ganz oder teilweise nach dem Ge8328

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schäftsumsatz bemessen wird. Wo dies der Fall ist, werden auch die durch Schliessungen und Einschränkungen bedingten Umsatzschwankungen berücksichtigt.

Deshalb wird der betreffende Anteil für die Festlegung der Höhe des massgebenden Miet- oder Pachtzinses nicht berücksichtigt. Die 40-Prozent-Regel greift in solchen Fällen nur für einen allfälligen Sockelbetrag, der unabhängig vom erzielten Umsatz geschuldet ist. Der während der Schliessung tiefere Umsatz wirkt sich je nach vertraglicher Regelung mit mehr oder weniger grosser Verspätung auf die Miet- oder Pachtzinslast aus. Daher sind trotz Umsatzmiete oder Umsatzpacht Engpässe möglich. Solche können indessen durch Bankkredite überbrückt werden, die in Umsetzung des Programms zur Gewährung von Bürgschaften zur Abfederung der Auswirkungen des Coronavirus (COVID-19) gemäss COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung25 gewährt werden. Die erwähnte Verordnung soll in das Bundesgesetz über Kredite mit Solidarbürgschaft infolge des Coronavirus (Covid-19-Solidarbürgschaftsgesetz) überführt werden. Die Vernehmlassung zur Vorlage dauerte bis 21. Juli 2020.

Der Hinweis auf den Geschäftsumsatz bedeutet umgekehrt, dass bei allen anderen möglichen Festlegungskriterien der geltende Nettomiet- oder Nettopachtzins in vollem Umfang massgebend ist, so beispielsweise auch bei einer Index- oder einer Staffelmiete.

Art. 5

Geschuldeter Miet- oder Pachtzins

In Artikel 5 wird die zentrale Vorgabe der Motionen 20.3451 und 20.3460 umgesetzt, wonach Mieterinnen und Mieter sowie Pächterinnen und Pächter von öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betrieben nur 40 Prozent des massgebenden Miet- oder Pachtzinses schulden. Diese Regelung gilt in Abweichung von den Bestimmungen des Obligationenrechts (OR) und ausdrücklich nur für die Dauer der verordneten Schliessung. Wurde nach Ablauf der behördlichen Anordnung beispielsweise aus wirtschaftlichen Gründen mit der Wiedereröffnung zugewartet, so hat die 40-Prozent-Regel für die betreffende Periode keine Geltung.

Die Bestimmung der Höhe des Miet- oder Pachtzinses, für den die 40-Prozent-Regel gilt, richtet sich nach den Kriterien in Artikel 4, die auch für die Berechnung im Zusammenhang mit dem Geltungsbereich des Gesetzes gelten. Massgebend ist der Nettomiet- oder Nettopachtzins für die gemieteten oder gepachteten Geschäftsräume mit allen damit zusammen zum Gebrauch überlassenen Sachen ohne Nebenkosten.

Art. 6

Gesundheitseinrichtungen

Die 40-Prozent-Regel gemäss Artikel 5 gilt auch für Gesundheitseinrichtungen, die ihren Betrieb gestützt auf Artikel 10a Absatz 2 der COVID-19-Verordnung 2 in der Fassung vom 21. März 2020 einschränken mussten, auch hier ausdrücklich nur für die Dauer der verordneten Einschränkung. Zudem ist die Höchstgeltungsdauer gemäss Vorgabe der Motionen 20.3451 und 20.3460 auf zwei Monate beschränkt.

25

SR 951.261

8329

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Art. 7

Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen

Wie unter Ziffer 4.1.7 ausgeführt, schlägt der Bundesrat vor, auf die Massnahme einer Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen zu verzichten.

Der durch die Motionen 20.3451 und 20.3460 vorgegebenen Mitteleinsatz zugunsten von Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter beläuft sich auf 20 Millionen Franken. Durch die gewählte Formulierung wird sichergestellt, dass die diesbezüglichen Ausgaben auf den erwähnten Höchstbetrag begrenzt bleiben. Sobald die Mittel ausgeschöpft sind, werden keine weiteren Entschädigungen mehr ausbezahlt.

Voraussetzung für eine Entschädigung ist eine wirtschaftliche Notlage der Vermieterin oder des Vermieters respektive der Verpächterin oder des Verpächters, die durch Miet- oder Pachtzinsausfälle aufgrund der 40-Prozent-Regel hervorgerufen worden ist.

Ob eine wirtschaftliche Notlage vorliegt oder nicht, ist jeweils nach den Verhältnissen des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Eine wirtschaftliche Notlage kann beispielsweise dadurch begründet sein, dass die finanzielle Einbusse eine massive Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation hervorruft, ein Konkursverfahren zur Folge hat oder haben könnte oder verglichen mit dem Durchschnitt zu stossenden Auswirkungen führen würde.

Von einer wirtschaftlichen Notlage ist auch auszugehen, wenn eine reine Kostenmiete angewendet wird. Im Gegensatz zum allgemeinen System der Kostenmiete gemäss OR bedeutet die reine Kostenmiete eine Beschränkung auf die Deckung der tatsächlichen Kosten plus Minimalrendite. Im Bereich des OR setzt die Anwendung der reinen Kostenmiete den Verzicht auf Quartierüblichkeit und Teuerungsausgleich voraus (Art. 13 Abs. 3 VMWG). Eine reine Kostenmiete gilt zudem im Bereich des Wohnraumförderungsgesetzes vom 21. März 200326 sowie von kantonalen Fördererlassen und wird von den gemeinnützigen Wohnbauträgern regelmässig auch für Geschäftsräume angewendet. Bei der reinen Kostenmiete führt die Mietzinsreduktion automatisch zu ungedeckten Kosten und damit zu einer wirtschaftlichen Notlage.

Da es eine gewisse Zeit dauern kann, bis sich zeigt, ob eine wirtschaftliche Notlage entsteht, gilt für die Einreichung des Gesuchs eine Frist von sechs Monaten ab dem 1. Tag nach der Publikation des Gesetzes in der AS. Ist noch bis zu diesem Zeitpunkt ungewiss, ob ein Miet- oder Pachtzinsausfall
und daraus resultierend eine Notlage eintreten wird, so kann ein Gesuch gestellt und vorläufig sistiert werden.

Bei der Einreichung eines Gesuchs müssen bestimmte Unterlagen eingereicht werden, so der Miet- oder Pachtvertrag, die Korrespondenz, aus der die Reduktion auf 40 Prozent des Miet- oder Pachtzinses hervorgeht, sowie weitere Dokumente, durch die das Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage belegt wird. Die Gesuchsüberprüfung kann es erforderlich machen, einzelne Informationen zu verifizieren. Aus diesem Grund sind auch die Mieterinnen und Mieter sowie Pächterinnen und Pächter verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und Unterlagen einzureichen, sofern sie dazu aufgefordert werden. Die Mitwirkungspflicht kann auch aus Artikel 13 des Verwaltungsverfahrensgesetzes abgeleitet werden.

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SR 842

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Die Höhe der Entschädigung ist begrenzt. Sie darf die erlittene Mietzins- oder Pachtzinseinbusse nicht übersteigen. Dadurch wird verhindert, dass insgesamt Einnahmen resultieren können, die höher sind als der ordentliche Mietzins- oder Pachtzinsertrag.

Da der zur Verfügung stehende Gesamtbetrag begrenzt ist, kann es möglich sein, dass die Nachfrage die verfügbaren Mittel übersteigt. Das BWO kann daher zusätzliche Anforderungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage festlegen, um zu verhindern, dass diejenigen Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter, die am stärksten auf Entschädigung angewiesen sind, leer ausgehen.

Als Alternative dazu kann das BWO auch eine zusätzliche Begrenzung der Höhe der Entschädigungen vornehmen. Dies ermöglicht es, dass eine grössere Anzahl von Vermieterinnen und Vermietern sowie Verpächterinnen und Verpächtern in den Genuss einer Entschädigung kommen kann. Es liegt im Ermessen des BWO zu entscheiden, welche der beiden möglichen Massnahmen zum Tragen kommt. Denkbar ist auch eine Kombination von beiden.

Art. 8

Rechtsschutz

Es finden die allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege Anwendung.

Art. 9

Strafbestimmung und Anzeige von Übertretungen

Es ist angezeigt, das vorsätzliche Erwirken einer Entschädigung durch falsche Angaben unter Strafe zu stellen. Dies ist umso wichtiger, als nicht gesichert ist, dass die klassischen Straftatbestände des Betrugs oder der Urkundenfälschung ohne Weiteres greifen. Hinsichtlich des Betrugs gemäss Artikel 146 des Strafgesetzbuches(StGB) 27 würde sich insbesondere die Frage stellen, ob eine blosse Falschangabe der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers als Arglist qualifiziert werden kann, da in Anbetracht begrenzter Kapazitäten eine Überprüfung der Angaben möglicherweise nicht immer erfolgen kann. Eine Urkundenfälschung nach Artikel 251 StGB scheint regelmässig nicht vorzuliegen, weil den Angaben der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers zumeist die Urkundenqualität abgeht. Sollten die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte im Einzelfall dennoch das Vorliegen einer schwereren strafbaren Handlung bejahen, so gehen der oder die Tatbestände des StGB der vorliegenden Strafnorm vor.

Bei der Festlegung des Strafmasses ist zu berücksichtigen, dass die Entschädigung zeitlich limitiert ist und dass der monatliche Höchstbetrag 12 000 Franken beträgt (60 % des anrechenbaren Höchstmietzinses von 20 000 Franken). Insofern ist der mögliche Deliktbetrag begrenzt. Andererseits ist es denkbar, dass dieselbe Person für mehrere Objekte mit Falschangaben eine Entschädigung erwirkt. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint der für Bussen vorgesehene Strafrahmen von 10 000 Franken angemessen. Dieser Betrag entspricht auch der in Artikel 106 Absatz 1 StGB geregelten ordentliche Bussenhöhe.

27

SR 311.0

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Durch Absatz 2 wird die Rechtmässigkeit von allfälligen Strafanzeigen durch die betreffenden Personen statuiert. Dadurch wird gewährleistet, dass auf einen solchen Schritt nicht aus Respekt vor allfälligen rechtlichen Folgen verzichtet wird.

Art. 10

Referendum und Inkrafttreten

Die Gesetzesvorlage ist ein dringlich zu erklärendes Bundesgesetz mit Verfassungsgrundlage und einer Geltungsdauer von mehr als einem Jahr. Es untersteht dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. b der Bundesverfassung [BV] 28).

Dringliche Bundesgesetze treten in der Regel am Tag nach der Verabschiedung in Kraft. Diesfalls ist eine dringliche Veröffentlichung nach Artikel 7 Absatz 3 des Publikationsgesetzes vom 18. Juni 200429 vorgesehen.

Da das vorliegende Gesetz die Festlegung des Miet- oder Pachtzinses im Zusammenhang mit Schliessungen und Betriebseinschränkungen ab dem 17. März 2020 regelt, wird die rückwirkende Geltung ab diesem Zeitpunkt statuiert. Aufgrund der ungewissen rechtlichen Situation in Bezug auf den Miet- oder Pachtzins während der Schliessungen und Betriebseinschränkungen ist die Rückwirkung durch triftige Gründe gerechtfertigt. Auch ist sie mit einer Dauer von rund 9 Monaten in zeitlicher Hinsicht angemessen. Es handelt sich um eine vereinfachende Bestimmung, die nicht jedem Einzelfall in gleichem Umfang entsprechen kann. Aufgrund der 40-Prozent-Regel, die zu einer gewissen Opfersymmetrie führt, und der zeitlich begrenzten Wirkung resultieren indessen keine stossenden Rechtsungleichheiten.

Auch ist die Rückwirkung durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt.

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

6.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Die beantragte Neuregelung sieht vor, dass der Bund einen Beitrag von höchstens 20 Millionen Franken bereitstellt, um Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter bei Vorliegen einer durch die Anwendung des Gesetzes verursachten wirtschaftlichen Notlage finanziell zu unterstützen. Damit entspricht das Covid-19-Geschäftsmietegesetz den beiden gleichlautenden Motionen 20.3451 der WAK-NR und 20.3460 der WAK-SR «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden». Für die vorgesehenen Entschädigungen bei wirtschaftlicher Notlage sind im Voranschlag 2021 resp. im integrierten Aufgaben- und Finanzplan 2022 20 Millionen Franken vorzusehen.

28 29

SR 101 SR 170.512

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6.1.2

Personelle Auswirkungen

Die Abwicklung der Entschädigungen bei einer wirtschaftlichen Notlage setzt den Aufbau von entsprechenden Strukturen und Prozessen voraus. Um die Gesuche formell und materiell zu prüfen, über sie zu entscheiden und die Entschädigungen auszuzahlen, sind im BWO zusätzliche personelle Ressourcen notwendig. Aufgrund von Schätzungen dürften gegen 80 000 Mietverhältnisse in den Anwendungsbereich des geplanten Gesetzes fallen. In vielen Fällen dürften Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter an mehr als einem Miet- oder Pachtverhältnis beteiligt sein. Weil jedoch vor allem kleinere Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter von einer wirtschaftlichen Notlage betroffen sein werden, sind wohl zwischen 4000 und 5000 Gesuche zu erwarten, wobei die Anzahl der auszurichtenden Finanzhilfen wiederum tiefer liegen dürfte. Aufgrund dieser Annahmen führt die Umsetzung des vorliegenden Gesetzesentwurfs zu einem befristeten (von Anfang 2021 bis Ende 2022) personellen Mehrbedarf von jährlich rund 360 000 Franken für zwei Vollzeitstellen (Personalbezüge inkl. Arbeitgeberbeiträge).

Die Finanzierung wird intern aufgefangen. Dies hat allerdings zur Folge, dass die im Rahmen der strukturellen Reformen beschlossene Reduktion des Funktionsaufwands des BWO (Bundesratsbeschluss vom 1. Juni 2018) innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens und unter Einhaltung der finanziellen Ziele primär in den Voranschlägen für die Jahre 2023 und 2024 umgesetzt werden muss. Falls sich aufgrund dieser zusätzlichen Aufgabe Anpassungen bei der strukturellen Reform des BWO ergeben sollten, wäre zu prüfen, ob der Beschluss des Bundesrates vom 1. Juni 2018 punktuell angepasst werden muss.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die beantragte Neuregelung wirkt sich auf Miet- und Pachtverhältnisse in der gesamten Schweiz aus. Eine stärkere Betroffenheit besteht in denjenigen Gebieten, in denen sich mehr Betriebe und Gesundheitseinrichtungen befinden. Dies dürfte vor allem in städtischen Gebieten der Fall sein.

Einige Kantone und Gemeinden haben in der Funktion als Vermieterin mit der jeweiligen Gegenpartei Vereinbarungen getroffen. Daneben habe mehrere Kantone Unterstützungsmodelle für Geschäftsmieten entwickelt, welche vorwiegend auf einem Anreizmodell basieren. Grundlage für die Anwendung eines solchen Modells ist meist eine Einigung zwischen den Vertragsparteien. Aus diesem Grund kommt die Ausnahmeregelung gemäss Artikel 3 Absatz 1 des Entwurfs zum Covid-19Geschäftsmietegesetz zum Tragen.

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6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die beiden Motionen 20.3451 der WAK-NR und 20.3460 der WAK-SR zielen darauf ab, dass die von der Schliessung oder Einschränkung betroffenen öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betriebe nicht in den Konkurs getrieben werden.

Mit der Abstützung auf Artikel 100 BV wird ausgedrückt, dass mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf auch konjunkturpolitische und gesamtwirtschaftliche Ziele verfolgt werden. Allerdings müssen mit der vorgeschlagenen Regelung die Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter auf Miet- und Pachtzinse verzichten. Weil Daten zu den Geschäftsmieten nur rudimentär oder gar nicht vorhanden sind, müssen die finanziellen Auswirkungen dieser Regelung aufgrund bestimmter Annahmen abgeschätzt werden. Gemäss Schätzungen des Beratungsbüros Wüest Partner von Anfang Mai 2020 sind rund 80 000 Mietverhältnisse in den Bereichen Verkauf, Gastgewerbe und Gewerbe durch die angeordneten Schliessungen betroffen (was rund 40 Prozent der Miet- und Pachtverhältnisse im Geschäftsbereich entspricht). Von den rund 80 000 Miet- und Pachtverhältnissen fallen rund 94 Prozent sicher unter die vorgesehene Regelung, weil deren Miet- oder Pachtzins 15 000 Franken nicht übersteigt. Allerdings decken diese lediglich 43 Prozent des Gesamtvolumens der Miet- und Pachtzinse ab.

Unter der Annahme, dass die Regelung normalerweise während zwei Monaten zur Anwendung kommt, ergeben sich für die Vermieterinnen und Vermieter sowie Verpächterinnen und Verpächter Einbussen: Die Miet- und Pachtzinseinnahmen reduzieren sich um insgesamt rund 212 Millionen Franken. Dabei wurden gewisse Annahmen zum Anteil der Miet- und Pachtparteien getroffen, die sich für ein Optout entscheiden. Zudem wurde die vorgesehenen Mittel für wirtschaftliche Notlagen sowie die freiwillig vereinbarten Miet- und Pachtzinssenkungen (auch hier aufgrund von Schätzungen) bereits abgezogen. Gemessen an den jährlichen Mietzinseinahmen aus Geschäftsmieten machen die erwähnten 212 Millionen Franken circa 1,6 Prozent aus. Diese Daten basieren auf Schätzungen und Berechnungen von Anfang Mai 2020. Im Rahmen des vom Bundesrat beschlossenen Monitorings können belastbarere Daten erwartet werden. Die entsprechende Berichterstattung wird im Oktober 2020 erfolgen.

6.4

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Es ist nicht zu erwarten, dass die Vorlage tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben wird. Das Coronavirus als solches und die Massnahmen zur Bekämpfung haben die Gesellschaft stark betroffen. Die Wirkungen dauern an und ein Ende ist noch nicht absehbar. Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz gilt für Akteure in ihrer Eigenschaft als Partei eines Vertrages über Geschäftsräume. Es unterstützt einen Teil der Betroffenen bei der Bewältigung der bereits eingetretenen Folgen des Covid-19-Pandemie.

Ein Teil der Vernehmlassungsteilnehmenden erwartet mit der Inkraftsetzung des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes eine Zunahme an rechtlichen Streitigkeiten.

Damit ginge eine Mehrbelastung der Schlichtungsbehörden in Mietsachen und der Gerichte einher. Hinter den beiden Motionen 20.3451 und 20.3460 und damit auch 8334

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dem Covid-19-Geschäftsmietegesetz steht allerdings das Anliegen, eine Lösung für Mietverhältnisse zu finden, in denen die Vertragsparteien keinen einvernehmlichen Weg finden konnten.30 Es ist anzunehmen, dass ohne eine gesetzliche Regelung über den Miet- oder Pachtzins, der während der Schliessung oder Einschränkung geschuldet war, viele dieser Vertragsparteien den Rechtsweg beschreiten würden. Die Vorlage kann damit auch einen Beitrag zur Vermeidung von rechtlichen Streitigkeiten leisten. Ob das Covid-19-Geschäftsmietegesetz für die Adressatinnen und Adressaten Konfliktpotenzial birgt oder dieses reduziert, ist auch von der konkreten Anwendung abhängig. Der Miet- und Pachtzins macht nur einen Teil der finanziellen Situation der Vertragsparteien aus. Daneben wurden zur Abfederung der Auswirkungen der Folgen aus der Bekämpfung des Coronavirus weitere Massnahmen ergriffen. Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wird sich auf das Vorgehen der Vertragsparteien im Einzelfall auswirken.

6.5

Andere Auswirkungen

Im Bereich Umwelt und auch in weiteren Bereichen sind aufgrund dieser Vorlage keine direkten Auswirkungen zu erwarten. Die entsprechenden Bereiche wurden daher nicht geprüft.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die von den Motionen 20.3451 der WAK-NR und 20.3460 der WAK-SR «Geschäftsmieten in der Gastronomie und bei anderen von der Schliessung betroffenen Betrieben. Die Mieter sollen nur 40 Prozent der Miete schulden» verlangten Massnahmen sind unter dem Blickwinkel der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung nicht leicht einzuordnen. Es ist offensichtlich, dass sich die Vorlage nicht auf die Notrechtskompetenz des Bundesrates in Artikel 185 Absatz 3 BV abstützen kann.

Auch sind die Verfassungsartikel über das Mietwesen (Art. 109 BV) und das Zivilrecht (Art. 122 BV) nicht geeignet, weil es sich vorliegend nicht um die Missbrauchsbekämpfung im Mietrecht geht. Wenn die spezifische Kompetenz nicht gegeben ist, kann auch nicht auf die allgemeinere Kompetenz auf dem Gebiet des Zivilrechts ausgewichen werden. Hinzu kommt der Umstand, dass die Vorlage mit der Entschädigung bei wirtschaftlichen Notlagen und deren Umsetzung auch verwaltungsrechtliche Elemente enthält.

Am ehesten kommt für eine verfassungsrechtliche Abstützung Artikel 100 über die Konjunkturpolitik in Frage. Absatz 1 beauftragt den Bund mit «Massnahmen für eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung, insbesondere zur Verhütung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Teuerung». Mit dieser weit gefassten Kompetenz soll die Konjunkturpolitik die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinflusst 30

Amtliches Bulletin Nationalrat, Sommersession 2020, Vierte Sitzung, 04.06.2020, 20.3451 WAK-N, AB 2020 N 663.

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werden. Dies ist im vorliegenden Fall nicht auszuschliessen, auch wenn konjunkturpolitische Massnahmen normalerweise präventiv wirken sollen, es hier jedoch um einen retrospektiven Eingriff geht.

Bei Massnahmen, die auf Artikel 100 BV abgestützt werden, sind gewisse Rahmenbedingungen zu beachten, so die Wirtschaftsfreiheit nach den Artikeln 27 und 95 BV, der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität und der Grundsatz der Gleichbehandlung der Konkurrentinnen und Konkurrenten. Mit Blick auf diese Grundsätze ist v.a. dem Umstand Beachtung zu schenken, dass die von den Motionen 20.3451 und 20.3460 verlangten Massnahmen unabhängig von der wirtschaftlichen Situation im Einzelfall ergriffen werden sollen. Dies kann dazu führen, dass Miet- und Pachtzinsanteile auch Geschäftsmieterinnen und -mietern sowie Geschäftspächterinnen und -pächtern erlassen werden, die nicht oder nur in geringem Umfang von wirtschaftlichen Ausfällen betroffen sind. Hinzu kommt, dass Geschäftsmieterinnen und -mieter sowie Geschäftspächterinnen und -pächter zwar unterstützt werden, dass jedoch Geschäfte, bei denen die Betreiberin oder der Betreiber Eigentümerin oder Eigentümer ist, für die entsprechenden Kapitalkosten keine Unterstützung erhalten.

Dies kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Allerdings ist auch die beschränkte Dimension der von der Motion verlangten Massnahmen zu beachten, insbesondere mit deren Befristung und der Anwendung im eher unteren Segment der Mietzinse. In einer Krisensituation soll einer grossen Zahl von Betroffenen aus konjunkturpolitischen Erwägungen rasch geholfen werden. Vor diesem Hintergrund ist aus Praktikabilitätsgründen eine gewisse Typisierung unumgänglich. Deshalb ist eine Abstützung auf Artikel 100 BV durchaus vertretbar.

Sodann stellt sich die Frage ob der gesetzlich verordnete Mietzinserlass von 60 Prozent, wie ihn die Motionen 20.3451 und 20.3460 fordern, einen Eingriff in die Eigentumsgarantie darstellt und allenfalls als materielle Enteignung zu qualifizieren wäre. Solange die vertragliche Miet- oder Pachtzinspflicht trotz Betriebsschliessungen oder -einschränkungen ganz oder teilweise weiterbesteht, bedeutet der von der in der Vorlage vorgesehene Miet- oder Pachtzinserlass einen Eingriff in vertragliche Ansprüche von Vermieterinnen und Vermietern sowie Verpächterinnen und Verpächtern und
damit auch einen Eingriff in die Eigentumsgarantie.

Für einen solchen Eingriff müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss eine gesetzliche Grundlage bestehen, was mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf gegeben ist. Zweitens muss der Eingriff durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein. Ein öffentliches Interesse kann dann bestehen, wenn die Massnahme dazu beitragen kann, eine Konkurswelle bei Betrieben der Gastronomie und des Detailhandels abzuwenden, weil in diesen Branchen die Mieten und Pachten typischerweise einen hohen Anteil des Aufwands ausmachen. Drittens muss der Eingriff verhältnismässig sein, indem er namentlich für die Vermieterin und den Vermieter sowie die Verpächterin und den Verpächter zumutbar ist. Bei einer Schliessungsdauer von zwei Monaten wird bei den Vermieterinnen und Vermietern sowie den Verpächterinnen und Verpächtern eine Einbusse von 10 Prozent einer Jahresmiete angeordnet, zudem soll mit einem Betrag für wirtschaftliche Notlagen Vermieterinnen und Vermietern sowie Verpächterinnen und Verpächtern geholfen werden, für welche die Regelung finanziell nicht tragbar wäre. Vor diesem Hintergrund erscheint es vertretbar anzunehmen, dass dort, wo das Gesetz in vertragliche Miet- und 8336

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Pachtzinsansprüche der Vermieterinnen und Vermieter sowie der Verpächterinnen und Verpächtern eingreift, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff bejaht werden könnten. Im Rahmen der Vernehmlassung wurden in mehreren Stellungnahmen die Befürchtung geäussert, dass ohne eine baldige Verabschiedung des Covid-19-Geschäftsmietegesetzes vielen Einrichtungen und Betrieben eine endgültige Schliessung droht.

Ob der Eingriff in die vertraglichen Ansprüche der Vermieterinnen und Vermieter sowie der Verpächterinnen und Verpächter schliesslich als materielle Enteignung zu qualifizieren ist, ist sehr zweifelhaft. Es fehlt einerseits die besondere Schwere der Einschränkung, andererseits sind die Voraussetzungen für die Annahme eines sogenannten Sonderopfers, was eine unzumutbare Einschränkung für wenige Betroffene bedeuten würde, nicht gegeben. Die Befugnis, den Miet- oder Pachtzins zu fordern, wird den Vermieterinnen und Vermietern sowie den Verpächterinnen und Verpächtern nicht entzogen, sondern sie wird in ihrem Umfang für einen begrenzten Zeitraum eingeschränkt. Diese Erwägung kann als Argument angeführt werden, dass es sich hier nicht um eine materielle Enteignung handelt31

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die in der Vorlage Covid-19-Geschäftsmietegesetz enthaltenen Regelungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

7.3

Erlassform

Die gesetzliche Festlegung des Miet- oder Pachtzinses für öffentlich zugängliche Einrichtungen, welche vorübergehend schliessen mussten, und für Gesundheitseinrichtungen, die ihren Betrieb vorübergehend einschränken mussten, greift in die Vertragsverhältnisse ein. Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien sind im Obligationenrecht festgehalten. Durch die zeitlich beschränkte Reduktion der Gegenleistung kann bei der anderen Vertragspartei eine wirtschaftliche Notlage entstehen. Für diesen Fall ist eine staatliche Unterstützung vorgesehen.

Die beantragte Neuregelung enthält damit wichtige rechtsetzende Bestimmungen und ist in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen (Art. 164 Abs. 1 BV). Da die Schliessungen und Betriebseinschränkungen sich momentan auswirken und viele Vertragsparteien noch keine Lösung treffen konnten, duldet das Inkrafttreten keinen Aufschub. Aus diesem Grund soll das Covid-19-Geschäftsmietegesetz als dringliches Bundesgesetz mit Befristung gemäss Artikel 165 BV erlassen werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgebungsprozess durch zwei gleichlautende Kommissionsmotionen angestossen wurde. Die Dringlicherklärung hat durch die Mehrheit der Mitglieder des Ständerates und des National31

Vgl. zur materiellen Enteignung aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beispielsweise: BGer 5C_275/2018 Urteil vom 15. Oktober 2019 E. 2.1.

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rates in einer von der Beratung der Botschaft getrennten Abstimmung zu erfolgen.

Vorgängig wird ein Sonderverfahren beantragt werden, damit die dringliche Behandlung der Botschaft während derselben Session, der Wintersession 2020, erfolgen kann.

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV sieht zum Zweck der Ausgabenbegrenzung vor, dass Verpflichtungskredite und Zahlungsrahmen, die neue einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen, in jedem der beiden Räte der Zustimmung der Mehrheit aller Mitglieder bedürfen. Das vorliegende Gesetz sieht für Entschädigungen für wirtschaftliche Notlagen eine einmalige Bereitstellung von 20 Millionen Franken vor. Sobald diese Mittel ausgeschöpft sind, erfolgen keine weiteren Auszahlungen mehr. Infolgedessen werden die massgebenden Limiten nicht überschritten, sodass der vorliegende Erlass nicht der Ausgabenbremse untersteht.

7.5

Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Das Covid-19-Geschäftsmietegesetz knüpft bei Schliessungen und Betriebsbeschränkungen im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus an und legt den Miet- oder Pachtzins für betroffene Geschäfte während der betreffenden Zeitdauer einheitlich auf 40 Prozent fest. Mit dieser pauschalen Lösung für alle dem Geltungsbereich des Gesetzes unterliegenden Vertragsverhältnisse wird in Kauf genommen, dass einzelne Vermieterinnen und Vermieter oder Verpächterinnen und Verpächter in eine wirtschaftliche Notlage geraten können.

Diesen Betroffenen soll durch Entschädigungen geholfen werden. Für die Unterstützung stehen einmalig 20 Millionen Franken zur Verfügung. Entschädigungsgesuche an das BWO müssen begründet und mit sachdienlichen Unterlagen dokumentiert werden. Für die Gesuchstellung ist eine befristete Zeitdauer von sechs Monaten ab der Publikation des Gesetzes in der AS vorgesehen. Schliesslich wird für den Fall des Erwirkens einer Entschädigung durch falsche Angaben eine Strafbestimmung erlassen. Mit der beantragten Gesetzesvorlage werden somit die Grundsätze des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 199032 respektiert.

7.6

Datenschutz

Durch die Bearbeitung von Gesuchen auf Entschädigungsleistungen verfügt das BWO über umfangreiche Daten über Vertragsverhältnisse und über die wirtschaftliche Situation von natürlichen und juristischen Personen. Diese Daten sind gemäss den Vorgaben der Datenschutzgesetzgebung zu bearbeiten. Es wurde bewusst davon abgesehen, die allgemeinen Bearbeitungsgrundsätze des Datenschutzes zu wiederho32

SR 616.1

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len. Diese sind aufgrund des Bundesgesetzes über den Datenschutz vom 19. Juni 199233, der Verordnung zum Bundesgesetz über den Datenschutz vom 14. Juni 199334 und der kantonalen Datenschutzgesetze anwendbar und müssen nicht erneut geregelt werden.

33 34

SR 235.1 SR 235.11

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