20.027 Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformationsund -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands) und zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Unterstellung des Nachrichtendienstes des Bundes unter das Schengen-Datenschutzgesetz) vom 6. März 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).

Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Unterstellung des Nachrichtendienstes des Bundes unter das Schengen-Datenschutzgesetz).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. März 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2019-3413

2885

Übersicht Diese Botschaft beinhaltet die Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2018/1240 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformationsund -genehmigungssystems (ETIAS) und eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG).

Ausgangslage Mit der Verordnung (EU) 2018/1240 wird ein neues Informationssystem im Schengen-Raum geschaffen, das die Gesuche um Reisegenehmigungen von nicht visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen enthält. Diese Personen benötigen künftig eine Reisegenehmigung, um die Schengen-Aussengrenzen für einen kurzfristigen Aufenthalt zu überschreiten.

Am 7. September 2018 hat die EU der Schweiz diese Schengen-Weiterentwicklung notifiziert. Der Bundesrat hat deren Übernahme am 10. Oktober 2018 genehmigt, vorbehältlich der Zustimmung der eidgenössischen Räte.

ETIAS (Vorlage 1) Das ETIAS-Zentralsystem wird die Gesuche, die Drittstaatsangehörige über eine App online einreichen, automatisiert bearbeiten. Die bereitgestellten Daten, darunter die Daten zur Identität und zu den Reisedokumenten, werden mit verschiedenen Informationssystemen wie dem Schengener Informationssystem (SIS), dem Visainformationssystem (VIS) und dem Einreise- und Ausreisesystem (EES) abgeglichen.

Zeigt ein Treffer an, dass ein Sicherheits-, Migrations- oder Gesundheitsrisiko vertieft geprüft werden muss oder dass weiterhin Zweifel an der Identität der betreffenden Person bestehen, übermittelt die ETIAS-Zentralstelle das Gesuch an die nationale ETIAS-Stelle des Schengen-Staates, der den Treffer verursacht hat (indem er beispielsweise eine Ausschreibung im SIS vorgenommen hat).

Die nationale ETIAS-Stelle muss die angezeigten Treffer überprüfen und entscheiden, ob eine Reisegenehmigung erteilt oder verweigert wird. Ein Entscheid über die Verweigerung der Reisegenehmigung kann angefochten werden.

Ergeben die automatisierten Kontrollen des Zentralsystems keinen Treffer, wird eine Reisegenehmigung direkt durch das ETIAS-Zentralsystem erteilt.

Die Umsetzung dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands bedingt eine Anpassung des AIG, namentlich der Einreisevoraussetzungen (Art. 5), da alle Drittstaatsangehörigen für die Einreise in die Schweiz über eine Reisegenehmigung verfügen müssen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Einreise automatisch genehmigt wird. Wenn die übrigen Voraussetzungen
bei der Grenzkontrolle nicht erfüllt sind, kann die Einreise dennoch verweigert werden. Zudem ist das Bundesgesetz über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich (BGIAA) zu ergänzen, um der nationalen ETIAS-Stelle einen besonderen Zugriff auf die Daten des Zentralen Migrationsinformationssystems (ZEMIS) zu ermöglichen.

2886

Im Staatssekretariat für Migration (SEM) soll eine nationale ETIAS-Stelle geschaffen werden. Diese prüft die ihr übermittelten Gesuche und konsultiert die verschiedenen Behörden des Bundes und der Kantone im Migrations-, Sicherheits- und Gesundheitsbereich.

Anpassung des AIG (Vorlage 2) Das neue Schengen-Datenschutzgesetz, das die Richtlinie (EU) 2016/680 umsetzt, trat am 1. März 2019 in Kraft. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen. Dennoch ist im AIG und im Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI) vorzusehen, dass dieses Gesetz in bestimmten Fällen auf den NDB anwendbar ist. Der NDB kann zur Verhütung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten bestimmte Daten der verschiedenen Informationssysteme des Schengen-Raums beantragen. Im Rahmen dieser spezifischen Aufgaben muss das Schengen-Datenschutzgesetz Anwendung finden, um die europäischen Vorgaben zu übernehmen.

Mit dem Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes, das zurzeit revidiert wird, sollen diese Bestimmungen des AIG und des BPI aufgehoben werden.

Diese Vorlage wird genutzt, um diese Präzisierung vorzunehmen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

2886

1

Einleitung

2891

2

Übernahme und Umsetzung der ETIAS-Verordnung (Vorlage 1) 2.1 Ausgangslage 2.1.1 Handlungsbedarf und Ziele 2.1.2 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis 2.1.3 Abschluss einer Zusatzvereinbarung 2.1.4 Verfahren zur Übernahme von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands 2.1.5 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates 2.2 Vernehmlassungsverfahren 2.2.1 Im Allgemeinen 2.2.2 Nutzen des ETIAS und Verbesserung der inneren Sicherheit 2.2.3 Anwendungsbereich des ETIAS 2.2.4 Überprüfungsregeln 2.2.5 Überwachungsliste 2.2.6 Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIASReisegenehmigung 2.2.7 Zugriff der Migrationsbehörden auf die im ETIAS gespeicherten Daten 2.2.8 Zugriff der kantonalen Polizeibehörden auf das ETIAS im Rahmen der Inlandkontrolle 2.2.9 Speicherung und Löschung der Daten 2.2.10 Pflichten der Luftverkehrsunternehmen 2.2.11 Reisegenehmigung bei Landesverweisung und Einreiseverbot 2.2.12 Datenschutz 2.2.13 Kosten 2.3 Grundzüge der ETIAS-Verordnung 2.4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der ETIAS-Verordnung 2.4.1 Ziele und Aufbau des ETIAS 2.4.2 Zugriff auf ETIAS-Daten 2.4.3 ETIAS-Reisegenehmigung: Prüfung und Entscheid 2.4.4 ETIAS-Reisegenehmigung: Widerruf oder Annullierung 2.4.5 Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIASReisegenehmigung 2.4.6 Zugang zum ETIAS zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken 2.4.7 Speicherung, Änderung und Löschung der Daten

2891 2891 2891 2892 2893

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2895 2896 2896 2896 2897 2898 2899 2899 2900 2900 2901 2902 2902 2903 2903 2904 2905 2907 2907 2910 2914 2918 2919 2919 2920

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2.4.8

2.5

2.6

2.7

2.8 2.9

3

Datenschutz, Information der Öffentlichkeit und Aufgaben 2.4.9 Änderung anderer EU-Verordnungen durch die ETIASVerordnung 2.4.10 Schlussbestimmungen Grundzüge des Umsetzungserlasses 2.5.1 Die beantragte Neuregelung 2.5.2 Praktische Umsetzung Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses 2.6.1 Ausländer- und Integrationsgesetz 2.6.2 Bundesgesetz über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich Auswirkungen der ETIAS-Verordnung und des Umsetzungserlasses 2.7.1 Finanzierung von ETIAS auf EU-Ebene 2.7.2 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund beim SEM 2.7.3 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund beim fedpol 2.7.4 Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund bei der EZV 2.7.5 Auswirkungen auf die Kantone Zuweisung aus dem ISF-Grenze Rechtliche Aspekte 2.9.1 Verfassungsmässigkeit 2.9.2 Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz 2.9.3 Verhältnis zum europäischen Recht 2.9.4 Erlassform des Bundesbeschlusses und des Umsetzungserlasses 2.9.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Vorlage 2) 3.1 Ausgangslage 3.1.1 Handlungsbedarf und Ziele 3.1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates 3.2 Vernehmlassungsverfahren 3.3 Beantragte Neuregelung 3.4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 3.5 Auswirkungen 3.6 Rechtliche Aspekte 3.6.1 Verfassungsmässigkeit

2921 2922 2924 2927 2928 2929 2931 2931 2942 2943 2943 2944 2946 2946 2947 2947 2948 2948 2948 2948 2949 2949 2950 2950 2950 2951 2951 2951 2952 2953 2953 2953

2889

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3.6.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz Verhältnis zum europäischen Recht

2953 2954

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über ein Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) (Entwurf)

2955

Notenaustausch vom 11. Oktober 2018 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1077/2011, (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/1624 und (EU) 2017/2226

2965

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) (Entwurf)

2967

3.6.3

2890

BBl 2020

Botschaft 1

Einleitung

Die vorliegende Botschaft umfasst zwei Vorlagen. Die erste Vorlage (vgl. Ziff. 2) betrifft die Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2018/12401 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) (nachfolgend: ETIAS-V).

Die zweite Vorlage betrifft eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 20052 (AIG) sowie des Bundesgesetzes vom 13. Juni 20083 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes (BPI). In diesen Gesetzen ist ausdrücklich festzulegen, dass das neue Schengen-Datenschutzgesetz vom 28. September 20184 (SDSG) auf die Verarbeitung der Daten durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) als benannte Behörde Anwendung findet (vgl. Ziff. 3).

Diese Änderungen sind jedoch nur vorübergehend und werden bei Inkrafttreten des revidierten Datenschutzgesetzes wieder aufgehoben.

2

Übernahme und Umsetzung der ETIAS-Verordnung (Vorlage 1)

2.1

Ausgangslage

2.1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Im Rahmen des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)5 hat sich die Schweiz grundsätzlich zur Übernahme aller Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands verpflichtet (Art. 2 Abs. 3 und Art. 7 SAA). Die Übernahme eines neuen Rechtsakts erfolgt dabei im Rahmen eines besonderen Verfahrens, das die Notifikation der Weiterentwicklung durch die zuständigen EU-Organe und die Übermittlung einer Antwortnote seitens der Schweiz umfasst.

Die ETIAS-V wurde am 12. September 2018 vom Europäischen Parlament und vom Rat der EU verabschiedet.

Beim Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) handelt es sich um ein automatisiertes System zur Ermittlung von Risiken im Zusammen1

2 3 4 5

Verordnung (EU) 2018/1240 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformationsund -genehmigungssystems (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1077/2011, (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/1624 und (EU) 2017/2226, Fassung gemäss ABI. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

SR 142.20 SR 361 SR 235.3 Abkommen vom 26. Okt. 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.362.31.

2891

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hang mit der Einreise von nicht visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum (ähnlich dem Electronic System for Travel Authorization ESTA der USA für Drittstaatsangehörige, die unter das «Visa Waiver Program» fallen). Die im Rahmen des ETIAS erteilten Reisegenehmigungen stellen eine neue Einreisevoraussetzung dar, die die bisherigen Voraussetzungen von Artikel 6 des Schengener Grenzkodex6 (nachfolgend: SGK) ergänzt. Das ETIAS schafft damit auch neue Aufgaben und Verfahren für die Behörden vor der Einreise von Drittstaatsangehörigen. Der blosse Besitz einer Reisegenehmigung berechtigt jedoch nicht automatisch zur Einreise.

Die ETIAS-V ist das Ergebnis der Beratungen im Rahmen des Rechtsetzungsprozesses der EU, an dem die Schweiz im Rahmen ihrer Mitspracherechte beteiligt war (siehe Ziff. 2.1.2).

Die ETIAS-V wurde der Schweiz am 7. September 2018 als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert. Der Bundesrat hat die Übernahme der Verordnung am 10. Oktober 2018 unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung gutgeheissen.

2.1.2

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Gestützt auf Artikel 4 SAA mit der EU ist die Schweiz im Rahmen ihres Mitspracherechts berechtigt, im Schengen-Bereich in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU mitzuwirken. Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen anbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 SAA).

Ein wirksames Aussengrenzmanagement ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung der Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raums und damit ein zentraler Baustein der Schengener Zusammenarbeit. Die Europäische Kommission hat am 16. November 2016 die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformationsund -genehmigungssystems (ETIAS) vorgeschlagen, mit welchem die Einreisen von visumbefreiten Drittstaatsangehörigen stärker kontrolliert werden, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Gewährleistung der Mobilität für diese Personengruppe und der Erhöhung der Sicherheit zu erreichen.

Der Vorschlag wurde bereits am 18. November 2016 am Treffen des Justiz- und Innenministerrats diskutiert. Die Verhandlungen im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe Grenze begannen im Dezember 2016. Ausführlich diskutiert wurde die Frage, ob der Vorschlag der Europäischen Kommission eine ausreichende Balance zwischen Aufwand und Ertrag des Systems erlaube. In diesem Zusammenhang wurde vor allem der von der Europäischen Kommission vorgesehene Rund-um-die-UhrBetrieb kritisiert. Mit der Verlängerung der Antwortfristen der nationalen Stelle 6

Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2018/1240, ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

2892

BBl 2020

wurde dieser überflüssig. Auch wurde in diesem Kontext die Antragsgebühr von fünf Euro auf sieben Euro erhöht. Zudem wurde die vorgesehene Befragungsmöglichkeit in den Auslandvertretungen, um zusätzliche Informationen von den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern zu erhalten, deutlich verschlankt. Lange diskutiert wurde auch die Gültigkeitsdauer der Reisegenehmigung. Nach einer Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen und Mehraufwand für die Behörden einigte man sich auf eine Gültigkeitsdauer von drei Jahren (anstatt der ursprünglichen fünf).

Weiter für Diskussionen sorgte die Frage des Datenzugriffs für Grenzkontrollbeamte. Diskutiert wurde konkret, welche Informationen den Grenzkontrollbeamten zugänglich gemacht werden sollten und wann ein Zugriff gewährt werden soll.

Umstritten war zudem die Finanzierung des Systems. Das ETIAS sieht als erstes System der Schengen-Kooperation eine Gebührenerhebung auf EU-Ebene vor. Mit dieser Gebühr sollen die Wartungs- und Betriebskosten gedeckt werden, der Betrieb des Zentralsystems soll somit selbsttragend sein. Eine Mehrzahl der SchengenStaaten wünschte, dass die Überschüsse als «interne zweckgebundene Mittel» in das EU-Budget fliessen. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament zogen hingegen die Finanzierungsmodalität der «extern zweckgebundenen Mittel» vor. Auch die Schweiz setzte sich für die Lösung über die externen zweckgebundenen Mittel ein. Die Mehrzahl der Schengen-Staaten zeigte jedoch keine Kompromissbereitschaft in dieser Frage. Daher wurde die Forderung, dass die Einnahmen als interne zweckgebundene Mittel in das EU-Budget fliessen, akzeptiert. Allerdings wurde die Bedingung gestellt, dass eine zusätzliche finanzielle Unterstützung an die Schengen-Staaten von bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr aus den Gebühreneinnahmen für die Anpassung der Grenzstrukturen vorgesehen wird.

Eine Einigung mit dem Europäischen Parlament zum Verordnungstext konnte am 25. April 2018 erzielt werden. Das Europäische Parlament verabschiedete den Text am 5. Juli 2018. Die offizielle Verabschiedung des Texts durch den Ministerrat fand ausnahmsweise im schriftlichen Verfahren statt, das am 5. September 2018 endete.

Die Unterzeichnung erfolgte am 12. September 2018.

2.1.3

Abschluss einer Zusatzvereinbarung

Die Entwicklung des ETIAS-Systems wird über den Fonds für die innere Sicherheit (ISF) finanziert; dies gilt sowohl für das Zentralsystem als auch für die nationalen Systeme. Dadurch sollten die Entwicklung, der Betrieb und die Instandhaltung des ETIAS durch die ISF-Zuwendungen und die Gebühreneinnahmen für die EU und alle Schengen-Staaten kostenneutral (vollständig gedeckt) sein. Ausserdem ist das ETIAS das erste System im Migrationsbereich, das die Erhebung von Gebühren auf EU-Ebene vorsieht, mit denen die Betriebs- und Unterhaltskosten vollständig gedeckt werden sollen. Allfällige Überschüsse sollen ins allgemeine EU-Budget fliessen (vgl. Ziff. 2.1.2).

Die assoziierten Staaten haben sich von Beginn weg gemeinsam in die Diskussionen zur ETIAS-V eingebracht, um eine gleichwertige Lösung zu finden und den gleichen finanziellen Nutzen wie die EU-Mitgliedstaaten zu erhalten. Der Rat hat in die ETIAS-V eine Bestimmung eingefügt, dass die Modalitäten der finanziellen Beteili2893

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gung der assoziierten Staaten am ETIAS-System in einer separaten Vereinbarung zu regeln sind (Art. 95).

Die assoziierten Staaten wollen in der Zusatzvereinbarung insbesondere eine Beteiligung an allfälligen Überschüssen aus den Gebühreneinnahmen aushandeln. In den ersten beiden informellen Gesprächen Mitte 2018 stellte sich die Europäische Kommission allerdings auf den Standpunkt, dass eine Zusatzvereinbarung nicht mehr notwendig sei, da die finanzielle Beteiligung der assoziierten Staaten durch bestehende Rechtsgrundlagen abschliessend geregelt sei. Gemäss Artikel 85 Absatz 3 ETIAS-V profitieren auch die assoziierten Staaten von der zusätzlichen finanziellen Unterstützung von bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr aus den Gebühreneinnahmen für die Anpassung der Grenzstrukturen. Eine Beteiligung an allfälligen Überschüssen, die über diese Summe hinausgehen, sei nicht möglich. Die assoziierten Staaten müssten sich basierend auf dem Assoziierungsabkommen aber an allfälligen Zusatzkosten im Falle eines Defizits beteiligen. Eine Regelung zu allfälligen Überschüssen bzw. Defiziten im Rahmen der Zusatzvereinbarung schloss die Europäische Kommission aus, da dies der ETIAS-V widerspreche. Die assoziierten Staaten waren gegenteiliger Ansicht. Nach mehreren Interventionen konkretisierte sich am vierten informellen Treffen im November 2019 das gegenseitige Einverständnis, dass die assoziierten Staaten den gleichen finanziellen Nutzen wie die EUMitgliedstaaten erhalten sollen (das heisst den finanziellen Nutzen nach Art. 85 ETIAS-V), sobald sie die ETIAS-V offiziell übernommen haben. Die entsprechenden Erläuterungen der Europäischen Kommission wurden am 27. Januar 2020 in einem Schreiben der zuständigen Generaldirektorin an die assoziierten Staaten bestätigt.

In Bezug auf eine Beteiligung der assoziierten Staaten an allfälligen Überschüssen aus den Gebühreneinnahmen nach der ETIAS-V hat die Europäische Kommission zudem bekräftigt, dass eine Zusatzvereinbarung zur ETIAS-V nicht in Betracht gezogen werde; dies aufgrund von Artikel 86 ETIAS-V, der die Zuweisung dieses Überschusses in den Gesamthaushaltsplan der EU vorsieht. Die Europäische Kommission hat sich jedoch offen gezeigt, allfällige Überschüsse aus den ETIASGebühreneinnahmen den Beiträgen der assoziierten Staaten an den neuen EU-Fonds im Bereich Grenzmanagement
und Visa für die Jahre 2021­2027 (Border Management and Visa Instrument, BMVI) anzurechnen. Die genauen Modalitäten werden im Rahmen der Zusatzvereinbarung zum BMVI zu verhandeln sein. Im vorliegenden Bundesbeschluss wird vorgeschlagen, mit Blick auf die Regelungen zu ETIAS, eine Kompetenzdelegation an den Bundesrat zu verankern, auch wenn dies im Rahmen einer Zusatzvereinbarung zum BMVI geregelt wird. Die Kompetenzdelegation ist restriktiv formuliert. Diejenigen Bereiche, zu denen der Bundesrat einen Vertrag schliessen darf, werden abschliessend aufgezählt und beschränken sich auf die Regelung der finanziellen Anliegen der Schweiz mit Bezug auf ETIAS (Art. 2 des Bundesbeschlusses).

2894

BBl 2020

2.1.4

Verfahren zur Übernahme von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands

Gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 SAA hat sich die Schweiz grundsätzlich verpflichtet, alle Rechtsakte, welche die EU als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erlässt, zu übernehmen und soweit erforderlich in das Schweizer Recht umzusetzen.

Artikel 7 SAA sieht ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsakts, der eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über eine Frist von dreissig Tagen, um dem zuständigen Organ der EU (vorliegend dem Rat der Europäischen Union) mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Die dreissigtägige Frist beginnt mit der Annahme des Rechtsakts durch die EU zu laufen (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA).

Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.

Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.

Die zur Übernahme anstehende ETIAS-V ist rechtsverbindlich. Zudem werden mit der Einführung des ETIAS fünf EU-Verordnungen angepasst. Es handelt sich dabei um Verordnungen, welche die Schweiz bereits als Weiterentwicklungen übernommen hat bzw. bei denen derzeit das Übernahmeverfahren läuft.

Ist wie vorliegend die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustauschs zuständig (vgl. Ziff. 2.9.1), hat der Bundesrat in seiner Antwortnote der EU mitgeteilt, dass die ETIAS-V für die Schweiz erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» rechtsverbindlich wird (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Ab der Notifizierung des Rechtsakts durch die EU verfügt die Schweiz für die Durchführung des gesamten Übernahme- und Umsetzungsverfahrens über eine Frist von maximal zwei Jahren. Innerhalb dieser Frist sollte auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.

Ist das innerstaatliche Verfahren abgeschlossen und sind alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung erfüllt,
so unterrichtet die Schweiz den Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission unverzüglich in schriftlicher Form hierüber. Wird kein Referendum ergriffen, erfolgt diese Mitteilung, die der Ratifizierung des Notenaustauschs gleichkommt, unverzüglich nach Ablauf der Referendumsfrist.

Da die ETIAS-V der Schweiz im vorliegenden Fall bereits am 7. September 2018 und damit vor der formellen Verabschiedung am 12. September 2018 verabschiedet wurde, rechtfertigt es sich, den Fristenlauf (trotz der verfrühten Notifikation) erst ab dem 12. September 2018 laufen zu lassen, wodurch die Zweijahresfrist am 12. September 2020 endet. Da der Anwendungsbeginn der ETIAS-V erst für einen späteren Zeitpunkt (Inbetriebnahme des Systems) vorgesehen ist, besteht de facto ein gewisses Mass an Flexibilität, das es erlaubt, die Frist gegebenenfalls in pragma2895

BBl 2020

tischer Weise etwas auszudehnen. Nach gegenwärtiger Planung der EU wird das System voraussichtlich nicht vor Ende 2022 in Betrieb genommen.

Eine allfällige Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands würde im äussersten Fall die Beendigung der Zusammenarbeit von Schengen insgesamt, und demzufolge auch von Dublin, nach sich ziehen (Art. 7 Abs. 4 SAA).

2.1.5

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Der Bundesrat hat am 29. Januar 2020 die Botschaft zur Legislaturplanung 2019­ 20237 verabschiedet, in welcher die Vorlage erwähnt wird.

Diese ist auch Ziel der aussenpolitischen Strategie des Bundesrates 2020­2023.8 Die Schweiz steuert die Migration und nutzt deren wirtschaftliches und soziales Potenzial; die Schweiz will Gewalt, Kriminalität und Terrorismus vorbeugen und wirksam bekämpfen. Letzteres Ziel wird insbesondere durch die Risikoüberprüfung bei der Gesuchstellung sowie durch den Zugriff auf die ETIAS-Daten zu Strafverfolgungszwecken erfüllt.

2.2

Vernehmlassungsverfahren

2.2.1

Im Allgemeinen

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20059 (VlG) wurde vom 13. Februar bis zum 20. Mai 2019 eine Vernehmlassung10 durchgeführt.

Zur Vorlage sind 41 Rückmeldungen eingegangen. Insgesamt haben sich 26 Kantone, drei politische Parteien, drei Dachverbände, das Bundesgericht (BGer) und das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) sowie sieben weitere interessierte Kreise schriftlich geäussert. Davon haben sieben Teilnehmer ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet (BGer, Evangelische Frauen Schweiz, Konferenz der kantonalen, kommunalen und regionalen Integrationsdelegierten, NW, Schweizerischer Arbeitgeberverband, Schweizerische Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten und SZ).

Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer (alle Kantone, FDP, SVP, Schweizerischer Städteverband [SSV], Konferenz der Kantonalen Justizund Polizeidirektorinnen und -direktoren [KKJPD], Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden [VKM], SWISS) begrüssen die Vorlage, einige haben noch 7 8 9 10

Botschaft vom 29. Jan. 2020 zur Legislaturplanung 2019­2023, BBl 2020 1777.

www.eda.admin.ch/dam/eda/de/documents/publications/SchweizerischeAussenpolitik/ Aussenpolitische-Strategie-2020­23 DE.pdf SR 172.061 www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD

2896

BBl 2020

Bemerkungen anzubringen (AI, BL, GE, GR, JU, LU, SG, SH, SO, TI, UR, VD, VS, ZH, ZG sowie FDP, SVP und SSV, KKJPD, VKM und SWISS; siehe dazu Ziff.

2.2.2­2.2.13).

Vor allem wird hervorgehoben, dass die Einführung des ETIAS einen wichtigen Beitrag zur Effizienz bei den Grenzkontrollen und zur Bekämpfung der irregulären Migration und insbesondere des illegalen Verbleibens im Schengen-Raum leisten könne. Auch die Sicherheit im Schengen-Raum könne damit erhöht werden. Diese Neuerung solle zum Rückgang von Einreiseverweigerungen bei der Kontrolle der Schengen-Aussengrenze führen. Insbesondere mit Blick auf die zunehmende Reisetätigkeit und den wachsenden grenzüberschreitenden Freizeit- und Geschäftsverkehr sei es nützlich, die Kooperation und den Informationsaustausch auch europaweit zu vereinfachen. Gemäss UR, JU und VKM müsse das ETIAS ausserdem auch bei grossen Touristen-, Besucher- und Wirtschaftsströmen schnelle Grenzkontrollen zulassen. Das ETIAS solle der Beschleunigung der Grenzübertrittskontrollen und der Möglichkeit der vertieften polizeilichen Kontrolle dienen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), die SP und AsyLex stehen der Vorlage kritisch gegenüber und unterstützen sie nur bedingt. SGB und SP befürworten jedoch im Grundsatz die Teilnahme der Schweiz am Schengen-Abkommen und fordern Augenmass bei der Umsetzung (v. a. beim Datenschutz).

Unter anderem wurden folgende Punkte durch die Vernehmlassungsteilnehmer thematisiert:

2.2.2

Nutzen des ETIAS und Verbesserung der inneren Sicherheit

BL und GR geben zu bedenken, dass sich die überwiegende Anzahl der mit der ETIAS-V anvisierten Terroristen und Kriminellen wohl nicht an die Einreiserichtlinien halten würden und nur zu einer geringen Zahl die Schengen-Grenze auf ordentlichem Weg überqueren werden. BL und SO sind zudem der Meinung, dass dieses neue Genehmigungssystem die illegale Einwanderung kaum gänzlich zu unterbinden vermöge.

Der SGB und die SP sind der Meinung, dass diese neue Pflicht visumbefreite Drittstaatsangehörige unter Generalverdacht stelle. Zudem bestehe die Gefahr der Willkür, denn für die Verweigerung der Reisegenehmigung reichten Hinweise oder triftige Gründe für die Annahme eines Risikos illegaler Migration, für die Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit.

Auch AsyLex steht der Vorlage kritisch gegenüber. Durch die zusätzliche Hürde für Asylsuchende würden sie vermehrt zur illegalen Einreise nach Europa gezwungen und würden unnötig ihr Leben gefährden. AsyLex verweist in diesem Zusammenhang auf die humanitäre Tradition der Schweiz sowie ihre Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention11 und der EMRK12.

11 12

Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, SR 0.142.30 Konvention vom 4. Nov. 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101

2897

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Haltung des Bundesrates Der Bundesrat ist der Ansicht, dass das ETIAS eine nützliche Ergänzung zu den bestehenden Visabestimmungen darstellt. Es geht nicht darum, die betroffenen Drittstaatsangehörigen unter «Generalverdacht» zu stellen, sondern die Kontrolle der Schengen-Aussengrenze effizienter durchführen zu können. Das Willkürverbot und die Wahrung von Treu und Glauben sind zwei Grundsätze staatlichen Handelns, die durch Artikel 9 der schweizerischen Bundesverfassung (BV)13 garantiert werden.

Die Entscheide der nationalen ETIAS-Stelle werden als Verfügungen erlassen und können beim BVGer angefochten werden. Die Verweigerungsgründe sind in der ETIAS-V abschliessend geregelt.

Der Bundesrat versteht die Bedenken, dass das ETIAS die illegale Einwanderung kaum komplett zu unterbinden vermöge. Missbräuchliche Handlungen können durch das ETIAS nicht gänzlich unterbunden werden. Wenn Drittstaatsangehörige ohne gültige Reisegenehmigung in einen Schengen-Staat eingereist sind, haben sie in aller Regel gegen die Einreisevoraussetzungen verstossen und können aus dem SchengenRaum weggewiesen werden. Diese ETIAS-Vorprüfung leistet einen Beitrag zur Sicherheit im Schengen-Raum. Das ETIAS ist ein zusätzliches Mittel, um die Sicherheit im Schengen-Raum zu gewährleisten.

Die zusätzliche Hürde für die Einreise in den Schengen-Raum, die mit der ETIASReisegenehmigung eingeführt wird, geht nicht über jene für visumpflichtige Drittstaatsangehörige hinaus. Dies gilt auch für Asylsuchende, die allenfalls eine Reisegenehmigung beantragen müssen. Die Einreise für einen langfristigen Aufenthalt kann ausnahmsweise auch, wenn die notwendigen Dokumente fehlen, gestützt auf Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung vom 15. August 201814 über die Einreise und die Visumerteilung (VEV) aus humanitären Gründen bewilligt werden.

2.2.3

Anwendungsbereich des ETIAS

Für die SVP ist nicht nachvollziehbar, weshalb Familienangehörigen von Unionsbürgerinnen und -bürgern sowie Drittstaatsangehörigen gewisse Erleichterungen im Hinblick auf Gebühren sowie Prüfkriterien zugestanden würden. Es seien gerade Familienangehörige, bei denen ein besonderes Risiko bestehen würde, dass sie die erlaubte Aufenthaltsdauer überschreiten. Dasselbe Risiko bestehe bei den Familienmitgliedern von eingebürgerten Schweizerinnen und Schweizern aus visumbefreiten Drittstaaten.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat weist darauf hin, dass weder das Einreise- und Ausreisesystem (EES) noch das ETIAS dafür geschaffen wurden, die Aufenthaltsdauer im Rahmen der Binnenmigration (von freizügigkeitsberechtigten Personen mit dauerndem legalem Aufenthalt in einem Schengen-Staat) zu überprüfen. Die beiden Systeme sollen zur Verbesserung der Aussengrenzkontrollen beitragen. Daher beschränken sich beide 13 14

SR 101 SR 142.204

2898

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Systeme auf die Kontrolle des Reiseverkehrs in den Schengen-Raum hinein. Aus diesem Grund findet im Rahmen des ETIAS für die genannte Personenkategorie keine vertiefte Prüfung der Migrationsrisiken stattfindet. Jedoch werden diese Personen im EES erfasst, wenn sie die Schengen-Aussengrenze überschreiten. Sollten sie «Overstayer» sein, das heisst die zulässige Aufenthaltsdauer überschritten haben, können sie bei einer Inlandkontrolle angehalten werden und erforderlichenfalls kann ein Verfahren zur Rückführung eröffnet werden.

2.2.4

Überprüfungsregeln

AsyLex befürchtet, dass das ETIAS als weiteres Instrument zur Abwehr von Migration dient und nicht darauf abzielt, diese zu regeln. Die Überprüfungsregeln würden als Profiling-Instrument eingesetzt. Sie könnten unter Umständen gegen Asylsuchende instrumentalisiert werden. AsyLex erachtet insbesondere die Intransparenz der Überprüfungsregeln als problematisch. Es sei daher unerlässlich, dass die stattfindenden Grundrechtseingriffe sich durch entsprechende Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit rechtfertigen liessen.

Haltung des Bundesrates Die Überprüfungsregeln werden auf europäischer Ebene in einem Durchführungsrechtsakt der Europäischen Kommission spezifiziert, welcher der Schweiz als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands zur Übernahme notifiziert werden wird.

Zudem werden diese Überprüfungsregeln vor deren Aktivierung durch einen ETIAS-Überprüfungsausschuss geprüft und freigegeben. Das ETIAS-Beratungsgremium für Grundrechte wird dabei ebenfalls vorgängig konsultiert. Diese Regeln sollen es erlauben, die Risikofälle genauer zu prüfen. Sie haben nicht zum Ziel, gefährdeten Personen die Einreise zu verweigern (siehe dazu auch Ziff. 2.2.2).

2.2.5

Überwachungsliste

VD ist der Ansicht, dass man bei der Verwendung der Überwachungsliste sehr strikt sein sollte. Eine Person sollte nur gestützt auf objektive und genügend begründete Motive in die Liste aufgenommen werden. Die Liste solle ständig aktualisiert werden. Entsprechend seien durch den Bundesrat auf Verordnungsstufe klare Verfahren vorzusehen.

Haltung des Bundesrates Die ETIAS-V sieht vor, dass die Schengen-Staaten und Europol die Richtigkeit und Aktualität ihrer Daten regelmässig, mindestens einmal im Jahr, überprüfen müssen (Art. 35 Abs. 5). Eine einheitliche Verwendung der Überwachungsliste und die regelmässige Überprüfung und gegebenenfalls Löschung der Einträge wird auf europäischer Ebene durch einen Durchführungsrechtsakt der Europäischen Kommission, welcher der Schweiz zu gegebener Zeit als separate Schengen-Weiterentwicklung zur Übernahme notifiziert werden wird, gewährleistet (Art. 35 Abs. 7 ETIAS-V). Die nationale ETIAS-Stelle ist in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt 2899

BBl 2020

für Polizei (fedpol) und dem NDB für die Bearbeitung dieser Liste zuständig (Art.

108e Abs. 1 E-AIG) und wird diese regelmässig aktualisieren. Auf Verordnungsstufe oder Weisungsstufe können allenfalls gewisse Verfahren oder Präzisierungen vorgenommen werden.

2.2.6

Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIAS-Reisegenehmigung

Die SP und AsyLex begrüssen ausdrücklich die Möglichkeit, aus humanitären Gründen ETIAS-Reisegenehmigungen auszustellen. Beide fordern, die Möglichkeit in der Praxis grosszügig anzuwenden. Im Gegensatz dazu erachtet GR es als sachfremd, dass über das ETIAS auch Vorentscheide aus humanitären Überlegungen getroffen werden sollen. Die SVP stellt sich die Frage, wie andere Schengen-Staaten diese Ausnahmeregelung handhaben werden.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat unterstreicht, dass es im Visumverfahren bereits ein ähnliches Verfahren gibt. Aus humanitären Gründen können die Schengen-Staaten Visa mit beschränkter territorialer Gültigkeit ausstellen (sog. «VrG-Visa»). Diese Visa sind nur für ihr Hoheitsgebiet gültig. Da es sich hier um die Prüfung der Einreisevoraussetzungen in den Schengen-Raum handelt, ist es angemessen, Ausnahmeregelungen vorzusehen. Beim ETIAS wird die nationale ETIAS-Stelle diese Fälle prüfen. Wie die Ausnahmeregelung gehandhabt wird, liegt im Ermessen der jeweiligen Schengen-Staaten. Sie entscheiden im Einzelfall aufgrund des nationalen Rechts, ob humanitäre Gründe vorliegen. Eine Person, die sich mit einer VrG-Reisegenehmigung in einem anderen Schengen-Staat aufhält, ist als illegal zu betrachten und kann in den Schengen-Staat, der die Reisegenehmigung erteilt hat, zurückgebracht werden.

2.2.7

Zugriff der Migrationsbehörden auf die im ETIAS gespeicherten Daten

TI, ZH, VKM und KKJPD schlagen vor, dass der Zugriff der Migrationsbehörden auf das ETIAS zwingend über das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS) und automatisiert (wie heute bei der Abfrage des Schengener Informationssystems [SIS]) erfolgen soll.

Die VKM ist der Ansicht, dass mit dem ETIAS die Papierbeschaffung um einiges einfacher sein werde. Sie möchte das ETIAS auch im Rahmen eines Wegweisungsvollzugs brauchen können.

Die VKM stellt die Frage, ob die Kantone im Rahmen der Beurteilung von Visumanträgen auch auf das ETIAS zugreifen können. Zudem möchte die VKM wissen, ob das Staatssekretariat für Migration (SEM) bei der Beurteilung von ETIASGesuchen auf Unterlagen der Kantone zugreifen müsse oder ob die Kantone zu bestimmten Gesuchen Stellung nehmen müssen.

2900

BBl 2020

SSV und VKM fordern, dass hinsichtlich der Zugriffsberechtigungen der kantonalen wie kommunalen Migrationsbehörden und des SEM keine zu restriktiven und einschränkenden Ausführungsbestimmungen erlassen werden. Der SSV beantragt die Erstellung ähnlicher Zugriffs- und Abfragemöglichkeiten für Bundesstellen sowie für kantonale und kommunale Polizeiorgane und Behörden.

AsyLex und SP hingegen äussern beim Zugriff der Migrationsbehörden auf die im ETIAS gespeicherten Daten datenschutztechnische Bedenken. AsyLex und SP erachten es als störend, dass das SEM als nationale ETIAS-Stelle benannt wird.

Innerhalb des SEM sollte es eine klare aufgabentechnische und personelle Trennung geben.

Haltung des Bundesrates Der Zugriff für die Einwanderungsbehörden ist gemäss ETIAS-V zweckgebunden und erfolgt ausnahmslos nur in direktem Zusammenhang mit der Beurteilung der Gültigkeit der Reisegenehmigung. Ein Zugriff im Rahmen des Wegweisungsvollzugs ist nicht vorgesehen.

Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt im Schengen-Staat erfüllt sind, haben die kantonalen Migrationsbehörden auf gewisse Daten im ETIAS nur Zugriff, wenn zuvor eine Abfrage des EES ohne Ergebnis erfolgt ist (Art. 49 ETIAS-V).

Der Zugriff der Migrationsbehörden erfolgt in jedem Fall über das in der ETIAS-V vorgegebene Rollenmodell mit entsprechend hinterlegten Berechtigungen. Diese Zugriffsrechte sind in der ETIAS-V abschliessend geregelt. Die technische Ausgestaltung des Zugriffs der Migrationsbehörden wird derzeit erarbeitet. Der Zugriff wird wahrscheinlich direkt über eine Schnittstelle zum ETIAS-Zentralsystem erfolgen.

Die ETIAS-V sieht eine Konsultation nationaler Stellen für die Prüfung der Reisegenehmigungsgesuche vor. Es kann daher sein, dass kantonale Stellen im Rahmen einer Konsultation entsprechend Stellung nehmen müssen. Mit einem grossen Mehraufwand ist jedoch nicht zu rechnen, da es sich sehr wahrscheinlich eher um Einzelfälle handeln wird.

Die nationale ETIAS-Stelle, die organisatorisch im SEM angesiedelt wird, wird über die ETIAS-Reisegenehmigungsgesuche entscheiden, die ihr vom ETIAS-System zur Prüfung unterbreitet werden. Sie wird für ihre Aufgaben spezifische Berechtigungen und Zugriffe erhalten.

Bei Visumgesuchen (Visa C oder D) ist mit keinem Mehraufwand zu rechnen, da der betroffene Personenkreis ein anderer ist. Die Visumbehörden erhalten keinen Zugriff auf das ETIAS.

2.2.8

Zugriff der kantonalen Polizeibehörden auf das ETIAS im Rahmen der Inlandkontrolle

Für einige Vernehmlassungsteilnehmer wäre es wünschenswert, wenn auch die kantonale und kommunale Polizei bei ausländerrechtlichen Kontrollen im Inland 2901

BBl 2020

Zugriff auf das ETIAS hätten (BL, SH, ZH und SVP). SH regt daher an, für das Grenzwachtkorps und die verantwortlichen kantonalen Polizeibehörden eine schweizweite Überprüfungsmöglichkeit vorzusehen.

Haltung des Bundesrates Die ETIAS-V sieht für ausländerrechtliche Kontrollen auf dem Hoheitsgebiet Abfragen in direktem Zusammenhang mit dem Aufenthalt und der Gültigkeit der ETIAS-Reisegenehmigung vor (Art. 49). Ein entsprechender Zugriff wird neu auch für die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), welche für die Personenkontrolle eingesetzt werden, vorgesehen, da diese auch die Rechtmässigkeit des Aufenthalts überprüfen. Der Zugriff wird nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein (siehe Ziff. 2.2.7). Das ETIAS zeigt den Behörden an, ob die betreffende ausländische Person im Besitz einer gültigen ETIAS-Reisegenehmigung ist.

Falls die ETIAS-Reisegenehmigung räumlich begrenzt ist, zeigt das ETIAS an, für welchen Schengen-Staat sie gültig ist, ob sie innerhalb der nächsten 90 Tage abläuft und wie lange sie noch gültig ist.

2.2.9

Speicherung und Löschung der Daten

SO und VKM bedauern, dass die ETIAS-Daten nur für drei Jahre gespeichert werden können. Diese kurze Speicherungszeit werde gemäss SO dem Ziel, Informations- und Sicherheitslücken zu schliessen, nicht gerecht.

Haltung des Bundesrates Die Speicherdauer ist in der ETIAS-V abschliessend geregelt (Art. 54). Von dieser Vorgabe kann die Schweiz nicht abweichen. Es gelten folgende Speicherfristen: ­

drei Jahre während der Gültigkeitsdauer der Reisegenehmigung;

­

fünf Jahre ab dem Datum der letzten Entscheidung über die Verweigerung, Annullierung oder Aufhebung der Reisegenehmigung.

Die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller kann diese Speicherdauer selbst über die ETIAS-Online-Dienste um maximal drei Jahre verlängern. Nach Ablauf der Gültigkeit der Reisegenehmigung kann die Speicherfrist um maximal drei Jahre verlängert werden ­ allerdings nur, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller auf entsprechendes Ersuchen hin ausdrücklich zustimmt.

2.2.10

Pflichten der Luftverkehrsunternehmen

Die SWISS weist darauf hin, dass bei der Umsetzung dieser SchengenWeiterentwicklung darauf zu achten sei, dass die Pflichten der Luftverkehrsunternehmen nicht übermässig streng gehandhabt würden. Die damalige im AIG vorgesehene Verschärfung der Sorgfaltspflichten sowie die Beweislastumkehr erachtet die SWISS als überschiessend und nicht zielführend. Aus diesem Grund würde es die 2902

BBl 2020

SWISS begrüssen, wenn Artikel 92 E-AIG materiell deckungsgleich sei wie Artikel 45 der ETIAS-V und keine grundlegenden Interpretationsspielräume (z. B. in Bezug auf Reisen im Transit zwischen Nicht-Schengen-Staaten) offenlassen würde.

Haltung des Bundesrates Dem Prinzip der Gleichbehandlung der Luftverkehrsunternehmen in der Schweiz wird im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten Rechnung getragen. Artikel 92 E-AIG sieht neu vor, dass geprüft werden muss, ob die Passagierinnen und Passagiere im Besitz einer gültigen Reisegenehmigung sind. Ferner gilt Artikel 45 ETIAS-V für alle Transportunternehmen, welche Drittstaatsangehörige in den Schengen-Raum befördern. Die im AIG vorgesehenen Sanktionen bei Verletzung der Sorgfaltspflicht finden Anwendung.

2.2.11

Reisegenehmigung bei Landesverweisung und Einreiseverbot

Gemäss SO und VKM solle sichergestellt werden, dass beispielsweise nach einem Widerruf einer ausländerrechtlichen Bewilligung in der Schweiz oder einem illegalen Aufenthalt mit anschliessendem Einreiseverbot sowie nach einer strafrechtlichen Landesverweisung die Möglichkeit zur Erlangung einer Einreiseerlaubnis gesperrt werde.

Haltung des Bundesrates Strafrechtliche Landesverweisungen werden künftig aufgrund neuer EU-Verordnungen sowohl als Rückkehrentscheid als auch als Einreiseverbot im SIS ausgeschrieben, sofern es um Drittstaatsangehörige geht.15 Somit werden die Personen mit Landesverweisung oder Einreisesperre vom ETIAS-Zentralsystem beim Abgleich im SIS identifiziert. Eine Ausschreibung im SIS führt grundsätzlich zu einer Verweigerung des Gesuchs um eine ETIAS-Reisegenehmigung.

2.2.12

Datenschutz

Gemäss VD stehe nirgends, dass das SEM (oder andere Behörden) ETIAS-Daten speichern und bearbeiten dürfen. Schliesslich weist VD darauf hin, dass seine Datenschutzgrundlagen derzeit nicht ausreichend seien und den europäischen Vorgaben noch nicht entsprächen. VD verlangt eine verhältnismässige und begrenzte Zugriffsberechtigung der Behörden je nach Rolle sowie eine entsprechende Datenschutzübersicht.

15

Botschaft vom 6. März 2020 zur Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) und zur Änderung des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich.

2903

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Der SGB erachtet es datenschutzrechtlich als heikel, die Informationen zum persönlichen Hintergrund der Person zu speichern. SGB und SP kritisieren, dass gewisse Datenschutzregelungen nur auf Verordnungsstufe vorgesehen sind (Speicherung der Daten, Verfahren für deren Löschung, Rechte der betroffenen Personen, Katalog der Straftaten usw.). Bei der Umsetzung sei dem Datenschutz besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat weist darauf hin, dass die ETIAS-V selbst bereits ausführliche Datenschutzbestimmungen enthält. Auf Verordnungsebene werden diese Regeln lediglich präzisiert. Ausserdem verweist die ETIAS-V auf die neuen europäischen Datenschutzregeln. Während die neue Richtlinie (EU) 2016/68016 in der Schweiz im Rahmen des SDSG umgesetzt worden ist, wird den Vorgaben der DatenschutzGrundverordnung17 im Rahmen der laufenden Totalrevision des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199218 über den Datenschutz (DSG) Rechnung getragen. Die Datenschutz-Grundverordnung wurde von der Schweiz zwar nicht als SchengenWeiterentwicklung übernommen, sie ist aber dennoch mittelbar relevant. Insofern nämlich, als die Europäische Kommission die Einhaltung von deren Vorgaben im Rahmen der in der Verordnung vorgesehenen Äquivalenzprüfung verifizieren wird.19 Die Zugriffsberechtigungen werden mit einem Rollenmodell mit hinterlegten Berechtigungen sichergestellt. Im neu vorgesehenen Artikel 108e AIG ist die Bearbeitung der ETIAS-Daten durch das SEM explizit geregelt. Sämtliche Aktivitäten der Behörden werden protokolliert. Kontrollen sind gemäss ETIAS-V ebenfalls vorgesehen. Die Aufsichtsfunktion nimmt in der Schweiz der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) wahr. Die kantonalen Datenschutzgesetze haben den Vorgaben des DSG zu entsprechen und sind allenfalls anzupassen.

2.2.13

Kosten

BL merkt an, dass die Kantone die Kosten für die Anpassung der kantonalen Polizeikontrollsysteme für die Abfrage im Inland zu tragen haben. Der Betrag sei noch 16

17

18 19

Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, Fassung gemäss ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 89.

Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DatenschutzGrundverordnung), ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1.

SR 235.1 Vgl. Botschaft vom 15. Sept. 2017 zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz, BBl 2017 6941.

2904

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zu klären. VKM und JU möchten auch wissen, ob Kosten auf die Kantone zukommen werden. VS und SG bedauern ebenfalls die mangelnde Klarheit bezüglich der finanziellen Auswirkungen auf die Schweiz und die Kantone.

Gemäss SO habe die Vorlage auf den Kanton aufgrund des Flughafens in Grenchen als Schengen-Aussengrenze finanzielle und personelle Auswirkungen, da die Polizei die Grenzkontrolle dort selber durchführe. Anpassungen der Grenzkontrollprozesse, die Einführung neuer Einsatzgeräte sowie unter Umständen bauliche Massnahmen am Flughafen und die Aus- und Weiterbildung der mit den Kontrollen betrauten Organe seien erforderlich.

Gemäss KKJPD müsse bei der Umsetzung auf die personellen und finanziellen Ressourcen der Kantone Rücksicht genommen werden. So solle Zusatzaufwand bei den kantonalen Behörden, wenn immer möglich, vermieden werden.

Die SVP erwartet auch eine detaillierte und nachvollziehbare Kostenschätzung.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat versteht die Anliegen der Vernehmlassungsteilnehmer und hat daher in der vorliegenden Botschaft weitere Erläuterungen zu den finanziellen Auswirkungen angebracht (siehe Ziff. 2.7.4). Der Bund (SEM) wird die technische Anbindung der nationalen Systeme der Schweiz ans ETIAS-Zentralsystem sicherstellen. Die Kantone und die betroffenen Bundesstellen können somit ihre ETIAS-relevanten Systeme an das ETIAS anbinden. Die Kosten für die Anpassung der jeweiligen Systeme sind jedoch von den betroffenen Bundesstellen bzw. den Kantonen zu tragen.

Mögliche Synergien zum Projekt EES sind identifiziert, damit die Aufwände und Kosten für die Kantone möglichst tief gehalten werden können.

2.3

Grundzüge der ETIAS-Verordnung

Das ETIAS ist ein Schengen-weites System zur Erfassung und Überprüfung von Drittstaatsangehörigen, die von der Visumpflicht befreit sind und für einen Kurzaufenthalt von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen in den Schengen-Raum reisen wollen. Diese müssen vor der Reise online eine gebührenpflichtige Reisegenehmigung beantragen. Die Reisegenehmigung kostet sieben Euro und ist bis zu drei Jahre gültig.

Vor Reiseantritt werden die von der Reisenden oder vom Reisenden anzugebenden Daten auf bestimmte Risiken (Gefährdung der Sicherheit, illegale Einwanderung, Gefahr für die öffentliche Gesundheit) hin überprüft. Dies geschieht durch Abfrage der bestehenden Schengen/Dublin-Informationssysteme und Interpol-Datenbanken sowie der ETIAS-Überwachungsliste.

Die Schengen/Dublin-Informationssysteme umfassen: ­

SIS: Schengener Informationssystem;

­

EES: europäisches Ein- und Ausreisesystem;

2905

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­

VIS: Visainformationssystem;

­

Eurodac: Datenbank, in der die Fingerabdrücke von Personen gespeichert sind, die in einem Dublin-Staat ein Asylgesuch einreichen oder bei der illegalen Einreise aufgegriffen werden;

­

Europol-Daten: Daten der EU-Agentur für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung.

Die Interpol-Datenbanken sind: ­

SLTD: Interpol-Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente;

­

TDAWN: Interpol-Datenbank zur Erfassung von Reisedokumenten, die Ausschreibungen zugeordnet sind.

Die ETIAS-Überwachungsliste besteht aus Daten von Personen, die einer terroristischen oder anderen schweren Straftat oder der Beteiligung an einer solchen verdächtigt werden oder in deren Fall faktische Anhaltspunkte oder hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass sie eine terroristische Straftat oder andere Straftaten begehen (Art. 34 i. V. m. Art. 35 ETIAS-V). Die Daten werden entweder von Europol oder von den Schengen-Staaten nach vorgängiger Überprüfung in die ETIASÜberwachungsliste eingegeben. In der Schweiz wird das SEM diese Aufgaben im Einvernehmen mit dem fedpol und dem NDB übernehmen.

Führt diese automatisierte Prüfung zu keinem Treffer, wird die ETIASReisegenehmigung automatisch durch das System erteilt. Führt diese automatisierte Prüfung jedoch zu einem Treffer in einem der konsultierten Systeme und bestätigt die ETIAS-Zentralstelle diesen Treffer oder bestehen weiterhin Zweifel an der Identität der Person, so leitet die ETIAS-Zentralstelle das Gesuch an die nationale ETIAS-Stelle des zuständigen Schengen-Staates weiter. Diese bearbeitet das betreffende Gesuch und entscheidet endgültig über die Erteilung oder Verweigerung einer ETIAS-Reisegenehmigung, gegebenenfalls nach Konsultation anderer nationaler ETIAS-Stellen und von Europol.

Die ETIAS-Reisegenehmigung garantiert keinen Anspruch auf Einreise (Art. 36 Abs. 6 ETIAS-V). Sie stellt neben den bereits bestehenden Einreisebedingungen des SGK (gültiges Reisedokument, ausreichende Mittel usw.) eine neue Bedingung für die Einreise von visumbefreiten Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum dar (Art. 80 ETIAS-V i. V. m. Art. 6 SGK). Fehlt eine erforderliche ETIAS-Reisegenehmigung, sind Beförderungsunternehmen (in der Schweiz: die Luftverkehrsunternehmen) verpflichtet, die Reisenden nicht zu befördern (Art. 45 ETIAS-V). Am Grenzübergang wird diesen Reisenden die Einreise in den Schengen-Raum verweigert.

Dank dieser Vorprüfung soll das ETIAS die Wirksamkeit der Grenzkontrolle erhöhen und Informations- bzw. Sicherheitslücken schliessen (Art. 1 i. V. m. Art. 4 ETIAS-V).

2906

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2.4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der ETIAS-Verordnung

2.4.1

Ziele und Aufbau des ETIAS

Art. 1­3 i. V. m. Art. 24 Gegenstand, Anwendungsbereich des ETIAS und Begriffsbestimmungen Die ETIAS-V enthält die Rechtsgrundlagen für die Errichtung des ETIAS und die Bedingungen, unter denen die benannten Behörden der Schengen-Staaten und Europol zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten die im ETIAS-Zentralsystem gespeicherten Daten abfragen können (Art. 1 Abs. 2 ETIAS-V).

In den Anwendungsbereich des ETIAS fallen von der Visumpflicht befreite Drittstaatsangehörige, die für einen Kurzaufenthalt in den Schengen-Raum reisen (Art. 2 Abs. 1 Bst. a und b ETIAS-V). Familienangehörige von EU-Bürgerinnen und Bürgern mit Drittstaatsangehörigkeit sowie Familienangehörige von Drittstaatsangehörigen, die das Recht auf Freizügigkeit geniessen (konkret Familienangehörige von EFTA-Staatsangehörigen und von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern), fallen nur dann in den Anwendungsbereich, wenn sie nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sind (Aufenthaltskarte gemäss Richtlinie 2004/38/EG20 oder Ausländerausweis gemäss Verordnung [EG] Nr. 1030/200221; Art. 2 Abs. 1 Bst. c ETIAS-V).

Für diese Personengruppe (Familienangehörige von Unionsbürgerinnen und -Bürgern oder von Drittstaatsangehörigen, die das Recht auf Freizügigkeit geniessen) gelten allerdings Sondervorschriften (Art. 24 ETIAS-V): Sie sind beispielsweise von der Bezahlung der Gebühr befreit. Zudem wird keine Eurodac-Abfrage durchgeführt. Die spezifischen Risikoindikatoren, die auf dem nach Artikel 33 ETIAS-V ermittelten Risiko der illegalen Einwanderung beruhen, finden ebenfalls keine Anwendung. Des Weiteren darf ein Gesuch um Erteilung einer Reisegenehmigung nicht aufgrund eines Risikos der illegalen Einwanderung gemäss Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe c ETIAS-V verweigert werden.

Nicht in den Anwendungsbereich der ETIAS-V fallen neben den Bürgerinnen und Bürgern der EU und der Schengen-Staaten unter anderem folgende Drittstaatsangehörige (Art. 2 Abs. 2 ETIAS-V): ­

20

21

anerkannte Flüchtlinge, Staatenlose und andere Personen (auch Familienangehörige von EU-Bürgerinnen und -Bürgern oder von Drittstaatsangehörigen, die das Recht auf Freizügigkeit geniessen) mit Aufenthaltsrecht in eiRichtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77.

Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 des Rates vom 13. Juni 2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige, ABl. L 157 vom 15.6.2002, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2017/1954, ABl. L 286 vom 1.11.2017, S. 9.

2907

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nem Schengen-Staat, die Inhaberin oder Inhaber eines von diesem Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitels sind; ­

Inhaberinnen und Inhaber eines Schengen-Visums (Visum C);

­

Inhaberinnen und Inhaber eines Visums für den längerfristigen Aufenthalt im Schengen-Raum (Visum D), da dieses auch als Aufenthaltstitel gilt.

Eine Ausnahme ist auch für Staatsangehörige von Andorra, Monaco, San Marino und Vatikanstadt vorgesehen sowie für gewisse Personengruppen, die von der Visumpflicht befreit sind, beispielsweise Schiffs- oder Flugpersonal während der Dienstzeit oder Inhaberinnen und Inhaber eines Diplomaten- oder Dienstpasses auf der Grundlage eines von der EU und einem Drittstaat geschlossenen internationalen Übereinkommens.

Artikel 3 ETIAS-V definiert verschiedene Begriffe. Viele dieser Begriffsdefinitionen, welche die Grenzkontrolle betreffen, verweisen auf den SGK. Unter den Begriff der «terroristischen Straftat» fallen Straftaten, die den in der Richtlinie (EU) 2017/54122 aufgeführten Straftaten entsprechen oder gleichwertig sind. Unter eine «schwere Straftat» fallen solche, die den in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI23 aufgeführten Straftaten entsprechen oder gleichwertig sind. Die genannten Rechtsakte sind als solche nicht Schengen-relevant, noch werden sie es durch die Verweisung. Ausser der Begriffsdefinition ist deren Inhalt für die Schweiz damit nicht von Bedeutung.

Art. 4

Ziele des ETIAS

Das ETIAS hat unter anderem zum Ziel:

22

23

­

bestehende Informations- bzw. Sicherheitslücken durch eine vorgängige Prüfung von Sicherheits-, Migrations- und Gesundheitsrisiken zu schliessen, da über visumbefreite Drittstaatsangehörige, die über die Land- und Seegrenzen in den Schengen-Raum einreisen, keine vorgängigen Informationen für die Grenzkontrollbehörden vorliegen;

­

die Grenzkontrollen effektiver zu machen, indem zahlreiche Angaben zu den Reisenden den Grenzkontrollbehörden anlässlich des Grenzübertritts bereits vorliegen;

­

die Grenzkontrolle zu erleichtern, da die vorgelagerte Risikoprüfung durch das System die Zahl der Einreiseverweigerungen an den SchengenAussengrenzen verringert;

­

zur Verwirklichung der Ziele des SIS beizutragen im Zusammenhang mit den Ausschreibungen von Drittstaatsangehörigen, gegen die beispielsweise ein Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt wurde. So soll das ETIAS die Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates, ABl. L 88 vom 31.3.2017, S. 6.

Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

2908

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einschlägigen Gesuchsdatensätze mit den entsprechenden Ausschreibungen im SIS abgleichen.

Schliesslich werden den nationalen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden und Europol Informationen bereitgestellt, wenn dies in einem konkreten Fall für die Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten erforderlich ist.

Art. 5­10

Aufbau und technische Struktur des ETIAS

Das ETIAS besteht aus: ­

dem ETIAS-Informationssystem (Art. 6);

­

der ETIAS-Zentralstelle (Art. 7); sowie

­

den nationalen ETIAS-Stellen der Schengen-Staaten (Art. 8).

Das ETIAS-Informationssystem besteht unter anderem aus einem Zentralsystem für die Bearbeitung der Gesuchsdaten sowie einer nationalen Schnittstelle in jedem Schengen-Staat. Über die nationale Schnittstelle können sich die Migrations- und Grenzkontrollbehörden mit dem ETIAS verbinden und auf gewisse ETIAS-Daten zugreifen. Der Zugriff auf die ETIAS-Daten ist spezifisch für die Tätigkeiten der jeweiligen Behörden geregelt. Die Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden können auf schriftliche Anfrage hin bei der zentralen Zugangstelle die Übermittlung von Daten aus dem ETIAS beantragen. Sind die Bedingungen erfüllt, werden die Daten an die antragstellende Behörde weitergeleitet.

Die ETIAS-Zentralstelle ist bei der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (nachfolgend: Frontex) angesiedelt. Sie ist 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche im Einsatz (Art. 7 ETIAS-V). Im Fall eines Treffers bei der automatisierten Prüfung wird der Gesuchsdatensatz an sie weitergeleitet. Wird der Treffer bestätigt oder bestehen weiterhin Zweifel an der Identität der gesuchstellenden Person, wird das Gesuch an die zuständige nationale ETIAS-Stelle weitergeleitet.

Zusätzlich hat die ETIAS-Zentralstelle unter anderem folgende Aufgaben: ­

Sie stellt sicher, dass die gespeicherten und erfassten Daten vollständig und aktuell sind, und unterstützt Reisende, die mittels Standardkontaktformular um Hilfe ersuchen.

­

Sie definiert und legt die spezifischen Risikoindikatoren nach Anhörung des ETIAS-Überprüfungsausschusses fest und bewertet diese vor der Anwendung. Sie wendet die Risikoindikatoren an, beurteilt sie nach der Anwendung, überarbeitet und löscht sie gegebenenfalls wieder.

­

Sie sorgt dafür, dass die Ergebnisse der Überprüfung gemäss Artikel 22 in den Gesuchsdatensätzen gespeichert werden.

­

Sie benachrichtigt die Beförderungsunternehmen und die nationalen ETIASStellen bei einem Ausfall des ETIAS-Informationssystems bzw. des ETIASZentralsystems.

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Sie bearbeitet die Anträge von Europol auf Abfragen von Daten im ETIASZentralsystem.

In jedem Schengen-Staat ist eine nationale ETIAS-Stelle einzurichten (Art. 8 Abs. 1 ETIAS-V). Die nationalen ETIAS-Stellen der Schengen-Staaten übernehmen die manuelle Prüfung von Gesuchen in ihrem Zuständigkeitsbereich, wenn sie ihr aufgrund der bestätigten Treffer durch die ETIAS-Zentralstelle weitergeleitet wurden.

Dem ETIAS-Überprüfungsausschuss kommt eine Beratungsfunktion zu (Art. 9 ETIAS-V). Er setzt sich aus je einer Vertreterin oder einem Vertreter der nationalen ETIAS-Stellen, der Agentur Frontex und von Europol zusammen. Er berät die Agentur bei der Anwendung der spezifischen Risikoindikatoren und der ETIASÜberwachungsliste (Art. 33 und 34 ETIAS-V), formuliert Leitlinien und Empfehlungen und legt bewährte Verfahren fest.

Neben dem ETIAS-Überprüfungsausschuss wird auch ein unabhängiges ETIASBeratungsgremium für Grundrechte mit einer Beratungs- und Beurteilungsfunktion eingerichtet (Art. 10 ETIAS-V). Dieses gibt Empfehlungen ab in Bezug auf die Einhaltung der Grundrechte, insbesondere in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre, den Schutz personenbezogener Daten und die Nichtdiskriminierung.

Art. 11

Interoperabilität mit anderen EU-Informationssystemen

Die Europäische Agentur für IT-Grosssysteme im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (eu-LISA), welche für die technische Umsetzung aller Informationssysteme im Schengen-Bereich zuständig ist, hat dafür zu sorgen, dass das Zusammenspiel des ETIAS mit den anderen EU-Informationssystemen wie beispielsweise dem EES gewährleistet ist. So werden die Stammdaten der beiden Systeme beispielsweise zentral in einem gemeinsamen Speicher abgelegt. Auch die Zugriffe auf die jeweiligen Systeme durch die zuständigen Behörden müssen gewährleistet sein.

So wird beispielsweise die nationale ETIAS-Stelle in Zukunft auch auf das EES zugreifen können. Diese Änderung der ETIAS-V soll 2020 durch die EU verabschiedet und anschliessend der Schweiz als neue Schengen-Weiterentwicklung notifiziert werden.

Art. 12

Abfrage der Interpol-Datenbanken

Das ETIAS-Zentralsystem fragt im Rahmen der automatisierten Überprüfung des ETIAS-Reisegenehmigungsgesuchs neben den EU-Systemen wie dem EES und dem SIS unter anderem die Interpol-Datenbanken SLTD und TDAWN ab.

2.4.2

Zugriff auf ETIAS-Daten

Die ETIAS-Daten beinhalten die Identitätsdaten und die Daten zu den Reisedokumenten sowie die bewilligten oder abgelehnten Gesuche um eine ETIASReisegenehmigung. Der Zugriff auf diese Daten erfolgt auf drei unterschiedliche Arten: Die ETIAS-Zentralstelle und die nationale ETIAS-Stelle erhalten einen 2910

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direkten und umfassenden Zugriff auf alle ETIAS-Daten der Gesuchstellenden zum Zwecke des Genehmigungsverfahrens. Einen direkten, aber beschränkten Zugang erhalten die Migrationsbehörden, die Grenzkontrollorgane und die Fluggesellschaften, die nur zu einem konkreten Zweck auf gewisse Daten Zugriff erhalten (teilweise nur «OK/NOT OK»). Die Strafverfolgungsbehörden erhalten einen mittelbaren Zugriff auf die Daten. Sie müssen zuerst ein Gesuch stellen, bevor sie Einblick in die ETIAS-Daten einer konkreten Person erhalten.

Art. 13 Abs. 1 Zugriff auf die im ETIAS gespeicherten Daten Der Zugang zum ETIAS ist grundsätzlich den gebührend ermächtigten Angestellten der ETIAS-Zentralstelle und der nationalen ETIAS-Stellen vorbehalten.

Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 47 Zugriff der Grenzkontrollbehörden auf die im ETIAS gespeicherten Daten an der Schengen-Aussengrenze Bei der Ankunft einer oder eines Reisenden an der Grenzübergangsstelle liest die für die Grenzkontrolle zuständige Person die Daten, die in der maschinenlesbaren Zone des Reisedokuments gespeichert sind, elektronisch ein (Art. 47 Abs. 1 ETIAS-V). In diesem Rahmen wird eine Abfrage verschiedener Datenbanken durchgeführt. Die für diese Konsultation genutzte Grenzkontrollinfrastruktur hat nur Zugriff auf das ETIAS zur Ermittlung des Status der Reisegenehmigung an der SchengenAussengrenze und hat nur einen beschränkten Zugriff auf gewisse Daten aus dem ETIAS (Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 47 Abs. 2 Bst. a, c und d ETIAS-V).

Das ETIAS gibt den Grenzkontrollbehörden lediglich Aufschluss: ­

über den Status der ETIAS-Reisegenehmigung ­ bei räumlich begrenzter Gültigkeit wird zusätzlich der territoriale Bereich genannt, für den die ETIAS-Reisegenehmigung gilt;

­

über Kennzeichen mit Informationen, die dem Gesuchsdatensatz beigefügt sind, beispielsweise «Zweifel, die zu beseitigen sind» oder «falsche Treffer/kein Verweigerungsgrund» (Art. 36 Abs. 2 und 3);

­

darüber, ob die ETIAS-Reisegenehmigung innerhalb der nächsten 90 Tage abläuft, und über ihre verbleibende Gültigkeitsdauer;

­

über besondere Informationen bei Minderjährigen (z. B. die Telefonnummer der Person, welche die elterliche Sorge ausübt) und bei Familienmitgliedern von Schengen-Staatsangehörigen (z. B. Status, Personalien, Telefonnummer der Angehörigen) nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstaben k und l ETIAS-V.

Zeigt das ETIAS-Zentralsystem eine mit der ETIAS-Reisegenehmigung verknüpfte Kennzeichnung an, so führen die Grenzkontrollbehörden eine Kontrolle «in der zweiten Kontrolllinie», das heisst an der Grenze, durch. Zu diesem Zweck erhalten sie die nachfolgenden Zusatzinformationen und sind berechtigt, zusätzliche Angaben im Gesuchsdatensatz abzufragen oder zusätzliche Daten einzufügen (Art. 39 Abs. 1 Bst. e oder Art. 44 Abs. 6 Bst. f ETIAS-V):

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Zusatzinformationen und Grund für Kennzeichnung «Zweifel, die zu beseitigen sind»: Die Kennzeichnung wird automatisch aus dem Reisegenehmigungsgesuch entfernt, wenn der Einreisedatensatz im EES erstellt wurde, da in diesen Fällen eine Prüfung durch die zweite Kontrolllinie stattgefunden hat und der reisenden Person die Einreise gestattet wurde;

­

Zusatzinformationen und Gründe zu Treffern, die sich bei der manuellen Überprüfung als falsch herausgestellt haben;

­

im Gesuchsdatensatz enthaltene Daten über Erteilung, Verweigerung, Widerruf oder Annullierung einer ETIAS-Reisegenehmigung.

Auf alle weiteren Informationen des ETIAS-Datensatzes selbst hat die Person, die die Grenzkontrolle durchführt, zum Zweck der Grenzkontrolle keinen Zugriff (Art. 47 Abs. 4 ETIAS-V).

Wird an der Schengen-Aussengrenze durch die Grenzkontrollbehörden festgestellt, dass keine gültige ETIAS-Reisegenehmigung vorliegt, hat die Person ein Gesuch um eine ETIAS-Reisegenehmigung zu stellen, falls sie weiterhin in den Schengen-Raum einreisen will. Falls keine Reisegenehmigung erteilt werden kann, wird eine Einreiseverweigerung erlassen und im EES erfasst. In Ausnahmefällen, bei Vorliegen von humanitären Gründen, kann die nationale ETIAS-Stelle eine entsprechende auf die Schweiz beschränkte Reisegenehmigung erteilen.

Liegt eine gültige ETIAS-Reisegenehmigung vor, so wird die Grenzkontrolle zur Überprüfung der übrigen Einreisevoraussetzungen nach den im SGK enthaltenen Regeln durchgeführt und die Einreise in den Schengen-Raum gestattet oder verweigert.

Art. 13 Abs. 3 i. V. m. Art. 45 und Art. 46 Zugriff der Beförderungsunternehmen auf die im ETIAS gespeicherten Daten und Kontrolle der ETIAS-Reisegenehmigung Den Beförderungsunternehmen (für die Reise in die Schweiz: Luftverkehrsunternehmen) wird ein sicherer Zugang (sog. Carrier Gateway) zum ETIASInformationssystem gewährt, mit dem sie vor dem Einsteigen der Passagierinnen und Passagiere überprüfen, ob die von der Visumpflicht befreiten Drittstaatsangehörigen eine gültige ETIAS-Reisegenehmigung besitzen (Art. 45 Abs. 1 ETIAS-V i. V. m. Art. 26 SDÜ24). Die Abfrage des ETIAS-Zentralsystems erfolgt anhand der in der maschinenlesbaren Zone des Reisedokuments gespeicherten Daten. Zusätzlich hat das Beförderungsunternehmen den Schengen-Staat der Ersteinreise einzugeben.

Der Zugriff ist auf die Ermittlung des Status der Reisegenehmigung einer reisenden Person beschränkt. Das ETIAS übermittelt dem Beförderungsunternehmen über den Carrier Gateway eine «OK/NOT OK»-Antwort, aus der hervorgeht, ob die Person

24

Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19 (siehe Anhang A SAA).

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über eine gültige Reisegenehmigung verfügt oder nicht. Eine allfällige Reisegenehmigung von räumlich begrenzter Gültigkeit wird dabei berücksichtigt.

Sanktionsmöglichkeit in Bezug auf Transportunternehmen bei Sorgfaltspflichtverletzungen (Carrier Sanctions) Für den Transport von Drittstaatsangehörigen, die über keine gültige ETIASReisegenehmigung verfügen, sehen die ETIAS-V und das SDÜ Sanktionsmöglichkeiten vor. Konkret sind die Sanktionsmöglichkeiten in Bezug auf Transportunternehmen bei Sorgfalts- und Meldepflichtverletzungen bereits auf EU-Ebene in Artikel 26 SDÜ sowie in der ergänzenden Richtlinie 2001/51/EG25 geregelt. Die ETIAS-V sieht zusätzliche Sorgfaltspflichten für Beförderungsunternehmen vor (Art. 45). Zudem gibt es Sanktionsmöglichkeiten, falls die Beförderungsunternehmen Reisende ohne gültige ETIAS-Reisegenehmigung befördern.

Wird einer oder einem Reisenden mit gültiger Reisegenehmigung die Einreise an der Grenze verweigert, ist das Beförderungsunternehmen verpflichtet, die betreffende Person auf eigene Kosten zum ursprünglichen Abreiseort zurückzubefördern. Es wird ihm jedoch keine Strafzahlung auferlegt (Art. 45 Abs. 8 ETIAS-V). Diese Regelung entspricht dem geltenden Artikel 93 AIG.

Wird jedoch einer reisenden Person, die keine gültige Reisegenehmigung besitzt, das Einsteigen gestattet und dieser Person später an der Schengen-Aussengrenze die Einreise verweigert, ist das Beförderungsunternehmen nicht nur verpflichtet, die Person zum ursprünglichen Abreiseort zurückzubefördern, sondern ihm kann zusätzlich eine Strafzahlung auferlegt werden (Art. 45 Abs. 5 und 6 ETIAS-V i. V. m. Art.

26 Abs. 2 SDÜ und Art. 4 der Richtlinie 2001/51/EG).

Ist aufgrund des Ausfalls des ETIAS-Informationssystems die Abfrage nicht möglich, sind die Beförderungsunternehmen von der Pflicht, den Besitz einer gültigen Reisegenehmigung zu überprüfen, befreit (Art. 46 Abs. 1 ETIAS-V). Es werden keine Strafzahlungen auferlegt (Art. 46 Abs. 2 ETIAS-V).

Art. 13 Abs. 4 i. V. m. Art. 49 und Art. 65 Abs. 3 Zugriff der Migrationsbehörden auf die im ETIAS gespeicherten Daten Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt im Schengen-Staat erfüllt sind, und im Hinblick auf die Ergreifung geeigneter Massnahmen in diesem Zusammenhang haben die Migrationsbehörden (Einwanderungsbehörden)
der Schengen-Staaten auf gewisse Daten Zugriff, sofern zuvor eine Abfrage des EES erfolgt ist und das EES keinen Eintrag enthält, der der Anwesenheit der oder des betreffenden Drittstaatsangehörigen entspricht. Das Zugriffsrecht ist also subsidiär zur Abfrage im EES (Art. 49 Abs. 1 und 2 ETIAS-V).

25

Richtlinie 2001/51/EG des Rates vom 28. Juni 2001 zur Ergänzung der Regelungen nach Artikel 26 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985, Fassung gemäss ABl. L 187 vom 10.7.2001, S. 45 (siehe Anhang B SAA).

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Die Migrationsbehörden der Schengen-Staaten sind berechtigt, anhand der Daten nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstaben a­e Abfragen im ETIAS-Zentralsystem vorzunehmen.

Die Migrationsbehörde kann zudem auf Daten im ETIAS-Zentralsystem zugreifen, wenn der Zugriff zum Zweck der Rückführung der oder des betroffenen Drittstaatsangehörigen erforderlich ist, sofern zuvor eine Abfrage des EES ohne Ergebnis erfolgt ist (Art. 65 Abs. 3 Bst. a und b ETIAS-V). Dieser Zugriff dient einzig dazu, in Einzelfällen Informationen an einen Drittstaat zu übermitteln.

Art. 14

Nichtdiskriminierung und Grundrechte

Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen des ETIAS darf nicht dazu führen, dass Drittstaatsangehörige diskriminiert werden. Die Menschenwürde und die Unversehrtheit der Person sowie die Grundrechte sind zu wahren. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Dem Kindeswohl ist vorrangig Rechnung zu tragen.

2.4.3

ETIAS-Reisegenehmigung: Prüfung und Entscheid

Das Verfahren zum Erhalt der ETIAS-Reisegenehmigung erfolgt in folgenden Schritten: Art. 14­18

Einreichung des Gesuchs und Bezahlung der Gebühr (Schritt 1)

Vor der geplanten Reise oder vor Ablauf der bestehenden Reisegenehmigung reicht die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller über die öffentliche Website oder die Anwendung für Mobilgeräte ein Gesuch um Erteilung einer Reisegenehmigung ein (Art. 15 und 16 Abs. 1 ETIAS-V).

Hat die reisende Person bereits eine gültige Reisegenehmigung, kann sie das neue Gesuch ab dem 120. Tag vor Ablauf der Gültigkeit der alten Genehmigung einreichen. 120 Tage vor Ablauf der Gültigkeitsdauer unterrichtet das ETIASZentralsystem automatisch via einen E-Mail-Dienst über den Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Reisegenehmigung (Art. 15 Abs. 2 und 3 ETIAS-V).

Beim Ausfüllen des Gesuchs wird die reisende Person aufgefordert, eine Reihe von personenbezogenen Daten (z. B. Nachname, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Reisedokument, Staatsangehörigkeit, E-Mail-Adresse) und ihre derzeitige berufliche Tätigkeit anzugeben (Art. 17 Abs. 2 und 3 ETIAS-V). Zudem hat sie Fragen zu ihrem persönlichen Hintergrund zu beantworten (z. B. in Bezug auf Strafregistereinträge, Aufenthalte in Kriegsgebieten, verfügte Rückkehrentscheide; Art. 17 Abs. 4 und 6 ETIAS-V).

Bei der Einreichung des Gesuchs erfasst das ETIAS die IP-Adresse, von der aus das Gesuch eingereicht wurde (Art. 17 Abs. 8 ETIAS-V).

Für Minderjährige muss ebenfalls ein Gesuch eingereicht werden. Das entsprechende Formular ist von einer Person, die ständig oder vorübergehend die elterliche

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Sorge oder die gesetzliche Vormundschaft ausübt, elektronisch zu unterzeichnen (Art. 17 Abs. 1 und 2 Bst. k ETIAS-V).

Zudem kann das Gesuch von einem bevollmächtigten Dritten eingereicht werden (z. B. Reisebüro). In diesem Fall sind die Identität der reisenden Person und das Unternehmen, das die betreffende Person vertritt, im Gesuch aufzuführen (Art. 15 Abs. 4 ETIAS-V).

Für die Gesuchstellung wird eine Gebühr von sieben Euro erhoben. Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller, die zum Zeitpunkt der Gesuchstellung unter 18 oder über 70 Jahre alt sind, sind von der Zahlung der Gebühr befreit (Art. 18 Abs. 2 ETIAS-V).

Art. 19­21 i. V. m. Art. 33 und 35 Automatisierte Bearbeitung durch das ETIAS (Schritt 2) Sobald die Zahlung eingegangen ist und die übrigen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind (ein Gesuch ist zulässig, wenn die Felder des Formulars ausgefüllt, die Fragen beantwortet und die Gebühr für die Reisegenehmigung entrichtet wurde), wird ein Gesuchsdatensatz erstellt und das ETIAS-Gesuch durch das ETIASZentralsystem automatisiert bearbeitet (Art. 19­21 ETIAS-V).

Im Rahmen dieser automatisierten Bearbeitung prüft das System, ob bereits ein Gesuchsdatensatz vorhanden ist, gleicht diesen gegebenenfalls mit dem neuen ab und informiert die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller via E-Mail über die Statusinformation und die Gesuchsnummer (Art. 19 Abs. 4 und 5 ETIAS-V).

Das ETIAS-Zentralsystem nimmt daraufhin einen vollständig automatisierten Abgleich der von der gesuchstellenden Person übermittelten Angaben mit anderen Informationssystemen (SIS, VIS, EES, Eurodac sowie die Interpol-Datenbanken SLTD und TDAWN), der ETIAS-Überwachungsliste und den ETIAS-Überprüfungsregeln vor (Art. 20 ETIAS-V).

Die Überprüfungsregeln dienen dazu, die Personen herauszufiltern, die eine potenzielle Gefährdung der Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit im SchengenRaum bzw. ein Migrationsrisiko darstellen. Diese Regeln, die im Einzelnen von der Europäischen Kommission in einer separaten Schengen-Weiterentwicklung festgelegt werden, werden von der ETIAS-Zentralstelle angewandt. Die spezifischen Risikoindikatoren können aus einer Kombination von gewissen Elementen wie Altersgruppe, Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Beruf usw. bestehen (Art. 33 ETIASV).

Weiter enthält das ETIAS eine Überwachungsliste. Diese besteht aus
Daten von Personen, die einer terroristischen oder anderen schweren Straftat oder der Beteiligung an einer solchen verdächtigt werden oder in deren Fall auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der Personen faktische Anhaltspunkte oder hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass sie eine terroristische Straftat oder andere Straftaten begehen werden (Art. 34 ETIAS-V). Die Daten werden entweder von Europol oder von den Schengen-Staaten in die ETIAS-Überwachungsliste eingegeben.

Besteht bereits eine Ausschreibung im SIS, wird dieser Vorrang eingeräumt und die Daten werden nicht in die ETIAS-Überwachungsliste aufgenommen. Die in der ETIAS-Überwachungsliste aufgenommenen Daten werden regelmässig durch die 2915

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eintragende Behörde auf ihre Richtigkeit hin überprüft (Art. 35 Abs. 3 und 5 ETIASV).

Werden im Rahmen der automatisierten Bearbeitung Treffer in den genannten Systemen festgestellt, werden diese an die ETIAS-Zentralstelle weitergeleitet. Diese überprüft manuell die Richtigkeit der mitgeteilten Angaben und die ermittelten Ausschreibungen. Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller können über die ETIASWebsite oder über die mobile Anwendung den Status der Bearbeitung ihres Gesuchs sowie die verbleibende Gültigkeitsdauer und den Status einer bestehenden Reisegenehmigung überprüfen (Art. 31 ETIAS-V).

Art. 22­23

Überprüfung durch die ETIAS-Zentralstelle bei einem Treffer in den anderen Informationssystemen, in der ETIAS-Überwachungsliste und bei den ETIAS-Überwachungsregeln (Schritt 3)

Im Fall eines Treffers bei der automatisierten Prüfung wird der Gesuchsdatensatz an die ETIAS-Zentralstelle weitergeleitet, die ihn innerhalb von zwölf Stunden überprüft, um den Treffer zu verifizieren oder Zweifel an der Identität der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers auszuräumen (Art. 22 Abs. 6 ETIAS-V).

Ergibt der manuelle Abgleich keine Bestätigung des Treffers, da beispielsweise eine Verwechslung vorliegt, wird das Gesuch durch die ETIAS-Zentralstelle genehmigt.

Wird der Treffer bestätigt oder bestehen weiterhin Zweifel an der Identität der gesuchstellenden Person, wird das Gesuch an die zuständige nationale ETIAS-Stelle weitergeleitet.

Bei einem SIS-Treffer bei einer Vermisstenausschreibung, bei einer Ausschreibung einer Person, die im Hinblick auf ihre Teilnahme an einem Gerichtsverfahren gesucht wird, oder bei einer Personenausschreibung zum Zweck der verdeckten oder gezielten Kontrolle werden durch das ETIAS-Zentralsystem automatisch die ETIAS-Zentralstelle und das SIRENE-Büro desjenigen Schengen-Staates informiert, der den Eintrag im SIS vorgenommen hat (Art. 23 Abs. 2 ETIAS-V). Die ETIASZentralstelle überprüft, ob die personenbezogenen Daten der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers den personenbezogenen Daten in der Ausschreibung, die zu dem Treffer geführt hat, entsprechen; sofern eine Übereinstimmung bestätigt wurde, sendet das ETIAS-Zentralsystem eine automatische Benachrichtigung an das SIRENE-Büro des ausschreibenden Mitgliedstaats. Das betreffende SIRENE-Büro prüft daraufhin namentlich, ob die personenbezogenen Daten der gesuchstellenden Person den personenbezogenen Daten in der Ausschreibung entsprechen, die zu dem Treffer geführt hat, und ergreift jegliche geeignete Folgemassnahme.

Art. 25­32 i. V. m. Art. 32, 36­39 Manuelle Bearbeitung durch die nationale ETIAS-Stelle (Schritt 4) Die nationale ETIAS-Stelle bearbeitet die Gesuche für ETIAS-Reisegenehmigungen, wenn sie ihr durch die ETIAS-Zentralstelle weitergeleitet wurden.

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Zuständigkeit der nationalen ETIAS-Stelle Zuständig ist ein Schengen-Staat dann, wenn er die Daten, die den Treffer ergeben haben, eingegeben oder übermittelt hat (Art. 25 ETIAS-V). Wenn mehrere Staaten Daten eingegeben haben, gilt folgende Reihenfolge der Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Staates (Kaskade): 1.

Falls die Person im SIS zur Festnahme ausgeschrieben ist, liegt die Zuständigkeit bei dem Staat, der diesen Eintrag im SIS erfasst hat.

2.

Trifft das erste Kriterium nicht zu, ist der Staat zuständig, der die aktuellste Ausschreibung zum Zweck der Verweigerung der Einreise und des Aufenthalts im SIS eingegeben hat.

3.

Trifft dies ebenfalls nicht zu, dann liegt die Verantwortung bei dem Staat, der das verwendete Reisedokument als verloren, gestohlen oder ungültig gemeldet hat.

4.

Ist eine Priorisierung gemäss 1­3 nicht möglich, so ist der Staat zuständig, der die aktuellsten Daten eingegeben hat, die zu einer Übereinstimmung als Treffer geführt haben.

Stammen die Treffer von keinem Schengen-Staat oder wurden gewisse Fragen mit «ja» beantwortet, so ist derjenige Staat zuständig, den die oder der Reisende im Gesuchsformular als Staat der ersten geplanten Einreise angegeben hat. Dieser Fall kann beispielsweise eintreten, wenn die Daten, die zum Treffer geführt haben, von Europol- oder den Interpol-Systemen stammen.

Manuelle Bearbeitung durch die nationale ETIAS-Stelle Eine Entscheidung muss innerhalb von 96 Stunden nach der Gesuchstellung getroffen werden (Art. 26 i. V. m. Art. 32 ETIAS-V). Die nationale Stelle kann weitere Unterlagen einfordern, ausnahmsweise die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller zu einer Befragung auf eine Auslandsvertretung einladen oder die Befragung mittels moderner Kommunikationsmittel durchführen (Art. 27, 32 und 37 ETIAS-V). Dies führt jeweils zu einer Fristverlängerung. Falls notwendig, kann sie andere nationale ETIAS-Stellen und Europol konsultieren.

Die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller erhalten eine E-Mail mit einer Benachrichtigung, dass die ETIAS-Reisegenehmigung erteilt oder verweigert wurde, unter Angabe der Nummer der Genehmigung oder mit einer Begründung für die Verweigerung ihres Gesuchs mittels Standardformular. Sie erhalten auch die Information über ihr Recht auf Einlegung eines Rechtsmittels gemäss den Rechtsvorschriften des die Genehmigung verweigernden Schengen-Staates (Art. 38 Abs. 2 ETIAS-V).

Die Reisegenehmigung ist maximal drei Jahre gültig, es sei denn, die Gültigkeitsdauer des Reisepasses läuft vorher ab (in diesem Fall gilt die ETIAS-Reisegenehmigung längstens bis zu diesem Zeitpunkt). Mit der ETIAS-Reisegenehmigung wird kein automatisches Recht auf Einreise oder Aufenthalt verliehen (Art. 36 Abs. 5 und 6 ETIAS-V).

Läuft die ETIAS-Reisegenehmigung ab, so hat die reisende Person erneut ein Gesuch einzureichen. Das Verfahren ist gleich wie beim ersten Gesuch.

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Wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller ein Risiko bezüglich Sicherheit, illegaler Einwanderung oder Gesundheit darstellt, wird die Reisegenehmigung verweigert. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein gestohlenes oder ungültiges Reisedokument verwendet wurde, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist oder wenn begründete Zweifel an der Echtheit der Daten oder an der Glaubwürdigkeit der Angaben der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers bestehen (Art. 37 ETIAS-V).

Nach der Entscheidung über die Erteilung oder Verweigerung einer ETIASReisegenehmigung wird der Gesuchsdatensatz entsprechend ergänzt (Art. 39 ETIAS-V).

Kennzeichnung einer ETIAS-Reisegenehmigung Bei Zweifeln bezüglich des Vorliegens hinreichender Gründe für die Verweigerung der Reisegenehmigung kann die nationale ETIAS-Stelle durch die Kennzeichnung (sog. «Flag») der erteilten ETIAS-Reisegenehmigung den Grenzkontrollbehörden empfehlen, eine Kontrolle in der zweiten Kontrolllinie durchzuführen. Die Kennzeichnung wird automatisch entfernt, sobald die Grenzwächterin oder der Grenzwächter die Kontrolle durchgeführt und den Einreisedatensatz in das EES eingegeben hat (Art. 36 Abs. 2 ETIAS-V).

Ist die nationale ETIAS-Stelle der Ansicht, dass es sich beim Treffer um einen Fehler handelt, oder ergibt die manuelle Bearbeitung, dass kein Grund für die Verweigerung einer Reisegenehmigung besteht, so wird die Reisegenehmigung ebenfalls mit einer Kennzeichnung versehen (Art. 36 Abs. 3 ETIAS-V). Sie soll den Grenzkontrollorganen Informationen zur durchgeführten Überprüfung bereitstellen und dadurch die Grenzübertrittskontrolle erleichtern.

2.4.4 Art. 40­43

ETIAS-Reisegenehmigung: Widerruf oder Annullierung Annullierung oder Widerruf einer ETIAS-Reisegenehmigung

Eine erteilte Reisegenehmigung muss annulliert (Art. 40 ETIAS-V) oder widerrufen (Art. 41 ETIAS-V) werden, sobald sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für ihre Erteilung zum Zeitpunkt der Erteilung nicht erfüllt waren oder nicht mehr erfüllt sind (z. B. neue SIS-Ausschreibung zur Einreiseverweigerung).

Die Entscheidung über den Widerruf oder die Annullierung wird in der Regel von der nationalen ETIAS-Stelle desjenigen Schengen-Staates getroffen, in dessen Besitz sich die Nachweise befinden, die zum Widerruf oder zur Annullierung führen. Die betroffene Person wird umgehend informiert. Nach der Entscheidung ist der Gesuchsdatensatz entsprechend zu ergänzen (Art. 43 ETIAS-V).

Einer Person, deren Reisegenehmigung annulliert oder widerrufen wurde, steht ein Rechtsmittel zu (Art. 42 Bst. d ETIAS-V). Etwaige Rechtsmittel sind in dem Schengen-Staat, der über die Annullierung oder den Widerruf entschieden hat, und im Einklang mit dem nationalen Recht dieses Staates einzulegen. Die nationale ETIAS2918

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Stelle des zuständigen Schengen-Staates unterrichtet die betroffene Person über das bei Einlegung eines Rechtsmittels zu befolgende Verfahren. Ist der Widerruf oder die Annullierung der Reisegenehmigung rechtskräftig, hat die betroffene Person den Schengen-Raum umgehend zu verlassen, da sie die Einreisevoraussetzungen nicht mehr erfüllt.

2.4.5

Erteilung einer räumlich und zeitlich begrenzten ETIAS-Reisegenehmigung

Art. 44 Die ETIAS-Reisegenehmigung gilt grundsätzlich für den gesamten Schengen-Raum.

Wenn die Erteilungsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr erfüllt sind, kann die nationale ETIAS-Stelle in Ausnahmefällen Reisegenehmigungen mit räumlich und zeitlich begrenzter Gültigkeit aus humanitären Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen erteilen. Dies entspricht der gleichen Konstruktion wie bei Schengen-Visa. Die Einreise kann beispielsweise bewilligt werden bei schwerer Krankheit oder Tod einer oder eines Angehörigen oder einer anderen nahestehenden Person in der Schweiz (humanitäre Gründe) oder bei politischen oder öffentlichen kulturellen Veranstaltungen in der Schweiz wie beispielsweise dem World Economic Forum (WEF) in Davos (nationale Interessen).

2.4.6

Zugang zum ETIAS zu Gefahrenabwehrund Strafverfolgungszwecken

Art. 50­53 Ähnlich wie dies beim VIS, EES und Eurodac der Fall ist, verfügen die zuständigen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden in einem klar definierten Umfang über einen mittelbaren Zugang zu den Informationen im ETIAS, wenn dies für die Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten erforderlich ist (Art. 50 Abs. 1 ETIAS-V).

Die Schengen-Staaten haben im nationalen Recht die Behörden zu benennen, die zum Zweck der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Zugang zu ETIAS-Daten erhalten sollen (sog. benannte Behörden). Die benannte Behörde beantragt die Konsultation der Daten in einem Einzelfall.

Der Zugang zu den Daten erfolgt mittelbar über mindestens eine zentrale Zugangsstelle, die unabhängig von den benannten Behörden sein muss (Art. 50 Abs. 2 ETIAS-V). Die zentrale(n) Zugangsstelle(n) sollte(n) prüfen, ob die Bedingungen für den Erhalt von Daten aus dem ETIAS-Zentralsystem im konkreten Fall erfüllt sind. Zu diesem Zweck ist ein begründeter Antrag elektronisch mittels Formular an die zentrale Zugangsstelle zu richten. Sind die Bedingungen erfüllt, greift die nationale zentrale Zugangsstelle auf die beantragten Daten des ETIAS zu und übermittelt den anfragenden Behörden das Suchergebnis (Art. 51 und 52 ETIAS-V).

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In dringenden Ausnahmefällen (z. B. unmittelbare Gefahr für das Leben einer Person im Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat) kann die zentrale Zugangsstelle auch mündlich gestellte Anträge entgegennehmen und unverzüglich bearbeiten. Sie überprüft erst nachträglich, ob alle genannten Bedingungen erfüllt sind und ob tatsächlich ein dringender Ausnahmefall gegeben war. Die nachträgliche Überprüfung ist unverzüglich innerhalb von sieben Tagen nach der Bearbeitung des Antrags durchzuführen.

Ergibt eine nachträgliche Überprüfung, dass die Abfrage von im ETIASZentralsystem gespeicherten Daten oder der Zugriff auf solche Daten nicht berechtigt war, so löschen alle Behörden, die auf solche Daten zugegriffen haben, die aus dem ETIAS-Zentralsystem abgerufenen Daten. Die Behörden melden die Löschung der zuständigen zentralen Zugangsstelle des Schengen-Staates, in dem die Abfrage beantragt wurde.

Wie bereits beim VIS und EES, ist vorgesehen, dass in der Schweiz die zentrale Zugangsstelle die Einsatzzentrale des fedpol sein wird.

2.4.7

Speicherung, Änderung und Löschung der Daten

Art. 54 und 55 Die im ETIAS erfassten personenbezogenen Daten dürfen nicht länger gespeichert werden, als es für die Zwecke, zu denen die Daten verarbeitet werden, notwendig ist.

Die Daten werden grundsätzlich während der Gültigkeitsdauer der ETIAS-Reisegenehmigung gespeichert (Art. 54 Abs. 1 Bst. a ETIAS-V).

Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der ETIAS-Reisegenehmigung werden die Daten nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers und nur zur Erleichterung der Einreichung eines neuen ETIAS-Gesuchs für höchstens drei weitere Jahre gespeichert (Art. 54 Abs. 2 ETIAS-V). Das Ersuchen um Einwilligung muss in verständlicher und leicht zugänglicher Form abgefasst sein, sodass es von den anderen Sachverhalten klar zu unterscheiden ist. Nach den anwendbaren datenschutzrechtlichen Grundsätzen ist die Einwilligung jederzeit widerrufbar.

Im Fall einer Verweigerung, einer Annullierung oder eines Widerrufs der ETIASReisegenehmigung werden die Daten für fünf Jahre ab der letzten Entscheidung über die Reisegenehmigung gespeichert (Art. 54 Abs. 1 Bst. b ETIAS-V). Werden Daten oder Ausschreibungen, die einer solchen Entscheidung zugrunde liegen, in anderen europäischen Informationssystemen gelöscht, wird der ETIAS-Gesuchsdatensatz vor Ablauf der Frist von fünf Jahren automatisch gelöscht.

Die Änderung und vorzeitige Löschung der Daten wird in Artikel 55 ETIAS-V geregelt.

Hat eine oder ein Drittstaatsangehöriger die Staatsangehörigkeit eines SchengenStaates erworben oder ist die betreffende Person anerkannter Flüchtling, staatenlos oder im Besitz eines von den Schengen-Staaten ausgestellten Aufenthaltstitels (Art.

2 Abs. 2 Bst. a ETIAS-V), hat die nationale ETIAS-Stelle des Schengen-Staates, der 2920

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ein Reisedokument oder einen Aufenthaltstitel ausgestellt oder die Staatsangehörigkeit erteilt hat, zu überprüfen, ob die betroffene Person über einen ETIAS-Datensatz verfügt. Wenn dies der Fall ist, hat sie diesen zu löschen (Art. 55 Abs. 5 ETIAS-V).

2.4.8

Datenschutz, Information der Öffentlichkeit und Aufgaben

Kapitel XII (Art. 56­70), Kapitel XIII (Art. 71 und 72) und Kapitel XIV (Art. 73­77) Bezüglich des Datenschutzes bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die nationalen ETIAS-Stellen verweist die ETIAS-V in Artikel 56 auf die Datenschutz-Grundverordnung sowie auf die Richtlinie (EU) 2016/680, soweit die Datenverarbeitung zum Zweck der Strafverfolgung erfolgt.

Während die Richtlinie (EU) 2016/680 eine Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands darstellt, die von der Schweiz bereits übernommen und im neuen SDSG umgesetzt worden ist, wurde die Datenschutz-Grundverordnung von der EU als nicht Schengen-relevant qualifiziert. Die entsprechende Verweisung ist daher für die Schweiz nicht direkt von Bedeutung, doch muss die Schweiz ­ um entsprechende Regelungslücken zu vermeiden ­ im Rahmen einer autonomen Anpassung des nationalen Rechts dafür sorgen, dass ein äquivalenter Datenschutzstand Anwendung findet.

Die Regelungen zur notwendigen Annäherung an die Vorgaben der DatenschutzGrundverordnung werden im Rahmen der laufenden Totalrevision des DSG geschaffen. Die Gleichwertigkeit des schweizerischen Datenschutzrechts mit dem Standard der Datenschutz-Grundverordnung wird von der Europäischen Kommission überprüft und gegebenenfalls mittels eines entsprechenden Äquivalenzbeschlusses formell bestätigt werden.

Die Überwachung der Einhaltung der Datenschutzbestimmungen erfolgt durch die nationalen Aufsichtsbehörden (Art. 66 ETIAS-V). In der Schweiz teilen sich jedoch der EDÖB und die Kantone bzw. die Gemeinden diese Kompetenz, je nachdem, ob die Organe des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden dafür zuständig sind. Sie arbeiten mit dem Europäischen Datenschutzbeauftragten im Rahmen seiner Zuständigkeit zusammen.

Gemeinsam sorgen sie für eine koordinierte Überwachung des ETIAS und der nationalen Grenzinfrastruktur (Art. 68 Abs. 1 ETIAS-V). Zum Austausch von Informationen kommen der EDÖB und der Europäische Datenschutzbeauftragte mindestens zweimal jährlich im Rahmen des Europäischen Datenschutzausschusses zusammen.

Die ETIAS-Zentralstelle soll auf einer Website der breiten Öffentlichkeit alle sachdienlichen Informationen über die Beantragung der ETIAS-Reisegenehmigung zur Verfügung stellen (Art. 71 ETIAS-V). Ferner ist eine Informationskampagne seitens EU in den betroffenen Drittstaaten vorgesehen (Art. 72 ETIAS-V).

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Das Kapitel XIV beschreibt die Aufgaben der eu-LISA (Art. 73 und Art. 74), von Frontex, welche die ETIAS-Zentralstelle betreibt (Art. 75), der Schengen-Staaten, welche nationale ETIAS-Stellen betreiben (Art. 76) sowie von Europol (Art. 77).

Art. 65

Übermittlung personenbezogener Daten an Drittstaaten, internationale Organisationen und private Stellen

Die im ETIAS gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen grundsätzlich nicht an Drittstaaten, internationale Organisationen oder private Stellen weitergegeben werden (Abs. 1 und 2).

Ausgenommen davon sind Einzelfälle, in denen die Weitergabe der Daten zum Zweck der Rückführung von Drittstaatsangehörigen in ihre Herkunfts- oder in Drittstaaten notwendig ist. Die Voraussetzungen für die Datenweitergabe, die in Absatz 3 ausführlich aufgelistet sind, sind einzuhalten. Für die Weitergabe dieser Daten sind das SEM und die kantonalen Migrationsbehörden zuständig.

Die Weitergabe der Daten durch die benannten Behörden ist ferner in Fällen zulässig, in denen eine unmittelbar bevorstehende Gefahr im Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat oder eine unmittelbar drohende Lebensgefahr im Zusammenhang mit einer schweren Straftat besteht, sofern ein adäquates Datenschutzniveau im Empfangsstaat besteht (z. B. schwere Körperverletzung, Entführung, sexuelle Ausbeutung von Kindern, Vergewaltigung; Abs. 5).

Im Einzelfall können die Daten nach Artikel 52 Absatz 4 ETIAS-V an einen Drittstaat übermittelt oder diesem von den in Artikel 52 Absatz 2 bezeichneten Behörden bereitgestellt werden.

2.4.9

Änderung anderer EU-Verordnungen durch die ETIAS-Verordnung

Kapitel XV (Art. 78­82) Es werden sechs EU-Verordnungen durch die ETIAS-V angepasst. Bei den folgenden fünf Verordnungen handelt es sich um Schengen-Weiterentwicklungen, welche die Schweiz mittels Notenaustausch bereits übernommen hat bzw. für die derzeit das Übernahmeverfahren läuft.

­

26

Verordnung (EU) Nr. 1077/201126: Da eu-LISA neue Aufgaben in Bezug auf das ETIAS übernimmt, wurde eine entsprechende Bestimmung in die Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 aufgenommen (Art. 78 ETIAS-V).

Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Grosssystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. L 286 vom 1.11.2011, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2018/1240, ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

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­

Verordnung (EU) Nr. 515/201427: Gemäss dem neuen Absatz 3a von Artikel 6 sollen die Schengen-Staaten während der Entwicklungsphase des ETIAS zusätzlich eine Mittelzuweisung in Höhe von 96,5 Millionen Euro erhalten. Dieser Betrag soll zur Finanzierung der Entwicklung des ETIAS verwendet werden (Art. 79 ETIAS-V).

­

SGK: Neu wird in Artikel 6 Absatz 1 SGK die Voraussetzung eingefügt, dass Drittstaatsangehörige im Besitz einer gültigen Reisegenehmigung sein müssen, wenn sie für einen kurzfristigen Aufenthalt in den Schengen-Raum einreisen wollen, sofern eine solche für sie vorgeschrieben ist. Zusätzlich werden Unterabsätze eingefügt, die den Übergangszeitraum und Schonfristen betreffen. Artikel 8 Absatz 3 wird in Bezug auf die Grenzkontrollen ebenfalls angepasst. Ferner wird das Standardformular für die Einreiseverweigerung in Anhang V Teil B ergänzt (Art. 80 ETIAS-V).

­

Verordnung (EU) 2016/162428: Durch die Einführung des ETIAS erhält die Agentur Frontex neue Aufgaben. So muss sie beispielsweise die ETIASZentralstelle einrichten und betreiben. Entsprechend wird Artikel 8 Absatz 1 angepasst und ein neuer Artikel 33a in Kapitel II Abschnitt 5 eingefügt (Art. 81 ETIAS-V).

­

Verordnung (EU) 2017/2226 (EES-V)29: Bezüglich der Mittelverwaltung aus dem Rahmenbetrag im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit wird ein neuer Absatz 5 in Artikel 64 eingefügt (Art. 82 ETIAS-V).

27

Verordnung (EU) Nr. 515/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung für Aussengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 574/2007/EG ­ ISF Grenze, ABl. L 150 vom 20.5.2014, S. 143; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2018/1240, ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

28 Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG, ABl. L 251 vom 16.9.2016, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2018/1240, ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

29 Verordnung (EU) 2017/2226 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2017 über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten sowie der Einreiseverweigerungsdaten von Drittstaatsangehörigen an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten und zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zum EES zu Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecken und zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen sowie der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008 und (EU) Nr. 1077/2011, ABl. L 327 vom 9.12.2017, S. 20; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2018/1240, ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

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Ferner wird mit der Einführung des ETIAS die Verordnung (EU) 2016/79430 über Europol mittels einer weiteren EU-Verordnung31 angepasst. Die Schweiz ist durch Letztere nicht gebunden.

2.4.10 Art. 83

Schlussbestimmungen Übergangszeitraum und -bestimmungen

Die Pflicht, im Besitz einer ETIAS-Reisegenehmigung zu sein, wird gestaffelt und mit Übergangsfristen eingeführt. Während eines Zeitraums von sechs Monaten nach dem Datum, an dem das ETIAS den Betrieb aufnimmt, ist die Nutzung des ETIAS fakultativ.

Danach gilt eine Schonfrist von sechs Monaten. Während dieses Zeitraums gilt zwar die Pflicht, im Besitz einer gültigen Reisegenehmigung zu sein, jedoch können die Grenzkontrollbehörden den der Reisegenehmigungspflicht unterliegenden Drittstaatsangehörigen, die nicht im Besitz einer gültigen Reisegenehmigung sind, ausnahmsweise die Ersteinreise erlauben, sofern diese alle übrigen Bedingungen nach Artikel 6 Absatz 1 SGK erfüllen.

Art. 84

Datenabfrage zwecks Erstellung von Berichten und Statistiken

Zur Erstellung von Berichten und Statistiken dürfen die zuständigen Behörden, unter Einhaltung der einschlägigen Datenschutz- und Sicherheitsvorschriften, die in Absatz 1 aufgeführt Daten im ETIAS abfragen. Die Abfrage erfolgt so, dass die Identifizierung einzelner Personen nicht möglich ist.

Art. 85

Kosten

Die Kosten, die im Zusammenhang mit der Entwicklung des ETIAS, der Integration der bestehenden nationalen Grenzinfrastruktur und der Verbindung zur einheitlichen nationalen Schnittstelle (NUI, National Uniform Interface), dem Hosting der NUI und der Einrichtung der ETIAS-Zentralstelle sowie der nationalen ETIAS-Stelle und der zentralen Zugangsstelle für die Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden entstehen, werden vom Gesamthaushaltsplan der EU getragen.

Eu-LISA wird dem Risiko von Kostensteigerungen besondere Aufmerksamkeit schenken und eine ausreichende Überwachung der Auftragnehmer sicherstellen.

30

Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) und zur Ersetzung und Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI des Rates, ABl. L 135 vom 24.5.2016, S. 53.

31 Verordnung (EU) 2018/1241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/794 für die Zwecke der Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS), ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 72.

2924

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Auch die Kosten für den Betrieb des ETIAS werden weitgehend vom Gesamthaushaltsplan der EU getragen. Dazu gehören zum einen die Betriebs- und Wartungskosten des ETIAS (einschliesslich der NUIs) sowie die Betriebskosten der ETIASZentralstelle. Hinzu kommen auch die Kosten der nationalen ETIAS-Stelle für das Personal sowie für die technische Ausrüstung (Hard- und Software), die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind, einschliesslich der Übersetzungskosten.

Die folgenden Kosten werden nicht von der EU getragen und gehen zu Lasten der Schengen-Staaten: ­

das Projektmanagementbüro der Schengen-Staaten (Sitzungen, Missionen, Büros);

­

Hosting der nationalen IT-Systeme (Raum, Implementierung, Elektrizität, Kühlung);

­

Betrieb der nationalen IT-Systeme (Betreiber und Supportverträge);

­

Entwurf, Entwicklung, Durchführung, Betrieb und Wartung nationaler Kommunikationsnetze.

Die Kosten für den Betrieb des ETIAS beinhalten auch die finanzielle Unterstützung für die Mitgliedstaaten und die an Schengen assoziierten Staaten zur Deckung ihrer Ausgaben für die Anpassung und Automatisierung der Grenzübertrittskontrollen zur Umsetzung des ETIAS (bis zu 50 Millionen Euro; Abs. 3).

Art. 86

Einnahmen

Die durch das ETIAS mittels Gebühren erzielten Einnahmen werden zur Deckung der Kosten für den Betrieb und die Wartung des ETIAS eingesetzt. Die verbleibenden Einnahmen werden dem Haushalt der EU zugewiesen.

Art. 87

Mitteilungen

Diese Bestimmung hält fest, welche Mitteilungen durch die Schengen-Staaten und die ETIAS-Zentralstelle an die Europäische Kommission und eu-LISA zu erfolgen haben.

Art. 88

Aufnahme des Betriebs

Die Europäische Kommission bestimmt den Zeitpunkt, zu dem das ETIAS seinen Betrieb aufzunehmen hat.

Die Inbetriebnahme des ETIAS im Schengen-Raum ist nach aktueller Planung für Ende 2022 vorgesehen.

Art. 89

Ausübung der Befugnisübertragung

Diese Bestimmung regelt die Befugnis der Europäischen Kommission, in gewissen Bereichen delegierte Rechtsakte zu erlassen. Sie erlässt beispielsweise delegierte Rechtsakte über die Zahlungsmethoden und das Gebührenabwicklungsverfahren für die Reisegenehmigung und über Änderungen der Höhe dieser Gebühr (Art. 18 2925

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Abs. 4 ETIAS-V). Diese delegierten Rechtsakte werden der Schweiz zu gegebener Zeit als neue Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands notifiziert.

Art. 90 und 91 Ausschussverfahren und Beratergruppe Die Europäische Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt. Ferner werden die Aufgaben der EES-Beratergruppe auf das ETIAS ausgeweitet.

Art. 92

Überwachung und Evaluierung

Während der Entwicklung des ETIAS und nach der Inbetriebnahme des Systems informiert eu-LISA das europäische Parlament, den Rat und die Europäische Kommission regelmässig über den Stand der Entwicklung bzw. über die technische Funktionsweise des ETIAS.

Drei Jahre nach Inbetriebnahme des ETIAS und danach alle vier Jahre hat die Europäische Kommission eine Bewertung des ETIAS vorzunehmen und dem Europäischen Parlament und dem Rat Empfehlungen abzugeben.

Ferner haben die Schengen-Staaten Jahresberichte (inkl. Statistik) über die Wirksamkeit des Zugangs zu den im ETIAS-Zentralsystem gespeicherten Daten zu Strafverfolgungszwecken mit folgendem Inhalt zu erstellen: ­

Zweck der Abfrage und Art der Straftat;

­

hinreichende Gründe für den begründeten Verdacht, dass die verdächtige Person, die Täterin oder der Täter oder das Opfer unter den Anwendungsbereich der ETIAS-V fällt;

­

die Zahl der Anträge auf Zugang zum ETIAS zu Strafverfolgungszwecken;

­

die Anzahl und Art von Fällen, die zu Treffern geführt haben;

­

die Anzahl und Art von Fällen, in denen das Dringlichkeitsverfahren zur Anwendung kommt.

Den Schengen-Staaten wird für die Generierung der Statistik eine technische Lösung von eu-LISA bereitgestellt.

Art. 93

Leitfaden

Die Europäische Kommission wird einen Leitfaden erstellen, der Leitlinien, Empfehlungen und bewährte Verfahren für die Anwendung der ETIAS-V enthalten und den Schengen-Staaten als Empfehlungen notifiziert wird.

Art. 94

Ceuta und Melilla

Die ETIAS-V berührt nicht die für die Städte Ceuta und Melilla geltenden Sonderregelungen.

2926

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Art. 95

Finanzieller Beitrag der Länder, die bei der Umsetzung, Anwendung und Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands assoziiert sind

In dieser Bestimmung ist vorgesehen, dass mit den assoziierten Schengen-Staaten gestützt auf ihre jeweiligen Assoziierungsabkommen Vereinbarungen über ihre finanzielle Beteiligung am ETIAS getroffen werden sollen (siehe hierzu Ziff. 2.1.3).

Art. 96

Inkrafttreten und Anwendbarkeit

Die ETIAS-V ist am 9. Oktober 2018 in der EU in Kraft getreten (d. h. am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union).

Ab diesem Datum gelten bereits die Artikel, die der technischen Umsetzung des ETIAS dienen und die sich an die Europäische Kommission und die Agentur euLISA richten (Art. 6, 11, 12, 33­35, 59, 71­73, 75­79, 82, 85, 87, 89­91, 92 Abs. 1 und 2, 93 und 95 sowie Bestimmungen im Zusammenhang mit den Massnahmen gemäss Artikel 88 Absatz 1 Buchstabe d).

Die Bestimmungen über die Abfrage von Eurodac gelten ab dem Tag der Anwendbarkeit der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 603/201332.

Die übrigen Bestimmungen gelten ab dem Tag, an dem das ETIAS in Betrieb genommen wird (siehe dazu Art. 88).

2.5

Grundzüge des Umsetzungserlasses

Die meisten Bestimmungen der ETIAS-V sind direkt anwendbar und setzen keine Umsetzung in das nationale Recht voraus. Gewisse Bestimmungen sind dennoch zu konkretisieren und bedingen Anpassungen im AIG oder direkt in den Verordnungen.

Das AIG enthält zurzeit keine Bestimmung zu einem solchen Informationssystem bzw. zu einem vom Visumverfahren unabhängigen Verfahren zur Reisegenehmigung, wie es die ETIAS-V vorsieht. Nach Artikel 17 Absatz 2 DSG dürfen besonders schützenswerte Personendaten sowie Persönlichkeitsprofile nur bearbeitet werden, wenn ein Gesetz im formellen Sinn dies ausdrücklich vorsieht. Das ETIAS ist ein System, das besonders schützenswerte Daten und private Informationen über Drittstaatsangehörige enthält, die für einen kurzfristigen Aufenthalt in den Schengen-Raum einreisen und dafür kein Visum benötigen; dies betrifft namentlich die

32

Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Grosssystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 1.

2927

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ETIAS-Überwachungsliste. Für die Bearbeitung dieser Daten durch die Schweizer Behörden ist somit eine formelle Gesetzesgrundlage im AIG vorzusehen.

2.5.1

Die beantragte Neuregelung

Der Artikel betreffend die Einreisevoraussetzungen (Art. 5 AIG) ist dahingehend zu ergänzen, dass die ETIAS-Reisegenehmigung als zusätzliche Einreisevoraussetzung für den Schengen-Raum anzusehen ist.

Ein Artikel befasst sich mit dem ETIAS-System und seinem Inhalt (Art. 108a E-AIG). Das Verfahren zur Prüfung der Gesuche um eine Reisegenehmigung durch das ETIAS und die ETIAS-Zentralstelle ist in Artikel 108b E-AIG festgelegt.

Artikel 108c E-AIG bestimmt die nationale ETIAS-Stelle und deren wichtigste Aufgaben. Ergeben sich ein oder mehrere Treffer oder besteht ein Zweifel bezüglich der Identität der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers, nimmt die nationale ETIAS-Stelle im SEM eine vertiefte manuelle Prüfung vor. Das SEM prüft die Gesuche und erteilt oder verweigert Reisegenehmigungen, wenn die Schweiz zuständig ist. Es ist auch für die Annullierung oder den Widerruf der Genehmigungen zuständig. Und schliesslich ist es für die Ausstellung von VrG-Reisegenehmigungen zuständig.

Das Verfahren für den Erlass von Verfügungen und für Beschwerden ist im Gesetz festgelegt (Art. 108d E-AIG).

Ausserdem ist zu bestimmen, welche Schweizer Behörden die Daten im ETIAS erfassen dürfen, einschliesslich der ETIAS-Überwachungsliste, und wer diese Daten zu welchem Zweck abfragen kann (Art. 108e E-AIG).

Eine Regelung zur Übermittlung von ETIAS-Daten ist ebenfalls erforderlich (Art. 108f E-AIG).

Eine Delegationskompetenz an den Bundesrat ist vorgesehen, um gewisse Elemente in nationalen Ausführungsverordnungen umzusetzen (Art. 108g E-AIG; vgl. Ausführungen in Ziff. 2.6.1). Diese Bestimmung soll dem Bundesrat ermöglichen, die notwendigen Modalitäten und Verfahren zur korrekten Umsetzung der ETIAS-V zu regeln.

Weiter sind die Schengen-Staaten beauftragt, Sanktionen bei missbräuchlicher Verwendung der ETIAS-Daten festzulegen (Art. 62 ETIAS-V). Deshalb ist Artikel 120d AIG betreffend die verschiedenen Informationssysteme des SEM anzupassen.

Zudem wird die Pflicht, im Besitz einer ETIAS-Reisegenehmigung zu sein, gestaffelt und mit Übergangsfristen eingeführt (Art. 83 ETIAS-V). Deshalb ist eine Übergangsbestimmung erforderlich (Art. 126e E-AIG).

Das AIG sieht Sanktionsmöglichkeiten in Bezug auf Transportunternehmen bei Sorgfalts- und Meldepflichtverletzungen vor (Art. 92­95, 104 und 120a­120d).

Gewisse dieser
Bestimmungen werden aufgrund der Einführung des ETIAS leicht angepasst, da die ETIAS-Reisegenehmigung neu eine zusätzliche Einreisevoraussetzung für den Schengen-Raum darstellt. Die Luftverkehrsunternehmen müssen alle zumutbaren Vorkehren treffen, damit sie nur Personen befördern, die nicht nur über 2928

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die für die Einreise in den Schengen-Raum oder für die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen erforderlichen Reisedokumente, Visa und Aufenthaltstitel, sondern neu auch über ETIAS-Reisegenehmigungen verfügen.

Ausserdem soll die nationale ETIAS-Stelle auf das ZEMIS zwecks Datenbearbeitung Zugriff erhalten. So soll die nationale ETIAS-Stelle für ihre Aufgaben im Zusammenhang mit Reisegenehmigungen auf das ZEMIS zugreifen können.

Im Rahmen der manuellen Prüfung der ETIAS-Reisegenehmigung soll künftig die nationale ETIAS-Stelle unter anderem auf das VIS, das EES sowie auf das SIS33 zugreifen können. Diese Zugriffsrechte sind bereits am 7. Januar 2019 durch die Europäische Kommission mit zwei neuen EU-Verordnungen34 vorgeschlagen worden. Allerdings steht die Verabschiedung dieser Schengen-Weiterentwicklungen noch aus. Die Regelung dieser Zugriffsberechtigungen sowie allfällige Zugriffsmöglichkeiten auf andere nationale Datenbanken werden entsprechend erst im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der genannten EU-Verordnungen vorgesehen.

2.5.2

Praktische Umsetzung

Die Umsetzung der ETIAS-V in der Schweiz fällt in verschiedene Zuständigkeitsbereiche des Bundes und der Kantone.

Nationale ETIAS-Stelle Im SEM wird eine nationale ETIAS-Stelle geschaffen, welche die vom Zentralsystem übermittelten Gesuche bearbeitet. Bei der Prüfung der Gesuche muss die ETIAS-Stelle weitere Behörden der Kantone oder des Bundes konsultieren, damit sie über die massgebenden Daten im Migrations-, Polizei- oder Gesundheitsbereich verfügt.

Zusätzlich muss die nationale ETIAS-Stelle die vorzeitige Löschung von Daten im ETIAS vornehmen, wenn die Schweiz die Person als Flüchtling anerkannt, eine Aufenthaltsbewilligung erteilt oder die Person eingebürgert hat. Ferner kann die nationale ETIAS-Stelle Änderungen zwecks Berichtigung von Daten im Zentralsystem vornehmen (Art. 55 Abs. 5 ETIAS-V).

33

Siehe Botschaft vom 6. März 2020 zur Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) und zur Änderung des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich.

34 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu den anderen EU-Informationssystemen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1862 und der Verordnung (EU) yyyy/xxx [ECRIS-TCN]; COM(2019) 3 endg.; und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EUInformationssystemen für ETIAS-Zwecke und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1240, der Verordnung (EG) Nr. 767/2008, der Verordnung (EU) 2017/2226 und der Verordnung (EU) 2018/1861; COM(2019) 4 endg.

2929

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Technische Anbindung Zudem muss die technische Anbindung der nationalen Systeme an das ETIASZentralsystem erfolgen. Der Bund (SEM) wird die Schnittstelle für diese Anbindung aufbauen und bezahlen. Ferner sind die Grenzkontrollsysteme der Kantone und der Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) anzupassen, damit sie sich an das Zentralsystem anbinden können. Dies gilt auch für die organisatorischen Abläufe.

Zentrale Zugangsstelle für die Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden Schliesslich muss auch eine zentrale Zugangsstelle definiert werden. Diese Stelle ist heute für das VIS und das EES bei fedpol angesiedelt.

Fluggesellschaften Im Gegensatz zu einem Reisedokument oder einem Visum geht es bei einer ETIASGenehmigung nicht um ein physisches Dokument. Die Fluggesellschaften prüfen lediglich über den Carrier Gateway im System, ob eine Reisegenehmigung vorliegt.

Synergien zwischen dem EES und dem ETIAS Beim EES handelt es sich um ein Schengen-weites Einreise- und Ausreisesystem.

Das Parlament hat den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Errichtung und Nutzung des Einreise- und Ausreisesystems (EES) (Verordnungen [EU] 2017/2226 und 2017/2225) (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) und die notwendigen Rechtsgrundlagen zur Umsetzung in der Schlussabstimmung vom 21. Juni 2019 verabschiedet.35 Die Referendumsfrist ist am 10. Oktober 2019 unbenutzt verstrichen. Der Bundesbeschluss und die entsprechenden Rechtsgrundlagen sind noch nicht in Kraft.

Im EES werden alle Drittstaatsangehörigen geführt, welche für einen Kurzaufenthalt in den Schengen-Raum einreisen. Es werden dementsprechend sowohl visumpflichtige als auch visumbefreite Drittstaatsangehörige im EES erfasst. Die Informationen zu visumbefreiten Drittstaatsangehörigen sind somit sowohl im ETIAS als auch im EES gespeichert.

Für die optimale Nutzung der Informationen beider EU-Zentralsysteme sind die Korrektheit und die Qualität der darin gespeicherten Daten von entscheidender Bedeutung. Dementsprechend ergeben sich im Bereich der Datenpflege und -bereinigung verschiedene Aufgaben, die parallel in beiden Zentralsystemen auszuführen sind.

Zu diesen Aufgaben gehört die vorzeitige Löschung von Drittstaatsangehörigen sowohl
im Zentralsystem EES als auch im ETIAS, sofern deren Aufenthalt durch nationales Recht geregelt wird. Erhält eine Person einen Aufenthaltstitel, ein Visum für den längerfristigen Aufenthalt oder die Schweizer Staatsbürgerschaft oder tritt sie ins Asylverfahren ein, so sind ihre Daten unverzüglich im EES wie auch im ETIAS zu löschen. Durch eine zentrale und parallele Bearbeitung solcher vorzeitigen Löschungen kann, trotz relativ grosser Fallzahlen, nicht nur das Synergiepotenzial zwischen den beiden Systemen auf nationaler Stufe genutzt, sondern auch ein 35

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effizienter und ressourcenschonender Prozess ausgestaltet werden, der zusätzlich zur Entlastung der Kantone beiträgt.

Zur Sicherstellung der geforderten Datenqualität in den EU-Zentralsystemen EES und ETIAS werden des Weiteren verschiedene Aufgaben im Bereich der Datenpflege (Korrekturen, Ergänzungen, Aktualisierungen) und der technischen Konfiguration notwendig, welche in ähnlicher oder zum Teil gleicher Weise für beide Systeme ausgeführt werden müssen. Durch zentrale bzw. stark koordinierte Prozesse kann auch hier eine nachhaltig dem geforderten Qualitätsniveau entsprechende Aufgabenerfüllung garantiert werden.

2.6

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses

2.6.1

Ausländer- und Integrationsgesetz

Art. 5 Abs. 1 Bst. a und abis Artikel 5 AIG regelt die Voraussetzungen für die Einreise in die Schweiz. Er sieht namentlich vor, dass Ausländerinnen und Ausländer für den Grenzübertritt über ein anerkanntes Ausweispapier und sofern erforderlich über ein Visum verfügen müssen. Sie müssen die für den Aufenthalt in der Schweiz notwendigen finanziellen Mittel besitzen. Sie dürfen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die internationalen Beziehungen der Schweiz darstellen, und sie dürfen nicht von einer Fernhaltemassnahme betroffen sein.

Dies ist mit einer neuen Bestimmung zu ergänzen, wonach Ausländerinnen und Ausländer über eine Reisegenehmigung gemäss ETIAS-V verfügen müssen, sofern diese erforderlich ist. Somit müssen alle Angehörigen von visumbefreiten Drittstaaten eine Genehmigung vorweisen, wenn sie die Schengen-Aussengrenze überschreiten möchten.

Buchstabe a wird entsprechend angepasst, und ein neuer Buchstabe abis wird eingefügt.

Art. 7 Abs. 3 erster Satz Fussnote Da der SGK angepasst wird (vgl. Ziff. 2.4.9), ist die Fussnote in Artikel 7 Absatz 3 AIG entsprechend zu aktualisieren.

Art. 92 Abs. 1 Die Zusammenarbeit zwischen Luftverkehrsunternehmen und Behörden ist in Artikel 92 geregelt. Die Luftverkehrsunternehmen müssen alle ihnen zumutbaren Vorkehren treffen, damit sie nur Personen befördern, die nicht nur über die für die Einreise in den Schengen-Raum oder für die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen erforderlichen Reisedokumente, Visa und Aufenthaltstitel, sondern neu auch über ETIAS-Reisegenehmigungen verfügen. Entsprechend ist Absatz 1 von Artikel 92 zu ergänzen.

2931

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Art. 103b Abs. 1 Fussnote Diese Bestimmung wurde im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der EES-V vorgesehen.36 Sie wurde in der Schlussabstimmung vom 21. Juni 2019 durch das Parlament genehmigt. Die Referendumsfrist ist am 10. Oktober 2019 unbenutzt verstrichen.

Da die ETIAS-V die EES-V ändert (vgl. Ziff. 2.4.9), ist die Fussnote anzupassen.

Art. 108a

Daten des Europäischen Reiseinformationsund -genehmigungssystems

Der neue Artikel 108a AIG befasst sich mit dem ETIAS. Er gibt an, wozu es dient und was es beinhaltet.

Es sind dies die persönlichen Daten der visumbefreiten Reisenden aus Drittstaaten, die für einen Kurzaufenthalt, das heisst höchstens 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen, in den Schengen-Raum einreisen möchten (Abs. 1 Bst. a), sowie die entsprechende Reisegenehmigung oder Verweigerung der Einreise (Abs. 1 Bst. b).

In diesem Artikel wird auf die ETIAS-V verwiesen.

Das ETIAS-System enthält zudem eine Überwachungsliste mit den Daten von Personen, die einer terroristischen oder anderen schweren Straftat verdächtigt werden (Abs. 2 Bst. a und b), sowie Überprüfungsregeln (Risikoindikatoren).

Art. 108b

Gesuch um eine ETIAS-Reisegenehmigung sowie Prüfung durch das ETIAS und die ETIAS-Zentralstelle

Das ETIAS-System nimmt eine automatisierte Risikoprüfung vor, bevor nicht visumpflichtige Personen in den Schengen-Raum reisen.

Diese Bestimmung verweist für die Einreichung des Gesuchs um eine ETIASReisegenehmigung, die automatisierte Prüfung durch das ETIAS sowie die manuelle Prüfung durch die ETIAS-Zentralstelle und durch die nationale ETIAS-Stelle auf die ETIAS-V.

Die Pflichten der Drittstaatsangehörigen, die für Reisen in den Schengen-Raum eine ETIAS-Reisegenehmigung besorgen müssen, sind die Folgenden: Um eine ETIAS-Reisegenehmigung zu erhalten, müssen die Reisenden ein OnlineFormular ausfüllen. Bestehende Genehmigungen sind vor ihrem Ablauf zu erneuern.

Sie können auch eine Drittperson beauftragen, dieses Formular für sie auszufüllen.

Das Ausfüllen des Formulars kommt dem Einreichen eines Gesuchs um eine ETIAS-Reisegenehmigung gleich und hat vor der geplanten Reise zu erfolgen.

36

Bundesbeschluss vom 21. Juni 2019 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Errichtung und Nutzung des Einreise- und Ausreisesystems (EES) (Verordnungen [EU] 2017/2226 und 2017/2225) (Weiterentwicklungen des SchengenBesitzstands), BBl 2019 4573.

2932

BBl 2020

Das Gesuchsformular enthält digitale Daten der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers gemäss Artikel 17 Absatz 2 ETIAS-V. Unter anderem sind dies folgende Daten: ­

Nachnamen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Geburtsland, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Vornamen der Eltern;

­

sonstige Namen, Aliasnamen, Künstlernamen;

­

weitere Staatsangehörigkeiten;

­

Art, Nummer und Ausstellungsland des Reisedokuments;

­

Ablaufdatum der Gültigkeitsdauer des Reisedokuments;

­

Adresse, Ort und Land des Wohnsitzes;

­

E-Mail-Adresse und Telefonnummern;

­

Ausbildungsniveau und -bereich;

­

derzeitige Berufstätigkeit;

­

Staat der ersten Einreise;

­

bei Minderjährigen Namen der Eltern oder der gesetzlichen Vertreterinnen oder Vertreter.

Machen gesuchstellende Personen ihren Status als Familienangehörige einer oder eines freizügigkeitsberechtigten Drittstaatsangehörigen geltend, die oder der über einen Aufenthaltstitel gemäss der Richtlinie 2004/38/EG oder einen Aufenthaltstitel gemäss der Verordnung 1030/2002 verfügt, haben sie zudem folgende Informationen bereitzustellen: ­

die persönlichen Daten der oder des Familienangehörigen, namentlich die Adresse und die Telefonnummer;

­

die familiären Beziehungen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG.

Das System enthält auch eine Bescheinigung, dass die im Gesuchsformular gemachten Angaben korrekt sind und dass die gesuchstellende Person die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 SGK verstanden hat (Art. 17 Abs. 1 ETIAS-V).

Ausserdem sind die Behörden berechtigt, der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller weitergehende Fragen zu stellen. Die Antworten auf diese Fragen werden ebenfalls im System erfasst (Art. 17 Abs. 4 und 6 ETIAS-V). Dabei handelt es sich namentlich um Fragen zu möglichen Verurteilungen, zu Aufenthalten in Konfliktgebieten in den letzten zehn Jahren oder zu allenfalls angeordneten Entfernungsmassnahmen. Es können zusätzliche Fragen gestellt werden, die von der Europäischen Kommission festgelegt werden (Art. 17 Abs. 5 ETIAS-V).

Der Abgleich der Daten mit anderen bestehenden Datenbanken wie dem SIS, EES, VIS, Eurodac, Europol Information System sowie den Interpol-Datenbanken SLTD und TDAWN (Art. 12 ETIAS-V) erfolgt automatisch. Dabei soll geprüft werden, ob die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller in diesen Datenbanken bekannt ist und ob Einschränkungen in Bezug auf die Erteilung einer Reisegenehmigung zu prüfen sind.

2933

BBl 2020

Das Zentralsystem gleicht die Daten automatisch mit der ETIAS-Überwachungsliste gemäss Artikel 34 ETIAS-V und den Überprüfungsregeln ab (Risikoindikatoren, Art. 33 ETIAS-V).

Das Zentralsystem überprüft zunächst, ob die Daten des Gesuchsformulars korrekt sind und ob die verlangte Gebühr entrichtet worden ist (Art. 19 Abs. 1 ETIAS-V).

Hat die Abfrage der Datenbanken keinen Treffer ergeben, erteilt das ETIAS-Zentralsystem automatisch eine Reisegenehmigung (Art. 32 ETIAS-V).

Falls anhand der Abgleiche nicht bestimmt werden kann, ob eine Reisegenehmigung zu erteilen ist, wird der Fall zur vertieften manuellen Prüfung an die ETIASZentralstelle weitergeleitet, die bei Frontex angesiedelt ist. Dabei handelt es sich vor allem um Fälle, bei denen sich im Zentralsystem mehrere Treffer ergeben haben (Art. 22 Abs. 1 ETIAS-V).

Die ETIAS-Zentralstelle hat somit Zugang zu den ETIAS-Datensätzen und den Treffern der Abgleiche in den Datenbanken sowie zu den im Zentralsystem enthaltenen Daten zur gesuchstellenden Person. Die Zentralstelle prüft die ETIASÜberwachungsliste und die Risikoindikatoren. Falls die Treffer nicht einen Verweigerungsgrund darstellen (z. B. VIS) oder nicht zur gesuchstellenden Person gehören, werden diese gelöscht und es wird eine Reisegenehmigung erteilt.

Es gibt auch die Möglichkeit, den Datensatz mit einem Vermerk zu versehen, dass es sich um einen falschen Treffer und somit keinen Verweigerungsgrund handelt, um an der Grenze Komplikationen zu vermeiden.

Wenn die Daten denen der gesuchstellenden Person entsprechen oder wenn weiterhin Zweifel bezüglich der Identität der gesuchstellenden Person bestehen, wird das Gesuch durch die nationale Stelle manuell bearbeitet (Art. 26 ETIAS-V).

Die ETIAS-Zentralstelle hat ihre Bearbeitung innerhalb von zwölf Stunden nach der Übermittlung des Datensatzes abzuschliessen (Art. 22 Abs. 6 ETIAS-V).

Die zuständige nationale Stelle wird durch Artikel 25 der ETIAS-V bestimmt.

Die Zentralstelle wird im Datensatz der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers angegeben. Artikel 108c AIG bestimmt die für die Schweiz zuständige nationale ETIAS-Stelle.

Art. 108c

Nationale ETIAS-Stelle

Absatz 1 Eine spezifische Organisationseinheit innerhalb des SEM wird als nationale Schweizer ETIAS-Stelle bestimmt, die für die Aufgaben nach Artikel 8 Absatz 2 ETIAS-V zuständig ist. Zu diesen Aufgaben gehört die Prüfung der Gesuche gemäss Artikel 26 ETIAS-V.

Eine weitere Aufgabe, die nachfolgend nicht näher erläutert wird, besteht darin sicherzustellen, dass die erfassten Daten in den Gesuchsdatensätzen richtig und im Zentralsystem aktuell sind (Art. 55 und 64 ETIAS-V). Artikel 55 ETIAS-V befasst sich mit der Änderung und vorzeitigen Löschung der Daten, während Artikel 64

2934

BBl 2020

ETIAS-V das Recht der betreffenden Personen auf Information sowie auf Zugang, Berichtigung und Löschung ihrer Daten im ETIAS regelt.

Absatz 2 Die nationale ETIAS-Stelle muss die Gesuche um Reisegenehmigungen prüfen, die ihr von der ETIAS-Zentralstelle zur manuellen Prüfung weitergeleitet werden. Dabei kann sie weitere Behörden der Kantone oder des Bundes konsultieren oder sie mit weiteren Abklärungen beauftragen. Es steht ihr also frei, eine Befragung der betreffenden Person bei den Schweizer Vertretungen zu beantragen gemäss Artikel 27 ETIAS-V. Ausserdem steht es der nationalen ETIAS-Stelle frei, falls nötig bestimmte Ämter wie das fedpol, das Bundesamt für Gesundheit oder das Bundesamt für Justiz zu konsultieren. Dieser Absatz befasst sich mit der Amtshilfe, die bereits in Artikel 97 AIG allgemein geregelt ist, namentlich in Absatz 2. Der Bundesrat wird auf Verordnungsstufe festlegen, welche Behörden mit welchen Abklärungen beauftragt werden können.

Art. 108d

Erteilung, Verweigerung, Annullierung oder Widerruf der ETIAS-Reisegenehmigung

Absatz 1 Absatz 1 befasst sich mit der manuellen Prüfung der Gesuche um eine Reisegenehmigung.

Die nationale ETIAS-Stelle bewertet das Risiko für die Sicherheit oder der illegalen Einwanderung, wenn der Treffer einer der Überprüfungen nach Artikel 20 Absatz 2 Buchstaben b und d­m ETIAS-V entspricht (Art. 26 Abs. 3 Bst. b), das heisst wenn: ­

das zur Gesucheinreichung verwendete Dokument in der SLTD als gestohlen, verloren oder ungültig gemeldet ist;

­

die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller im SIS zur Verhaftung oder Auslieferung ausgeschrieben ist;

­

eine ETIAS-Reisegenehmigung durch die ETIAS-Zentralstelle verweigert, aufgehoben oder annulliert wurde;

­

weiterhin Zweifel bezüglich der Identität der betreffenden Person bestehen, da sie im ETIAS-Zentralsystem unter verschiedenen Namen bekannt ist;

­

die gesuchstellende Person gemäss dem EES bereits die Dauer eines genehmigten Aufenthalts im Schengen-Raum überzogen hat oder wenn ihr eine Einreise verweigert wurde und die Einreiseverweigerung im EES eingetragen ist;

­

bereits ein Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt verweigert, annulliert oder aufgehoben wurde (VIS);

­

die Daten der gesuchstellenden Person den von Europol gespeicherten Daten entsprechen;

­

die gesuchstellende Person in Eurodac erfasst ist;

2935

BBl 2020

­

das für das Gesuch verwendete Dokument einem Reisedokument in der Interpol-Datenbank TDAWN entspricht.

Kommt die nationale ETIAS-Stelle nach dieser Risikoüberprüfung zum Schluss, dass kein Risiko besteht, erteilt sie die ETIAS-Reisegenehmigung. Ist die nationale ETIAS-Stelle der Auffassung, dass einige Aspekte des Gesuchs einer weiteren Überprüfung durch die Grenzkontrollbehörden bedürfen, bringt sie einen Vermerk beispielsweise bezüglich einer Kontrolle in der zweiten Kontrolllinie an den Grenzen an.

Hat die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller bei der Einreichung des Gesuchs eine oder mehrere Fragen von Artikel 17 Absatz 4 ETIAS-V (z. B. Aufenthalt in einem bestimmten Kriegsgebiet) bejaht (Art. 26 Abs. 4 ETIAS-V), muss die nationale ETIAS-Stelle prüfen, ob ein Risiko für die Sicherheit, die irreguläre Migration oder die öffentliche Gesundheit besteht, und entscheiden, ob die Reise zu genehmigen ist oder nicht. Das Gleiche gilt, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller hinsichtlich der ETIAS-Überwachungsliste oder der spezifischen Risikoindikatoren nach Artikel 33 ETIAS-V als risikobehaftet erscheint (Art. 26 Abs. 5 und 6 ETIASV). Die von der nationalen ETIAS-Stelle vorzunehmenden Prüfungen sind in der ETIAS-V klar festgelegt.

Wenn eine gesuchstellende Person im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist oder wenn das Reisedokument, das sie besitzt, im SIS als gestohlen, verloren oder ungültig ausgeschrieben ist, ist die Reisegenehmigung von der nationalen ETIAS-Stelle im SEM in jedem Fall zu verweigern (Art. 20 Abs. 2 Bst. a und c ETIAS-V).

Absatz 2 Die nationale ETIAS-Stelle im SEM kann aus humanitären Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen beschliessen, eine Reisegenehmigung mit räumlich auf die Schweiz oder (in Ausnahmefällen mit deren Einwilligung) auf gewisse Schengen-Staaten beschränkter Gültigkeit zu erteilen (Art. 44 ETIAS-V). Dies ist eine parallele Bestimmung zu Artikel 25 des Visakodex37, der die Erteilung eines Visums der Kategorie C mit räumlich beschränkter Gültigkeit namentlich aus humanitären Gründen ermöglicht.

Absatz 3 Eine Reisegenehmigung ist drei Jahre oder bis zum Ablauf der Gültigkeit des Reisedokuments gültig (Art. 36 Abs. 5 ETIAS-V). Die Reisegenehmigung allein genügt nicht, um die Einreise in den Schengen-Raum zu erlauben (Art. 36 Abs. 6 ETIASV). Die betreffende Person muss bei der Grenzkontrolle in
deren Besitz sein, und sie stellt eine Voraussetzung für die Einreise in den Schengen-Raum dar.

Absatz 4 Die nationale ETIAS-Stelle im SEM entscheidet über die Erteilung einer Reisegenehmigung (Art. 8 Abs. 2 Bst. a ETIAS-V) und widerruft oder annulliert gemäss den 37

Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex), ABl. 243 vom 15. 9. 2009, S. 1.

2936

BBl 2020

Artikeln 40 und 41 ETIAS-V eine bereits erteilte Genehmigung in Form einer Verfügung (Art. 8 Abs. 2 Bst. g ETIAS-V).

Wenn die nationale ETIAS-Stelle eine Verfügung erlässt, muss sie die Daten im ETIAS-System entsprechend ergänzen und dies der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller mitteilen. Diese Mitteilung erfolgt auf elektronischem Weg.

Die Rechtsmittel gegen die Verweigerung, Annullierung oder Aufhebung richtet sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 196838. Sie ermöglichen der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller, beim Bundesverwaltungsgericht innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung schriftlich Beschwerde zu erheben.

Art. 108e

Erfassung und Abfrage der Daten im ETIAS

Absatz 1 Absatz 1 legt fest, dass die nationale ETIAS-Stelle Daten im ETIAS erfassen und bearbeiten darf. Diese Bearbeitung erfolgt einerseits im Rahmen der manuellen Prüfung der Gesuche und andererseits aufgrund der Erstellung und Anpassung der ETIAS-Überwachungsliste auf Antrag von fedpol und vom NDB. Nur die nationale ETIAS-Stelle kann die Einträge und Mutationen vornehmen.

Fedpol und der NDB werden regelmässig die Überwachungsliste prüfen und ihre Änderungs- und Löschungsaufträge der nationalen ETIAS-Stelle im SEM mitteilen.

Absatz 2 Mittels Abfrage des Systems kann geprüft werden, ob eine Reisegenehmigung besteht. Dieser Absatz bestimmt, welche Behörden zu Prüfzwecken auf die ETIASDaten zugreifen können.

Für die Schweiz sind dies:

38 39

­

das SEM (in der Funktion als Migrationsbehörde) und die (kantonalen und kommunalen) Migrationsbehörden sowie die für die Personenkontrolle im Inland eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZV (gemäss ihren nicht zollrechtlichen Aufgaben im Bereich der Identitätskontrolle sowie der Kontrolle der Berechtigung zum Aufenthalt; Art. 95 i.V.m. Art. 100 Abs. 1 Bst. a Ziff. 1 und 3 Zollgesetz [ZG] 39) und die kantonalen und kommunalen Polizeibehörden im Rahmen der Überprüfung der Rechtmässigkeit des Aufenthalts von Drittstaatsangehörigen (Bst. a);

­

die Grenzkontrollbehörden, entweder die für die Personenkontrolle an der Grenze eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZV gemäss ihren von den Kantonen übertragenen Aufgaben im Bereich der Identitätskontrolle sowie der Kontrolle der Berechtigung zum Grenzübertritt (Art. 97 i.V.m.

Art. 100 Abs. 1 Bst. a Ziff. 1 und 2 ZG) oder die kantonalen Behörden, die diese Aufgaben an den Flughäfen übernehmen (Bst. b);

SR 172.021 SR 631.0

2937

BBl 2020

­

die Luftverkehrsunternehmen, die bei Flügen von einem Abgangsflughafen ausserhalb des Schengen-Raums vor dem Abflug prüfen müssen, ob eine Reisegenehmigung vorliegt (Carrier Sanctions) (Bst. c).

Die ETIAS-V sieht keinen Zugriff auf das System zu Identifikationszwecken vor, da dieses keine biometrischen Daten enthält. Die Identifikation von Personen ohne Ausweispapiere erfolgt über das EES (Art. 27 EES-V). Um auf die Daten des ETIAS zuzugreifen, müssen die Migrationsbehörden (Bst. a) zunächst eine Abfrage zu Identifikationszwecken im EES nach Artikel 26 EES-V vornehmen und sicherstellen, dass kein Eintrag für diese Person besteht.

Absatz 3 Dieser Absatz regelt den Zugriff auf das ETIAS zur Verhütung und Aufdeckung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten.

Zu diesem Zweck ist ein begründeter Antrag an eine benannte zentrale Zugangsstelle zu richten (Art. 51 Abs. 1 ETIAS-V).

Nur wenn die in der ETIAS-V festgehaltenen Bedingungen erfüllt sind (Art. 51 Abs. 3 und 52), werden die genannten ETIAS-Daten der antragstellenden Behörde übermittelt.

In dringenden Ausnahmefällen kann die zentrale Zugangsstelle auch Anträge unverzüglich bearbeiten. Sie überprüft erst nachträglich, ob alle genannten Bedingungen erfüllt sind und ob tatsächlich ein dringender Ausnahmefall gegeben war. Die nachträgliche Überprüfung ist innerhalb einer nützlichen Frist und spätestens sieben Arbeitstage nach der Bearbeitung des Antrags durchzuführen (Art. 51 Abs. 4 ETIAS-V).

Die Schengen-Staaten haben die Behörden zu benennen, die Anträge stellen können.

In der Schweiz handelt es sich um folgende Behörden: ­

das fedpol,

­

der NDB,

­

die Bundesanwaltschaft,

­

die kantonalen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie die Polizeibehörden der Städte Zürich, Winterthur, Lausanne, Chiasso und Lugano. Die aufgeführten kommunalen Polizeibehörden sind ebenfalls berechtigt, da sie gleich wie die Kantonspolizeien kriminalpolizeiliche Aufgaben im Rahmen der Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung schwerer Straftaten im Sinne der ETIAS-V wahrnehmen.

Absatz 4 Das SDGS wird für den NDB als anwendbar erklärt (siehe dazu Ziff. 3).

Absatz 5 Die in Absatz 3 genannten Behörden können ihren Antrag an die zentrale Zugangsstelle richten (Art. 50 Abs. 3 ETIAS-V).

2938

BBl 2020

Die zentrale Zugangsstelle hat direkten Zugriff auf die ETIAS-Daten und prüft im Einzelfall, ob die Bedingungen für den Erhalt der Daten des Systems erfüllt sind.

Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein: ­

Der Zugang zum Zwecke von Abfragen ist für die Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung einer terroristischen oder sonstigen schweren Straftat im Einzelfall erforderlich und verhältnismässig (Art. 52 Bst. a und b ETIAS-V); und

­

es liegen Beweise oder hinreichende Gründe für die Annahme vor, dass die Abfrage der im ETIAS-Zentralsystem gespeicherten Daten zur Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung der betreffenden Straftaten beitragen wird, insbesondere wenn der begründete Verdacht besteht, dass die verdächtige Person, die Täterin oder der Täter oder das Opfer einer terroristischen oder sonstigen schweren Straftat einer Gruppe von Reisenden angehört, die unter die ETIAS-V fällt (Art. 52 Bst. c ETIAS-V).

Zentrale Zugangsstelle im Sinne von Artikel 50 ETIAS-V ist die Einsatzzentrale des fedpol.

Art. 108f

Bekanntgabe von ETIAS-Daten

Absatz 1 Dieser Absatz legt fest, dass ETIAS-Daten grundsätzlich nicht übermittelt werden dürfen an Staaten, die nicht durch ein Schengen-Assoziierungsabkommen gebunden sind, an internationale Organisationen und an private Stellen, seien dies Institutionen oder Einzelpersonen (Art. 65 Abs. 1 ETIAS-V).

Absatz 2 Eine Ausnahme von der in Absatz 1 genannten Regel sieht vor, dass die Daten vom SEM (in der Funktion als Migrationsbehörde) (Bst. a) oder von den in Artikel 108e Absatz 3 benannten Behörden (Bst. b) an Drittstaaten übermittelt werden dürfen (Art. 65 Abs. 3 ETIAS-V).

Buchstabe a Die Daten dürfen übermittelt werden, um die Rückführung der betroffenen Person in einen Staat, der durch keines der Schengen-Assoziierungsabkommen gebunden ist, zu ermöglichen und wenn die Bedingungen von Artikel 65 Absatz 3 ETIAS-V erfüllt sind.

Für die Übermittlung bestimmter Daten müssen auch folgende Voraussetzungen erfüllt sein: ­

Der betreffende Staat informiert den Drittstaat oder die internationale Organisation über die Pflicht, die Daten nur zur Erfüllung des Zwecks, zu dem sie zur Verfügung gestellt wurden, zu verwenden.

­

Die Daten werden übermittelt gemäss den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts, insbesondere betreffend die Rückübernahmeabkommen und die Übermittlung personenbezogener Daten, sowie gemäss dem nationalen

2939

BBl 2020

Recht des Mitgliedstaats, der die Daten übermittelt , einschliesslich der rechtlichen Bestimmungen über die Datensicherheit und den Datenschutz.

­

Es ist ein Rückkehrentscheid im Sinne der Rückführungsrichtlinie40 ergangen.

Buchstabe b Dieser Absatz befasst sich ebenfalls mit den Daten, die zu Sicherheitszwecken übermittelt werden (Art. 65 Abs. 5 ETIAS-V). Auch hier gilt ein generelles Verbot der Datenbekanntgabe, und zwar auch dann, wenn die Daten auf nationaler Ebene von den Polizei-, Justiz- oder Strafverfolgungsbehörden verwendet werden.

Ausnahmsweise dürfen bestimmte Daten von der zuständigen benannten Behörde (Art. 108e Abs. 3) an einen Drittstaat übermittelt werden, wenn ein dringender Ausnahmefall vorliegt, der eine ernsthafte und unmittelbare Bedrohung durch eine terroristische oder andere schwere Straftat nach den Artikeln 3 Absatz 1 Buchstaben l und m und 65 Absatz 5 ETIAS-V darstellt.

Zudem muss die Datenbekanntgabe unter Einhaltung der Bedingungen der Richtlinie (EU) 2016/680 erfolgen. Die benannten Behörden können diese Daten bekanntgeben, soweit sie nach den Artikeln 51 und 52 ETIAS-V darauf Zugriff haben. Die Übermittlung hat zudem gemäss den Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2016/680, insbesondere Kapitel V, zu erfolgen.

Drittstaaten müssen dazu ein ordnungsgemäss begründetes schriftliches oder elektronisches Ersuchen vorlegen und gewährleisten, dass alle im Besitz des ersuchenden Drittstaats befindlichen Informationen in Reisegenehmigungssystemen im Gegenzug auch den am ETIAS-Betrieb beteiligten Mitgliedstaaten bereitgestellt werden.

Art. 108g

Ausführungsbestimmungen zum ETIAS

Es ist eine allgemeine Delegationskompetenz an den Bundesrat vorgesehen, um gewisse Elemente der ETIAS-V in Ausführungsverordnungen in das nationale Recht umzusetzen.

Vor allem ist genau zu bestimmen, wer auf das ETIAS zugreifen darf und wer die Daten bearbeiten kann (Bst. a).

Zudem hat der Bundesrat das Verfahren für den Erhalt von ETIAS-Daten durch die für die Sicherheit zuständigen Behörden (Art. 108e Abs. 3) zu bestimmen. Es ist ein ähnliches Verfahren vorgesehen, wie es in der Visa-Informationssystem-Verordnung vom 18. Dezember 201341 für das Informationssystem zu Schengen-Visa festgelegt ist (Bst. b).

Ferner sind der Katalog der ETIAS-Daten sowie die Zugangsberechtigungen der Behörden auf Verordnungsstufe zu regeln (Bst. c).

40

41

Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98.

SR 142.512

2940

BBl 2020

Weiter sind die Speicherung und vorzeitige Löschung von Daten im ETIAS-System zu regeln (Bst. d).

Der Bundesrat hat zudem die Datensicherheit zu regeln (Bst. e).

Auch ist die Verantwortung für die Datenbearbeitung festzulegen (Bst. f).

Zudem ist ein Katalog der Straftaten nach Artikel 108e Absatz 3 auf Verordnungsstufe festzuhalten (Bst. g).

Ferner ist zu regeln, unter welchen Voraussetzungen Daten in die ETIASÜberwachungsliste aufgenommen oder gelöscht werden können, und die Einschränkung des Auskunftsrechts analog zu Artikel 9 BPI (Bst. h).

Art. 120d Abs. 2 Bst. c Der Wortlaut von Artikel 120d AIG wird aufgrund der Einführung des ETIAS angepasst.

Durch die Einführung des ETIAS wird neu festgehalten, dass auch bei diesem Informationssystem das vorsätzliche zweckwidrige Bearbeiten der Personendaten durch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einer für die Datenbearbeitung zuständigen Behörde mit Busse bestraft wird.

Art. 122a Abs. 1, 2 und 3 Bst. a Ziff. 4 und 5 Die Verletzung der Sorgfaltspflicht wird neu nicht nur vermutet, wenn Personen befördert werden, die nicht über die für die Einreise in den Schengen-Raum oder die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen erforderlichen Reisedokumente, Visa oder Aufenthaltstitel verfügen, sondern auch dann, wenn die zu befördernde Person über keine ETIAS-Reisegenehmigung verfügt. Entsprechend sind die Absätze 1, 2 und 3 Buchstabe a Ziffer 4 zu ergänzen.

In Absatz 3 Buchstabe a wird zudem eine neue Ziffer 5 eingefügt, die festhält, dass keine Sorgfaltspflichtverletzung der Luftverkehrsunternehmen vorliegt, wenn aufgrund einer Störung des ETIAS keine Abfrage des Systems vor Reisebeginn möglich war.

Art. 126e

Übergangsbestimmung zur vorliegenden Gesetzesänderung

In Artikel 83 ETIAS-V wird festgehalten, dass während eines Zeitraums von sechs Monaten nach dem Datum, an dem das ETIAS den Betrieb aufnimmt, die Nutzung des ETIAS fakultativ ist und die Pflicht, im Besitz einer ETIAS-Reisegenehmigung zu sein, nicht gilt.

Aus diesem Grund wird eine Übergangsbestimmung ins AIG aufgenommen, die regelt, dass die Pflicht, im Besitz einer ETIAS-Reisegenehmigung zu sein, erst sechs Monate nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Gesetzesänderung gilt. Der Bundesrat soll diese Frist in Rücksprache mit der Europäischen Kommission verlängern können (Abs. 1).

Danach gilt eine Schonfrist von weiteren sechs Monaten. Während dieser Frist gilt zwar die Pflicht, im Besitz einer ETIAS-Reisegenehmigung zu sein, jedoch erlauben 2941

BBl 2020

die Grenzkontrollbehörden den der ETIAS-Reisegenehmigungspflicht unterliegenden Drittstaatsangehörigen, die nicht im Besitz einer gültigen ETIASReisegenehmigung sind, ausnahmsweise, die Schengen-Aussengrenzen zu überschreiten, sofern diese alle übrigen Voraussetzungen nach Artikel 5 AIG i. V. m.

Artikel 6 Absatz 1 SGK erfüllen.

Diese Vorgabe ist in Absatz 2 festgehalten. Auch diese Frist kann der Bundesrat in Rücksprache mit der Europäischen Kommission verlängern, dies um maximal sechs Monate.

Koordination mit dem neuen Datenschutzgesetz Artikel 108e Absätze 3­5 E-AIG enthalten nach Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes eine neue Formulierung. Die Unterstellung des NDB unter das SDSG kann dann aufgehoben werden (Abs. 4, siehe dazu Ziff. 3). Artikel 108e Absätze 3­5 E-AIG treten in dieser Form nur dann in Kraft, wenn das DSG noch nicht in Kraft getreten ist.

Koordination mit der EES-Vorlage Die Artikel 7 Absatz 3, 103b Absatz 1 und 120d Absatz 2 wurden mit dem Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Errichtung und Nutzung des Einreise- und Ausreisesystems (EES) (Verordnungen [EU] 2017/2226 und 2017/2225) (Weiterentwicklungen des SchengenBesitzstands)42 neu eingefügt bzw. angepasst. Sie wurden durch das Parlament in der Schlussabstimmung vom 21. Juni 2019 verabschiedet. Die Referendumsfrist ist am 10. Oktober 2019 unbenutzt verstrichen. Sie sind noch nicht in Kraft getreten.

Sollte die vorliegende Vorlage gleichzeitig oder nach dem Bundesbeschluss zum EES in Kraft treten, sind die Fussnoten in den Artikeln 7 Absatz 3 und 103b Absatz 1 gemäss vorliegender Vorlage zu aktualisieren, da die ETIAS-V nach den Verordnungen (EU) 2017/2226 und 2017/2225 verabschiedet wurde, und in Artikel 120d Absatz 2 ist der neue Buchstabe c einzufügen.

2.6.2

Bundesgesetz über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich

Art. 3 Abs. 2 Bst. dbis Die Zweckbestimmung in Artikel 3 Absatz 2 wird mit einem neuen Buchstaben dbis ergänzt. Somit kann auch das SEM als nationale ETIAS-Stelle auf das ZEMIS zugreifen.

42

BBl 2019 4573

2942

BBl 2020

2.7

Auswirkungen der ETIAS-Verordnung und des Umsetzungserlasses

2.7.1

Finanzierung von ETIAS auf EU-Ebene

Die Beteiligung der Schweiz an der Finanzierung der Schengener IT-Systeme auf europäischer Ebene läuft über zwei Wege: einerseits über die Beteiligung am Fonds für die innere Sicherheit, Teilinstrument «Grenze» (ISF-Grenze), der unter anderem für die Entwicklungskosten des ETIAS genutzt wird, und andererseits über einen Finanzierungsbeitrag an die mit der Entwicklung und dem Betrieb des ETIAS betrauten Agenturen (eu-LISA und Frontex). Die Europäische Kommission hat den assoziierten Staaten schlüssig aufgezeigt, dass Doppelzahlungen (Abrechnung von Entwicklungsleistungen über den ISF und die Finanzierungsbeiträge) nicht möglich sind.

Gemäss der Europäischen Kommission werden die Kosten für die Entwicklung des Systems für die Schengen-Staaten auf insgesamt 96,5 Millionen Euro geschätzt.

Diese Kosten beinhalten vornehmlich Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Aufbau der nationalen Stellen und der Integration der NUI der eu-Lisa zur Anbindung nationaler IT-Systeme an das Zentralsystem. Die Kosten werden durch eine zusätzliche Mittelzuweisung aus dem ISF-Grenze an alle Schengen-Staaten in Höhe von 96,5 Millionen Euro getragen43 (vgl. Art. 79 ETIAS-V).

Gemäss der ETIAS-V sollen die Betriebs- und Instandhaltungskosten durch die Einnahmen der Antragsgebühr von sieben Euro gedeckt werden, die ­ anders als die Gebühren im Visumverfahren ­ in das EU-Budget fliessen. Die ETIAS-V sieht vor, dass die Europäische Kommission die Gebühr anpassen muss, sollten die Kosten nicht gedeckt werden können. Betrieb und Instandhaltung des Zentralsystems sollten daher grundsätzlich kostenneutral sein. Auch die nationalen Kosten sollen mit wenigen Ausnahmen (vgl. Art. 85 Abs. 2 ETIAS-V) durch die Antragsgebühr gedeckt werden. Ausserdem sieht die Verordnung eine von der Europäischen Kommission festgelegte, aus den Überschüssen finanzierte jährliche finanzielle Unterstützung für die Schengen-Staaten zur Deckung ihrer Ausgaben für die Anpassung und Automatisierung der Grenzübertrittskontrollen zur Umsetzung des ETIAS vor (Art. 85 Abs.

3 ETIAS-V). Im ersten Betriebsjahr müssen die Schengen-Staaten für die nationalen Betriebskosten selber aufkommen, da die erhobene ETIAS-Gebühr erst ein Jahr nach der Inbetriebnahme von ETIAS zur Verfügung stehen wird. Jedoch haben die Schengen-Staaten die Möglichkeit, das erste Betriebsjahr als Projekt über den BMVI finanzieren zu lassen.

43

Delegierte Verordnung (EU) 2019/946 der Kommission vom 12. März 2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 515/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Zuweisung von Mitteln aus dem Gesamthaushaltsplan der Union zur Deckung der Kosten für die Entwicklung des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems, ABl. L 152 vom 11.6.2019, S. 41.

2943

BBl 2020

2.7.2

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund beim SEM

Der Bund (SEM) übernimmt die Kosten für das nationale ETIAS-Umsetzungsprojekt sowie für die Anbindung der Schweiz an die ETIAS-Systemarchitektur.

Nach aktuellem Kenntnisstand belaufen sich die Gesamtkosten für die Einführung des ETIAS in den Jahren 2020­2025 auf 8,2 Millionen Franken.

Gesamtkosten Bezeichnung

Total

2020

2021

2022

2023

2024

2025

ETIAS-Entwicklung

6,2

1,4

1,4

1,4

2,0

0,0

0,0

ETIAS-Weiterentwicklung

1,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,5

0,5

Total Verpflichtungskredit

7,2

1,4

1,4

1,4

2,0

0,5

0,5

SEM: Kosten

SEM: Eigenleistungen in Form von personellen Ressourcen ETIAS-Entwicklung

0,8

0,2

0,2

0,2

0,2

0,0

0,0

ETIAS-Weiterentwicklung

0,2

0,0

0,0

0,0

0,0

0,1

0,1

Total

1,0

0,2

0,2

0,2

0,2

0,1

0,1

8,2

1,6

1,6

1,6

2,2

0,6

0,6

Eigenleistungen(in Form von personellen Ressourcen) Gesamtkosten

Die Kosten für externe Projektressourcen betragen 7,2 Millionen Franken. Sie werden grösstenteils aus zentralen IKT-Mitteln finanziert und sind Bestandteil des Verpflichtungskredits IV zur Weiterentwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstands, den der Bundesrat in seiner Botschaft vom 4. September 201944 beantragte. Dazu kommen Eigenleistungen in Form von personellen Ressourcen im Umfang von rund einer Million Franken.

Nach der Einführung des ETIAS werden im SEM ab dem Jahr 2022 voraussichtlich Betriebskosten von zusätzlich jährlich 0,6 Millionen Franken anfallen.

Zudem ist im SEM für den Betrieb von ETIAS von einem personellen Mehrbedarf von insgesamt 20 Vollzeitstellen (FTE) auszugehen. Davon resultiert ein Bedarf von 17 FTE aus reinen ETIAS-Aufgaben, insbesondere für die manuelle Bearbeitung der geschätzten 37 000 ETIAS-Gesuche pro Jahr in der Zuständigkeit der Schweiz. Die Europäische Kommission geht von 47 Millionen ETIAS-Gesuchen pro Jahr für den gesamten Schengen-Raum aus. Davon sollten rund 2­3 % durch nationale ETIASStellen in den jeweiligen Schengen-Staaten bearbeitet werden. Davon würden rund 37 000 Gesuche in den Zuständigkeitsbereich der Schweiz fallen. Die Kernaufgaben beinhalten die Identifikation der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller und die 44

Botschaft vom 4. Sept. 2019 zu einem Verpflichtungskredit zur Weiterentwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstands, BBl 2019 6189

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BBl 2020

Risikobeurteilung sowie die Konsultationen der ETIAS-Stellen der anderen Schengen-Staaten und schweizerischer Behörden, das Nachfordern und Analysieren von zusätzlichen Informationen und Dokumenten der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller sowie allenfalls die Durchführung von Befragungen dieser Personen. Zusätzlich fallen Aufwände für die Datenberichtigung und -löschung, für Widerrufe und Annullierungen von Reisegenehmigungen sowie für die Begleitung des Rechtsmittelverfahrens an. Hinzu kommt die Bearbeitung der ETIAS-Überwachungsliste in Zusammenarbeit mit dem NDB und fedpol. Die Aufwände für die Management- und Supportprozesse sind in den 17 FTE ebenfalls enthalten.

Die drei weiteren FTE werden für Aufgaben benötigt, bei welchen Synergien mit EES-Aufgaben genutzt werden können. Bestimmte Aufgaben ermöglichen eine koordinierte Bearbeitung von EES- und ETIAS-Datensätzen und sollten deshalb sinnvollerweise in einem einheitlichen Prozess in der gleichen Organisationseinheit durchgeführt werden. Die Erledigung dieser Aufgaben in separaten Prozessen wäre ineffizient. Beispielsweise erfordert die Einbürgerung eines visumbefreiten Drittstaatsangehörigen die gleichzeitige Löschung der Daten im ETIAS und im EES. Bei der Berichtigung von Daten in beiden Systemen könnte auch hier die gleiche Organisationseinheit des SEM die Änderungen vornehmen.

Das Betriebsmodell und die Verfügbarkeitszeiten der nationalen ETIAS-Stelle stehen noch nicht abschliessend fest. Eine Verfügbarkeit allein während der ordentlichen Bürozeiten wird aber nicht ausreichen, um die in der ETIAS-V vorgesehenen Verfahrensfristen einhalten zu können. Der Betrieb wird auch am Wochenende sicherzustellen sein, und voraussichtlich wird ein 2-Schichtbetrieb aufzubauen sein, möglicherweise ergänzt um einen Pikettdienst in Randzeiten. Ein 24-StundenBetrieb ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht erforderlich.

Für die personelle und fachliche Führung würden eine Leitung für die nationale ETIAS-Stelle in der Funktion Sektionschef/in und zwei Dienstchefs/-chefinnen benötigt. Ein/e Fachreferent/in bzw. juristische/r Adjunkt/in würde rechtliche Abklärungen im Auftrag der Leitung vornehmen und Fragen rund um das Rechtsmittelverfahren bearbeiten. Für die operativen Aufgaben würden ab 2023 insgesamt 16 Fachspezialistinnen und Fachspezialisten und
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter benötigt.

Damit die Mitarbeitenden zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme von EES (zurzeit für 1. Quartal 2022 geplant) einsatzbereit sind, sollen ab Anfang 2021 drei FTE für Aufbauarbeiten und erste operative Datenbearbeitungsaufgaben angestellt werden.

Im Verlauf von 2022 sollte der Aufbau der nationalen ETIAS-Stelle im Hinblick auf die Betriebsaufnahme Ende 2022 vorangetrieben werden. Der Endausbau der Einheit sollte 2023 vollzogen sein. Die Kosten für alle 20 FTE würden einem jährlichen zusätzlichen Aufwand beim SEM von 3,9 Millionen Franken entsprechen.

Die Prüfung des effektiven zusätzlichen Mehrbedarfs ab 2022 inklusive einer allfälligen internen Kompensation und der Möglichkeit der Befristung eines Teils der Stellen wird bis im Frühjahr 2021 im Rahmen einer Aufgabenüberprüfung bei fedpol und SEM noch unter Berücksichtigung möglicher Systemoptimierungen, Synergien und effektiver Fallzahlen erfolgen. Der allfällige Ressourcenmehrbedarf

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BBl 2020

wird dem Parlament im Rahmen der Voranschläge mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan beantragt werden.

2.7.3

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund beim fedpol

Die ETIAS-V sieht einen Zugang über eine nationale Stelle (zentrale Zugangsstelle) zu ETIAS-Daten vor. Diese Aufgabe zugunsten der Strafverfolgungsbehörden zwecks Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten wird der Einsatzzentrale des fedpol (EZ fedpol) als zentraler Zugangsstelle übertragen. Sie nimmt diese Aufgaben im 24/7-Betrieb bereits für das VIS wahr und wird sie ebenfalls für das EES übernehmen. Für die Prüfung der Anträge der Strafverfolgungsbehörden, weitere Recherchen in Datenbanken und Abklärungen, die Datenübermittlungen sowie die Einleitung nötiger operativer Massnahmen braucht die EZ fedpol zusätzliches Personal, das auf sechs FTE geschätzt wird.

Die Anzahl Anträge für ETIAS und EES wird auf rund 20 pro Tag und die Bearbeitungszeit auf rund zwei Stunden pro Antrag geschätzt, was einem zusätzlichen Personalbedarf von sechs Stellen entspricht.

Die benötigten sechs FTE sollen ab 2022 schrittweise ausgeschrieben werden, damit ein Teil der Mitarbeitenden zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme von ETIAS (zurzeit für 4. Quartal 2022 geplant) einsatzbereit sind.

Sollte sich der Bedarf von insgesamt sechs FTE bestätigen, würden die Personalkosten des fedpol rund 1,21 Millionen Franken pro Jahr betragen.

Die Prüfung des effektiven Mehrbedarfs ab 2022 inklusive einer allfälligen internen Kompensation und der Möglichkeit der Befristung eines Teils der Stellen wird bis im Frühjahr 2021 im Rahmen einer Aufgabenüberprüfung bei fedpol und SEM noch unter Berücksichtigung möglicher Systemoptimierungen, Synergien und effektiver Fallzahlen erfolgen. Der allfällige Ressourcenmehrbedarf wird dem Parlament im Rahmen der Voranschläge mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan beantragt werden.

Im operativen Betrieb der EZ fedpol würden die polizeilichen Fachspezialistinnen und Fachspezialisten die oben beschriebenen Tätigkeiten durchführen. Darüber hinaus hätten polizeiliche Fachspezialistinnen und Fachspezialisten II (sog. Einsatzleiterinnen oder Einsatzleiter), im 24/7-Betrieb die entsprechende Entscheidungsbefugnis, um daraus folgend erste operative Massnahmen im Sinne der beantragenden Behörde zu veranlassen und bei Bedarf weiterführende Massnahmen einzuleiten.

2.7.4

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund bei der EZV

Die einmalig anfallenden Projektausgaben der EZV dürften im Bereich von 100 000 Franken liegen. Diese Kosten stellen nach heutigem Kenntnisstand Teile des Pro2946

BBl 2020

gramms DaziT der EZV dar und werden dem entsprechenden Gesamtkredit angerechnet, da dort die Anpassung der Grenzkontrollsysteme vorgesehen ist.

Das jährliche Betriebsbudget für die Grenzkontrollsoftware wird auch die Wartungsund Unterhaltskosten für die ETIAS-Schnittstelle beinhalten.

Analog den Ausführungen unter Punkt 2.7.5 sind auch bei der EZV Anpassungen der operationellen Prozesse vorzunehmen sowie Schulungen des Personals durchzuführen.

Durch die ETIAS-V entsteht der EZV aber kein personeller Mehrbedarf.

2.7.5

Auswirkungen auf die Kantone

Kosten an der Schengen-Aussengrenze Die Kantone, die selber die Grenzkontrolle an der Schengen-Aussengrenze durchführen, müssen ihre Grenzkontroll- und Abfragesysteme an das ETIAS anpassen und diese Kosten selber tragen.

Ferner müssen die operationellen Prozesse der Grenzkontrollbehörden angepasst werden. Entsprechend sind Schulungen des Personals notwendig. Diese Aufwände sind ebenfalls durch die Kantone zu tragen.

Kosten im Rahmen des Zugriffs auf das ETIAS im Inland Die Kosten für die Anpassung der Polizeikontrollsysteme für die Abfrage im Inland sind durch die Kantone zu tragen. Da der Zugriff auf das ETIAS bei den Migrationsbehörden voraussichtlich über eine vom Bund zur Verfügung gestellte Schnittstelle erfolgt, bringt dies keine zusätzlichen Kosten für die Kantone mit sich.

2.8

Zuweisung aus dem ISF-Grenze

Mit der Beteiligung am ISF-Grenze (2014­2020) erhält die Schweiz von der Europäischen Kommission einen Anteil ihrer Beiträge in Form von Zuweisungen zugesprochen, welchen sie über ihr nationales Programm zum Fonds spezifischen Projekten zuweisen kann. Die Höhe der bisherigen Zuweisungen beträgt rund 37 Millionen Franken (32,7 Mio. Euro). 3,7 Millionen Franken (3,2 Mio. Euro) davon wurden der Schweiz im Sommer 2019 für die Errichtung des ETIAS zugewiesen. Das Projekt ETIAS wurde bereits im nationalen Programm aufgenommen und wird folglich über den Fonds gefördert.

Die Fondsmittel stehen für Projektvorhaben des Bundes wie auch der Kantone zur Verfügung. Ausgaben können unter dem ISF-Grenze bis Mitte 2022 abgerechnet werden. Der Nachfolgefonds wird aktuell auf europäischer Ebene diskutiert und kann voraussichtlich für gewisse Betriebs- und Instandhaltungskosten des ETIAS genutzt werden, die nicht durch die Gebühreneinnahmen gedeckt werden. Zurzeit ist allerdings die Höhe der Zuweisungen der Europäischen Kommission an die Schweiz nicht bekannt. Es wird mit einer Summe in einem tiefen einstelligen Millionenbereich gerechnet.

2947

BBl 2020

2.9

Rechtliche Aspekte

2.9.1

Verfassungsmässigkeit

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der ETIAS-V stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.

Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.

Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199745 [RVOG]).

Im vorliegenden Fall würde der Bundesrat mit Artikel 100 Absatz 2 Buchstabe a AIG zwar über die Abschlusskompetenz zur Übernahme dieser EU-Verordnungen verfügen. Gemäss dieser Bestimmung hat der Bundesrat grundsätzlich die Kompetenz, internationale Abkommen über die Visumpflicht und die Durchführung der Grenzkontrollen abzuschliessen.

Im vorliegenden Fall sind jedoch Anpassungen des AIG für die Umsetzung erforderlich. Deshalb sind der Notenaustausch betreffend die Übernahme der ETIAS-V und die für dessen Umsetzung erforderliche Änderung des AIG gemeinsam dem Parlament zur Genehmigung zu unterbreiten.

2.9.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Übernahme der ETIAS-V und die damit verbundenen Gesetzesänderungen sind mit dem Völkerrecht vereinbar.

2.9.3

Verhältnis zum europäischen Recht

Mit der Übernahme der vorliegenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des SAA eingegangen ist. Mit der Übernahme des ETIAS gewährleistet die Schweiz einheitliche Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen. Die übernommene Verordnung wirkt sich auf weitere Schengen-Rechtsakte wie die Verordnung (EU) Nr. 1077/2011, die Verordnung (EU) Nr. 515/2014, den SGK, die Verordnung (EU) 2016/1624und die EES-V aus.

45

SR 172.010

2948

BBl 2020

Die ETIAS-V verweist auf die Datenschutz-Grundverordnung sowie auf die Richtlinie (EU) 2016/680, soweit die Datenverarbeitung zum Zweck der Strafverfolgung erfolgt.

2.9.4

Erlassform des Bundesbeschlusses und des Umsetzungserlasses

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3). Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200246 (ParlG) sind unter rechtsetzenden Normen Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen: Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.

Der vorliegende Notenaustausch wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch führt die Übernahme der ETIAS-V zu einer Anpassung des AIG und des BGIAA. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt.

Nach Artikel 141a Absatz 2 BV können die Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden, wenn dieser dem fakultativen Referendum untersteht. Die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der ETIAS-V und ergeben sich unmittelbar aus den darin enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden. Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).

2.9.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Art. 2 des Bundesbeschlusses Der Bundesrat kann völkerrechtliche Verträge selbstständig abschliessen. Dafür bedarf es einer Ermächtigung in einem Bundesgesetz oder in einem von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Vertrag (Art. 166 Abs. 2 BV, Art. 24 Abs. 2 ParlG und Art. 7a Abs. 1 RVOG). Eine Delegation der Kompetenz

46

SR 171.10

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BBl 2020

zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge an den Bundesrat kann auch in einem referendumsfähigen Beschluss enthalten sein.

Art. 108g AIG Diese Kompetenzdelegation an den Bundesrat stützt sich auf Artikel 182 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat rechtsetzende Bestimmungen in der Form der Verordnung erlassen kann. Hierbei handelt es sich um rechtsetzende Bestimmungen, die zur Umsetzung der Rechtsvorschriften wie auch der ETIAS-V erforderlich sind.

3

Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Vorlage 2)

3.1

Ausgangslage

3.1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Die ETIAS-V sieht einen Zugang via eine zentrale Stelle zu ETIAS-Daten zwecks Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten für gewisse benannte Behörden vor. Dasselbe gilt für die Datenbanken VIS und EES. Die Schweiz hat jeweils auch den NDB als benannte Behörde bezeichnet. Aus Datenschutzgründen muss vorläufig präzisiert werden, dass die Bearbeitung von Daten aus diesen Systemen durch den NDB der Richtlinie (EU) 2016/680 unterstellt wird.

Wie die ETIAS-V sehen auch die Rechtsgrundlagen zum VIS und zum EES zugunsten der Strafverfolgungsbehörden (sog. benannte Behörden) einen mittelbaren Zugang über eine zentrale Zugangsstelle zu ETIAS-Daten zwecks Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten vor. Die Schweiz hat bei allen diesen Datenbanken auch den NDB als «benannte Behörde» bezeichnet.

Zudem hat der NDB Zugriff auf Daten im SIS gemäss Artikel 16 Absatz 5 Buchstabe a BPI.

Die Bearbeitung von ETIAS-, VIS- und EES-Daten sowie SIS-Daten zum Zwecke der «Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten oder Strafvollstreckung» ist nur unter der Voraussetzung statthaft, dass die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/680 Anwendung finden (so ausdrücklich Art. 56 Abs. 3 ETIAS-V, Art. 49 Abs. 3 EES-V). Die genannte Richtlinie wurde zwar im Rahmen des neuen SDSG (in Kraft seit 1. März 2019) umgesetzt, doch findet dieses auf den NDB keine Anwendung, da die Richtlinie Tätigkeiten in Zusammenhang mit der «nationalen Sicherheit» von ihrem Anwendungsbereich ausschliesst (Art. 1 Abs. 3 Bst. a i. V. m. Erw. Nr. 14 der Richtlinie [EU] 2016/680).

Da der NDB bereits Zugriff auf Daten im SIS hat und auch als bezeichnete Behörde auch die Aufgabe der Gewährleistung der «inneren Sicherheit» ausübt und in diesem Rahmen, das heisst zum Zwecke der Verhütung und Aufdeckung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten, auf die erwähnten Daten unmittelbar oder mittelbar 2950

BBl 2020

zugreifen kann, soll bis zur Inkraftsetzung des revidierten DSG47 auf Gesetzesstufe vorgesehen werden, dass das SDSG auf Datenbearbeitungen des NDB anwendbar ist und der NDB damit dem Regime der Richtlinie (EU) 2016/680 unterstellt wird. In Bezug auf das ETIAS wird dies als Teil der Umsetzung der ETIAS-V in den entsprechenden Bundesbeschluss aufgenommen (Vorlage 1; vgl. dort Art. 108e Abs. 4 E-AIG); hinsichtlich des VIS, des EES und des SIS werden die entsprechenden Festlegungen in der separaten Änderung des AIG und des BPI (Vorlage 2) vorgenommen. Die übrigen benannten Strafverfolgungsbehörden des Bundes (fedpol und Bundesanwaltschaft) haben ebenfalls diese neuen Datenschutzstandards zu beachten. Diese sind aber bereits heute eindeutig vom Anwendungsbereich des SDSG erfasst, weshalb sich eine nochmalige Regelung im AIG erübrigt.

3.1.2

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die vorliegende Änderung ist nicht explizit in der Legislaturplanung 2019­202348 angekündigt. Sie ist bedingt durch die Übernahme bzw. Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/680.

3.2

Vernehmlassungsverfahren

Gemeinsam mit der Vorlage 1 wurde gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b VlG die vorliegende Änderung des AIG in die Vernehmlassung geschickt. Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens sind nur wenige Bemerkungen zu dieser Vorlage eingegangen. AG, GE, JU, SO und UR sowie die FDP begrüssen explizit die vorgesehene vorübergehende Anpassung des AIG. Die KKJPD hat keine zusätzlichen Bemerkungen zur Vorlage 2 anzubringen.

3.3

Beantragte Neuregelung

Damit der NDB als «benannte Behörde» zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten nicht nur die ETIAS-Daten (Art. 56 ETIAS-V), sondern auch die EES-Daten (Art. 29 ff. EES-V), die VIS-Daten (Beschluss 2008/633/JI49) erhalten kann, ist das AIG anzupassen.

47

48 49

Botschaft vom 15. Sept. 2017 zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz, BBl 2017 6941; Bundesgesetz über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, DSG), Entwurf der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates.

Botschaft vom 29. Januar 2020 zur Legislaturplanung 2019­2023, BBl 2020 1777.

Beschluss 2008/633/JI des Rates vom 23. Juni 2008 über den Zugang der benannten Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol zum Visa-Informationssystem (VIS) für Datenabfragen zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten, ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 129.

2951

BBl 2020

Damit der NDB auch auf die Daten aus dem SIS erhalten und bearbeiten kann, ist auch das BPI entsprechend anzupassen.

Der NDB ist bei der Bearbeitung von Daten aus den genannten Systemen an den Standard der Richtlinie (EU) 2016/680 gebunden. Entsprechend ist im AIG und im BPI das SDSG für den NDB als anwendbar zu erklären.

Die übrigen benannten Strafverfolgungsbehörden des Bundes (fedpol und Bundesanwaltschaft) haben ebenfalls diese neuen Datenschutzstandards zu beachten. Da sich dies bereits eindeutig aus dem SDSG ergibt, muss es nicht nochmals im AIG erwähnt werden.

Anzumerken ist ferner, dass auch die Strafverfolgungsbehörden der Kantone an die neuen Datenschutzbestimmungen der Richtlinie (EU) 2016/680 gebunden sind. Die Umsetzung dieser neuen Standards hat aber eigenständig im jeweiligen kantonalen Recht zu erfolgen.

3.4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 103c Abs. 4­6 AIG Diese Bestimmung wurde im Rahmen der Übernahme und Umsetzung der EES-V vorgesehen.50 Sie wurde in der Schlussabstimmung vom 21. Juni 2019 durch das Parlament genehmigt. Die Referendumsfrist ist am 10. Oktober 2019 unbenutzt verstrichen.

Damit der NDB als «benannte Behörde» zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten nicht nur die ETIAS-Daten (Art. 56 ETIAS-V), sondern auch die EES-Daten (Art. 29 ff. EES-V) rechtmässig erhalten kann, ist das AIG vorläufig anzupassen.

Das SDSG wird in Absatz 5 für den NDB als anwendbar erklärt. Der im Rahmen des Bundesbeschlusses zum EES eingeführte Absatz 5 wird neu Absatz 6, erfährt jedoch keine materielle Anpassung.

Art. 109a Abs. 3­5 AIG Damit der NDB als «benannte Behörde» zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten die VIS-Daten (Beschluss 2008/633/JI) erhalten kann, ist das AIG anzupassen.

In Absatz 4 wird das SDSG für den NDB als anwendbar erklärt. Der geltende Absatz 4 wird neu Absatz 5, erfährt jedoch keine materielle Anpassung.

50

Bundesbeschluss vom 21. Juni 2019 über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Rechtsgrundlagen zur Errichtung und Nutzung des Einreise- und Ausreisesystems (EES) (Verordnungen [EU] 2017/2226 und 2017/2225) (Weiterentwicklungen des SchengenBesitzstands), BBl 2019 4573.

2952

BBl 2020

Art. 16 Abs. 5bis BPI Damit der NDB zum obengenannten Zweck die Daten des SIS erhalten kann, wird ein neuer Absatz 5 in Artikel 16 eingefügt.

Koordination mit dem neuen Datenschutzgesetz Artikel 103c Absätze 4­6 und Artikel 109a Absätze 3­5 E-AIG sowie Artikel 16 Absatz 5bis BPI enthalten nach Inkrafttreten des neuen Datenschutzgesetzes eine neue Formulierung. Die Unterstellung des NDB unter das SDSG kann dann aufgehoben werden. Artikel 103c Absätze 4­6 und Artikel 109a Absätze 3­5 E-AIG sowie Artikel 16 Absatz 5bis BPI treten in dieser Form nur dann in Kraft, wenn das DSG noch nicht in Kraft getreten ist.

Koordination mit der EES-Vorlage Artikel 103c wurde mit dem Bundesbeschluss zum EES51 neu eingefügt. Diese Gesetzesänderung wurde durch das Parlament in der Schlussabstimmung vom 21.

Juni 2019 verabschiedet. Die Referendumsfrist ist am 10. Oktober 2019 unbenutzt verstrichen. Diese Gesetzesbestimmung ist noch nicht in Kraft getreten.

Die vorliegende Änderung von Artikel 103c kann erst nach der Inkraftsetzung der EES-Vorlage in Kraft gesetzt werden und nur falls das neue Datenschutzgesetz noch nicht in Kraft gesetzt worden ist.

3.5

Auswirkungen

Die neuen Bestimmungen haben keine finanziellen und personellen Auswirkungen für den Bund und die Kantone. Sie sind vorläufig vorzusehen, bis das revidierte Datenschutzgesetz in Kraft treten wird.

3.6

Rechtliche Aspekte

3.6.1

Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf zur Änderung des AIG stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV (Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Gewährung von Asyl sowie Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern). Sie ist mit der Verfassung vereinbar.

3.6.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Änderung des AIG, die unabhängig von der Übernahme der vorliegenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands (Vorlage 1) erfolgt, ist mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

51

BBl 2019 4573

2953

BBl 2020

3.6.3

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Änderung des AIG, die unabhängig von der Übernahme der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist, setzt EU-rechtliche Vorgaben um, die für die Schweiz im Rahmen des SAA verbindlich sind.

2954