20.034 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (Erbrecht) vom 13. März 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, einen Entwurf zur Änderung des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 19871 über das Internationale Privatrecht.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

13. März 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

1

SR 291

2019-2621

3309

Übersicht Mit dem vorliegenden Entwurf soll das internationale Erbrecht der Schweiz, das im 6. Kapitel des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) geregelt ist, modernisiert und an die Rechtsentwicklung im Ausland angepasst werden. Der Entwurf stärkt die Parteiautonomie und vermindert das Risiko von Zuständigkeitskonflikten mit ausländischen Behörden, insbesondere im Verhältnis zur EU.

Ausgangslage Im Jahr 2014 wurde die Motion 14.4285 «Internationales Übereinkommen über Erbsachen» eingereicht. Damit sollte der Bundesrat beauftragt werden, «die Möglichkeiten zum Abschluss eines internationalen Übereinkommens über Erbsachen zu untersuchen oder andere Massnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass die Schweiz vom Rechtsraum ausgeschlossen wird, den die [Europäische Erbrechtsverordnung] schafft». In seiner Stellungnahme zur Motion anerkannte der Bundesrat, dass die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) erhebliche Auswirkungen auf Schweizer Staatsangehörige mit letztem gewöhnlichem Aufenthaltsort in einem EU-Mitgliedstaat sowie auf Personen hat, die in der Schweiz wohnhaft sind und Vermögenswerte in einem EU-Mitgliedstaat besitzen. Zweifel an der Machbarkeit des von der Motion verlangten internationalen Instruments mit der EU führten aber zur Ablehnung der Motion, nachdem der Bundesrat einen Entwurf für eine Regelung auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts in Aussicht gestellt hatte.

Kompetenzkonflikte mit anderen Staaten im Bereich des Erbrechts sind zwar an und für sich nichts Neues. Die harmonisierten Regeln in der EU ermöglichen nun aber eine bessere Abstimmung des IPRG auf die Rechtslage in Europa, um so das Potenzial für Kompetenzkonflikte zu minimieren und dadurch mehr Rechts- und Planungssicherheit für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.

Inhalt der Vorlage Hauptziel der vorliegenden Revisionsvorlage ist eine teilweise Harmonisierung des schweizerischen internationalen Erbrechts mit der EuErbVO. Damit soll erreicht werden, dass in der Schweiz weniger Entscheidungen ergehen, die in Widerspruch zu Entscheidungen aus EuErbVO-Mitgliedstaaten stehen. Widersprechende Entscheidungen werden primär über eine verbesserte Koordination bei den beidseitigen Entscheidungskompetenzen durch Anpassungen bei den Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln verhindert. Wo dies nicht möglich ist,
sollte zumindest darauf hingewirkt werden, dass beide Seiten dasselbe Recht anwenden. Spielraum für Anpassungen an die EuErbVO besteht vor allem dort, wo die bestehende Regelung nicht zwingend oder nicht mehr zeitgemäss erscheint und die von der EuErbVO gewählte Lösung sich mit den Grundwertungen des IPRG und seines 6. Kapitels vereinbaren lässt.

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Die Gesetzesrevision soll sich aber nicht auf die Koordination mit der EuErbVO beschränken. Es soll auch Änderungs-, Ergänzungs- oder Klarstellungsbedürfnissen Rechnung getragen werden, die sich seit Inkrafttreten der Bestimmungen vor 30 Jahren in Rechtsprechung und Lehre ergeben haben. Gleichzeitig soll die Gestaltungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf ihren Nachlass moderat erweitert werden.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf 1.1.1 Die Motion Recordon 1.1.2 Das 6. Kapitel des IPRG 1.1.3 Die Europäische Erbrechtsverordnung 1.1.4 Koordinationsbedarf 1.2 Ziele der Vorlage 1.3 Verhältnis zur Legislatur- und Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

3313 3313 3313 3313 3314 3316 3317

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Entstehung des vorliegenden Entwurfs 2.2 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

3318 3318 3319

3

Grundzüge der Vorlage 3.1 Die beantragte Neuregelung 3.1.1 Übersicht über die Änderungen und ihre Ziele 3.1.2 Beibehaltung der Anknüpfung an den letzten Wohnsitz der verstorbenen Person 3.1.3 Ergänzende rechtssetzende Massnahmen 3.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen und Umsetzungsfragen

3319 3319 3319

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

3322

5

Auswirkungen 5.1 Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden 5.2 Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Volkswirtschaft

3348 3348 3348

6

Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 6.3 Erlassform 6.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 6.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 6.6 Datenschutz

3348 3348 3349 3350 3350 3350 3350

3318

3321 3322 3322

Zitierte Literatur

3351

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) (Entwurf)

3353

3312

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf

1.1.1

Die Motion Recordon

Am 12. Dezember 2014 reichte der damalige Ständerat Recordon eine Motion 14.4285 mit dem Titel «Internationales Übereinkommen über Erbsachen» ein. Darin sollte der Bundesrat beauftragt werden, «die Möglichkeiten zum Abschluss eines internationalen Übereinkommens über Erbsachen zu untersuchen oder andere Massnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass die Schweiz vom Rechtsraum ausgeschlossen wird, den die [Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO)2] schafft».

Die Motion wurde am 19. März 2015 vom Ständerat (mit 27 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung) angenommen, dann aber am 21. September 2015 vom Nationalrat abgelehnt, nachdem seine Rechtskommission am 27. August 2015 (mit 15 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung) einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Es bestand zwar allgemein Einigkeit darüber, dass sich im Zusammenspiel zwischen der EuErbVO und dem einschlägigen nationalen Recht (enthalten im Bundesgesetz vom 18. Dezember 19873 über das Internationale Privatrecht [IPRG]) Kompetenzkonflikte ergeben können. Eine Lösung dieses Problems auf staatsvertraglicher Ebene wurde aber in Übereinstimmung mit der bundesrätlichen Einschätzung als unrealistisch beurteilt. Dem Nationalrat wurde dafür eine Vernehmlassungsvorlage für Anpassungen der erbrechtlichen Bestimmungen im IPRG (siehe dazu unten, Ziff. 2.1) in Aussicht gestellt.

1.1.2

Das 6. Kapitel des IPRG

Das 6. Kapitel des IPRG regelt in seinen Artikeln 86­96 die Zuständigkeit der schweizerischen Behörden und das von ihnen anzuwendende Recht in grenzüberschreitenden Erbfällen sowie die Anerkennung von ausländischen Rechtsakten, die einen Nachlass betreffen.

Hauptanknüpfungspunkt für die Zuständigkeitsfrage ist der letzte Wohnsitz des Erblassers oder der Erblasserin (Art. 86 Abs. 1). Daneben sieht das Gesetz eine subsidiäre Zuständigkeit der schweizerischen Behörden für den Nachlass von Auslandschweizern und -schweizerinnen sowie für in der Schweiz gelegene Nachlasswerte vor (Art. 87 Abs. 1 und Art. 88). Auslandschweizerinnen und -schweizer

2

3

Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. L 201 vom 27.7.2012, S. 107.

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können ihren Nachlass ganz oder teilweise der Zuständigkeit der schweizerischen Behörden unterstellen (Art. 87 Abs. 2).

Auch für die Bestimmung des auf den Nachlass anwendbaren Rechts wird an den letzten Wohnsitz des Erblassers oder der Erblasserin angeknüpft. Befand sich dieser in der Schweiz, gilt das schweizerische Erbrecht, sofern die betreffende Person keine Rechtswahl zugunsten eines anderweitigen Heimatrechts getroffen hatte (Art. 90).

Hatte die verstorbene Person ihren letzten Wohnsitz im Ausland, ist das anwendbare Erbrecht nach den einschlägigen Bestimmungen des betreffenden Staats zu ermitteln (Art. 91 Abs. 1). Eine Person mit Schweizer Staatsangehörigkeit kann aber ihren Nachlass ganz oder teilweise dem schweizerischen Erbrecht unterstellen. Dies kann direkt geschehen oder indirekt, durch Unterstellung des Nachlasses unter die schweizerische Zuständigkeit (Art. 91 Abs. 2). Für die Wirksamkeit von Testamenten und Erbverträgen gelten z.T. Sonderregeln (Art. 93­95). Für sichernde Massnahmen und die Verfahrensaspekte der Nachlassabwicklung ist das schweizerische Recht massgebend (Art. 89 und 92 Abs. 2).

Artikel 96 regelt die Anerkennung von «Entscheidungen, Massnahmen und Urkunden, die den Nachlass betreffen» sowie von «Rechte[n] aus einem im Ausland eröffneten Nachlass». Die Anerkennungsfähigkeit eines ausländischen Rechtsakts hängt u.a. davon ab, ob das betreffende Gericht aus schweizerischer Sicht zuständig war (sog. indirekte Zuständigkeit). Für diese Frage wird wie bei der Zuständigkeit der schweizerischen Behörden primär an den letzten Wohnsitz des Erblassers oder der Erblasserin angeknüpft. Als zuständig wird jedoch gegebenenfalls auch der Staat erachtet, dessen Recht die verstorbene Person ihren Nachlass unterstellt hatte, sowie, im Fall von Immobilien, der Staat, in dem das betroffene Grundstück liegt. Anerkannt werden überdies Rechtsakte, die in einem dieser Staaten (letzter Wohnsitz, Staat des gewählten Rechts, Lagestaat) anerkannt werden.

1.1.3

Die Europäische Erbrechtsverordnung

Am 16. August 2012 ist die EuErbVO in Kraft getreten. Sie gilt in sämtlichen EUMitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark, dem (zwischenzeitlich aus der EU ausgetretenen) Vereinigten Königreich und Irland und ist auf die Rechtsnachfolge von Personen anwendbar, die nach dem 16. August 2015 verstorben sind.

Der Hauptregelungsgegenstand der EuErbVO entspricht demjenigen des 6. IPRGKapitels. Es geht um die Zuständigkeit der Behörden der durch die Verordnung gebundenen Staaten (im Folgenden «EuErbVO-Mitgliedstaaten» genannt), das von diesen anzuwendende Recht und die Anerkennung von Rechtsakten aus anderen EuErbVO-Mitgliedstaaten im Bereich des Erbrechts. Daneben enthält die EuErbVO ein Kapitel über ein «Europäisches Nachlasszeugnis» (auf das im Folgenden nicht weiter eingegangen wird).

In den Grundzügen ist die Regelung der EuErbVO derjenigen des IPRG ähnlich. Der augenfälligste Unterschied besteht darin, dass nicht an den Wohnsitz, sondern an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers oder der Erblasserin angeknüpft wird. Im Schrifttum scheint aber Einigkeit darüber zu bestehen, dass die beiden Orte selten auseinanderfallen. Von grösserer praktischer Bedeutung ist, dass die subsidiä3314

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re Zuständigkeit der Behörden im Heimatstaat der verstorbenen Person oder der Behörden am Lageort eines Teils des Nachlasses bereits dann spielt, wenn sich der letzte gewöhnliche Aufenthalt der betreffenden Person in einem Nicht-Mitgliedstaat befand, während nach dem IPRG vorausgesetzt wird, dass sich das Ausland nicht mit dem Nachlass befasst. Dafür ist die Zuständigkeit der Heimatbehörden an die Voraussetzung geknüpft, dass sich im betreffenden Staat Nachlasswerte befinden.

Dem Heimatstaat gleichgestellt ist der Mitgliedstaat, in dem die verstorbene Person ihren vorletzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sofern dieser in den letzten fünf Lebensjahren noch bestand (siehe zum Ganzen Art. 10 EuErbVO). Ein anderer bedeutsamer Unterschied zur Regelung des IPRG besteht darin, dass der Erblasser oder die Erblasserin seinen bzw. ihren Nachlass nicht durch Testament oder Erbvertrag der Zuständigkeit der Heimatbehörden unterstellen kann.

Inwieweit in der gleichen Sache hängige oder schon abgeschlossene ausländische Verfahren zu berücksichtigen sind, regelt die EuErbVO nur in Bezug auf andere Mitgliedstaaten (Art. 17 f. EuErbVO). Für die Frage der Berücksichtigung von Verfahren in Drittstaaten wie der Schweiz gilt nach vorherrschender Auffassung4 das Verfahrensrecht des Mitgliedstaats, um dessen Zuständigkeit es im Einzelfall geht.

Auch beim anwendbaren Recht knüpft die EuErbVO an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt an (Art. 21 EuErbVO). Befand sich dieser in einem Nicht-Mitgliedstaat, haben analog zu Artikel 91 Absatz 1 IPRG die einschlägigen Normen jenes Staats zu bestimmen, welchem Erbrecht der Nachlass untersteht ­ dies allerdings nur, wenn der Staat, auf dessen Recht verwiesen wird, ein EuErbVO-Mitgliedstaat ist oder im konkreten Fall sein eigenes Erbrecht anwenden würde. Ansonsten gilt das materielle Erbrecht des vorerwähnten Nicht-Mitgliedstaats (siehe zum Ganzen Art. 34 EuErbVO).

Die EuErbVO lässt ebenfalls eine Rechtswahl zugunsten des Heimatstaats des Erblassers oder der Erblasserin zu (Art. 22 EuErbVO). Unterschiedlich geregelt ist jedoch die Frage der Doppel- und Mehrfachstaatsangehörigkeit sowie die Frage des für die Staatsangehörigkeit massgebenden Zeitpunkts (Näheres dazu unten, in Ziff. 4). Ebenfalls analog zum IPRG enthält die EuErbVO Sonderregeln für das auf Testamente und Erbverträge
anwendbare Recht (Art. 24­27 EuErbVO). Auch hier bestehen aber wieder Unterschiede bei den Details der Regelung (Näheres dazu unten, in Ziff. 4). Der grösste Unterschied ergibt sich daraus, dass das IPRG Testamente und Erbverträge grundsätzlich unterschiedlich behandelt und Erstere nur für Einzelfragen Sonderregeln unterstellt.

Die EuErbVO enthält je ein Kapitel über die Anerkennung von ausländischen Entscheidungen (Kap. IV) und die Anerkennung von ausländischen öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen (Kap. V). Beide betreffen grundsätzlich nur das Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten. Die Anerkennung von Rechtsakten aus Nicht-Mitgliedsaaten wie der Schweiz beurteilt sich nach vorherrschender Auffassung nach dem internationalen Verfahrensrecht des Mitgliedstaats, in dem sich die

4

Siehe etwa Bonomi, Bonomi/Wautelet, Art. 17 N 6 ff.

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Anerkennungsfrage stellt. Bei Rechtsakten aus Mitgliedstaaten wird nicht nachgeprüft, ob der betreffende Staat zuständig war.5

1.1.4

Koordinationsbedarf

Beim Zusammenspiel des IPRG und der EuErbVO können sich Probleme ergeben, wie die nachstehenden Fallbeispiele illustrieren sollen.

­

Eine französische Expat, die bis dahin in Genf gelebt und gearbeitet hat, verstirbt. Sie hinterlässt Vermögen sowohl in der Schweiz als auch in ihrer Heimat. Aufgrund des letzten Wohnsitzes der Erblasserin in Genf würden die dortigen Erbschaftsbehörden sich vorliegend als für den gesamten Nachlass zuständig betrachten (Art. 86 Abs. 1 IPRG). Gleichzeitig bestünde aber auch eine vollumfängliche Zuständigkeit in Frankreich, da die Erblasserin die französische Staatsangehörigkeit hatte und in ihrer Heimat Vermögenswerte zurücklässt (Art. 10 Abs. 1 Bst. a EuErbVO). Damit ist denkbar, dass ein Erbe ein Verfahren in der Schweiz einleitet und ein anderer in Frankreich, beide zur selben erbrechtlichen Frage. Nehmen beide Staaten ihre Zuständigkeit wahr, ergibt sich daraus ein sogenannter positiver Kompetenzkonflikt.

­

Ein Schweizer, der zuletzt in Frankfurt gearbeitet hat, kehrt in die Schweiz zurück, wo er zwei Jahre später verstirbt. Bei seinem Tod hinterlässt er verschiedene Konten bei deutschen Banken. Hier ergibt sich die analoge Situation zum vorgenannten Beispiel. Die Zuständigkeit der ausländischen Behörden gründet sich diesmal auf Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b EuErbVO, der an den vorletzten gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft.

­

Eine Schweizerin lebt seit ihrer Pensionierung in der Provence, wo sie dann auch verstirbt. Bei ihrem Ableben hinterlässt sie ein Testament, in welchem sie ihren gesamten Nachlass dem schweizerischen Recht unterstellt. Aufgrund dieser Rechtswahl besteht nach Artikel 87 Absatz 2 IPRG eine zwingende Zuständigkeit der schweizerischen Behörden. Gleichzeitig betrachten sich aber die Behörden in Frankreich ebenfalls als zuständig, da die Erblasserin dort ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Damit besteht auch hier das Risiko eines positiven Kompetenzkonflikts.

Der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne der EuErbVO und der Wohnsitz im Sinne des IPRG dürften wie gesagt in der Regel zusammenfallen. Es sind aber Fälle denkbar, in denen die schweizerischen Behörden von einem letzten Wohnsitz in der Schweiz und die Behörden eines EuErbVO-Mitgliedstaats von einem letzten gewöhnlichen Aufenthalt im eigenen Staatsgebiet ausgehen. Im Schrifttum wird das Beispiel von Schweizer Rentnerehepaaren genannt, welche einen Grossteil ihrer Zeit in ihrer Zweitwohnung in Mallorca verbringen. Bejahen sowohl die Schweiz als auch Spanien ihre Zuständigkeit, kann dies zu sich widersprechenden Entscheidungen führen.

5

Vgl. zum Ganzen Pretelli, Bonomi/Wautelet, Vorbem. Art. 39 ff. N 7 und 11.

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Ist in den genannten Beispielen als Erstes ein Verfahren in der Schweiz eingeleitet worden, bestimmt sich nach dem Verfahrensrecht des jeweiligen anderen Staates, inwieweit diese Rechtshängigkeit berücksichtigt werden muss oder kann. Ist das Verfahren in jenem Staat zeitlich vor dem schweizerischen anhängig gemacht worden, kann die zuständige schweizerische Behörde diesen Umstand nicht berücksichtigen. Der einschlägige Artikel 9 IPRG setzt voraus, dass die aus dem ausländischen Verfahren resultierende Entscheidung in der Schweiz anerkannt werden kann, was in den erwähnten Beispielen nicht erfüllt ist. Entscheidungen aus dem Staat des letzten oder vorletzten gewöhnlichen Aufenthalts oder aus dem Heimatstaat der verstorbenen Person sind in der Schweiz grundsätzlich nicht anerkennungsfähig, ebenso wenig Entscheidungen aus dem Lagestaat von beweglichem Vermögen (Art. 96 IPRG). Selbst einer aus dem letzten Wohnsitzstaat stammenden Entscheidung ist die Anerkennung zu verweigern, wenn, wie im dritten Fallbeispiel, eine zwingende schweizerische Zuständigkeit nach Artikel 87 Absatz 2 IPRG gegeben ist.6 Über das Prinzip der Rechtshängigkeit lassen sich somit in den genannten Beispielen positive Kompetenzkonflikte nur beschränkt abwenden.

Es besteht demnach ein Koordinationsbedarf, der nun mit der vorliegenden Teilrevision des IPRG angegangen werden soll. Die Gefahr von positiven Kompetenzkonflikten mit anderen Staaten ist zwar im Bereich des Erbrechts nichts Neues. Die durch die EuErbVO geschaffene Rechtsvereinheitlichung bietet nun aber die Chance, das Konfliktpotenzial im Verhältnis zu einem Grossteil von Europa zu minimieren und dadurch für Bürgerinnen und Bürger mehr Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen.

1.2

Ziele der Vorlage

Hauptziel der Vorlage ist die teilweise Harmonisierung des schweizerischen internationalen Erbrechts mit der EuErbVO. Damit soll erreicht werden, dass in der Schweiz weniger Entscheidungen ergehen, die in Widerspruch zu Entscheidungen aus EuErbVO-Mitgliedstaaten stehen. Die dafür erforderliche Revision des 6. Kapitels des IPRG soll aber auch genutzt werden, um allfälligen Änderungs-, Ergänzungs- oder Klarstellungsbedürfnissen Rechnung zu tragen, die sich seit Inkrafttreten der Bestimmungen vor 30 Jahren in der Praxis oder aus der Literatur ergeben haben. Gleichzeitig soll ­ im Geiste der hängigen Revision der erbrechtlichen Bestimmungen im Zivilgesetzbuch7 ­ die Gestaltungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf ihren Nachlass moderat erweitert werden.

6 7

Vgl. Urteil des Bundesgerichts 5P.274/2002 vom 28. Oktober 2002 E. 4.1.

Siehe dazu die Botschaft vom 29. August 2018 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erbrecht), BBl 2018 5813 ff.

3317

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1.3

Verhältnis zur Legislatur- und Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 20208 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Entwurf des Bundesbeschlusses vom 29. Januar 20209 über die Legislaturplanung 2019­2023 aufgeführt. Sie ist aber dem Parlament im Rahmen der Behandlung der Motion Recordon im Jahre 2015 in Aussicht gestellt worden (vgl. oben, Ziff. 1.1.4).

Die Vorlage ist von keinerlei Relevanz für die Finanzplanung des Bundes und steht in keinerlei Zusammenhang mit einer der aktuellen bundesrätlichen Strategien.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Entstehung des vorliegenden Entwurfs

Am 23. Dezember 2015 unterbreitete das Bundesamt für Justiz verschiedenen Fachleuten und Fachverbänden aus den Rechtsfakultäten, der Anwaltschaft, dem Notariat und der Richterschaft sowie einigen kantonalen Erbschaftsbehörden ein Arbeitspapier, das verschiedene Optionen für Änderungen im Erbrechtskapitel des IPRG aufzeigte. Dem Papier war ein Gedankenaustausch mit Prof. Dr. Andrea Bonomi, ordentlicher Professor an der Universität Lausanne, vorausgegangen. Bis Ende Februar 2016 gingen dazu 14 schriftliche Stellungnahmen ein.

Es folgte die Einsetzung einer Expertengruppe, bestehend aus dem vorerwähnten Prof. Dr. Bonomi, sowie aus Prof. Dr. Hans Rainer Künzle, Titularprofessor an der Universität Zürich und Partner eines Zürcher Vermögensberatungsunternehmens, Prof. Dr. Barbara Graham-Siegenthaler, ordentliche Professorin an der Universität Luzern und Partnerin in einer Basler Anwaltskanzlei, und Dr. Kinga M. Weiss, Fachanwältin SAV Erbrecht und Partnerin in einer Zürcher Anwaltskanzlei. Daneben stellte sich Dr. Alessandra Ceresoli, Vorsteherin des Erbschaftsamts BaselStadt, für Fragen und Beurteilungen zur Verfügung.

Auf der Grundlage der obenerwähnten Stellungnahmen arbeitete das Bundesamt für Justiz mehrere Arbeitsentwürfe aus, die in der Expertengruppe diskutiert wurden und schliesslich zu einem Vorentwurf führten. Dieser durchlief vom 14. Februar bis zum 31. Mai 2018 das Vernehmlassungsverfahren.

Nach Auswertung der Ergebnisse wurde der Vorentwurf, wieder in enger Abstimmung mit der Expertengruppe, mehrfach umgearbeitet, um schliesslich die Gestalt des vorliegenden Entwurfs anzunehmen. Einzelne Punkte des Entwurfs waren innerhalb der Expertengruppe umstritten.

8 9

BBl 2020 1777 BBl 2020 1907

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2.2

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

Im Vernehmlassungsverfahren haben sich 22 Kantone, fünf politische Parteien, zwei gesamtschweizerische Dachverbände, acht weitere Organisationen, eine Universität sowie eine Anwaltskanzlei geäussert. Insgesamt sind 39 Stellungnahmen eingegangen.10 In sämtlichen Stellungnahmen wurden das Revisionsvorhaben und seine Stossrichtung begrüsst. Fünf Vernehmlassungsteilnehmende bezogen ihre Zustimmung ausdrücklich auch auf den Vorentwurf, ohne zu den einzelnen Revisionspunkten Stellung zu nehmen. Sechs weitere erklärten sich mit allen Punkten einverstanden, die sie nicht ausdrücklich kritisierten. Berücksichtigt man diese Voten, ergibt sich der Befund, dass sämtliche Änderungsvorschläge mit deutlicher Mehrheit gutgeheissen wurden.

Selbst wenn man ausschliesslich die spezifischen Stellungnahmen berücksichtigt, haben die bundesrätlichen Vorschläge lediglich in zwei materiellen Punkten und auch dort nur ganz knapp keine mehrheitliche Zustimmung erhalten. Es betrifft dies die Änderungsvorschläge in Artikel 90 Absatz 2 und Artikel 92 Absatz 2 E-IPRG.

3

Grundzüge der Vorlage

3.1

Die beantragte Neuregelung

3.1.1

Übersicht über die Änderungen und ihre Ziele

Hauptziel der Revisionsvorlage ist die teilweise Harmonisierung des schweizerischen internationalen Erbrechts mit der EuErbVO. Damit sollen Entscheidungswidersprüche im Verhältnis zu den EuErbVO-Mitgliedstaaten verhindert werden (vgl.

oben, Ziff. 1.2). Widersprechende Entscheidungen verhindert man primär über eine verbesserte Koordination bei den beidseitigen Entscheidungskompetenzen durch Anpassung der Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln. Wo dies nicht möglich ist, sollte zumindest darauf hingewirkt werden, dass beide Seiten dasselbe Recht anwenden. Spielraum für Anpassungen an die EuErbVO sieht der Bundesrat vor allem dort, wo die bestehende Regelung des IPRG sachlich nicht zwingend oder nicht mehr zeitgemäss erscheint und die von der EuErbVO gewählte Lösung sich sich mit den Grundwertungen des IPRG und seines 6. Kapitels vereinbaren lässt. Eine pauschale Übernahme der EuErbVO ist nicht beabsichtigt.

Bei acht Bestimmungen des 6. IPRG-Kapitels werden Änderungen vorgeschlagen, die der Verminderung der Gefahr positiver Kompetenzkonflikte dienen sollen.11 Danach können Erblasser oder Erblasserinnen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit einem allfälligen Zuständigkeitsanspruch des betreffenden Heimatstaates Rechnung tragen, indem sie ihr dortiges Vermögen oder den gesamten Nachlass seiner Zuständigkeit unterstellen. Auch Schweizer Staatsangehörigen wird partiell 10 11

Die Stellungnahmen sind unter folgender Adresse abrufbar: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > abgeschlossene Vernehmlassungen > 2018 > EJPD.

Art. 87 Abs. 1 und 2, Art. 88 Abs. 1, Art. 88a, Art. 88b Abs. 1 und 2, Art. 96 Abs. 1 Bst. c und d. Näheres zu den betreffenden Änderungen unten, Ziff. 4.

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die Möglichkeit gegeben, auf einen ausländischen Zuständigkeitsanspruch Rücksicht zu nehmen. Möchten sie ihren Nachlass dem schweizerischen Recht unterstellen, können sie nun die Zuständigkeit des betreffenden Staates vorbehalten. Sowohl schweizerische als auch ausländische Staatsangehörige können zudem ausländische Grundstücke der Zuständigkeit des jeweiligen Lageortstaats unterstellen. Die übrigen Änderungen sollen es den schweizerischen Erbschaftsbehörden ermöglichen, ihre im Fall eines ausländischen Wohnsitzes der verstorbenen Person nur subsidiäre Zuständigkeit wirklich konsequent subsidiär zu handhaben.

An sieben Stellen wird eine Angleichung beim anwendbaren Recht vorgeschlagen.12 Wie unter der EuErbVO können nun sowohl schweizerische als auch ausländische Staatsangehörige, Doppelbürger und -bürgerinnen eingeschlossen, ihren Nachlass ohne Einschränkung ihrem Heimatrecht bzw. einem ihrer Heimatrechte unterstellen.

Dafür reicht aus, dass die betreffende Staatsangehörigkeit entweder im Verfügungsoder im Todeszeitpunkt vorliegt. Für Testamente und Schenkungen auf den Todesfall soll neu der letzte Wohnsitz im Errichtungs- statt im Todeszeitpunkt massgebend und eine Rechtswahl möglich sein. Für Erbverträge, bei denen diese Grundsätze bereits gelten, werden die Rechtswahlmöglichkeiten erweitert. Gegenseitige Testamente werden nun nicht mehr in den Bestimmungen für Erbverträge behandelt, es sei denn, ihnen läge eine verbindliche Vereinbarung zugrunde. Sowohl für Testamente als auch für Erbverträge wird klargestellt, welche Fragenbereiche unter die für sie geltenden Sonderbestimmungen fallen.

In fünfzehn Bestimmungen werden bestehende Unklarheiten beseitigt. 13 Es wird klargestellt, dass Artikel 9 IPRG (zur Frage der Rechtshängigkeit) auch für das nicht-streitige Nachlassverfahren gilt. Die im Schrifttum postulierte Prorogationsmöglichkeit für ausländische Erblasser oder Erblasserinnen wird gesetzlich festgeschrieben. Die Fälle von subsidiärer Zuständigkeit der schweizerischen Behörden erfahren eine genauere Umschreibung. Präzisierungen werden auch bei der Frage des anwendbaren Rechts für den Nachlass von im Ausland verstorbenen Personen vorgeschlagen. Zudem sind Klarstellungen zu folgenden Fragen vorgesehen:

12 13

­

die Zulässigkeit einer Teilrechtswahl;

­

das auf die Rechtsstellung eines Willensvollstreckers oder Nachlassverwalters anwendbare Recht;

­

der sachliche Geltungsbereich des auf Erbverträge anwendbaren Rechts;

­

der Begriff des «gegenseitigen» Erbvertrags;

­

das anwendbare Recht und die Rechtswahlmöglichkeiten in Zusammenhang mit solchen Erbverträgen;

­

die Wirkungen einer Prorogation bei der Anerkennung ausländischer Rechtsakte;

Art. 91 Abs. 1, Art. 94 Abs. 1­3, Art. 95 Abs. 3 und 4, Art. 95a. Näheres zu den betreffenden Änderungen unten, Ziff. 4.

Art. 87 Abs. 1, Art. 88 Abs. 1, Art. 88a, Art. 88b, Art. 90 Abs. 2, Art. 91 Abs. 3, Art. 92 Abs. 2, 95 Abs. 1­4, 96 Abs. 1, 96 Abs. 1 Bst. c, Art. 199a, Art. 199b. Näheres zu den betreffenden Änderungen unten, Ziff. 4.

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­

die Anerkennung von Rechtsakten des Staates, dessen Recht der Nachlass unterstellt wurde, und

­

der Bereich des Übergangsrechts.

Verschiedene Änderungen führen zu mehr Gestaltungsfreiheit für den Erblasser oder die Erblasserin.14 Hier seien wieder die Prorogationsmöglichkeit für Erblasser oder Erblasserinnen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit oder einem Grundstück im Ausland, die Möglichkeit eines Zuständigkeitsvorbehalts bei Unterstellung des Nachlasses unter das schweizerische Recht und die Erweiterungen der Rechtswahlmöglichkeiten sowohl bezüglich des Nachlasses als auch in Zusammenhang mit einem Testament oder Erbvertrag genannt.

Bei der Ausgestaltung der Änderungsvorschläge spielte auch das Kriterium der Praxisfreundlichkeit eine Rolle.15 So soll den schweizerischen Behörden in Zusammenhang mit ihrer Auffangzuständigkeit ein gewisser Ermessensspielraum gewährt werden. Daneben ist die rechtliche Behandlung eines nach ausländischem Recht bezeichneten Willensvollstreckers oder Nachlassverwalters zu erwähnen, die nun in eine schweizerische Rechtsform konvertiert werden.

3.1.2

Beibehaltung der Anknüpfung an den letzten Wohnsitz der verstorbenen Person

Im Rahmen der Vorarbeiten wurde die Option zur Debatte gestellt, den letzten Wohnsitz als Anknüpfungspunkt durch den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers oder der Erblasserin (auf welchen die EuErbVO abstellt [vgl. oben, Ziff. 1.1.2]) zu ersetzen. Eine klare Mehrheit der eingegangenen Stellungnahmen sprach sich in der Folge gegen eine entsprechende Gesetzesänderung aus. Im Vernehmlassungsverfahren war die Ablehnung noch deutlicher. Der Entwurf verzichtet daher auf eine entsprechende Anpassung.

Die ablehnenden Stimmen teilen die in der bundesrätlichen Botschaft zum IPRG 16 vertretene Auffassung, wonach die Behörden am letzten Wohnsitz des Erblassers oder der Erblasserin in der Regel die engste räumliche Beziehung zum Nachlass haben. Des Weiteren wurde zu bedenken gegeben, dass der gewöhnliche Aufenthalt sehr volatil und in einigen Fällen schwer bestimmbar sei. Hinzu komme, dass der Begriff unscharf sei und von Staat zu Staat unterschiedlich ausgelegt werde. Demgegenüber werde der Wohnsitz oft im Testament festgehalten, was zwar nicht verbindlich sei, aber doch einen wichtigen Anhaltspunkt liefere. Verschiedene Stellungnahmen wiesen ergänzend darauf hin, dass es weiterhin Staaten ausserhalb des Geltungsbereichs der EuErbVO gebe, die an den Wohnsitz anknüpften. Auch die Koordination mit dem Ehegüterrecht des IPRG (Art. 52 ff.) wurde angesprochen, 14 15 16

Art. 87 Abs. 2, Art. 88b Abs. 1 und 2, Art. 91 Abs. 1 und 2, Art. 94 Abs. 3, 95 Abs. 4, Art. 96 Abs. 1 Bst. c. Näheres zu den betreffenden Änderungen unten, Ziff. 4.

Betrifft die Änderungen in Art. 87 Abs. 1, 88 Abs. 1, 92 Abs. 2 und gewisse Änderungen in Art. 96. Näheres zum Ganzen unten, Ziff. 4.

Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), BBl 1983 I 263.

3321

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welches ebenfalls an den Wohnsitz anknüpft. Bleibt zu ergänzen, dass die beiden Anknüpfungsorte ohnehin selten auseinanderfallen dürften.17

3.1.3

Ergänzende rechtssetzende Massnahmen

Im Verhältnis zu zwei EuErbVO-Mitgliedstaaten, Griechenland und Italien, besteht eine staatsvertragliche Regelung, die den Bestimmungen des IPRG vorgeht (siehe unten, Ziff. 6.2). Beide Texte enthalten erhebliche Abweichungen sowohl von der Regelung des IPRG als auch von derjenigen der EuErbVO. Es ist daher zusammen mit den betroffenen Staaten zu prüfen, inwieweit die einschlägigen Vertragsbestimmungen abgeändert oder aufgehoben werden sollten. Das Bundesamt für Justiz hat hierzu erste Schritte eingeleitet.

Im Vernehmlassungsverfahren war die Notwendigkeit einer Überprüfung der beiden Staatsverträge unbestritten. Vier Teilnehmende begrüssten ausdrücklich entsprechende Schritte.

3.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen und Umsetzungsfragen

Die vorliegende Gesetzesrevision begründet keine neuen staatlichen Aufgaben und lässt die bestehende behördliche Organisationsordnung unberührt. Umsetzungsmassnahmen sind nicht erforderlich.

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 51 Bst. a E-IPRG Artikel 51 IPRG regelt die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte für «Klagen oder Massnahmen», die das Ehegüterrecht betreffen. Dabei überträgt er in Buchstabe a die Zuständigkeit «für die güterrechtliche Auseinandersetzung im Falle des Todes eines Ehegatten» den Gerichten oder Behörden, «die für die erbrechtliche Auseinandersetzung zuständig sind (Art. 86­89)».

Der vorliegende Entwurf sieht nun (anders als noch der Vorentwurf) im erwähnten Buchstaben a einen Einschub folgenden Wortlauts vor: «unter Ausserachtlassung von Artikel 88b». Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass bei der Verweisung auf die Artikel 86­89 IPRG der im 6. Kapitel neu eingefügte Artikel 88b IPRG unbeachtlich ist. Die besagte Bestimmung erlaubt es dem Ehegatten, um dessen Vermögen es geht, eine bestehende schweizerische Zuständigkeit nach den Artikeln 86 ff. IPRG durch einseitigen Akt aufzuheben. Diese Möglichkeit soll für die güterrechtliche Auseinandersetzung ausgeschlossen bleiben, betrifft doch diese das Vermögen beider Ehegatten.

17

Siehe auch Bonomi, SJ 2014, 404 ff.

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Hat allerdings der andere Ehegatte einer Zuständigkeitsregelung (Prorogation) nach Artikel 88b E-IPRG zugestimmt, ist diese auch für die güterrechtliche Auseinandersetzung zu beachten, sofern die Voraussetzungen von Artikel 5 IPRG erfüllt sind.

Die vorliegende Änderung gilt kraft der Verweisung in Artikel 65a IPRG für eingetragene Partnerschaften sinngemäss.

Art. 58 Abs. 2 E-IPRG Auch für Artikel 58 Absatz 2 IPRG sieht der vorliegende Entwurf einen Zusatz vor, diesmal am Satzende und mit dem Wortlaut: «mit Ausnahme von Artikel 96 Absatz 1 Buchstabe c». Es geht im Kern um dasselbe Anliegen wie bei Artikel 51 IPRG.

Ein Ehegatte soll lediglich in Bezug auf seinen Nachlass die Möglichkeit haben, die gerichtliche Zuständigkeit einseitig zu bestimmen, und nicht auch für die güterrechtliche Auseinandersetzung im Fall seines Ablebens. Eine für erbrechtliche Belange gegebene ausländische Zuständigkeit soll daher für die Zwecke des Güterrechts nicht anerkannt werden, wenn sie wie im Fall von Artikel 96 Absatz 1 Buchstabe c E-IPRG auf einer einseitigen Prorogation oder Rechtswahl des verstorbenen Ehegatten beruht.

Wie bei Artikel 51 E-IPRG kommt der neu eingefügte Passus nicht zum Tragen, wenn sich der Ehegatte mit der Zuständigkeit der betroffenen Behörde rechtsgültig einverstanden erklärt hat. Ob Letzteres der Fall ist, beurteilt sich nach Artikel 26 Buchstabe b IPRG.

Art. 87 Abs. 1 E-IPRG Im geltenden Artikel 87 Absatz 1 IPRG sollen der Passus «die ausländische Behörde» durch «die Behörden des Wohnsitzstaates» ersetzt sowie ein zusätzlicher Satz eingefügt werden.

Artikel 87 IPRG betrifft den Nachlass Schweizer Staatsangehöriger mit letztem Wohnsitz im Ausland. In Absatz 1 ist eine subsidiäre Zuständigkeit der schweizerischen Behörden am Heimatort vorgesehen für den Fall, dass «sich die ausländische Behörde mit seinem Nachlass nicht befasst». Unter dem geltenden Recht ist allerdings unklar, ob damit nur Nichtbefassung seitens der zuständigen Behörde am letzten Wohnsitz gemeint ist oder auch die Inaktivität der Behörden anderer Staaten, deren Zuständigkeit aus Schweizer Sicht (Art. 96 IPRG) anerkannt werden kann. Im Schrifttum gehen die Meinungen dazu auseinander. Im Interesse der Rechtssicherheit soll daher nun im Gesetzestext für Klärung gesorgt werden.

Dabei wird eine Lösung vorgeschlagen, die
zwischen den beiden unterschiedlichen Auffassungen im Schrifttum vermitteln soll. Ausgegangen wird von der engen Variante, wonach lediglich auf den letzten Wohnsitzstaat zu schauen ist. Hierfür ausschlaggebend waren Praktikabilitätserwägungen. Den schweizerischen Erbschaftsbehörden soll nicht zugemutet werden, in komplexen rechtlichen Abklärungen sämtliche Staaten ermitteln zu müssen, deren Entscheidungen nach Artikel 96 IPRG anerkennungsfähig wären (etwa die Staaten, deren Entscheidungen im letzten Wohnsitzstaat anerkannt werden (Art. 96 Abs. 1 Bst. a)). Darüber hinaus soll den Erbinnen und Erben die Bürde erspart bleiben, zuerst bei all diesen Staaten vorstellig 3323

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zu werden, bevor sie die Zuständigkeit der schweizerischen Behörden in Anspruch nehmen können.18 Gleichzeitig sollen aber die schweizerischen Behörden in bestimmten Konstellationen die Möglichkeit haben, positive Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Der zweite Satz von Artikel 87 Absatz 1 E-IPRG soll es ihnen daher erlauben, im Einzelfall ihre Zuständigkeit auch von der Inaktivität anderer Staaten als desjenigen des letzten Wohnsitzes der verstorbenen Person abhängig zu machen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich die Behörden des betreffenden Staates ebenfalls mit dem Nachlass befassen. Gemäss dem vorgeschlagenen Gesetzestext kommen dabei ein allfälliger ausländischer Heimatstaat der betreffenden Person, der Staat ihres letzten gewöhnlichen Aufenthalts und, soweit es nur um einzelne Nachlasswerte geht, deren Lagestaat in Frage. Die Zuständigkeiten gemäss der EuErbVO sind von dieser Auflistung abgedeckt.19 Gedacht ist, dass die schweizerischen Behörden ihre Zuständigkeit vom Verhalten mehr als eines dieser Staaten abhängig machen können.

Mit dem erst nach dem Vernehmlassungsverfahren eingefügten Passus «um Kompetenzkonflikte zu vermeiden» im zweiten Satz von Artikel 87 Absatz 1 E-IPRG soll klargestellt werden, dass die schweizerische Behörde ihre Zuständigkeit nur dann von der Inaktivität eines anderen als des Wohnsitzstaates abhängig machen sollte, wenn sie davon ausgehen darf, dass ein reelles Risiko eines positiven Kompetenzkonflikts mit dem betreffenden Staat besteht. Letzteres setzt voraus, dass die Behörden dieses Staates nach dessen Gesetzgebung zuständig sind und gleichzeitig einem vorgängig in der Schweiz eingeleiteten Verfahren nicht Vorrang gewähren würden.

Art. 87 Abs. 2 IPRG Der geltende Artikel 87 Absatz 2 IPRG sieht für den Nachlass von Auslandschweizern oder -schweizerinnen eine schweizerische Zuständigkeit für den Fall vor, dass die betreffende Person eine entsprechende Zuständigkeitswahl (Prorogation) getroffen hat. Eine Rechtswahl zugunsten des schweizerischen Rechts wird dabei einer Prorogation gleichgestellt, was auf die unwiderlegbare Vermutung hinausläuft, der Erblasser oder die Erblasserin habe mit der Wahl des schweizerischen Rechts auch eine schweizerische Zuständigkeit begründen wollen.

Eine Prorogation zugunsten der schweizerischen Behörden kann in gewissen Konstellationen
zu einem positiven Kompetenzkonflikt führen. Ein entsprechendes Risiko besteht beispielsweise dann, wenn die verfügende Person ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem EuErbVO-Mitgliedstaat hatte oder einem solchen angehörte und dort Vermögen hinterlässt. Es wurde daher erwogen, die vorerwähnte gesetzliche Vermutung aufzuheben. Vorliegend wird nun aber eine Kompromisslösung vorgeschlagen (eine Opt-out-Lösung anstelle einer Opt-in-Lösung). Bei einer Unterstellung des Nachlasses unter das schweizerische Heimatrecht soll die Vermutung zugunsten einer parallelen Prorogation weiterbestehen. Die Vermutung ist insofern sinnvoll, als sie in aller Regel der Absicht der verfügenden Person entsprechen dürfte. Gleichzeitig dient sie dem Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht. Die verfügende Person soll nun aber neu die Möglichkeit erhalten, die Ver18 19

Vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichts 5A_612/2016 vom 1. März 2017 E. 3.3.

Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 14 f.

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mutung mit einer Klausel umzustossen, wonach die von ihr getroffene Rechtswahl nicht als gleichzeitige Prorogation zu verstehen sei. Zu diesem Zweck ist im bestehenden Artikel 87 Absatz 2 IPRG der Passus «, ohne Vorbehalt bezüglich der Zuständigkeit,» eingefügt worden. Die verfügende Person hat es damit in der Hand, sich aus ihrer Rechtswahl ergebende Risiken für positive Kompetenzkonflikte auszuschalten.20 Neu gegenüber dem geltenden Artikel 87 Absatz 2 IPRG ist auch, dass die verfügende Person nicht mehr nur ihren gesamten Nachlass oder ihr gesamtes Schweizer Vermögen, sondern auch Teile des Letzteren der schweizerischen Zuständigkeit unterstellen kann. Dies ist insbesondere für in der Schweiz gelegene Grundstücke von Bedeutung. Bewerkstelligt wird diese Änderung durch die Streichung des Wortes «sein» vor «in der Schweiz gelegenes Vermögen». Damit soll eine gewisse Angleichung an die weitgefasste Teilprorogationsbefugnis in Artikel 88b E-IPRG bewirkt werden. Wie bei jener Bestimmung trägt ein grösserer Gestaltungsspielraum für die Verfügenden zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten bei (siehe zum Ganzen unten, zu Art. 88b, erster Satz). Der Vorentwurf enthielt noch keine entsprechende Änderung.21 Artikel 87 Absatz 2 E-IPRG verzichtet auf eine Regelung nach dem Muster des zweiten Satzes von Artikel 88b E-IPRG (betreffend den massgebenden Zeitpunkt für die Zugehörigkeit zum betroffenen Staat). Der Fall, dass die verstorbene Person die schweizerische Staatsangehörigkeit erst nach ihrer Verfügung erlangt hat, wird vom bestehenden Wortlaut bereits miterfasst. Für den umgekehrten Fall, dass die verfügende Person ihre schweizerische Staatsangehörigkeit nachträglich verliert, gilt dies nicht. Doch erscheint diese Lösung sachgerecht. Es ist keine Notwendigkeit dafür zu erkennen, dass die Schweiz, anders als die EuErbVO und wohl auch das Recht der meisten Drittstaaten, einen Gerichtsstand für den Nachlass blosser Ex-Staatsangehöriger gewährt. Die Notzuständigkeit nach Artikel 3 IPRG und die Auffangzuständigkeit nach Artikel 88 Absatz 1 E-IPRG (siehe dazu unten) erscheinen hier ausreichend. Der Fall des Verlusts des Schweizer Bürgerrechts dürfte ohnehin selten sein, zumal dieses bei Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit nicht automatisch erlischt.

Art. 88 Abs. 1 E-IPRG In Artikel 88 Absatz 1 IPRG sollen
­ in Analogie zu den Änderungen in Artikel 87 Absatz 1 ­ «die ausländischen Behörden» durch «die Behörden des Wohnsitzstaates» ersetzt sowie ein zusätzlicher Satz eingefügt werden.

Artikel 88 Absatz 1 IPRG sieht eine subsidiäre schweizerische Zuständigkeit für in der Schweiz gelegene Nachlasswerte vor. Die Voraussetzungen für diese Zuständigkeit sollen nun gemäss dem Entwurf gleich geregelt werden wie die Voraussetzungen für die Auffangzuständigkeit nach Artikel 87 Absatz 1 IPRG (siehe dazu die Bemerkungen zu Art. 87 Abs. 1 E-IPRG). Der in Artikel 87 Absatz 1 IPRG neu eingefügte zweite Satz, wonach die schweizerische Zuständigkeit auch von der Inaktivität eines anderen Staates als desjenigen des letzten Wohnsitzes der verstor20 21

Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 16 f.

Was bei Widmer Lüchinger, S. 43 f., kritisiert wird.

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benen Person abhängig gemacht werden kann, findet sich denn auch hier wieder. Es fehlt allerdings die Erwähnung des Lagestaats, da die subsidiäre Zuständigkeit nach Artikel 88 IPRG nur für in der Schweiz gelegene Nachlasswerte gilt.

Im Zuge der genannten Änderungen wird (wie auch in Art. 89 IPRG) die dem Sachenrecht entstammende Wendung «Ort der gelegenen Sache» durch «Lageort» ersetzt, um klarzustellen, dass die schweizerische Zuständigkeit auch für unkörperliche Nachlasswerte wie Bankkonten besteht.

Art. 88a E-IPRG Die Zuständigkeitsbestimmungen des IPRG und damit auch diejenigen der Artikel 86­88 stehen unter dem Vorbehalt von Artikel 9 IPRG. Die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte und Behörden ist nur gegeben, soweit in der gleichen Sache nicht bereits ein Verfahren in einem anderen Staat hängig ist, dessen Zuständigkeit die Schweiz anerkennt. Allerdings ist unklar, ob Artikel 9 IPRG nur für Klageverfahren oder auch für das von den Artikeln 86 ff. IPRG unumstrittenermassen miterfasste Nachlassverfahren gilt, das der Abwicklung des Nachlasses dient und zu dem insbesondere auch das Verfahren auf Ausstellung einer Erbbescheinigung zählt.22 Artikel 88a E-IPRG hält daher nun ausdrücklich fest, dass (der von seinem Wortlaut auf Klageverfahren zugeschnittene) Artikel 9 IPRG sinngemäss auch auf das Nachlassverfahren anwendbar ist.

Mit der neuen Bestimmung soll gleichzeitig eine weitere bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt werden. Mit ihr wird implizit klargestellt, dass in der Schweiz das Nachlassverfahren nicht bereits mit der Eröffnung des Erbgangs im Sinne von Artikel 537 des Zivilgesetzbuchs23 (ZGB) (d.h. mit dem Tod des Erblassers oder der Erblasserin) anhängig gemacht wird, wie dies von einem erheblichen Teil der Lehre vertreten wird, sondern erst mit der Einreichung eines entsprechenden Gesuchs. Die Verweisung auf Artikel 9 IPRG würde sonst keinen Sinn ergeben, da eine frühere Anhängigmachung im Ausland gar nicht möglich wäre.

Der Vorentwurf enthielt noch keine entsprechende Bestimmung. Die Thematik wurde lediglich im erläuternden Bericht24 behandelt. Im Vernehmlassungsverfahren wurde dann der Wunsch nach einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung geäussert.

Art. 88b Abs. 1 E-IPRG, erster Satz Artikel 88b E-IPRG basiert auf Artikel 86 Absatz 3 und 4 IPRG des Vorentwurfs.

Im geltenden
Recht hat er keine Entsprechung.

Unter dem bestehenden Recht können Schweizer Staatsangehörige für den Fall, dass sie bei ihrem Ableben ihren Wohnsitz nicht in der Schweiz haben, ihren Nachlass durch testamentarische oder erbvertragliche Verfügung der Zuständigkeit der schweizerischen Behörden unterstellen (Art. 87 Abs. 2 IPRG). Entsprechendes soll nun auch für ausländische Staatsangehörige gelten. Auch sie sollen eine Zuständigkeitsregelung (Prorogation) zugunsten der Behörden ihres Heimatstaats treffen 22 23 24

Vgl. Bucher, Art. 86 N 6 ff.

SR 210 Erläuternder Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 38.

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können. In Teilen des Schrifttums25 wird eine entsprechende Regelung bereits unter dem geltenden Recht angenommen.26 Diese bisher primär im Sinne einer Gleichbehandlung befürwortete Regelung bewirkt auch eine praktisch bedeutsame Koordination mit der EuErbVO. Letztere (Art. 10 Abs. 1 Bst. a.) sieht, wie bereits ausgeführt (Ziff. 1.1.3), für den Nachlass von Angehörigen eines Mitgliedstaats die Zuständigkeit ebenjenes Staats vor, sobald sich ein Teil des Nachlasses auf dessen Gebiet befindet. Hatte die betreffende Person ihren letzten Wohnsitz in der Schweiz, ergibt sich daraus ein Potenzial für positive Kompetenzkonflikte (vgl. oben, Ziff. 1.1.4). Mit der in Art. 88b E-IPRG vorgesehenen Prorogationsmöglichkeit lässt sich nun ein solcher Konflikt vermeiden. Unterstellt der Erblasser oder die Erblasserin seinen bzw. ihren Nachlass der Zuständigkeit des betreffenden Heimatstaates, verzichtet die Schweiz auf ihre Zuständigkeit.

Auch im Verhältnis zu Nicht-EuErbVO-Mitgliedstaaten wird die Gefahr von Kompetenzkonflikten verringert.27 Ob die Prorogation für den bezeichneten Heimatstaat verbindlich ist, bestimmt dessen Recht. Artikel 88b E-IPRG regelt lediglich die Auswirkungen der Prorogation auf die schweizerische Zuständigkeit. Diese wird ausgeschlossen, soweit sich die ausländischen Behörden tatsächlich mit dem ihrer Zuständigkeit unterstellten Nachlass befassen.

Anders als bei Artikel 87 Absatz 2 E-IPRG begründet die Unterstellung unter ein ausländisches Heimatrecht nicht die Vermutung, dass gleichzeitig auch die Zuständigkeit auf den betreffenden Staat übergehen soll.28 Damit wird der Gefahr Rechnung getragen, dass die Behörden jenes Staates ein anderes Recht als das vom Erblasser oder von der Erblasserin gewählte anwenden und die Rechtswahl ins Leere läuft. Bei Artikel 87 Absatz 2 E-IPRG besteht eine solche Gefahr nicht.

Analog zu Artikel 87 Absatz 2 IPRG (sowohl in der geltenden als auch in der vorliegend vorgeschlagenen Fassung) lässt Artikel 88b E-IPRG eine blosse Teilprorogation zu. Der Erblasser oder die Erblasserin kann die Prorogation auf einzelne Vermögensteile beschränken, beispielsweise auf die im betreffenden Heimatsstaat gelegenen Werte. Dies ist etwa dann von Vorteil, wenn die Prorogation lediglich dadurch motiviert ist, dass einem allfälligen Zuständigkeitsanspruch des Heimatstaates
Rechnung getragen werden soll. Nachlassteile, die sich ausserhalb des Herrschaftsbereichs des betreffenden Staates befinden, können mit der vorgeschlagenen Lösung in der schweizerischen Zuständigkeit belassen werden.29 Art. 88b Abs. 1 E-IPRG, zweiter Satz Der zweite Satz von Artikel 88b E-IPRG enthält eine Bestimmung, die im Vorentwurf noch nicht zu finden war. Sie bestimmt den massgebenden Zeitpunkt für die Staatsangehörigkeit der im ersten Satz genannten Person. Die betreffende Staatsangehörigkeit muss entweder im Zeitpunkt der Verfügung oder im Zeitpunkt des 25 26 27 28 29

Siehe etwa Schnyder/Liatowitsch, Art. 87 N 16 m. Hinw.

Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 12 f.

Vgl. zum Ganzen, Romano, S. 211 ff.

Zustimmend Romano, S. 217 f.

Siehe auch die Überlegungen bei Romano, S. 219.

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Ablebens der verfügenden Person gegeben sein. Es gilt damit die gleiche Regel wie bei einer Rechtswahl nach Artikel 91 Absatz 1, Artikel 94 Absatz 3 und Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG (siehe dazu insbesondere die Bemerkungen zu Art. 91 Abs. 1 E-IPRG).

Die vorgeschlagene Regelung hat zur Folge, dass die Prorogation bei Eintritt des Erbfalls auch dann noch zu beachten ist, wenn die verfügende Person zwischenzeitlich die betreffende Staatsangehörigkeit verloren hat. Angesichts der Tatsache, dass die Prorogationsbefugnis zu einem wesentlichen Teil der Vermeidung von Kompetenzkonflikten dient, erscheint hier eine restriktive Lösung nicht angezeigt. In den meisten Fällen wird sich der betreffende ausländische Staat ohnehin nicht mehr als zuständig erachten und die Zuständigkeit damit bei den schweizerischen Behörden verbleiben. Es kann jedoch vorkommen, dass der besagte Staat sich unter einem anderen Titel als zuständig ansieht, etwa aufgrund eines früheren Aufenthalts des Erblassers oder der Erblasserin in diesem Staat im Sinne von Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b EuErbVO. In einem solchen Fall kann dann mit einer Anerkennung der Prorogation durch die Schweiz unter Umständen ein positiver Kompetenzkonflikt vermieden werden.

Die Prorogation ist auch im umgekehrten Fall wirksam, dass die prorogierende Person die betreffende Staatsangehörigkeit erst nach der einschlägigen testamentarischen oder erbvertraglichen Verfügung erlangt. Auch diese Regelung trägt zur Vermeidung positiver Kompetenzkonflikte bei. Für die Zwecke von Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a EuErbVO und ähnlichen Zuständigkeitsbestimmungen von Drittstaaten kommt es einzig darauf an, ob der Erblasser oder die Erblasserin die betreffende Staatsangehörigkeit im Todeszeitunkt besass.

Anders als die Rechtswahlmöglichkeit nach geltendem Recht (Art. 90 Abs. 2 IPRG) und analog zur Rechtswahlmöglichkeit nach dem vorliegenden Entwurf (siehe dazu unten, zu Art. 91 Abs. 1 E-IPRG) soll die Befugnis zur Unterstellung des Nachlasses unter die Zuständigkeit eines ausländischen Heimatstaats auch Schweizer Doppeloder Mehrfachstaatern zustehen. Gerade mit Blick auf ihren Koordinationszweck erscheint es wenig sinnvoll, diese Befugnis auf ausländische Staatsangehörige ohne gleichzeitige schweizerische Staatsangehörigkeit zu beschränken.

Art. 88b Abs. 2 E-IPRG Gemäss
dem geltenden Artikel 86 Absatz 2 IPRG sind im Ausland gelegene Grundstücke von der schweizerischen Zuständigkeit ausgenommen, wenn der betreffende Staat für Grundstücke auf seinem Gebiet die ausschliessliche Zuständigkeit beansprucht. Mit dieser Regelung sollen Kompetenzkonflikte vermieden werden. Sie ist aber in dieser Hinsicht unvollständig. Von ihr nicht erfasst wird der Fall, dass der Lagestaat eines Grundstücks zwar keine ausschliessliche Zuständigkeit beansprucht, ein in der Schweiz eingeleitetes Verfahren aber dennoch nicht berücksichtigen würde, etwa weil er Rechtsakte aus dem Staat des letzten Wohnsitzes nicht anerkennt. Damit auch in solchen Konstellationen Kompetenzkonflikte vermieden werden können, sollen Bürgerinnen und Bürgern für im Ausland gelegene Grundstücke

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die schweizerische Zuständigkeit zugunsten des Lagestaates ausschliessen können.30 Dabei soll auch hier die Wegbedingung der schweizerischen Zuständigkeit nur beachtlich sein, soweit sich der Lagestaat effektiv mit dem Grundstück befasst.

Nach der EuErbVO (Art. 10 Abs. 2) ist der Lagestaat eines sich im Nachlass befindlichen Grundstückes grundsätzlich für dessen Behandlung zuständig. Inwieweit hängige Verfahren in einem Drittstaat berücksichtigt werden, bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Lagestaats. Je nach Regelung besteht hier eine Gefahr positiver Kompetenzkonflikte, die mit einer Prorogation nach Artikel 88 Abs. 2 E-IPRG beseitigt werden könnte.

Eine Wegbedingung der schweizerischen Zuständigkeit nach Artikel 88b Absatz 2 E-IPRG kann mit einer Prorogation nach Artikel 87 Absatz 2 E-IPRG kombiniert werden. Schweizer Staatsangehörige können ihren Nachlass der Zuständigkeit ihrer Heimatbehörden unterstellen und für ihr unbewegliches Vermögen die Zuständigkeit des Lagestaats vorbehalten.31 Art. 89 E-IPRG Artikel 89 IPRG sieht eine beschränkte Zuständigkeit der schweizerischen Behörden am Lageort für in der Schweiz gelegene Nachlassteile vor. Sie beschränkt sich auf «die zum einstweiligen Schutz der Vermögenswerte notwendigen Massnahmen». In der Literatur wird etwa das Beispiel einer Person genannt, die bei einem Kurzaufenthalt in der Schweiz in ihrem Hotel verstirbt und dort namhafte Wertgegenstände zurücklässt.32 Unter dem geltenden Artikel 89 IPRG ist diese Zuständigkeit an die Voraussetzung geknüpft, dass sich der letzte Wohnsitz der verstorbenen Person im Ausland befand.

Der betreffende Passus soll nun gestrichen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die besagte Zuständigkeit auch für die Fälle von Artikel 88a und 88b E-IPRG gilt. Es sind dies die Fälle, in denen sich der letzte Wohnsitz der verstorbenen Person in der Schweiz befand, diese aber für den Nachlass dennoch nicht zuständig ist, sei es aufgrund einer bestehenden Rechtshängigkeit im Ausland oder aufgrund einer Verfügung des Erblassers oder der Erblasserin. Gleichzeitig soll aber der einleitende Nebensatz von Artikel 89 IPRG dahingehend ergänzt werden, dass die Zuständigkeit gemäss Artikel 89 IPRG das Fehlen einer umfassenden schweizerischen Zuständigkeit nach den Artikeln 86­88 IPRG voraussetzt. Damit
sollen innerstaatliche Kompetenzkonflikte vermieden werden (ein Anliegen, das auch im Vernehmlassungsverfahren vorgebracht wurde).

Mit dieser Regelung soll nicht ausgeschlossen werden, dass in einem Fall, in dem die schweizerischen Wohnsitz- oder Heimatbehörden für den Nachlass zuständig sind, eine Behörde am Lageort eines sich in der Schweiz befindlichen Nachlasswertes dringlich gebotene Massnahmen zur Erhaltung von diesem anordnet. Die Zulässigkeit und Natur solcher Massnahmen bestimmt sich nach Artikel 10 IPRG (betr. vorsorgliche Massnahmen).

30 31 32

Was auch bei Widmer Lüchinger, S. 31 und 38 f., gefordert wird.

Wie dies bei Widmer Lüchinger, S. 43 f., gefordert wird.

Siehe Künzle, Art. 89 N 7.

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Im Zuge der genannten Änderungen wird (wie schon bei Art. 88 Abs. 1 IPRG) die dem Sachenrecht entstammende Wendung «Ort der gelegenen Sache» durch «Lageort» ersetzt, um klarzustellen, dass die schweizerische Zuständigkeit auch für unkörperliche Nachlasswerte wie Bankkonten besteht.

Vorbemerkungen zu Art. 90 f. E-IPRG Die Artikel 90 und 91 IPRG bezeichnen das auf den Nachlass anwendbare Recht (sog. Erbstatut). Im Zuge verschiedener Änderungen haben sie eine Neugliederung erfahren. Die Regelung ist dadurch übersichtlicher und verständlicher geworden.

Der Randtitel von Artikel 90 IPRG ist von «II. Anwendbares Recht / 1. Letzter Wohnsitz in der Schweiz» in «II. Anwendbares Recht / 1. Grundsatz» geändert worden, und bei Artikel 91 IPRG tritt «2. Rechtswahl» an die Stelle von «2. Letzter Wohnsitz im Ausland». Artikel 90 IPRG enthält damit neu die Grundregeln für die Bezeichnung des Erbstatuts und Artikel 91 IPRG die Ausnahmebestimmungen für den Fall einer Rechtswahl zugunsten eines Heimatstaates. Die ganze Regelung hat damit eine Struktur erhalten, wie sie auch in den anderen Kapiteln des IPRG üblich ist. Der Text von Artikel 90 Absatz 1 IPRG ist unverändert geblieben.

Wie schon im Vorentwurf, wird bei den Artikeln 90 f. IPRG darauf verzichtet, den letzten Wohnsitz als Anknüpfungspunkt durch den in der EuErbVO massgebenden letzten gewöhnlichen Aufenthalt zu ersetzen (siehe dazu oben, Ziff. 3.1.2).

Art. 90 Abs. 2 E-IPRG Artikel 90 E-IPRG bezeichnet das auf den Nachlass anwendbare Recht (Erbstatut) bei Fehlen einer Rechtswahl nach Artikel 91 E-IPRG. Dabei wird an den letzten Wohnsitz der verstorbenen Person angeknüpft. Befand sich dieser im Ausland, wird allerdings nicht auf das materielle Erbrecht des Wohnsitzstaates, sondern auf dessen internationales Privatrecht (Kollisionsrecht) verwiesen. Es gelangt somit dasjenige materielle Erbrecht zur Anwendung, das vom Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates bezeichnet wird. Der betreffende Artikel 90 Abs. 2 E-IPRG übernimmt den geltenden Artikel 91 Absatz 1 IPRG. Anders als dieser enthält er aber einen ergänzenden zweiten Satz: «Verweist [das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates] auf das schweizerische Kollisionsrecht zurück, ist das materielle Erbrecht des Wohnsitzstaates anzuwenden.» Die Regelung des geltenden Artikel 91 Absatz 1 IPRG führt dort zu Problemen,
wo das Kollisionsrecht des ausländischen Wohnsitzstaates das anwendbare materielle Recht nicht selbst bestimmt, sondern dessen Bezeichnung ebenfalls dem Kollisionsrecht eines bestimmten Staates überträgt und es sich bei diesem Staat im konkreten Fall um die Schweiz handelt. Das schweizerische Kollisionsrecht, d.h. Artikel 91 Absatz 1 IPRG, verweist dann wieder auf das ausländische zurück und dieses wieder auf das schweizerische. Dieses «Pingpong» würde sich unendlich fortsetzen. Das klassische Beispiel für eine solche Konstellation ist der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in England und Grundeigentum in der Schweiz. Besteht eine Auffangzuständigkeit in der Schweiz (Art. 88 IPRG), ist für die Bestimmung des anwendbaren Erbrechts auf das englische Kollisionsrecht (das Vereinigte Königreich hat kein einheitliches Zivilrecht) abzustellen. Dieses spielt dann in Bezug auf 3330

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das schweizerische Grundstück den Ball an das schweizerische Kollisionsrecht zurück (Foreign-court-Theorie) und löst damit die erwähnte Endlosschlaufe aus. Zur Frage, wie diese durchbrochen werden kann, ist keine Judikatur bekannt. Die Lösungsansätze im Schrifttum gehen in unterschiedliche Richtungen. Es besteht hier demnach eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die der Entwurf nun beseitigen will.

Auf der Basis des bestehenden Artikel 91 Absatz 1 IPRG kommen zwei Lösungen in Frage. Die eine besteht in der Umwandlung der Verweisung auf das ausländische Kollisionsrecht in eine Verweisung auf das materielle Recht des betreffenden Staates für den Fall, dass dieser auf das schweizerische Kollisionsrecht zurückverweist.

Die andere Lösung besteht in der Umwandlung einer solchen Rückverweisung in eine Verweisung auf das schweizerische materielle Recht. Vorliegend wird nun vorgeschlagen, in Übereinstimmung mit der Mehrheitsauffassung im Schrifttum33 dem ersten Ansatz zu folgen, der dem Grundprinzip der Anknüpfung an den letzten Wohnsitz des Erblassers oder der Erblasserin entspricht.34 Art. 90 Abs. 3 E-IPRG In Artikel 90 Absatz 3 E-IPRG geht es wiederum um die Ermittlung des auf den Nachlass anwendbaren Rechts für den Fall, dass keine gültige Rechtswahl vorliegt und die verstorbene Person ihren letzten Wohnsitz im Ausland hatte. Die Bestimmung statuiert eine Ausnahme von der in Artikel 90 Absatz 2 E-IPRG formulierten Grundregel: Besteht eine schweizerische Zuständigkeit nach Artikel 87 Absatz 1 E-IPRG, ist stets das schweizerische Recht anzuwenden.

Diese Regelung ist aus dem geltenden Artikel 91 Absatz 2 IPRG übernommen worden. Neu werden aber die Fälle einer schweizerischen Zuständigkeit nach Artikel 87 Absatz 2 IPRG nicht mehr erfasst. Sie werden stattdessen in Artikel 91 E-IPRG behandelt, da sie eine Rechtswahl betreffen.

Art. 91 Abs. 1 E-IPRG, erster Satz Artikel 91 E-IPRG betrifft die Frage, inwieweit eine Person das auf ihren Nachlass anwendbare Recht selbst festlegen kann.

Unter dem geltenden Recht wie auch im Vorentwurf präsentiert sich die diesbezügliche Rechtlage wie folgt: Schweizer Staatsangehörige können ihren Nachlass dem schweizerischen Recht oder ­ in bestimmten Konstellationen ­ dem Recht ihres letzten (ausländischen) Wohnsitzstaats unterstellen (Art. 87 Abs. 2 und 91 Abs. 2
IPRG). Ausländische Staatsangehörige ohne Schweizer Staatsangehörigkeit können für den Fall eines letzten Wohnsitzes in der Schweiz das Recht ihres Heimatstaates wählen (Art. 90 Abs. 2 IPRG). Versterben sie mit Wohnsitz im Ausland, hat das Kollisionsrecht jenes Staates über die Möglichkeiten einer Rechtswahl zu befinden (Art. 91 Abs. 1 IPRG).

33 34

Siehe die Verweise bei Bonomi, SRIEL 2018, 176.

Zustimmend Schwander, S. 483. Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 20 ff. (wo auch auf einen abweichenden Vorschlag der Expertengruppe eingegangen wird).

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Artikel 91 Absatz 1 E-IPRG sieht nun eine Vereinfachung vor, indem es sämtlichen Staatsangehörigen die Befugnis gewährt, das Recht eines ihrer Heimatstaaten zu wählen. Daraus ergeben sich die drei folgenden Neuerungen: 1) Die Wahl eines ausländischen Heimatrechts ist auch für schweizerische Doppel- und Mehrfachstaater möglich; 2) die Wahl eines ausländischen Heimatrechts ist auch für den Fall zu beachten, dass sich der letzte Wohnsitz der verfügenden Person im Ausland befand und das Recht des betreffenden Staates eine entsprechende Rechtswahl nicht zulässt; 3) die Wahl des letzten ausländischen Wohnsitzstaates ist auch für Schweizer Staatsangehörige nur noch dann möglich, wenn der betreffende Staat die Wahl anerkennt.

Die Erstreckung der Rechtswahlbefugnis auf Schweizer Doppel- und Mehrfachstaater (im Vorentwurf noch in Form von Anpassungen und Ergänzungen im Rahmen des bestehenden Art. 90 Abs. 2 IPRG vorgesehen) beruht auf folgenden Überlegungen: Die aktuell geltende Beschränkung der Rechtswahlbefugnis wird mit der Gleichbehandlung aller Schweizer Staatsangehörigen ungeachtet einer allfälligen weiteren Nationalität begründet.35 Sie führt aber zu einer Ungleichbehandlung von Schweizer Staatsangehörigen mit einer weiteren Staatsangehörigkeit und reinen Ausländerinnen und Ausländern. Daraus ergibt sich, dass sich eine Ungleichbehandlung so oder so nicht vermeiden lässt.36 Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoll, sich für diejenige Lösung zu entscheiden, die eine Harmonisierung mit den Regeln der EuErbVO bewirkt. Der Entwurf folgt daher Artikel 22 EuErbVO, wonach die verfügende Person frei zwischen ihren Heimatrechten wählen kann. Diese Lösung hat auch den Vorteil, dass sie den Bürgern und Bürgerinnen mehr Gestaltungsspielraum gewährt.37 Neu gegenüber dem Vorentwurf ist, dass die Wahl eines ausländischen Heimatrechts nun auch für den Fall zu beachten ist, dass sich der letzte Wohnsitz der verfügenden Person im Ausland befand und das Recht des betreffenden Staates eine entsprechende Rechtswahl nicht zulässt. Diese Regelung ermöglicht eine Gleichbehandlung von schweizerischen und ausländischen Staatsangehörigen in Bezug auf die Rechtswahlbefugnis und bewirkt gleichzeitig eine weitgehende Harmonisierung mit Artikel 22 EuErbVO. Sie hat den Nachteil, dass sie dazu führen kann, dass das Recht, das
auf den in der Schweiz behandelten Nachlassteil anzuwenden ist, ein anderes ist als das im Ausland auf den übrigen Nachlass angewandte. Die verfügende Person hat es aber in der Hand, diese Konsequenz zu vermeiden und in den betreffenden Fällen von einer Rechtswahl abzusehen.

Ebenfalls neu ist, dass ­ in Übereinstimmung mit der EuErbVO ­ weder schweizerische noch ausländische Staatsangehörige ihren Nachlass dem Staat ihres letzten Wohnsitzes unterstellen können, ohne dass dessen Kollisionsrecht dies zulässt. Das geltende Recht sieht eine entsprechende Rechtswahloption für den Fall vor, dass eine Person mit schweizerischer Staatsangehörigkeit ihren Nachlass der schweize-

35 36 37

Vgl. Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), BBl 1983 I 263, Ziff. 263.3.

Ähnlich Guillaume, S. 228, und Schwander, S. 482. Kritisch auch Heini, Art. 90 N 8.

Näheres zu Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 17 f.

Siehe auch Widmer Lüchinger, S. 13 (mit Hinweis auf Art. 52 IPRG).

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rischen Zuständigkeit unterstellt.38 Im Entwurf wird diese Option nun durch die Regel des Artikel 91 Absatz 2 E-IPRG ersetzt, welche es der verfügenden Person erlaubt, ihre Zuständigkeitswahl mit einem Vorbehalt zu versehen. Dieser bewirkt, dass sich das anwendbare Recht nach der allgemeinen Regel des Artikel 90 Absatz 2 E-IPRG bestimmt. Eine Rechtswahl zugunsten des letzten Wohnsitzstaates ist damit nur noch möglich, wenn der betreffende Staat die Wahl zulässt. Dafür stehen der verfügenden Person auch allfällige weitere Rechtswahloptionen offen, die ihr das Kollisionsrecht dieses Staates bietet. Ihr Gestaltungspielraum wird auch insofern erweitert, als sie nicht mehr gezwungen ist, eine Rechtswahl zugunsten des letzten Wohnsitzstaates zu treffen, um eine unerwünschte Unterstellung ihres Nachlasses unter das schweizerische Recht abzuwenden.

Art. 91 Abs. 1 E-IPRG, zweiter Satz Der zweite Satz von Artikel 91 Absatz 1 E-IPRG bezieht sich auf die im ersten Satz vorgesehene Befugnis einer Person, ihren Nachlass einem ihrer Heimatrechte zu unterstellen. Er hält in Übereinstimmung mit Artikel 22 Absatz 1 EuErbVO fest, dass die Zugehörigkeit zum betreffenden Staat entweder im Verfügungs- oder im Todeszeitpunkt der betroffenen Person gegeben sein muss.

Dass eine Rechtswahl nicht dahinfällt, wenn die verfügende Person die betreffende Staatsangehörigkeit vor ihrem Hinschied verliert, war bereits in Artikel 90 Absatz 3 VE-IPRG vorgesehen. Im geltenden Artikel 90 Absatz 2 IPRG ist die Frage noch im gegenteiligen Sinne geregelt. Diese Lösung erscheint jedoch keineswegs zwingend.

Es lässt sich durchaus auch der Standpunkt vertreten, dass es ausreicht, wenn im Zeitpunkt der Rechtswahl ein relevanter Bezug zum gewählten Recht besteht. Die Aufrechterhaltung einer solchen Rechtswahl hat den Vorteil, dass Kontinuität gewährleistet wird.39 Eine einmal gültige getroffene Rechtswahl bleibt auch bei einer nachträglichen Änderung der äusseren Umstände gültig, solange sie nicht widerrufen wird.

Dass im Todeszeitpunkt eine Rechtswahl selbst dann zu beachten ist, wenn die verstorbene Person die betreffende Staatsangehörigkeit erst nach Verfassen der entsprechenden Verfügung erlangt hat, war im Vorentwurf noch nicht vorgesehen.

Der Entwurf folg hier der Anregung einzelner Vernehmlassungsteilnehmender, die Angleichung an
die EuErbVO zu vervollständigen.40 Die im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf41 angesprochene Gefahr von Missbräuchen wurde von der Expertengruppe als gering eingeschätzt.

Art. 91 Abs. 2 E-IPRG Artikel 91 Absatz 2 E-IPRG hält fest, dass eine Unterstellung des Nachlasses unter die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte und Behörden im Sinne von Artikel 87 Absatz 2 E-IPRG gleichzeitig auch als Rechtwahl zugunsten der Schweiz gilt, sofern die verfügende Person nichts Gegenteiliges angeordnet hat. Bezieht sich die 38 39 40 41

Vgl. dazu Künzle, Art. 91 N 18 m. Hinw. auf die Materialien.

Vgl. Widmer Lüchinger, S. 13.

Siehe auch Guillaume, S. 228 f.

S. 20.

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Prorogation nur auf einen Teil des Nachlasses, gilt Entsprechendes auch für die daraus abgeleitete Rechtswahl.

Anders als nach Artikel 91 Absatz 2 IPRG des geltenden Recht und des Vorentwurfs braucht eine Person, die ihren Nachlass der schweizerischen Zuständigkeit unterstellt und keine entsprechende Rechtswahl beabsichtigt, lediglich zu erklären, dass ihre Verfügung das von Gesetzes wegen anwendbare Recht unberührt lässt. Sie muss keine Rechtswahl zugunsten dieses oder eines anderen Rechts treffen. Diese Lösung, entspricht dem Opt-out-Ansatz, wie er in in Artikel 87 Absatz 2 E-IPRG verfolgt wird (siehe dazu oben, zu 87 Abs. 2 E-IPRG).

In Abweichung vom Vorentwurf (siehe dort Art. 90 Abs. 2 Satz 2) ist eine analoge Regelung für den Fall einer Prorogation zugunsten eines ausländischen Heimatstaates nicht vorgesehen. Betrachten sich die Behörden des betreffenden Staates als zuständig, ist es nicht Sache der Schweiz, das von ihnen anzuwendende Recht zu bestimmen. Verneinen sie ihre Zuständigkeit und verbleibt die Zuständigkeit dadurch bei den schweizerischen Behörden, ist fraglich, ob die vermutete Rechtswahl noch der hypothetischen Absicht der verfügenden Person entspricht. Zudem entfiele mit einer solchen Vermutung der im IPRG grundsätzlich angestrebte Gleichlauf von Zuständigkeit und anwendbarem Recht.42 Art. 91 Abs. 3 E-IPRG Eine Rechtswahl nach Artikel 91 Absatz 1 E-IPRG muss sich grundsätzlich auf den gesamten Nachlass beziehen, was in Artikel 91 Absatz 3 E-IPRG implizit festgehalten wird. Entsprechendes gilt nach vorherrschender Auslegung bereits im aktuellen Recht sowie unter der EuErbVO.

Die geltenden Artikel 87 Absatz 2 und Artikel 91 Absatz 2 IPRG enthalten allerdings eine Ausnahme vom besagten Grundsatz, die im vorliegenden Entwurf beibehalten werden soll. Eine Person mit Schweizer Staatsangehörigkeit kann eine auf in der Schweiz gelegene Vermögenswerte beschränkte Rechtswahl treffen, dies entweder direkt oder indirekt, durch Unterstellung der besagten Werte unter die schweizerische Zuständigkeit (was gemäss Art. 91 Abs. 2 IPRG automatisch zur Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts auf diese führt). Artikel 91 Absatz 3 E-IPRG soll daher nun festhalten, dass eine blosse Teilrechtwahl beachtlich ist, wenn sie a) das schweizerische Recht beruft, b) sich auf in der Schweiz gelegenes
Vermögen bezieht und c) eine entsprechende Teilzuständigkeit der schweizerischen Behörden gegeben ist. Letztere kann sich aus einer parallelen Teilprorogation der verfügenden Person ergeben oder aus dem Umstand, dass sie in ihrer Rechtswahlklausel keinen Vorbehalt in Bezug auf die Zuständigkeitsfrage gemacht hat (vgl. Art. 87 Abs. 2 E-IPRG).

Bei der in Artikel 91 Absatz 2 E-IPRG vorgesehenen indirekten Rechtswahl über eine Prorogation ohne Vorbehalt bezüglich des anwendbaren Rechts sind die genannten Voraussetzungen stets erfüllt.

Die Ausnahmeregelung in Artikel 91 Absatz 3 E-IPRG entspricht zwar nicht der EuErbVO. Der Entwurf möchte aber die aktuell bestehenden Gestaltungsbefugnisse der Auslandschweizerinnen und -schweizer beibehalten.

42

Vgl. Guillaume, S. 229.

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Art. 92 Absatz 2 E-IPRG Artikel 92 IPRG bestimmt, welche Rechtsfragen dem von den Artikeln 90 f. IPRG bezeichneten Recht (sog. Erbstatut) unterstehen und für welche Rechtsfragen das Recht am Ort der Nachlassabwicklung (sog. Eröffnungsstatut, bei einem Verfahren in der Schweiz das schweizerische Recht) gilt.

Die vorgeschlagene Neufassung von Artikel 92 Absatz 2 IPRG beseitigt eine bestehende Unsicherheit.43 Es soll klargestellt werden, dass mit der Unterstellung der Willensvollstreckung unter das Eröffnungsstatut primär deren «verfahrensrechtliche Aspekte» (behördliche Aufsicht, Rechtsbehelfe der Erben etc.) erfasst werden sollen. Was die materiellen Aspekte anbelangt, folgt der Entwurf der von der bundesrätlichen Botschaft zum IPRG44 (basierend auf der damaligen Lehre45) skizzierten Linie. Die Rechte und Pflichten des Willensvollstreckers (Aufgaben, Befugnisse, Sorgfaltspflichten, Entschädigungsansprüche etc.) unterstehen grundsätzlich dem Erbstatut. Seine Stellung in Bezug auf den Nachlass, d.h. die Frage des Eigentums («der Berechtigung») an diesem und seiner Verfügungsmacht darüber, beurteilt sich demgegenüber nach dem Eröffnungsstatut.

Im geltenden Artikel 92 ist lediglich von der Willensvollstreckung die Rede. Die vorgeschlagene Neufassung nennt der Klarheit halber neu auch die «Nachlassverwaltung». Damit ist die behördlich angeordnete Nachlassabwicklung gemeint, wie die Abwicklung durch einen administrator nach common law oder durch einen «Nachlassverwalter» im Sinne von Artikel 29 EuErbVO. Nicht erfasst werden soll ein blosser Erbschaftsverwalter nach Artikel 554 ZGB, dessen Aufgabenbereich sich auf sichernde Massnahmen beschränkt.46 Die reine Erbschaftsverwaltung soll weiterhin vollumfänglich dem Eröffnungsstatut unterstehen.47 Im Interesse der Praxisfreundlichkeit wird dem Eröffnungsstatut bei der Willensvollstreckung und der Nachlassverwaltung ein weiter Geltungsbereich zugewiesen.

Diese Lösung hat den Vorteil, dass bei Geltung des Erbrechts eines Common-lawStaats in einem schweizerischen Erbschaftsverfahren ein im Testament bezeichneter executor grundsätzlich wie ein Willensvollstrecker nach ZGB behandelt und die bei Fehlen einer entsprechenden testamentarischen Verfügung vorgesehene Einsetzung eines administrator durch Anordnung einer amtlichen Liquidation im Sinne von Artikel 593
ZGB umgesetzt werden kann.48 Damit lässt sich ein executor oder administrator problemlos in das System des schweizerischen Zivilrechts einpassen.

Hinsichtlich Erbbescheinigung, Willensvollstreckerbescheinigung, Eintragung ins Grundbuch etc. kann auf die für Binnensachverhalte geltenden Regeln des schweizerischen Rechts zurückgegriffen werden. Dies hat auch den Vorteil, dass die schweizerischen Behörden nicht abzuklären brauchen, ob nach dem den executor oder administrator vorsehenden Erbstatut der betreffenden Person Eigentümerstellung am 43 44 45 46 47 48

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 24.

Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), BBl 1983 I 263., Ziff. 263.5.

Siehe dazu etwa Vischer/von Planta, 145.

Vgl. BGE 145 III 205 E. 4.4.5.

Siehe zur aktuellen Rechtslage das Urteil des Bundesgerichts 5A_758/2007 vom 3. Juni 2008.

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, Fn. 53.

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Nachlass zukommt. Diese Frage lässt sich nicht immer leicht beantworten. Dem Erbstatut wird bei all dem noch hinreichend Rechnung getragen.49 Die hier vorgeschlagene Lösung entspricht der herrschenden Lehre zum geltenden Artikel 92 IPRG.50 Auch dass sich die Verfügungsmacht des Willensvollstreckers oder Nachlassverwalters nach dem Eröffnungsstatut beurteilt, stellt eine erhebliche Erleichterung für die Behandlung des Nachlasses in der Schweiz dar. Die diesbezüglichen Regeln der Common-law-Rechtsordnungen, gemäss denen der executor und der administrator in der Regel die Stellung eines Trustees haben, lassen sich in einem schweizerischen Kontext nur schwer umsetzen.51 Die Unterstellung der Verfügungsmacht unter das Eröffnungsstatut dient ausserdem dem Schutz des Rechtsverkehrs. Drittpersonen, die mit einem in einem schweizerischen Nachlassverfahren eingesetzten Willensvollstrecker oder Nachlassverwalter in geschäftlichen Kontakt kommen, können auf die Geltung der schweizerischen Regeln über die Verfügungsfähigkeit vertrauen.

Entsprechende Interessen werden im IPRG auch an anderer Stelle52 geschützt.

«Verfügungsmacht» ist vorliegend in einem weiten Sinne zu verstehen. Der Begriff bezieht sich nicht nur auf die Veräusserung oder Belastung von Nachlasswerten, sondern auch auf das Eingehen von Verpflichtungen zulasten des Nachlasses. Auch die Wendung «Berechtigung am Nachlass» ist weit zu verstehen. Sie soll die Frage des Besitzes und des Anrechts auf Besitz miterfassen.

Wird ein Willensvollstrecker oder Nachlassverwalter im Rahmen eines ausländischen Nachlassverfahrens eingesetzt und kann die betreffende behördliche Verfügung nach Artikel 96 IPRG in der Schweiz anerkannt werden, bestimmen sich die Berechtigung am Nachlass und die Verfügungsmacht darüber nach demjenigen Recht, das der besagten behördlichen Verfügung zugrunde liegt.53 Nach der EuErbVO (Art. 29 Abs. 2 UAbs. 3) ist im Zusammenhang mit einer Nachlassverwaltung der «Übergang des Eigentums an dem Nachlassvermögen» nach dem Erbstatut zu beurteilen. Daraus ergibt sich jedoch kein Risiko für Konflikte mit dem schweizerischen Recht. Artikel 29 EuErbVO betrifft die Einsetzung eines Nachlassverwalters im Rahmen eines Nachlassverfahrens, das in einem EuErbVO-Mitgliedstaat abgewickelt wird. Aus schweizerischer Sicht gilt für die eingesetzte Person das im vorangehenden Absatz Ausgeführte.

49 50 51

52 53

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 25.

Siehe BGE 145 III 205 E. 4.4.3 sowie Künzle, Art. 92 N 16, je mit Hinweisen.

Ähnliche Überlegungen und im Ergebnis übereinstimmende Lösung (auch in Bezug auf die Frage der Berechtigung am Nachlass): Rechtsgutachten der damaligen Justizabteilung des EJPD, VPB 37/1973 Nr. 57. Diesem folgend Bucher, Art. 92 IPRG N 7; Diggelmann/Wolf, 89, und Berther, 218 f. Vgl. auch Dutoit, Art. 92 N 5, Künzle, Art. 92 N 16, sowie BGE 145 III 2059 E. 4.4.3.

Siehe etwa Art. 126 Abs. 2 und Art. 158 IPRG.

So implizit Art. 67 Abs. 1 Bst. a Ziff. 2 und 4 und Bst. b Ziff. 3 der Grundbuchverordnung vom 23. September 2011 (GBV, SR 211.432.19) betreffenden Eigentumsübergang von einem executor oder administrator («Zwischenberechtigter») an einen Trustee.

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Vorbemerkungen zu Art. 94 E-IPRG Der geltende Artikel 94 IPRG regelt das auf die Frage der rechtlichen Fähigkeit anwendbare Recht, ein Testament oder eine andere Verfügung von Todes wegen zu verfassen (Verfügungsfähigkeit). Die betreffende Regelung soll nun durch eine neue Bestimmung ersetzt werden, die ganz allgemein das auf Testamente anwendbare Recht festlegt. Sie ist mit dem Randtitel «Letztwillige Verfügungen» (dem gesetzlichen Begriff für Testamente) versehen. Soweit es um Erbverträge geht, wird die bisherige Regelung in Artikel 95 E-IPRG überführt. Die Verfügungsfähigkeit in Zusammenhang mit weiteren Arten von Verfügungen von Todes wegen (wie Schenkungen auf den Todesfall) ist neu in Artikel 95a E-IPRG geregelt.

Hauptzweck der Neufassung von Artikel 94 IPRG ist eine Anpassung an die EuErbVO im Interesse einer Rechtsharmonisierung. Fragen, die ein Testament betreffen, unterstehen heute grundsätzlich dem auf den Nachlass als Ganzen anwendbaren Recht (Erbstatut). Neu ist nun ­ nach dem Vorbild von Artikel 24 EuErbVO ­ eine Sonderanknüpfung dieser Fragen vorgesehen. Für Erbverträge kennt das IPRG bereits eine entsprechende Sonderanknüpfung (Art. 95 IPRG). Für Testamente sieht es hingegen lediglich eine auf die Fragen der Formgültigkeit (Art. 93 IPRG) und der Verfügungsfähigkeit (siehe oben) beschränkte partielle Sonderanknüpfung vor.

Art. 94 Abs. 1 E-IPRG Hauptzweck der Neufassung von Artikel 94 IPRG ist wie gesagt eine Anpassung an Artikel 24 EuErbVO. Analog zu dieser Bestimmung sollen daher Fragen, die ein Testament betreffen, dem Recht am Wohnsitz der verfügenden Person zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung unterstehen und nicht mehr dem Wohnsitzrecht zum Zeitpunkt des Erbfalls.54 Es verbleibt insofern ein Unterschied zu Artikel 24 EuErbVO, als an den Wohnsitz und nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft wird. Dies ergibt sich aus der Grundsatzentscheidung, für die Zwecke des IPRG weiterhin auf den Wohnsitz und nicht ­ wie die EuErbVO ­ auf den gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen (siehe oben, Ziff. 3.1.2).

Im Vorentwurf wurde auf eine detaillierte Umschreibung des sachlichen Geltungsbereichs des neugefassten Artikel 94 verzichtet. Dieser Ansatz ist im Vernehmlassungsverfahren auf Kritik gestossen. Der vorliegende Entwurf legt daher fest, welche Fragenbereiche im Zusammenhang mit
Testamenten von Artikel 94 IPRG erfasst werden sollen. Es sind dies die «materielle Wirksamkeit, die Widerrufbarkeit und die Auslegung» von Testamenten sowie «die Wirkungen der darin enthaltenen Anordnungen». Welche Fragen mit «materielle Wirksamkeit» gemeint sind, wird in Artikel 95b E-IPRG umschrieben.

Nicht in den Geltungsbereich von Artikel 94 fällt die Formgültigkeit, die (anders als im Vorentwurf vorgeschlagen) weiterhin in Artikel 93 IPRG geregelt ist. Die dort vorgesehene Lösung entspricht derjenigen der EuErbVO.55 Artikel 94 E-IPRG (in Verbindung mit Art. 95b E-IPRG) erfasst auch «die Zulässigkeit» und «die Wirkungen» der im Testament «enthaltenen Anordnungen» (Nacher54 55

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 27 f.

Siehe dazu den Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 30.

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beneinsetzung, Stiftungserrichtung etc.). Ob Artikel 24 EuErbVO gleich weit geht, ist umstritten. Für den Miteinbezug der erwähnten Fragebereiche bei Artikel 94 E-IPRG spricht aber nebst anderen Erwägungen die Parallelität zu Artikel 95 IPRG, der in einem umfassenden Sinne verstanden wird (dazu unten, zu Artikel 95 Absatz 1 E-IPRG).56 Art. 94 Abs. 2 E-IPRG Hat die verfügende Person ihren Nachlass vollumfänglich einem ihrer Heimatrechte unterstellt, tritt dieses an die Stelle des in Absatz 1 genannten Rechts. Vorausgesetzt wird eine Unterstellung des «ganzen» Nachlasses. Bei einer blossen Teilrechtswahl (vgl. Art. 91 Abs. 3 E-IPRG) gelangt die Regel des Artikel 94 Absatz 2 E-IPRG daher nicht zur Anwendung.

Artikel 95 Absatz 2 E-IPRG enthält eine analoge Bestimmung für Erbverträge, die auf dem geltenden Artikel 95 Absatz 2 IPRG basiert (Näheres dazu unten, zu Artikel 95 Absatz 2 E-IPRG). Die Regelung in Artikel 94 Absatz 2 E-IPRG entspricht überdies derjenigen in der EuErbVO.57 Art. 94 Abs. 3 E-IPRG, erster Satz Gemäss Artikel 94 Absatz 3 Satz 1 E-IPRG kann die verfügende Person ihr Testament bzw. die von Artikel 94 E-IPRG erfassten Rechtsfragen (siehe dazu oben, zu Abs. 1) auch direkt einem ihrer Heimatrechte unterstellen. Das gewählte Recht tritt hier wiederum an die Stelle des nach Absatz 1 bezeichneten. Eine Rechtswahl nach Absatz 3 geht einer Unterstellung des gesamten Nachlasses unter das Recht eines anderen Heimatstaates im Sinne von Absatz 2 vor.

Es besteht erneut Parallelität zu dem für Erbverträge vorgesehenen Regime (Näheres dazu unten, zu Art. 95 Abs. 4 E-IPRG) sowie Übereinstimmung mit der Regelung in der EuErbVO (siehe dort Art. 24 Abs. 2).

Art. 94 Abs. 3 E-IPRG, zweiter Satz Der zweite Satz von Artikel 94 Absatz 3 E-IPRG entspricht dem zweiten Satz von Artikel 91 Absatz 1 sowie dem zweiten Satz von Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG. In der EuErbVO ist die Frage gleich geregelt.

Art. 95 Abs. 1 IPRG Anders als für Testamente (vgl. oben, Vorbemerkungen zu Art. 94 E-IPRG), sieht das geltende IPRG für Erbverträge bereits eine umfassende Sonderanknüpfung vor.

Die betreffende Regelung ist in Artikel 95 IPRG enthalten. Die Anknüpfung ist grundsätzlich dieselbe wie die vorliegend für Testamente vorgesehene (siehe dazu oben, zu Artikel 94 Absatz 1 E-IPRG).

56 57

Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 28.

Vgl. Bonomi, Bonomi/Wautelet, Art. 24 N 23.

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Im Unterschied zur entsprechenden Bestimmung des geltenden Rechts und des Vorentwurfs enthält Artikel 95 Absatz 1 E-IPRG auf Wunsch verschiedener Vernehmlassungsteilnehmender eine Umschreibung des sachlichen Anwendungsbereichs der für Erbverträge vorgesehenen Sonderanknüpfung. Die Auflistung entspricht derjenigen in Artikel 94 Absatz 1 E-IPRG (siehe dazu oben, zu Artikel 94 Absatz 1 E-IPRG), ausser dass von «Bindungswirkungen» anstelle von «Widerrufbarkeit» die Rede ist. Für die Konkretisierung des Begriffs «materielle Wirksamkeit» gilt auch hier Art. 95b E-IPRG. Inhaltlich ist keine Änderung gegenüber dem geltenden Artikel 95 IPRG beabsichtigt. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung wird weit verstanden.58 Dem geltenden Recht entspricht auch, dass die Frage der Formgültigkeit ­ wie bei den Testamenten (siehe dazu oben, zu Art. 94 Abs. 1 E-IPRG) ­ in Artikel 93 IPRG geregelt ist.

Artikel 95 Absatz 1 E-IPRG stimmt im Wesentlichen mit der einschlägigen Regelung in der EuErbVO überein (siehe dort Art. 25 f.; zu den Unterschieden punkto Anknüpfung und Anwendungsbereich siehe oben, zu Artikel 94 Absatz 1 E-IPRG).

Art. 95 Abs. 2 E-IPRG Der geltende Artikel 95 Absatz 2 IPRG sieht vor, dass dort, wo die verfügende Person den Nachlass ihrem Heimatrecht unterstellt, dieses auch für den Erbvertrag massgebend ist. Der Entwurf passt diese Bestimmung nun inhaltlich an die EuErbVO an, indem er vorsieht, dass eine Unterstellung des Nachlasses unter das Heimatrecht auch dann zu berücksichtigen ist, wenn sie vor dem Erbvertrag («in einer früheren Verfügung») erfolgt ist.

Im Übrigen wird «ein Erblasser» durch «der Verfügende» ersetzt und «seinem Heimatrecht» durch «dem Recht eines seiner Heimatstaaten». Das gewählte Recht tritt zudem neu «an die Stelle des in Absatz 1 bezeichneten Rechts» statt «an die Stelle des Wohnsitzrechts». Diese Neuformulierungen dienen lediglich der Klarheit und der sprachlichen Konsistenz. Inhaltliche Änderungen sind nicht beabsichtigt.

Nicht geändert hat sich, dass im Rechtstext von einer Unterstellung des «ganzen» Nachlasses die Rede ist. Eine blosse Teilrechtswahl (vgl. Art. 91 Abs. 3 E-IPRG) ist demnach nicht zu berücksichtigen. Bei Vorliegen einer solchen bleibt der Erbvertrag dem in Absatz 1 bezeichneten Recht unterstellt.

Art. 95 Abs. 3 E-IPRG, erster und zweiter Satz, und Randtitel.
Der geltende Artikel 95 Absatz 3 IPRG bestimmt, dass «gegenseitige» Erbverträge, d.h. Erbverträge, in denen mehr als eine Partei über ihren Nachlass verfügt, «dem Wohnsitzrecht [im Sinne von Abs. 1] jedes Verfügenden oder dem von ihnen gewählten gemeinsamen Heimatrecht entsprechen» müssen. Was dies genau bedeuten soll, ist unklar. Im Schrifttum werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten, sodass hier eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht.

58

Genaueres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 30, m. Hinw.

auf BGE 138 III 489 E. 3.3.1; Botschaft IPRG, Ziff. 264.1; Heini, Art. 95 N 11; Bucher, Art. 95 N 2, und Dutoit, Art. 95 N 1.

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Der Bundesrat hat sich nun für eine Klarstellung im Sinne der liberalsten und seiner Meinung nach sachgerechtesten Auffassung59 entschieden. Der oben wiedergegebene Passus ist im Entwurf durch neuen (im Vorentwurf noch nicht enthaltenen) Text ersetzt worden. Danach wird jede Verfügung eines zwei- oder mehrseitigen Erbvertrags nach ihrem eigenen Recht (dem in Abs. 1 und 2 bezeichneten Wohnsitz- bzw.

Heimatrecht der verfügenden Person) beurteilt. Der Erbvertrag als Ganzes ist aber nur beachtlich, wenn sämtliche Verfügungen nach dem jeweiligen Recht gültig sind und Bindungswirkung zeitigen (d.h. durch die verfügende Person nicht einseitig abgeändert werden können).

Somit wird nicht verlangt, dass die einzelnen Verfügungen den Anforderungen sämtlicher involvierten Rechtsordnungen (des Wohnsitz- oder Heimatrechts sämtlicher Verfügenden) entsprechen, wie dies unter dem geltenden Recht von einem gewichtigen Teil der Lehre gefordert wird. Eine solche Lösung wäre unnötig restriktiv und widerspräche dem im schweizerischen Erbrecht geltenden (und auch dem aktuellen Art. 94 IPRG zugrundeliegenden) Grundsatz, wonach Verfügungen der verstorbenen Person nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten sind (favor testamenti).

Die gleichzeitige Geltung mehrerer Rechtsordnungen ist besonders dann problematisch, wenn es darum geht, die einzelnen Wirkungen einer spezifischen erbvertraglichen Anordnung (z.B. einer Nacherbeneinsetzung) zu beurteilen. Insbesondere ist unklar, was gelten soll, wenn die einzelnen Rechtsordnungen unterschiedliche Rechtswirkungen vorsehen. (Im erwähnten Beispiel der Nacherbeneisetzung ist die jeweilige Stellung des Vor- und des Nacherben nicht in jedem Recht gleich geregelt.) Auch die Auslegung einer Verfügung kann schwerlich nach zwei verschiedenen Rechtsordnungen erfolgen.

Die EuErbVO (siehe dort Art. 25 Abs. 2) unterstellt bei Erbverträgen mit mehr als einer verfügenden Partei die einzelnen Verfügungen grundsätzlich ebenfalls einem einzigen Recht. Die kumulative Anwendbarkeit mehrerer Rechtsordnungen sieht sie nur für den beschränkten Bereich der grundsätzlichen Zulässigkeit des Erbvertrags vor. Anders als nach der vorliegend vorgesehenen Lösung untersteht aber nicht jede Verfügung ihrem eigenen Recht (dem Wohnsitz- oder Heimatrecht der verfügenden Person). Vielmehr ist von den betreffenden
Rechtsordnungen diejenige zu ermitteln, zu welcher der Erbvertrag «die engste Verbindung hat», und diese dann auf sämtliche Verfügungen anzuwenden. Sowohl unter den Expertinnen und Experten als auch im Vernehmlassungsverfahren war unbestritten, dass diese Lösung nicht übernommen werden sollte. Die Anknüpfung an die engste Verbindung ist zu unbestimmt und gewährleistet nicht die gewünschte Rechtssicherheit. Die Regelung in Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG bewirkt aber immerhin eine Annäherung an die Lösung der EuErbVO, indem die Parteien nun die Gesamtheit der Verfügungen dem Wohnsitz- oder Heimatrecht eines der Verfügenden unterstellen können (dazu unten, zu Art. 95 Abs. 4 E-IPRG). Was den Bereich der grundsätzlichen Zulässigkeit des Erbvertrags anbelangt, führen die Ansätze der EuErbVO und des vorliegenden Entwurfs zum selben Ergebnis: Ein Erbvertrag ist nur zu beachten, wenn er nach dem Wohnsitzoder Heimatrecht aller verfügenden Parteien gültig ist.

59

Siehe zu dieser inbes. Heini, Art. 95 N 8; Schnyder/Liatowitsch, Art. 95 N 5, und Dutoit, Art. 95 N 4.

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Die Verweisung auf die Absätze 1 und 2 in Artikel 95 Absatz 3 E-IPRG macht klar, dass das jeweils auf die einzelnen Verfügungen anwendbare Recht sich nach Artikel 95 Absatz 1 und 2 E-IPRG bestimmt. Damit wird insbesondere klargestellt, dass Artikel 95 Absatz 2 E-IPRG (wonach bei Unterstellung des Nachlasses unter ein Heimatrecht dieses auch auf die betreffende erbvertragliche Verfügung anwendbar wird) auch bei Erbverträgen mit mehr als einer verfügenden Partei gilt. 60 Die EuErbVO enthält eine analoge Regelung. Die Geltung von Artikel 95 Absatz 2 E-IPRG unterliegt nicht der einschränkenden Voraussetzung, dass sämtliche verfügende Parteien ihren Nachlass ein und demselben Recht unterstellt haben und es sich dabei um ein gemeinsames Heimatrecht handelt, wie dies zum Teil unter dem geltenden Recht angenommen wird.61 Der im geltenden Artikel 95 Absatz 3 IPRG enthaltene Passus «oder dem von ihnen gewählten gemeinsamen Heimatrecht» ist im Entwurf nicht mehr vorgesehen. An seine Stelle tritt Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG.

Weitere Neuerungen gegenüber dem geltenden Artikel 95 Absatz 3 IPRG bestehen darin, dass «Verfügungen von Todes wegen» durch «Erbverträge» ersetzt werden und gleichzeitig in einem neuen Satz festgehalten werden soll, dass gewisse Kombinationen von Testamenten Erbverträgen gleichgesetzt sind (Näheres dazu unten, zu Artikel 95 Absatz 3 E-IPRG, dritter Satz).62 Daneben soll auf das missverständliche Attribut «gegenseitige» verzichtet werden. Stattdessen heisst es nun klarer «Erbverträge mit zwei oder mehreren Verfügenden». 63 Aufgrund dieser Neuerungen kann der bisherige Randtitel von Artikel 95 IPRG auf «Erbverträge» verkürzt werden.

Art. 95 Abs. 3 E-IPRG, dritter Satz Mit dem dritten Satz von Artikel 95 Absatz 3 E-IPRG werden gewisse Kombinationen von Testamenten den Erbverträgen im Sinne von Artikel 95 zugerechnet (vgl.

den vorangehenden Absatz). Erfasst werden sollen dabei aufeinander abgestimmte Testamente, die wie die sogenannten «wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testamente» des deutschen Rechts oder die mutual wills des common law64 als Ausdruck einer verbindlichen Vereinbarung zwischen den Verfügenden verstanden werden und somit materiell einer erbvertraglichen Regelung gleichkommen. Die EuErbVO (siehe dort Art. 3 Abs. 1 Bst. b) behandelt solche Konstellationen ebenfalls als
Erbvertrag.

Art. 95 Abs. 4 E-IPRG, erster Satz Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG sieht vor, dass die Parteien eines Erbvertrags diesen (d.h. die in Abs. 1 genannten Bereiche) einem der Heimatrechte der verfügenden Partei bzw. einer der verfügenden Parteien unterstellen können, je nachdem, ob es

60 61 62 63 64

Zustimmend Widmer Lüchinger, S. 17.

Siehe etwa Schnyder/Liatowitsch, Art. 95 N 6.

Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 32 f.

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 33.

Vgl. Bonomi, Bonomi/Wautelet, Art. 25 N 7.

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sich um einen einseitigen oder mehrseitigen Erbvertrag handelt.65 Sie stimmt mit der einschlägigen Regelung in der EuErbVO überein (siehe dort Art. 25 Abs. 3).

Im Vorentwurf noch nicht enthalten war der Zusatz, wonach die Parteien auch eines der Wohnsitzrechte der Verfügenden wählen können. Diese Regelung ist auf zweioder mehrseitige Erbverträge zugeschnitten. Für einseitige Erbverträge wird keine entsprechende Rechtswahloption gewährt. Die EuErbVO sieht zwar auch für zweioder mehrseitige Erbverträge nichts Entsprechendes vor. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die meisten Gerichte das gewählte Wohnsitzrecht als das Recht mit der engsten Verbindung zum Erbvertrag im Sinne von Artikel 25 Absatz 2 Unterabsatz 2 EuErbVO ansehen und die Rechtswahl somit indirekt anerkennen werden. So gesehen bewirkt der zusätzliche Passus in Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG zumindest eine Annäherung an die EuErbVO.

Während es in Artikel 95 Absatz 2 E-IPRG um eine Rechtswahl für den gesamten Nachlass geht, die vom Gesetz auf die sie enthaltende erbvertragliche Verfügung erstreckt wird, betrifft Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG eine gezielt für den Erbvertrag und die darin enthaltenen Verfügungen getroffene Rechtswahl. Diese geht einer Rechtswahl nach Absatz 2 vor.

Inwieweit das geltende Recht eine entsprechende Rechtswahloption vorsieht, ist unklar.66 Artikel 95 Absatz 4 E-IPRG beseitigt somit eine bestehende Rechtsunsicherheit. Darüber hinaus bewirkt die vorgeschlagene Neuregelung eine Erweiterung des Gestaltungsspielraums der Parteien. Die Parteien haben nun die Möglichkeit, den Erbvertrag und die darin enthaltenen Verfügungen einem einheitlichen Recht zu unterstellen, auch wenn sie über keine gemeinsame Staatsangehörigkeit verfügen.

Diese Option ist nicht zuletzt auch deshalb vorteilhaft, weil sie eine gewisse Koordination mit dem Güterrecht ermöglicht (vgl. Art. 52 Abs. 2 IPRG).

Der geltende Artikel 95 Absatz 4 IPRG befasst sich mit einer völlig anderen Frage: Er enthält einen Vorbehalt zugunsten der Artikel 93 und 94 IPRG. Dieser ist mit der Neufassung von Artikel 95 Absatz 1 IPRG obsolet geworden.

Art. 95 Abs. 4 E-IPRG, zweiter Satz Der zweite Satz von Absatz 4 lehnt sich an den zweiten Satz von Artikel 91 Absatz 1 E-IPRG an. Auch hier soll die Unterstellung unter ein bestimmtes Heimatrecht nicht hinfällig
werden, wenn die betreffende Person dem jeweiligen Staat nicht mehr angehört. Im Hinblick darauf, dass Artikel 95 IPRG im Interesse der Beständigkeit von Erbverträgen geschaffen wurde, drängt sich in seinem Kontext eine entsprechende Regelung geradezu auf. Die Rechtswahl ist zudem auch dann gültig, wenn die betreffende Person die einschlägige Staatsangehörigkeit erst nachträglich erlangt.

Die Regelung entspricht derjenigen in der EuErbVO (siehe dort Art. 25 Abs. 3 und Art. 22 Abs. 1). In einem Punkt besteht aber eine Differenz: Die Zugehörigkeit zum gewählten Staat muss spätestens im Todeszeitpunkt der erstversterbenden verfügenden Person gegeben sein. Es reicht nicht, dass sie beim Ableben einer der übrigen verfügenden Personen vorliegt. Diese Abweichung liegt darin begründet, dass das 65 66

Zustimmend Widmer Lüchinger, S. 20.

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 33.

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auf den Erbvertrag anwendbare Recht bereits beim ersten der vom Vertrag geregelten Todesfälle feststehen sollte.

Art. 95a E-IPRG Diese Bestimmung hält fest, dass Artikel 95 E-IPRG für andere vertragliche Verfügungen über den Nachlass sinngemäss gilt. Das klassische Beispiel für eine solche Verfügung ist die Schenkung von Todes wegen, die sich vom Erbvertrag durch ihre jederzeitige Widerrufbarkeit unterscheidet.

Unter dem aktuellen Recht gilt eine entsprechende Regelung nur für «gegenseitige Verfügungen von Todes wegen» (Art. 95 Abs. 3 IPRG). Ansonsten ist wie für Testamente das auf den Nachlass anwendbare Recht massgebend. Da im vorliegenden Entwurf nun Testamente und Erbverträge grundsätzlich gleich behandelt werden, drängt es sich auf, auch die übrigen Verfügungen von Todes wegen dem betreffenden Regime zu unterstellen. Dies gilt umso mehr, als die EuErbVO eine entsprechende Lösung vorsieht.67 Die sinngemässe Verweisung auf Artikel 95 E-IPRG betrifft primär dessen Absätze 1 und 4. Die Absätze 2 und 3 dürften in Zusammenhang mit Schenkungen auf den Todesfall kaum von Bedeutung sein.

Ehevertragliche Verfügungen betreffend die güterrechtliche Auseinandersetzung unterstehen den Bestimmungen des IPRG über das Ehegüterrecht, auch wenn sie sich auf den Todesfall beziehen.68 Dies gilt insbesondere auch für eine überhälftige Vorschlagsbeteiligung, wie sie in Artikel 216 Absatz 1 ZGB vorgesehen ist. Für die Frage der Verfügungsfreiheit ist jedoch wie bei den Erbverträgen das in Artikel 90 f.

E-IPRG bezeichnete Recht (Erbstatut) massgebend.69 Wo es um die Verletzung von Pflichtteilen geht, erfasst das Erbstatut die Anfechtung jeglicher Art von Zuwendung, unabhängig davon, ob es sich um eine erbrechtliche oder eine anderweitige Zuwendung handelt. Diese Rechtslage dürfte derjenigen unter der EuErbVO entsprechen. Auch im europäischen Kollisionsrecht ist die güterrechtliche Auseinandersetzung beim Tod eines Ehegatten grundsätzlich dem Ehegüterrecht zuzuordnen70, die Pflichtteilsanfechtung von nicht-erbrechtlichen Verfügungen aber vom Erbstatut miterfasst.71 Art. 95b Abs. 1 E-IPRG Die Bestimmung listet die Bereiche auf, die unter den in Artikel 94 Absatz 1 und Artikel 95 Absatz 1 E-IPRG verwendeten Begriff «materielle Wirksamkeit» fallen.

Die Frage der Verfügungsfähigkeit wird in dieser Auflistung ausdrücklich genannt.

Grund dafür ist, dass sie den Gegenstand des geltenden Artikel 94 IPRG bildet. Mit 67 68 69 70

71

Vgl. Bonomi, Bonomi/Wautelet, Art. 23 N 88.

Vgl. Art. 51 Bst. a und Art. 58 Abs. 2 IPRG.

Vgl. Bucher, Art. 56 N 4; Dutoit, Art. 56 N 3, und Widmer Lüchinger, ZK, Art. 56 N 7.

Diesen Grundsatz ­ entgegen einzelnen Lehrmeinungen ­ bestätigend: Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 1. März 2018 C-558/16 Mahnkopf, ECLI:EU:C:2018:138.

Siehe zu Letzterem Bonomi, Bonomi/Wautelet, Art. 25 N 6.

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der Integration des aktuellen Artikel 94 IPRG in die Artikel 94 und 95 E-IPRG werden die Anforderungen an die Verfügungsfähigkeit im Ergebnis etwas strenger, als sie es unter dem heutigen Recht sind. Verfügungen müssen nun dem in Artikel 94 oder 95 E-IPRG bezeichneten Recht entsprechen. Es reicht nicht mehr, dass sie nach einem anderen Recht mit engem Bezug gültig sind.72 Die praktische Bedeutung der Frage des anwendbaren Rechts für die Verfügungsfähigkeit beschränkt sich aber vorab auf die seltenen Konstellationen, bei denen die verfügende Person minderjährig ist und eine der involvierten Rechtsordnungen Personen unter 18 Jahren Verfügungsfähigkeit zuerkennt.73 Sämtliche Materien, die von der analogen Regelung in der EuErbVO (siehe dort Art. 26) erfasst werden, sollen durch die Auflistung in Artikel 95b Absatz 1 E-IPRG abgedeckt werden. Davon eingeschlossen sind allfällige Verbote, zugunsten bestimmter Personen zu verfügen (Art. 26 Abs. 1 Bst. b EuErbVO), die Zulässigkeit der Stellvertretung (Art. 26 Abs. 1 Bst. c EuErbVO) und Willensmängel wie Täuschung, Nötigung oder Irrtum (Art. 26 Abs. 1 Bst. e EuErbVO).

Art. 95b Abs. 2 E-IPRG Im zweiten Absatz von Artikel 95b E-IPRG wird festgehalten, dass der Bereich der Verfügungsfreiheit dem gemäss den Artikeln 90 f. E-IPRG auf den Nachlass anwendbaren Recht (Erbstatut) untersteht und somit nicht in den Geltungsbereich der Artikel 94­95a E-IPRG fällt. Eine entsprechende Rechtslage wird bereits unter dem geltenden Recht angenommen74 oder zumindest im als wünschenswert angesehen75.

Art. 96 Abs. 1 E-IPRG Artikel 96 IPRG regelt die Anerkennung von ausländischen «Entscheidungen, Massnahmen und Urkunden, die den Nachlass betreffen», sowie von Rechten «aus einem im Ausland eröffneten Nachlass». Die Anerkennung setzt gemäss dem geltenden Absatz 1 Buchstabe a grundsätzlich voraus, dass das jeweilige Anerkennungsobjekt aus dem Staat des letzten Wohnsitzes der verstorbenen Person oder aus dem Staat, dessen Recht sie gewählt hat, stammt oder in einem dieser Staaten anerkannt wird.

Der Entwurf regelt nun die beiden Anknüpfungspunkte letzter Wohnsitz und Rechtswahl in separaten Unterabsätzen (Buchstaben a und c). Die Anknüpfung an die Rechtswahl wird dabei etwas restriktiver ausgestaltet. Im Gegenzug ist neu eine Unterstellung unter die Zuständigkeit eines bestimmten
Staates (Prorogation) einer Rechtswahl zugunsten desselben gleichgestellt (Näheres dazu unten, zu Art. 96 Abs.

1 Bst. c E-IPRG). In Buchstabe d sieht der Entwurf weitere anerkannte ausländischen Zuständigkeiten für den Fall vor, dass sich der letzte Wohnsitzstaat nicht mit dem Nachlass befasst (Näheres dazu unten, zu Art. 96 Abs. 1 Bst. d E-IPRG).

72 73 74 75

Näheres dazu im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 29.

Vgl. Widmer Lüchinger, S. 26, (die allerdings die Neuerung dennoch kritisiert).

Vgl. Bucher, Art. 95 N 2 m. Hinw.; Dutoit, Art. 95 N 1, und Künzle, Art. 95 N 4.

Vgl. Heini, Art. 95 N 11.

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Mit dem neu eingefügten Passus «unter Vorbehalt von Artikel 87 Absatz 2» soll klargestellt werden, dass ausländische Rechtsakte nicht anerkannt werden, wenn die verstorbene Person über die Schweizer Staatsangehörigkeit verfügte und ihren Nachlass der Zuständigkeit der schweizerischen Behörden unterstellt hatte, sei es direkt mit einer Prorogation oder indirekt über eine Rechtswahl (siehe dazu oben, zu Art. 87 Abs. 2 E-IPRG). Eine entsprechende Klarstellung war im Vernehmlassungsverfahren gewünscht worden. Die Regelung entspricht der Praxis des Bundesgerichts.76 Art. 96 Abs. 1 Bst. a E-IPRG Wie oben erwähnt bezieht sich Artikel 96 Absatz 1 Buchstabe a IPRG in der Fassung des vorliegenden Entwurfs nur noch auf Rechtsakte, die aus dem letzten Wohnsitzstaat der verstorbenen Person stammen oder dort anerkannt werden.

Rechtsakte mit Bezug zum Staat, dessen Recht der Nachlass unterstellt worden war, sind jetzt Gegenstand eines neuen Buchstaben c. Ansonsten soll in Buchstabe a nichts geändert werden.

Der vorliegende Entwurf sieht auch bei Artikel 96 IPRG davon ab, «Wohnsitz» durch «gewöhnlichen Aufenthalt» zu ersetzen. Die Überlegungen sind hier dieselben wie in Zusammenhang mit den Bestimmungen über die schweizerische Zuständigkeit und über das anwendbare Recht (vgl. dazu oben, Ziff. 3.2.1).

Art. 96 Abs. 1 Bst. c E-IPRG Die Anknüpfung an das gewählte Recht im geltenden Absatz 1 Buchstabe a (vgl.

oben, zu Art. 96 Abs. 1 E-IPRG) wirft die Frage auf, ob nur eine zulässige Rechtswahl berücksichtigt werden und nach welchem Recht sich die Zulässigkeit gegebenenfalls beurteilen soll. Mit dem vorliegenden Entwurf soll nun diese Rechtsunsicherheit beseitigt werden.

Im Schrifttum scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass nur eine zulässige Rechtswahl zu berücksichtigen ist. Kontrovers ist lediglich, wie diese Zulässigkeit beurteilt werden soll. Vorliegend wird eine Lösung vorgeschlagen, die eher auf der Linie des restriktiven Ansatzes im Schrifttum liegt.77 Danach soll das gewählte Recht für die Frage der Zuständigkeit des betroffenen ausländischen Staates nur noch dann relevant sein, wenn es sich dabei um das Recht des Heimatstaats bzw.

eines der Heimatsstaaten der verstorbenen Person handelt. Im Gegenzug soll neu auch eine Prorogation zugunsten eines der Heimatstaaten berücksichtigt werden, was sich schon
aufgrund der in Artikel 88b E-IPRG vorgesehenen Prorogationsbefugnis aufdrängt. Auf redaktioneller Ebene werden diese Neuerungen dahingehend umgesetzt, dass der das gewählte Recht betreffende Passus in Artikel 96 Absatz 1 Buchstabe a IPRG gestrichen wird. Gleichzeitig wird Artikel 96 IPRG um einen neuen Buchstaben c ergänzt, der die Anerkennung von Rechtsakten des Heimatstaats bzw. der Heimatstaaten der verstorbenen Person regelt.

76 77

Urteil 5P.274/2002 vom 28. Oktober 2002 E. 4.1. Näheres zu diesem Revisionspunkt im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 35.

Vertreten etwa bei Bucher, Art. 96 N 2. Näheres zum Ganzen im Erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 35 f.

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Anerkannt werden sollen nur Rechtsakte, die im betreffenden Heimatstaat ergangen sind, nicht auch solche, die dort anerkannt werden. Der in Buchstabe a gestrichene Teil wird insofern nur teilweise in den neuen Buchstaben c übernommen. Die Expertengruppe war der Auffassung, dass Ausnahmen vom dem 6. IPRG-Kapitel zugrundeliegenden Grundsatz, wonach die Behörden am letzten Wohnsitz des Erblassers oder der Erblasserin für die Behandlung des Nachlasses zuständig sein sollen, restriktiv zu handhaben sind.

Art. 96 Abs. 1 Bst. d IPRG Rechtsakte aus einem Heimatsstaat der verstorbenen Person sollen im Übrigen dann anerkannt werden, wenn Letztere ihren Wohnsitz im Ausland hatte und der betreffende Staat sich nicht mit dem Nachlass befasst. Dasselbe gilt für Rechtsakte aus dem Staat eines allfälligen nicht mit dem Wohnsitz zusammenfallenden letzten gewöhnlichen Aufenthalts der verstorbenen Person oder, wenn nur einzelne Nachlasswerte betroffen sind, aus dem Staat, in dem diese liegen. Anders als im Vorentwurf, wird im vorliegend vorgeschlagenen Text klargestellt, dass es bei dem zu berücksichtigenden Lageort um «beweglichen» Nachlass geht. Für Grundstücke bleibt der geltende Artikel 96 Absatz 1 Buchstabe b IPRG massgebend.

Die Regelung in Buchstabe d ist als Ergänzung zu den neugefassten Artikeln 87 Absatz 1 und 88 Absatz 1 IPRG gedacht. Sie erlaubt die Vermeidung gewisser positiver Kompetenzkonflikte mit den EuErbVO-Mitgliedstaaten wie auch mit verschiedenen Drittstaaten (vgl. oben, zu Art. 87 Abs. 1 E-IPRG), ohne den Grundsatz der Zuständigkeit der Behörden am letzten Wohnsitz der verstorbenen Person zu tangieren.

Art. 199a E-IPRG Die Artikel 196­199 IPRG regeln übergangsrechtliche Fragen in Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des IPRG am 1. Januar 1989. Nach der Auffassung im Schrifttum gelten sie sinngemäss auch für jede Änderung des IPRG.78 Gemäss dem Bundesgericht79 können sie zumindest als Ausdruck der Regeln in Artikel 1­4 SchlT ZGB herangezogen werden, welche als allgemeine Rechtsgrundsätze gelten.

Artikel 199a E-IPRG hält diese sinngemässe Geltung nun ausdrücklich fest und schafft damit die logisch notwendige Basis für den nachfolgenden Artikel 199b E-IPRG. Beide Bestimmungen waren im Vorentwurf noch nicht enthalten.

Art. 199b E-IPRG, erster Satz Artikel 199b E-IPRG knüpft an Artikel 199a E-IPRG
an, wonach die Übergangsbestimmungen in den Artikeln 196­199 IPRG sinngemäss auch für Änderungen des IPRG gelten. Er setzt Artikel 196 Absatz 1 IPRG um, der bestimmt, dass die «rechtlichen Wirkungen von Sachverhalten oder Rechtsvorgängen, die vor Inkrafttreten [des neuen Rechts] entstanden und abgeschlossen sind», sich nach bisherigem Recht 78 79

Vgl. Trüten, Vorbem. zu 196­199 N 2.

BGE 145 III 109 E. 5.4.

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beurteilen. Aus dieser Regel lässt sich ableiten, dass sich die rechtlichen Wirkungen des Todes einer Person auf ihr Vermögen nach demjenigen Recht beurteilen, das zum Todeszeitpunkt in Kraft war. Dementsprechend ist nun vorgesehen, dass die Änderungen des 6. Kapitels für diejenigen Todesfälle gelten, die sich nach ihrem Inkrafttreten ereignet haben.

Artikel 196 IPRG wird wie gesagt als Ausfluss von Artikel 1 SchlT ZGB verstanden. In Artikel 15 SchlT ZGB wird der darin verankerte Grundsatz für das Erbrecht ebenfalls dahingehend konkretisiert, dass sich das massgebende Recht nach dem Todeszeitpunkt bestimmt. Auch die EuErbVO (siehe dort Art. 83 Abs. 1) stellt für ihren zeitlichen Geltungsbereich auf den Todeszeitpunkt des Erblassers oder der Erblasserin ab.

Art. 199b E-IPRG, zweiter Satz Die Regelung des vorgenannten Artikels 15 SchlT ZGB erfährt allerdings eine Einschränkung in Artikel 16 SchlT ZGB. Verfügungen von Todes wegen, die unter altem Recht gültig waren, sollen gültig bleiben, auch wenn der Erbfall erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts eintritt. Entsprechendes ist nun auch für eine Revision des 6. IPRG-Kapitels vorgesehen, was der zweite Satz von Artikel 199b E-IPRG zum Ausdruck bringt.

Die Regelung dient dem Schutz des Vertrauens der verfügenden Person, dass ihre in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht getroffenen Anordnungen Bestand haben. Im Rahmen der vorliegenden Gesetzesrevision ist sie für den Bereich der materiellen Wirksamkeit (im Sinne von Art. 94 Abs. 1 und Art. 95 Abs. 1 E-IPRG) von Bedeutung und dort vor allem für Testamente (für die sich die Rechtslage stärker ändert als für Erbverträge). Hinsichtlich der formellen Wirksamkeit hat die Revision keine Neuerungen ergeben.

Auch der zweite Satz von Artikel 199b E-IPRG hat eine Entsprechung in der EuErbVO. Die Bestimmung von Artikel 83 Absatz 3 EuErbVO beruht auf dem gleichen Prinzip.

Art. 199b E-IPRG, dritter Satz Der Bestandsschutz gemäss Artikel 16 SchlT ZGB und Artikel 83 Absatz 3 EuErbVO gilt allerdings nicht für die Frage der Verfügungsfreiheit. Der dritte Satz von Artikel 199b E-IPRG sieht daher Entsprechendes für die Regelung im zweiten Satz vor. Für den Bereich der Verfügungsfreiheit gilt somit ohne Einschränkung die Regel des ersten Satzes von Artikel 199b E-IPRG.

Nachdem die Verfügungsfreiheit von Artikel 94 Absatz 1 und Artikel 95 Absatz 1 E-IPRG nicht erfasst wird, werden sich aber in Bezug auf sie ohnehin nur selten übergangsrechtliche Fragen stellen.

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Auswirkungen

5.1

Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden

Das vorliegende Gesetzgebungsprojekt ist dem Bereich des Privat- und Zivilprozessrechts zuzuordnen. Es begründet keine neuen Staatsaufgaben. Darüber hinaus bleibt auch die bestehende Organisationsordnung unberührt. Nennenswerte Auswirkungen auf die Geschäftslast der einzelnen Behörden sind ebenfalls nicht zu erwarten.

Folglich ist nicht mit personellen oder spürbaren finanziellen Auswirkungen zu rechnen.

Entgegen einem entsprechenden Wunsch eines einzelnen Kantons wird im vorliegenden Entwurf auf einen Vorbehalt zugunsten der kantonalen Steuerhoheit in Erbsachen verzichtet. Steuerfragen sind nicht Gegenstand des IPRG. Dementsprechend lassen seine Zuständigkeitsbestimmungen die kantonale Befugnis zur Erhebung von Erbschaftssteuern am letzten Wohnsitz der verstorbenen Person unberührt.

Auch bestehende Doppelbesteuerungsabkommen werden nicht tangiert. Knüpft eine kantonale Steuergesetzgebung von sich aus an die erbrechtliche Zuständigkeit an, kann dies schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (fehlende Bundeskompetenz) nicht über das IPRG korrigiert werden.

5.2

Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Volkswirtschaft

Die Bürgerinnen und Bürger werden von mehr Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit profitieren.

Ein Mehr an Rechtsicherheit ist grundsätzlich auch im Interesse der Volkswirtschaft.

Nennenswerte Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sind allerdings vorliegend nicht zu erwarten.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Das vorliegende Rechtssetzungsprojekt schlägt Anpassungen eines bestehenden Gesetzes (des IPRG) vor, das sich auf Artikel 54 und 122 der Bundesverfassung 80 (Bundeskompetenz für auswärtige Angelegenheiten bzw. für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts)81 abstützt.

80 81

SR 101 Bzw. auf die Vorgängerbestimmungen in der alten Bundesverfassung vom 29. Mai 1874.

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6.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen führen zu keinerlei Konflikten mit Staatsverträgen. Artikel 1 Absatz 2 IPRG behält völkerrechtliche Verträge vor. Das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 196182 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anwendbare Recht wird zusätzlich in Artikel 93 IPRG vorbehalten.

Auf bilateraler Ebene sind zurzeit folgende erbrechtlich relevanten Staatsverträge (die gewisse Aspekte der Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in binationalen Erbfällen regeln) in Kraft: ­

Niederlassungs- und Rechtsschutzabkommen mit Griechenland vom 1. Dezember 192783 , Artikel 10;

­

Niederlassungs- und Konsularvertrag mit Italien vom 22. Juli 1868.84 , Artikel 17 und Protokoll Artikel IV;

­

Niederlassungsabkommen mit dem Kaiserreich Persien vom 25. April 1934.85 Artikel 8;

­

Vertrag mit den Vereinigte Staaten von Nordamerika vom 25. November 185086 , Artikel V und VI.

Artikel VIII der Konsular-Übereinkunft zwischen der Schweiz und Portugal vom 27. August 188387 tangiert ebenfalls das Erbrecht, äussert sich aber nur zu Sicherungsmassnahmen. Artikel IV des Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Ihrer Majestät der Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland vom 6. September 185588 verlangt lediglich die Gleichbehandlung von Angehörigen der beiden Vertragsstaaten in Erbangelegenheiten.

Ebenfalls zu beachten sind die bilateralen Abkommen mit verschiedenen europäischen Staaten, die die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivilsachen (mit Einschluss des Erbrechts) zum Gegenstand haben.89 Zum Teil gelten sie ausschliesslich für streitige Verfahren. Die Abkommen setzen lediglich einen Mindeststandard fest. Das IPRG bleibt anwendbar, soweit es anerkennungsfreundlicher ist.

Das Übereinkommen vom 30. Oktober 200790 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handels82 83 84 85 86 87 88 89

90

SR 0.211.312.1 SR 0.142.113.721 SR 0.142.114.541 und SR 0.142.114.541.1 SR 0.142.114.362 SR 0.142.113.361 SR 0.191.116.541 SR 0.142.113.671 Belgien, SR 0.276.191.721; Deutschland, SR 0.276.191.361; Italien, SR 0.276.194.541; Liechtenstein, SR 0.276.195.141; Österreich, SR 0.276.191.632; Schweden, SR 0.276.197.141; Slowakei, SR 0.276.197.411; Spanien, SR 0.276.193.321; Tschechien, SR 0.276.197.411.

SR 0.275.12

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sachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ),will in Erbsachen nicht angewendet werden (Art. 1 Abs. 2 Bst. a LugÜ).

6.3

Erlassform

Da es sich vorliegend um eine Änderung des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht handelt, ist die Form eines Bundesgesetzes vorgesehen.

6.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, da sie weder Subventionsbestimmungen noch die Grundlage für die Schaffung eines Verpflichtungskredits oder Zahlungsrahmens enthält.

6.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Mit der Vorlage werden keine neuen Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat delegiert.

6.6

Datenschutz

Unter dem Gesichtspunkt der Bearbeitung von Personendaten hat die vorliegende Teilrevision weder faktische noch rechtliche Auswirkungen. Die für die schweizerischen Erbschaftsbehörden geltenden Datenschutzbestimmungen bleiben unberührt.

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Zitierte Literatur Berther, Duri, Die internationale Erbschaftsverwaltung bei schweizerisch-deutschen, -österreichischen und -englischen Erbfällen, Schweizer Schriften zur Vermögensberatung und zum Vermögensrecht Bd. 3, Zürich 2001, (zit. Berther) Bonomi, Andrea, Die geplante Revision des schweizerischen Internationalen Erbrechts: Erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten und Koordination mit der Europäischen Erbrechtsverordnung, in: SRIEL 2018, S 105 ff., (zit. Bonomi, SRIEL 2018) Bonomi, Andrea, in: Bonomi/Wautelet (Hrsg.), Le droit européen des successions, Com-mentaire du Règlement (UE) du 4 juillet 2012, 2. Aufl., Brüssel 2016, (zit.

Bonomi, Bonomi/Wautelet) Bonomi, Andrea, Le règlement européen sur les successions et son impact pour la Suisse, in: Semaine Judiciaire 2014 II 391 ff., S. 404 ff., (zit. Bonomi, SJ 2014) Bucher, Andreas, in: Commentaire Romand LDIP/CL, Basel 2011, (zit. Bucher) Diggelmann, Reto/Wolf, Burkard J., Erbgang und Nachlassabwicklung nach dem neuen internationalen Privatrecht der Schweiz, in: Praetor 1988/89, S. 74 ff., (zit.

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