20.064 Botschaft zur Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/1896 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) und zu einer Änderung des Asylgesetzes vom 26. August 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2019/1896 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) und die damit erforderlichen Gesetzesanpassungen. Zudem unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Asylgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. August 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2020-0933

7105

Übersicht Ziel der neuen EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Verordnung [EU] 2019/1896) ist es insbesondere, die Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen und die Rückführung von rechtswidrigen Aufenthalterinnen und Aufenthaltern unter Wahrung ihrer Grundrechte zu verbessern. Die Agentur für Europäische Grenz- und Küstenwache soll zu diesem Zweck mit genügend Personal und Material ausgestattet werden, damit sie ihre Aufgaben im Grenzund Rückkehrbereich effektiver wahrnehmen kann. Ferner soll aufgrund einer Empfehlung der letzten Schengen-Evaluierung im Asylgesetz eine explizite Verpflichtung der ausreisepflichtigen asylsuchenden Person, den Schengen-Raum zu verlassen, aufgenommen werden.

Ausgangslage Seit Beginn der Migrationskrise 2015 hat die Europäische Union eine Reihe von Massnahmen getroffen. Dazu gehört die Schaffung einer Europäischen Grenz- und Küstenwache, die zum einen aus der Europäischen Agentur für die Europäische Grenz- und Küstenwache (nachfolgend Agentur; die Agentur wird weiterhin auch als Frontex bezeichnet) und zum andern aus den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden besteht. Die entsprechende Verordnung wurde am 14. September 2016 verabschiedet.

Der Schutz der Aussengrenzen hat für die Schengen-Staaten weiterhin eine hohe Priorität. Es hat sich nicht nur bei der Migrationskrise in den Jahren 2015 und 2016 sondern auch ganz aktuell im Rahmen der COVID-19-Pandemie gezeigt, dass ein koordiniertes Vorgehen in Europa eine wichtige Voraussetzung ist, Krisen effizient bewältigen zu können. Auch im Rückkehrbereich ist die gegenseitige Unterstützung eine wichtige Voraussetzung für eine glaubwürdige und wirksame Migrationspolitik der Schengen-Staaten. In den letzten Jahren kam es teilweise zu finanziellen und personellen Engpässen bei der Agentur, welche die Effizienz der gemeinsamen Einsätze beeinträchtigte. Das hatte unter anderem zur Folge, dass mehrere Schengen-Staaten an ihren Binnengrenzen wieder Grenzkontrollen einführten. Deshalb hat die EU entschieden, die Agentur der Europäischen Grenz- und Küstenwache mit mehr personellen und finanziellen Mitteln auszustatten. Zu ihren Aufgaben gehört insbesondere die Unterstützung der betroffenen Schengen-Staaten und die Sicherstellung eines geregelten und respektvollen Ablaufs bei der Aufnahme,
Registrierung und Unterbringung von Migrantinnen und Migranten.

Die Verordnung (EU) 2019/1896 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (im Folgenden: EU-Verordnung) wurde am 13. November 2019 vom Europäischen Parlament und vom Rat der EU verabschiedet und der Schweiz am 15. November 2019 als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert.

7106

Inhalt der Vorlage Mit der revidierten EU-Verordnung soll die Europäische Grenz- und Küstenwache reformiert werden, und es soll ihr ein stärkeres Mandat erteilt werden. Das Ziel besteht insbesondere darin, effizientere Kontrollen der Aussengrenzen und Rückführungen von ausreisepflichtigen Personen in deren Herkunfts- oder Heimatstaat sowie die gezieltere Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zu ermöglichen. Um ihre Tätigkeiten im Bereich Risikoanalyse, der Planung oder bei der Beurteilung allfälliger Schwachstellen effektiver wahrnehmen zu können, soll die Agentur ein Kommunikationsnetz errichten und pflegen. Hierzu soll insbesondere das bereits bestehende System EUROSUR als integrierter Rahmen für den Informationsaustauch und die operative Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Grenz- und Küstenwache dienen. Die Agentur soll überdies mit genügend Material und den erforderlichen personellen Kapazitäten in Form einer ständigen Reserve ausgestattet werden. Diese soll bis ins Jahr 2027 kontinuierlich auf bis zu 10 000 Einsatzkräfte ausgebaut werden. Das Kontingent besteht aus vier Kategorien (1 ­ 4), deren maximale Kapazitäten in den Anhängen zur Verordnung aufgeführt sind. Die ständige Reserve besteht entsprechend aus dem von der Agentur eingestellten und geschulten Personal (Kat. 1) und von den Schengen-Staaten langfristig (für zwei Jahre, Kat. 2) und kurzfristig (für bis vier Monate, Kat. 3) entsandtem sowie über die Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4) abbestelltem Personal. Der Beitrag der Schengen-Staaten an die Kategorien 2 ­ 4 ist künftig verbindlich und ist in den Anhängen II bis IV der Verordnung geregelt. Die Schweiz müsste demnach bis im Jahr 2027 maximal 39 Vollzeitstellen für die Einsätze der Agentur zur Verfügung stellen.

Darüber hinaus wird das Mandat der Agentur im Rückkehrbereich und im Bereich der Zusammenarbeit mit Drittstaaten ausgebaut. So soll die Agentur die SchengenStaaten im Rückkehrbereich neu während allen Phasen der Rückkehr (Vorbereitung bis Rückführung) sowie im Bereich der freiwilligen Rückkehr unterstützen. Die Agentur kann einen Schengen-Staat wie bisher auf dessen Ersuchen unterstützen.

Neu soll diese Unterstützung auch auf Initiative der Agentur im Einvernehmen mit dem betroffenen Schengen-Staat möglich sein. Neu kann die Agentur die SchengenStaaten
zudem bei der Identifizierung von Drittstaatsangehörigen und bei der Beschaffung von Reisedokumenten unterstützen. Weiter soll die Agentur eine stärkere Präsenz in Drittstaaten einnehmen. Zudem können künftig Statusvereinbarungen auch mit Drittstaaten abgeschlossen werden, die nicht direkt an die SchengenStaaten angrenzen. Statusvereinbarungen regeln unter anderem die Exekutivbefugnisse, über die das Personal der Agentur auf dem Hoheitsgebiet des Drittstaats verfügt. Trotz Unterstützung der Agentur bleiben weiterhin die einzelnen Staaten für die Aussengrenzen zuständig, welche die Grenzverwaltung im eigenen und im gemeinsamen Interesse aller Schengen-Staaten sicherstellen. Auch im Rückkehrbereich sind Entscheide über Rückführungen und Administrativhaft allein Sache der einzelnen Staaten.

7107

Die Aufgabenerfüllung erfolgt unter dem Grundsatz der geteilten Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten und der Agentur. Die Staaten unterstützen sich gegenseitig für das gemeinsame Ziel. Die Grundrechte sind zudem stets zu wahren und zu achten.

Zusammenfassend sollen mit der neuen Verordnung somit folgende Ziele erreicht werden: ­

Effizientere Kontrollen der Aussengrenzen durch die Schengen-Staaten;

­

Bessere Bewältigung von Migrationsdruck und potenziellen künftigen Bedrohungen an den Aussengrenzen;

­

Wirksamere Rückführung illegaler Aufenthalterinnen und Aufenthalter;

­

Sicherstellen eines hohen Masses an Sicherheit im Schengen-Raum;

­

Wahrung des Solidaritätsprinzips;

­

Einhaltung der Grundrechte.

Aufgrund ihrer geografischen Lage und als Schengen-assoziiertes Land liegen diese Massnahmen im direkten Interesse der Schweiz. Sie dürften dazu beitragen, die illegale Migration in den Schengen-Raum und in die Schweiz zu verringern und die Sicherheit des Schengen-Raums zu verbessern. Der Ausbau der Agentur bezweckt zudem eine weitere Verbesserung der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, wovon die Schweiz ebenfalls profitieren wird. Die Revision der Agentur stellt ein wichtiges Element für die Weiterentwicklung der schweizerischen Migrationspolitik dar. Die Schweiz setzt sich seit langem für eine nachhaltige Reform des Dublin-Systems und eine gerechte Verteilung der Verantwortung für Asylsuchende ein und unterstützt die Schengen-Staaten an den Aussengrenzen, die einem hohen Migrationsdruck ausgesetzt sind. Die Agentur unterstützt die SchengenStaaten bei der Verwaltung ihrer Aussengrenzen. Dabei trägt die Agentur zur Harmonisierung der Schengener Grenzkontrollen bei. Das hat den Vorteil, dass die Grenzkontrollen an den Schengen-Aussengrenzen möglichst einheitlich, auf hohem Niveau und unter Achtung der Grundrechte vollzogen werden. Für Reisende bringt das den Vorteil, dass sie bei der Grenzkontrolle, beispielsweise bei der Einreise in Portugal oder bei der Ausreise in Litauen, ein einheitliches Verfahren erwarten können. Das schafft Rechtssicherheit. Zudem erleichtert die Agentur die Zusammenarbeit zwischen den Grenzbehörden in den einzelnen Schengen-Staaten, indem sie technische Unterstützung leistet und Fachwissen bereitstellt. Die Schweiz beteiligt sich beispielsweise am europäischen Lagebild, was die frühzeitige Erkennung von möglicher Sekundärmigration in Richtung Schweiz unterstützt. Dank solcher Erkenntnisse kann eine frühzeitige und optimale Reaktionsplanung erarbeitet werden.

Die Beteiligung der Schweiz an der Agentur stärkt die Position der Schweiz insbesondere im Rückkehrbereich, in welchem sie auch von der gegenseitigen Unterstützung und von der Verhandlungsposition der Agentur profitieren kann.

Um die durch diese Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands vorgesehenen Neuerungen umzusetzen, sind Anpassungen im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) vorzunehmen.

7108

Unabhängig von dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes soll aufgrund einer Empfehlung der Kommission im Rahmen der letzten SchengenEvaluierung der Schweiz im Jahr 2018 im Asylgesetz eine Präzisierung vorgenommen werden. Neu soll explizit im Asylgesetz festgehalten werden, dass ausreisepflichtige asylsuchende Personen zum Verlassen des Schengen-Raums sowie zur Weiterreise in den Herkunftsstaat verpflichtet sind.

7109

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.2 Verlauf der Verhandlungen 1.3 Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands 1.4 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

7113 7113 7114

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Generelle Bemerkungen 2.2 Zusätzliche Massnahmen 2.3 Datenschutz 2.3.1 Allgemeine Bemerkungen 2.3.2 Übermittlung von Personendaten 2.4 Grundrechte und Beschwerdeverfahren 2.5 Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament 2.6 Rückkehrbereich 2.7 Finanzielle und personelle Auswirkungen der Vorlage 2.8 Exekutivbefugnisse 2.9 Weitere Bemerkungen 2.9.1 Haftung für Schäden 2.9.2 Publikation in der SR 2.10 Änderung des Asylgesetzes

7118 7118 7120 7123 7123 7124 7125 7126 7127 7129 7131 7132 7132 7133 7133

3

Grundzüge der EU-Verordnung

7133

4

Inhalt der EU-Verordnung, Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 4.1 Integrierte europäische Grenzverwaltung 4.2 Personalkategorien der Agentur 4.2.1 Übersicht 4.2.2 Statutspersonal (Kat. 1; Art. 55) 4.2.3 Langfristig entsandtes Personal der Schengen-Staaten (Kat. 2; Art. 56) 4.2.4 Kurzfristig entsandtes Personal der Schengen-Staaten (Kat. 3; Art. 57) 4.2.5 Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4; Art. 58) 4.3 Weitere Bestimmungen zum Personal 4.3.1 Exekutivbefugnisse (Art. 82) 4.3.2 Nationale Kontaktstelle und nationales Koordinierungszentrum (Art. 13 und 21) 4.3.3 Aussenstellen (Art. 60)

7136 7136 7138 7138 7139

7110

7116 7118

7140 7140 7141 7142 7142 7143 7143

BBl 2020

4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.4

4.5

4.6 4.7

4.8

4.9

Schulungen (Art. 62) Erwerb oder Leasing technischer Ausrüstung (Art. 63) Finanzielle Unterstützung für die Einrichtung der ständigen Reserve (Art. 61) Einsätze schweizerischen und ausländischen Personals im Grenzschutzbereich 4.4.1 Einsätze schweizerischen Personals im Ausland 4.4.2 Einsätze ausländischen Personals in der Schweiz Einsätze schweizerischen und ausländischen Personals im Rückkehrbereich 4.5.1 Aufgaben der Agentur im Rückkehrbereich 4.5.2 Einsätze schweizerischen Personals im Ausland im Rückkehrbereich 4.5.3 Einsätze ausländischen Personals in der Schweiz im Rückkehrbereich Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Grenzverwaltung Für die Tätigkeit der Agentur nützliche Systeme: EUROSUR, ETIAS und FADO 4.7.1 EUROSUR 4.7.2 Europäisches Reiseinformations- und Genehmigungssystem (ETIAS) 4.7.3 FADO (Art. 79) Datenschutz 4.8.1 Allgemeine Bemerkungen 4.8.2 Plattform für die Rückführungsverwaltung Grundrechte

7144 7144 7144 7145 7145 7145 7146 7146 7147 7149 7149 7151 7151 7152 7153 7153 7153 7155 7156

5

Grundzüge des Umsetzungserlasses 5.1 Die beantragte Neuregelung 5.2 Umsetzungsfragen

7160 7160 7162

6

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses (AIG)

7162

7

Finanzielle und personelle Auswirkungen 7.1 Ausgangslage 7.2 Finanzielle Auswirkungen 7.2.1 Mitgliederbeiträge der Schweiz 7.2.2 Abgeltung der Kantone im Rückkehrbereich 7.2.3 Realisierung und Betrieb des Systems eRetour 7.2.4 Beiträge der EU an die Schweiz 7.3 Personelle Auswirkungen 7.3.1 Personelle Beiträge der Schweiz 7.3.2 Personelle Auswirkungen auf den Bund im Grenzschutzbereich

7165 7165 7166 7166 7168 7170 7170 7172 7172 7173

7111

BBl 2020

7.3.3

7.4

7.5 7.6

Personelle Auswirkungen auf den Bund im Rückkehrbereich 7.3.4 Personelle Beiträge im Bereich Politzyklus und Planung Finanzielle und personelle Auswirkungen auf die Kantone 7.4.1 Finanzielle Auswirkungen 7.4.2 Personelle Auswirkungen Offene Fragen Fazit zu den finanziellen und personellen Auswirkungen

7175 7176 7176 7176 7177 7178 7179

8

Rechtliche Aspekte 8.1 Verfassungsmässigkeit 8.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 8.3 Erlassform 8.3.1 Erlassform des Genehmigungsbeschlusses 8.3.2 Erlassform des Umsetzungserlasses

7182 7182 7182 7182 7182 7183

9

Änderung des Asylgesetzes 9.1 Ausgangslage 9.1.1 Handlungsbedarf und Ziel 9.1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 9.2 Erläuterungen zur Änderung in Artikel 45 AsylG 9.3 Auswirkungen 9.4 Rechtliche Aspekte

7183 7183 7183 7184 7184 7184 7184

Asylgesetz (AsylG) (Entwurf)

7185

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2019/1896 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) (Entwurf)

7187

Notenaustausch vom 13. Dezember 2019 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2019/1896 über die Europäische Grenzund Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 (EU) 2016/1624

7191

7112

BBl 2020

Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Schengen-Staaten wurde mit der Verordnung (EG) 2007/20041 des Rates errichtet. Die Gründung hatte zum Zweck, nationale Expertinnen und Experten innerhalb des Schengen-Raums an Mitgliedstaaten der EU oder Schengen-assoziierte Staaten mit erhöhtem Migrationsdruck zu vermitteln. Seit Aufnahme ihrer Tätigkeit am 1. Mai 2005 hat die Agentur die Schengen-Staaten im Bereich Aussengrenzen mit gemeinsamen Aktionen und Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken, Risikoanalysen, Informationsaustausch sowie der Pflege von Beziehungen zu Drittstaaten unterstützt. Dasselbe gilt auch im Rückkehrbereich. Diese Agentur wurde in die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache umbenannt und wird gemeinhin als Frontex bezeichnet. Als Grundlage dient eine technisch-operative Grenzmanagementstrategie als Teil eines mehrjährigen strategischen Politikzyklus für die Umsetzung der integrierten europäischen Grenzverwaltung. Damit sollen die Grenzkontrollen an den Aussengrenzen verbessert, Risikoanalysen und Schwachstellenbeurteilungen durchgeführt und die Schengen-Staaten sowie Drittstaaten in technischer und operativer Hinsicht unterstützt werden. Diese Unterstützung erfolgt in Form gemeinsamer Aktionen und Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken. Eine weitere wesentliche Aufgabe der Agentur ist es, Rückführungsaktionen und Rückführungseinsätze zu organisieren, zu koordinieren und durchzuführen.

Seit Beginn der Migrationskrise im Jahr 2015 hat die Europäische Union eine Reihe von Massnahmen getroffen. Dazu gehört die Schaffung einer Europäischen Grenzund Küstenwache, die zum einen aus der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache und zum andern aus den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden besteht. Die einschlägige Verordnung (EU) 2016/1624 wurde am 14. September 2016 verabschiedet und von der Schweiz als Schengen-Weiterentwicklung übernommen2.

Da die Entsendung von personellen Ressourcen und die Bereitstellung von Material und Ausrüstung durch die Schengen-Staaten in der Regel auf freiwilliger Basis 1

2

Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Schengen-Staaten der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 656/2014, ABl. L 189 vom 27.6.2014. S. 93.

Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG, Fassung gemäss ABl. L 251 vom 16.9.2016, S. 1; Botschaft des Bundesrates zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache, BBl 2017 4155.

7113

BBl 2020

erfolgt, kam es in den letzten Jahren zu Engpässen, die die Wirkung der gemeinsamen Einsätze zum Schutz der Aussengrenzen beeinträchtigt haben.

Die Europäische Kommission stellte deshalb am 12. September 2018 eine Vorlage zur Weiterentwicklung der Europäischen Grenz- und Küstenwache vor. Die Kontrollen der Aussengrenzen sollen effizienter gesteuert werden, was u. a. dazu dient, den Migrationsdruck und potenzielle künftige Bedrohungen besser bewältigen zu können; zudem sollen die Kontrollen einen Beitrag zur Bekämpfung von grenzüberschreitender schwerer Kriminalität zu leisten.

Der Schutz der Aussengrenzen verbleibt weiterhin in geteilter Verantwortung der Agentur und den für die Grenzverwaltung zuständigen Behörden der einzelnen Schengen-Staaten. Den Schengen-Staaten kommt dabei nach wie vor die vorrangige Zuständigkeit für die Verwaltung ihrer Aussengrenzen zu.

Die Verordnung (EU) 2019/18963 (EU-Verordnung) wurde am 13. November 2019 verabschiedet und der Schweiz am 15. November 2019 notifiziert. Sie stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar. Der Bundesrat hat die Notenaustausche zur Übernahme der EU-Verordnungen unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung gutgeheissen. Die entsprechende Antwortnote wurde der EU am 13. Dezember 2019 übermittelt.

1.2

Verlauf der Verhandlungen

Gestützt auf Artikel 4 des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)4 ist die Schweiz im Rahmen ihres Mitspracherechts berechtigt, im Schengen-Bereich in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU mitzuwirken. Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen anbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 SAA).

Wie seinerzeit bei der Beratung der Verordnung (EU) 2016/1624 wurden die Arbeiten zur Prüfung des Vorschlags der Europäischen Kommission zügig vorangetrieben. Ziel war es, vor den Europawahlen im Frühjahr 2019 eine Einigung zwischen dem Rat der EU und dem Europäischen Parlament zu erzielen.

Unter österreichischer und später rumänischer Präsidentschaft fanden mehrere Sitzungen in Brüssel statt. Die Beratungen wurden in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates, in der Arbeitsgruppe «Grenze» (Expertenstufe), der Beraterinnen und Berater im Bereich Justiz und Inneres (JAI-Counsellors), auf Botschafterstufe (COREPER) und im Rat der Justiz- und Innenminister (JI-Rat, Ministerebene) geführt. Diese Gremien tagten als gemischter Ausschuss (COMIX), das heisst im Beisein der Vertreterinnen und Vertreter der bei der Umsetzung, Anwendung und 3

4

Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) 1052/2013 und (EU) 2016/1624. Fassung gemäss ABl. L 295 vom 14.11.2019, S. 1.

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.362.31.

7114

BBl 2020

Entwicklung des Schengen-Besitzstands assoziierten Staaten (assoziierte Staaten).

Die Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der Kantone konnten ihre Haltung zum Verordnungsentwurf im Rahmen dieser Sitzungen aktiv einbringen.

Die Gesamtzahl und Zusammensetzung der Europäischen Grenz- und Küstenwache war von Anfang an Gegenstand intensiver Diskussionen. Die Agentur erhält neu vier Personalkategorien: Das Statutspersonal der ständigen Reserve, welches direkt von der Agentur rekrutiert wird (Kat. 1), die langfristig während 24 Monaten von den Mitglied- und den Schengen-assoziierten Staaten (nachfolgend Schengen-Staaten) abgeordneten Einsatzkräfte (Kat. 2), die kurzzeitig von den Schengen-Staaten entsendeten Einsatzkräfte für maximal vier Monate pro Kalenderjahr (Kat. 3) und die Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4), welche kurzfristig aus den nationalen Einsatzkräften der Schengen-Staaten rekrutiert wird. Die Schweiz hat, wie andere Staaten auch, darauf hingewiesen, dass die Zahl der ständigen Reserve nicht starr festgelegt, sondern vom tatsächlichen Bedarf für die anstehenden operativen Einsätze abhängig gemacht werden sollte. Betont wurde dabei, dass die Bereitstellung einer grossen Anzahl an Einsatzkräften insbesondere auch für das langfristig zu entsendende Personal (Kat. 2) eine grosse finanzielle wie auch personelle Herausforderung darstelle. In Anhang I der Verordnung (EU) 2019/1896 wurde deshalb eine Höchstzahl festgelegt, die schrittweise zu erreichen sei (von 6 500 bis zu 10 000 Einsatzkräfte bis 2027). Im Verlauf der Verhandlungen wurde beschlossen, alle Entsendungen gemäss der neuen EU-Verordnung nicht bereits 2020, sondern ab 2021 vorzunehmen. Ausserdem wurde die Anzahl Personen der Kategorie 2 um die Hälfte reduziert. Weiter wurde ausdrücklich festgehalten, dass die in der Verordnung verankerte Überprüfung der Gesamtzahl und Zusammensetzung der ständigen Reserve 2023 den operativen Erfordernissen beziehungsweise dem tatsächlichen Bedarf Rechnung tragen muss.

Bedenken haben viele Schengen-Staaten auch in Bezug auf die Exekutivbefugnisse des Personals der Kategorie 1 und seiner Unterstellung unter die Agentur geäussert.

Verschiedene Punkte in Bezug auf die Souveränität der Schengen-Staaten wurden deshalb geklärt. Die Verordnung hält nun ausdrücklich fest, dass das Personal der
Kategorie 1 (gleich wie die Einsatzkräfte der Kat. 2, 3 und 4) seine Exekutivbefugnisse nur mit Genehmigung des Staates, in welchem der Einsatz stattfindet (Einsatzstaat), wahrnehmen darf, und dass es bei einem Einsatz dem nationalen Recht dieses Staates unterstellt bleibt.

Die im ursprünglichen Vorschlag der Kommission zugedachten Kompetenzen wurden schliesslich ­ wie von der Schweiz und etlichen Staaten gefordert ­ dem Rat übertragen. Dazu gehören die Annahme des mehrjährigen strategischen Politikzyklus und der Entscheid über dringenden Handlungsbedarf an den Aussengrenzen, wenn das Funktionieren des Schengen-Raums gefährdet sein sollte.

Einige Staaten, so auch die Schweiz, haben die Kommission zu einer gewissen Zurückhaltung in Bezug auf die finanziellen Aspekte und zu einer wirksamen Verwendung der für die Agentur bereitgestellten Mittel aufgefordert. Eine Umverteilung des EU-Budgets bei der Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens hat denn auch direkte Auswirkungen auf die Beitragszahlungen der Schweiz als assoziierter Staat, nicht aber auf die EU-Mitgliedstaaten. Indes wurde der mehrjährige Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 noch nicht festgelegt (vgl. Ziff. 7.2.1).

7115

BBl 2020

In Bezug auf den Rückführungsbereich hatte die österreichischen Präsidentschaft beschlossen, diesen separat zu behandeln. Ende 2018 erfolgte ein Kompromiss im Rahmen einer «partiellen allgemeinen Ausrichtung». Es bestand insbesondere Diskussionsbedarf bezüglich der neuen Kompetenz der Agentur auch Drittstaaten im Bereich der Rückführungen zu unterstützen, um illegale Migration in den SchengenRaum zu verhindern. Mit der Möglichkeit von Rückführungen von Drittstaaten aus in andere Drittstaaten war mit einer Vielzahl von juristischen und politischen Fragen verbunden, die teilweise nicht abschliessend geklärt werden konnten.

Am Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen (COREPER) vom 20. Februar 2019 hiessen die Schengen-Staaten die Einigung über den Kompromiss des Rates gut und beauftragten die Ratspräsidentschaft, so rasch wie möglich Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament aufzunehmen.

Das Europäische Parlament hatte als Mitgesetzgeber den ersten Vorschlag der Kommission vom 12. September 2018 ebenfalls geprüft und zahlreiche Änderungsvorschläge eingereicht, die im Trilog zwischen Ratspräsidentschaft, Europäischem Parlament und Europäischer Kommission intensiv verhandelt wurden.

Nach diesen Verhandlungen konnte am COREPER vom 1. April 2019 ein globaler Konsens gefunden werden. Die bestehende Soforteinsatzreserve (Kat. 4), die aufgehoben werden sollte, wurde beibehalten. Die Möglichkeit, dass die Agentur Rückführungen aus Drittländern in andere Drittländer vornimmt, wurde dagegen aufgehoben. Zahlreiche Konkretisierungen in Bezug auf die Grundrechte wurden in die Verordnung aufgenommen. Insbesondere sind 40 Grundrechtebeobachterinnen und -beobachter für die Europäische Grenz- und Küstenwache vorgesehen (welche in die Kat. 1 integriert werden). Nicht berücksichtigt wurden die Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments im Hinblick auf eine Stärkung seiner Rolle in der Europäischen Grenz- und Küstenwache (Sitz im Verwaltungsrat der Agentur, Wahl der Direktorin oder des Direktors).

Das Europäische Parlament verabschiedete den Text am 22. Oktober 2019, die offizielle Verabschiedung durch den Ministerrat fand ausnahmsweise im schriftlichen Verfahren statt, das am 8. November 2019 endete. Die Unterzeichnung durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates erfolgte am 13. November 2019.

1.3

Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands

Gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 SAA hat sich die Schweiz grundsätzlich verpflichtet, alle Rechtsakte, welche die EU seit der Unterzeichnung des SAA am 26. Oktober 2004 als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erlassen hat, zu übernehmen und soweit erforderlich in das Schweizer Recht umzusetzen.

Artikel 7 SAA sieht ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsakts, der eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über 7116

BBl 2020

eine Frist von dreissig Tagen, um der EU mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Die dreissigtägige Fristbeginnt ab der Annahme des Rechtsakts durch die EU (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA).

Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.

Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.

Die zur Übernahme anstehende Verordnung (EU) 2019/1896 ist rechtsverbindlich und hebt zwei EU-Verordnungen (Verordnung [EU] Nr. 1052/20135 und Verordnung [EU] 2016/1624) auf, die die Schweiz mittels Notenaustausch übernommen hat. Die Übernahme der vorliegenden EU-Verordnung muss deshalb mittels Abschluss eines Notenaustauschs erfolgen.

Ist wie vorliegend die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustauschs zuständig, muss die Schweiz der EU in ihrer Antwortnote mitteilen, dass die betreffende Weiterentwicklung für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» rechtsverbindlich wird (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Ab der Notifizierung des Rechtsaktes durch die EU verfügt die Schweiz für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung über eine Frist von maximal zwei Jahren.

Innerhalb dieser Frist muss auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.

Ist das innerstaatliche Verfahren abgeschlossen und sind alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung erfüllt, so unterrichtet die Schweiz den Rat und die Kommission unverzüglich in schriftlicher Form hierüber. Wird kein Referendum ergriffen, erfolgt diese Mitteilung, die der Ratifizierung des Notenaustausches zur Übernahme der Verordnung (EU) 2019/1896 gleichkommt, unverzüglich nach Ablauf der Referendumsfrist.

Im vorliegenden Fall erfolgte die formelle Verabschiedung der Verordnung am 13. November 2019. Die Verordnung wurde der Schweiz am 15. November 2019 notifiziert. Die Frist für die Übernahme und Umsetzung der Verordnung begann somit am 15. November 2019 zu laufen und endet am 15. November 2021.

Eine allfällige
Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands würde im äussersten Fall die Beendigung der Zusammenarbeit von Schengen insgesamt, und demzufolge auch von Dublin, nach sich ziehen (Art. 7 Abs. 4 SAA, Art. 14 Abs. 2 DAA6)7.

5

6

7

Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Errichtung eines Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR), Fassung gemäss ABl. L 295 vom 6.11.2013, S. 11.

Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft vom 26. Oktober 2004 über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags, SR 0.142.392.68.

Siehe zum Ganzen Botschaft «Bilaterale II», BBl 2004 5965, Ziff. 2.6.7.5.

7117

BBl 2020

1.4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 29. Januar 2020 zur Legislaturplanung 2019­ 20238 unter dem Ziel Nr. 14 im Anhang 1 angekündigt. Demnach beugt die Schweiz Gewalt, Kriminalität und Terrorismus vor und bekämpft sie wirksam. Ebenfalls erwähnt ist die Vorlage als Schnittstelle zur Strategie der integrierten Grenzverwaltung (IBM) (Ziff. 8.8 der Botschaft zur Legislaturplanung) 2019­2023. Aufgrund der aktuellen Situation in Zusammenhang mit COVID-19 wurde der entsprechende Bundesbeschluss zur Legislaturplanung noch nicht definitv verabschiedet.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Generelle Bemerkungen

Der Bundesrat hat das Vernehmlassungsverfahren am 13. Dezember 2019 eröffnet; es dauerte bis zum 27. März 2020. Insgesamt sind 36 Stellungnahmen eingegangen 9.

Es haben sich 23 Kantone, vier Parteien (FDP, GPS, SP, SVP) sowie neun interessierte Kreise (AsyLex, Centre Patronal, Fédération des Entreprises Romandes [FER], GastroSuisse, Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren [KKJPD], Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB], Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Solidarité sans Frontières [SOSF], Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden [VKM]) zur Vorlage geäussert). Neun Vernehmlassungsteilnehmende, darunter drei Kantone (GR, OW, SZ), das BVGer sowie fünf interessierte Kreise (Flughafen Zürich, Konferenz der Integrationsdelegierten [KID], Schweizerischer Arbeitgeberverband [SAV], Schweizerischer Gemeindeverband [SGV], Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter [SVR]) haben auf eine Stellungnahme verzichtet.

Die Kantone AG, AI, AR, BE, BL, BS, FR, GE, GL, JU, LU, NE, NW, SG, SH, SO, TG, TI, UR, VD, VS, ZG, ZH begrüssen die Übernahme der EU-Verordnung. Verschiedentlich werden Bemerkungen zu den finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone gemacht (z. B. AG, BL, BS, GE, LU, NE, NW, SG, TI, VD, vgl. hierzu Ziff. 2.7).

Die KKJPD und die VKM stimmen der Übernahme der EU-Verordnung ebenfalls zu. Sie äussern jedoch Vorbehalte in Bezug auf die finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone und fordern insbesondere Verhandlungen mit dem Bund über die Abgeltung der Kantone für kurz- und langfristige Einsätze im Rückkehrbereich (vgl. hierzu Ziff. 2.7).

8 9

Botschaft des Bundesrates zur Legislaturplanung 2019­2023 vom 29. Januar 2020, BBl 2020 1777.

Der Vorentwurf, der erläuternde Bericht sowie die Stellungnahmen sind abrufbar unter: https://www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019.

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Die FDP und die SP stimmen der Übernahme der EU-Verordnung zu. Die FDP stimmt auch den entsprechenden Umsetzungsvorschlägen im Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 200510 (AIG) zu, führt aber aus, dass die höhere Beteiligung der Schweiz nicht zulasten des bestehenden Bundespersonals erfolgen darf. Die SP bedauert die enge Umsetzung auf Gesetzesstufe in der Vernehmlassungsvorlage und fordert zusätzliche Massnahmen, um Personen in Not zu schützen.

Die GPS und die SVP lehnen die Übernahme der EU-Verordnung ab. Die GPS kritisiert insbesondere die erweiterten Exekutivbefugnisse der Agentur ohne entsprechenden Ausbau des Grundrechts- und Datenschutzes, das Fehlen einer unabhängigen Kontrollinstanz sowie das Verhältnis der Ausgaben für den Grenzschutz zu den Ausgaben für die Schutzgewährung. Die SVP nennt als Gründe für die Ablehnung insbesondere die Verpflichtung zur Entsendung schweizerischen Personals, die Unsicherheit betreffend die finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Schweiz, die weitgehenden Exekutivbefugnisse der Agentur sowie den Umstand, dass kein Vetorecht der Schweiz besteht.

Die Mehrheit der interessierten Kreise stimmt der Übernahme der EU-Verordnung zu (Centre Patronal, FER, GastroSuisse, SGB, SFH). Die SFH und der SGB äussern sich kritisch hinsichtlich des Grundrechts- und Datenschutzes, der Kontroll- und Beschwerdemechanismen sowie des Mitteleinsatzes im Vergleich zur Schutzgewährung. AsyLex anerkennt den beschränkten Handlungsspielraum der Schweiz bei Schengen-Weiterentwicklungen, wünscht sich aber eine kritischere Haltung der Schweiz gegenüber den aktuellen Entwicklungen in der EU (Ausbau der Festung Europa). SOSF lehnt die Übernahme der EU-Verordnung ab, insbesondere aufgrund der erweiterten Exekutivbefugnisse der Agentur und der Auslagerung der Aussengrenzen in Drittstaaten.

Der Änderung des Asylgesetzes vom 26. Juni 199811 (AsylG) haben die Vernehmlassungsteilnehmenden, wenn sie sich dazu geäussert haben, zugestimmt (z. B. BS, SO, KKJPD, VKM, FDP, SP, SVP).

Haltung des Bundesrates Diese Schengen-Weiterentwicklung sowie die darin enthaltenen Massnahmen sind für die Schweiz aufgrund ihrer geografischen Lage und als Schengen-assoziiertes Land von grossem Interesse. Die Massnahmen dürften insgesamt dazu beitragen, die illegale Migration in den Schengen-Raum
und in die Schweiz zu verringern und die Sicherheit im Schengen-Raum und damit auch in der Schweiz zu verbessern. Der Ausbau der Agentur bezweckt zudem eine weitere Verbesserung der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, wovon die Schweiz ebenfalls profitieren wird. Die Revision der Agentur fügt sich als wichtiges Element in die Weiterentwicklung der schweizerischen Migrationspolitik ein. Sie entspricht dem Legislaturziel Nr. 13, wonach die Schweiz insbesondere die Migration steuert und sich für die internationale Zusammenarbeit einsetzt sowie den Forderungen der Schweiz nach einem besseren Schutz der Aussengrenzen in Europa bei einer gleichzeitig nachhaltigen Reform des Dublin-Systems und der gerechten Verteilung der Verantwortung für Asylsuchende. Die Schweiz unterstützt die Schengen-Staaten an den Aussen10 11

SR 142.20 SR 142.31

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grenzen, die einem hohen Migrationsdruck ausgesetzt sind, unter anderem durch die Beteiligung an der Agentur, indem sie Grenzschutz- und Rückkehrexpertinnen und -experten entsendet. Ferner erleichtert die Agentur die Zusammenarbeit zwischen den Grenzbehörden in den einzelnen Schengen-Staaten, indem sie technische Unterstützung leistet und Fachwissen bereitstellt. Die Schweiz beteiligt sich beispielsweise am europäischen Lagebild, was die frühzeitige Erkennung von möglicher Sekundärmigration in Richtung Schweiz unterstützt. Die Beteiligung an der Agentur stärkt zudem die Position der Schweiz insbesondere im Rückkehrbereich, wo die Schweiz von der gegenseitigen Unterstützung und der Verhandlungsposition der Agentur profitieren kann.

In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass ein Wegfall von Schengen/Dublin für die Schweiz einen hohen Sicherheitsverlust bedeuten und im Migrationsbereich zu einer Erhöhung von unbegründeten Asylgesuchen führen würde, welche selbst mit grossem Aufwand und hohen Kosten kaum wettgemacht werden könnten. Die entsprechenden Auswirkungen wurden umfassend im Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 15.3896 der sozialdemokratischen Fraktion dargelegt12. Zusammenfassend wird dort festgehalten, dass das BIP bis 2030 zwischen 1,6 ­ 3,7 Prozent sinken würde, die Polizeibehörden ohne Zugriff auf das Schengener Informationssystem (SIS) blind und taub wären, eine wesentliche Schwächung der Sicherheit innerhalb der Schweiz stattfinden würde und schliesslich mit mehr Zeit- und Kostenaufwand beim Grenzübertritt sowie mit Mehrkosten im Asylbereich gerechnet werden müsste.

Schliesslich weist der Bundesrat darauf hin, dass es sich hier um die Übernahme und Umsetzung einer Schengen-Weiterentwicklung handelt. Die Schweiz ist gestützt auf das Schengener Assoziierungsabkommen im Grundsatz verpflichtet, diese zu übernehmen und umzusetzen. Stimmt die Schweiz der Übernahme der EU-Verordnung nicht zu, würden im äussersten Fall die Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen für die Schweiz ausser Kraft treten. Dies hätte, wie im oben genannten Bericht ausführlich dargelegt, beachtliche volkswirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen auf die Schweiz.

2.2

Zusätzliche Massnahmen

Einige der Vernehmlassungsteilnehmenden (SP; sinngemäss auch GPS, SFH, SGB) fordern zusätzliche Massnahmen für schutzbedürftige Personen. Dazu gehören zum Beispiel die Aufnahme von Kontingentsflüchtlingen, die Vereinfachung der Verfahren zur Erteilung humanitärer Visa, der vermehrte Selbsteintritt der Schweiz im Rahmen von Dublin-Verfahren, die Unterstützung der am meisten belasteten Staaten der EU im Asylbereich, die Beteiligung der Schweiz am EU-Verteilmechanismus schutzbedürftiger Personen, die Entkriminalisierung der Solidaritätsarbeit, die Ertei12

Bericht des Bundesrates vom 21. Februar 2018 in Erfüllung des Postulats 15.96 der sozialdemokratischen Fraktion «Die volkswirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der Schengen-Assoziierung der Schweiz». Abrufbar unter: www.eda.admin.ch: Startseite > Europapolitik der Schweiz > Direktion für Europäische Angelegenheiten > Dienstleistungen & Publikationen > Berichte.

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lung einer sofortigen Bewilligung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für Personen mit vorübergehendem Schutz, die Stärkung des Rechtes auf Familienzusammenführung sowie die Förderung der Mobilität.

Haltung des Bundesrates Zweck der zu übernehmenden EU-Verordnung sind effizientere Kontrollen der Aussengrenzen, Rückführungen ausreisepflichtiger Personen in ihren Herkunftsoder Heimatstaat sowie die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. Die menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten, insbesondere in Bezug auf den Zugang zu internationalem Schutz, werden durch die Übernahme der EU-Verordnung nicht tangiert (vgl. z. B. Erwägung Nr. 20 der EU-Verordnung). So enthält die EU-Verordnung eine Reihe von Bestimmungen, welche die Einhaltung dieser Regeln sicherstellen, zum Beispiel Bestimmungen über die entsprechende Schulung des Personals (vgl. etwa Art. 6213). Die Agentur arbeitet zudem eng mit dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) sowie den nationalen Behörden zusammen, um den Zugang zu internationalem Schutz zu garantieren. Vor diesem Hintergrund stehen die geforderten zusätzlichen Massnahmen zugunsten schutzbedürftiger Personen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vorlage. Der Bundesrat erachtet es daher nicht als notwendig, entsprechende Massnahmen im Rahmen der vorliegenden Vorlage zu treffen.

Unabhängig davon engagiert sich die Schweiz auf verschiedenen Ebenen zugunsten schutzbedürftiger Personen. Seit 2012 hat der Bundesrat auf der Basis verschiedener Einzelbeschlüsse über 4000 besonders vulnerable Flüchtlinge des UNOHochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), überwiegend aus dem Kontext des Syrienkriegs, aufgenommen. Die Aufnahme wurde dabei wo sinnvoll und möglich mit dem gemeinsamen europäischen Resettlement-Programm koordiniert. Gestützt auf diese Erfahrung hat der Bundesrat 2019 ein Resettlementprogramm verabschiedet, in dessen Rahmen er jeweils für einen Zeitraum von zwei Jahren die Aufnahme besonders vulnerabler Flüchtlinge festlegt. Für den Zeitraum 2020 ­ 2021 hat der Bundesrat die Aufnahme von bis zu 1600 Personen bewilligt. Ebenfalls kann die Schweiz humanitäre Visa erteilen, wenn bei einer Person aufgrund des konkreten Einzelfalls offensichtlich davon ausgegangen werden muss, dass sie im Heimatoder Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft
und konkret an Leib und Leben gefährdet ist (Art. 4 Abs. 2 der Verordnung vom 15. August14 2018 über die Einreise und die Visumerteilung, VEV). Das Staatssekretariat für Migration (SEM) prüft diese Gesuche sorgfältig und in jedem Einzelfall. Die Einreichung geschieht mittels des üblichen Antragsformulars, welches in zahlreiche Sprachen übersetzt worden ist. Weiter besteht im Vorfeld einer Gesuchseinreichung gemäss ständiger Praxis die Möglichkeit einer informellen, schriftlichen Chancenberatung bei einer Schweizer Auslandvertretung oder direkt beim SEM, wenn im Herkunftsland keine Schweizer Vertretung besteht.

Des Weiteren ist sich der Bundesrat bewusst, dass das Dublin-System insbesondere in Krisensituationen die Erstaufnahmestaaten stark belasten kann. Die Schweiz setzt sich daher auf europäischer Ebene seit langem für eine nachhaltige Reform des 13 14

Falls nicht explizit anderweitig erwähnt, handelt es sich um Artikel der EU-Verordnung.

SR 142.204

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Dublin- Systems und eine gerechte Verteilung der Verantwortung für Asylsuchende ein und unterstützt die Schengen-Staaten an den EU-Aussengrenzen, die einem hohen Migrationsdruck ausgesetzt sind. Als sich Europa in den Jahren 2015 und 2016 mit vermehrten Migrationsbewegungen konfrontiert sah, hat sich die Schweiz freiwillig am Relocation-Programm der EU zur Umsiedlung von schutzbedürftigen Personen beteiligt, die in sogenannten Hotspots in Italien und Griechenland registriert wurden. Ausserdem beteiligt sich die Schweiz seit 2016 an den Unterstützungsplänen des EASO. Sie leistet einen finanziellen Beitrag und entsendet Expertinnen und Experten nach Italien, Griechenland und Zypern. Im Rahmen der internationalen Migrationszusammenarbeit und der humanitären Hilfe unterstützt die Schweiz finanziell Projekte in Griechenland, Zypern und Italien. In Griechenland hat die Schweiz insbesondere zur Schaffung von Strukturen für die Betreuung und Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden beigetragen. Gleichzeitig übernimmt sie in Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden seit Anfang 2020 vermehrt unbegleitete minderjährige Asylsuchende mit familiären Beziehungen in die Schweiz. Schliesslich möchte die Schweiz im Rahmen des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten das Migrationsmanagement in Staaten stärken, die besonders von Migration betroffen sind.

Zur Forderung, dass die Solidaritätsarbeit nicht kriminalisiert werden dürfe, ist festzuhalten, dass die Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise in der Schweiz unter Strafe gestellt ist (Art. 116 AIG). Die Gründe für das Handeln werden im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Die Einführung eines Strafausschlussgrundes bei humanitären Beweggründen wurde bei der Beratung dieser Bestimmung im Parlament abgelehnt. Eine andere Situation besteht hingegen, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur Hilfestellung besteht (z. B. aufgrund seevölkerrechtlicher Verpflichtungen). Hier setzt sich der Bundesrat auch auf europäischer Ebene dafür ein, dass diese Verpflichtungen eingehalten werden.

Bezüglich der geforderten Massnahmen, die den Status von schutzbedürftigen Personen in der Schweiz betreffen, ist festzuhalten, dass Personen, die den vorübergehenden Schutz der Schweiz benötigen, in der Regel eine vorläufige Aufnahme erteilt
wird. Der Status der vorläufigen Aufnahme wurde im Jahr 201615 durch den Bundesrat grundlegend überprüft. Das Parlament hat sich schliesslich für punktuelle Anpassungen ausgesprochen16. Die entsprechende Gesetzesvorlage sieht Erleichterungen für einen Kantonswechsel bei erwerbstätigen vorläufig Aufgenommen vor.

Vorläufig Aufgenommene können bereits heute eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, sobald dies gemeldet worden ist (Art. 85a AIG und Art. 65 der Verordnung vom 24. Oktober 200717 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, VZAE). Somit gibt es keine Karenzfrist für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig hat das Parlament an der heutigen Ausgestaltung der vorläufigen Aufnahme grundsätzlich festgehalten. Dies gilt namentlich auch für die Voraussetzungen des Familiennachzugs. Die Schweiz beachtet im Rahmen der nationalen Gesetzgebung den 15

16 17

Bericht des Bundesrates vom 12. Oktober 2016 «Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit: Analyse und Handlungsoptionen». Abrufbar unter: www.sem.admin.ch: Startseite SEM > Publikationen & Service > Berichte > Allgemeine Berichte.

Motion 18.3002 der Staatspolitischen Kommission des Ständerats «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» vom 18. Januar 2018.

SR 142.201

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Schutz des Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention vom 4. November 1950 18 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK); dies gilt nicht nur für vorläufig Aufgenommene, sondern für alle Personen in der Schweiz.

Bezüglich der geforderten Massnahmen zur Förderung der Mobilität weist der Bundesrat darauf hin, dass Personen aus Drittstaaten gemäss AIG ausnahmsweise auch dann zugelassen werden können, wenn es sich nicht um Führungskräfte, Spezialistinnen und Spezialisten oder qualifizierte Arbeitskräfte handelt. So können u.a.

Personen im Rahmen der Hilfs- und Entwicklungszusammenarbeit oder des internationalen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Austauschs erleichtert zugelassen werden. Davon wurde beispielweise im Rahmen des Netzwerks «Scolars at risk» Gebrauch gemacht, dem auch Swissuniversities und die Akademien der Wissenschaften Schweiz angehören, indem syrischen Forschenden ein temporärer Forschungsplatz angeboten wurde. Auch die Zulassung von Studierenden aus Drittstaaten richtet sich nach dem AIG. Zudem kann, gestützt auf verschiedene bilaterale Stagiaires-Abkommen, jungen Berufsleuten, die ihre beruflichen und sprachlichen Kenntnisse erweitern möchten, eine befristete Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung im Partnerstaat erteilt werden kann. Die Effizienz dieser Abkommen hängt stark von den länderspezifischen Gegebenheiten ab und setzt ein Interesse aller beteiligten Stakeholder voraus. Die Abkommen eignen sich daher nicht in jedem Kontext.

Zudem enthält das AIG verschiedene Möglichkeiten für die Zulassung zwecks Ausund Weiterbildung mit oder ohne Erwerbstätigkeit, bei denen von den üblichen Zulassungsvoraussetzungen abgewichen werden kann. Diese werden auch im Rahmen von Migrationspartnerschaften eingesetzt.

2.3

Datenschutz

2.3.1

Allgemeine Bemerkungen

Einige der Vernehmlassungsteilnehmenden äussern Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes (z. B. AsyLex, GPS, SFH, SGB, SP). Die SP fordert, dass die Schweiz die EU-rechtlichen Datenschutzregelungen (Verordnung [EU] 2018/172519 und Verordnung [EU] 2016/67920) mindestens für Schengen-relevante Belange ausdrücklich als anwendbar erklärt.

Haltung des Bundesrates Die in der EU-Verordnung enthaltenen Datenschutzvorschriften (Art. 86 bis 92) richten sich an die Agentur und verpflichten diese im Rahmen ihrer verschiedenen 18 19

20

SR 0.101 Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG, Fassung gemäss ABl. L 295 vom 21.11.2018, S. 39.

Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DatenschutzGrundverordnung), Fassung gemäss ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1.

7123

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Aktivitäten, den für Organe und Einrichtungen der EU geltenden Datenschutzstandard der Verordnung (EU) 2018/1725 zu beachten. Eine nationale Umsetzung dieser Bestimmungen im Rahmen dieser Vorlage ist nicht angezeigt, da die agenturspezifischen Vorschriften auf die Schengen-Staaten nicht anwendbar sind. Soweit die EU-Verordnung die Schengen-Staaten datenschutzrechtlich in die Pflicht nimmt, verweist sie auf die Datenschutzregelungen der Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung [EU] 2016/679). Diese ist für die Schweiz nicht verbindlich, da sie von der EU damals als nicht Schengen-relevant qualifiziert und von der Schweiz in der Folge auch nicht als Weiterentwicklung übernommen worden ist. Deren Vorgaben für Datenbearbeitungen im Rahmen der Schengener Zusammenarbeit sind für die Schweiz gleichwohl relevant. Eine separate Umsetzung der DatenschutzGrundverordnung erübrigt sich allerdings im Rahmen dieser Vorlage, da deren Vorgaben bereits im Rahmen der laufenden Totalrevision des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199221 über den Datenschutz (DSG) Rechnung getragen wird. Ziel der umfassenden DSG-Revision ist es, ein äquivalentes Schutzniveau im privaten und öffentlichen Sektor in der Schweiz herzustellen, welches durch die Europäische Kommission im Rahmen der sogenannten Äquivalenzprüfung verifiziert werden sollte22. Die entsprechenden Bestimmungen werden auch im vorliegenden Zusammenhang Anwendung finden. Zum aktuellen Stand der Äquivalenzanerkennung wird auf den Bericht der Europäischen Kommission und des Rates verwiesen. 23 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) als federführendes Amt aktuell daran ist, eine Arbeitsvereinbarung über das Sicherheitsverfahren für den Austausch und den Schutz von Verschlusssachen mit der Agentur zu verhandeln. Diese Vereinbarung lehnt sich an das Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen24 an und setzt verbindliche Massstäbe für die Übermittlung von besonders schützenswerten Daten.

2.3.2

Übermittlung von Personendaten

Hinsichtlich Personendaten fordern GPS, SFH und SGB Verhältnismässigkeit bei der Übermittlung solcher Daten an die Agentur, AsyLex kritisiert die Übermittlung von Personendaten insbesondere für Risikoanalysen und Schwachstellenermittlun-

21 22

23

24

SR 235.1 Vgl. Botschaft vom 15. September 2017 zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz, BBl 2017 6941. Die Anerkennung sollte voraussichtlich im Herbst erfolgen.

COM(2020) 264 final, S. 11; Die Kommission hat entschieden, die Bewertung der ausstehenden Angemessenheitsentscheidungen gegenüber der Schweiz und anderen Staaten erst vorzunehmen, nachdem der EuGH im Fall C-311/18 (Data Protection Commissioner/Facebook Ireland Limited, Maximilian Schrems) das Urteil gefällt hat (welches nun am 16. Juli verkündet wurde), weil der Gerichtshof darin Klarstellungen vornehmen könnte, die für bestimmte Elemente des Angemessenheitsstandards relevant sein könnten.

Eine Entscheidung zur Angemessenheitsankerkennung ist daher voraussichtlich im Herbst zu erwarten.

SR 0.514.126.81

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gen. GPS, SFH und SGB fordern, dass betreffend Datenaustausch mit der Agentur nur Regelungen eingeführt werden, die vom EDÖB gutgeheissen wurden.

Haltung des Bundesrates Im Migrationsbereich wird mit Artikel 111a Absatz 2 E-AIG eine gesetzliche Grundlage geschaffen für die Übermittlung von Personendaten an die Agentur.

Der Bundesrat teilt die Ansicht, wonach der Vorentwurf von Artikel 111a Absatz 2 E-AIG hinsichtlich des Zwecks der Übermittlung dieser Daten nicht genügend klar definiert war. Im Migrationsbereich sieht die EU-Verordnung eine Übermittlung von Personendaten nur im Bereich der Rückkehrverwaltung vor (vgl. Art. 49 und 87 Abs. 1 Bst. b der EU-Verordnung). Der Entwurf von Artikel 111a Absatz 2 E-AIG wird die Übermittlung von Personendaten in diesem Sinne präzisieren (vgl. Ziff. 4.8 und 6). Die Vorlage wurde im Rahmen der Ämterkonsultationen auch dem EDÖB unterbreitet, welcher keine Bemerkungen hierzu geäussert hat. Es wird darauf verzichtet, eine analoge Bestimmung im aktuellen Zollgesetz vom 18. März 200525 (ZG) aufzunehmen, da dieser Datenaustausch mit der Verordnung vom 26. August 200926 über die operative Zusammenarbeit an den Schengen-Aussengrenzen (VZAG) abgedeckt ist. Diese Grundlage reicht zwar grundsätzlich aus, um die notwendigen Personendaten an die Agentur zu übermitteln. Der moderne Datenschutz regt aber die Regelung solcher Bestimmungen künftig aus Gründen der Transparenz auf formalgesetzlicher Stufe an. Die laufende Zollgesetzrevision bietet sich für die Prüfung einer expliziten Regelung auf gesetzlicher Stufe an (vgl. hierzu die Ausführungen unter Ziff. 5.1).

2.4

Grundrechte und Beschwerdeverfahren

Die SP fordert eine Klarstellung in der Botschaft des Bundesrates, inwieweit die Schweiz die Zielsetzung der EU-Verordnung hinsichtlich Grundrechtsschutz und Beschwerdeverfahren mitträgt und wie diese umgesetzt wird. Sie fordert zudem die Klärung des Zugangs zum Beschwerdeverfahren gemäss Artikel 111 EU-Verordnung. Die SFH fordert spezifische institutionelle Regelungen und klare Verfahrensvorschriften zur Umsetzung der Grundrechtsschutznormen der EUVerordnung. Der SGB und die SFH fordern, dass sich die Schweiz für eine unabhängige Kontrolle der Grundrechtskonformität der Massnahmen und einen unabhängigen Beschwerdemechanismus einsetzt (ähnlich AsyLex).

Haltung des Bundesrates Der verstärkte Schutz der Grundrechte ist einer der Grundpfeiler der überarbeiteten EU-Verordnung (die Erläuterungen zu den entsprechenden Mechanismen, insbesondere zum Zugang zum Beschwerdeverfahren gemäss Art. 111 EU-Verordnung, werden unter Ziff. 4.9 konkretisiert). Die Einrichtung einer ständigen Reserve sowie die Aufstockung der Ressourcen dient auch der Stärkung der Grundrechte, weil dadurch eine entsprechende Schulung des Einsatzpersonals besser gewährleistet 25 26

SR 631.0 SR 631.062.

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werden kann. Der Bundesrat begrüsst die Massnahmen der Agentur zur Stärkung der Grundrechte und wird diese auch bei der Umsetzung unterstützen. Die Bestimmungen der EU-Verordnung zum Grundrechtsschutz sind für die Schweiz direkt anwendbar. Zudem bestehen in der Schweiz etablierte Beschwerdemöglichkeiten gegen Grundrechtsverletzungen (siehe hierzu Ziff. 4.9). Der Bundesrat ist der Ansicht, dass deshalb auf die Einführung von Regelungen zum Grundrechtsschutz und zum Beschwerdeverfahren im nationalen Recht verzichtet werden kann.

Der Bundesrat wird sich zudem auch weiterhin für eine wirkungsvolle Kontrolle der Grundrechtskonformität der Tätigkeiten der Agentur einsetzen. Deshalb beabsichtigt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, bis zu zwei nationale Expertinnen oder Experten für Grundrechtsangelegenheiten in das Büro des Grundrechtsbeauftragten bei der Agentur zu entsenden. Aufgrund der Stärkung der Mechanismen zum Grundrechtsschutz in der EU-Verordnung sowie der Möglichkeit, dass sich nationale Expertinnen und Experten im Rahmen der entsprechenden Kontrollmechanismen an Kontrollen beteiligen, kann aus Sicht des Bundesrates auf weitere Massnahmen im Bereich des Grundrechtsschutzes und dessen Kontrolle verzichtet werden.

2.5

Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament

Die SP fordert analog der EU-Verordnung eine Rechenschaftspflicht gegenüber dem Schweizer Parlament (vgl. Art. 6). Es soll geklärt werden, inwiefern öffentlich nicht zugängliche Informationen ans Schweizer Parlament weitergeleitet werden können. Ausserdem schlägt die SP eine Bestimmung vor, die den Bundesrat beauftragt, dem Parlament periodisch Bericht über den Ausbau des Menschenrechtsschutzes durch die Agentur und den Einsatz von Material und Personal aus der Schweiz an der EU-Aussengrenze zu erstatten.

Haltung des Bundesrates Die Ratsmitglieder haben gestützt auf das Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 200227 (ParlG, vgl. Art. 7) jederzeit das Recht, vom Bundesrat und der Bundesverwaltung über jede Angelegenheit, einschliesslich nicht öffentlich zugängliche Informationen, Auskunft zu erhalten und Unterlagen einzusehen, soweit dies für die Ausübung des parlamentarischen Mandates erforderlich ist. Die parlamentarische Oberaufsicht über Regierung und Verwaltung ist eine der Kernkompetenzen der Bundeversammlung und dient insbesondere der Durchsetzung der Rechenschaftspflicht von Regierung und Verwaltung gegenüber dem Parlament. Ein wichtiges Instrument sind die Geschäftsberichte oder die direkte Informationsübermittlung auf Anfrage, aber auch parlamentarische Vorstösse.

Seit Inkraftsetzung des Schengen-Assoziierungsabkommens wurden die Subkommissionen (EJPD/BK) der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK-EJPD/BK) jährlich über den Stand der Umsetzung mittels eines Berichts informiert. Dieser beinhaltet auch Informationen über die Zusammenarbeit mit der Agentur und die 27

SR 171.10

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durchgeführten Einsätze. Bei der Behandlung des Berichts sind jeweils auch Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Verwaltungseinheiten in die Kommissionssitzungen eingeladen, um spezifische Fragen zu beantworten. Am 6. September 2019 informierte die GPK beider Räte das EJPD, dass sie beschlossen hat, die Modalitäten der Berichterstattung anzupassen. Eine ausführliche Berichterstattung im bisherigen Umfang soll ab 2021 nur noch einmal pro Legislatur erfolgen. Dazwischen soll die GPK auf der Grundlage eines Kurzberichtes informiert werden. Der Bericht über den Stand der Umsetzung von Schengen/Dublin zuhanden der Geschäftsprüfungskommissionen hat sich als Informationsplattform bewährt. Er verpflichtet zudem auch die Verwaltung zu einer regelmässigen Berichterstattung über die Schengener Zusammenarbeit.

Zur Sicherstellung der Transparenz im Bereich des Grundrechtsschutzes sind zudem gemäss der EU-Verordnung sowohl das Konsultationsforum (Art. 108 Abs. 4) als auch der Grundrechtsbeauftragte (Art. 109 Abs. 4) verpflichtet, jährlich Bericht zu erstatten. Die entsprechenden Berichte beinhalten auch Angaben über das Beschwerdeverfahren, insbesondere die Anzahl eingegangener Beschwerden, die Art der Grundrechtsverletzungen sowie die Massnahmen, die durch die Agentur getroffen wurden. Diese Berichte sind öffentlich.

Der Bundesrat erachtet einen weiteren institutionalisierten Ausbau der parlamentarischen Oberaufsicht für nicht zielführend und als eine übermässige Belastung des Parlaments.

2.6

Rückkehrbereich

AsyLex und SFH fordern ein unabhängiges und umfassendes Rückführungsmonitoring bei allen Rückführungen. Die SP fordert, dass die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) ihre Aufgaben im Bereich Rückführungsmonitoring bei Aktionen der Agentur vollumfänglich wahrnehmen kann. Ferner soll der Informationsfluss zwischen der NKVF, dem EU-Grundrechtsbeauftragten und dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarates (CPT) sichergestellt werden.

Zudem sei dem CPT zu gestatten, Besuche an den EU-Aussengrenzen der Schweiz durchzuführen und Rückkehraktionen, an denen die Schweiz beteiligt ist, zu begleiten (vgl. Erwägung Nr. 82 der EU-Verordnung). Das Schweizer Parlament sei über die entsprechenden Ergebnisse regelmässig zu informieren.

Die KKJPD und ZH verlangen eine Beseitigung der bestehenden Mängel des Systems eRetour, bevor die vorgeschlagenen Bestimmungen zum Datenaustausch (Art. 109f Abs. 2 Bst. d E-AIG) zur Anwendung gelangen.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat teilt das Anliegen, wonach der Menschenrechtsschutz (inkl. Grundrechte) im Rahmen der Tätigkeiten der Agentur, insbesondere auch im Rückkehrbereich, gewährleistet sein muss. Zu diesem Zweck wird auch im Rückkehrbereich der Schutz der Grundrechte durch die neue EU-Verordnung weiter ausgebaut (vgl. Ziff. 4.5.1).

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In der Schweiz ist die NKVF für das ausländerrechtliche Vollzugsmonitoring (sog. Rückführungsmonitoring) verantwortlich. Bereits heute begleitet die NKVF im Rahmen des Monitorings auch EU-Sammelflüge mit schweizerischer Beteiligung. Diesbezüglich ergeben sich durch die Übernahme und Umsetzung der EUVerordnung keine Änderungen. Zudem hat die NKVF die Möglichkeit, sich am Pool der Rückführungsbeobachter der Agentur zu beteiligen (vgl. Art. 51 EU-Verordnung). Dieser Pool wurde bereits im Rahmen der Umsetzung der bisherigen EUVerordnung errichtet; seit dem laufenden Jahr ist auch ein Mitglied der NKVF Teil dieses Pools. Hinsichtlich des Informationsaustauschs hat die NKVF von Gesetzes wegen die Aufgabe, Kontakte mit dem UN-Unterausschuss für Prävention (SPT) und dem CPT zu unterhalten, den beiden Gremien Informationen zu übermitteln und die Tätigkeiten mit ihnen abzustimmen (Art. 2 Bst. e des Bundesgesetzes vom 20. März 200928 über die Kommission zur Verhütung der Folter). Weil die NKVF ihre Aufgaben unabhängig erfüllt, liegt es in der Kompetenz der Kommission zu entscheiden, ob sie sich darüber hinaus mit weiteren Institutionen und Organisationen austauscht (Art. 4 Abs. 1 Bundesgesetz über die Kommission zur Verhütung der Folter).

Hinsichtlich der Beteiligung des CPT im Rückkehrbereich sieht die EU-Verordnung vor, dass diesem die Teilnahme an gewissen Rückkehraktionen zu gestatten sei (Erwägung Nr. 82). Das geltende Recht in der Schweiz schliesst eine solche Teilnahme nicht aus. Falls das CPT eine entsprechende Anfrage an die Schweiz stellen sollte, wird das SEM diese gemeinsam mit der NKVF prüfen. Die Berichte des CPT über die Ergebnisse solcher Besuche werden dem betreffenden Staat zugestellt.

Diesbezüglich stehen dem Parlament die gängigen Mittel zur Verfügung (vgl. dazu Ziff. 2.5). Zudem ist auch die Berichterstattung durch die NKVF zu erwähnen. Die Schweiz verfügt über ein etabliertes und umfassendes Rückführungsmonitoring, indem die NKVF ­ nebst den schweizerischen Rückführungen ­ auch EU-Sammelflüge mit schweizerischer Beteiligung begleiten kann. Der jährliche Bericht der NKVF zum Rückführungsmonitoring sowie die Stellungnahme der zuständigen Behörden (Fachausschuss Rückkehr und Wegweisungsvollzug) werden jeweils veröffentlicht. Dadurch ist im Bereich der Rückführungen die gewünschte Transparenz
bereits heute sichergestellt. Eine gesetzlich verankerte regelmässige Berichterstattung über die Ergebnisse allfälliger Besuche des CPT ist daher aus Sicht des Bundesrates aktuell nicht notwendig.

In Bezug auf das System eRetour weist der Bundesrat darauf hin, dass das SEM und die Kantone die aktuelle Version dieses Informationssystems zum Rückkehrbereich gemeinsam überprüfen und Vorschläge zu dessen Optimierung erarbeiten, welche in die Folgearbeiten einfliessen werden. Die VKM wird laufend über den Fortgang des Projekts informiert. Eine Verschiebung des Inkrafttretens des vorgeschlagenen Gesetzesartikels Artikel 109f Absatz 2 Buchstabe d E-AIG ist vor diesem Hintergrund aus Sicht des Bundesrates nicht angezeigt.

28

SR 150.1

7128

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2.7

Finanzielle und personelle Auswirkungen der Vorlage

Die SVP erachtet es als problematisch, dass die personellen Beiträge der Schweiz und deren Anforderungsprofile noch nicht feststehen und die Schweiz bei einer Änderung bzw. Erhöhung der Anforderungen seitens der EU kein Vetorecht besitze.

Zudem beschäftigt die SVP die massive Zunahme der finanziellen Zahlungen der Schweiz an die Agentur (ähnlich Centre Patronal). Insbesondere bemängelt die SVP, dass für die Schweiz neue gebundene Ausgaben entstehen, deren Entwicklung sie und insbesondere die Bundesversammlung nicht beeinflussen könne. Die KKJPD fordert eine Klärung hinsichtlich der finanziellen und personellen Auswirkungen der Vorlage auf die Kantone. Einige Kantone legen dar, dass bezüglich der personellen und finanziellen Auswirkungen auch auf kantonaler Ebene einige Unsicherheiten bestehen (z. B. SG, TI, VD, ähnlich auch NE und SH). SG fordert hier eine Klärung der offenen Fragen. Die KKJPD (sinngemäss auch NW) verlangt eine Klärung der Aufgabenteilung zwischen der EZV, dem SEM und den kantonalen Polizeikorps (KKPKS). Verschiedene Kantone (z. B. BL, BS, NE, VD; sinngemäss auch GE) weisen darauf hin, dass der mit der Vorlage verbundene Mehraufwand mit den derzeitigen personellen Ressourcen nicht geleistet werden kann. Der Kanton AG wirft die Frage auf, was geschieht, wenn auf Ebene Bund kein freiwilliges Personal gefunden wird. Ferner weist die SVP darauf hin, dass die durch das Transformationsprogramm DaziT bei der EZV freigespielten Stellen für die Sicherheit an den Schweizer Landesgrenzen einzusetzen sind, um die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Diese Stellen sollen nicht für die Verpflichtungen gegenüber der Agentur eingesetzt werden.

Bezüglich finanzieller Abgeltung der Kantone moniert die KKJPD, dass der Vorschlag gemäss Vernehmlassung für kurz- und langfristige Einsätze im Rückkehrbereich zu tief angesetzt sei (so auch z. B. BS und LU); die Abgeltung solle mit dem Bund gemeinsam verhandelt werden (so auch z. B. BS). Die VKM und BS fordern eine Vollkostenabgeltung für die Aufwendungen der Kantone sowie eine Entschädigung der Personalkosten. Schliesslich wirft die VKM die Frage auf, wie die Entschädigung kantonaler Expertinnen und Experten sowie von Spezialistinnen und Spezialisten vorgenommen werden soll.

Haltung des Bundesrates Es bleibt zum aktuellen Zeitpunkt weiterhin
schwierig, die konkreten finanziellen und personellen Auswirkungen der Vorlage sowohl auf den Bund als auch auf die Kantone vollumfänglich abzuschätzen. Einerseits ist der mehrjährigere Finanzrahmen der EU noch nicht verabschiedet, andererseits werden die jährlichen Einsatzplanungen der Agentur bzw. der tatsächliche jährliche Bedarf der Agentur an Personal direkte personelle und finanzielle Auswirkungen auf die Schweiz haben. Der Bundesrat stimmt dem Anliegen der SVP und des Centre Patronal zu, wonach die Kostenentwicklung aufmerksam zu begleiten und wo notwendig und möglich einzudämmen ist. Die mit der Übernahme der EU-Verordnung verbundenen Mehrkosten werden gemäss dem geltenden Kostenschlüssel auf die EU-Mitgliedsstaaten und die assoziierten Staaten aufgeteilt. Folglich sind Budgeterhöhungen der Agentur breit abgestützt und fallen nur zu einem kleinen Teil auf die Schweiz (zu den Einzelheiten 7129

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vergleiche Ziff. 7.2.1). Der Bundesrat beantragt dem Parlament den Schweizer Beitrag an die Agentur jährlich im Voranschlag mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan. Dadurch wird die Kostenentwicklung auch gegenüber der Öffentlichkeit transparent ausgewiesen.

Der Bundesrat hat Verständnis, dass sich die Kantone bezüglich der Auswirkungen dieser Vorlage mehr Sicherheit wünschen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind bereits mehr Informationen zur Einsatzplanung seitens der Agentur vorhanden als zum Zeitpunkt der Eröffnung der Vernehmlassung (vgl. dazu Ziff. 7). Die Anzahl Personen für kurzfristige Einsätze wird sich im Rückkehrbereich in der Anfangsphase leicht über dem bisherigen Umfang bewegen. Bezüglich der langfristigen Einsätze fehlen noch Erfahrungswerte. Demzufolge kann der personelle Beitrag der Kantone noch nicht genau beziffert werden (siehe dazu Ziff. 7.4.2). Im Bereich Grenzschutz führt die EZV bereits jetzt zwischen 80 und 90 Prozent der Einsätze selber durch; die EZV geht davon aus, dass sie auch die zukünftigen Einsätze grösstenteils mit dem eigenen Personal durchführen kann (vgl. Ziff. 7.3.2). Gewisse Unsicherheiten bleiben aber dennoch bestehen. Die Umsetzung von Schengen-Weiterentwicklungen ist eine Verbundsaufgabe zwischen Bund und Kantonen. Es ist dem Bundesrat ein grosses Anliegen, hier einvernehmliche Lösungen mit den Kantonen zu finden. Das SEM, die KKJPD und die KKPKS sind deshalb übereingekommen, für den Rückkehrbereich eine Arbeitsgruppe einzusetzen, welche den Auftrag hat, die Umsetzung der Verordnung auf technischer Ebene zu begleiten. Es wird auch für die weitere Entwicklung und Umsetzung dieser Vorlage sowie für die konkrete Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Akteuren von grosser Wichtigkeit sein, mit den zuständigen kantonalen Gremien auch in Zukunft nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen und wo sinnvoll und notwendig Anpassungen vorzunehmen. Zudem wird das EJPD mit der KKJPD und der KKPKS eine Vereinbarung über die Modalitäten der internationalen Rückführungseinsätze abschliessen (vgl. Art. 71a Abs. 3 AIG).

Darin soll auch die Aufgabenteilung im Hinblick auf die Organisation dieser Einsätze abschliessend geklärt werden. Hinsichtlich der vom Kanton AG aufgeworfenen Frage, was geschehe, wenn auf der Ebene Bund zu wenig Freiwillige gefunden werden, ist festzuhalten,
dass gemäss den Erfahrungen des SEM und der EZV in der Regel genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Einsatz im Ausland interessiert sind. Gestützt auf diese durchwegs positiven Erfahrungen möchte der Bundesrat wie bis anhin an der grundsätzlichen Freiwilligkeit der Teilnahme an Einsätzen festhalten (vgl. Art. 92 ZG). Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Attraktivität von Auslandeinsätzen durch verschiedene Massnahmen, wie Vorteile für die Karrieregestaltung, gewährleistet werden kann.

Der Schutz der Schweizer Grenzen, insbesondere die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, stellt weiterhin eine Priorität für den Bundesrat dar. Dies gilt auch für den Einsatz des Schweizer Personals an den Schengen-Aussengrenzen, da der Schutz der Schengen-Aussengrenzen auch dem Schutz der Schweiz dient.

Der Einsatz an den Schengen-Aussengrenzen entspricht der Strategie der integrierten Grenzverwaltung der Schweiz. Der Bundesrat ist sich aber bewusst, dass der personelle Mehraufwand an den Aussengrenzen im Inland zu kompensieren ist. Die laufende Weiterentwicklung und Digitalisierung der EZV trägt diesem Umstand Rechnung und wird ermöglichen, dass die EZV im Inland durch vermehrte Automatisierung, flexiblere Einsatzfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine 7130

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gezielte Risikoanalyse ihre Aufgaben an den Schweizer Grenzen effizienter wahrnehmen kann. Aufgrund dieser Weiterentwicklung ist der Personaleinsatz nicht mit der heutigen Struktur vergleichbar, weshalb eine Effizienzrechnung anhand des Personalbestands nicht zielführend ist. Dem Bundesrat ist es weiterhin ein zentrales Anliegen, durch geeignete Mittel die grenzüberschreitende Kriminalität gezielt und effizient zu bekämpfen und dadurch die Sicherheit der Schweiz auch in Zukunft zu garantieren.

Im Rückkehrbereich vergütet der Bund den Kantonen aktuell für jede entsendete polizeiliche Begleitperson eine Pauschale von 300 Franken respektive für Equipenleiterinnen und -leiter von 400 Franken pro Tag (vgl. Art. 71a Abs. 1 und 3 AIG sowie Art. 15d der Verordnung vom 11. August 199929 über den Vollzug der Wegund Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen, VVWAL). Da sich diese Regelung für kurzfristige Einsätze bisher bewährt hat, wurde im Rahmen der Vernehmlassungsvorlage diese Abgeltung neu auch für langfristige Einsätze vorgeschlagen. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde die vorgeschlagene Abgeltung für kurz- und langfristige Einsätze von kantonaler Seite (insb. KKJPD, VKM) als nicht genügend erachtet. Es wurde entsprechend gefordert, dass diesbezüglich mit dem Bund Verhandlungen über die Erhöhung der entsprechenden Pauschalen geführt werden. Es ist dem Bundesrat ein grosses Anliegen, hier mit den Kantonen so rasch als möglich einvernehmliche und praxistaugliche Lösungen zu finden. Die Höhe der Abgeltung sowie die Abgeltungsmodalitäten sind daher derzeit Gegenstand von Gesprächen zwischen dem SEM und den Kantonen. Die Höhe der Abgeltung und die Modalitäten sollen auf Verordnungsstufe geregelt werden (vgl. Art. 71a Abs. 1 E-AIG). Dabei soll die Abgeltung der Kantone die heute geltenden Ansätze für kurzfristige Einsätze nicht unterschreiten. Im Grenzschutzbereich erfolgt keine Abgeltung an die Kantone für Expertinnen und Experten oder Spezialistinnen und Spezialisten.

2.8

Exekutivbefugnisse

Die SVP fordert, die Vorlage dahingehend anzupassen, dass Exekutivbefugnisse der Agentur in der Schweiz von Gesetzes wegen ausgeschlossen werden bzw. einer ausdrücklichen Genehmigung der Bundesversammlung bedürfen. Analog solle es sich bei der Wahrnehmung von Exekutivbefugnissen durch Schweizer Personal im Ausland verhalten. Hierfür soll zumindest eine zwingende vorgängige Konsultation der zuständigen parlamentarischen Kommission vorgesehen werden. Gemäss der Stellungnahme der GPS müsse die Erweiterung der Exekutivbefugnisse von einer erhöhten Rechenschaftspflicht und Haftung begleitet werden. Der SGB begrüsst zwar die vorgesehene Unterstellung der Teammitglieder unter das Disziplinarwesen des Herkunftslandes, befürchtet aber, dass dies nicht ausreichen wird, um das Problem der Verantwortung zu lösen, namentlich, dass das Personal der Agentur nicht dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) oder nationalem Recht unterstellt sei.

29

SR 142.281

7131

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Haltung des Bundesrates Die Wahrnehmung von Exekutivbefugnissen erfordert die Genehmigung des Einsatzstaats. Aufgaben und Befugnisse dürfen von den Einsatzkräften nur unter den Anweisungen und grundsätzlich nur in Gegenwart einer Vertreterin oder eines Vertreters des Einsatzmitgliedstaats wahrgenommen werden. Bei einem Einsatz von ausländischem Personal in der Schweiz ist gemäss Artikel 3a VZAG die EZV u. a.

zuständig für die Mitwirkung bei der Ausarbeitung der Einsatzpläne sowie die Einsatzführung in Zusammenarbeit mit der Agentur. Betreffend die geforderte Rechenschaftspflicht kann der Bundesrat das Anliegen zwar nachvollziehen, verweist dazu aber auf die Ausführungen zur Rechenschaftspflicht unter Ziffer 2.5.

Betreffend Unterstellung unter den EuGH oder nationale Gerichte wird auf Ziffer 2.9.1 verwiesen.

2.9

Weitere Bemerkungen

2.9.1

Haftung für Schäden

Die SP verlangt eine Klärung der Frage, ob die Schweiz im Zusammenhang mit der Haftung für Schäden von Teammitgliedern bei einer Streitbeilegung ebenfalls dem EuGH untersteht (vgl. Art. 84 Abs. 4 EU-Verordnung zur Anhängigmachung von Streitigkeiten beim EuGH).

Haltung des Bundesrates Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung für Schäden von Teammitgliedern greifen die Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung der EUVerordnung (Art. 84). Demnach wird das Personal der Agentur (inkl. Statutspersonal) dem Recht des Einsatzstaates unterstellt. Verursacht ein Teammitglied einen Schaden, obliegt es grundsätzlich dem Einsatzstaat, den Schaden zu erstatten. Im Falle grobfahrlässigen oder vorsätzlichen Handelns des Teammitglieds kann der Einsatzstaat auf den Herkunftsstaat Regress nehmen. Zudem kann der Einsatzstaat in gleicher Weise von der Agentur die Erstattung der durch den Einsatzstaat an die Geschädigten oder ihre Rechtsnachfolger gezahlten Beträge verlangen. Dies gilt unbeschadet von beim EuGH gegen die Agentur gemäss Artikel 98 der EU-Verordnung erhobenen Klagen.

Grundsätzlich gilt, dass die Schweizer Gerichte und Behörden in der Auslegung und Anwendung des Schengen-Besitzstands autonom sind. Auch das SchengenAssoziierungsabkommen beinhaltet keine entsprechende Regelung, schliesst eine partielle Unterstellung aber auch nicht aus.

Die vorliegende EU-Verordnung sieht ­ wie bereits die noch geltende Verordnung ­ eine punktuelle Unterstellung unter den EuGH vor. Demnach übernimmt der EuGH für die in Artikel 84 beschriebenen Streitigkeiten - dies beinhaltet auch die Haftung für Schäden ­ eine Art Schiedsgerichtsfunktion. Nur so kann eine einheitliche Anwendung garantiert werden. Die Unterstellung gilt demnach für die Mitgliedstaaten sowie für die assoziierten Staaten gleichermassen. Andernfalls bestünde dort eine Rechtslücke, die anderweitig nicht aufgefangen werden könnte.

7132

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2.9.2

Publikation in der SR

Die SP fordert, dass die in der Schweiz direkt anwendbaren EU-Verordnungen in der Systematischen Rechtssammlung (SR) publiziert werden.

Haltung des Bundesrates In der Schweiz erfolgt die Veröffentlichung der übernommenen Weiterentwicklungen in der Amtlichen Sammlung (AS) nach den Grundsätzen, die das Publikationsgesetz vom 18. Juni 200430 (PublG) hinsichtlich der Veröffentlichung von internationalem Recht aufstellt. Eine Veröffentlichung der übernommenen EU-Rechtsakte als solche, unabhängig davon, ob sie direkt anwendbar sind oder nicht, ist nicht vorgesehen. Gegenstand der Veröffentlichung sind aber die Notenaustausche, durch welche die jeweiligen Weiterentwicklungen übernommen werden und welche aus Schweizer Sicht Staatsverträge darstellen. Diese werden nach Artikel 3 PublG in der AS/SR publiziert, wenn sie einen rechtlich verbindlichen Inhalt aufweisen und zudem von einer gewissen Tragweite sind31. Die Publikation der jeweiligen Weiterentwicklung erfolgt indirekt mittels Verweis auf die Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl.; Art. 5 Abs. 1 Bst. b PublG), womit der Zugang zum jeweiligen Normtext gewährleistet ist. Für eine Änderung dieser publikationsrechtlichen Grundsätze sieht der Bundesrat daher im Rahmen der vorliegenden Vorlage keinen Anlass.

2.10

Änderung des Asylgesetzes

Die Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zur Änderung des AsylG geäussert haben, stimmen ihr zu (z. B. BS, SO, TG, UR, ZG, KKJPD, VKM, FDP, SP, SVP).

SO führt aus, dass die Ergänzung bezüglich Verlassen des Schengen-Raums Klarheit über die entsprechenden Bedingungen bzw. Auflagen bringt. Die SP begrüsst den Vorbehalt hinsichtlich völkerrechtlicher Verträge und formuliert die Erwartung, dass dieser zu einer menschenrechtskonformen Anwendung des Asylgesetzes beitragen wird. Die SVP begrüsst die Aufnahme der Verpflichtung zum Verlassen des Schengen-Raums in den Wegweisungsverfügungen.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat sieht aufgrund der breiten Zustimmung keinen Anpassungsbedarf.

3

Grundzüge der EU-Verordnung

Zum Zweck effizienterer Kontrollen der Aussengrenzen, der Rückführungen von ausreisepflichtigen Personen sowie der Bekämpfung grenzüberschreitender Krimi30 31

SR 170.512 Verträge von beschränkter Tragweite (vgl. Art. 7a Abs. 3 RVOG, SR 172.010) werden nur ausnahmsweise in der AS veröffentlicht (Art. 2 PublV; SR 170.512.1).

7133

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nalität soll die Europäische Grenz- und Küstenwache reformiert werden und ein stärkeres Mandat erhalten. Die Europäische Grenz- und Küstenwache setzt sich zusammen aus den für die Grenzverwaltung und die Rückführung zuständigen nationalen Behörden sowie der Agentur (vgl. Art. 4). Die EU-Verordnung sieht wie bisher schwerpunktmässig Aktivitäten in den Bereichen Grenzüberwachung und Rückkehr vor.

Die EU-Verordnung übernimmt den Inhalt von zwei bestehenden Verordnungen (Verordnung [EU] Nr. 1052/2013 und Verordnung [EU] 2016/1624) und entwickelt diese punktuell weiter.

Im Folgenden sind die wichtigsten Regelungsbereiche der beiden genannten Verordnungen aufgeführt, die sich auch in der EU-Verordnung wiederfinden:

32

­

Integrierte Europäische Grenzverwaltung (Art. 3);

­

gemeinsame Verantwortung der Agentur und der Schengen-Staaten (Art. 7);

­

Plicht zur loyalen Zusammenarbeit (Art. 11) und zum Informationsaustausch (Art. 12);

­

die vom jeweiligen Schengen-Staat zu definierende nationale Kontaktstelle (Art. 13);

­

Überwachung der Migrationsströme und die Risikoanalyse (Art. 29);

­

Verbindungsbeamte32 der Agentur in den Schengen-Staaten (Art. 31);

­

Schwachstellenbeurteilung (Art. 32);

­

Einstufung der Aussengrenzabschnitte (Art. 34);

­

Regelungen zu den Aktionen der Agentur an den Aussengrenzen einschliesslich die Einleitung von gemeinsamen Aktionen und Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken an den Aussengrenzen (Art. 36 bis 39 und Art. 41 und 42);

­

Einsatzplan, im Falle einer gemeinsamen Aktion (Art. 38);

­

Unterstellung der Teammitglieder unter das Disziplinarwesen ihres Herkunftsstaates, sofern sie nicht Teil des Statutspersonal sind (Art. 43 Abs. 5);

­

Kostenübernahme der Agentur bei Einsätzen von Personal der SchengenStaaten (Art. 45);

­

Personelle Verpflichtung der Schengen-Staaten an die Reserve für Soforteinsätze (Art. 58 und Anhang 4);

­

Aussenstellen für die Koordinierung operativer Tätigkeiten (Art. 60);

­

Erwerb oder Leasen von technischer Ausrüstung durch die Agentur (Art. 63) und den entsprechenden Pool (Art. 64);

­

Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die sich auch auf Statusvereinbarungen abstützen (Art. 71 und Art. 73); Die EU-Verordnung spricht von Verbindungsbeamten. Die Schweiz kennt den Beamtenstatus nicht mehr. Es wird daher im weiteren Text auch aus geschlechtsneutralen Gründen der Begriff der Verbindungsperson verwendet.

7134

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­

Zusammenarbeit zwischen Schengen-Staaten und Drittstaaten (Art. 72);

­

Aufgaben und Befugnisse der Teammitglieder (Art. 82);

­

die zivil- und strafrechtliche Haftung von Teammitgliedern (Art. 84 und Art. 85);

­

Rechtstellung der Agentur, sowie Sitz, Haftung, Struktur, Aufgaben und Zusammensetzung des Verwaltungsrates, Vorsitz und Sitzungen des Verwaltungsrates, Abstimmungen, Programmplanung und jährliche Arbeitsprogramme (Art. 93 ­ 94, 96 ­ 97 und 99 ­ 106);

­

das Beschwerdeverfahren im Falle von konkreten und begründeten Grundrechtsverletzungen (Art. 111).

Die neuen Bestimmungen sorgen zudem für die Eingliederung des Systems EUROSUR in die Europäische Grenz- und Küstenwache, um dessen Funktionsweise zu verbessern. Grundsätzlich werden deshalb die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 übernommen und dahingehend erweitert, dass neu bestimmte Daten betreffend die Luftaussengrenzen und Grenzposten an die Agentur übermittelt werden müssen. Um ihre Tätigkeiten im Bereich der Risikoanalyse, der Beurteilung allfälliger Schwachstellen sowie im Bereich Lagebeurteilung effektiver und zielgerichteter wahrnehmen zu können, errichtet und pflegt die Agentur zudem ein Kommunikationsnetz. Zu diesem Zweck soll insbesondere das bereits bestehende System EUROSUR als integrierter Rahmen für den Informationsaustauch und die operative Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Grenz- und Küstenwache integriert werden.

Die Kommission erlässt einen Durchführungsrechtsakt zur Festlegung der Einzelheiten der Informationsschichten, aus denen die Lagebilder zusammengesetzt sind, und der Regeln für die Erstellung von spezifischen Lagebildern (Art. 24 Abs. 3). Im Durchführungsrechtsakt wird festgelegt, welche Informationen bereitzustellen sind und welche Einrichtungen für die Sammlung, Verarbeitung, Archivierung und Übermittlung bestimmter Informationen zuständig sind. Ferner werden darin die Fristen für die Berichterstattung, die Datensicherheits- und Datenschutzvorschriften und entsprechende Qualitätskontrollmechanismen festgelegt.

Die Schengen-Staaten sind berechtigt, jährlich Finanzmittel zu erhalten, um den Ausbau der nationalen personellen Kapazitäten zu unterstützen, und so ihre in den Anhängen II, III und IV festgelegten Beiträge zur ständigen Reserve leisten zu können (Art. 61). Diese Finanzmittel werden nach Ablauf des betreffenden Jahres und in Abhängigkeit von der Erfüllung bestimmter Bedingungen geleistet. Um die Auswirkungen auf die Schengen-Staaten zu mindern, die sich im Zusammenhang mit der Einstellung von Statutspersonals durch die Agentur für die ständige Reserve der Europäischen Grenz- und Küstenwache ergeben könnten, sollten die SchengenStaaten bei der Deckung der Kosten für die Ausbildung von neuem Personal, welches das ausscheidende Personal ersetzt, unterstützt werden. Um einen einheitlichen Prozess für die Beantragung dieser Unterstützung zu
gewährleisten, wird die Kommission einen Durchführungsrechtsakt erlassen. Dieser soll unter anderem Regelungen für Vorauszahlungen bei der Erfüllung von festgelegten Bedingungen sowie Regelungen für anteilsmässige Berechnungen enthalten.

7135

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Die Agentur soll überdies mit den erforderlichen Kapazitäten in Form einer ständigen Reserve ausgestattet werden (kontinuierlicher Ausbau auf bis zu 10 000 Einsatzkräfte ab 2021 bis 2027), und das notwendige Material bereitgestellt werden.

Die ständige Reserve besteht aus direkt von der Agentur eingestelltem und ausgebildetem Personal (Kat. 1) und von den Schengen-Staaten langfristig (zwei Jahre, Kat. 2), sowie kurzfristig (maximal vier Monate, Kat. 3) entsandtem oder über die Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4) abbestelltem Personal. Der Beitrag der Schengen-Staaten zu den Kategorien 2 und 3 sowie 4 ist verbindlich in den Anhängen II und III sowie IV der Verordnung geregelt. Darüber hinaus wird das Mandat der Agentur im Rückkehrbereich und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten gestärkt. Neu soll die Unterstützung im Rückkehrbereich der Agentur im Einvernehmen mit dem betroffenen Schengen-Staat auch aus eigener Initiative möglich sein. Diese Unterstützung erstreckt sich auf alle Phasen der Rückkehr (Vorbereitung bis Rückführung) und schliesst auch die freiwillige Rückkehr mit ein. Neu kann die Agentur die Schengen-Staaten deshalb auch bei der Identifizierung von Drittstaatsangehörigen und bei der Beschaffung von Reisedokumenten unterstützen. Ebenfalls soll die Agentur Unterstützungsmassnahmen ergreifen können, um wirksam gegen die Problematik des Untertauchens von ausreisepflichtigen Personen vorgehen zu können. Vorrangig sind weiterhin die einzelnen Staaten für die Aussengrenzen zuständig, die diese Grenzverwaltung im eigenen und gemeinsamen Interesse aller Schengen-Staaten sicherstellen. Auch im Rückkehrbereich sind Entscheide über Rückführungen und Administrativhaft allein Sache der einzelnen Staaten.

Schliesslich stärkt die EU-Verordnung auch die Massnahmen zum Schutz der Grundrechte. So wird neu ein Team von vierzig Grundrechtebeobachterinnen und -beobachtern eingerichtet, welche unter anderem die Einhaltung der Grundrechte bei operativen Tätigkeiten überwachen. Die Grundsätze im Bereich der Grundrechte wurden aus der bisherigen Verordnung übernommen (Art. 80). Das Beschwerdeverfahren (Art. 111) wird mit einigen Konkretisierungen und Ergänzungen aus der bisherigen Verordnung übernommen. Für weitere Ausführungen zu den Grundrechten siehe Ziff. 4.9.

4

Inhalt der EU-Verordnung, Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1

Integrierte europäische Grenzverwaltung

Das Konzept der integrierten europäischen Grenzverwaltung beinhaltet wie bereits heute namentlich folgende Komponenten (vgl. Art. 3): Grenzkontrollen, Such- und Rettungseinsätze für Menschen in Seenot, Risikoanalyse für die innere Sicherheit sowie die Analyse weiterer Bedrohungen, die die Sicherheit der Aussengrenze beeinträchtigen können, Zusammenarbeit zwischen den für die Grenzaufgaben zuständigen nationalen und europäischen Behörden, Zusammenarbeit der Agentur mit Drittstaaten, bessere Bekämpfung illegaler Einwanderung, Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sowie Rückkehr von Drittstaatsangehörigen, gegen die Rückkehrentscheidungen von Schengen-Staaten ergangen sind.

7136

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Gestützt auf dieses mit der Verordnung (EU) 2016/1624 weiterentwickelte und erstmals kodifizierte und davor bereits als best practice geltende Verständnis der integrierten Grenzverwaltung hat die Schweiz bereits im Jahr 2012 die erste nationale Grenzverwaltungsstrategie verabschiedet und 2014 mit einem Aktionsplan vervollständigt. Die Folgestrategie («Strategie der Integrierten Grenzverwaltung 2027»33), welche der Bund und die Kantone gemeinsam erarbeitet haben, wurde vom Bundesrat am 27. November 2019 zur Kenntnis genommen.

Die integrierte europäische Grenzverwaltung wird weiterhin in gemeinsamer Verantwortung von der Agentur und den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden wahrgenommen, wobei den Schengen-Staaten nach wie vor die vorrangige Zuständigkeit für den Schutz ihrer Aussengrenzen zukommt.

Neu wird in Artikel 8 ein mehrjähriger strategischer Politikzyklus für die europäische Grenzverwaltung festgelegt. Im Rahmen dieses Politikzyklus sollen die politischen Prioritäten und strategischen Leitlinien zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Grenzverwaltung und Rückkehr definiert werden. Der Politikzyklus beinhaltet einen mehrstufigen Strategieprozess, bei welchem die Kommission in einem ersten Schritt ein Strategiepapier zur integrierten europäischen Grenzverwaltung erarbeitet, welches dem Europäischen Parlament sowie dem Rat der EU zur Erörterung vorgelegt wird. Die Agentur erarbeitet auf dessen Basis eine technisch-operative Strategie. Schliesslich legen die Schengen-Staaten zur Umsetzung der mehrjährigen strategischen Politik für die integrierte europäische Grenzverwaltung ihre nationalen Strategien fest. Am Ende des Zyklus wird eine Evaluation vorgenommen. Gestützt auf diese Evaluation überarbeitet die Kommission das Strategiepapier.

Die integrierte europäische Grenzverwaltung erfordert eine integrierte Planung zwischen den Schengen-Staaten und der Agentur im Hinblick auf die Grenzverwaltung und die Rückführung. Auf der Grundlage des strategischen Politikzyklus für die integrierte europäische Grenzverwaltung erarbeitet die Europäische Grenz- und Küstenwache deshalb eine Planung für die Grenzverwaltung und die Rückführungen aus. Diese Planung umfasst eine operative Planung, eine Notfallplanung sowie eine Planung bezüglich der mittel- und langfristigen
Entwicklung der nationalen Kapazitäten für die Grenzverwaltung und die Rückkehr (Kapazitätsausbauplan). Die operativen Pläne enthalten Einsatzpläne für die europäische Grenzverwaltung und die Rückkehr, welche durch die Schengen-Staaten und die Agentur entwickelt werden.

Diese Planungsinstrumente dienen der Agentur für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäss Artikel 10. Die für die Planungsinstrumente notwendigen Informationen sind allgemeiner Natur, und es handelt sich nicht um personenbezogene Daten. Im AIG soll eine Bestimmung aufgenommen werden, welche diese Form der Zusammenarbeit im Bereich der Planung zwischen dem Bund und der Agentur regelt (vgl. Art. 7 Abs. 1bis E-AIG).

Die EU-Verordnung sieht weiter vor, dass das nationale Koordinierungszentrum (vgl. Ziff. 4.3.2) neben bereits bestehenden Aufgaben im Bereich des Informations-

33

Startseite SEM > Einreise & Aufenthalt > Einreise > Integrierte Grenzverwaltung / Integrated Border Management (IBM)

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austauschs neu auch solche im Bereich der übergeordneten Koordination und Planung wahrnehmen soll (Art. 21).

Bei den konkreten Umsetzungsarbeiten beim Bund und den Kantonen ist insbesondere der dezentralen Ausrichtung der schweizerischen Grenzverwaltung soweit wie möglich Rechnung zu tragen. Aus diesem Grund sind Koordinierungsmechanismen auf nationaler Ebene notwendig (siehe hierzu Ziff. 4.3.2).

Seit der Einführung der jährlichen Schwachstellenbeurteilung gemäss Artikel 13 der Verordnung (EU) 2016/1624 gab es immer wieder Fragen und Diskussionen zur Überschneidung mit dem Schengen-Evaluierungsmechanismus. Artikel 33 Absatz 1 der EU-Verordnung stellt nun klar, dass die Synergien zwischen den beiden Mechanismen maximiert werden müssen. Damit sollen eine Doppelarbeit der SchengenStaaten vermieden und eine koordinierte Verwendung der einschlägigen EUFinanzierungsinstrumente zur Unterstützung der Aussengrenzverwaltung sichergestellt werden. Zu diesem Zweck soll ein Austausch aller Informationen zu den Ergebnissen der Schwachstellenbeurteilung und zum Schengen-Evaluierungsmechanismus stattfinden.

4.2

Personalkategorien der Agentur

4.2.1

Übersicht

Die Artikel 5 und 54 schaffen eine ständige Reserve von bis zu 10 000 Einsatzkräften (vgl. Art. 5 Abs. 2) für die Agentur, welche sie bei Bedarf abrufen kann. Die Kapazität soll ab dem Jahr 2021 schrittweise erhöht werden (von bis zu 6 500 Einsatzkräften) bis zum Jahr 2027 (bis auf 10 000 Einsatzkräfte). Das Kontingent besteht aus vier Kategorien (1 ­ 4), deren maximale Kapazitäten in den Anhängen I ­ IV zur Verordnung aufgeführt sind. Lang- und kurzfristige Entsendungen durch die Schengen-Staaten werden neu in die Kategorien 2, 3 und 4 eingeteilt (siehe Ziff. 4.2.3 bis 4.2.5). Zudem ändert sich gegenüber der Verordnung (EU) 2016/1624 die Verbindlichkeit der Entsendung und Bereitstellung von personellen und materiellen Ressourcen für die Schengen-Staaten, die neu auf alle Beiträge Anwendung findet und nicht nur auf diejenigen für den Soforteinsatzpool. Neu ist zudem auch, dass im Rückkehrbereich ebenfalls langfristige Einsätze (Kat. 2) vorgesehen sind. Die neue ständige Reserve gewährleistet, dass die Agentur jederzeit über die erforderlichen Ressourcen verfügt. Die Agentur legt fest, welche Profile die zu entsendenden Einsatzkräfte erfüllen müssen. Dazu gehören zum Beispiel Grenzschutzexpertinnen und -experten, Dokumentenspezialistinnen und -spezialisten, Hundeführer oder Rückkehrspezialistinnen.

Gemäss Artikel 59 muss die Kommission dem Europäischen Parlament und Rat bis 31. Dezember 2023 die Ergebnisse der Überprüfung der Gesamtzahl und Zusammensetzung der ständigen Reserve vorlegen. Ebenfalls überprüft wird der Umfang, in dem die einzelnen Schengen-Staaten zur ständigen Reserve beitragen. Bei der Überprüfung sind die bestehenden und potenziellen operativen Erfordernisse zu berücksichtigen. Bis im März 2024 sind dann durch die Kommission konkrete Vorschläge zu allfälligen Änderungen der Kapazitäten der Europäischen Grenz- und 7138

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Küstenwache vorzulegen. Der Rat der EU sowie das Europäische Parlament entscheiden schliesslich über eine allfällige Anpassung gestützt auf den Vorschlag der Kommission. Werden keine Änderungen der personellen Ressourcen für die verschiedenen Kategorien vorgeschlagen, hat die Kommission dies zu begründen.

Nachfolgend die wichtigsten Ausführungen zu den vier Kategorien der ständigen Reserve. Zu den finanziellen Auswirkungen in Bezug auf die ständige Reserve vgl. Ziffer 7.2.

4.2.2

Statutspersonal (Kat. 1; Art. 55)

Es handelt sich dabei um eine der wichtigsten Neuerungen der Verordnung. Diese Kategorie besteht aus Personal, das direkt von der Agentur angestellt wird und das verschiedene Funktionen wahrnehmen kann.

Dabei kann es sich um Teammitglieder handeln, die wie Einsatzkräfte der anderen Kategorien in diversen Einsatzbereichen mit Zustimmung und unter Aufsicht der Einsatzstaaten eingesetzt werden (Art. 55 Abs. 1; siehe auch Ziff. 4.3.1 zu den Exekutivbefugnissen). Das Statutspersonal kann auch Funktionen im Bereich der Unterstützung, Planung und Überwachung von Einsätzen ausüben oder sich um den Erwerb der Ausrüstung der Agentur kümmern (Art. 54. Abs. 7). Ebenfalls zum Statutspersonal gehört das technische Personal, welches für die Bedienung der Ausrüstung der Agentur, zum Beispiel von Flugzeugen, zuständig ist (Art. 55 Abs. 1 und 3).

Das für den Betrieb der ETIAS-Zentralstelle zuständige Personal (siehe Ziff. 4.7.2) sowie die 40 Grundrechtebeobachterinnen und -beobachter (siehe Ziff. 4.9) gehören ebenfalls zur Kategorie 1 (Art. 54 Abs. 1).

Die Agentur stellt die Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern sicher, die ein hohes Mass an Professionalität aufweisen, hohen ethischen Werten verpflichtet sind und über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen (Art. 55 Abs. 2). Als Teammitglieder entsandte Einsatzkräfte werden im Grenzschutz- oder Rückführungsbereich sowie im Hinblick auf die Grundrechte geschult. Die Schulung erfolgt sowohl in den Schulungseinrichtungen der Agentur als auch in den Schengen-Staaten. Das technische Personal muss keine vollständigen grenzschutz- oder rückkehrbezogenen Schulungen absolvieren (Art. 55 Abs. 3).

Nach Artikel 55 Absatz 5 führt der Verwaltungsrat der Agentur einen Aufsichtsmechanismus zur Kontrolle der Anwendung von Zwang bei Einsätzen einschliesslich Disziplinarmassnahmen ein. Dabei sind die Einsatzkräfte der Kategorie 1 administrativ der Agentur sowie während ihres Einsatzes dem Recht des Einsatzstaates unterstellt (siehe Ziff. 4.3.1).

7139

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4.2.3

Langfristig entsandtes Personal der Schengen-Staaten (Kat. 2; Art. 56)

Von den Schengen-Staaten entsandte Einsatzkräfte waren bereits in der bisherigen Verordnung vorgesehen, allerdings auf freiwilliger Basis. Künftig ist die Bereitstellung von Einsatzkräften als Teammitglieder für 24 Monate (einmal um 12 bis 24 Monate verlängerbar) durch die Schengen-Staaten verbindlich.

Diese Kategorie sollte nach dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission insgesamt 3000 Einsatzkräfte ­ darunter 32 Einsatzkräfte aus der Schweiz ­ umfassen.

Bei den Verhandlungen wurde angesichts der Herausforderungen, die diese Bereitstellung von langfristigem Personal in Bezug auf die Rekrutierung und die Kosten für die Schengen-Staaten bedeutet, schliesslich um die Hälfte auf bis zu 1500 Einsatzkräfte reduziert; d.h. für die Schweiz auf bis zu 16 Einsatzkräfte. Ausserdem wird die Umsetzung schrittweise erfolgen. In einem ersten Schritt sind vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgesehen; die Rekrutierung läuft aktuell.

Die Agentur beantragt jährlich den Beitrag an Personal der Schengen-Staaten sowie die entsprechenden Personalprofile für Einsätze. Der Verwaltungsrat legt bis am 31. März des Vorjahrs auf Vorschlag des Exekutivdirektors die benötigte Anzahl und Personalprofile für Langzeit- und Kurzzeiteinsätze für das folgende Jahr fest (Art. 54 Abs. 4).

Jeder Staat benennt bis zum 30. Juni eines jeden Jahres die Bewerberinnen und Bewerber für die Entsendung nach den vom Verwaltungsrat für das Folgejahr beschlossenen Zahlen und Personalprofilen (Art. 56 Abs. 4). Während der Entsendung entscheidet der Exekutivdirektor gemäss den operativen Erfordernissen, wo und wie lange die Mitglieder der Kategorie 2 eingesetzt werden. Die Gehälter der Einsatzkräfte werden von ihrem Herkunftsland, die Kosten für die Einsätze und die einsatzspezifische Aus- bzw. Weiterbildung von der Agentur übernommen (Art. 56 Abs. 2 und 62).

Die Schweiz hat bisher keine langfristig entsandten Einsatzkräfte bereitgestellt. Im Jahr 2021 werden es vier, 2022 und 2023 fünf und bis 2027 maximal 16 Einsatzkräfte sein. Bei den Personen, die die Schweiz der Agentur zur Verfügung stellt, kann es sich neben dem Personal für Grenzkontrollen auch um Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten des SEM sowie um polizeiliche Begleitpersonen der Kantone handeln. Das Verhältnis der erforderlichen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Grenzschutz oder Rückkehr gibt die Agentur vor; sie macht diese abhängig von der aktuellen Lage und den Bedürfnissen.

4.2.4

Kurzfristig entsandtes Personal der SchengenStaaten (Kat. 3; Art. 57)

Diese Kategorie entspricht weitgehend dem heutigen Entsendesystem der SchengenStaaten. Neu sind die maximalen Kapazitäten in Anhang III der EU-Verordnung verbindlich festgelegt. Die Dauer der Entsendung beträgt maximal vier Monate. Die Schengen-Staaten können die Entsendung ihrer Einsatzkräfte aber verlängern. Diese Verlängerung gilt als separater Beitrag und wird somit angerechnet (Art. 57 Abs. 2).

7140

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Gleichzeitig mit den langfristigen Abordnungen benennt die Schweiz auch die verfügbaren Einsatzkräfte für die Kategorie 3 gemäss den Vorgaben der Personalprofile des Verwaltungsrats entsprechend der im Anhang III festgelegten Anzahl (Art. 57 Abs. 1). Die Agentur beantragt bis zum 31. Juli des Vorjahrs eine Auswahl des benötigten Personals aus der Liste (Art. 57 Abs. 5). Die definitive Anzahl und die Personalprofile werden wie bisher in den jährlichen bilateralen Verhandlungen zwischen der Agentur und den Schengen-Staaten bis zum 1. Dezember des Vorjahrs festgelegt. Bei einem höheren Bedarf wird der Einsatz im Rahmen der in Anhang III festgelegten Beiträge durchgeführt. Der Exekutivdirektor informiert die SchengenStaaten unverzüglich über den zusätzlichen Bedarf unter Angabe der Anzahl von Einsatzkräften und der Personalprofile, die jeder Schengen-Staat zur Verfügung stellen muss (vgl. Art. 57 Abs. 5 bis 8). Allerdings kann die Schweiz nicht zu einer höheren Anzahl als vorgegeben verpflichtet werden. Die zuständige Ansprechstelle für die entsprechenden Verhandlungen ist das EFD. Das EJPD ist für den Bereich Rückkehr zuständig und trifft direkt mit der Agentur in diesem Bereich die entsprechenden Vereinbarungen (Art. 71a Abs. 2 AIG).

Wie bisher werden die Gehälter und die Grundausbildung von den Schengen-Staaten finanziert. Die Kosten für die spezifische Schulung zu den Grundrechten werden wie die Einsatzosten von der Agentur übernommen (Art. 45 und 62).

Die kurzfristigen Einsätze (Kat. 3) dauern grundsätzlich dreissig Tage bis maximal vier Monate (Art. 57 Abs. 2 und 10). Über die Dauer des kurzfristigen Einsatzes im Einzelfall entscheidet der Herkunftsstaat (Art. 57 Abs. 10).

Für kurzfristige Entsendungen sieht Anhang III für das Jahr 2021 für die Schweiz bis zu 38 Einsätze vor, bis 2027 sollen es bis zu 59 Einsätze sein. Wie bereits erwähnt, handelt es sich aber nicht um Vollzeitstellen, sondern um Entsendungen von bis zu vier Monaten. Ausserdem handelt es sich jeweils um maximale Kapazitäten.

Die tatsächlichen Zahlen hängen von der jeweiligen Lage ab. Würden die Kapazitäten aller Länder ausgeschöpft, wären es für die Schweiz maximal 59 Einsätze à vier Monate, also rund 236 Einsatzmonate, was rund 21 Vollzeitstellen entsprechen würde (ohne Ferien- und Feiertage). Schliesslich kann es sich je nach Bedarf wie bei Kategorie 2 um Entsendungen der EZV, des SEM oder der Kantone handeln.

4.2.5

Reserve für Soforteinsätze (Kat. 4; Art. 58)

Im Rahmen der Trilogverhandlungen wurde im Hinblick auf die schrittweise Einführung der Kategorien 1 ­ 3 beschlossen, die mit der bisherigen Verordnung eingeführte Reserve für Soforteinsätze beizubehalten, um in einer akuten Gefährdungssituation rasch reagieren zu können. Die Reserve umfasst 1 500 Einsatzkräfte (gemäss Anhang IV 16 aus der Schweiz) und kann nur für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken aktiviert werden. Das Personal der Kategorie 4 hat dieselben Exekutivbefugnisse wie die restlichen Teammitglieder der Kategorien 1 bis 3 (Art. 37 Abs. 1). Das im Rückführungsbereich zuständige Personal ist von der Soforteinsatzreserve ausgenommen. Voraussetzung ist, dass das Personal der Kategorien 1 bis 3 bereits vollständig für den zu Grenzsicherungszwecken entsandt wurde. Zudem muss der Exekutivdirektor bei einem Soforteinsatz an der Grenze die Verlegung von 7141

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Einsatzkräften innerhalb der ständigen Reserve, insbesondere der Kategorien 1 und 2, von anderen Einsatzgebieten prüfen.

Wegen ihrer Subsidiarität und den Verlegungsmöglichkeiten anderer Kategorien dürfte die Soforteinsatzreserve nur im Ausnahmefall benötigt werden. Nach Artikel 59 ist bei der Halbzeitüberprüfung der ständigen Reserve bis zum 31. Dezember 2023 ausserdem auch die Beibehaltung der Soforteinsatzreserve zu prüfen. Nach heutigem Stand kann davon ausgegangen werden, dass sie wie in Anhang I der Verordnung vorgesehen Ende 2024 aufgelöst wird, wenn die Europäische Grenzund Küstenwache ihre maximale Kapazität erreicht hat. Die Dauer der Entsendung beträgt auch hier bis zu vier Monate. Die Einsatzkräfte sind im regulären nationalen Einsatz, sofern kein Soforteinsatz ausgelöst wird.

4.3

Weitere Bestimmungen zum Personal

4.3.1

Exekutivbefugnisse (Art. 82)

Die Schaffung einer Kategorie von EU-Personal mit Exekutivbefugnissen ist eine Neuerung in der europäischen Gesetzgebung. Die Verordnung muss deshalb die Befugnisse, die das Personal der Kategorie 1 wahrnehmen kann, auf dieselbe Weise wie im Recht der Staaten in Bezug auf die nationalen Einsatzkräfte vorsehen. Das Gleiche gilt für das Tragen von Waffen (siehe dazu Art. 82 Abs. 7).

Zu den Exekutivbefugnissen gehören (Art. 55 Abs. 7): ­

Überprüfung der Identität und Staatsangehörigkeit von Personen, einschliesslich der Konsultierung einschlägiger Datenbanken;

­

Gestattung der Einreise nach Durchführung einer Grenzübertrittskontrolle an den Grenzübergangsstellen;

­

Verweigerung der Einreise nach Durchführung einer Grenzübertrittskontrolle an den Grenzübergangsstellen;

­

Ausstellung oder Verweigerung von Visa an der Grenze;

­

Grenzüberwachung;

­

Registrierung der Fingerabdrücke von Personen;

­

Verbindungsaufnahme mit Drittstaaten zur Identifizierung von Drittstaatsangehörigen, die einer zur Rückkehr verpflichtenden Entscheidung unterliegen, und zur Beschaffung von Reisedokumenten für diese Personen;

­

Begleitung von Drittstaatsangehörigen, die einem Rückführungsverfahren unterliegen.

Bei der Ausarbeitung der Verordnung haben neben der Schweiz auch andere Staaten Bedenken geäussert, dass die Einsatzkräfte der neuen Kategorie 1 von einer Agentur der EU eingestellt und ausgebildet werden, der sie unterstehen. Zur Wahrung der Souveränität der Schengen-Staaten waren deshalb verschiedene Punkte zu klären.

Einsatzkräfte der Kategorie 1 sind wie die der Kategorien 2, 3 und 4 Artikel 82 unterstellt. Das heisst, dass sie die Exekutivbefugnisse nur mit Genehmigung des 7142

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Einsatzstaats (Art. 82 Abs. 2), nur auf Anweisung und grundsätzlich nur in Gegenwart von Einsatzkräften des Einsatzstaats wahrnehmen dürfen (Art. 82 Abs. 4). Die Wahrnehmung der Exekutivbefugnisse ist immer dem Recht des Einsatzstaates unterstellt (Art. 82 Abs. 3 und Art. 85). Konkret heisst das, dass Einsatzkräfte der Agentur in der Schweiz nur mit der Zustimmung der Schweiz zum Einsatzplan Exekutivbefugnisse ausüben dürfen und dass Schweizer Einsatzkräfte im Ausland keine Exekutivbefugnisse ohne Zustimmung des Einsatzstaats ausüben werden.

4.3.2

Nationale Kontaktstelle und nationales Koordinierungszentrum (Art. 13 und 21)

Jeder Schengen-Staat benennt ein nationales Koordinierungszentrum, das die Tätigkeiten koordiniert und Informationen zwischen allen Behörden mit Zuständigkeiten für die Kontrolle der Aussengrenzen auf nationaler Ebene sowie mit anderen Schengen-Staaten und der Agentur austauscht (Art. 21). Die zentrale Aufgabe der nationalen Kontaktstelle ist entsprechend die Sicherstellung der Kommunikation mit der Agentur im Bereich all ihrer Tätigkeiten (Art. 13). Die nationale Kontaktstelle muss für die zeitnahe Verbreitung sämtlicher Informationen der Agentur an alle betroffenen nationalen Behörden besorgt sein.

Die EZV betreibt heute sowohl die nationale Kontaktstelle als auch das nationale Koordinierungszentrum.

Im Bereich Rückkehr ist, wie bereits heute, das SEM in der Praxis zuständig für den Kontakt mit der Agentur. Dies ist sinnvoll und effizient. Deshalb soll Artikel 3c Absatz 3 VZAG entsprechend angepasst werden (vgl. Ziff. 5.1). Zudem wird das SEM der Agentur künftig Daten übermitteln können (vgl. Art. 111a Abs. 2 E-AIG).

Das SEM informiert die EZV als nationale Kontaktstelle über seine Aktivitäten mit der Agentur. Um die Abläufe in der Praxis zu vereinfachen, ist der Informationsaustausch im Rückkehrbereich jedoch direkt zwischen dem SEM und der Agentur möglich.

4.3.3

Aussenstellen (Art. 60)

Um die Koordination der Massnahmen zu erleichtern, kann die Agentur nach den operativen Erfordernissen Aussenstellen auf dem Hoheitsgebiet eines SchengenStaats oder eines Drittstaats errichten. Die Aussenstellen sollen die Tätigkeiten der Agentur, der Schengen-Staaten oder von Drittstaaten in den jeweiligen Einsatzbereichen operativ und logistisch unterstützen. Sie überwachen die Tätigkeiten der Teams und arbeiten mit den Einsatzmitgliedstaaten in operativen Fragen zusammen. Jede Aussenstelle wird von einem vom Exekutivdirektor ernannten Vertreter der Agentur geführt (art. 60 Abs. 4). Aussenstellen dürfen nur mit Zustimmung des betreffenden Einsatzstaats eingerichtet werden (Art. 60 Abs. 1).

Eine Aussenstelle in der Schweiz ist aufgrund ihrer geografischen Lage und dem Fakt, dass sie nur über Luftaussengrenzen verfügt, sehr unwahrscheinlich. Zudem müsste die Schweiz der Einrichtung einer Aussenstelle vorgängig zustimmen.

7143

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4.3.4

Schulungen (Art. 62)

Die Schulung der ständigen Reserve soll in enger Zusammenarbeit zwischen der Agentur und den Schengen-Staaten insbesondere in Bezug auf die auf die bereits vorhandene Infrastruktur erfolgen (Art. 62). Die Schulungsprogramme sind zu harmonisieren. Die Agentur kann nach Zustimmung des Verwaltungsrats ein eigenes Ausbildungszentrum schaffen und auch mit den Partnereinrichtungen in den Schengen-Staaten zusammenarbeiten. Besonderes Augenmerk wird auf die Schulung der Grundrechte gelegt (siehe Ziff. 4.9).

4.3.5

Erwerb oder Leasing technischer Ausrüstung (Art. 63)

Um zu verhindern, dass es bei der freiwilligen Bereitstellung von technischer und insbesondere kostenintensiver Ausrüstung aus den Schengen-Staaten zu Engpässen kommt, soll die Agentur über eigene Ausrüstung zur Entsendung bei gemeinsamen Aktionen, Soforteinsätzen zur Grenzsicherung oder bei jeder anderen operativen Tätigkeit verfügen. Zwar kann die Agentur seit 2011 rechtlich technische Ausrüstung erwerben oder leasen, diese Möglichkeit war aber aufgrund mangelnder finanzieller Mittel erheblich eingeschränkt. Damit die Agentur dem mit der Schaffung der ständigen Reserve einhergehenden Anspruch gerecht werden und die dem operativen Bedarf entsprechenden Flugzeuge, Schiffe und Fahrzeuge beschaffen, warten und betreiben kann, hat die Kommission einen erheblichen Betrag im Mehrjahresfinanzrahmen 2021 ­ 2027 eingestellt.

Zur wirksamen Verwendung der vorgeschlagenen Finanzmittel soll der Prozess auf einer vom Verwaltungsrat erstellten mehrjährigen Strategie beruhen. Jegliche Ausgaben im Zusammenhang mit einem derartigen Erwerb müssen in dem vom Verwaltungsrat festgelegten Haushaltsplan der Agentur ausgewiesen sein. Die Kontrolle des Haushaltsplans ist in Artikel 116 EU-Verordnung geregelt.

4.3.6

Finanzielle Unterstützung für die Einrichtung der ständigen Reserve (Art. 61)

Ein System der finanziellen Unterstützung soll die langfristige Entwicklung der nötigen Personalressourcen zur Sicherung der Beiträge der Schengen-Staaten an die ständige Reserve gewährleisten (Art. 61). Mit der finanziellen Unterstützung können die Schengen-Staaten zusätzliches Personal im Hinblick auf die nötige Flexibilität für ihren verbindlichen Beitrag an die ständige Reserve einstellen und ausbilden.

Der Mechanismus wird in Ziffer 7.2.4 genauer beschrieben.

7144

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4.4

Einsätze schweizerischen und ausländischen Personals im Grenzschutzbereich

4.4.1

Einsätze schweizerischen Personals im Ausland

Die EZV beteiligt sich seit 2011 an kurzfristigen Entsendungen von Einsatzkräften an die Schengen-Aussengrenzen. Die Reserve für Soforteinsätze wurde mit der Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 eingerichtet. Bereits heute muss die Schweiz verpflichtend Personal im Umfang von maximal 16 Einsatzkräften für den Soforteinsatzpool zur Verfügung stellen. Der Soforteinsatzpool wurde im Jahr 2020 zum ersten Mal aktiviert. Die Schweiz entsandte insgesamt vier Mitarbeiter für einen Soforteinsatz in Griechenland.

Mit der neuen Verordnung werden alle personellen Beiträge der Schweiz obligatorisch, was bei kurzfristigen Einsätzen oder langfristigen Entsendungen bisher nicht der Fall war. Wie bereits erwähnt, hat die Schweiz bisher keine langfristigen Entsendungen vorgenommen.

4.4.2

Einsätze ausländischen Personals in der Schweiz

Fragen zu Einsätzen ausländischen Personals an den Schweizer Aussengrenzen stellen sich vor allem im Rahmen eines allenfalls von der Agentur beschlossenen Soforteinsatzes an den Schweizer Aussengrenzen (internationale Flughäfen). Diesbezüglich hat sich die Situation seit der Verordnung (EU) 2016/1624 nicht verändert. Artikel 42 der EU-Verordnung erteilt weiterhin dem Rat die Kompetenz, mittels Durchführungsrechtsakt auf Antrag der Kommission einen Beschluss zu erlassen, der die von der Agentur durchzuführenden Massnahmen festlegt und die Grundlage bildet, um den betreffenden Schengen-Staat zur Zusammenarbeit mit der Agentur aufzufordern. Die Möglichkeit besteht aber nur, wenn die Wirksamkeit der Kontrollen an den Aussengrenzen so weit reduziert ist, dass das Funktionieren des Schengen-Raums gefährdet ist, weil: ­

ein Schengen-Staat nicht die in einem Beschluss des Verwaltungsrats nach einer Schwachstellungbeurteilung durch die Agentur angeordneten notwendigen Massnahmen ergreift; oder

­

ein Schengen-Staat besonderen und unverhältnismässigen Herausforderungen an den Aussengrenzen ausgesetzt ist und entweder nicht um ausreichende Unterstützung von der Agentur im Hinblick auf gemeinsame Aktionen oder Soforteinsätze an den Aussengrenzen ersucht hat oder nicht die zur Durchführung dieser Massnahmen erforderlichen Schritte unternimmt.

Kommt ein Schengen-Staat diesem Beschluss nicht nach, gelangt das Verfahren nach Schengener Grenzkodex34 (SGK) zur Anwendung (siehe Art. 42 Abs. 10 EUVerordnung und Art. 29 SGK). Konkret hat der betreffende Staat dem Rat und der Kommission zunächst die Gründe für die mangelnde Zusammenarbeit darzulegen.

34

Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), Fassung gemäss ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1

7145

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Als letztes Mittel kann der Rat anderen Schengen-Staaten die Wiedereinführung der Kontrollen an ihren Binnengrenzen empfehlen. Entsprechend kann die Agentur in keinem Fall ohne Zustimmung eines Schengen-Staates auf dessen Hoheitsgebiet intervenieren.

Da die Schweiz keine Landes- oder Seeaussengrenze hat und an der Luftgrenze, das heisst an ihren internationalen Flughäfen, über eine effiziente Grenzüberwachung verfügt (wie die Schengen-Evaluationen bestätigen), ist nicht davon auszugehen, dass die Schweiz von einer solchen Massnahme betroffen sein wird.

Das Statutspersonal der Agentur untersteht nur in administrativer Hinsicht dem Statut der Beamten und sonstigen Bediensteten der EU. Bei den Einsätzen ist das Statutspersonal dem Recht des Einsatzstaats unterstellt, beispielweise in Bezug auf Straftaten, die gegen das Personal oder von ihnen begangen werden (Art. 85).

Die Verordnung (EU) 2016/1624 hat Verbindungspersonen als Schnittstelle zwischen der Agentur und den nationalen Behörden eingeführt. Ihre Aufgabe besteht insbesondere in der regelmässigen Überwachung der Aussengrenzen- und Rückführungsverwaltung durch die Schengen-Staaten. Eine Verbindungsperson kann für bis zu vier Schengen-Staaten zuständig sein (Art. 31 Abs. 1), wie dies für Deutschland, Österreich, Liechtenstein und die Schweiz der Fall ist. Die entsprechende Verbindungsperson ist in Deutschland stationiert. Mit der Agentur ist ein Memorandum of Understanding zur konkreten Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten in der Schweiz unterzeichnet worden. Demgemäss nimmt die Verbindungsperson ihre Tätigkeit ab dem 1. Juli 2020 in der Schweiz auf.

4.5

Einsätze schweizerischen und ausländischen Personals im Rückkehrbereich

4.5.1

Aufgaben der Agentur im Rückkehrbereich

Auf Ersuchen eines Schengen-Staates oder auf Initiative der Agentur kann diese im Einvernehmen mit dem betroffenen Staat diesen in operativer oder technischer Hinsicht im Bereich Rückkehr unterstützen (vgl. Art. 7, 48 und Art. 50 Abs. 1).

Konkret bedeutet dies namentlich die Durchführung von Rückführungen an Schengen-Aussengrenzen, die Durchführung von Rückführungsaktionen wie die Organisation und Koordination von EU-Sammelflügen oder Rückkehrunterstützung. Unter die Rückkehrunterstützung fällt beispielsweise die technische und operative Unterstützung im Rahmen der Rückübernahme, einschliesslich der Identifizierung von Drittstaatsangehörigen, und anderen rückführungsvorbereitenden und -bezogenen Massnahmen der Schengen-Staaten. Zusätzlich soll die Agentur die SchengenStaaten in Zusammenarbeit mit den Behörden der entsprechenden Drittstaaten bei der Beschaffung von Reisedokumenten für die Rückkehr unterstützen.

Die Agentur wird die Schengen-Staaten nicht nur bei begleiteten Rückführungen ausreisepflichtiger Personen, sondern neu auch im Rahmen der freiwilligen und pflichtgemässen Rückkehr unterstützen können (Art. 48 Abs. 1). Denkbar sind insbesondere Einsätze bei Überlastung in einem Schengen-Staat durch Entsendung von Rückführungsteams (vgl. Art. 53; zu den Aufgaben der Agentur im Einzelnen 7146

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vgl. Art. 10). Die entsprechenden Massnahmen müssen dabei im Einklang mit der Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union (EU-Rückführungsrichtlinie35; wird zurzeit revidiert) stehen.

Die Agentur stellt bereits heute mit Hilfe ihrer Verbindungspersonen36 eine regelmässige Überwachung der Verwaltung der Aussengrenzen und der rückkehrbezogenen Tätigkeiten aller Schengen-Staaten sicher. Neu unterstützen die Verbindungspersonen auch die Sammlung von Informationen im Rückkehrbereich (Art. 31 Abs. 3 Bst. k).

Trotz dieser Unterstützungsmassnahmen liegt der Erlass von Wegweisungsentscheiden weiterhin in der alleinigen Kompetenz der jeweiligen Schengen-Staaten.

Dasselbe gilt für die Anordnung von allfälligen Zwangsmassnahmen gemäss der EU-Rückführungsrichtlinie (Art. 7 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 1).

In Bezug auf den Vollzug von Wegweisungsentscheiden sieht die EU-Verordnung vor, dass die Schengen-Staaten diesen im Interesse aller Schengen-Staaten sicherstellen und durchsetzen müssen (vgl. Art. 7 Abs. 3). Der Schutz der Menschenrechte durch die Agentur wird auch im Rückkehrbereich noch stärker verankert. So wird unter anderem neu ein Teil des Statutspersonals der Agentur als Rückkehrbeobachterinnen und -beobachter eingesetzt (Art. 51). Sämtliches Statutspersonal wird obligatorisch im Bereich der Menschenrechte ausgebildet (Art. 62, vgl. auch Ziff. 4.9). Schliesslich gestattet die Agentur dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarates Besuche vorzunehmen, dort, wo Rückführungsaktionen durchgeführt werden, mit Zustimmung des betreffenden Schengen-Staates Besuche vorzunehmen (vgl. Erwägung Nr. 82; vgl. hierzu auch Ziff. 2.6).

4.5.2

Einsätze schweizerischen Personals im Ausland im Rückkehrbereich

Wie bereits im geltenden Recht kann die Agentur auf Antrag eines Schengen-Staates oder auf eigene Initiative und mit Zustimmung des Schengen-Staates Rückführungsteams entsenden (Art. 52). Die Rückführungsteams werden aus der ständigen Reserve gebildet (Art. 54 vgl. zu den Personalkategorien oben Ziff. 4.2.2 bis 4.2.5).

Bei den kurz- und langfristigen Einsätzen schweizerischen Personals im Ausland kann es sich insbesondere um Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten des SEM sowie um polizeiliche Begleitpersonen der Kantone handeln.

Die Kantone werden für ihre Einsätze im Rückkehrbereich durch den Bund abgegolten. Aktuell vergütet der Bund den Kantonen für jede polizeiliche Begleitperson eine Pauschale von 300 Franken respektive für Equipenleiterinnen und -leiter von 400 Franken pro Tag (vgl. Art. 71a Abs. 1 und 3 AIG sowie Art. 15d VVWAL). Da 35

36

Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, Fassung gemäss ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98.

Im Rückkehrbereich sind dies sogenannte «ILO» (Immigration Liaison Officer).

7147

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sich diese Regelung bewährt hat, wurde im Rahmen der Vernehmlassungsvorlage diese Abgeltung neu auch für langfristige Einsätze vorgeschlagen. Aufgrund der Stellungnahmen von kantonaler Seite, die sich mehrheitlich kritisch zu diesem Vorschlag geäussert haben, haben das SEM und die Kantone zur Frage der Höhe der Abgeltung Gespräche aufgenommen. (vgl. Ziff. 2.7). Die Höhe der Abgeltung und die Modalitäten sollen auf Verordnungsstufe geregelt werden (vgl. Art. 71a Abs. 1 E-AIG). Mit der neuen Verordnung kann die Schweiz unter gewissen Voraussetzungen für die Entsendung des lang- oder kurzfristigen Personals von der Agentur finanziell unterstützt werden (vgl. Art. 61 und siehe hierzu Ziff. 7.2.4). Aus Gründen der Rechtssicherheit soll neu eine explizite gesetzliche Grundlage für lang- und kurzfristige Einsätze geschaffen werden (vgl. hierzu Art. 71a Abs. 1 E-AIG). Bezüglich der langfristigen Einsätze sind noch Erfahrungswerte notwendig, insbesondere bezüglich der Frage, wie viele Personen aus den Kantonen effektiv für diese Einsätze zur Verfügung gestellt werden müssen (vgl. hierzu auch Ziff. 7).

Bereits im heutigen Recht ist festgehalten, dass Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten im Hinblick auf einen Einsatz im Ausland gestützt auf die EU-Verordnung speziell aus- und weitergebildet werden (Art. 15c VVWAL). Da diese Ausbildung jedoch auch für die polizeilichen Begleitpersonen der Kantone sowie für Rückkehrbeobachter und -beobachterinnen vorgesehen ist (vgl. Art. 62), soll dies in der VVWAL künftig ebenfalls explizit festgehalten werden. Die Ausbildung beinhaltet z. B. Schulungen über die Unionsvorschriften und das Völkerrecht; weitere Inhalte sind der Zugang zu internationalem Schutz, Leitlinien für die Identifizierung von um Schutz ersuchenden Personen und deren Zuführung zu den entsprechenden Verfahren sowie besondere Bedürfnissen von Kindern und unbegleiteten Minderjährigen und der Bereich der Zwangsmittel.

Die Agentur führt nach Zustimmung der ausgewählten Schengen-Staaten die notwendigen Schulungsprogramme in deren spezialisierten Aus- und Fortbildungseinrichtungen durch. Die Schulungskosten werden vollständig von der Agentur getragen (vgl. Art. 62 Abs. 3). Die Agentur richtet einen internen Qualitätskontrollmechanismus ein, mit welchem sichergestellt wird, dass ihr Personal und insbesondere
die an den Teams der ständigen Reserve beteiligten Einsatzkräfte über ein hohes Ausbildungsniveau sowie über hohe Fachkompetenz und Professionalität verfügen. Auf der Grundlage der Umsetzung des Qualitätskontrollmechanismus erarbeitet die Agentur einen jährlichen Evaluierungsbericht (Art. 62 Abs. 10).

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wie Arbeitszeit, Ferien, Urlaub und Reisekosten für schweizerisches Personal des SEM im Ausland sollen die Bestimmungen der VZAG sinngemäss anwendbar sein. Die analoge Anwendung soll in der VVWAL explizit aufgenommen werden. Die entsprechenden Regelungen beim kantonalen Personal stehen in der Kompetenz der Kantone. Das EJPD schliesst mit den Kantonen eine Vereinbarung über die Einzelheiten des Personaleinsatzes ab (Art. 71a Abs. 3 AIG).

Wie bereits heute haftet der Einsatzstaat für Schäden, die von schweizerischem Personal im Ausland verursacht werden. Sind die Schäden grobfahrlässig oder vorsätzlich verursacht worden, so ist das Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März

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195837 anwendbar, wenn der Einsatzstaat von der Schweiz die Rückerstattung entrichteter Beträge verlangt (Art. 15equater Abs. 1 VVWAL).

Wie bereits nach geltendem Recht untersteht das schweizerisches Personal, das bei einem Einsatz im Ausland eine Straftat begeht, dem Recht des Einsatzstaats. Verzichtet dieser auf die Strafverfolgung, so ist das Strafgesetzbuch 38 (StGB) anwendbar (Art. 15equater Abs. 2 VVWAL).

4.5.3

Einsätze ausländischen Personals in der Schweiz im Rückkehrbereich

Die Regelungen zu Einsätzen von ausländischem Personal in der Schweiz finden sich bereits heute in Artikel 15eter VVWAL. Die EU-Verordnung sieht vor, dass die Wahrnehmung von Aufgaben und Befugnissen ­ insbesondere Exekutivbefugnissen ­ der Genehmigung desjenigen Schengen-Staates bedürfen, in welchem der Einsatz durchgeführt wird (Art. 82 Abs. 2). Die geltende Regelung in der VVWAL sieht entsprechend vor, dass die Einzelheiten eines Einsatzes sowie die notwendigen Mittel zwischen dem SEM und der Agentur oder den anderen Schengen-Staaten vereinbart werden (Art. 15eter Abs. 3 VVWAL). Das ausländische Personal untersteht gemäss geltendem Recht den Vorschriften des Herkunftsstaates (Art. 15eter Abs. 5 VVWAL). Da Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zum Statutspersonal gehören, neu als Teammitglieder der Europäischen Grenz- und Küstenwache in Schengen-Staaten entsandt werden kann (vgl. Art. 54 Abs. 1 Bst. a und Art. 55), soll auf Verordnungsstufe präzisiert werden, dass dieses in Bezug auf das Arbeitsverhältnis und Disziplinarmassnahmen den Regelungen der Europäischen Union untersteht. Die weiteren Regelungen insbesondere zur zivilrechtlichen und strafrechtlichen Haftung der Teammitglieder sowie weitere Einzelheiten der Zusammenarbeit wie beispielsweise Ausbildung und allenfalls Bekleidung sollen ebenfalls auf Verordnungsstufe präzisiert werden.

Die EU-Verordnung sieht eine Regressmöglichkeit auf den Herkunftsstaat bzw. auf die Agentur vor, wenn der Schaden grobfahrlässig oder vorsätzlich verursacht wurde. Diese Regressmöglichkeit soll im nationalen Recht auf Verordnungsstufe präzisiert werden (Art. 84).

Zur Frage des Datenschutzes resp. allfälliger Zugriffsrechte des ausländischen Personals auf Datenbanken der Schweiz vgl. Ziffer 4.8.

4.6

Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Grenzverwaltung

Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten ist ein wesentlicher Aspekt der europäischen Migrationspolitik. Mit dem Ziel, diese Zusammenarbeit im Interesse einer effizienten Migrationspolitik nachhaltig zu fördern, überarbeitet die EU im Rahmen ihres 37 38

SR 170.32 SR 311.0

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umfassenden Migrationskonzepts ihre Rückkehrpolitik und ihre Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Um diesen Bemühungen mehr Dynamik zu verleihen, soll die Agentur ein stärkeres Mandat zur Unterstützung der Tätigkeiten der SchengenStaaten in diesen Bereichen erhalten. Wie bisher wird die Entsendung von Grenzverwaltungsteams von der Agentur für Einsätze im Hoheitsgebiet von Drittstaaten ermöglicht. Da die Agentur keine Rückführungen aus Drittstaaten durchführen wird (vgl. oben Ziff. 1.2), sind entsprechende Einsätze von Rückkehrpersonal in Drittstaaten ausgeschlossen.

Gestützt auf die neue EU-Verordnung sollen auch mit nicht benachbarten Drittstaaten Vereinbarungen abgeschlossen werden können. Dies ermöglicht es der Agentur, vor Ort unter anderem auch in Herkunfts- und Transitländern Unterstützung im Bereich Grenzverwaltung und Migrationssteuerung zu leisten.

Zwischen der EU und Drittstaaten werden sogenannte Statusvereinbarungen abgeschlossen (Art. 73 Abs. 3). In diesen werden unter anderem auch die Exekutivbefugnisse der eingesetzten Grenzschutzexpertinnen und -experten geregelt. Bisher konnten solche Vereinbarungen nur mit benachbarten Drittstaaten (Balkanstaaten) abgeschlossen werden. Neu sollen diese Vereinbarungen auch mit weiteren Drittstaaten getroffen werden können. Die Schweiz, wie auch die anderen assoziierten Staaten, sind nicht Partei dieser Statusvereinbarungen und bisher hat die Schweiz selber keine solchen Vereinbarungen abgeschlossen. Die Schweiz ist aber grundsätzlich dazu verpflichtet, ihre Expertinnen und Experten an die ständige Reserve beizusteuern, damit die Agentur ihr Mandat, wozu auch Einsätze in Drittstaaten gehören, erfüllen kann. Die EU nimmt zudem jeweils im Anhang zum Beschluss des Rates 39 über die Unterzeichnung der jeweiligen Statusvereinbarung eine gemeinsame Erklärung auf, der zufolge es wünschenswert sei, dass auch die assoziierten Staaten einerseits und der entsprechende Drittstaat andererseits unverzüglich ähnliche bilaterale Abkommen über die Durchführung von Aktionen der Agentur im Hoheitsgebiet des Drittstaates abschliessen.

Vor allem operationelle Expertinnen und Experten des Statutspersonals (Kat. 1) sowie Personal in Langzeiteinsätzen (Kat. 2) kommen für einen Einsatz gestützt auf eine Statusvereinbarung in einen Drittstaat in Frage. Zudem ist im EU-Verordnungstext präzisiert, dass nationale Expertinnen und Experten nur unter Zustimmung des Herkunftsstaates in Drittstaaten (Art. 74 Abs. 5) entsandt werden können.

39

Vgl. im Falle von Albanien den Beschluss (EU) 2018/1031 des Rates vom 13. Juli 2018 über die Unterzeichnung im Namen der Union der Statusvereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Republik Albanien über die Durchführung von Aktionen durch die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache in der Republik Albanien, ABl. L 185 vom 13.7.2018, S. 6.

7150

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4.7

Für die Tätigkeit der Agentur nützliche Systeme: EUROSUR, ETIAS und FADO

4.7.1

EUROSUR

Das gegenwärtig in der Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 separat geregelte Europäische Grenzüberwachungssystem EUROSUR wurde im Hinblick auf optimales Funktionieren und die Erweiterung des Anwendungsbereichs in die Verordnung integriert (Art. 18).

Zur Erinnerung40: EUROSUR stellt den Schengen-Staaten und der Agentur die notwendigen Instrumente zur Verfügung, um ihre Lagebeurteilung, die Aufdeckung, Prävention und Bekämpfung illegaler Einwanderung und grenzüberschreitender Kriminalität (Menschenhandel, Terrorismus) zu verbessern und so zum Schutz der Menschen beizutragen. Durch die Verbesserung der Reaktionsfähigkeit der Staaten bei der Suche und Rettung trägt EUROSUR dazu bei, die Zahl der Todesfälle von Migrantinnen und Migranten auf See zu verringern.

Inhaltlich wurde der bestehende Rechtsbestand übernommen und gleichzeitig der Rahmen erweitert. Dazu gehört die neue Verpflichtung, bestimmte Daten betreffend die Luftaussengrenzen und die Grenzübertrittskontrollen an die Agentur zu liefern (Art. 24 Abs. 3 und Art 25). Bisher konnten solche Daten bereits auf freiwilliger Basis für das europäische Lagebild geliefert werden. Die Aufgabe des nationalen Koordinierungszentrums hinsichtlich der Koordinierung und des Austausches von Informationen zwischen sämtlichen Behörden, die auf nationaler Ebene für die Aussengrenzkontrolle zuständig sind (Art. 21), lässt die Zuständigkeit unberührt, die auf nationaler Ebene für die Planung und Durchführung von Grenzkontrollen festgelegt wurde.

EUROSUR vermittelt ein umfassendes Lagebild der Aussengrenzen, aber auch des inneren Schengen-Raums (Sekundärmigration) und des Grenzvorbereichs (Art. 26).

Die Luftaussengrenzen unterliegen nun ebenfalls der obligatorischen Überwachung.

Bisher findet der Informationsaustausch an den Luftaussengrenzen auf freiwilliger Basis statt. Die Schaffung eines Lagebewusstseins innerhalb des Schengen-Raums darf nicht zu operativen Tätigkeiten der Agentur an den Binnengrenzen der Mitgliedstaaten führen (Erwägung Nr. 34).

Um ihre Tätigkeiten im Bereich der Risikoanalyse, der Beurteilung allfälliger Schwachstellen sowie im Bereich Lagebeurteilung effektiver und zielgerichteter wahrnehmen zu können, errichtet und pflegt die Agentur ein neues Kommunikationsnetz (Art. 14). Das nach der EU-Verordnung eingerichtete Kommunikationsnetz soll auf
dem im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 entwickelten EUROSUR-Kommunikationsnetz aufbauen und dieses ersetzen. Um die Sicherheit der Informationen zwischen den Schengen-Staaten und der Agentur zu verbessern, wird das Sicherheitsniveau auf «Confidential EU» angehoben (Art. 14 Abs. 1 Bst. d).

40

Botschaft vom 28. Mai 2014 zur Genehmigung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1052/2013 zur Errichtung eines Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR); BBl 2014 4257.

7151

BBl 2020

In einem Durchführungsrechtsakt wird festgelegt, welche Informationen bereitzustellen sind und welche Einrichtungen für die Sammlung, Verarbeitung, Archivierung und Übermittlung bestimmter Informationen zuständig sind (Art. 24 Abs. 3).

Dieser Durchführungsrechtsakt wird der Schweiz anschliessend als Schengen-Weiterentwicklung notifiziert.

4.7.2

Europäisches Reiseinformations- und Genehmigungssystem (ETIAS)

Die Agentur ist für die Erteilung der neuen Europäischen Reisegenehmigungen von zentraler Bedeutung, da bei der Agentur neu die ETIAS-Zentralstelle angesiedelt sein wird (Art. 67), welche 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche besetzt ist (Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EU) 2018/124041).

Mit der Verordnung (EU) 2018/1240 wurde im Schengen-Raum das Europäische Reiseinformations- und Genehmigungssystems (ETIAS) errichtet (ähnlich wie das ESTA der USA). Visumbefreite Drittstaatsangehörige, welche in den SchengenRaum einreisen wollen, werden mit wenigen Ausnahmen verpflichtet, vor Antritt ihrer Reise in den Schengen-Raum online eine gebührenpflichtige Reisegenehmigung zu beantragen. Die ETIAS-Reisegenehmigung garantiert keinen Anspruch auf Einreise. Sie stellt eine neue Bedingung für die Einreise von visumbefreiten Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum dar.

Die Verordnung (EU) 2018/1240 wurde am 12. September 2018 vom Europäischen Parlament und vom Rat der EU verabschiedet und stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar. Der Bundesrat hat die Übernahme der EU-Verordnung am 10. Oktober 2018 unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung gutgeheissen. Die Vernehmlassung zu dieser Vorlage dauerte vom 13. Februar bis am 21. Mai 201942. Die Botschaft wurde am 6. März 2020 verabschiedet. 43 Die Verordnung (EU) 2018/1240 wird voraussichtlich Ende 2022 in Kraft treten.

41

42

43

Verordnung (EU) 2018/1240 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformationsund -genehmigungssystems (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1077/2011, (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/1624 und (EU) 2017/2226, Fassung gemäss ABl. L 236 vom 19.9.2018, S. 1.

Abrufbar unter: www.sem.admin.ch: Startseite SEM > Aktuell > Laufende Gesetzgebungsprojekte > Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) Vgl. Botschaft vom 6. März 2020 zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) und zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Unterstellung des Nachrichtendienstes des Bundes unter das Schengen-Datenschutzgesetz); BBl. 2020 2885.

7152

BBl 2020

4.7.3

FADO (Art. 79)

FADO (False and Authentic Documents Online) ist ein europäisches Bildspeicherungssystem für den Informationsaustausch unter den Mitgliedsstaaten über authentische und gefälschte Dokumente44. Das bisher vom Generalsekretariat des Rates geführte FADO wird in die EU-Verordnung aufgenommen und künftig von der Agentur verwaltet und betrieben. Entsprechend sind die Schengen-Staaten verpflichtet, der Agentur die einschlägigen Informationen über die von ihnen ausgestellten Dokumente und festgestellten Dokumentenfälschungen zwecks Speicherung in FADO zur Verfügung zu stellen. Die EU hat am 30. März 2020 die Verordnung (EU) 2020/49345 verabschiedet, welche die Gemeinsame Massnahme 98/700/JI aufhebt Das System FADO bleibt grundsätzlich auch im Rahmen der neuen Verordnung mit seinen aktuellen Funktionalitäten bestehen, wird aber leicht modernisiert und ausgebaut. Das System wird es aber weiterhin nicht erlauben, Personen zu identifizieren. Die Verordnung (EU) 2020/493 wurde der Schweiz am 23. März 2020 als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert. Der Bundesrat hat die Übernahme der EU-Verordnung am 22. April 2020 unter Vorbehalt der parlamentarischen Genehmigung gutgeheissen.

4.8

Datenschutz

4.8.1

Allgemeine Bemerkungen

Damit die Agentur ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen kann, ist sie auf die Kooperation der Schengen-Staaten angewiesen. Darunter fällt auch die Bereitstellung relevanter Daten durch die Schengen-Staaten an die Agentur. Es handelt sich dabei um Daten, die von der Agentur insbesondere für ihre Tätigkeit im Bereich Lagebewusstsein, Risikoanalyse, Schwachstellenbeurteilung und integrierte Planung notwendig sind. Sind personenbezogene Daten betroffen, sollen die Datenschutzbestimmungen der Union sowie des nationalen Rechts in vollem Umfang gelten.

Die Agentur wendet bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Verordnung (EU) 2018/1725 an. Sie kann gestützt auf diese Verordnung personenbezogene Daten an einen Drittstaat oder eine internationale Organisation übermitteln, sofern eine solche Übermittlung für die Wahrnehmung der Aufgaben der Agentur erforderlich ist. Die Agentur stellt sicher, dass bei einer solchen Übermittlung Daten nur zu dem Zweck verarbeitet werden, zu dem sie bereitgestellt wurden.

Die Verordnung (EU) 2018/1725 stellt keine Weiterentwicklung des SchengenBesitzstandes dar, die von der Schweiz zu übernehmen ist, weil sie nur für die 44

45

Gemeinsame Massnahme 98/700/JI vom 3. Dezember 1998 ­ vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen ­ betreffend die Errichtung eines Europäischen Bildspeicherungssystems (FADO), Fassung gemäss ABl. L 333 vom 9.12.1998, S. 4.

Verordnung (EU) 2020/493 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. März 2020 über das System über gefälschte und echte Dokumente online (FADO) und zur Aufhebung der Gemeinsamen Massnahme 98/700/JI des Rates, Fassung Gemäss ABl. L 107 vom 6.4.2020, S. 1

7153

BBl 2020

Tätigkeit der Agentur selbst relevant ist. Diese findet Anwendung, soweit in der EUVerordnung keine einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen enthalten sind (insb. Art. 87 ff.). Für die Übermittlung von personenbezogenen Daten der Schengen-Staaten an die Agentur findet vielmehr der Datenschutzstandard der Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 Anwendung46, die aber ebenfalls keine Schengen-Weiterentwicklung darstellt, deren Vorgaben seitens der Schweiz aber im Rahmen der laufenden Revision des Datenschutzgesetzes 47 Rechnung getragen wird.

Die Schengen-Staaten, die der Agentur personenbezogene Daten übermitteln, bestimmen, zu welchem Zweck diese Daten verarbeitet werden dürfen. Nur wenn zuvor geprüft wurde, ob die Verarbeitung zu einem anderen Zweck mit dem ursprünglichen Zweck der Datenerhebung vereinbar ist, und wenn der Lieferant der personenbezogenen Daten zustimmt, darf die Agentur fallweise beschliessen, die personenbezogenen Daten zu einem anderen Zweck zu verarbeiten. Die Agentur dokumentiert für jeden Einzelfall schriftlich, dass die Vereinbarkeit geprüft wurde (Art. 87 Abs. 2).

Vor allen gemeinsamen Aktionen einschliesslich Rückführungsaktionen legen die Agentur und der Einsatzstaat die Zuständigkeiten für die Einhaltung resp. Überwachung der Datenschutzverpflichtungen fest. Die Agentur verarbeitet nur bestimmte in der EU-Verordnung explizit geregelte personenbezogene Daten, und dies nur zu bestimmten in der EU-Verordnung geregelten Zwecken (Art. 88 Abs. 1 i. V. m.

Art. 87). So kann die Agentur z. B. personenbezogene Daten, die für die Identität von Drittstaatsangehörigen im Rahmen von Rückführungsmassnahmen erforderlich sind, zur Organisation von Rückführungsaktionen verarbeiten. Die Verarbeitung durch die Agentur ist nur dann zulässig, wenn die Übermittlung der Daten an die zuständigen Behörden der Schengen-Staaten für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich ist (vgl. hierzu auch Art. 88 Abs. 2 Bst. a).

Die Dauer der Speicherung respektive Löschung der personenbezogenen Daten durch die Agentur richten sich nach Artikel 91. Die Agentur darf diese nur maximal 90 Tagen speichern. Bei Daten im Bereich Rückkehr beträgt die Aufbewahrungsfrist maximal 30 Tage nach Abschluss der entsprechenden Aufgabe (z. B. Rückführungsaktion).

In enger Absprache mit den Schengen-Staaten
erstellt und übermittelt die Agentur dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission alle zwei Jahre eine strategische Risikoanalyse für die integrierte europäische Grenzverwaltung. In den Ergebnissen dieser Analyse werden personenbezogene Daten anonymisiert. Die für die Risikoanalyse notwendigen Personendaten sowie allgemeine Informationen sind von den Schengen-Staaten der Agentur zu übermitteln. Dies beinhaltet Angaben zur Lage, zu den Trends, zu potenziellen Bedrohungen an den Aussengrenzen sowie zur Rückkehr.

Im Grenzschutzbereich verfügt die EZV über eine Rechtsgrundlage (Art. 113 ZG), gemäss welcher sie den Behörden anderer Staaten sowie supranationalen und internationalen Organisationen Daten einschliesslich besonders schützenswerter Perso46 47

Vgl. Erwägung Nr. 99 der EU-Verordnung.

BBl 2017 6941.

7154

BBl 2020

nendaten oder Persönlichkeitsprofile bekanntgeben kann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag dies vorsieht. Der völkerrechtliche Vertrag ist hier der Notenaustausch zur Übernahme der Verordnung. Artikel 3c VZAG regelt den möglichen Informationsaustausch zwischen der EZV und der Agentur. Der Artikel soll entsprechend angepasst werden.

Die heute geltende Regelung in Artikel 111a AIG sieht vor, dass die Bekanntgabe von Personendaten an Schengen-Staaten der Bekanntgabe von Personendaten zwischen Bundesorganen gleichgestellt ist. Um gemäss neuem Mandat Informationen an die Agentur weiterleiten zu können, ist eine entsprechende gesetzliche Grundlage zu schaffen (Art. 111a Abs. 2 E-AIG). Gemäss Artikel 111a Absatz 2 E-AIG sollen Personendaten durch das SEM an die Agentur gestützt auf die EU-Verordnung bekannt gegeben werden (vgl. Art. 49 und 87 Abs. 1 Bst. b). Der Datenkatalog findet sich im geltenden Artikel 105 Absatz 2 AIG. Es handelt sich namentlich um die Personalien, Angaben über Reisepass oder Identitätsausweise, biometrische Daten sowie auch Angaben über den Gesundheitszustand etc. Die Daten nach Artikel 105 Absatz 2 AIG sollen in einer ersten Phase weiterhin manuell vom SEM direkt der Agentur übermittelt werden. Auch mittel- bis längerfristig sollen Personendaten sowie auch Statistiken aber über eRetour vom SEM manuell an die Agentur übermittelt werden. Hierzu soll eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen werden (Art. 109f Abs. 2 Bst. d E-AIG). Mit der Übermittlung mittels eRetour soll der Informationsaustausch zwischen dem SEM und der Agentur vereinfacht und der administrative Aufwand verringert werden. Die einzelnen Daten müssen nicht mehr einzeln für die Übermittlung an die Agentur erfasst werden, sondern sind im System eRetour enthalten. Dennoch handelt es sich nicht um eine automatisierte Übermittlung dieser Daten, da die Übermittlung weiterhin im Hinblick auf einen bestimmten Zweck (z. B. konkrete Rückführungsaktion) manuell erfolgt. Auf Verordnungsstufe sollen auch die Zugriffsrechte von ausländischem Personal in der Schweiz auf die Informationssysteme analog der Regelung in der VZAG festgelegt werden. Dies kann zum Beispiel dann sinnvoll sein, wenn ein Schengen-Staat, der an seiner Aussengrenze hohen migrationsbedingten Herausforderungen ausgesetzt ist, um technische und operative
Verstärkung durch Teams der Agentur ersucht (vgl. Art. 40).

Demnach sollen ausländische Personen, welche gestützt auf die EU-Verordnung einen Einsatz in der Schweiz im Grenzschutz- oder Rückkehrbereich haben, die gleichen Zugriffsrechte haben wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SEM. Sie sollen jedoch ihren Zugriff nur unter Aufsicht des Personals des SEM wahrnehmen, und der Zugriff soll im Einzelfall auch vom Personal des SEM eingeschränkt werden können. Die entsprechenden Einzelheiten sollen im Rahmen der Einsatzeinzelheiten festgelegt werden (Art. 15eter VVWAL).

4.8.2

Plattform für die Rückführungsverwaltung

Zum Informationsaustausch im Rückkehrbereich zwischen der Agentur und den Schengen-Staaten sowie weiteren Beteiligten (z. B. Europäisches Parlament, internationale Organisationen) betreibt die Agentur neu eine integrierte Plattform für die Rückführungsverwaltung (vgl. Art. 48 Abs. 1 Bst. d). Die Plattform soll es ermöglichen, die nationalen Rückführungsverwaltungssysteme der Schengen-Staaten zum 7155

BBl 2020

Zweck des Austauschs von Daten und Informationen zu verknüpfen. Durch die Plattform sollen die von den Schengen-Staaten übermittelten Informationen der nationalen Rückführungsverwaltungssysteme, einschliesslich personenbezogener Daten, für die technische und operative Unterstützung durch die Agentur bereitgestellt werden. Personenbezogene Daten und Passagierlisten werden der Plattform nur dann übermittelt, wenn entschieden wurde, eine konkrete Rückführungsaktion einzuleiten; sie werden nach Beendigung der Aktion umgehend gelöscht (Art. 49 Abs. 1).

Personendaten dürfen nur dann der Plattform übermittelt werden, wenn die Teammitglieder über die Nutzung des Schengener Informationssystems für die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger keinen Zugriff darauf haben.

Die Plattform kann von der Agentur auch zum Zweck der sicheren Übertragung biografischer oder biometrischer Daten verwendet werden, wenn die Übertragung dieser Daten zur Bestätigung der Identität und Staatsangehörigkeit einer Drittstaatangehörigen oder eines Drittstaatsangehörigen dient. Dies soll nur in Einzelfällen und auf Ersuchen eines Schengen-Staates möglich sein (vgl. zum Ganzen Art. 49 Abs. 1).

Die Schengen-Staaten stellen der Agentur unter Nutzung der Plattform operative Daten im Bereich Rückkehr zur Verfügung, die für die Bewertung des Bedarfs an nationalen Rückführungsaktionen notwendig sind. Soweit hier die Bereitstellung personenbezogener Daten notwendig ist, findet Artikel 111a E-AIG Anwendung.

Im Rahmen der Rückführung kommt es häufig vor, dass Staatsangehörige von Drittstaaten keine Ausweispapiere besitzen und bei der Feststellung ihrer Identität durch Zurückhalten von Informationen oder durch Übermittlung falscher personenbezogener Daten nicht zusammenarbeiten. Aus diesem Grund ist die Agentur berechtigt, bestimmte Rechte der betroffenen Personen in Zusammenhang mit personenbezogenen Daten durch interne Vorschriften einzuschränken (Art. 86 Abs. 2).

Um eine allfällige Fluchtgefahr der betroffenen Person zu vermindern, kann z. B.

das Zugangsrecht der betroffenen Person auf deren personenbezogenen Daten eingeschränkt werden.

4.9

Grundrechte

Eine wichtige Neuerung der EU-Verordnung im Bereich der Grundrechte ist die Einrichtung eines Teams von vierzig Grundrechtebeobachterinnen und -beobachtern (Art. 110). Sie gehören zum Agenturpersonal und zählen als Statutspersonal (Kat. 1). Beaufsichtigt werden sie vom Grundrechtsbeauftragten (Art. 109), der sie ernennt. Ihre Aufgabe besteht darin, die Einhaltung der Grundrechte bei operativen Tätigkeiten laufend zu bewerten, Beratung und Unterstützung zu leisten und zur Förderung der Grundrechte als Teil der integrierten europäischen Grenzverwaltung beizutragen. Für jeden Einsatz wird mindestens eine Beobachterin oder ein Beobachter ernannt.

Die in Artikel 80 aufgeführten Grundsätze im Bereich der Grundrechte wurden aus der bisherigen Verordnung übernommen. Die Agentur verfügt weiterhin über ein 7156

BBl 2020

Konsultationsforum, das sie beratend in Grundrechtsfragen unterstützt (Art. 108). Im Konsultationsforum sind EU-Agenturen (EASO, Agentur der Europäischen Union für Grundrechte), internationale Organisationen (Europarat, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Internationale Organisation für Migration, Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte) sowie Nicht-Regierungsorganisationen vertreten, u.a. Amnesty International, European Institutions Office (EIO), Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants (PICUM) sowie Save the Children (SC). Das Konsultationsforum berät die Agentur unter anderem hinsichtlich seiner Grundrechtsstrategie, der Ausgestaltung des Beschwerdemechanismus sowie der Schulungskonzepte.

Zudem existiert wie bis anhin das Büro des Grundrechtsbeauftragten (Art. 109).

Dessen Aufgaben und Kompetenzen wurden mit der EU-Verordnung erweitert.

Insbesondere informiert der Grundrechtsbeauftragte den Exekutivdirektor über mögliche Grundrechtsverletzungen bei Tätigkeiten der Agentur; er kann Untersuchungen über jede Tätigkeit der Agentur durchführen sowie Inspektionen vor Ort an allen Einsatzorten vornehmen, und er ernennt die Grundrechtebeobachter. Die Agentur muss sicherstellen, dass der Grundrechtsbeauftragte unabhängig handeln kann und über ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Erfüllung seiner Aufgaben verfügt. Deshalb beabsichtigt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten der Schweiz, bis zu zwei nationale Expertinnen oder Experten für Grundrechtsangelegenheiten in das Büro des Grundrechtsbeauftragten bei der Agentur zu entsenden.

Das Beschwerdeverfahren (Art. 111) wird mit einigen Konkretisierungen und Ergänzungen aus der bisherigen Verordnung übernommen. Jede Person, die unmittelbar betroffen ist von den Massnahmen oder Unterlassungen des an einer gemeinsamen Aktion, einem Pilotprojekt, einem Soforteinsatz zu Grenzsicherungszwecken, einem Einsatz eines Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung, einer Rückkehraktion, einem Rückkehreinsatz oder einer operativen Tätigkeit der Agentur in einem Drittstaat beteiligten Personals ist und die Auffassung vertritt, dass ihre Grundrechte verletzt wurden, kann bei der Agentur schriftlich Beschwerde
einlegen.

Auf der Internetseite der Agentur sind ein standardisiertes Beschwerdeformular sowie die entsprechenden Erläuterungen zur Einreichung einer Beschwerde in verschiedenen Sprachen verfügbar48. Die Beschwerde kann auch frei verfasst oder durch eine Vertretung eingereicht werden. Die Einreichung einer Beschwerde ist zudem kostenlos. Die Beschwerde wird anschliessend durch den Grundrechtsbeauftragten geprüft. Stellt dieser eine Grundrechtsverletzung durch das eigene Personal der Agentur fest, empfiehlt er dem Exekutivdirektor geeignete Massnahmen, einschliesslich Disziplinarmassnahmen, und gegebenenfalls die Einleitung zivil- oder strafrechtlicher Verfahren gemäss der EU-Verordnung und nationalem Recht. Richtet sich die Beschwerde gegen ein Teammitglied eines Schengen-Staats (Einsatzstaat oder Herkunftsstaat), wird die Beschwerde an den betreffenden Staat weitergeleitet.

In diesem Fall sorgt der betreffende Staat für geeignete Massnahmen. Im Falle einer Beschwerde gegenüber einer Person, die von der Schweiz entsandt wurde, ist die 48

https://frontex.europa.eu/ > Fundamental Rights > Complaints Mechanism > how you can lodge a complaint.

7157

BBl 2020

Schweiz für die Anordnung der Massnahmen gemäss nationalem Recht zuständig.

Dazu gehören Disziplinarmassnahmen und die Überweisung zur Einleitung ziviloder strafrechtlicher Verfahren oder sonstige Massnahmen im Einklang mit dem nationalen Recht. Diesbezüglich besteht eine Berichterstattungspflicht gegenüber dem Grundrechtsbeauftragten der Agentur.

Mit der neuen EU-Verordnung informiert der Grundrechtsbeauftragte den Exekutivdirektor und den Verwaltungsrat, wenn ein Schengen-Staat der Agentur nicht über die infolge der Beschwerde ergriffenen Massnahmen Bericht erstattet. Die Agentur kann einen Schengen-Staat auch auffordern, die betreffende Person unverzüglich von den Tätigkeiten der Agentur oder aus der ständigen Reserve abzuziehen.

Mit den erweiterten Aufgaben und Zuständigkeiten der Agentur stärkt die EUVerordnung die Massnahmen zum Schutz der Grundrechte. Die Nichteinhaltung der Grundrechte ist auch ein Grund, Tätigkeiten auszusetzen, zu beenden oder nicht einzuleiten (Art. 46). Auch im Rückkehrbereich sind die Aufgaben der Agentur stets unter Wahrung der Grundrechte zu erfüllen (Art. 48 Abs. 1). Hat die Agentur Bedenken in Bezug auf die Einhaltung der Grundrechte in einer Phase einer Rückkehraktion, so meldet sie diese den Schengen-Staaten und der Kommission.

Weitere Verweise auf die Grundrechte: ­

Integrierte Grenzverwaltung: Verweis auf die Grundrechte als übergeordnete Komponenten bei der Umsetzung der integrierten Grenzverwaltung (Art. 1 und Art. 3 Abs. 2);

­

Gemeinsame Verantwortung: Sicherstellung der Aussengrenzverwaltung und der Durchführung von Rückkehrentscheiden durch Schengen-Staaten unter Wahrung der Grundrechte (Art. 7 Abs. 3);

­

Aufgaben der Agentur: Mehrfach ausdrücklicher Verweis auf Schutz der Grundrechte (Art. 10 Abs. 1 Bst. e, s, w und ad);

­

Operative Pläne enthalten: ­ Beschreibung der Zuständigkeiten in Bezug auf die Achtung der Grundrechte, ­ Regeln für Berichterstattung und Evaluation im Hinblick auf den Schutz der Grundrechte, ­ allgemeine Anweisungen für den Schutz der Grundrechte bei der operativen Tätigkeit, und ­ Verfahren für die Entgegennahme und Weiterleitung von Beschwerden wegen Verletzung von Grundrechten (Art. 38 Abs. 3);

­

Brennpunkte: Achtung der Grundrechte bei Tätigkeiten der Teams zur Unterstützung der Migrationssteuerung in Brennpunkten (Art. 40 Abs. 4 Bst. a und Abs. 5);

­

Evaluierung von Tätigkeiten: Die Beobachtungen des Grundrechtsbeauftragten werden im Rahmen der Evaluierung der operativen Tätigkeiten berücksichtigt (Art. 47);

7158

BBl 2020

­

Rückkehraktionen (Art. 50): ­ Achtung der Grundrechte im Rahmen des Einsatzplans (Abs. 2), ­ Achtung der Grundrechte während der gesamten Rückkehraktion (Abs. 3), ­ Berücksichtigung der Auswirkungen von Sammelrückkehraktionen auf die Grundrechte (Abs. 4), ­ Mitteilung an die teilnehmenden Mitgliedstaaten und die Kommission, wenn die Agentur in irgendeiner Phase der Rückkehraktion Bedenken im Zusammenhang mit den Grundrechten hegt (Abs. 6);

­

Statutspersonal der Agentur: Wahrnehmung der Aufgaben nach den höchsten Standards und unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte (Art. 55);

­

Schulungen: Gewährleistung angemessener Schulungen von als Teammitglieder entsandtem Personal der ständigen Reserve (Statutspersonal oder Personal der Schengen-Staaten) vor deren erstmaligen Teilnahme an operativen Tätigkeiten der Agentur in den folgenden Bereichen: Grundrechte; Zugang zu internationalem Schutz; Leitlinien zur Identifizierung von Schutzsuchenden und Zuführung zu entsprechende Verfahren; Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse von Kindern, unbegleiteten Minderjährigen, Opfern von Menschenhandel, von Personen, die dringend medizinische Versorgung benötigen und anderen besonders Schutzbedürftigen; falls die Teilnahme an Einsätzen auf See vorgesehen ist, muss eine Schulung im Bereich Suche und Rettung (Art. 62 Abs. 2 und 4) gewährleistet sein;

­

Zusammenarbeit mit Drittstaaten: Technische und operative Unterstützung der Agentur für Drittstaaten auch in Bezug auf den Schutz der Grundrechte (Art. 71 Abs. 2 und Art. 73 Abs. 2; siehe auch Erwägungen Nr. 89, 91, 92);

­

Statusvereinbarung: Beurteilung der Grundrechtssituation vor Verhandlungen über Statusvereinbarung mit Drittstaat (Art. 76 Abs. 2);

­

Verhaltenskodex: Festgelegte Verfahren zur Achtung der Grundrechte (Art. 81);

­

Einsatz von Dienstwaffen im Einklang mit der Grundrechtecharta (Art. 82 Abs. 9);

­

Verwaltungsrat: Einladung eines Vertreters der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte an die Verwaltungsratssitzungen mit Traktanden im Zusammenhang mit dem Schutz der Grundrechte (Art. 104 Abs. 6);

­

Aufgaben des Exekutivdirektors: Beurteilung im Vorfeld jeder operativen Tätigkeit der Agentur, ob schwerwiegende Verstösse gegen Grundrechte vorliegen (Art. 106 Abs. 4 Bst. m).

7159

BBl 2020

5

Grundzüge des Umsetzungserlasses

5.1

Die beantragte Neuregelung

Die meisten Bestimmungen der EU-Verordnung sind direkt anwendbar und bedürfen keiner Umsetzung in das nationale Recht. Zudem stammt, wie unter Ziffer 3 aufgeführt, ein grosser Teil der Regelungen aus den Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624, welche beide bereits durch die Schweiz umgesetzt sind.

Die Mitwirkung der EZV an Einsätzen im Schengen-Raum und in Drittstaaten sowie die Möglichkeit, dass der Bundesrat völkerrechtliche Zusammenarbeitsverträge mit der Agentur abschliessen kann, sind bereits in Artikel 92 ZG geregelt. Auf dieser Basis führt die EZV bereits jetzt ihre Einsätze zu Gunsten der Agentur durch. Gemäss Artikel 92 Absatz 2 ZG sind die Einsätze für das Personal der EZV freiwillig.

Die Datenbekanntgabe an ausländische Behörden richtet sich wie bisher nach Artikel 113 ZG. Die Übernahme und Umsetzung der Verordnung (EU) 2016/162449 hat seinerseits zu einer Präzisierung des ZG hinsichtlich der Bereitstellung von Material für die Agentur sowie einer formellen Anpassung bei der Bezeichnung der Agentur geführt. Die Übernahme und Umsetzung der EU-Verordnung bedarf keiner weiteren Anpassung des Zollgesetzes. Hingegen wird die VZAG umfassend angepasst werden müssen. Diese Grundlage reicht aus, um den Verpflichtungen gegenüber der Agentur nachkommen zu können. Der moderne Datenschutz regt aber die Regelung solcher Bestimmungen künftig aus Gründen der Transparenz formalgesetzlicher Stufe an. Die laufende Zollgesetzrevision bietet sich für die Prüfung einer expliziten Regelung auf gesetzlicher Stufe an (vgl. hierzu die Ausführungen unter Ziff. 2.3.2).

Artikel 92 ZG bleibt daher unverändert. Die EZV kann im Rahmen internationaler Massnahmen bei Einsätzen im Ausland mitwirken, wobei der Einsatz für das Personal der EZV weiterhin freiwillig ist. Die Verpflichtung der EZV, Personal für die Agentur abzustellen, ist nicht neu. Neu ist, dass die EZV der Agentur in Zukunft Personal für langfristige Einsätze von bis zu zwei Jahren zur Verfügung stellen muss. Am Grundsatz der Freiwilligkeit soll auch hier festgehalten werden. Die EZV geht davon aus, dass sie das benötigte Personal im Rahmen der Personalentwicklung für die entsprechenden Einsätze gewinnen kann. Zudem sind weiter Massnahmen zu prüfen (fachspezifische Weiterbildungen, Sprachausbildungen, etc.).

Die enge Verknüpfung der Verordnung
(EU) Nr. 1052/2013 im Bereich der Zusammenarbeit mit der Agentur führt dazu, dass für einen Grossteil der Anforderungen, die sich aus der Einbettung und punktuellen Weiterentwicklung der Regelungen der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 in die EU-Verordnung ergeben, die rechtlichen Grundlagen bereits vorliegen. Insbesondere fallen darunter die Regelungen bezüglich des Datenschutzes und der Zusammenarbeit sowie des Informationsaustausches bei der Aussengrenzüberwachung (vgl. Art. 92 ZG, welcher im Zuge der Übernahme und Umsetzung der FRONTEX- und der RABIT-

49

BBl 2017 4155.

7160

BBl 2020

Verordnung50 eingeführt wurde51). Neu ist die Verpflichtung, bestimmte Daten betreffend die Luftaussengrenzen und die Grenzübertrittskontrollen für das Europäische Lagebild an die Agentur zu liefern (Art. 24 Abs. 3 und Art 25). Bisher konnten solche Daten auf freiwilliger Basis geliefert werden. Da die Schweiz im Rahmen der Umsetzung einer Empfehlung aus der letzten Schengen-Evaluation bereits seit Anfang Juli 2019 Daten zu Luftaussengrenzen auf freiwilliger Basis liefert, erfüllt sie bereits die neuen Verpflichtungen der Vorlage. Sie liefert diese Daten gestützt auf die ausführenden Bestimmungen betreffend die Zusammenarbeit im Rahmen von EUROSUR, die sich in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 3d der VZAG befindet.

Gewisse Bestimmungen sind dennoch zu konkretisieren und bedingen Anpassungen im AIG.

Dies betrifft Artikel 7 Absatz 1bis E-AIG, wonach eine Bestimmung zur Zusammenarbeit zwischen dem Bund und der Agentur vorgesehen werden soll. Diese neue generelle Bestimmung ist angesichts der zahlreichen neuen Tätigkeiten der Agentur insbesondere bezüglich der Erstellung von Planungsinstrumenten wichtig und sinnvoll. Die Aufnahme einer analogen Bestimmung für die Grenzverwaltung im Zollgesetz wurde geprüft und verworfen. Die bestehenden zollrechtlichen Rechtsgrundlagen lassen diese Zusammenarbeit bereits zu.

Auch in Artikel 71 Absatz 2 E-AIG soll eine neue Bestimmung zur Zusammenarbeit zwischen der Agentur und dem EJPD aufgenommen werden. Es geht hier insbesondere um die Zusammenarbeit in operativen und technischen Belangen im Rückkehrbereich. So soll das EJPD auf die Unterstützung der Agentur in diesen Belangen zurückgreifen können, wenn dies sinnvoll und notwendig ist.

In Artikel 71a Absatz 1 E-AIG soll eine explizite Regelung aufgenommen werden, wonach das SEM sowie die Kantone für internationale Rückführungseinsätze das notwendige Personal zur Verfügung stellen und diese entsprechend durch den Bund abgegolten werden. Dabei sollen in der Praxis nur Personen eingesetzt werden, welche sich freiwillig zur Verfügung stellen.

Schliesslich soll in Artikel 111a Absatz 2 E-AIG eine neue Regelung zur Weitergabe von personenbezogenen Daten durch das SEM an die Agentur aufgenommen werden. Zudem sollen Daten (Statistiken und Personendaten nach Art. 105 Abs. 2 AIG) mittel- bis längerfristig über das neue Informationssystem eRetour des SEM manuell an die Agentur übermittelt werden (Art. 109f Abs. 2 Bst. d E-AIG).

50

51

Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über einen Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates hinsichtlich dieses Mechanismus und der Regelung der Aufgaben und Befugnisse von abgestellten Beamten, ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 30. Diese Verordnung wurde mit der Verordnung EU (2016/1624), welche ebenfalls von der Schweiz umgesetzt wurde, aufgehoben.

Bundesbeschluss vom 3. Oktober 2008, AS 2009 4583.

7161

BBl 2020

Im Rahmen der Vorlage zur Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (IOP)52 sind ebenfalls Änderungen im AIG geplant. Sofern eine Koordinationsregelung mit den vorgeschlagenen Änderungen dieser Vorlage notwendig ist, wird diese zu gegebener Zeit sichergestellt.

5.2

Umsetzungsfragen

Im Grenzschutzbereich ist eine Anpassung der VZAG geplant. Im Rückkehrbereich sind Anpassungen der VVWAL insbesondere in Bezug auf den möglichen Einsatz von Schweizer Personal des Bundes oder der Kantone im Ausland und von ausländischem Personal in der Schweiz erforderlich.

6

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln des Umsetzungserlasses (AIG)

Art. 7 Abs. 1bis Neu soll im AIG eine Bestimmung aufgenommen werden, wonach der Bund mit der für die Überwachung der Schengen-Aussengrenzen zuständigen Agentur zusammenarbeitet. Diese Zusammenarbeit umfasst u.a. auch die Erarbeitung von Planungsinstrumenten zuhanden der Agentur. Diese Planungsinstrumente dienen der operativen Planung, der Notfallplanung sowie der Planung der notwendigen Kapazitäten im Bereich Rückkehr (vgl. hierzu Ziff. 4.1).

Unter die in der vorliegenden Bestimmung erwähnten Planungsinstrumente sollen neu auch nationale, europäische und spezifische Lagebilder fallen. Spezifische Lagebilder können Teilaspekte der nationalen oder europäischen Lagebilder enthalten (Art. 24 ff.). Die Lagebilder enthalten Informationen zu Ereignissen und Vorfällen zu unerlaubten Grenzübertritten, grenzüberschreitender Kriminalität oder unerlaubter Sekundärmigration, mit dem Ziel, allfällige Trends frühzeitig erkennen zu können. Die Einzelheiten des Inhalts dieser Lagebilder und die Regelung für die Erstellung derselben sollen im Rahmen eines Durchführungsrechtsaktes erstellt werden (vgl. Art. 24 Abs. 3). Die EZV ist wie bisher unter Einbezug des SEM und der Kantone mit Aussengrenzen für die Erstellung der nationalen und spezifischen Lagebilder sowie deren Übermittlung an die Agentur zuständig.

52

Verordnung (EU) 2019/817 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU 2016/399, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240, (EU) 2018/1726 und (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Entscheidung 2004/512/EG des Rates und des Beschlusses 2008/633/JI des Rates, ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 27 und Verordnung (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1726, (EU) 2018/1862 und (EU) 2019/816, ABl. L 135 vom 22.5.2019, S. 85.

7162

BBl 2020

Die Verpflichtung zur Zusammenarbeitet beinhaltet des Weiteren auch die Pflicht zum Informationsaustausch im Rückkehrbereich (Art. 12; zur Bekanntgabe von Personendaten an die Agentur vgl. Art. 111a E-AIG sowie Ziff. 4.8). Die hierzu notwendigen technischen Normen werden durch die Agentur in Zusammenarbeit mit den Schengen-Staaten erarbeitet (Art. 16). Die EZV nimmt heute die Aufgabe der nationalen Kontaktstelle für die Kommunikation mit der Agentur über alle Angelegenheiten wahr. Um die Abläufe in der Praxis zu vereinfachen, soll der Informationsaustausch im Rückkehrbereich, wie bereits heute in der Praxis, direkt zwischen dem SEM und der Agentur unter Einbezug der EZV stattfinden. Zu diesem Zweck soll die VZAG angepasst werden (Art. 3c Abs. 3 VZAG, vgl. vorne Ziff. 5.1).

Art. 71 Abs. 2 Wie bereits im geltenden Recht kann die Agentur die Schweiz im Rückkehrbereich in technischen oder operativen Belangen aktiv unterstützen (Art. 48). Mögliche Unterstützungsmassnahmen seitens der Agentur sind die Organisation und Koordination von Rückführungsaktionen (insbesondere EU-Sammelflüge) sowie die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr in Zusammenarbeit mit den Schengen-Staaten.

Neu umfasst diese Unterstützung weitere konkrete operationelle Tätigkeiten wie die Identifizierung von Drittstaatsangehörigen, die die Schweiz verlassen müssen, oder die Beschaffung von Reisedokumenten. Zudem kann die Agentur neu die betroffenen Personen während ihrer freiwilligen Rückkehr sowie nach ihrer Ankunft im Herkunftsland unterstützen.

In Absatz 2 soll durch eine Kann-Formulierung zudem klar festgehalten werden, dass eine solche Unterstützung nur auf Gesuch der Schweiz hin erfolgt.

Art. 71a Abs. 1 Siehe hierzu auch Ziffer 4.5.2, Einsätze schweizerischen Personals im Ausland im Rückkehrbereich.

Bisher hat die Schweiz lediglich Personal für kurzfristige Einsätze entsendet, weil gemäss der bisherigen EU-Verordnung keine langfristigen Einsätze vorgesehen waren. Neu soll explizit auf Gesetzesstufe festgehalten werden, dass das SEM sowie die Kantone für internationale Rückführungseinsätze das notwendige Personal zur Verfügung stellen müssen. Darunter fällt die Entsendung des Personals für kurzfristige und langfristige Rückführungseinsätze ausserhalb der Schweiz. Die Einsatzeinzelheiten für das schweizerische Personal im
Ausland sollen in der VVWAL konkretisiert werden (vgl. auch heutige Regelungen in den Artikeln 15bbis, 15c bis 15equater VVWAL). Aktuell vergütet der Bund den Kantonen für jede polizeiliche Begleitperson eine Pauschale von 300 Franken respektive für Equipenleiterinnen und -leiter von 400 Franken pro Tag (vgl. Art. 15d VVWAL; die Regelung stützt sich auf Art. 71a AIG). Da sich diese Regelung für kurzfristige Einsätze bewährt hat, wurde im Rahmen der Vernehmlassungsvorlage diese Abgeltung neu auch für langfristige Einsätze vorgeschlagen. Neu soll die Abgeltung der Kantone für kurz- und langfristige Einsätze durch den Bund aus Gründen der Rechtssicherheit auf Gesetzesstufe explizit vorgesehen werden. Zudem soll eine Delegation an den Bundesrat geschaffen werden, wonach die Höhe der Abgeltung und weitere Modalitäten auf Verord7163

BBl 2020

nungsstufe geregelt werden sollen. Das SEM und die Kantone führen derzeit Gespräche hinsichtlich der Höhe der Abgeltung sowie deren Modalitäten (vgl. dazu Ziff. 2.7).

Art. 109f Abs. 2 Bst. d Im Rahmen der Änderung des AIG vom 14. Dezember 201853 (Verfahrensnormen und Informationssysteme) wurde unter anderem auch eine gesetzliche Grundlage für ein neues Informationssystem im Rückkehrbereich (eRetour) geschaffen. Die entsprechenden Regelungen finden sich in den Artikeln 109f bis 109j AIG. Die Bestimmungen sind am 1. April 2020 in Kraft getreten.

Das neue Informationssystem eRetour soll Daten enthalten, die für die Arbeitsprozesse in Bezug auf die Rückkehrhilfe und -beratung sowie den Vollzug der Wegweisung, der Ausweisung im Sinne des AIG oder der Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis des StGB oder Artikel 49a oder 49abis des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 192754 (MStG) erforderlich sind. Diese bestehen einerseits aus den Massnahmen zur Identifikation und zur Beschaffung von Ersatzpapieren und andererseits aus den Massnahmen im Hinblick auf die konkrete Organisation der Ausreise.

Die neue Datenbank eRetour soll insbesondere den Informationsaustausch zwischen dem SEM und seinen Ansprechpartnern vereinfachen.

Da die Agentur die Schengen-Staaten auch im Rückkehrbereich unterstützen kann (vgl. oben Ziff. 4.5), soll eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um die hierfür notwendigen Informationen des SEM manuell über das neue Informationssystem eRetour an die Agentur weiterleiten zu können. Damit soll auch der administrative Aufwand seitens des SEM verringert werden. Bei den entsprechenden Informationen soll es sich um Statistiken (anonymisiertes Zahlenmaterial) sowie um Personendaten nach Artikel 105 Absatz 2 AIG handeln. Die Herausgabe von Personendaten richtet sich dabei nach Artikel 111a Absatz 2 E-AIG.

Da für einen entsprechenden Datenaustausch über eRetour technische Umsetzungsarbeiten erforderlich sind, die erst mittel- oder längerfristig umgesetzt werden können, erfolgt der Datenaustausch in einer ersten Phase ohne dieses Informationssystem jedoch ebenfalls manuell.

Art. 111a Sachüberschrift und Abs. 2 Die Sachüberschrift muss angepasst werden, da diese Bestimmung neu auch die Datenbekanntgabe an die Agentur regelt.

Die Änderung des Absatz 2 steht im Zusammenhang mit Artikel
49 der EUVerordnung, gemäss welchem die Agentur eine Plattform für die Rückführungsverwaltung betreibt und der Agentur personenbezogene Daten (biometrische und biografische Daten) übermittelt werden sollen. Personenbezogene Daten sollen dabei künftig durch das SEM auch über das neue Informationssystem eRetour manuell an 53 54

BBl 2018 7879 SR 321.0

7164

BBl 2020

die Agentur übermittelt werden können (vgl. Art. 109f Abs. 2 Bst. d E-AIG). Der Zweck für die Übermittlung dieser Daten an die Agentur für den Rückkehrbereich findet sich in Artikel 87 Absatz 1 Buchstabe b der EU-Verordnung. In der VVWAL sollen die Zwecke der Datenübermittlung präzisiert werden. Die Datenbekanntgabe erfolgt nur, soweit diese Daten für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe der Agentur notwendig sind (vgl. Art. 111a Abs. 2 E-AIG). Im Rückkehrbereich bedeutet dies namentlich die Organisation von Rückführungsmassnahmen oder die Identifizierung von ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen sowie die Beschaffung von Reisedokumenten durch die Agentur, sofern die Schweiz eine solche Unterstützung eingefordert hat. Die Bearbeitung dieser Daten durch die Agentur richtet sich nach den Artikeln 86 ­ 88 der EU-Verordnung (vgl. hierzu Ziff. 4.8). Hier sind die einschlägigen Regelungen über den europäischen Datenschutz anwendbar (Verordnung [(EU] 2018/1725). Die Bearbeitung von Personendaten durch die Agentur zu einem anderen als dem ursprünglichen Zweck bedarf der Zustimmung der Schweiz (vgl. Art. 87 Abs. 2 EU-Verordnung).

Diese Regelung soll unter Vorbehalt von Artikel 49 der EU-Verordnung Anwendung finden, d.h. personenbezogene Daten sollen nur geliefert werden, wenn Personen aus Rückkehrteams keinen Zugriff auf SIS haben.

7

Finanzielle und personelle Auswirkungen

7.1

Ausgangslage

Die Übernahme der Verordnung hat namhafte finanzielle und personelle Auswirkungen auf die Schweiz. Aufgrund der Erhöhung des Budgets für den Grenzschutz wächst auch der jährliche Beitrag der Schweiz an die Agentur um ein Mehrfaches (Ziff. 7.2.1). Zudem wird die Schweiz als assoziierter Staat ebenfalls verpflichtet, Personen von Bund und Kantonen für Einsätze in den Bereichen Grenzschutz und Migration (insbesondere bei der Rückkehr) zur Verfügung zu stellen (vgl. Ziff. 7.3 und 7.4.2).

Schliesslich sollen die Mitglied- und assoziierten Staaten ebenfalls Beiträge an neue strategische Planungsinstrumente leisten (z. B. beim mehrjährigen strategischen Politikzyklus, vgl. Art. 8, vgl. Ziff. 7.3.4), was für den Bund zu personellem Aufwand führt.

Die konkreten Auswirkungen sind indes derzeit schwierig zu beziffern, da es noch diverse offene Fragen gibt. So ist unter anderem noch nicht klar, wie die Aufteilung zwischen Rückkehr und Grenzschutz vorgesehen ist oder zu welchen Änderungen der finanziellen oder personellen Beiträge die Überprüfung 2024 der Umsetzung der Verordnung und der vorhandenen Kapazitäten führen könnte (vgl. Ziff. 7.5).

Nachfolgend sollen unter Ziffer 7.2 alle finanziellen Auswirkungen auf die Schweiz dargestellt werden (Mitgliederbeiträge der Schweiz, Abgeltung der Kantone durch den Bund im Rückkehrbereich, Realisierung und Betrieb des Systems eRetour und Beiträge der EU an die Schweiz). Unter Ziffer 7.3 werden sodann die personellen Auswirkungen auf den Bund dargestellt. Ziffer 7.4 widmet sich den finanziellen und

7165

BBl 2020

personellen Auswirkungen auf die Kantone. In Ziffer 7.5 folgen die noch offenen Fragen sowie in Ziffer 7.6 eine Zusammenfassung.

7.2

Finanzielle Auswirkungen

7.2.1

Mitgliederbeiträge der Schweiz

Gemäss Artikel 115 Absatz 1 Buchstabe b der EU-Verordnung wird die aus der aktuellen Verordnung (EU) 2016/1624 übernommene Regelung weitergeführt, wonach die assoziierten Staaten einen Beitrag nach den jeweiligen Zusatzvereinbarungen leisten, in denen der Finanzbeitrag festgelegt ist. Der Schweizer Beitrag wird wie bisher nach dem Verhältnis des nationalen Bruttoinlandprodukts (BIP) zum BIP aller Teilnehmerländer der Agentur berechnet (vgl. Art. 11 Abs. 3 SAA, anwendbar aufgrund des Verweises von Art. 2 der Zusatzvereinbarung55).

Das Budget der Europäischen Grenz- und Küstenwache wird in einem mehrjährigen Finanzrahmen der EU beschlossen. Die Verhandlungen zum Finanzrahmen 2021 ­ 2027 konnten indes noch nicht abgeschlossen werden. Gemäss dem ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission56 sollten die Mittel für die Sicherung der EU-Aussengrenzen erheblich aufgestockt werden. Von heute 15,67 Milliarden Euro für den Zeitraum 2014 ­ 2020 sollte der Beitrag auf 21,3 Milliarden für die Jahre 2021 ­ 2027 erhöht werden. Davon sind 10,5 Milliarden Euro für die dezentralen Agenturen (Frontex und eu-LISA57) vorgesehen, wobei ein wesentlicher Anteil an die Agentur gehen sollte. Gemäss dem Vorschlag, auf den sich der Europäische Rat am 21. Juli 2020 einigte und welcher nun noch von den nationalen Parlamenten sowie dem Europäischen Parlament gutgeheissen werden muss, soll die Agentur mit Gesamtmitteln von 5,148 Milliarden Euro ausgestattet werden58.

Der Beitrag an die Agentur des laufenden Finanzrahmens 2014 ­ 2020 betrug ursprünglich insgesamt 626 Millionen Euro. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung 2016 wurde das Budget von 142 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 320 Millionen im Jahr 2018 stetig erhöht. Eine Budgeterhöhung zu Gunsten des Grenzschutzes und der Agentur wirkt sich proportional auf die Höhe des Schweizer Beitrags aus, ebenso eine allfällige Senkung.

Die folgenden Tabellen zeigen das vergangene und zukünftige Budget der Agentur und des Schweizer Beitrags. Die genannten Beiträge ab 2021 und deren Entwicklungen beruhen jedoch lediglich auf Annahmen, da die relevanten Entscheide in der 55

56

57 58

Vereinbarung vom 30. September 2009 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein einerseits sowie der Europäischen Gemeinschaft andererseits zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union; SR 0.362.313 Europäische Kommission, Vorschlag vom 2. Mai 2018 für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des Mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027, COM(2018) 322 final Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Grosssystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Schlussfolgerungen der ausserordentlichen Tagung des Europäischen Rates (17., 18., 19., 20. und 21. Juli 2020), EUCO 10/20

7166

BBl 2020

EU noch nicht getroffen wurden. Für die Jahre 2024 bis 2027 gilt zudem zu bedenken, dass sich diese im Zusammenhang mit der im Jahr 2023 vorgesehenen Überprüfung der Kapazitäten der Europäischen Grenz- und Küstenwache noch ändern könnten.

Die berechneten Mitgliederbeiträge der Schweiz für die Jahre 2021 ­ 2027 basieren auf dem Programmplanungsdokument der Agentur für die Jahre 2021 ­ 2023 vom 6. April 202059 sowie dem Vorschlag der Europäischen Kommission von Mai 2018.

Die Beiträge wurden berechnet auf Grundlage einer Hochrechnung unter der Annahme, dass sich der Beitragssatz der Schweiz (4,5 %) wie auch der Wechselkurs des Schweizerfrankens zum Euro (CHF/EUR 1,05) für die Jahre 2020 ­ 2027 nicht wesentlich ändern. Zum Vergleich wurde eine Budgetberechnung mit denselben Voraussetzungen für die Hochrechnung angestellt, wobei die Gesamtmittel der Agentur gemäss Vorschlag des Europäischen Rates vom 21. Juli 2020 auf 5,148 Milliarden Euro reduziert wurden. Hier zeigt sich, dass sich die Beitragszahlungen der Schweiz um die Hälfte reduzieren würden.

Jahr

2015

2016

2017

2018

2019

2020

EU-Beitrag in Tsd. EUR

133 528

218 686

261 267

268 909

307 289

428 160

Beitragssatz CH Wechselkurs CHF/EUR

3,85 %

3,59 %

4,42 %

4,42 %

4,50 %

4,50 %

1,20

1,05

1,10

1,10

1,15

1.15

Beitrag CH in Tsd. EUR Beitrag CH in Tsd. CHF

5 141

7 851

11 548

11 885

13 828

19 267

6 169

8 243

12 703

13 074

15 902

22 157

2014/15

2015/16

2016/17

2017/18

2018/19

2019/20

+ 66,34 %

+ 52,72 %

+ 47,09 %

+ 2,92 %

+ 16,34 %

+ 39,33 %

Zuwachs

Jahr

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

Beitragsberechnung gemäss Vorschlag der Europäischen Kommission Mai 2018 EU-Beitrag in Tsd. EUR

838 171 1 043 042 1 219 834 1 446 339 1 661 797 1 775 725 1 859 550

Beitragssatz CH Wechselkurs CHF/EUR

4,50 %

4,50 %

4,50 %

4,50 %

4,50 %

4,50 %

4,50 %

1,05

1,05

1,05

1,05

1,05

1,05

1,05

Beitrag CH in Tsd. EUR Beitrag CH in Tsd. CHF

37 718

46 937

54 893

65 085

74 781

79 908

83 680

39 604

49 284

57 637

68 340

78 520

83 903

87 864

59

Noch nicht veröffentlicht

7167

BBl 2020

Jahr

Zuwachs

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

2020/21

2021/22

2022/23

2023/24

2024/25

2025/26

2026/27

+ 95,76 % + 24,44 % + 16,95 % + 18,57 % + 14,90 % + 6,86 % + 4,72 % Beitragsberechnung gemäss Vorschlag des Europäischen Rates vom Juli 202060 EU-Beitrag in Tsd. EUR Beitrag CH in Tsd. CHF

438 308

545 442

637 893

756 340

869 010

928 587

972 422

20 710

25 772

30 140

35 737

41 061

43 876

45 947

Zuwachs

2020/21

2021/22

2022/23

2023/24

2024/25

2025/26

2026/27

­ 6.54 % + 24,44 % + 16,95 % + 18,57 % + 14,90 % + 6,86 % + 4,72 %

Der durch die EU noch zu beschliessende Haushaltsrahmen hat entsprechend grossen Einfluss auf die Beitragszahlungen der Schweiz; im Jahr 2024 wären es entweder knapp 36 Millionen Schweizer Franken oder rund 68 Millionen Schweizer Franken.

Im Voranschlag 2021 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2022 bis 2024 der EZV wurden die Mittel gemäss jener Berechnung eingestellt, welche auf dem Programmplanungsdokument der Agentur basiert, da zum Planungszeitpunkt seitens EU noch keine definitiven Beschlüsse zum Budget der Agentur gefällt wurden und sich die Entwicklungen auch noch nicht konkret abschätzen liessen. Im Rahmen der Budgetierung VA 2022 beziehungsweise der Finanzplanung 2023 bis 2025 werden die Beträge entsprechend den definitiven Beschlüssen der EU angepasst.

7.2.2

Abgeltung der Kantone im Rückkehrbereich

In Artikel 71a Absatz 1 E-AIG soll eine neue Regelung aufgenommen werden, wonach das SEM sowie die Kantone für internationale Rückführungseinsätze das notwendige Personal zur Verfügung stellen. Die Schweiz wird für die Entsendung des lang- oder kurzfristen Personals von der Agentur unter gewissen Voraussetzungen finanziell unterstützt (vgl. Ziff. 7.2.4). Für die Entsendung kantonalen Personals sollen die Kantone sowohl für kurz- wie auch für langfristige Einsätze vom Bund abgegolten werden. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde vorgeschlagen, dass die Höhe der Abgeltung im Rahmen der heutigen Pauschale für kurzfristige Einsätze vorgesehen wird (300 Franken pro Tag bzw. bei Equipenleiterinnen und -leiter 400 Franken pro Tag, vgl. Art. 15d VVWAL sowie Ziff. 4.5.2 und Art. 71a Abs. 1 E-AIG). Dabei sollten bei den langfristigen Einsätzen die effektiven Arbeitstage (220) abgegolten werden. Aufgrund der Stellungnahmen von kantonaler Seite, die sich teilweise kritisch zu diesem Vorschlag geäussert haben, haben das SEM und die Kantone zur Frage der Höhe der Abgeltung der Kantone Gespräche aufgenommen (vgl. Ziff. 2.7). Es ist dem Bundesrat ein grosses Anliegen, hier mit den Kantonen so rasch als möglich einvernehmliche und praxistaugliche Lösungen zu finden. Auf60

bei gleichem Beitragssatz und Wechselkurs

7168

BBl 2020

grund der noch laufenden Gespräche können die entsprechenden finanziellen Auswirkungen auf den Bund daher zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht genau beziffert werden. Dabei soll die Abgeltung der Kantone die heute geltenden Ansätze für kurzfristige Einsätze nicht unterschreiten. Da zurzeit jedoch nicht feststeht, wie hoch diese Ansätze sein werden, wird in den nachfolgenden Berechnungen von den heutigen Pauschalen ausgegangen.

In Bezug auf die Anzahl kurzfristiger Einsätze ist davon auszugehen, dass diese in der Anfangsphase leicht über dem bisherigen Umfang liegen und sich bis im Jahr schrittweise 2027 auf voraussichtlich rund fünf Einsätze (von vier Monaten) erhöhen wird. Im Jahr 2019 waren zwei kurzfristige Einsätze von fünf Personen von jeweils einem Monat geplant, was insgesamt zehn Monaten entspricht. Geht man im Jahr 2027 von fünf kurzfristigen Einsätzen aus, die gemäss der neuen EUVerordnung vier Monate dauern (insgesamt 20 Monate), wären im entsprechenden Jahr basierend auf den heutigen Pauschalen mit Mehrkosten von 96 000 Franken zu rechnen, wenn alle Einsätze auf die Kantone entfallen würden (4 x 120 Tage x 300 Franken + 1 x 120 Tage x 400 Franken, abzüglich der Kosten des Jahres 2019, die sich aus der Hälfte der Einsätze ergeben).

Die langfristigen Einsätze sind hingegen neu. Es ist deshalb schwierig, den zukünftigen Bedarf der Agentur im Rückkehrbereich einzuschätzen. Gestützt auf Modellrechnungen würde die Schweiz voraussichtlich erst ab dem Jahr 2024 jährlich einen langfristigen Einsatz im Rückkehrbereich leisten; ab 2027 werden es voraussichtlich zwei Einsätze sein (vgl. hierzu Ziff. 7.4.2). Dabei ist allerdings offen, wie viele davon auf die Kantone beziehungsweise das SEM entfallen werden. Für die langfristigen Einsätze ergeben sich damit im Jahr 2024 basierend auf den heutigen Pauschalen voraussichtlich Mehrkosten von 66 000 beziehungsweise 88 000 Franken, wenn der Einsatz auf die Kantone entfallen würde (220 Tage x 300 / 400 Franken). Für das Jahr 2027 ist für zwei langfristige Einsätze basierend auf den heutigen Pauschalen von voraussichtlichen Mehrkosten von 132 000 beziehungsweise 176 000 Franken auszugehen, wenn beide Einsätze auf die Kantone entfallen würden (2 x 220 Tage x 300 / 400 Franken).

In der Annahme, dass die Schweiz im Rückkehrbereich im Jahr 2027 fünf kurzfristige
und zwei langfristige Einsätze leisten müsste und sämtliche Einsätze von polizeilichen Begleitpersonen der Kantone geleistet würden, wäre für die Abgeltung der Kantone basierend auf den heutigen Pauschalen gegenüber dem Jahr 2019 mit Mehrkosten von 228 000 beziehungsweise 272 000 Franken zu rechnen. Bis in das Jahr 2024 fallen die Kosten jedoch deutlich tiefer aus (im Jahr 2024 wäre z. B. mit Kosten von 126 000 bzw. 148 000 Franken für die Abgeltung der Kantone zu rechnen).

Es ist davon auszugehen, dass diesen Mehrkosten längerfristig Einsparungen gegenüberstehen: Die Stärkung des Schutzes der Schengen-Aussengrenzen sowie die verstärkte Unterstützung der Schweiz durch die Agentur im Rückkehrbereich dürften sich insgesamt positiv unter anderem auf den Vollzug der Wegweisungen auswirken. Ein verbesserter Wegweisungsvollzug dürfte sich auch positiv auf die Anzahl neuer unbegründeter Asylgesuche auswirken. Dadurch können die Kosten im Asyl- und Wegweisungsverfahren (z. B. Sozial- und Nothilfekosten, Kosten für Ausreisen bzw. Rückführungen in den Herkunfts- oder Heimatstaat resp. Dublin7169

BBl 2020

Staat) voraussichtlich gesenkt werden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch die Unterstützung der Kantone für längerfristige Einsätze langfristig kostenneutral umgesetzt werden kann.

7.2.3

Realisierung und Betrieb des Systems eRetour

Artikel 111a Absatz 2 E-AIG regelt die Weitergabe von personenbezogenen Daten an die Agentur. Die Übermittlung dieser Daten an die Agentur soll mittel- bis langfristig über das Informationssystem im Rückkehrbereich (eRetour) manuell erfolgen (Art. 109f Abs. 2 Bst. d E-AIG). Die gesetzliche Grundlage für das Informationssystem eRetour wurde im Rahmen der Vorlage Ausländergesetz, Verfahrensregelungen und Informationssysteme61 vom Parlament im Dezember 2018 gutgeheissen. Die entsprechenden Änderungen sind am 1. April 2020 in Kraft getreten. Das neue ITSystem wird etappenweise realisiert. Die Realisierung des neuen Informationssystems eRetour bringt Gesamtkosten von 12,4 Millionen Franken mit sich, wovon 4,5 Millionen Franken bis Ende 2019 verwendet wurden. Die restlichen Mittel sind im Voranschlag 2020 mit einem integrierten Aufgaben- und Finanzplan 2021 ­ 2023 des SEM eingestellt. Die Kosten für die Realisierung des Systems eRetour fallen unabhängig von der Übernahme der EU-Verordnung an.

Die für die Übermittlung von Personendaten und Statistiken an die Agentur notwendigen Funktionen von eRetour können im Rahmen dieser stufenweisen Weiterentwicklung des Informationssystems ohne zusätzlichen finanziellen Mehraufwand umgesetzt werden.

7.2.4

Beiträge der EU an die Schweiz

Zur finanziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten bestehen von Seiten der EU verschiedene Möglichkeiten, namentlich zur Rückvergütung von gewissen Einsatzkosten des Schweizer Personals (bereits bisher), von Flugkosten im Rückkehrbereich (bereits bisher) sowie von Lohnkosten für zusätzliches Personal (neu).

Nach den geltenden finanziellen Regelungen übernimmt die Agentur folgende Kosten für Schweizer Einsatzpersonal der Kategorien 3 und 4 (Art. 45):

61

­

Kosten für die Reise in den Einsatzstaat, Impfkosten,

­

Kosten für besondere Versicherungen,

­

Kosten für die Gesundheitsfürsorge einschliesslich psychologischer Betreuung sowie

­

Taggelder einschliesslich der Unterbringungskosten.

Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 2. März 2018; BBl 2018 1685; sowie Änderung des AIG vom 14. Dezember 2018; BBl 2018 7879.

7170

BBl 2020

Die Bestimmung der konkreten Zahlungen der Taggelder wird vom Verwaltungsrat der Agentur beschlossen. Im Jahr 2018 betrugen diese Rückvergütungen für den zweimonatigen Einsatz einer Person im SEM 11 352 Euro.

Im Weiteren erhält der Bund seitens der Agentur bei der Beteiligung an den EUSammelflügen die Flugkosten rückvergütet. In den vergangenen Jahren betrugen diese Rückvergütungen 1,5 bis 2 Millionen Franken jährlich für den Bund. Die Rückvergütungen an die EZV beliefen sich auf 381 000 Euro, wovon 24 100 Euro an die Kantonspolizei Zürich weitergeleitet wurden. Diese Rückvergütungen werden auch mit der neuen EU-Verordnung weitergeführt (vgl. Art. 45 betreffend Einsatzkosten und Art. 48 Abs. 1 Bst. f betreffend Flugkosten). Die konkrete Umsetzung der Rückvergütung der Einsatzkosten (Taggelder, Unterbringungskosten, Versicherungen, Impfkosten usw.) für die vier Kategorien werden derzeit in den FrontexVerwaltungsratssitzungen diskutiert. Danach soll ein abgestimmter Vorschlag der EU Kommission vorgelegt werden. Aufgrund der Corona-Krise konnte der Vorschlag noch nicht durch den Verwaltungsrat beschlossen werden.

Mit Artikel 61 wird zudem ein neues System der finanziellen Unterstützung aufgebaut, welches die langfristige Entwicklung der nötigen Personalressourcen gewährleisten soll. Mit der finanziellen Unterstützung können die Schengen-Staaten zusätzliches Personal im Hinblick auf die nötige Flexibilität für ihren verbindlichen Beitrag an die ständige Reserve einstellen und ausbilden. Die Verordnung legt die wesentlichen Voraussetzungen für die finanzielle Unterstützung fest. Je nach Anzahl zusätzlicher Rekrutierungen dürften sich diese Beiträge auf maximal 1 Millionen Franken pro Jahr belaufen.62 Des Weiteren hat die Europäische Kommission am 12. Juni 2018 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement (BMVI) vorgelegt63. Bei diesem Fonds handelt es sich um das Nachfolgeinstrument des Fonds für die innere Sicherheit (ISF-Grenze), an dem sich die Schweiz seit dem 1. August 2018 beteiligt. Wie der ISF-Grenze ist auch der BMVI ein Solidaritätsfonds zur Unterstützung jener Schengen-Staaten, die aufgrund ihrer ausgedehnten See- oder Landgrenzen oder bedeutenden internationaler
Flughäfen hohe Kosten für den Schutz der Schengen-Aussengrenzen tragen. Der BMVI soll dazu beitragen, die Effizienz der Kontrollen und damit den Schutz der Aussengrenzen zu verbessern, legale Einreisen zu erleichtern, illegal Immigration zu verhindern, eine wirksame Steuerung der Migrationsströme zu gewährleisten sowie eine ge62

63

Um die Höhe der Unterstützung für die einzelnen Schengen-Staaten zu bestimmen, wird als Referenzbetrag das Jahresgehalt eines Vertragsbediensteten der Funktionsgruppe III Besoldungsgruppe 8 Dienstaltersstufe 1 gemäss Anstellungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der EU festgelegt (gemäss Verordnung (EU) Nr. 1239/2010; ABl. L 338 vom 22.12.2010, S. 1­6). Dieser entspricht 2457.08 Euro pro Monat respektive einem Jahresgehalt von 29 484.96 EUR. Um den unterschiedlichen Preisniveaus der einzelnen Staaten Rechnung zu tragen wird dieser Referenzbetrag mit einem sogenannten Korrekturkoeffizienten multipliziert. Als Basis dient Brüssel mit einem Index von 100 Prozentpunkten. Der Korrekturkoeffizient für die Schweiz beträgt aktuell 125,8 Prozentpunkte.

Unter Berücksichtigung des Korrekturkoeffizienten steigt somit das Jahresgehalt von 29 484.96 Euro auf 37 092.08 Euro an.

COM(2020) 375 final, geändert durch COM(2020) 23 final und COM(2020) 450 final.

7171

BBl 2020

meinsame Visa-Politik zu unterstützen. Wie der ISF-Grenze bietet auch der BMVI den Schengen-Staaten die Möglichkeit, Transportmittel und Betriebsausrüstung mit Mitteln aus dem Fonds zu beschaffen, welche der Agentur zur Verfügung gestellt werden. Bei diesem Vorschlag handelt es sich ebenfalls um eine zukünftige Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands.

7.3

Personelle Auswirkungen

7.3.1

Personelle Beiträge der Schweiz

Die verbindlichen maximalen personellen Beiträge eines jeden Mitgliedstaates oder assoziierten Staates für die neue ständige Reserve von insgesamt bis zu 10 000 Einsatzkräften (Kat. 1 ­ 4, siehe Ziff. 4.2) sind in den Anhängen II, III und IV der EU-Verordnung geregelt. Die Artikel zu den Verpflichtungsbeiträgen zu den Kategorien 2 ­ 4 treten ab dem Jahr 2021 in Kraft. Um eine lückenlose Beteiligung der Schweiz sicherzustellen, beteiligt sich die Schweiz ab dem Jahr 2021 gemäss den Bestimmungen der EU-Verordnung betreffend die Entsendung von Personal der Kategorien 2 ­ 4 an den Einsätzen der Agentur. Die Bestimmungen werden für die Schweiz erst mit der Übernahme verbindlich. Für das laufende Jahr sind demnach noch die aktuellen Prozesse gültig. Die Anzahl Einsätze ist in ähnlichem Umfang wie im letzten Jahr festgelegt (ca. 1500 Einsatztage oder rund 5 FTE, zu rund 84 % durch die EZV, zu rund 4 % durch die Kantonspolizei Zürich und zu rund 12 % durch das SEM geleistet).

Im Zusammenhang mit COVID-19 wurden insgesamt acht Einsätze (Griechenland 4, Kroatien 3, Italien 1) sistiert. Es ist vorgesehen, das Personal soweit möglich in der zweiten Jahreshälfte einzusetzen Gleichzeitig wurde jedoch ein Soforteinsatz in Griechenland ausgelöst, welcher vom 10. März bis 7. Juli 2020 dauerte und zu dem durchgängig zwei Angehörige der EZV entsandt wurden.

Ab 2021 wird die Schweiz die folgende Höchstzahl an Personal stellen, welches ­ je nach Bedarf ­ aus Grenzschutz- oder Rückkehrexpertinnen und -experten von Bund (EZV, SEM) und Kantonen zusammengesetzt ist (vgl. Ziff. 7.3.2): Kategorie 2 ­ Langfristige Abordnungen von zwei Jahren (Art. 56) Jahr

Beitrag CH in Personen

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

4

5

5

8

11

13

16

Kategorie 3 ­ Kurzfristige Entsendungen von vier Monaten (Art. 57) Jahr

Beitrag CH in Einsätzen à 4 Monate

7172

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

38

37

43

45

53

56

59

BBl 2020

Kategorie 4 ­ Soforteinsatzpool (Art. 58) Jahr

Beitrag CH in Personen

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

16

16

16

16

­

­

­

Für eine bessere Vergleichbarkeit der Jahre, wurden die obengenannten Entsendungen in Einsatzmonate bzw. Vollzeitstellen umgerechnet. Untenstehende Tabelle zeigt auf, dass im Jahr 2027 für die Schweiz maximal 39 Vollzeitstellen 64 der Agentur zur Verfügung gestellt werden müssten.

Jahr

2021

2022

2023

2024

2025

2026

2027

Beitrag der CH in Monaten Kat. 265

48

60

60

96

132

156

192

366

152

148

172

180

212

224

236

Beitrag der CH in Monaten Kat. 467

64

64

64

64

264

272

296

340

344

380

428

24

25

27

31

31

35

39

Beitrag der CH in Monaten Kat.

Summe der Monate pro Jahr Max. Anzahl Personen pro Jahr im Einsatz68

7.3.2

Personelle Auswirkungen auf den Bund im Grenzschutzbereich

Aktuell (Stand März 2020) verfügt die Agentur über einen eigenen Personalbestand von rund 790 Personen. Durch die Mitgliedstaaten wurden im letzten Jahr insgesamt knapp 6720 Personen zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um Expertinnen und Experten für die Einsatzteams oder weitere Spezialistinnen und Spezialisten wie die Verbindungspersonen oder kulturelle Mediatorinnen und Mediatoren. Insgesamt waren 8000 Personen im Pool registriert. Die Schweiz leistet seit 2011 jährlich durchschnittlich 1300 Einsatztage zu Gunsten von Einsätzen der Agentur, insbesondere in Griechenland, Italien, Bulgarien, Spanien oder Kroatien. Etwa 90 bis 95 Prozent dieser Einsatztage wurden bis 2017 durch Grenzschutzexpertinnen und -experten der EZV abgedeckt und der Rest durch die Kantonspolizei Zürich. Seit 2018 beteiligt sich das SEM ebenfalls mit rund 12 Prozent an den Einsatztagen. Die Beteiligung der EZV beträgt seither somit zwischen 80 und 90 Prozent oder knapp fünf Vollzeitstellen. Diese Expertinnen und Experten werden aus einem nationalen Expertenpool rekrutiert. Die Entsendung dieser Expertinnen und Experten wird jährlich mit der Agentur verhandelt.

64 65 66 67 68

Vollzeitstellen gemäss Schlüssel der Agentur: Dieser wird berechnet mit fünf Arbeitstagen und 52 Arbeitswochen pro Jahr. Ferien- und Feiertage sind nicht berücksichtigt.

Ausgerechnet für 12 Monate; die Personen sollten dann gleich 24 Monate im Einsatz bleiben.

Einsatzdauer vier Monate.

Einsatzdauer berechnet auf vier Monate.

Die Zahlen sind nicht ferien- und feiertagsbereinigt (vgl. Fn 80); diese sind in der Berechnung der Kategorien 3 und 4 noch zu berücksichtigen, aber nicht für Kategorie 2.

7173

BBl 2020

Die konkreten finanziellen und personellen Auswirkungen im Zusammenhang mit der neuen EU-Verordnung auf die EZV sind derzeit aus den unter Ziffer 7.5 genannten Gründen nicht genau zu beziffern. Auch in Zukunft werden die personellen Beiträge der Schweiz Gegenstand von jährlichen Verhandlungen zwischen der Agentur und der EZV bilden, neu unter Berücksichtigung der in der EU-Verordnung in den Anhängen II bis IV festgelegten maximalen Beitragsverpflichtungen.

Die EZV geht aufgrund der aktuellen Kenntnisse und den unten beschriebenen Überlegungen davon aus, dass sie in der Lage sein wird, den grössten Teil des erforderlichen Grenzschutzpersonals zu Gunsten von Einsätzen an den SchengenAussengrenzen zur Verfügung zu stellen. Als Rechtsgrundlage dienen das ZG und die VZAG.

Aus operativen Überlegungen wird davon ausgegangen, dass die langfristigen Abordnungen (Kat. 2) voraussichtlich umfassend entsandt werden, während demgegenüber die Einsatzkräfte für kurzfristige Einsätze (Kat. 3) nur je nach Lage eingesetzt werden. Bei einer ausserordentlichen Lage an den Aussengrenzen, sei es im Falle einer Migrationskrise wie beispielsweise im Jahre 2015/16 oder einer konkreten und ernsthaften Bedrohung für die Sicherheit des Schengen-Raums, werden gemäss der Einschätzung der EZV als erstes Einsatzkräfte für den Grenzschutz benötigt. Erst wenn sich die Lage stabilisiert hat, dürften in einem zweiten Schritt wieder Rückkehraufgaben der Agentur im Vordergrund stehen. Beim Durchspielen entsprechender Szenarien ­ unter der Voraussetzung, dass auch bei einem vollständigen Einsatz von Schweizer Einsatzkräften an den Schengen-Aussengrenzen das Sicherheitsniveau an den Schweizer Binnen- bzw. Landesgrenzen aufrechterhalten wird ­ kam die EZV zum Ergebnis, dass für diese Aufgaben zusätzlich operativ einsetzbares Personal benötigt wird. Als Basis dieser Berechnungen dienten die Erfahrungswerte aufgrund realer Ereignisse (Migrationskrise 2015/16 oder die Terroranschläge in Frankreich der Jahre 2015 und 2018) sowie polizeitaktische Berechnungen.

Im Rahmen der Weiterentwicklung der EZV soll ihr Personal flexibler und nicht mehr in den fixen Strukturen «Zoll» (d. h. Warenverkehr) und «Grenzwache» (d. h. Personenverkehr) ausgebildet werden. Die vorgesehene breite und stufenweise Ausbildung hat den Vorteil, dass die operativen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukünftig flexibel einsatzfähig sein werden. Dies wiederum führt dazu, dass das operative Personal dort eingesetzt werden kann, wo Handlungsbedarf besteht. Bei einer ruhigen Migrations- oder Sicherheitslage können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZV beispielsweise vermehrt auf die Warenkontrolle oder die Kontrolle von Transportmitteln konzentrieren. Werden kurzfristig mehr Einsatzkräfte zum Schutz der Landesgrenzen benötigt, kann vorübergehend das auf Waren und Transportmittel spezialisierte Personal für die Durchführung von zollrechtlichen Personen- und Sicherheitskontrollen eingesetzt werden.

Die EZV deckt bereits jetzt viele Anforderungen an das Einsatzpersonal ab (bspw. im Bereich Grenzkontrolle, oder durch Dokumentenspezialisten oder Hundeführer), da diese Eigenschaften auch zur Erfüllung ihrer nationalen Aufgaben notwendig sind. Es ist davon auszugehen, dass diese Grundanforderungen auch in Zukunft von der Agentur beibehalten werden. Mit dem neuen Berufsprofil im Rah-

7174

BBl 2020

men der Weiterentwicklung wird die EZV die Anforderungen für Einsätze der Agentur weiterhin erfüllen können.

In der Botschaft zur Finanzierung der Modernisierung und Digitalisierung der Eidgenössischen Zollverwaltung (Programm DaziT) 69 wird ausgewiesen, dass durch die Digitalisierung und die effizienteren Arbeitsabläufe bis 2023 etwa 300 Stellen abgebaut werden können. Vor dem Hintergrund der neuen Verpflichtungen aus der vorliegenden EU-Verordnung soll vorbehalten bleiben, zu prüfen, ob auch ein Teil der durch DaziT freigespielten Stellen künftig als operatives Personal eingesetzt werden könnte.

7.3.3

Personelle Auswirkungen auf den Bund im Rückkehrbereich

Bei den Personen, die die Schweiz der Agentur im Rückkehrbereich für lang- oder kurzfristige Einsätze zur Verfügung stellt, kann es sich um Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten des SEM sowie um polizeiliche Begleitpersonen der Kantone handeln (Art. 15c und 15d VVWAL). Im Rückkehrbereich werden keine Personen für Soforteinsätze entsendet; die Reserve für Soforteinsätze wird lediglich zu Grenzsicherungszwecken eingesetzt (Art. 58 Abs. 1).

Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SEM der Agentur für lang- oder kurzfristige Einsätze im Rückkehrbereich zu entsenden sein werden, hängt insbesondere von der Migrationslage und den Entwicklungen in diesem Bereich ab. Wie bereits für die Umsetzung der geltenden EU-Verordnung kann aufgrund der bisherigen Erfahrungen voraussichtlich weiterhin mit einem personellen Bedarf von bis zu zwei Vollzeitstellen gerechnet werden. Dieser Bedarf kann voraussichtlich mit bestehenden Personal des SEM abgedeckt werden. Im Rahmen der Umsetzung der bisherigen Verordnung wurde nur eine Person des SEM für einen zweimonatigen Einsatz ins Ausland entsendet. Im Jahr 2021 ist voraussichtlich kein solcher Einsatz von Rückkehrspezialisten dem SEM vorgesehen.

Mit der manuellen Übermittlung der personenbezogenen Daten an die Agentur durch eRetour kann der administrative Aufwand des SEM marginal verringert werden, da die entsprechenden Daten nicht mehr einzeln erfasst werden müssen, sondern im System eRetour enthalten sind. Der mittel- bis längerfristig geplante operative Betrieb des Informationssystems eRetour (Datenübermittlung) im Rahmen dieser EU-Verordnung führt deshalb nicht zu einem personellen Mehrbedarf und kann mit dem bestehenden Personalbestand des SEM sichergestellt werden.

Bis zur Einführung der Datenübermittlung über eRetour sollen in einer ersten Phase die entsprechenden Personendaten ohne dieses Informationssystem ebenfalls manuell übermittelt werden (siehe hierzu Kommentar zu Artikel 109f E-AIG sowie Ziff. 4.8). Auch diese Übermittlung führt zu keinem personellen Mehraufwand und kann im Rahmen des bestehenden Personalbestandes wahrgenommen werden.

69

Botschaft des Bundesrates vom 15. Februar 2017; BBl 2017 1719.

7175

BBl 2020

7.3.4

Personelle Beiträge im Bereich Politzyklus und Planung

Im AIG werden zwei Regelungen vorgeschlagen, welche die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und der Agentur auf Gesetzesstufe festhalten (vgl. Art. 7 Abs. 1bis und 71 Abs. 2 E-AIG). Ein wichtiger Punkt bei dieser Zusammenarbeit sind die neuen Vorgaben zum mehrjährigen strategischen Politikzyklus. Hierfür müssen die strategischen Arbeiten im Bereich der integrierten Grenzverwaltung intensiviert werden. Bei diesem mehrjährigen strategischen Politikzyklus soll festgehalten werden, wie die Herausforderungen in den Bereichen Grenzverwaltung und Rückkehr zu bewältigen sind (vgl. Art. 8 und Ziff. 4.1). Die von der EU-Verordnung vorgegebene enge Kadenz der Strategiezyklen und die wiederkehrende Evaluation der Strategie können zu einem Mehrbedarf an Personalressourcen beim SEM führen.

Zudem stellen sich insbesondere im Rahmen der integrierten Grenzverwaltung zunehmend auch grundsätzliche strategische und strukturelle Fragen, welche im Rahmen breit angelegter Projekte unter der Leitung des SEM und mit sämtlichen Interessengruppen auf strategisch-politischer Ebene zu bearbeiten sein werden.

Daneben sieht die Verordnung zahlreiche Planungsinstrumente vor, mit teils engen Vorgaben, beispielsweise bezüglich Methode und Verfahren, welche beim SEM ebenfalls einen Zusatzaufwand zur Folge haben können. Aus diesen Gründen und gestützt auf die bisherigen Erfahrungswerte im Bereich Politikzyklus und Planung geht das SEM insgesamt von einem zusätzlichen Aufwand von bis zu zwei zusätzlichen Stellen beim SEM aus, der innerhalb des EJPD kompensiert werden soll.

7.4

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf die Kantone

7.4.1

Finanzielle Auswirkungen

Im Grenzschutzbereich gilt, dass die Personalkosten jeweils durch die entsendende Behörde finanziert werden. Wie unter Ziffer 4.2.3 und 4.2.4 beschrieben, erhalten sie im Gegenzug die Ausgaben für Reisekosten (inkl. Transportmittel während des Einsatzes), Unterkunft, Mahlzeiten sowie kleinere Spesen in Absprache mit der Agentur) zurückerstattet. Weiter können entstandene Kosten für Einsatzmittel gemäss vorgängiger Abmachung mit der Agentur abgerechnet werden (z. B. für den Betrieb und den Unterhalt der Dienstfahrzeuge während des Einsatzes).

Bei Einsätzen kantonalen Personals im Rückkehrbereich werden die jeweiligen Kantone durch den Bund abgegolten (Art. 71a Abs. 1 E-AIG). Die Höhe der Abgeltung sowie die Abgeltungsmodalitäten sind derzeit Gegenstand von Gesprächen zwischen dem SEM und den Kantonen (vgl. Ziff. 2.7). Die Abgeltung soll die heute geltenden Ansätze für kurzfristige Einsätze nicht unterschreiten. Die Agentur wird, wie bereits heute bei den kurzfristigen Einsätzen (Kat. 3), auch für langfristige Einsätze (Kat. 2) für Spesen, Flüge und Unterkunft für das entsendete Personal aufkommen (Art. 95 Abs. 6). Damit werden die personellen Kosten für die Kantone mehrheitlich gedeckt werden.

7176

BBl 2020

7.4.2

Personelle Auswirkungen

Gemäss Artikel 9 der Vereinbarung vom 20. März70 zwischen Bund und Kantonen betreffend Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen/DublinBesitzstands sind Bund und Kantone gleichermassen dafür zuständig, die Umsetzung von Rechtsakten oder Massnahmen der Schengener Zusammenarbeit zu gewährleisten. Bei den Vernehmlassungen für die bisherigen Gesetzgebungsprozesse im Zusammenhang mit der Europäischen Grenz- und Küstenwache wurden die Kantone jeweils involviert. Da es sich bei Einsätzen für die Agentur insbesondere um den Spezialbereich der Schengen-Aussengrenzkontrollen handelt, lag der Fokus bisher auf jenen Polizeikorps, die selber Aussengrenzen haben. Die meisten Flughäfen in der Schweiz sind jedoch eher klein und mit wenig personellen Ressourcen ausgestattet, weshalb die anderen Polizeikorps bislang davon abgesehen haben, Personal zu entsenden.

Die administrative Organisation sowie die finanzielle Abrechnung für die Rückzahlungen wird durch die EZV vorgenommen. Die Auswirkungen der neuen EU-Verordnung auf die Kantone sind aufgrund der oben beschriebenen Unklarheiten ebenfalls schwierig zu definieren. Da die EZV davon ausgeht, dass sie mit den bestehenden Ressourcen und allenfalls Effizienzgewinnen aus Weiterentwicklung und Transformation (DaziT) den grössten Teil des benötigten Grenzschutzpersonals zur Verfügung stellen kann, würden sich die personellen und finanziellen Auswirkungen auf die Kantone im Grenzschutzbereich in Grenzen halten. Die EZV beabsichtigt jährlich im Rahmen der Verhandlungen über die personellen Beiträge im Bereich Grenzschutz mit den Kantonen Kontakt aufzunehmen, um eine mögliche Beteiligung zu diskutieren.

Auch im Rückkehrbereich ist es schwierig, konkrete Aussagen über die personellen Auswirkungen zu machen. Die Anzahl der polizeilichen Begleitpersonen der Kantone, die für Einsätze im Rückkehrbereich zu entsenden sein werden, hängt insbesondere von der Migrationslage und den Entwicklungen in diesem Bereich ab und kann daher ab 2022 nur gestützt auf Modellrechnungen beziffert werden. Zurzeit können nur für das Jahr 2021 konkrete Aussagen darüber gemacht werden, wie viele Personen aus den Kantonen im Rückkehrbereich zum Einsatz gelangen. Im kommenden Jahr sind insgesamt drei viermonatige Einsätze von polizeilichen Begleitpersonen geplant. Langfristige Einsätze sind
keine vorgesehen.

Bei der Anzahl kurzfristiger Einsätze im Rückkehrbereich kann davon ausgegangen werden, dass sich diese in der Anfangsphase leicht über dem bisherigen Umfang bewegen und sich bis im Jahr 2027 schrittweise auf voraussichtlich fünf Einsätze erhöhen wird. Im Rahmen der Umsetzung der heute geltenden Verordnung waren für die Kantone im Jahr 2019 zwei einmonatige Einsätze von jeweils fünf polizeilichen Begleitpersonen geplant (insgesamt 10 Monate), wovon ein Einsatz seitens der Agentur vorgängig annulliert wurde. Für das Jahr 2021 betreffen 8,9 Prozent der seitens der Agentur geplanten kurzfristigen Einsätze den Rückkehrbereich (Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten sowie polizeiliche Begleitpersonen). Dabei besteht zurzeit eher Bedarf nach Einsätzen von polizeilichen Begleitpersonen. Ge70

SR 362.1

7177

BBl 2020

stützt auf die in der Verordnung festgelegten personellen Beiträge der Schweiz würde dies bedeuten, dass beispielsweise im Jahr 2024, in dem die Schweiz insgesamt 45 kurzfristige Einsätze leisten muss, vier kurzfristige Einsätze von vier Monaten im Rückkehrbereich stattfinden werden. Ab dem Jahr 2027 würden, gestützt auf diese Berechnungen, fünf kurzfristige Einsätze (von vier Monaten) im Rückkehrbereich stattfinden. Dies würde bis in das Jahr 2027 gegenüber 2019 einer schrittweisen Erhöhung der kurzfristigen Einsätze von insgesamt zehn Monaten auf 20 Monate entsprechen. Wie viele davon auf die Kantone und wie viele auf das SEM entfallen würden, kann derzeit allerdings noch nicht abgeschätzt werden.

Hinsichtlich der langfristigen Einsätze im Rückkehrbereich ist es schwierig, den zukünftigen Bedarf der Agentur im Rückkehrbereich einzuschätzen. Für das Jahr 2021 betreffen 11,7 Prozent der seitens der Agentur geplanten langfristigen Einsätze den Rückkehrbereich (Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten sowie polizeiliche Begleitpersonen). Gestützt auf die in der Verordnung festgelegten personellen Beiträge der Schweiz würde dies bedeuten, dass erst im Jahr 2024, in dem die Schweiz insgesamt acht langfristige Einsätze leisten muss, ein langfristiger Einsatz im Rückkehrbereich stattfinden würde. Ab dem Jahr 2027 würden, gestützt auf diese Berechnungen, zwei langfristige Einsätze im Rückkehrbereich stattfinden. Auch hier kann noch nicht abgeschätzt werden, wie viele davon auf die Kantone beziehungsweise das SEM entfallen würden.

7.5

Offene Fragen

In einigen Bereichen besteht im Rahmen der konkreten Umsetzung der EUVerordnung in der Praxis insbesondere auch seitens der EU noch Klärungsbedarf.

­

Hinsichtlich des personellen Beitrages der Schweiz an die Agentur stehen die konkreten Profile des benötigten Personals erst für das Jahr 2021 fest.

Für die Folgejahre stehen die benötigten Profile ­ und damit, wie die personellen Beiträge auf EZV, SEM und Kantonen aufgeteilt werden ­ noch nicht fest. Die Frage, ob das erforderliche Personal aus dem bestehenden Personalkörper rekrutiert werden kann oder zusätzliches Personal benötigt wird, hängt direkt damit zusammen.

­

Ebenso ist zurzeit offen, wie viele Einsätze aufgrund von Krisen notwendig sein werden und welche Profile dafür notwendig sind. Dies hängt insbesondere von den Entwicklungen im europäischen Grenz- und Migrationsbereich ab.

­

Im Jahre 2024 soll zudem eine eingehende Überprüfung der notwendigen Kapazitäten der Agentur im Personalbereich durchgeführt werden. Dies erlaubt es, die entsprechende Planung gestützt auf die ersten Erfahrungen mit der EU-Verordnung anzupassen.

­

Der jährliche Mitgliedsbeitrag der Schweiz hängt von diversen Faktoren ab, beispielsweise der Budgetentwicklung der Agentur, welches sich nach der Überprüfung wieder ändern könnte, oder dem jeweils aktuellen nationalen Bruttoinlandprodukt.

7178

BBl 2020

­

Die Frage, ob das erforderliche Personal aus dem bestehendem Personalkörper rekrutiert werden kann, ist wiederum von den oben genannten Faktoren abhängig. Dabei geht es auch um die Frage, ob zusätzliche finanzielle Mittel für neues Personal benötigt werden.

­

Die Verhandlungen über die Rückzahlungsleistungen durch die EU sind noch nicht abgeschlossen, weshalb hierzu noch keine definitiven Aussagen gemacht werden können.

­

Die grössere operative Einsatzfähigkeit der EZV ist von der laufenden Weiterentwicklung der EZV und deren Entwicklung hin zum Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit abhängig.

­

Zum jetzigen Zeitpunkt unklar sind auch die Auswirkungen der CoronaKrise auf die laufende Umsetzung.

­

Von Seiten der Europäischen Kommission wurde im Laufe der aktuellen Diskussionen mehrfach klargestellt, dass es keinen Alternativplan gibt. Eine Verschiebung des Datums für die Inbetriebnahme der ständigen Reserve ist nicht vorgesehen. Es besteht aber bei der laufenden Rekrutierung des Personals für die Kategorie 1 bereits eine dreimonatige Verzögerung bei der Basisausbildung (Ausbildungsende nunmehr der 11. Dezember 2020). Hingegen konnten die erforderlichen Verwaltungsratsbeschlüsse (Festlegung der Profile und Verteilung auf die Schengen-Staaten) per Ende März 2020 im schriftlichen Verfahren durchgeführt werden.

­

Schliesslich konnte der mehrjährige Finanzrahmen noch nicht verabschiedet werden. Die deutsche Ratspräsidentschaft ist in der Pflicht, die Diskussionen zum mehrjährigen Finanzrahmen bis Ende 2020 abzuschliessen. Die Beschlüsse haben einen direkten Einfluss auf das Budget der Agentur sowie die personellen und finanziellen Beiträge der Schweiz. Die aktuellen Diskussionen deuten indes darauf hin, dass es zu Budgetkürzungen für die Agentur kommen könnte. Zu bedenken ist dabei an den wirtschaftlichen Schaden durch die Coronakrise und die möglicherweise anderweitig eingesetzten finanziellen Mittel.

7.6

Fazit zu den finanziellen und personellen Auswirkungen

Die finanziellen und personellen Auswirkungen sind wie oben erläutert aufgrund diverser Faktoren und Unsicherheiten schwierig zu beziffern. Das starke Wachstum des Budgets der Agentur führt zu deutlich höheren Mitgliedsbeiträgen der Schweiz.

Aufgrund der heutigen Annahmen kann davon ausgegangen werden, dass die zusätzlichen personellen Leistungen des Bundes zu Gunsten der Agentur grundsätzlich mit den bestehenden Mitteln erbracht werden können.

Zusammenfassend ergeben sich folgende finanziellen Auswirkungen: ­

Die jährlichen Mitgliederbeiträge der Schweiz an die Agentur werden sich von 2020 bis 2027 schrittweise erhöhen. Wie hoch die Beitragszahlungen 7179

BBl 2020

ausfallen werden, hängt vom mehrjährigen Finanzrahmen 2021 ­ 2027 der EU ab, welcher noch nicht verabschiedet wurde. Während der Vorschlag der Europäischen Kommission von 2018 Gesamtmittel von gut 9 Milliarden Euro für die Agentur vorsah, hatte sich der Europäische Rat im Juli 2020 auf 5.1 Milliarden Euro geeinigt. Gemäss Hochrechnungen auf Grundlage der beiden Vorschläge würden die Mitgliederbeiträge der Schweiz im Jahr 2024 entweder knapp 36 oder rund 68 Millionen Schweizer Franken betragen (vgl. Ziff. 7.2.1). Die Verpflichtung zur Bezahlung von Mitgliederbeiträgen ergibt sich jedoch nicht aus der Übernahme der EU-Verordnung selbst, sondern aus der Zusatzvereinbarung zwischen der Agentur und der Schweiz in Verbindung mit dem SAA.

­

Für die Abgeltung der Kantone für kurz- und langfristige Einsätze im Rückkehrbereich ist beispielsweise für das Jahr 2027 basierend auf den heutigen Pauschalen und gestützt auf Modellrechnungen mit Mehrkosten von rund 228 000 beziehungsweise 272 000 Franken jährlich zu rechnen. Bis in das Jahr 2024 fallen die Kosten jedoch deutlich tiefer aus (z. B. für das Jahr 2024: 126 000 beziehungsweise 148 000 Franken). Die entsprechende Abgeltung ist zurzeit Gegenstand von Gesprächen zwischen dem SEM und den Kantonen. Die Abgeltung sollte allerdings langfristig voraussichtlich kostenneutral umgesetzt werden können (vgl. Ziff. 7.2.2).

­

Die Kosten für das System eRetour fallen unabhängig von der Übernahme der EU-Verordnung an. Die Realisierung des Systems bringt Gesamtkosten von 12,4 Millionen Franken mit sich, wovon 4,5 Millionen Franken bis Ende 2019 verwendet wurden. Die restlichen Mittel sind im Voranschlag 2020 mit einem integrierten Aufgaben- und Finanzplan 2021 ­ 2023 des SEM eingestellt (vgl. Ziff. 7.2.3).

Demgegenüber stehen folgende Rückvergütungen und Einsparungen:

71

­

Es ist von Rückvergütungen für die kurz- und langfristigen Einsätze seitens der Agentur von bis zu 1 Million Franken jährlich zu rechnen. Hinzu kommen weitere Rückvergütungen, beispielsweise für die Beteiligung an EUSammelflügen; diese betrugen bisher 1,5 bis 2 Millionen Franken jährlich (vgl. Ziff. 7.2.4).

­

In Bezug auf die Unterstützungsleistungen aus dem künftigen BMVI ist derzeit noch unklar, inwiefern die Schweiz von solchen Leistungen wird profitieren können (vgl. Ziff. 7.2.4).

­

Die Schweiz wird langfristig Einsparungen aufgrund der erhöhten Sicherheit an der Grenze und der Bekämpfung der illegalen Migration erfahren. Diese sind allerdings zurzeit schwierig bezifferbar. Ein Wegfall von Schengen/Dublin würde für die Schweiz einen Sicherheitsverlust bedeuten und im Migrationsbereich zu einer Erhöhung von unbegründeten Asylgesuchen führen. Dies könnte selbst mit grossem Aufwand und hohen Kosten kaum wettgemacht werden (vgl. dazu Ziff. 2.1 und den Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 15.3896 der sozialdemokratischen Fraktion71).

Siehe unter Ziff. 2.1.

7180

BBl 2020

Zusammenfassend hat die Vorlage folgende personellen Auswirkungen: ­

Die Anzahl Einsätze der Schweiz für die Agentur wird sich bis ins Jahr 2027 schrittweise erhöhen. Im Jahr 2027 würde die Schweiz maximal 39 Vollzeitstellen zur Verfügung stellen (vgl. Ziff. 7.3.1). Im Jahr 2021 sind es maximal 24 Vollzeitstellen. Es handelt sich dabei um Höchstbeiträge. Die personellen Beiträge der Schweiz sind auch in Zukunft Gegenstand von jährlichen Verhandlungen zwischen der EZV und der Agentur, neu unter Berücksichtigung der in der EU-Verordnung festgelegten Höchstbeiträge (vgl. Anhänge II bis IV). Die tatsächliche Anzahl Einsätze hängt insbesondere von den Entwicklungen im europäischen Grenz- und Migrationsbereich ab.

­

Die Einsätze werden von der EZV, vom SEM oder von den Kantonen geleistet. Ob Personal der EZV, des SEM oder der Kantone eingesetzt wird, hängt insbesondere von den Entwicklungen im europäischen Grenz- und Migrationsbereich ab. Aktuell betreffen rund 90 Prozent der Einsätze den Grenzschutzbereich (vgl. Ziff. 7.3.2). Das wären im Jahr 2027 maximal rund 35 Vollzeitstellen. Davon leistet derzeit die EZV rund 95 Prozent selber. Im Jahr 2027 würden sich basierend darauf rund 33 Vollzeitstellen für die EZV und rund 2 Vollzeitstellen für die Kantone ergeben. Rund 10 Prozent der Einsätze insgesamt betreffen derzeit den Rückkehrbereich. Im Jahr 2027 würden sich basierend darauf rund 4 Vollzeitstellen ergeben. Entsprechend würden sich daraus höchstens 4 Vollzeitstellen für die Kantone beziehungsweise das SEM im Rückkehrbereich ergeben. Derzeit besteht eher Bedarf nach polizeilichen Begleitpersonen seitens der Agentur im Rückkehrbereich (vgl. Ziff. 7.4.2). Insgesamt ist zum heutigen Zeitpunkt gestützt auf diese Modellrechnungen davon auszugehen, dass sich daraus im Jahr 2027 33 Vollzeitstellen seitens der EZV und 6 Vollzeitstellen seitens der Kantone ergeben, wobei ein Teil dieser Stellen je nach Bedarf der Agentur vom SEM anstelle der Kantone bereitgestellt werden müssen.

­

Der Personalaufwand beim Bund, der sich aus der Beteiligung an der Agentur ergibt, kann voraussichtlich intern kompensiert werden. Bei der EZV wird sich aus der Beteiligung voraussichtlich ein Mehrbedarf an operativem und im Bereich Grenzschutz geschultem Personal ergeben (vgl. Ziff. 7.3.2).

Es wird geprüft, ob dieser durch einen Teil der im Rahmen der Modernisierung und Digitalisierung der EZV (Programm- DaziT) freigespielten Stellen kompensiert werden kann. Beim SEM werden im Rückkehrbereich (z. B. für kurzfristige Einsätze oder die Datenübermittlung) wie bis anhin bis zu zwei Vollzeitstellen eingesetzt, die intern kompensiert werden (vgl. Ziff. 7.3.3).

Im Bereich Politzyklus und Planung ist beim SEM mit bis zu zwei zusätzlichen Vollzeitstellen zu rechnen, die ebenfalls intern kompensiert werden sollen (vgl. Ziff. 7.3.4).

7181

BBl 2020

8

Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der EU-Verordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 199972 (BV), wonach der Bund für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist.

Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.

Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199773, RVOG).

8.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Übernahme der betreffenden EU-Verordnung und die damit verbundenen Gesetzesänderungen sind mit dem Völkerrecht vereinbar.

Mit der Übernahme dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen gegenüber der EU, die sie im Rahmen des SchengenAssoziierungsabkommens eingegangen ist (Art. 2 Abs. 3 i. V. m. Art. 7 SAA). Mit dieser Übernahme gewährleistet die Schweiz einheitliche Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen mit dem Ziel, die Sicherheit im Schengen-Raum zu erhöhen.

8.3

Erlassform

8.3.1

Erlassform des Genehmigungsbeschlusses

Die Übernahme der EU-Verordnung ist nicht mit dem Beitritt zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft verbunden.

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des entsprechenden Notenaustauschs untersteht somit nicht dem in Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV vorgesehenen obligatorischen Referendum.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter 72 73

SR 101 SR 172.010

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Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten schliesslich Bestimmungen, die im innerstaatlichen Recht auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.

Im vorliegenden Fall kann der Notenaustausch betreffend die Übernahme der EUVerordnung zu den in den Artikeln 7 und 17 SAA vorgesehenen Bedingungen gekündigt werden. Die Übernahme der EU-Verordnung ist zudem unter keinen Umständen mit dem Beitritt zu einer internationalen Organisation verbunden.

Hingegen enthält die durch den Notenaustausch übernommene EU-Verordnung wichtige rechtsetzende Bestimmungen, wie die Verpflichtung zur Entsendung von Personal, zur Übermittlung von Daten oder zusätzliche Exekutivbefugnisse. Zudem erfordert die Übernahme der EU-Verordnung Anpassungen im AIG. Demzufolge muss der Bundesbeschluss über die Genehmigung der EU-Verordnung dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt werden.

Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).

8.3.2

Erlassform des Umsetzungserlasses

Nach Artikel 141a Absatz 2 BV können die Verfassungs- oder Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, der dem Referendum untersteht, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden. Die im Entwurf vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der Rechtsgrundlagen der EU-Verordnung und ergeben sich unmittelbar aus den darin enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.

9

Änderung des Asylgesetzes

9.1

Ausgangslage

9.1.1

Handlungsbedarf und Ziel

Aufgrund einer Empfehlung im Rahmen der letzten Schengen-Evaluierung der Schweiz im März 2018 soll auch im Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a AsylG eine Anpassung vorgenommen werden. Neu soll demnach explizit eine Verpflichtung der ausreisepflichtigen asylsuchenden Person zum Verlassen des Schengen-Raums sowie zur Weiterreise in den Herkunftsstaat oder einen Staat ausserhalb des Schengen-Raums in den Wegweisungsverfügungen aufgenommen werden.

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9.1.2

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Anpassungen des AsylG ist in der Botschaft vom 29. Januar 202074 zur Legislaturplanung nicht angekündigt. Sie erfolgen jedoch im Rahmen von Ziel Nr. 13.

9.2

Erläuterungen zur Änderung in Artikel 45 AsylG

Art. 45 Abs. 1 Bst a und b Die Anwendung des Schengen-Besitzstandes wird regelmässig in sämtlichen Schengen-Staaten in einem Evaluierungsverfahren überprüft. Im März 2018 fand eine erste Schengen-Evaluierung der Schweiz im Bereich der Rückkehr statt. Dabei wurde die Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie durch die Schweiz konkret geprüft. Die Kommission hat verschiedene Empfehlungen an die Schweiz erlassen.

Der Rat der Europäischen Union hat diese nach Bereinigung mit der Schweiz am 14. Mai 2019 verabschiedet.

Die Umsetzung einer dieser Empfehlungen erfordert eine Anpassung in Artikel 45 AsylG und betrifft den Inhalt von Wegweisungsverfügungen. So sieht Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a AsylG vor, dass die Wegweisungsverfügung die betroffene Person verpflichtet, die Schweiz zu verlassen. Gemäss EU-Rückführungsrichtlinie sind die Schengen-Staaten verpflichtet, in Wegweisungsverfügungen die betroffenen Personen zum Verlassen des Schengen-Raumes sowie zur Weiterreise in das Herkunftsland oder in ein weiteres Land ausserhalb des Schengen-Raumes, das die Person aufnimmt, aufzufordern. Die vorliegende Änderung in Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a und b AsylG trägt dieser Vorgabe Rechnung. Dabei wird die heute geltende Verpflichtung zum Verlassen der Schweiz in Buchstabe a beibehalten.

9.3

Auswirkungen

Die Änderung in Artikel 45 AsylG hat weder finanzielle noch personelle Auswirkungen auf die Kantone und den Bund.

9.4

Rechtliche Aspekte

Die Änderung in Artikel 45 AsylG stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV. Sie ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

74

Botschaft des Bundesrates zur Legislaturplanung 2019­2023 vom 29. Januar 2020, BBl 2020 1777.

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