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Bericht und Antrag des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Monopolisierung der Wasserkräfte.

(Vom 4. Juni 1894.)

Tit.

Der Centralvorstand der schweizerischen Gesellschaft ,,FreiLandt" hat mit Eingabe vom April 1891 an den Bundesrat für sich und zu Händen der schweizerischen Bundesversammlung das Gesuch gestellt, es möchte bei Anlaß der Revision der Bundesverfassung: folgender Artikel aufgenommen werden : ,,Sämtliche noch unbenutzte Wasserkräfte der Schweiz sind ,,Eigentum des Bundes. Die Gewinnung und Ausbeutung derselben, ,,sowie deren Fortleitung durch Elektrizität, Druckluft u. s. w. sind ,,Bundessache. t) ber die Durchführung dieses Monopols, sowie über ,,die Verteilung des Reinertrages aus demselben wird ein Bundes,,gesetz das Nötige bestimmen. u Die Untersuchung dieses weitgreifenden Vorschlags machte verschiedene Enqueten notwendig. In erster Linie erließ der Bundesrat an die Regierungen sämtlicher Kantone ein Kreisschreiben, mit welchem er ihnen eine Anzahl Fragen vorlegte und sie einlud, dieselben zu beantworten und damit ihre Ansicht über die von der Gesellschaft ,,Frei-Land" angeregte Reform der bestehenden Wasserrechtsverhältnisse kund zu geben.

Nachdem die Berichte der kantonalen Regierungen, sowie die Gutachten verschiedener namhafter Techniker und Industriellen über die nämliche Materie, eingetroffen und gesichtet waren, konnte sich-

821 der Bundesrat als genügend orientiert betrachten, um zu der Frage betreffend Monopolisierung der Wasserkräfte und der damit zusammenhängenden Verfassungsänderung Stellung zu nehmen und den eidgenössischen Katen bestimmte Anträge in ablehnendem Sinn vorlegen au können.

Das Studium des umfangreichen Materials, welches bei Anlaß dieser Enquête eingelaufen war, und die Mannigfaltigkeit der in dieses Gebiet einschlägigen rechtlichen und technischen Erwägungen bewogen aber den Bundesrat, die Gelegenheit -/M benützen, um die bezüglichen Untersuchungen zu vervollständigen, die bestehende Gesetzgebung und Rechtspraxis der Kantone in Bezug auf die Benutzung der Wasserkräfte in eingehenderer Weise zusammenstellen und beleuchten zu lassen und für die im Falle der Verneinung der Monopolfrage von verschiedenen Seiten angeregte einheitliche Regelung der Materie die notwendigen technischen Erhebungen zu sammeln.

Mit dieser Arbeit wurde Herr Ingenieur A. Jegher in Zürich beauftragt, welchem vom Bund und Kantonen die für Lösung seiner Aufgabe notwendigen Aufschlüsse erteilt wurden.

Das Ergebnis der bezüglichen Studien hat Herr Ingenieur Jêgher in dem hier beigegebenen Bericht*) niedergelegt. Dieser Bericht zerfällt in zwei Hauptabschnitte, von welchen der eine speciell die Monopolfrage betrifft, während in dem anderen die Aufgaben besprochen werden, welche dem Bund zum Zwecke einer einheitlichen Regelung der interkantonalen Beziehungen betreffend Wasserrecht und Kraftübertragung auf große Entfernungen, der Stellungnahme zur Anlage von Starkstromleitungen und der Erhebung einer Statistik der Wasserkräfte eventuell zufallen würden.

Im Anschluß an die vom schweizerischen Departement des Innern, Abteilung Bauwesen, über diese Fragen angestellten umfassenden Untersuchungen und nach genauer Prüfung der Verhältnisse ist der Bundesrat zu folgenden Schlüssen gelangt: I. In Anbetracht: 1. daß von den Kantonen, welche das Hoheitsreeht über die Gewässer ausüben und verwalten sowie teilweise direkte Einnahmen daraus beziehen, die überwiegende Mehrzahl nicht geneigt ist, auf dieses Hoheitsrecht zu verziehten ; 2. daß im allgemeinen die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses durch die Kantone auf diesem Gebiete der Wichtigkeit der Sache entspricht; *) Erscheint nicht im Bundesblatt.

822 3. daß ein Vorteil für das Land und ebenso die Eröffnung einer Einnahmsquelle für Bund oder Kantone durch Übergang des Hoheitsrechtes und der Verwaltung der Wasserrechte an den Bund nicht zu erwarten ist; 4. daß die Möglichkeit späterer Verfügung über die Wasserkräfte für den Staat auch durch die kantonale Gesetzgebung gesichert werden kann ; 5. daß im allgemeinen die kantonalen und örtlichen Behörden besser als die Bundesverwaltung in der Lage sind, über die ökonomisch und wirtschaftlich den öffentlichen und industriellen Interessen am besten dienende Ausnutzung der Wasserkräfte zu wachen; 6. daß der relativ nicht sehr große Umfang des gesamten in Frage kommenden Objektes und die oft schwierige richtige Verwendung der einzelnen Gefalle ebenfalls die Mitwirkung der speciell zur Förderung und zum Schutze der Gewerbe und Industrie in den Kantonen berufenen kantonalen Behörden erheischt, sei der Eingabe der Gesellschaft ,,Frei-Land" vom April 1891 bezüglich der Monopolisierung der Wasserkräfte keine Folge zu geben.

II. Die Prüfung und Vergleichung der kantonalen Gesetzgebung über Wasserrecht hat auf eine Reihe von Lücken geführt und gezeigt, wie sehr die kantonalen Vorschriften von einander abweichen und wie wünschbar die Erzielung einer Übereinstimmung unter einzelnen dieser Gesetze wäre. In dieser Beziehung sind hauptsächlich die Vorschriften über Schiffahrt und Flößerei, über Expropriationsrecht und Konzessionserteilung bei Erstellung von Wasserwerksanlageo, und endlich die Durchführung eines Wasserrechtskatasters nach möglichst einheitlichem Schema hervorzuheben -- alles Fragen, deren Lösung ganz unzweifelhaft irai Interesse des öffentlichen Wohles liegt.

Gestützt auf diese Ergebnisse erscheint es dem Bundesrate angemessen, den Kantonen das Resultat der Untersuchungen zur Kenntnis zu bringen und die Einführung der nachfolgenden Grundsätze in ihre Wasserrechtsgesetzgebuog zu empfehlen : 1. Beseitigung der nach den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen nicht mehr berechtigten Erschwernisse, die aus Rücksicht auf Schiffahrt und Flößerei gegen die Errichtung von Wasserwerken an den größeren Wasserläufen bestehen ;

823 2. Anerkennung des Grundsatzes, daß jede Vermehrung und Verbesserung in der Ausnutzung der Wassergefälle im Interesse des öffentlichen Wohles gelegen ist und dementsprechend Anwartschaft der auf jenes Ziel gerichteten Anlagen auf die Wohlthat des Expropriationsverfahrens für die zu ihrer Durchführung nötige Erwerbung von Grundeigentum und Rechten ; 3. Förderung der Bildung von Korporationen zur besseren Verwertung von durch mehrere Werkbesitzer gemeinsam ausgenutzten Wasserläufen und Unterstützung dahin zielender Bestrebungen durch gesetzliche Vorschriften über obligatorischen Beitritt aller Interessenten zu solchen Genossenschaften; 4. Vorbehalt für die kantonalen Verwaltungsbehörden, die wirtschaftliche Bedeutung neuer Anlagen zu prüfen und bei ihren Entscheidungen in Betracht zu ziehen, sowie das denselben zu Grunde liegende Wassergefälle für eigene Zwecke oder für solche der interessierten Gemeinden in Anspruch zu nehmen, mit Bestimmung der Termine und der Form, in welchen darauf bezügliche Erklärungen von Kanton oder Gemeinden abzugeben sind; 5. Vorbehalt, daß alle Folgen von im öffentlichen Interesse vorgenommenen Korrektionsarbeiten an Gewässern hinsichtlich der an denselben betriebenen Wasserwerke von den Nutzungsberechtigten der Wassergefälle zu tragen sind ; 6. Beschränkung der Konzessionsdauer auf eine bestimmte Zahl von Jahren ; Feststellung eines Termines, innerhalb dessen die konzedierte Wasserkraft ausgenutzt werden soll, und Vorschriften hinsichtlich Verfall der Konzession bei verspäteter Ausnutzung und Unterbruch in derselben ; Bestimmung eines Zeitraumes und der Bedingungen, zu welchen innerhalb der Konzessionsdauer die Konzession vom Kanton abgelöst werden kann; 7. Aufstellung von kantonalen Wasserrechtskatastern, möglichst nach einheitlichen Hauptnormen für die ganze Eidgenossenschaft und^in thunlichst kurzer Frist.

III. In Bezug auf die Regelung der interkantonalen Wasserrechtsverhältnisse glaubt der Bundesrat es liege in der Aufgabe des Bundes, in allen Fällen, in welchen bei der Gewinnung oder Ausnutzung, beziehungsweise Fortleitung, einer Wasserkraft die Gebiete oder Hoheitsrechte von zwei und mehr Kantonen in Frage kommen, auf Verlangen eines dieser Kantone oder auch des Konzessionsbewerbers zu intervenieren und über Differenzen zu ent-

824 scheiden, die sich zwischen den kantonalen Verwaltungen oder zwischen diesen und dem Konzessionsbewerber ergeben, soweit solche Differenzen nicht bundesgeriohtlich zum Austrag zu kommen hätten.

Es wird sich die Regelung der interkantonalen Verhältnisse kaum auf einem andern Wege als demjenigen der Bundesgesetzgebung erzielen lassen, wobei jedoch in erster Linie zu untersuchen wäre, ob ohne Änderung der Verfassung der Erlaß eines solchen Bundesgesetzes möglich sei.

Der Bundesrat behält sich vor, der hohen Bundesversammlung seiner Zeit über diese Materie weitere Vorlagen zu machen.

IV. In einer solchen Vorlage wären auch die Errichtung und der Betrieb von Starkstromleitungen zu behandeln und für Erteilung von Konzessionen die Bedingungen in ähnlicher Weise aufzustellen, wie dies beim Bau und Betrieb von Eisenbahnen geschieht, wobei auch die zur Errichtung und zum Betrieb solcher Anlagen förderlichen Erleichterungen und die im Einverständnis mit den Kantonen auszuübende Aufsicht in Frage kämen.

V. Schließlich sieht sich der Bundesrat veranlaßt, auf die Wichtigkeit der Errichtung einer vollständigen und zuverlässigen Statistik der ausgenutzten und nach dem gegenwärtigen Stande der Technik noch ausnutzbaren Wasserkräfte hinzuweisen. Die Errichtung einer solchen Statistik mit Benutzung der Arbeiten des hydrometrischen Bureaus des eidgenössischen Oberbauinspektorates wäre ohne Erlaß eines besondern Gesetzes möglich.

Wenn wir aber Umgang davon nehmen, jetzt schon einen bestimmten Antrag zu stellen, so liegt der Grund hauptsächlich darin, daß die Ausführung einer solchen Arbeit nicht nur eine Reihe von Jahren, sondern auch bedeutende Summen in Anspruch nehmen müßte. Der Stand der eidgenössischen Finanzen scheint es dermalen nicht zu dulden, neue, weitaussehende und kostspielige Arbeiten, die nicht gerade von dringender Notwendigkeit sind, in Angriff zu nehmen. Indes wird die Zeit kommen, wo das besagte Werk unternommen werden muß und durchgeführt werden kann.

Indem sich also der Bundesrat vorbehält, den Ausbau der Wasserrechtsverhältnisse den kantonalen Regierungen mit Empfehlung der angeführten Grundsätze anheimzustellen, die Regelung der interkantonalen Beziehungen in diesem Gebiet und der zu erlassenden Vorschriften über Erstellung und Betrieb von Starkstromleitungen auf dem Wege der
Bundesgesetzgebung anzustreben und für Vorschläge betreffend Errichtung einer Wasserkräftestatistik einen passenden Zeitpunkt abzuwarten, beehrt er sich, gestützt auf obige

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Motivierung, der hohen Bundesversammlung zu beantragen, es sei der Eingabe der Gesellschaft ,,Frei-Land" vom April 1891 bezüglich der Monopolisierung der Wasserkräfte in der Schweiz keine Folge zu geben.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 4. Juni 1894.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: E. Frey.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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