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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen betreffend das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

(Vom 20. November 1891.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Durch Schlußnahme vom heutigen Tage haben wir das Inkrafttreten des von der Bundesversammlung am 25. Juni dieses Jahres angenommenen, am 19. August 1891 öffentlich bekannt gemachten Bundesgesetzes über die eivilrechtlichen Verhältn i s s e d e r N i e d e r g e l a s s e n e n u n d A u f e n t h a l t e r , bezüglich dessen eine Volksabstimmung nicht anbegehrt worden ist, in Ausführung des uns vom Gesetzgeber ertheilten Auftrages auf den 1. J u l i 1892 festgesetzt.

Zur Einführung des Gesetzes in die praktische Wirksamkeit haben die Kantone mehrfache Anordnungen zu treffen, welche, mit einer Ausnahme, vor dem 1. Juli 1892 getroffen und bekannt gemacht sein müssen.

Diese Anordnungen beziehen sich auf folgende Punkte: 1. Nach Art. 16 des Gesetzes sind Vormundschaftsstreitigkeiten zwischen den Behörden des Heimatkantons und den Behörden des Wohnsitzkantons auf Klage der Heimatbehörde in letzter Instanz vom Bundesgerichte als Staatsgerichtshof zu entscheiden.

Diese Streitigkeiten können die Frage betreffen, ob die Wohnsitzbehörde dem Antrage der Heimatbehörde auf Bevormundung

481 eines Bürgers Folge zu geben verpflichtet sei (Art. 14), oder ob das Begehren der Heimatbehörde, daß ihr die Vormundschaft über einen ihrer Bürger von der Wohnsitzbehörde abgegeben werde, nach Maßgabe des Art. 15 des Gesetzes begründet sei.

Zufolge Art. 36, litt, a, des Gesetzes haben die Kantone die zur Beurtheilung solcher Vormundschaftsstreirigkeiten zuständigen kantonalen Behörden zu bezeichnen. Es steht den Kantonen jedoch frei, dießfalls von kantonalen Instanzen gänzlich abzusehen und die Urtheilssprechung in erster und letzter Instanz dem Bundesgerichte anheimzustellen.

Wir ersuchen Sie nun, in dieser Richtung Ihre Verfügung zu treffen und uns bis z u m 1. J u n i 1892 mitzutheilen, was Sie dießfalls verordnet haben. Sofern Sie nicht das Bundesgericht als einzige Instanz anerkennen, wollen Sie uns die kompetente kantonale Behörde bezeichnen.

Wir werden für angemessene Bekanntmachung Ihrer Angabe sorgen.

Das Gesetz schließt einen kantonalen Instanzenzug nicht aus und schreibt auch über das von den Kantousbehörden in diesen Fällen zu befolgende Verfahren nichts vor. Allein es liegt, wie Sie mit uns finden werden, im Interesse der Vormundschaftspflege, daß einschlägige Klagen der Heimatbehörden von den Behörden des Wohnsitzkantons möglichst rasch erledigt werden.

Wir ersuchen Sie, uns auch über das in Ihrem Kanton zur Erledigung von solchen interkantonalen Vormundschaftsstreitigkeiten festgesetzte Verfahren, einschließlich der Frage des Instanzenzuges, zu unterrichten.

Um Weiterungen, Verschleppungen n. s. f., die so oft durch Kompetenzfragen verursacht werden, zu vermeiden, erscheint es überdies als zweckmäßig, daU jeder Kanton uns die in seinem Gebiete für die Stellung von Anträgen und Begehren nach Art. 14 und 15 und für die Klageführung nach Ait. 16 zuständige Behörde angebe.

Wir werden auch diese Angaben.öffentlich bekannt machen.

2. Gemäß Art. 36, litt. 6, des Gesetzes sollen die« Kantone diejenigen Behörden bezeichnen, welche die Erklärungen zu genehmigen haben, durch die nicht mehr am Orte ihres ersten ehelichen Wohnsitzes wohnende Ehegatten ihr eheliches GUterrechtsverhältniß unter sich dem Rechte des neuen Wohnsitzes unterstellen (Art. 20 des Gesetzes).

Ebenso ist von den Kantonen für die Entgegennahme solcher Erklärungen eine Amtsstelle als zuständig zu bezeichnen.

482 Sie wollen uns, wiederum bis z u m 1. J u n i 1892, mittheilen, welche Anordnungen Sie in dieser Beziehung getroffen haben.

Ihre diesfällige Angabe ist gleichfalls öffentlich bekannt zu machen.

3. Nicht so rasch wie die unter Ziffer l und 2 erwähnten Anordnungen wird sich voraussichtlich der durch das neue Bundes gesetz nothwendig gewordene Uebergang der Vormundschaftsverwaltungen von den Behörden des Heimatkantons auf diejenigen des Wohnsitzkantons vollziehen lassen.

Das Gesetz hat dies vorausgesehen und daher in Art. 35 hiefür eine vom Bundesrathe anzusetzende ,,angemessene Frist" in Aussicht genommen.

In Bezug auf diese Materie ist den rechtlichen und thatsächliehen Verhältnissen und Besonderheiten der kantonalen Verwaltung .in vollem Maße Rechnung zu tragen.

Der Bundesrath will sich denn auch vorerst durch Einholung eines Berichtes der Kantonsregierungen in die Lage versetzen, diese Verhältnisse vollständig überschauen und genau beurtheilen zu können, ehe er einen Termin festsetzt, bis zu welchem der Uebergang der Verwaltungen vollzogen sein soll.

Wir ersuchen Sie deßhalb, uns mit thunlicher Beförderung über folgende Punkte Aufschluß ertheilen zu wollen : Wie viele Bürger Ihres Kantons, die in andern Kantonen wohnen, stehen unter heimatlicher Vormundschaft?

Wie heißen diese Bevormundeten, wie ihre Vormünder, Vögle oder Beistände?

Welches ist ihre Heimatgemeinde und die zuständige heimatlich Vormundschaftsbehörde ?

In welchem Kantone und in welcher Gemeinde wohnen diese Bürger Ihres Kantons?

Bis zu welchem Zeitpunkte kann, unter sorgfältiger Wahrung aller Interessen der Verwaltung, der Rechnungsabschluß, von den Obervormundschaftsbehörden geprüft und genehmigt, erfolgen und das Vermögen des Bevormundeten an die zuständige Vormundschaftsbehörde seines Wohnsitzes verabfolgt werden?

Es bedarf wohl keiner Erörterung, daß hiefür nicht das Ende der kantonalen ordentlichen Verwaltungsperioden abzuwarten ist.

Unter der Herrschaft des Bundesgesetzes kann auf dieselben nicht mehr von Rechtes wegen, sondern höchstens insofern Rücksicht genommen werden, als die Interessen der Verwaltung in einem O

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Falle gebieterisch verlangen würden, daß die Rechnung auf das Ende der laufenden Verwaltungsperiode abgeschlossen werde.

Indem wir voraussetzen, daß uns die Tit. Kantonsregierungen in der Erfüllung der Aufgabe, das Inslebentrete dieses Bundesgesetzes zu vermitteln, mit aller Bereitwilligkeit und nach besten Kräften unterstützen werden, gewärtigen wir den rechtzeitigen Eingang der hiezu erforderlichen, im Vorstehenden bezeichneten Angaben und Aufschlüsse und benutzen im Uebrigen diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 20. November 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen betreffend das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter. (Vom 20. November 1891.)

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25.11.1891

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