259

# S T #

Bundesrathsbeschlus über

den Rekurs von Peter Vogel in der Hirschmatt zu Luzern, betreffend den Entzug der Niederlassung (Ausweisung).

(Vom 14. August 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des Rekurses von Peter Vogel, in der Hirschmatt zu Luzern, gegen die Beschlüsse der Regierung des Kantons Luzern vom 29. August 1890 und 8. Juli 1891, betreffend den Entzug der Niederlassung (Ausweisung); auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I.

Der Rekurrent ist durch ein Erkenntniß des Stadtrathes von Luzern vom 3. Juli 1890, das am 29. August 1890 die regierungsräthliche Bestätigung erhielt, aus der Gemeinde Luzern ausgewiesen worden.

Seither wurde die Vollziehung der Ausweisung vom Stadtrathe zu wiederholten Malen, zuletzt bis Ende Mai 1891, hinausgeschoben.

Eine fernere Hinausschiebung verfügte das kantonale Justizdepartement am 10. Juni 1891 mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Frau Vogel. Da nun aber dieselbe wieder hergestellt ist, verfügte die Regierung unter dem 8. Juli 1S91, auf Begehren des Stadtrathes, nochmals die Ausweisung des Rekurrenten.

II.

Der stadträthliche Ausweisungsbeschluß vom 3. Juli 1890 stützt sich darauf, daß Peter Vogel verurtheilt worden ist: Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. IV.

19

260

1. Durch Strafurtheil des Bezirksgerichts Luzern vom 2. Juni 1876 wegen Amtsehrbeleidigung zu Fr. 40 Geldbuße und Kosten, obergerichtlich bestätigt.

2. Durch Strafurtheile des Statthalteramtes Luzern : a. Vom 17. Dezember 1885 wegen Straßenskandals und Beleidigung der Polizei zu Fr. 20 Geldbuße und Kosten; b. Vom 3. Dezember 1886 wegen Mißhandlung zu Fr. 25 Geldbuße und Kosten ; c. Vom 29. September 1887 wegen Widerhandlung gegen das Bahnpolizeigesetz und Beleidigung eines Bahnpolizeibediensteten, bei letzterem Punkte im ersten Rückfalle, zu Fr. '20 Geldbuße und Kosten 5 d. Vom 16. Juni 1890 wegen Mißhandlung zu Fr. 9 Geldbuße und Kosten.

3. Durch Strafurtheil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 14. Juni 1890 wegen Betrugs, sowie wegen ßetrugsyersuchs, ferner wegen Mißhandlung und Hausrechtsverletzung zu einer Zuchthausstrafe von sechs Monaten sammt Ehrenfolgen.

III.

Für Peter Vogel hat Herr Fürsprech Dr. Vincenz Fischer in Luzern mit Schriftsatz vom 25. Juli 1891 gegen die Ausweisungsbeschlüsse der Regierung den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrath ergriffen.

Das Hauptargument, auf welches der Rekurs gestützt werden will, beruht darin, daß die Bundesverfassung in Art. 45, Absatz 2, nur. ,,ausnahmsweise" gestatte, die Niederlassung denjenigen, die in Folge strafgerichtlichen ürtheils nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren sind, zu entziehen. Zu Ungunsten Vogels liegen keine Ausnahmsverhältnisse vor. Im Gegentheil wäre seine Ausweisung eine ungerechtfertigte Ausnahmetnaßregel; denn der Stadtrath von Luzern lasse eine Reihe von kriminell, wegen viel gefährlichem und schwerem Vergehen, bestraften Personen unbehelligt die Niederlassung in der Stadt fortsetzen. Es wäre unbillig, ja ungesetzlich, ihm, dem Rekurrenten, die Niederlassung zu entziehen, jenen Anderen aber nicht.

Der Bundesrath sei berechtigt und verpflichtet, gegen solche ungleiche Behandlung vor dem Gesetze einzuschreiten ; er habe sich bereits in diesem Sinne im Rekursfalle Muff ausgesprochen.

261 IV.

Der Regierungsrath beschränkt sich in seiner Vernehmlassung vom 4. August darauf, zu konstatiren, daß die Voraussetzung der Anwendbarkeit von Artikel 45, Absatz 2, der Bundesverfassung im konkreten Falle gegeben sei. Auf alles Andere habe er dicht einzutreten ; in E r w ä g u n g : 1. Da der Rekurrent in Folge eines strafgerichtlichen Urtheils nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren sich befindet, so können die Einwendungen seines Anwaltes, wie der Regierungsrath mit vollem Rechte bemerkt, nicht rechtserheblich sein und muß Art. 45, Absatz 2, der Bundesverfassung seine Anwendung finden.

Uebrigens liegen auch genügende Gründe vor, aus denen dem Rekurrenten nach Maßgabe von Art. 45, Absatz 3, der Bundesverfassung die Niederlassung entzogen werden kann. Denn er ist, abgesehen von der kriminellen Verurtheilung, wiederholt wegen Mißhandlung, Skandals, Beleidigung von Polizei- und Eisenbahnangestellten gerichtlich bestraft worden, also wegen Vergehen, die vom niederlassungsrechtlichen Gesichtspunkte aus gemäß konstanter Praxis der Bundesbehörden als ,,schwere" angesehen werden.

2. Die Ansicht des rekurrentischen Anwaltes, es stehe dem Bundesrathe zu und er sei verpflichtet, die angefochtenen Schlußnahmen der Kantonsbehörden deßwegen aufzuheben, weil in Luzern Fälle vorkommen, in denen trotz dem Vorhandensein der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Bedingungen ,, des Niederlassungsentzuges die Niederlassung nicht entzogen wird, ist unrichtig. Der Bund schützt in Art. 45 der Bundesverfassung die Niederlassungsfreiheit und setzt genau fest, ob und wann die Kantone befugt seien, die Niederlassung einem Bürger zu verweigern oder zu entziehen. Im Uebrigen wird den Kantonen diesfalls vom Bunde nichts vorgeschrieben. Der Bundesrath hat daher in Rekursfällen nur zu untersuchen, ob durch eine kantonale Verfügung die Niederlassungsfreiheit verletzt sei. Dies ist offenbar dann nicht der Fall, wenn ein Kanton die Niederlassung Solchen gewährt oder nicht entzieht, denen er sie verweigern oder entziehen könnte.

Nicht anders verhält es sich grundsätzlich in Bezug auf das Wirthschaftswesen. Auf diesem Gebiete schützt der Bund den Grundsatz der Gewerbefreiheit. · Auch hier gestattet er den Kantonen, Beschränkungen, Ausnahmen eintreten zu lassen. Allein während die Bedingungen," unter welchen diese Beschränkungen

262 eintreten dürfen, im Niederlassungsrechte vom Bunde positiv geregelt und deßhalb in jedem konkreten Falle leicht anwendbar sind, gestattet die Bundesverfassung den Kantonen, im Wirthschaftswesen auf dem Wege der Gesetzgebung diejenigen Beschränkungen der Gewerbefreiheit aufzustellen, welche das öffentliche Wohl fordert.

Diese allgemeine Ausdrucksweise nöthigt die Bundesbehörde zu einer eingehenden Prüfung der einschlägigen kantonalen Gesetzgebung und Rekurspraxis in jedem Spezialfalle, und es ist hiebei vom Bundesrathe allerdings wiederholt der Satz ausgesprochen und festgehalten worden, daß eine ungleiche Behandlung der Bürger bei gleichen thatsächlichen Verhältnissen dem Wesen der Gewerbefreiheit zuwiderlaufe und sieh nicht durch die Rücksicht auf das öffentliche Wohl rechtfertigen lasse.

Daher rührt die Verschiedenheit der bundesrechtlichen Praxis auf den Gebieten des Niederlassung^- und des Wirthschaftswesens, welche den rekurrentischen Anwalt zu seiner irrigen Ansicht geführt hat. Eine prinzipielle Verschiedenheit liegt darin nicht, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Luzern, sowie, zu Händen des Rekurrenten, dem Herrn Fürsprech Vincenz Fischer in Luzern schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 14. August 0

1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über den Rekurs von Peter Vogel in der Hirschmatt zu Luzern, betreffend den Entzug der Niederlassung (Ausweisung). (Vom 14. August 1891.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1891

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

35

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.08.1891

Date Data Seite

259-262

Page Pagina Ref. No

10 015 419

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.