194

# S T #

Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend vier Beschlüsse der Räthe zum Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken.

(Vom 3. Juni 1891.)

Tit.

Die historischen Vorgänge, welche zu dem vorliegenden Berichte führen, sind bereits an anderer Stelle dargelegt worden, nämlich im Kreisschreiben unseres Industrie- und Landwirthschaftsdepartements an sämmtliche Kantonsregierungen vom 6. August 1889 (Bundesbl. III, 1075), sowie im Geschäftsberichte des genannten Departements pro 1890 (Bundesbl. 1891, II, 236). Wir haben daher nicht nöthig, hier uns zu wiederholen, und beschränken uns einleitungsweise darauf, diejenigen A k t e n zu nennen, welche uns in der Angelegenheit zugekommen sind.

Es sind dies: a. die Berichte von 21 K a n t o n s r e g i e r a n g e n (nicht berichtet haben Zug, Graubünden, Tessin, Wallis) ; b. ein Gutachten des s c h w e i z e r i s c h e n H a n d e l s - und I n d u s t r i e v e r e i n s vom 27. Mai 1890; c. ein Gutachten des s c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e v e r e i n s vom 15. September 1890; d. drei Gutachten des s c h w e i z e r i s c h e n A r b e i t e r b u n d e s vorn 11. Januar, 10. Februar 1890 und 25. Februar 1891; über die Motion Comtesse (siehe unten) hat sich der Bund nicht vernehmen lassen ;

195

e. ein Schreiben des H a n d e l s - und I n d u s t r i e v e r e i n s in H eri sa u vom 27. Dezember 1889; f. ein Schreiben des k a u f m ä n n i s c h e n D i r e k t o r i u m s in St. G a l l e n vom 10. März 1890; g. eine Eingabe 15 g e n f e r i s c h e r A r b e i t e r s y n d i k a t e vom 21. Mai 1890; h. ein Gutachten der e i d g e n ö s s i s c h e n F a b r i k i n s p e k t o r e n vom 11. April 1891.

Wir gehen nach dieser summarischen Aufzählung sogleich zur Behandlung der in Frage liegenden Punkte über.

I. Motion Comtesse.

(Nationalrathsbeschlnß vom 5. Juni 1889.)

,,Zur Beseitigung vorkommender Ungleichheiten in der Anwendung des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken, und um den Schutz desselben einer größern Anzahl von Arbeitern zuzuwenden, ist der Bundesrath eingeladen, zu prüfen, ob nicht die in seinen Beschlüssen und Kreisschreiben aufgestellten Normen abgeändert werden sollten, insbesondere was die Anzahl der Arbeiter und die Verwendung mechanischer Motoren betrifft."'

Die Frage, ob die Tendenz dieser Motion zu fördern sei, hat beinahe überall Bejahung gefunden; wir selbst waren von jeher auch der Ansicht, daß die durch sie angebahnten Fortschritte zu begrüßen seien. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Einen sich ein weiteres Vorgehen in sehr radikalem Sinne denken, Andere nur für eine mäßige Weiterentwicklung des bestehenden Zustandes sich aussprechen, während vereinzelte Stimmen unbedingte Aufrechterhaltung des letztern wünschen.

In der That bieten sich verschiedene Wege, welche einzuschlagen denkbar wäre.

A.

Einmal kann man sich fragen, ob es nicht geboten wäre, das Fabrikgesetz so auszudehnen, daß die meisten oder alle k l e i n e n und k l e i n s t e n B e t r i e b e , welche es bis jetzt noch nicht umfaßte, einbezogen würden. Man würde dadurch allerdings die ,,Ungleichheitena, welche zwischen unterstellten und nicht unterstellten Geschäften hinsichtlich der durch die Gesetzgebung berührten Produktionsbedingungen bestehen, gründlich beseitigen. Einem solchen Ver-

196 langen ist auch Seitens bereits unterstellter Arbeitgeber einerseits, nicht unterstellter Arbeiter andrerseits Ausdruck gegeben worden, so z. B. durch das Begehren, es sei jedes Geschäft, welches außer den Familiengliedern des EigenthUmers, beziehungsweise Inhabers, auch nur e i n e f r e m d e P e r s o n beschäftige, unter das Fabrikgesetz zu ziehen.

Solche weitgehende Begehren haben den Anschein der Konsequenz und Logik für sich, aber sie rechnen nicht mit den Bedingungen des praktischen Lebens. Es kommt zwar nicht auf Namen an, aber wenn wir die Begriffe nach dem ihnen zukommenden Werthe auseinander halten wollen, können wir eine so weitgehende Gesetzgebung nicht mehr Fabrik-, sondern wir müssen sie G e w e r b e g e s e t z g e b u n g nennen.

Wir treten nicht auf die formelle Frage ein, daß unseres Erachtens zur letztern Gesetzgebung dem Bunde erst die verfassungsmäßige K o m p e t e n z geschaffen werden müßte, und bemerken nur nebenbei, daß wir es als einen Uebelstand betrachten würden, wenn, bis jenes der Fall wäre, die Motion Comtesse ruhen würde.

Es ist uns auch, wie wir schon in unserer Botschaft vom 28. November 1889 netreffend Einführung des Gesetzgebungsrechtes über Unfall- und Krankenversicherung durchblicken ließen, der Gedanke einer schweizerischen Gewerbegesetzgebung durchaus sympathisch, aber das mochten wir mit aller Entschiedenheit hier betonen, daß es, abgesehen von der konstitutionellen Frage, nicht angeht, jene so einzuleiten, daß die Bestimmungen des Fabrikgesetzes einfach auf alle Betriebe, welche fremde Personen beschäftigen, übergetragen werden. Es sind zwei Hauptgründe, welche dies nicht zulassen: a. Einerseits der Umstand, daß die Unterstellung unter das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken auch diejenige unter das Bundesgesetz betr. die H a f t p f l i c h t aus F a b r i k b e t r i e b involvirt. Man weiß, wie die aus letzterer entspringende Last schon jetzt namentlich von den kleinem Unternehmern schwer empfunden wird und welche große Nachtheile überhaupt mit dem bestehenden Haflprlich l System verbunden sind, weßwegeu es eben durch die staatliehe Versicherung ersetzt werden soll. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Haftpflicht die nur ganz wenige Arbeiter beschäftigenden, vorwiegend dem Handwerk und Kleingewerbe angehörenden Meister über alle Gebühr belasten würde, namentlich auch mit Rücksicht auf das zu gewärtigende schwierige Verhältniß der letztern zu den Versicherungsgesellschaften.

197 b. Andererseits der M a x i m a l a r b e i t s t a g . Wenn auch dem vorerwähnten Bedenken in baldiger Zeit durch die obligatorische und staatliche Unfallversicherung abgeholfen werden wird, so bleibt das nicht minder gewichtige, daß die kleinen Gewerbe (z. B. Schuhmacher-, Schneiderwerkstätten, Kleinwascherei) einen Maximalarbeitstag von 11 Stunden, resp. eine Beschränkung der Arbeitszeit auf die Stunden von 5 Uhr, bezw. 6 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, nicht auf sich nehmen können, ohne in ihrer Existenzfähigkeit ernstlich bedroht zu sein. Dazu kommt, daß die Kontrole über die Beobachtung einer eventuellen Vorschrift dieser Art vielfach beinahe und ganz unmöglich wäre, indem es sich um Geschäfte handelt, welche zum Theil in der Hausindustrie aufgehen, sich überhaupt der öffentlichen Einsicht mit Leichtigkeit entziehen.

Die erheblichen Schwierigkeiten, welche auch die im Fabvikgesetz vorgesehene Beschränkung der F r a u e n - und K i n d e r a r b e i t verursachen würde, deuten wir nur an.

Dafür, daß man anderwärts unsere eben entwickelte Ansicht theilt, möchten wir nur das eine Zeugniß der A r b e i t e r u n i o n der S t a d t St. G a l l e n anführen, welche unterm 31. Oktober 1889 schreibt: ,,Die Rücksicht auf die Kleinindustrie allein kann uns bewegen, die Maximalzahl der Arbeiter (welche die Unterstellung unter das Fabrikgesetz bedingen soll) auf 10 angesetzt zu wünschen, obwohl wir der Ansicht sind, daß sieh die Entwicklung der modernen Industrie so wie so in der Richtung der Ausrottung aller Kiemindustrie bewegt. Immerhin sind wir unsererseits gerne bereit, hier ein Einsehen zu thun, und beschränken uns daher auf obige, unseres Erachtens sehr bescheidene Forderung."1 Wir möchten nicht mißverstanden sein. Es sei ja zugegeben, daß im H a n d w e r k und im K l e i n g e w e r b e bezüglich der Arbeiterverhältnisse oft viel grellere Uebelstände bestehen, als in der Fabrikindustrie. Aber erstere leben unter ganz andern Existenzbedingungen, als letztere, und ein Gesetz, das für Fabriken paßt, eignet sich nicht als solches für die Kleinbetriebe, sondern diese gehören unter ein ihre spezifischen Verhältnisse berücksichtigendes Gewerbegesetz. Auch die Kantone ( B a s e l s t a d t : Gesetz betreffend den Schutz der Arbeiterinnen. vom 23. April 1888; Ob w al d e n : Gesetz betreffend Schutz
der Arbeiter vom 24. April 1887 ; N e u c h â t e l : Loi sur la protection des apprentis, du 21 novembre 1890; Z ü r i c h und L u z e r n : Gesetzesentwürfe betreffend den Schutz der Arbeiterinnen), welche durch das Fabrikgesetz nicht geschützte Per-

198 sonen ebenfalls unter die Protektion eines Gesetzes stellen wollen, haben sich wohl gehütet, das fabrikpolizeiliche Regime einfach auf diese überzutragen, sondera beträchtliche Abweichungen (z. B. hinsichtlich Zulassung von Kindern, Definition der Nachtarbeit etc.)

stattfinden lassen, indem eben größere Freiheit der Bewegung für die betreffenden Gewerbe unbedingt erforderlich ist.

Bndlich möchten wir noch einen Grund anführen, warum mau nicht zu weit gehen darf, nämlich den, daß man durch allzu stark gespannte Anforderungen einem allgemeinen Bestreben uach U m g e h u n g des Gesetzes rufen würde. Diese wäre ja bei manchen Berufsarten so leicht; man brauchte nur den Leuten die Arbeit mit nach Hause zu geben und sie dort die halbe oder ganze Nacht sich abmühen zu lassen. Es käme zu Uebertretungen, welche vom ganzen Publikum gebilligt und doch vom Gesetz strafbar erklärt, aber sehr geeignet sein würden, diesem an seinem Ansehen und seiner Wirksamkeit empfindlich zu schaden.

Was nun vollends die L a n d w i r t h s c h a f t betrifft, so hut ein Kanton (Luzern) die Befürchtung ausgesprochen, daß die Fabrikgesetzgebung auf sie ausgedehnt werden möchte, und sich gegen ein solches Beginnen entschieden verwahrt.

Wir denken natürlich, aus analogen Gründen, wie die oben gegebenen -- ganz abgesehen von der Notwendigkeit eines bezüglichen Verfassungsartikels --, nicht daran, die landwirtschaftlichen Betriebe den gleichen Arbeitsbedingungen zu unterwerfen, wie Fabriken^ obschon von anderer Seite (von einem Mitglied de» Gewerbevereins Schaffhausen) dies wirklich verlangt wird, allerdings mit dem bezeichnenden Hintergedanken, weniger ,,die Erleichterungen, die das Fabrikgesetz den Arbeitern der industriellen Betriebe gewährt, auch den Arbeitero der landwirtschaftlichen Betriebe zu sichern, als vielmehr durch Erweiterung des Kreises der durch das Fabrikgesetz Belasteten zugleich die Unzufriedenheit gegen solche staatliche Regelung zu vergrößern und damit dieso selbst auf eine andere Basis hinzudrängen".

B.

Auf der andern Seite können wir uns aber, wie schon bemerkt, auch nicht mit der Beibehaltung des S t a t u s q u o einverstanden erklären.

Die Regeln, nach welchen bisher die Unterstellungen unter das Gesetz erfolgten, sind in zahlreichen Entscheiden auf Seite 10 bis 32 des Kommentars zum Fabrikgesetze wiedergegeben, so daß wir uns deren Aufzählung enthalten zu können glauben.

199Ein Hauptübelstand hat sich dabei besonders fühlbar gemacht: industrielle Anstalten, welche ohne Motor arbeiten, nicht minderjährige Personen beschäftigen und keine besondere Gefährlichkeiten aufweisen, wurden bisher erst dann dem Gesetze unterstellt, wenn die Zahl ihrer Arbeiter m i n d e s t e n s 25 betrug. Dieses Verhältniß führte zu unzweifelhaften Ungleichheiten und eigentlichen Unbilligkeiten. Der Betriebsunternehmer, welcher 6 Arbeiter und einen Motor, wäre er auch nur von der Stärke 1U Pferdekraft, hatte, sah sich unfehlbar in das Fabrikgesetz einbezogen, während sein Nachbar mit 24 Arbeitern, aber ohne Motor, also mit einem viel größern Geschäft, frei ausging. Um so härter wurde dieses Regime empfunden, wenn es sich um Konkurrenzgeschäfte handelte, und sehr begreiflich ist es, wenn der unterstellte Betriebsunternehmer den Ruf nach Ausdehnung, und zwar nach sehr weitgehender Ausdehnung des Fabrikgesetzes erhob. Daß auf der andern Seite Arbeiter nicht unterstellter Betriebe mit diesem Verlangen einig gingen, leuchtet ebenso ein.

Ein besonders unleidlicher Zustand wurde durch das bisherige System in der U h r e n i n d u s t r i e geschaffen, wie denn auch die Motion Comtesse in dieser ihren Ursprung hat. Wir glauben ihn am besten zu beleuchten, indem wir folgende Stelle des Berichts des S t a a t s r a t h e s von N e u e n b u r g , d. d. 14./l5. August 1890, reproduziren : ,,N'est-il pas anormal en effet de voir un atelier d'horlogerie soumis à la loi parce qu'il compte 25 ouvriers, tandis qu'un atelier adonné à la même spécialité, à la même branche d'horlogerie, travaillant dans des conditions identiques, échappera à toute surveillance parce qu'il compte deux ou trois ouvriers de moins?

,,N'est-il pas anormal de voir cet atelier laissé en dehors de toute surveillance légale, alors que cette surveillance s'exercera sur les ateliers similaires occupant seulement 5 ou 6 ouvriers, mais travaillant avec un petit moteur?

,,N'est-il pas bizarre que la femme et l'enfant employés danscet atelier soient protégés dans leur travail et dans leur santé, tandis que la femme et l'enfant travaillant dans le premier seront laissés sans protection, et qu'il sera loisible au patron de les faire travailler dans des locaux insalubres, avec un outillage peut-être dangereux, et de leur imposer 12 et
jusqu'à 15 heures de travail selon son bon plaisir ou les exigences de sa production? Cette distinction faite entre des ateliers similaires, parce que l'un a pluset l'autre moins de 25 ouvriers, ou parce que l'un travaille avec une force motrice que l'autre n'a pas, n'est pas comprise par notre population" industrielle qui se récrie avec raison contre l'inégalité

200 d'application de la loi et contee la différence de traitement et de protection qui en résulte pour des ouvriers qui appartiennent cependant à la même industrie et qui sont soumis aux mêmes conditions de travail, aux mêmes risques et aux mômes salaires. Cette inégalité dans l'application de la loi et dans la protection ouvrière devient encore plus choquante lorsqu'il ressort des faits, ce qui arrive souvent, que c'est l'atelier laissé en dehors de la surveillance de la loi qui se trouve dans les conditions les plus défectueuses au point de vue de la bonne organisation du travail, de l'hygiène des locaux et de la santé des ouvriers. -- On ne conçoit pas celle différence! On ne conçoit pas, par exemple, que tel patron horloger, monteur de boîtes, puisse être poursuivi et frappé d'une amende pour avoir imposé à tel ou tel de ses ouvriers un travail excédant la durée de la journée normale, tandis que son collègue et souvent son concurrent, qui fait plus d'affaires, qui emploie plus d'ouvriers, qui les fait travailler dans des locaux défectueux, qui ne preud point soin de leur hygiène, pourra, par la tolérance de la loi ou un défaut d'application, les surcharger de travail et exiger d'eux, selon les circonstances, un travail de 12 ou 15 heures! La présence d'un moteur ne suffit pas pour expliquer le régime différentiel auquel sont soumises des industries absolument similaires et concurrentes, car les petites forces motrices utilisées dans la plupart de nos ateliers d'horlogerie apportent un allégement au travail de l'ouvrier et n'offrent pas les inconvénients et les dangers que l'on rencontre dans les grandes usines. Tout en admettant que l'on tienne compte de la présence d'un moteur dans un atelier pour le classer dans la catégorie des établissements soumis à, la loi, ce fait, dans notre opinion, ne doit pas être à lui seul décisif et la question doit pouvoir être résolue affirmativement, même en l'absence d'un moteur, lorsqu'un établissement occupe 10, 15 ou 20 ouvriers et qu'il y a des raisons tirées de la nature de l'industrie, des conditions dans lesquelles il est exploité, de la comparaison avec des établissements analogues assujettis aux prescriptions de la loi, de le traiter de la même façon.tt Wenn wir daher auch, wie ein Einblick in den schon citirten Kommentar zum Fabrikgesetz sofort darthut,
keineswegs das Vorhandensein, oder Nichtvorhandensein eines M o t o r s für die Beurtheilung der Unterstellungsfrage bisher als allein ausschlaggebend betrachteten, so geben wir doch zu, daß dieses Kriterium in Hinsicht auf die gegenwärtigen Produktionsbedingungen noch mehr Abschwächung erfahren sollte, indem immer mehr kleine Kraftmaschinen zur Verwendung kommen, welche nicht regelmäßig gebraucht werden, nicht von besonderer Gefährlichkeit «sind, und

201 dem Arbeitspersonal die körperliche Anstrengung mehr oder weniger ersetzen, während in Betrieben ohne mechanische Hülfskraft notorisch oft viel schlimmere Zustände herrschen.

Betonen möchten wir noch, daß auch in andern Industrien {z. B. in der Konfektionsbranche), nicht nur in derjenigen der Uhren, Grund zur Abhülfe vorliegt, und daß wir demnach dem in den Akten zu begegnenden Wunsche, einen S p e z i a l b e s c h l u ß nur für letztere zu fassen, nicht beipflichten können.

C.

Eine R e v i s i o n d e s B u n d e s g e s e t z e s b e t r e f f e n d d i e A r b e i t in den F a b r i k e n halten wir nicht für erforderlich, um den Absichten der Motion Comtesse gerecht zu werden. Allerdings bildet diese Revision eine besonders in Arbeiterkreisen lebhaft besprochene Frage ; sie figurirte bekanntlich auch auf dein A r b e i t e r tag in Ö l t e n , 7. April 1890, als ein Haupttraktandum. Zu ihrer formellen Seite haben wir allerdings zu bemerken, daß die Beschlüsse des Arbeitertages, obschon die Verhandlungen diejenigen des schweizerischen Arbeiterbundes waren, uns trotz Reklamation bis jetzt nicht offiziell, sondern nur durch die Presse zur Kenntniß gebracht worden sind, so daß wir keine Veranlassung hätten, uns mit denselben zu beschäftigen.

Dessenungeachtet wollen wir sie an dieser Stelle insoweit streifen, als wir konstatiren, daß unter den in Ölten angenommeneu Postulaten zur Fabrikgesetzgebung auch der l O s t ü n d i g e N o r m a l a r b e i t s t a g figurirt. In der That würde eine Revision der letztern nicht denkbar sein, ohne daß die auch durch verschiedene an uns gelangte Petitionen, die uns noch beschäftigen werden, angeregte Frage der Arbeitszeit mit behandelt würde. Nun halten wir aber dafür, daß der gegenwärtige Zeitpunkt noch verfrüht sei, um die 10-Stundenarbeit ftlr alle Fabriken gesetzlich einzuführen, wenn wir sie auch grundsätzlich keineswegs verwerfen, und daß es vorzuziehen sei, wenn der gegenwärtigen Bewegung, welche auf ihre freiwillige .Einführung abzielt, vorderhand freier Spielraum gelassen werde. Es will uns scheinen, man komme auf diesem Wege eher zum Ziele, als auf dem sofortiger Revision, um so mehr, als die ländliche Bevölkerung, welche bei einer allfälligen Referendumsabstimmung den Ausschlag gibt, zur Zeit gegen das Postulat kürzerer Arbeitszeit Front zu machen seheint. Die Verwerfung des revidirteu Gesetzes würde aber weitere Fortschritte auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes für eine gewisse Zeitdauer hemmen und in dieser Hinsicht ungemein schädlich wirken.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

14

202

Dazu kommt, daß die Frage der Arbeitszeit materiell noch nicht abgeklärt ist. Wie wir schon angedeutet, machen wir sie zum Gegenstand besonderer Untersuchung, auf deren Abschluß diti Erledigung der Motion Comtesse jedoch nicht warten sollte.

Diese Erledigung kann letztere denn auch auf dem Weg eines i n t e r p r e t a t i v e n B e s c h l u s s e s zu Art. l des Gesetzes, wie wir deren schon in zahlreichen Fällen gefaßt, sehr wohl finden. "Wir haben unsere bezüglichen Maßnahmen jeweilen den obwaltenden Verhältnissen anzupassen und die spezifischen Produktionsweisen dieser und jener Industrien zu berücksichtigen gesucht. Wir sind, wie wohl zugestanden werden muß, in der Auslegung des Art. l sehr weit gegangen, jedenfalls so weit, daß auch noch eine angemessene Vollziehung der Motion Comtesse genügend Spielraum findet.

D.

Wenn wir zu dieser Vollziehung innerhalb des oben begrenzten Rahmens entschlossen waren, mußten wir uns noch die Frage vorlegen, in welcher genauem Art und Weise sie zu erfolgen hätte.

Der Kernpunkt liegt, wie wir gesehen, in der Herabsetzung der die Unterstellung unter das Gesetz bedingenden M i n i m a l Arbeiterzahl.

Die für Betriebe mit Motoren, besonderer Gesundheitsgefährdung etc. bisher im Allgemeinen geltende G r e u z z a h l 5 ließen wir bestehen, weil wir durch deren Verminderung doch allzu sehr in das Gebiet von Handwerk und Kleingewerbe eingegriffen hätten, wenn wir auch wohl wissen, daß bei den heutigen Produktionsweisen eine scharfe Abtrennung jener Gebiete von demjenigen, wo der fabrikmäßige Betrieb beginnt, nicht möglich ist.

Immerhin dürfte die genannte Zahl, wie namentlich die bisherigen Erfahrungen zeigen, annähernd die richtige Mitte bezeichnen, wobei wir uns vorbehalten, auch in Zukunft beim Vorhandensein besonderer Umstände unter die Zahl 5 zu gehen, wie wir es bisher in mehreren Fällen (Mühlen, Zündhölzchenfabriken etc.) gethan haben, da die Arbeitsbedingungen der verschiedenen Industrien und Gewerbe nicht gänzlich in ein und dasselbe Schema hineinpassen.

Es handelte sich sonach im Wesentlichen darum, das bisherige obere Minimum von 24 A r b e i t e r n , geltend für Geschäfte ohne Motorenbetrieb, ohne jugendliche Arbeiter, ohne besondere Gefahren etc., zu modifiziren. Wir haben oben gezeigt, daß eine Herabsetzung sich als geboten erwies, und es konnte sich nur noch fragen, welche untere Zahl gewählt werden sollte. Hiebei stößt man naturgemäß stets auf die Schwierigkeit, daß die Festsetzung

203

einer Zahlengrenze, von welcher die Qualifikation eines Geschäftes als Fabrik mehr oder weniger abhängt, etwas Willkürliches an sieh hat; man hält sich mit Recht darüber auf, daß ein Arbeiter mehr oder weniger für die Unterstellung oder Nichtunterstellung unter das Gesetz den Ausschlag gebe. Aber so lange wir keine allgemeine Gewerbegesetzgebung besitzen, welche auch für die kleinen Betriebe die den Verhältnissen angepaßten Arbeiterschutzvorschriften aufstellt, ist man aus administrativ-praktischen Rücksichten genöthigt, eine gewisse Regel aufzustellen, ohne welche die Vollziehung des Gesetzes erst recht unsicherm Belieben anheiingestellt wäre.

,, U n g l e i c h h e i t e n " hinsichtlich der Stellung industrieller Betriebe zum Fabrikgesetz werden also auch in Zukunft fortbestehen.

Dagegen sind wir nicht einverstanden mit der Ansicht, welche der Referent über das Thema ,,Motion Comtesse" an der D e l e g i r t e n ve r S a m m l u n g des s c h w e i z e r i s c h e n Gewerbevereins in Altorf, 15. Juni 1890, dahin aussprach : ,,Würden durch Erweiterung des Fabrikgesetzes die Ungleichheiten aufgehoben? Sie mögen die Grenze ziehen, wo Sie wollen, so wird es immer Betriebe geben, welche hart über der Grenze und hart unter derselben sind; die einen würden unterstellt, die andern gehen leer aus. Dadurch würden an Stelle der aufgehobenen Ungleichheiten neue und wahrscheinlich viel mehr neue Ungleichheiten geschaffen", indem wir der Ansicht sind, daß durch Neueinbeziehung einer Reihe von Betrieben, welche den bisher unterstellten am nächsten gestanden, die Zahl der ungleich Behandelten gewiß vermindert, nicht vermehrt wird.

In sorgfältiger Erwägung der Sachlage, auch im Hinblick auf die von den konsultirten Behörden und Vereinen geäußerten Vorschläge, erschien uns die Herabsetzung des erwähnten Minimums auf die Z a h l 10 als der richtige Mittelweg, indem man sich sagen muß, daß im Allgemeinen ein Geschäft mit mehr als 10 Arbeitern nicht mehr als Kleinbetrieb angesehen werden kann, sondern, .wie der Regierungsrath des Kantons Solothurn in seinem Schreiben vom 23. Mai 1890 sich ausdrückt, ,,in die Klasse des F a b r i k b e t r i e b e s eingereiht werden muß", wobei wir auch seinen fernem Wunsch : ,,Im Uebrigen soll der hohe Bundesrath auf die bis anhin praktizirte Weise weiter vorgehen und ausnahmsweise Verhältnisse nach ihrer Eigenart beurtheilen, ohne sich dabei an eine ganz bestimmte, starre Schablone zu binden*, nach wie vor gern berücksichtigen werden.

204 Die Betriebe der bezeichneten Art (mit mein- als 10 Arbeitern) sind auch solche, welche nicht mehr so leicht der Aufsicht entgehen, wie die ganz kleinen, so oft in die Privatwohnräume pla«irten Geschäfte.

Wir haben noch folgenden Punkt zu berühren : Der Regierungsrath des Kantons Bern spricht in seinem Schreiben vom 1. Februar 1890 den Wunsch aus, daß ,,die Bundesbehörden sich hiebei genau an die in g e s c h l o s s e n e m R ä u m e fabrikmäßig beschäftigten Arbeiter halten und nicht, wie es bisher mitunter geschehen, auch andere Personen, wie im Freien arbeitende Handlanger, Ausläufer, Fuhrknechte u. dergl., mitzählen möchten, um die für die Unterstellung erforderliche Zahl herauszubringen."

Mit diesem Desiderat in seiner allgemeinen Form können wir uns nicht gänzlich einverstanden erklären, indem es sich bei den erwähnten Personen häufig um solche handelt, welche zeitweise mit dem geschlossenen Räume, beziehungsweise mit den spezifischen Gefahren des Betriebs (z. B. in Sägereien, Mühlen, Bierbrauereien) in Berührung kommen. Diese müssen bei Ermittlung der Gesatnmtarbeiterzahl billigerweise mitgezählt werden.

Endlich sind wir im Falle, über eine Spezialfrage einige Bemerkungen zu machen. Die aus der Ostschweiz stammenden Akten unserer Untersuchung bringen nämlich lebhafte Erörterungen darüber, ob die A u s r ü s t e r e i e n (Hülfsarbeit der Stickerei-Industrie) dem Gesetze zu unterstellen seien oder nicht ; die Frage erscheint als eine sehr kontroverse und wird bald bejaht, bald verneint.

In unserm Kreisschreiben vom 21. Mai 1880 (Kommentar Seite 15) hatten wir sie in letzterm Sinue entschieden. Die damals maßgebenden Gründe bestehen noch heute fort, und wir möchten hauptsächlich noch das Moment betonen, daß in den Ausrüstereien vorübergehende, kürzere Nachtarbeit (d. h. nach 8 Uhr Abends) während der Saison als unumgänglich erscheint, aber, wenn diese unter dem Fabrikgesetze ständen, im Hinblick auf das absolute Verbot von Art. 15, Abs. 1. nicht bewilligt werden könnte. Da die Branche nur weibliche Arbeitskräfte beschäftigt, so würde, wie vielleicht da und dort übersehen wird, durch die Unterstellung ein unlösbarer Konflikt geschaffen.

Wenn wir aber die im genannten Kreisschreiben aufgestellte Regel für einstweilen festhalten, so geschieht es nicht, ohne daß wir die Wünschbarkeit
von Schutzmaßregelu für das betreffende Arbeitspersonal anerkennen ; da es sich vorwiegend nur um die Gebiete der Kantone St. Gallen und Appenzell handelt, durfte es diesen nicht zu schwer fallen, von sich aus eine angemessene Remedur eintreten zu lassen.

205 Unser B e s c h l u ß b e t r e f f e n d ,, V o l l z i e h u n g v o n A r tikel l des Bundesgesetzes über die Arbeit in den F a b r i k e n " vom 3. Juni 1891 (Bundesbl. 1891, III, 138) ist das Resultat der Erwägungen, wie sie letzterer wiedergibt. Wir hoffen, damit im Sinne der Motion Comtesse das Richtige getroffen zu haben; eine v e r n ü n f t i g e Durchführung desselben in der Praxis wird nach unserer Ueberzeugung keine erhebliche Schwierigkeiten schaffen.

Zum Beschlüsse selbst haben wir nur noch zu bemerken, daß Ziffer l , litt, a und c, der Uebersichtlichkeit und Vollständigkeit halber Dasjenige wiedergeben, was bis jetzt schon in der administrativen Praxis im Allgemeinen als Regel angenommen war.

II. Motion Cornaz.

(Ständerathsbeschluß vom 17. Juni 1889.)

,,Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage der obligatorischen Berufsgenossenschaften in ihrer Gesammtheit und insbesondere in der Richtung zu prüfen, ob nicht in das eidgenössische Fabrikgesetz als Kapitel lila, Artikel 16a, eine Zusatzbestimmung folgenden Inhalts aufzunehmen sei: ,,,,Die Kantone sind ermächtigt, für die Bedürfnisse gewisser Industrien obligatorische Berufsverbände zu schaffen.

Diese Motion ist, wenn auch keineswegs überall in ihrer Idee, doch wenigstens in ihrer vorliegenden Fassung, in den von uns befragten Kreisen beinahe allseitig auf Ahlehnung gestoßen.

Wir selbst haben in Sachen Folgendes anzubringen : Vor Allem halten wir, in Uebereinstimmung mit der in den Akten niedergelegten allgemeinen Anschauungsweise, dafür, daß die in der Motion vorgeschlagene "Zusatzbestimmung" nicht in das eidgenössische Fabrikgesetz passe und gehöre, überhaupt weit über den Rahmen des Artikels 34 des Bundesverfassung, auf welchem diesesberuht, hinausgehe. Das genannte Gesetz ist seinem ausgesprochenen Wesen nach ein Arbeiterschutzgesetz, entsprechend dem Sinne und Wortlaute von Artikel 34, Absatz l, der Verfassung. Die Zwecke aber, welche die Motion Cornaz verfolgt, sind ganz anderer Natur,, indem sie in erster Linie die Ausgleichung der Konkurrenzverhältnisse, beziehungsweise die Interessen der Produzenten zum Gegenstand haben. Die Berufsverbände qualifiziren sich als eine eigentliche Organisation der Arbeit, während das Fabrikgesetz nur reglementiren, nicht aber organisiren will, und gemäß seiner Geschichte und Anlage auch nicht kann. Zudem darf es bekanntlich nur

206 einen Theil der gewerblichen Betriebe umfassen; es erstreckt sich z. B. nie und nimmer auf die Hausindustrie, auch nicht auf die kleinsten Werkstätten der Uhrenindustrie. Wie denkt man sich daher eine gemäß fabrikgesetzlicher Brlaubniß zu errichtende Berufsgenossenschaft, welche doch nur einen Theil der Berufsgenossen in sich schließen dürfte, während ein anderer, vielleicht gerade derjenige, zu dessen Bekämpfung man sich koaliren wollte, sich ihr entzöge? Ein solcher Verband würde unserer Ansicht nach seinen Zweck verfehlen. Oder will man dem geplanten Gesetzesartikel den Sinn unterlegen, daß nicht nur die dem Fabrikgesetz unterstellten, sondern alle Arbeitgeber einer und derselben Brauche sich dem Obligatonum der Genossenschaft zu unterziehen hätten?

Kaum, denn es würde unbedingt gegen den übrigen Theil des Gesetzes und gegen Artikel 34 der Verfassung verstoßen.

Wir gelangen hiemit zu einer andern Erwägung, welche auch auf die Verfassung Bezug hat. Artikel 31 der letztern gewährleistet .,,die F r e i h e i t d e s H a n d e l s u n d d e r G e w e r b e t t .

In unsern Akten sind wir keiner Stimme begegnet, welche den Standpunkt verficht, daß die geplante Neuerung diesem Artikel nicht widerspreche, wohl aber vielen, welche das Gegentheil betonen.

Es ist unsere festeste Ueberzeugung, daß eine Gesetzgebung, sei sie eidgenössisch oder kantonal, welche obligatorische Berufsgenossenschaften protegirt und anerkennt, mit weitgehenden Vollmachten ausstattet, bei erlassenen Zwangsvorschriften (z. B. betreffend Minimaltarife für Löhne und Waarenpreise) schützt, in direktesten Widerspruch zum verfassungsmäßigen Prinzip der Handels- und Gewerbefreiheit treten würde. Die Motionssteller selbst sind durch diesen Umstand zu dem Versuche veranlaßt worden, ihr Projekt durch das Thor des eidgenössischen Fabrikgesetzes durchzubringen, welcher Ausweg, wie wir gesehen, gleichwohl nicht zuläßig sein dürfte, ganz abgesehen davon, daß die im Fabrikgesetz enthaltenen Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit durch den Artikel 34 der Verfassung sanktionirt sind, während ein Gleiches für das Thema der Motion Cornaz nicht angenommen werden kann, was aus dem Wortlaut des Artikels 34 ohne Weiteres hervorgeht.

Die Unvereinbarkeit der Motion mit dem Artikel 31 tritt noch evidenter zu Tage, wenn man sich den mit
den o b l i g a t o r i s c h e n B e r u f s g e n o s s e n s c h a f t e n verbundenen B e g r i f f vergegenwärtigt. Dieser ist allerdings noch weit entfernt davon, abgeklärt zu sein, aber gewisse Modalitäten lassen sich doch festhalten. Sei es, daß nach den Einen sämmtliche Angehörige eines Berufes zur Bildung einer Genossenschaft gesetzlich gezwungen würden, sobald sich die Mehrheit für Bildung einer solchen erklärt, sei es, daß

207

nach Andern bei fakultativem Beitritt Beschlüsse der Mehrheit der Mitglieder für alle, auch die außerhalb des Verbandes Stehenden von Gesetzes wegen verbindlich wären, sei es, daß selbststäudige Arbeitergewerkschaften, eventuell Arbeitgebervereinigungen in Aussicht genommen würden, welche für alle nicht beigetretenen Arbeiter, eventuell Arbeitgeber des gleichen Berufes maßgebende Arbeitsbedingungen, Dienstverträge etc. vereinbaren könnten, in allen Fällen will man den geplanten Korporationen sehr weitgehende Kompetenzen betreffend Festsetzung der Produktions- und Arbeitsbedingungen zuweisen, denen sich der Einzelne, wenn die Mehrheit einmal beschlossen hat, nicht entziehen kann.

Nebenbei sei bemerkt, daß auch die in Artikel l des Obligationenrechts stipulirte F r e i h e i t d e r V e r t r a g s s c h l i e ß u n g bei Verwirklichung der Motion Cornaz eingeschränkt werden müßte.

Wir erklären nun, daß der Umstand, welcher in der Nothwendigkeit einer Ve r f a s s u n g s r e v i s i o n für die Durchführung der Motion Cornaz liegt, für uns keineswegs ein Grund ist, uns gegen 'die letztere ablehnend zu verhalten. Es beruht diese zürn Mindesten auf einer guten Absicht, und die Sache ist wichtig genug, um mit Sorgfalt untersucht zu werden. Sie ist aber gleichzeitig so weittragend, daß wir jetzt noch nicht im Falle sind, Ihnen einen vollständigen Bericht und Anträge darüber zu unterbreiten, sondern uns vorbehalten müssen, die Untersuchung noch weiter zu verfolgen. Die eventuelle Anbahnung einer Verfassungsrevision gehört auch nicht in den Rahmen des gegenwärtigen Berichtes ; wenn es sich darum handeln wird, dem Bunde für eine G - e w e r b e g e s e t z g e b u n g die verfassungsmäßige Vollmacht zu geben, wird der Zeitpunkt gekommen sein, sich endgültig darüber auszusprechen, ob das verwandte Gebiet der Berufsgenossensehaften in die Revision, namentlich hinsichtlich Abänderung des Artikels 31, einzubeziehen.

sei. Anders vorzugehen, beziehungsweise den einen der letztern Gegenstände getrennt vom andern zu behandeln, würden wir für durchaus unopportun ansehen, womit nicht gesagt sein soll, daß wir von vornherein nur an e i n umfassendes Gewerbegesetz denken, da ja, wenn einmal die allgemeine Frage des Prinzips gelöst sein wird, S p e z i a l g e s e t z e über verschiedene Abschnitte ebenso zweckmäßig
oder vielleicht noch zweckmäßiger sein können; es wäre sehr wohl denkbar, eventuell gerade die Berufsgenossenschaften (mit oder ohne Obligatorium) zum Gegenstand eines der ersten Gesetze zu machen.

Bevor wir dieses Thema verlassen, können wir nicht umhin, noch auf einige S c h w i e r i g k e i t e n , welche dasselbe bietet, hinzuweisen, Schwierigkeiten, welche es ebenfalls rechtfertigen mögen, daß wir zur Zeit noch keine bestimmte Vorschläge bringen können.

208 Wenn auch die Handels- und Gewerbefreiheit ihre unleugbaren Schattenseiten hat, und faktisch schon mehrfach, gerade durch die Fabrikgesetzgebung, durchbrochen worden ist, so ist doch wohl die größte Vorsicht geboten, weun es sich um deren weitere Schmälerung handelt.

Es ist noch nicht abzusehen, ob besonders die Einführung obligatorischer Berufsgenossenschaften eigentlich ein Fortschritt oder aber ein Rückschritt wäre. Jedenfalls bietet die korporative Organisation der Arbeit viele große Vortheile, aber auch, wie das frühere Zunftwesen, dem sie vergleichbar ist, bedeutende Nachtheile. Gestatten Sie uns, als Beleg hiefür folgende Stellen aus den Akten zu zitiren : Der R e g i e r u n g s r a t h des K a n t o n s S c h a f f h a u s e n , 16. Mai 1890, ,,ist mit der dieser Motion zu Grunde liegenden Tendenz nicht einverstanden. Sie würde, durchgeführt, die Bildung von sogenannten Ringen sehr erleichtern, und damit würden Verhältnisse geschaffen, welche mit den Interessen des konsumirenden Publikums im Widerspruch stehen. Aber auch ändere Nachtheile birgt die Motion in sich. Sie beschränkt die Gewerbefreiheit, insofern sie dem Fabrikanten, welcher infolge verbesserter Maschinen und Anlagen leistungsfähiger ist, nicht gestattet, billiger als sein nicht ebenbürtiger Konkurrent zu liefern. Zu befürchten wäre sodann, daß unreellen Geschäften dadurch Vorschub geleistet würde, daß formell zu gleichen Preisen verkauft würde, in Wirklichkeit aber durch Bewilligung von Rabatt, durch Erhöhung des Dutzends auf 13 Stück u. s. w. die Konkurrenz auf unreelle Weise ihren Zweck doch erreichen würde."

Der R e g i e r u n g s s t a t t h a l t e r von P r u n t r u t berichtet über die dießbezüglichen Verhandlungen von Fabrikanten des Amtsbezirks, daß letztere von obligatorischen Verbänden die gehofften Früchte nicht erwarten, mit folgender Motivirung: ,,Der gedeihliche Bestand der Berufsgenossenschaft beruht auf strenger Redlichkeit aller ihrer Mitglieder; diese läßt sich aber durch kein Gesetz erzwingen. Es kommt sehr häufig vor, daß sich Mitglieder von Syndikaten aus selbstsüchtigen Gründen den getroffenen allgemeinen Vereinbarungen hinterrücks entziehen, und dies ist. auch der Grund, warum viele Fabrikanten sich nach und nach von denselben zurückgezogen haben.a Der Z e n t r a l v e r b a n d der S t i c k
e r e i - I n d u s t r i e der Ostschweiz und des Vorarlbergs (Schreiben vom 4. Januar 1890),, welcher bekanntlich selbst eine mächtige und erfolgreiche Interessenorganisation darstellt, spricht sich unter gewissen Bedingungen für

209; die Verwirklichung der Motion Cornaz aus, macht jedoch auf einen fernem Umstand aufmerksam, der sorgfältigster Würdigung bedürfe.

Wir erlauben uns, auch diese Stimme, welche verdient, gehört zu werden, noch wörtlich anzuführen : ,,Wenn wir vorhin die Gefahr hervorhoben, die die Möglichkeit des Austrittes einiger Weniger für den Stickerei verband in sich birgt, so müssen wir auch konstatiren, daß diese Gefahr auch ein großes und wirksames Korrektiv bildet gegen willkürliche Vergewaltigung einer Minderheit.

,,Die in ausgesprochenster Minderheit befindlichen Kaufleute können hauptsächlich durch dieses Mittel es verhüten, daß in Augenblicken der Erregung Majorisirungen in Szene gesetzt werden ; damit hat es aber ein Ende, wenn die Zugehörigkeit zur Genossenschaft gesetzliches Erforderniß ist ; Austritt und Ausschluß gibt es nicht mehr und die Majorität hat nicht mehr damit zu rechnen.

Es müssen darum andere Kautelen geboten werden, welche die Unterdrückung der Minderheiten, die zudem oft noch die überwiegende Summe der Interessen repräsentiren, verunmöglichen.

,,Wir sind heute allerdings nicht in der Lage, für diese Forderung eine praktische Lösung in Vorschlag zu bringen, müssen sieaber, doch als conditio sine qua non bezeichnen."

Da der genannte Stickereiverband, welcher allerdings bei uns einzig in seiner Art dasteht, oft als Vorbild hingestellt wird, mag hier eingeschaltet werden, daß es nach der Ansicht des R e g i e r u n g s r a t h e s des K a n t o n s St. G a l l e n (20. Januar 1890), sowie auch des In d us t r i e - V e r e i n s S t. G a l l e n (12. November 1889) höchst zweifelhaft sei, ob der Verband ,,durch eine Zwangsvereinigung überhaupt zu Stande gekommen wäre". Sie ,,sind gegentheils überzeugt, daß nur die unbedingte Freiheit des Einzelnen, dem Verbände beizutreten oder nicht, die erreichten Erfolge zu erzielen vermochte"1.

In der That läßt sich der Gedanke nicht von vornherein verwerfen, daß lebenskräftige Institutionen dieser Art sich aus i n n e r m B e d ü r f n i ß h e r a u s bilden, statt durch den Staat sich reglementiren lassen sollten. Die Tendenz geht ja überhaupt dahin, von diesem alles Heil zu erwarten, und sie mag in Manchem berechtigt sein, aber zu vergessen ist doch nicht, daß seine Intervention leicht zum Schablonisiren führt, welches der Feind einer
regsamen und wirkungsreichen Entfaltung individueller Kräfte ist.

Wir möchten damit nur abermals betonen, daß es sich in dieser Angelegenheit um Dinge äußerst delikater Natur handelt, und zu der Alternative überleiten, die sich in Form der f r e i -

-210 w i l l i g e n B e r u f s g e n o s s e n S c h ä f t e n präsentirt. Es haben diese unter unsern Berichterstattern viele ausgesprochene Anhänger gefunden, und wir halten es mit der uns durch die Motion Cornaz gewordenen Aufgabe nicht für unvereinbar, wenn wir sie ebenfalls in den Kreis unserer Untersuchung ziehen, wobei hauptsächlich auch die Frage von Bedeutung ist, ob nicht freiwilligen Verbänden auf dem Wege der Gesetzgebung gewisse Vorrechte ertheilt und damit ein wichtiger Schutz geboten werden solle.

Was nun die von der Motion Cornaz in Aussicht genommene E r m ä c h t i g u n g der K a n t o n e zur Gesetzgebung betrifft, so ist dieser Gedanke von allen Seiten, wo man sich darüber äußerte, ausgenommen der Staatsrath des Kantons Freiburg, des lebhaftesten bekämpft worden. Wir können uns mit ihm und mit dem eventuell versuchten Ausweg interkantonaler K o n k o r d a t e auch nicht einverstanden erklären, aus den nämlichen Gründen, welche schon im Kreisschreiben unseres Industrie- und Landwirthschaftsdepartements, vom 6. August 1889, angeführt sind. Thatsächlich findet sieh in der Schweiz keine Industrie und kein Gewerbe von etwelcher Bedeutung, welche auf das Territorium eines einzelnen Kantons beschränkt wären, oder nicht die Gefahr bieten würden, daß sie sich in einen die Berufe nicht organisirenden Kanton verpflanzen könnten.

Das Resultat ginge dahin hinaus, daß Diejenigen, welche geordnete Zustände schaffen wollten, zu Gunsten Anderer das Opfer zu bringen hätten.

'Der R e g i e r u n g a r ath des K a n t o n s G r l a r u a , um ein Beispiel herauszugreifen, äußert sieh unterm 28. Mai 1890 über diesen Punkt: ,,Vollends aber möchten wir nicht solch' einschneidenden Funktionen der K a n t o n a l g e s e t z g e b u n g e n rufen, vorab in dem Momente nicht, wo sonst mit vollem Recht die Tendenz im Vordergrund steht, solche Gebiete der Gesetzesfabrikation der 25 Kantone zu entziehen und alle derartigen Kompetenzen der kräftigen Hand des Bundes anzuvertrauen. Es wäre wirklich eine förmliche Ironie, hier wieder mit der Wirthschaft der Kantone zu beginnen etc.tt Wir glauben, uns bei diesem Gegenstand nicht mehr länger aufhalten zu sollen ; derselbe wird, wie schon bemerkt, unsere fortgesetzte Aufmerksamkeit beanspruchen.

Im Uebrigen sei nur noch bemerkt, daß der Urheber der Motion,
Herr S t ä n d e r ath C o r n a z , von seiner ursprünglichen Idee selbst in verschiedener Hinsicht (betreffend Gesetzgebung durch die Kantone, Zusammenhang mit dem Fabrik^esetz, Obliga-

211

torium) seither abgewichen ist, wie die von ihm am 12, März 1890 aufgestellten ,, T h e s e n ü b e r d i e B e r u f s g e n o s s e n s c h a f t e n f ü r den s c h w e i z e r i s c h e n A r b e i t e r t a g " zeigen, in welchen u. A. folgende Sätze aufgestellt werden: ,,Die Bundesgesetzgebung über die Berufsgenossenschaften muß unabhängig sein vom eidgenössischen Fabrikgesetz etc."

,,Der Versuch freier Berufsgenossenschaften muß gewagt werden."

Ferner lag in der Delegirtenversammlung des s c h w e i z e r i s c h e n G e w e r b e v e r e i n s in Altorf (15. Juni 1890) Seitens des Herrn Cornaz anläßlich der Berathung seiner Motion eine schriftliche Erklärung vor, ,,wonach dieser ebenfalls eine einheitliche Regelung des Gewerbewesens durch den Bund und nicht durch die Kantonanstreben. a .

III. Bundesbeschluß vom 24. Juni 1889.

,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu untersuchen und darüber zu berichten, ob nicht Artikel 12 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken einer Revision im Sinne einer genaueren Fassung zu unterwerfen sei."

A.

Wir waren schon bei Ziffer I des gegenwärtigen Berichtes veranlaßt, uns über die P r a g e d e r R e v i s i o n des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken zu äußern, und gelangten aus Erwägungen allgemeiner Natur zu dem Schlüsse, daß eine Revision dermalen nicht opportun sei. Den nämlichen prinzipiellen Einwand haben wir folgerichtig auch hier anzubringen; bezüglich dessen Begründung dürfen wir wohl auf die genannte Ziffer I, litt. C, verweisen. In Hinsicht auf den Bundesbeschluß betreffend Art. 12, welcher uns hier beschäftigt, spitzt sich die Revisionsangelegenheit noch um so mehr zu, als Artikel 12 nun wirklich mit der 11 stündigen Arbeitszeit in engstem Zusammenhange steht, so daß es nicht möglich wäre, die pendente Frage ihrer Verkürzung zu ignoriren.

Eine Revision des Artikels 12 könnte überhaupt auch mit Rücksicht auf dessen Inhalt nicht wohl vorgenommen werden, ohne daß die Artikel 11, 13 und 14 etwas modifizirt würden.

Aber nicht nur von Seite der Arbeiter, auch von derjenigen der Arbeitgeber würde begreiflicher Weise die Revision irgend eines Artikels des Gesetzes zum Ausgangspunkt genommen, um diese oder jene Wünsche, Erleichterungen, Ausnahmen etc. durchzu-

212 setzen. Zum Beweis hiefür diene, daß der Vorstand des V e r e i n s s c h w e i z e r i s c h e r M a s c h i n e n i n d u s t r i e l l e r , gestützt a u f Beschlüsse der Generalversammlung, am 29. September 1890 einen ,,Vorschlag zur Fassung der Artikel 12--14 des Fabrikgesetzes, deren Revision gewünscht wird", aufstellte und uns einreichen liess welcher auf bedeutende Abschwächung der bisherigen Vorschriften hinauslief, indem z. B. verlangt wurde, daß in den Artikel 12 zu den Hulfsarbeiten einbezogen, resp. dem Artikel 11 (Maximalarbeitstag) entzogen würden: ,,Arbeiten, welche aus technischen Gründen nicht unterbrochen, resp. nicht auf den folgenden Tag verlegt werden können" 5 ,,Arbeiten, welche nothwendig sind, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, der Natur der Sache nach aber wahrend des Betriebes, ohne diesen erheblich zu stören, nicht vorgenommen werden können"; ,,Fälle, wo der Arbeitgeber durch Ueberzeit einzelner Arbeiter erheblichem Schaden entgehen kann" etc.

Aber auch mit Hinsicht auf den A r t i k e l 12 einzig halten wir eine Revision nicht für angezeigt und nicht für nöthig. Derselbe lautet: ,,Die Bestimmungen des Artikels 11 finden keine Anwendung auf Arbeiten, welche der eigentlichen Fabrikation als Hulfsarbeiten vor- oder nachgehen müssen und die von männlichen Arbeitern oder unverheiratheten Frauenspersonen über 18 Jahren verrichtet werden."

In welcher Weise könnte nun eine ,,genauere Fassung" dieser Bestimmung3 angestrebt werden? Wir lassen an unserer Stelle den O leitenden Ausschuß des schweizerischen Arbeiterb u n des (Schreiben vom 25. Februar 1891) antworten: ,,Man kann sich eine Revision (des Artikels 12) in der Weise vorstellen, daß bestimmte Hulfsarbeiten, wie Heizen, Packen, ausdrücklich genannt werden, immerhin mit Beschränkung derselben auf das äußerste Minimum. Oder man könnte eine begriffliche Bestimmung der betreffenden Hulfsarbeiten anfügen, die außerhalb der Normalarbeitszeit erlaubt sind. Das Erstere, eine Aufzählung der Hulfsarbeiten, scheint uns nun nicht am Platze zu sein; es ist das ein Detail, das doch wohl nicht ins Gesetz hineingehört, und zwar um so mehr, als die Hülfsarbeiten bei verschiedenen Industrien sehr verschiedene sind, als, wie schon erörtert, neue Kategorien, derselben entstehen, andere verschwinden können in kurzer Zeit, während das
Gesetz den Charakter des Dauernden an sich tragen soll ,,Aber auch eine Begriffsbestimmung der Hulfsarbeiten hat ihr Mißliches und zwar schon deßhalb, weil ein größerer Theil der

213 Hülfsarbeiten laut Gesetz in die Normalarbeitszeit hineingehört, eine Definition also der Hülfsarbeiten, welche unter Artikel 12 fallen, nicht leicht zu formuliren sein dürfte. a Diese Ausführungen sind vollständig zutreffend. Die stetigen Fortschritte und Wechsel in den Produktionsweisen, die so ungemein variirenden Bedürfnisse der Industrie gestatten die Aufstellung Deiner gesetzlich festen Liste von Arbeiten, welche außerhalb des Maximalarbeitstages vorgenommen werden dürfen, entschieden nicht, und ganz analoger Natur ist die Schwierigkeit, eine Definition für Hülfsarbeiten aufzustellen Schon mehrmals hat sich z. B. das eidgenössische Fabrikinspektorat bemüht, eine solche zu finden, jedoch ohne Erfolg, denn der Begriff Hülfsarbeit k a n n nicht für alle Industrien einheitlich fixirt werden. Und da es thatsächlich sozusagen in jeder Fabrik Verrichtungen gibt, die sich als Hülfsarbeit oder als etwas Aehnliches qualifiziren ließen, so wird auch deßhalb eine Begriffsbestimmung, welche für jene Verrichtungen nicht ebenfalls in Anspruch genommen werden könnte, schwerlich gefunden werden. Natürlicher Weise hat es somit keinen Sinn, an Stelle des jetzigen Artikels 12 einen andern zu setzen, wenn dieser, wie mit voller Sicherheit vorausgesagt werden muß, sowieso auch zu Kontroversen und höchst verschiedenen subjektiven Auslegungen Anlaß geben würde.

Von den Kantonsregierungen sprechen sich nur ganz wenige zu Gunsten einer Revision aus.

B.

Es konnte sich des Weitern fragen, ob die bestehenden Schwierigkeiten durch einfache A u f h e b u n g des Artikels 12 beseitigt werden könnten ; in diesem Sinne äußern sich die Regierungen der Kantone Luzern, Baselstadt, Schaffhausen, Aargau und Waadt, vorwiegend von der Absicht geleitet, die 11-Stunden-Arbeit nicht zu durchbrechen.

Wir selbst sind im Verlaufe unserer Untersuchung zur festen Ueberzeugung gelangt, daß die Streichung des Artikels 12 nicht .angeht.

Die e i d g e n ö s s i s c h e n F a b r i k i n s p e k t o r e n (Gutachten vom 11. April 1891) bemerken über den Gegenstand : ,,Es bedarf keines genauen Kenners der Industrie, um behaupten zu können, daß es in den industriellen Betrieben eine Menge Funktionen gibt, die durchaus an keine bestimmte Stundenzahl gebunden werden können, ohne die Industrie schwer zu

214 schädigen, ja selbst den Betrieb unmöglich zu machen. Es gibt andere, die zwar durchschnittlich nicht mehr als die normalen i l Stunden erfordern, wo aber die zu beanspruchende Zeit an den verschiedenen Tagen eine ganz verschieden lange ist. Es gibt endlich solche, wo die Begrenzung der Arbeitszeit innerhalb der Stunden von 6 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends durchaus nicht möglich ist . . . .

Wir erinnern beispielshalber an die Heizer der Dampfkessel, an die Gießer großer Gußstücke, an die Teigmacher in den Teigwaarenfabriken, an die Mälzer in den Brauereien.

,,Für alle diese L e u t e müssen die B e s t i m m u n g e n von § 1 1 u n s e r e s F a b r i k g e s e t z e s g a n z o d e r t h e i l w e i s e a u f g e h o b e n w e r d e n , wenn dieser Artikel nicht zum Unsinn, zum Ruin unserer Industrie werden soll. Das sah der Gesetzgeber wohl ein. Er wußte wohl, daß nicht Alles nach einer Schablone vor sich gehen könne; daß es nicht möglich sei, all& Arbeiten auf den Normalarbeitstag zu verlegen, ohne daß die Großzahl der Arbeiterschaft einen beträchtlichen Theil der 11 Normalarbeitsstunden gar nichts thun könnte. Man sah ein, daß manche Geschäfte schon besorgt, daß das Arbeitslokal z. B. geheilt und erleuchtet sein muß, ehe das Gros der Arbeiterschaft sich einstellt; man sah, daß Manches erst gethan werden kann, nachdem dessen Arbeit vollbracht ist Man schuf deßhalb § 12."· Es genügt, auf diese Ausführung hinzuweisen, um die Nothwendigkeit des Artikels 12 darzuthun. Uebrigens haben auch in der von unserm Industriedepartement einberufenen Konferenz von A r b e i t e r n der Metallindustrie (2. Februar 1891) die letztern ausdrücklich anerkannt und bestätigt, daß die Vornahme gewisser Verrichtungen außerhalb der Normalarbeitszeit unvermeidlich sei.

Sollte eingewendet werden, daß die in Artikel 11, Absatz 4, vorgesehene Möglichkeit der U e b e r z e i t a r b e i t aushelfen könne, so ist zu erwidern, daß damit dem Bedürfniß nicht gedient wäre.

Einmal ist die Ueberzeitarbeit an eine amtliche Bewilligung gebunden, welche in manchen unvorhergesehenen und dringlichen Fällen schlechterdings nicht eingeholt werden könnte; sodann darf nach Artikel 11 überhaupt nur eine ,,ausnahmsweise" oder ,,vorübergehende" Verlängerung der Arbeitszeit stattfinden, während gewisse Hülfsarbeiten sieh tagtäglich wiederholen müssen.

C.

Wenn wir in den vorstehenden Erwägungen zu einem mehr negativen Resultate gekommen sind, so möchten wir betonen, daß, wenn Artikel 12 als solcher bestehen bleibt, wir immerhin mit

215 ihm vorläufig auskommen werden. Wir möchten uns vorbehalten, wie bisher in jedem e i n z e l n e n p r i n z i p i e l l e n F a l l e nach Prüfung der ihn begleitenden spezifischen Verhältnisse zu entscheiden, ob eine Ausnahme von Artikel 11 des Gesetzes begründet und daher zu statuiren sei. Es läßt sich so den wechselnden Bedürfnissen der verschiedenen Industriezweige gerechte Rücksicht tragen und doch wieder versorgen, daß nicht Mißbräuche entstehen. Allerdings müssen wir beifügen, daß es stets u n v o r h e r g e s e h e n e Fälle geben wird, in denen der Arbeitgeber sich nicht erst an die Behörde wenden kann, sondern einfach handeln muß. Wenn es beispielsweise, weil zufällig die betreffende Verrichtung nicht durch Bundesrathsbeschluß unter Artikel 12 gestellt wurde, einem Dorfmüller nicht gestattet sein sollte, eine auf Schluß der Arbeitszeit seines Angestellten N. N. angelangte Ladung Getreide bei drohendem Gewitter noch durch letztern -- über seine 11. Stunde hinaus -- helfen unterbringen zu lassen, so würde der gesunde Menschenverstand dies mit Recht als eine Absurdität bezeichnen.

Wenn wir vorhin von Mißbräuchen sprachen, so sei daran angeknüpft, daß der Bundesbeschluß vom 24. Juni 1889 uns die äußere Veranlassung bot, nach Beseitigung der Unzukömmlichkeiten zu trachten, welche unser K r e i s s c h r e i b e n vom 14. J a n u a r 1881 (Kommentar Seite 80) betreffend die sogenannte Putzh a l b s t u n d e in B a u m w o l l s p i n n e r e i e n zur Folge hatte..

Schon in seinen Anträgen vom 16. November 1886 sprach sich unser F a b r i k i n s p e k t o r a t über die Angelegenheit folgendermaßen aus : ,,Die wichtigste und wünschbarste Konsequenz wäre aber die Aufhebung der den Spinnern ertheilten Bewilligung, A r b e i t e r , die 11 S t u n d e n g e a r b e i t e t h a b e n , n o c h Va S t u n d e t ä g l i c h p u t z e n zu l a s s e n . Das Bedürfniß, täglich eine längere Zeit auf das Putzen zu verwenden, haben viele Industrie-, zweige. In den Baumwollspinnereien besteht es nicht überall, selbst bei manchen derjenigen Firmen nicht, welche seiner Zeit die Kunz'sche Petition mitunterzeichnet haben. So z. B. im I. Kreis steht fest, daß unter 46 Unterzeichnern von 13 die Putzhalbstunde in denselben gehörenden Spinnereien nicht benutzt wurde, daß sie also wohl nur aus Gefälligkeit
für die petitionirende Firma, mitmachten. Auch sonst machte und macht noch eine Reihe von Spinnereien keinen Gebrauch von der bewilligten täglichen Putzhalbstunde. Ich erinnere mich nur einer einzigen Glarner Firma nebst derjenigen von H. Kunz, welche dieselbe benutzt; es geschieht selbst da nicht, wo die Etablissemente beider Firmen im gleichen Dorfe stehen. Von 17 zürcherischen Spinnereien, über die ich

216 spezielle Notizen über die Putzhalbstunde besitze, machen 12 keinen Gebrauch davon, ein Verhältniß, das sich freilich nicht ganz gleich gestalten dürfte, wenn man die Angaben aus a l l e n Spinnereien sammeln wollte. Der Grund dieser Nichtbenutzung der Bewilligung ist bei den Einen, weil sie nicht so fleißig putzen, bei Andern, weil sie es vortheilhafter finden, den ganzen Tag durch eine besondere Abtheilung Arbeiter das Putzen an einem Stuhl nach dein andern besorgen zu lassen, und noch bei Andern, weil sie am Normalarbeitstag festhalten wollen und, wie mir dies in den großen X 'sehen Geschäften in erklärt wurde, die Putzhalbstunde als ,,ein ungerechtfertigtes Privilegien einzelner Geschäfte betrachten01. (Vide Inspektionsprotokoll 29. November 1883.) Aus allem dem geht mindetens so viel hervor, daß das Putzen keine Arbeit ist, welche a u ß e r der Normalarbeitszeit stattfinden m u ß . Muß dies zugegeben werden, so fällt aber der Hauptgrund für die Anwendung von Artikel 12 auf die Putzarbeiten dahin und es qualifizirt sich die ausnahmsweise Gestattung für die Baumwollspinnereien als eine Vergünstigung, die man der schlimmen Lage der Spinner glaubte schuldig zu sein. Sollte denn aber gerade der Umstand, daß nur ein Theil der Baumwollspinnereien die Putzhalbstunde zu bedürfen behauptet, so viele andere gar nichts davon wissen wollen, nicht klar genug beweisen, daß ein eigentliches dringendes Bedürfniß gar nicht vorliegt? Und wie stellen sieh dazu die andern Industrien? Wie z. B. die Weber, die oft ihre Stühle im gleichen Arbeitsraum stehen haben und nun \a Stunde früher nach Hause gehen sollen ? Wie die Seiden-, Wollund Hanfspinner, die oft ebenso sehr über schlechte Zeiten jammern?

Im Anfang schimpften sie Über das ungleiche Recht für die Baum\völ Ispinner, heute wird immer allgemeiner die Gestattung als für . alle geltend vorausgesetzt. Dies ergibt sich zur Genüge selbst aus den Gerichtsakten, resp. der Vevtheidigung der wegen Ueberzeitarbeit Verklagten.

,,Davon ist keine Rede, daß die halbe Stunde n u r zum Putzen verwendet werde. Arbeit ist das Eine wie das Andere -- heißt es -- man hat uns 11V2 Stunden Arbeit gestattet. Daß Kinder und Hausfrauen gleichfalls zum Putzen verwendet werden, ist etwas ganz Alltägliches, trotz aller Klauseln. So sind wir auf dem besten Wege, daß für die
Textilindustrie aus dieser Bewilligung der Putzhalbstunde eine Verlängerung des Normalarbeitstages auf 111/« Stunden hervorgeht. Und nicht nur dies! Diese Bewilligung sanktionirt die Auffassung, als könne der Arbeiter, der 11 Normalstunden gearbeitet, dann aufs Neue als Hülfsarbeiter beansprucht werden. Ist diese zweite Arbeit auch für die Spinner zeitlich be-

217

schränkt, so kann der Grundsatz in andern Industrien um so gefährlicher werden, wo mehr und länger dauernde Hülfsarbeit zu verrichten ist. Wir fühlen uns gedrungen, Sie auf die Bew i l l i g u n g d e i - P u t z li a l b s t u n d e i n S p i n n e r e i e n a l s a u f die größte Gefahr a u f m e r k s a m zu machen, welche dem For t b e s t a n d e unseres N o r m a l e r beitstages droht, und Ihnen angelegentlich Sehritte zur Beseitigung d i e s e r a u s n a h m s w e i s e n V e r g ü n s t i g u n g z u empfehlen."

In einem späteren Bericht (datirt vom 31. Juli 1887) spricht sich das Fabrikinspektorat über die gleiche Frage, nach Einsichtsnahme der in Sachen eingegangenen Gutachten, wie folgt aus: "Ad 6. Dieser Antrag hat namentlich den Zorn der Baumwollspinner wachgerufen. Wir haben schon längst darauf hingewiesen, wie die Tendenz bestehe, allmälig und unbemerkt wieder zur langem Arbeitszeit von früher zurückzukehren. Das Putzen wurde früher als eine Arbeit hingestellt, die vornehmlich nur bei den .Spinnstühlen jeden Tag vorgenommen werden müsse. Im Beschlüsse des li. Bundesrathes vorn 14. Januar 1881 heißt es ausdrucklich: ,,Diese ,,Verrichtungen nehmen höchstens 20--30 Minuten in Anspruch; ,,sie werden jeweilen von einigen Arbeitern ausgeführt, die sich ,,besonders darauf verstehen." Noch am 5. Januar 1887 schrieb die Firma Heinrich Kunz an die Direktion des Innern in Zürich, dieses täglich wiederkehrende Putzen nehme etwa 1/3 sämmtlicher Arbeiter für höchstens Va Stunde in Anspruch und komme hauptsächlich nur fürHandspinnstühlee und Seifaktors in Anwendung.

Der Spinner- und Weberverein spricht schon von den Maschinen überhaupt und will die Bewilligung auch auf die Weberei und Zwirnerei ausdehnen; daß sie dann auch für die entsprechenden Arbeiten der Leinen-, Seiden- und Wollindustrie gelten müßte, versteht sich gewiß von selbst. So kommt man allmälig dazu, für die Mehrzahl aller Fabrikarbeiter die effektive Dauer der Arbeit auf 111ls Stunden zu bringen.

Die Baumwollspinner stützen sich bei ihrem Begehren namentlich auf Gründe der Sicherheit und diese haben wohl auch die Regierung von Zürich bewogen, die Beibehaltung der Putzhalbstunde zu empfehlen, doch unter der Bedingung, d a ß d i e s e L e i s t u n g e x t r a v e r g ü t e t w e r d e . Wir denken, daß unter dieser Bedingung
kaum mehr a l l e erwachsenen Arbeiter zum Putzen verwendet, sondern, daß ein besonderes, wohleingeübtes und rasch arbeitendes Arbeiterpersonal schon der Billigkeit halber angestellt würde. Aber wenn das gefahrlose alltägliche Putzen der einzige Zweck ist -- warum wird denn Va Stunde tägliche Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

15

218 Putzzeit für a l l e Maschinen der Spinnereien und sogar der Webereien etc. verlangt, von denen selbst das von allen Firmen am meisten auf Reinlichkeit haltende Etablissement Heinrich Kunz nichts spricht und die nirgends jeden Tag geputzt werden?

Und ist denn wirklich das Putzen nur dann ungefährlich, wenn alle Maschinen gleichzeitig geputzt werden? Wo man irgendwie vorsichtig ist, werden beim Putzen die Riemen der Spinnstühle abgeworfen. Wir geben zu, daß es Etablissements gibt, wo dies nicht oder nicht regelmäßig geschieht. Das ist Leichtsinn, denn die Vorrichtung zum Auskehren der einzelnen Maschinen könnte leicht einmal versagen -- aber wie manche Spinnerei hat ihre Putzhalbstunde nicht am Schluß der Arbeitszeit, sondern mitten im Tage, während ein Theil der Maschinen in Bewegung ist? Beide geben die absolute Sicherheit, die im gänzlichen Abstellen des Motors liegt, in gleich hohem Maße preis.

Uebrigens fällt es uns nicht schwer, Ihnen große Spinnereien aufzuweisen, welche von der Putzhalbstunde nie Gebrauch gemacht und bezüglich ihrer Unfallsfrequenz zu den günstigst gestellten gehören, und umgekehrt eine Reihe anderer, welche trotz Putzhalbstunde sich sehr ungünstig stellen. Die Erfahrungen in Kunz'schen Geschäften, Fabriken mit den vollkommensten Schutzvorrichtungen und der s c h ä r f s t e n A u f s i c h t , beweisen hier nichts. Und ebensowenig beweist die aufs Höchste getriebene Reinlichkeit der Kunz'schen Etablissemente, daß dieselbe der Putzhalbstunde zu verdanken sei. Wir kennen äußerst reinliche Spinnereien, welche innerhalb der Normalarbeitszeit putzen, und sehr unreinliche, welche die Putzhalbstunde sorgfältig ausnutzen.

Wir wiederholen : weder die Sicherheit der Arbeiter, noch die Reinlichkeit der Räume hängt von der Putzhalbstunde ab; eine Anzahl der besteingerichteten und mit der größten Sorgfalt geleiteten Spinnereietablissemente der Schwein benutzen sie nicht und putzen während dem Normalarbeitstag; sie leisten dadurch den Beweis, daß sie in keiner Hinsicht einen Vortheil in der Putshalbstunde finden. Ihr Verhalten läßt annehmen, daß auch der ökonomische Vortheil ein minimer oder gar zweifelhafter sei. Ob aber ökonomische Rücksichten einen genügenden Grund für eine so ausnahmsweise Bewilligung bilden, überlassen wir gerne Ihrer Entscheidung und machen nur aufmerksam,
daß mau in Oesterreich, wo man die Hülfsarbeit in unserem Sinne nicht kennt, sondern nur Ausnahmsbewilligungen für gewisse Kategorien, zwar bis 11. Juli 1888 der Textilindustrie eine Verlängerung der Normalarbeitszeit bis auf 12 Stunden gestattet hat; es wird dieselbe aber von diesem Tage an endgültig zurückgezogen (Oesterreichischer

219 Inspektionsbericht vom Jahre 1886, pag. VII). Unsere schweizerischen Spinnereiarbeiter würden also bei Aufrechthaltung der Putzhalbstunde lk Stunde länger arbeiten, als die österreichischen, ein Verhältniß, das man sich gewiß im Jahre 1877 nicht hat träumen lassen. Wir erlauben uns, an unserem Antrag Nr. 6 festzuhalten, welcher folgendermaßen lautet: Die den Baumwollspinnereien unterm 18. Januar 1881 gewährte Bewilligung, täglich nach den 11 gesetzlichen Arbeitsstunden eine halbe Stunde durch die männlichen und unvei'heiratheten weiblichen erwachsenen Arbeiter die Maschinen putzen zu lassen, wird zurückgezogen."1 Wir erinnern hier daran, daß in der Folge die Ausdehnung der Putzhalbstunde auf die mechanische B a u m w o l l w e b e r e i und - Z w i r n e r e i , die K a m m g a r n i n d u s t r i e , die S e i d e n w e b e r e i formell verlangt worden ist, und daß wir in die betreffenden Petitionen nur vorläufig, beziehungsweise in Hinsicht auf den die ganze Angelegenheit anhängig machenden Bundesbeschluß vom 24. Juni 1889, nicht eintraten (siehe Bundesrathsbeschlüsse vom 5. Juli 1889 [Bundesbl. III, 897] und vom 14. März 1890 [Bundesbl. I, 665]).

Auch für die S t i c k e r e i und B u c h d r u c k e r e i werden Vergünstigungen mit allem Nachdruck in Anspruch genommen. Bezüglich der letztern beiden Industriezweige haben wir speziell Einiges anzubringen.

Für die S t i c k e r e i e n postulirt der ß e g i e r u n g s r a t h des K a n t o n s A p p e n z o l i A.-R h. in seinem Gutachten vom 2. November 1889 ausdrücklich, daß die Reinigungsarbeiten im Sinne des Artikels 12 als Hülfsarbeiten deklarirt würden; eine Kontrole sei leicht möglich. Eine diametral entgegengesetzte Auffassung bekundet der R e g i e r u n g s r a t h des K a n t o n s St. G a l l e n ia seinem Bericht vom 20. Januar 1890. Wir können uns nicht versagen, seine Ausführungen hier theilweise wiederzugeben, besonders auch, weil sie die äußerst interessanten Erfahrungen, welche der S t i c k e r e i v e r b a n d bezüglich der Klassifikation der Reinigungsarbeiten machte, wiedergeben, wobei wir hinzufügen, daß die Aufsieht, welche dieser Verband über die Befolgung seiner Satzungen ausübt, eine sehr scharfe, in vorzüglicher Weise organisirte ist, so daß, wenn ihm eine Kontrole über die Innehaltung der vorgeschriebenen Arbeitszeit sich als unmöglich erwies, jene jedenfalls auch von den amtlichen Organen der Behörden nicht durchgeführt werden kann.

220 Die betreffenden Sätze lauten : ,,Was diese Verhältnisse in der Fabrikstickerei, welche für uns hauptsächlich in Frage liegt, anbetrifft, so müsseu wir uns dahin aussprechen, daß wir, in Uebereinstimmung mit den diesbezüglichen Vorschriften des Stickereiverbandes, es als absolut unthunlieh betrachten würden, das Putzen und Oelen der Stickmaschinen als Hülfsarbeit im Sinne von Art. 12 zu erklären. Es würde dadurch die Kontrole über die Innehaltung der Normalarbeitszeit in den vielen kleinen, dem Gesetze unterstellten Stickereien beinahe gänzlich verunmöglicht und damit dem Hauptfeind dieser Industrie, d. h. der Ueberproduktion wieder Thür und Thor geöffnet. Wir würden es daher sehr bedauern, wenn die Auffassung des hohen Bundesrathes, welche er anläßlich der Aufhebung von vier Urtheilen des Obergerichtes von Appenzell A. Rh. vom 31. Juli 1888 aussprach, sei es durch eine Revision des Gesetzes, sei es durch eine andere Interpretation desselben, wieder modiftzirt würde.

Es mag für den hohen Bundesrath gewiß von luteresse sein, zu erfahren, in welcher Weise der Stickereiverband der Ostschweiz bezüglich Art. 12 leg. cit. vorging und welche Beschlüsse in dieser Beziehung seiner Zeit gefaßt wurden. Wir erlauben uns daher, folgenden Passus seines Schreibens hier wörtlich anzuführen : ,,,,Der Stickereiverband hatte bei Festsetzung der Arbeitszeit die Reinigung der Maschinen etc. außer derselben verboten. Wiederholte Gesuche, namentlich von Einzelstickern, veraolaßten ihn dann, auf diesen Beschluß zurückzukommen und ihn derart zu modifiziren, daß er verfügte, es dürfe diese Arbeit außer der llstündigen Arbeitszeit vorgenommen werden.

Die Erfahrung bewies jedoch sehr bald, daß das gezeigte Entgegenkommen avg mißbraucht wurde, denn eine richtige Kontrole über die Einhaltung der Arbeitszeit war gar nicht mehr möglich, da man beim Erscheinen des Kontroleurs sofort vom Stickerstuhl ·wegsprang und sich an die Maschine machte mit der Behauptung, man arbeite nicht, sondern man putze. Zudem beschwerten sich die dem Fabrikgesetze unterstellten Maschinenbesitzer über die verschiedenen Rechte der Mitglieder, da sie genöthigt seien, innert der Arbeitszeit die Maschinen zu reinigen, während der Besitzer von l und 2 Maschinen zufolge ertheilter Vergünstigung die Arbeitszeit voll ausnützen könne. Dies widerspreche
dem Grundsätze, daß alle Mitglieder gleichberechtigt sein sollen.

Es war weniger das letzte Argument, welches uns veranlagte, Remedur zu schaffen, da der Fabrikbesitzer dem Einzelsticker, deiin seiner Arbeitszeit so sehr eingeschränkt wurde, diesen kleinen

221 Vortheil wohl hätte lassen dürfen, als dasjenige der dadurch außerordentlich erschwerten Kontrole.

Es wurde nun diesfalls verfügt: 1. In der llstündigen Arbeitszeit sind Inbegriffen: a. die Pausen für zweites Frühstück und Vesperbrod ; 6. das Reinigen der Maschinen und der Sticklokale (Fußböden, Decken, Wände, Seifentröge etc.).

2. Das Fädeln in den Sticklokalen außer der festgesetzten Arbeitszeit ist untersagt.

3. Bei allen Reparaturen an Maschinen, dem Anbringen von Apparaten, Montiren von neuen oder dislozirten alten Maschinen in Lokalen, wo sich bereits Verbandmaschinen befinden, ist die festgesetzte Arbeitszeit ebenfalls maßgebend.

Es wurde somit wesentlich weiter gegangen, als das eidgenössische Fabrikgesetz vorsieht; unsere Vorschriften sagen nackt und klar, daß außer der festgesetzten Arbeitszeit im Sticklokal nichts mehr gethan werden darf.

Von unserm Standpunkte aus wünschen wir die Bestimmung in das Gesetz aufgenommen, daß jede Hülfsarbeit, bestehe sie im Reinigen der Maschinen oder der Lokale, innert der vorgeschriebenen Arbeitszeit zu erfolgen habe.att Wenn auch erst nach längerem Widerstreben und vielen Mahnungen und Strafen von Seiten der Behörden und Gerichte, hat man sich in unserm Kanton nun allgemein daran gewöhnt, diese Reinigungsarbeiten nicht als Hülfsarbeiten zu betrachten und dieselben demgemäß während der Normalarbeitszeit vornehmen zu lassen."

Es ist hier der Ort, an den ,,Bundesrathsbeschluß betreffend A u f h e b u n g v o n v i e r U r t h e i l e n des O b e r g e r i c h t » des K a n t o n s A p p e n z e l l A.-Rh., welche mit Art. 11 des Bundesgesetzes über die Arbeit in den Fabriken im Widerspruch stehen", vom 31. Juli 1888, zu erinnern (Bundesbl. III, 969), speziell an folgenden Passus desselben: ,,Aus diesen Urtheilen geht übereinstimmend hervor, daß die Beklagten zugeben, in ihren Stickfabriken an Samstagen in der 11. Arbeitsstunde Arbeiten, welche jedoch nur in Reinigungsarbeiten bestanden, vorgenommen haben zu lassen. Das Obergericht zog jedoch- in drei Fällen in Erwägung : ,,,,Laut Artikel 12 des zitirten Bundesgesetzes, betreffend die Arbeit in den Fabriken, dürfen aber in dieser Zeit Hülfsarbeiten,,

222 welche der eigentlichen Fabrikation vor- oder nachgehen, verrichtet werden, und da die in Frage stehenden Putzarbeiten zweifelsohne als Hülfsarbeiten angesehen werden dürfen (vergleiche Kreisschreiben des Bundesrathes vom 14. Januar 1881), so muß in concreto Freisprechung erfolgen.""

Das Obergericht berief sich also ausdrucklich auf unser schon erwähntes Kreisschreiben vom 14. Januar 1881, obwohl dieses nur zu Gunsten der Baumwollspinnereien lautet. Und obgleich wir in unserm zitirten Beschluß diese Thatsache betonten und des Weitern erklärten : ,,Weder der Bundesrath, noch sein zuständiges Departement hat nun aber je die Reinigungsarbeiten in den Fabrikstickereien der Kategorie der Hülfsarbeiten im Sinne von Art. 12 des Gesetzes beigezählt, im Gegentheil hat das Handels- und Landwirthschaftsdepartement mit Kreisschreiben vom 14. April 1887 (Komm, pag. 72) ausdrücklich konstatirt, daß dort jene Reinigungsarbeiten in der Normalarbeitszeit einbegriffen werden müssen", respektirte das Obergericht des Kantons Appenzell A.-Rh. unsere Verfügung nicht. Es hatte dies fatale Konsequenzen für den Bestand des Normalarbeitstages in weiten Kreisen der Stickerei-Industrie, und wenn sich Mißbräuche nicht in allzu bedenklicher Weise einstellten, so ist es der starken Hand des Stickereiverbandes zu verdanken.

Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir annehmen, diese Vorkommnisse seien die hauptsächliche Verursachung des Bundesbeschlusses betreffend Art. 12 gewesen. In der Thal kann mau die berührte Angelegenheit nicht nur so gehen lassen ; es ziemt sich, daß die Behörde Ordnung schaffe, und nicht auf die Thätigkeit einer privaten Korporation abstellen müsse. Den Streit mit dem Obergerichte werden wir zwar nicht von Neuem beginnen, dagegen muß in prinzipieller Hinsicht eine klare Sachlage geschaffen, bezw. die Putzhalbstunde überhaupt beseitigt werden, schon damit sie nicht wieder in richterlichen Urtheilen zum Ausgangspunkt freisprechender Motive am unrichtigen Ort werde.

Bezüglich der B u.c h d r u c k e r e i e n sind uns direkt zwar keine Desiderate zugekommen, dagegen findet sich in Nr. 3 der ,,Mittheilungen für den Verein schweizerischer B u c h d r u c k e r e i b e s i t z e r a , vom 17. Januar 1891, ein Leitartikel ,,Das Fabrikgesetz und die Buchdruckereien, welcher von symptomatischer Bedeutung ist. Wir entnehmen demselben folgenden Passus:

223 ,,Hülfsarbeiten sind diejenigen, welche erforderlich sind, um den Betrieb während der regelmäßigen Arbeitszeit ununterbrochen aufrecht zu erhalten : Das Maschinen- und Pressen-Reinigen.

Das Waschen und Gießen der Walzen.

Das Zurichten von Formen und Holzschnitten.

Das Einlegen von Schriften.

Das Korrigiren einer Form, um folgenden Tages die Presse laufen lassen zu können.

Alfe und jede Reinigungsarbeit, auch von Kaminen, Kesseln, Oefen, Transmissionen etc., besonders aber das Waschen und Putzen der Form einer unausgedruckten Auflage.

Das Anheizen der Maschinen und Oefen.

Das Verpacken abzusendender Waaren.

Diese Hülfsarbeiten können sämmtlich nach der elften Stunde vollzogen werden, ohne daß hiefür eine Bewilligung einzuholen ist.a Man ersieht aus vorstehenden, die Grenzen der Zuläßigkeit weit überschreitenden Postdater), wie sehr man sich im Allgemeinen hüten muß, Wege zu eröffnen, auf welchen der N o r m a l a r b e i t s t a g , diese kostbare Errungenschaft der 1874er Verfassung, mit Leichtigkeit i l l u s o r i s c h gemacht werden könnte.

Bleibt die Putzhalbstunde für die Baumwollspinnereien bestehen, so können wir uns nicht länger erwehren, sie den andern Industriezweigen, welche um sie drängen, konsequentermaßen ebenfalls zu bewilligen, denn es geht auf die Länge entschieden nicht an, eine bestimmte Arbeit bei einem einzigen Pabrikationszweige als Hülfsarbeit zuzulassen, bei andern unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen zu verbieten. Schon das Bestehen der Vergünstigung bei dem Einen erweckt die lebhafte Begehrlichkeit des Andern.

Welche unheilvolle Folgen aber eine Ausdehnung der Putzhalbstunde für unsern Normalarbeitstag haben würde, dürfte aus dem Obigen mit erschreckender Deutlichkeit hervorgehen. Es ist nicht daran zu denken, in solcher Weise vorzugehen, auch wenn man nicht beachten wollte, daß die Entwicklung der Gegenwart mit Macht auf Verkürzung, nicht auf Verlängerung der Arbeitszeit hinarbeitet.

Wir entschlossen uns um so lieber, die Putzhalbstunde für die Baumwollspinnereien abzuschaffen (s. Bundesrathsbeschluß betreffend Hulfsarbeiten in Fabriken, Bundesbl. 1891, III, 140), als sie, wie die oben mitgetheilten Ausführungen des Fabrikinspektorats zeigen, keine für den rationellen Betrieb unerläßliche Bedingung bildete und überhaupt von vielen Spinnern gar nicht in Anspruch genommen wurde.

224

D.

Wir haben unter Litt. B gezeigt, daß eine Streichung des Artikels 12 ganz unthunlich sei; ferner sprachen wir die Ueberzeugung aus, daß es uns als das Rathsamste erscheine, die Anwendbarkeit desselben von Fall zu Fall zu entscheiden. Einen solchen führte gerade unsere Umfrage betreffend den Bundesbeschluß vom 24. Juni 1889 herbei, und wir glauben Ihnen deßhalb auch darüber kurz berichten zu sollen, da wir Ihnen damit gleichzeitig ein Beispiel, in welcher Weise wir jeweilen vorzugehen gedenken, bieten können.

Es handelt sich um die M a s c h i n e n i n d u s t r i e . In unserm Geschäftsbericht pro 1890 (Bundesbl. 1891, II, 225) haben wir uns über die ersten Stadien der Angelegenheit ausführlich ausgesprochen, so daß wir sie hier übergehen können.

Hauptsächlich sind es die speziellen Verhältnisse von Winterthur, welche den Arbeitgebern der Maschinenindustrie es als höchst wünschbar erscheinen ließen, einen formellen Beschluß über die Berechtigung zu erlangen, gewisse Arbeiten außerhalb der Normalarbeitszeit vornehmen zu lassen; sie gingen dabei unter Anderm darauf hinaus, der für sie lästigen Formalität des Einholens von B e w i l l i g u n g e n ledig zu werden, zum Theil mit Recht, denn in Fällen, wo mit Rücksicht auf die Natur der letztern die Bewilligung regelmäßig gegeben werden m u ß t e , wurde deren Ertheilung zu einer bloß mechanischen Funktion, welcher zu Folge dessen der Charakter des Vexatorischen nicht ganz abzusprechen war.

Art. 12 hat nun aber offenbar den Sinn, daß für die Vornahme von Arbeiten, auf welche er einmal anwendbar erklärt ist, die Einholung einer weiteren Bewilligung der Behörde nicht mehr erforderlich ist, sonst würde er, ähnlich wie Art. 11, Abs. 4, eine solche vorgesehen haben.

Mit Schreiben vom 10. Januar 1891 übermachte der Vorstand des V e r e i n s s c h w e i z e r i s c h e r M a s c h i n e n - I n d u s t r i e l l e r unserm Industriedepartement auf dessen Verlangen eine nähere Benennung derjenigen Arbeiten, von denen er wünschte, ,,daß sie von den Bestimmungen der Art. 11, 13 und 14 des Fabrikgesetzes ausgenommen werden". Es handelte sich um Fragen, welche nur von Fachmännern klargelegt werden konnten, und mit deren Detail wir uns hier, wollen wir nicht in weitläufige technische Erörterungen eintreten, nicht befassen können. Dem genannten Departement
lag es daran, die Ansichten fachkundiger Personen sowohl auf Seite der A r b e i t g e b e r , wie auf Seite der A r b e i t e r zu erfahren. Letztere wurden, nachdem eine Delegation der Industriellen bereits am 26. November 1890 in Bern vernommen worden war, in einer Konferenz, welche am 2. Februar 1891

225

ebendaselbst staltfand und von 15 ad hoc eingeladenen Vertretern (Gießer, Schlosser, Dreher etc.) der Arbeiterschaft der wichtigstea Centren und dem Präsidenten des schweizerischen Arbeiterbundes besucht war, zunächst allein augehört, um ihnen Gelegenheit zu geben, gänzlich frei und unbeeinflußt die Desiderate der Arbeitgeber zu erörtern. Die formulirten Resultate dieser Konferenz wurden hernach einer Kommission zu kontradiktorischer Besprechung unterbreitet, an welcher die Fabrikinspektoren des I. und III. Kreises,, 4 Delegirte der Arbeitgeber und 5 Delegirte der Arbeiter theilnahmen (23. Februar 1891 in Bern). Den Vorsitz führte jeweilen der Vorsteher des Industrie- und Landwirthschaftsdepartementes.

Die Erfahrungen, welche mit diesem modus procedendi gemacht wurden, waren recht günstige; sie ermöglichten eine objektive Beurtheilung der ganzen Angelegenheit und erleichterten uns die Beschlußfassung in derselben fs. Seite 140) in hohem Maße. Einerseits kamen die Arbeitgeber von vielen ihrer ursprünglichen Forderungen ganz oder theilweise zurück, andererseits gaben die Arbeiter die Unvermeidlichkeit anderer unumwunden zu. Von vornherein aber hielt die Bundesbehörde daran fest, daß eine Abschwächung des Gesetzes nie und nimmer zugegeben werden könne, und wir sind durchaus überzeugt, daß unsere Verfügungen eine solche auch nicht zur Folge haben, sondern nur einigen berechtigten Bedürfnissen der Industrie innert dem gesetzlichen Rahmen eutgegen kommen. Zu Befürchtung ist um so weniger Grund vorhanden, als, nachdem in vielen Etablissementen bereits der Zehnstundentag zur Einführung gelangt, die elfte Stunde, welche nach dem Gesetz als Arbeitsstunde verwendbar bleibt, verfügbar ist, um in derselben Dieses und Jenes (z. B. Reinigen der Lokale) vornehmen zu lassen.

Wir betrachten es als selbstverständlich, daß das, was den Maschinenindustriellen bewilligt wird, auch allen andern Industrien zu Gute kommen soll, sofern die nämlichen Bedingungen zutreffen.

Unser Beschluß vom 3. Juni konnte sich deßhalb nicht auf die Maschinenindustrie beschränken, sondern mußte eine allgemeine Fassung erhalten.

E.

Es liegt uns daran, zum Schluß noch einige irrthümliche Auffassungen zu berichtigen, welchen man in den Akten zu dem uns hier beschäftigenden Gegenstand begegnet.

Von 7,wei entgegengesetzten Seiten ist der
Grundsatz verfochten worden, die gesetzliche, llstündige Arbeitszeit decke sich mit dem Begriffe P r o d u k t i o n s z e i t . Wir sind hiemit keineswegs einverstanden, da so nach Artikel 12 eine große Anzahl

226 von Verrichtungen außer den Normalarbeitstag gestellt wurden könnten, welche doch in denselben hinein gehören (z. B. das Seidenwinden, Zetteln, Spuhlen, Putzen der Bänder in Seidenbandwebereien ; das Falzen und Zusammenlegen in Buchdruckereieu).

Das Moment der Produktion ist nicht das maßgebende. Das Gesetz wollte in Ausführung der bezüglichen Verfassungsbestimmung das Uebermaß der Arbeitszeit einschränken aus Gründen der Humanität und Staatserhaltung, um den schlimmen Folgen, welche «ine zu lange Arbeitszeit in körperlicher, geistiger und sittlicher Hinsicht für den Arbeiter und seine Familie nach sich zieht, zu begegnen. Es kommt von diesem Standpunkt aus aber nicht darauf an, welcher Natur, ob p r o d u k t i v oder nicht, die während eines gewissen Zeitraumes zu verrichtende Arbeit sei, sondern wie lange dieser Zeitraum regelmäßig dauert. Das Gesetz hat gefunden, dass er auf 1t Stunden zu bemessen sei, doch gewiß in dem Sinne, daß ein Mehr der körperlichen und geistigen Gesundheit des Arbeiters in der Regel nicht mehr zuträglich sei. Daraus ergibt sieh die Notwendigkeit und die Pflicht, am Normalarbeitstag strikte festzuhalten, d. h. dem Art. 12 nur solche Arbeiten zu subsurniren, welche aus zwingenden Gründen technischer oder hjgieinischer Natur im Normalarbeitstag nicht Platz finden können. Diese Auffassung ist um so mehr geboten, als die Hülfsarbeit so ziemlich die gleiche Wirkung auf den Arbeiter ausüben wird, wie Arbeit überhaupt; oft ist sie noch gesundheitswidriger, als die gewöhnliche Arbeit, z. B. durch die gesteigerte Einwirkung des Staubes beim Reinigen von Maschinen und Lokalen. Die sehr verbreitete Anschauung, jede unproduktive Arbeit sei Hülfsarbeit nach Art. 12, beruht sonach entschieden auf einer gänzlichen Verkennung des Fabrikgesetzes.

In einem a n d e r n E x t r e m bewegen sich Vorschläge, wie derjenige, Hülfsarbeiter seien nur solche, welche während des Normalarbeitstages nicht arbeiten, oder ein anderer, wonach der Normalarbeitstag auch für die Hülfsarbeit gelten solle. Das Eine wie das Andere ist nicht durchführbar, abgesehen davon, daß beide Alternativen gegen das gegenwärtige Gesetz verstoßen ; zum Beweis genüge die einzige Hindeutung auf die überall als Hülfsarbeit taxirten Funktionen der Kesselheizer, namentlich in ganz kleinen Geschäften, welchen man die
Anstellung zweier Heizer behufs Ablösung entschieden nicht zutnuthen kann.

Auch der Ausweg, behufs Verhinderung von Mißbräuchen filidie außerhalb der Normalarbeitszeit verrichtete Hülfsarbeit einen L o h n z u s c h l a g vorzuschreiben, geht nicht an, da die Verfassung kein Recht dazu gibt. Uebrigens werden in dea meisten Geschäften Ueberstunden jetzt schon höher bezahlt.

227

IV. Bundesbeschlnß vom 24. Juni 1889.

,,Der Buudesrath wird eingeladen, die Frage zu prüfen und darüber Bericht und Antrag zu hinterbringen, ob die Gerichte nicht angehalten werden sollen, die Urtheile, welche sie wegen Uebertretung des Fabrikgesetzes erlassen, dem Bundesrathe in Abschrift mitzutheilen."1 Diese von Herrn Nationalrath Decurtins .veranlaßte Anregung hat auf den ersten Blick Vieles für sich. Sie verfolgt die gute Absicht, der Verwaltungsbehörde Gelegenheit zu geben, auf Mängel und Ungleichheiten in der Rechtsprechung der Gerichte ihr Augenmerk zu lenken, und eventuell indirekt auf deren Beseitigung einzuwirken.

Die Ursache mag das eine oder andere Gerichtsurtheil mit auffallend geringen Strafen oder mit unbegründeter Freisprechung gebildet, haben.

Ursprünglich war in das Postulat auch die Frage der V e r ö f f e n t l i c h u n g der eingegangenen Urtheile einbezogen, jedoch im Verlaufe der Berathung fallen gelassen worden. Wir hielten es für zweckmäßig, jene in unserer Untersuchung zu berücksichtigen, da sie von erheblicher Tragweite ist und ziemlich nahe liegt. Es sei uns gestattet, uns über die Frage als eine eventuelle zuerst zu äußern.

Eine Veröffentlichung der Urtheile betreffend Uebertretungen des Fabrikgesetzes ist nur ernstlich in Betracht zu ziehen, wenn sie für die Vollziehung dieses letztern einen wirklichen N u t z e n gewährt. Diese Voraussetzung dürfte nun keineswegs zutreffen. Worin könnte jener Nutzen bestehen? Wohl vorwiegend darin, daß einerseits durch die zu gewärtigende Veröffentlichung ihrer Verurtheiluug manche Arbeitgeber vor Gesetzesübertretung, zu welcher sie sonst geneigt wären, a b g e s c h r e c k t und damit die letztere selbst verhütet würden, andererseits durch Bekanntwerden der von den verschiedenen Gerichten ihren Urtheilen zu Grunde gelegten Rechtssätze mehr E i n h e i t l i c h k e i t in diese selbst zu bringen versucht und wohl auch im Allgemeinen ein etwas schärferes Verfahren herbeigeführt würde.

Sehen wir uns den erstem Beweggrund an. Werden alle, auch die geringfügigen Urtheile veröffentlicht, so verliert die Maßregel für den Einzelnen, weil er sich in zahlreicher Gesellschaft befindet, jede abschreckende Wirkung; werden nur die gravirenden Urtheile veröffentlicht, so kann der beabsichtigte Eindruck unter Umständen erreicht werden, aber er hängt von einem ganz willkürlichen modus procedendi ab und hat, wie wir unten sehen werden, so viele Nach-

228 theile im Gefolge, daß letztere den zuweilen erreichten Vortheil mehr als aufheben. Erfolgt die Bekanntmachung ohne Namensnennung, so ist auch keine Wirkung zu erwarten.

Was die Herbeiführung einer konstanten Gerichtspraxis betrifft, so ist anzunehmen, daß auch dieses Ziel auf dem vorgeschlagenen Wege kaum erreicht werde. Das eine Gericht wird sich schwerlich durch ein anderes, gleichgestelltes, belehren lassen, sondern an seinen Anschauungen eher mit Zähigkeit festhalten.

Auch der Einfluß der sogenannten ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g darf nicht überschätzt werden, wobei noch der Umstand nicht zu übersehen ist, daß zur Bildung der öffentlichen Meinung in der vorliegenden Materie zwei Faktoren, Arbeitgeber und Arbeiter, mitwirken, deren Urtheile je nach ihrem Standpunkt sich oft nicht decken werden.

Wir erwarten also von der Veröffentlichung keinen erheblichen Nutzen, wohl aber verschiedene U n z u k ö m m l i c h k e i t e n und geradezu N a c h t h e i l e , welche wir nachstehend zu berühren un» erlauben möchten.

Einmal ist zu befürchten, daß einzelne K a n t o n s r e g i e r u n g en sich noch viel schwerer entschließen könnten, wegen Uebertretung des Gesetzes gegen diesen oder jenen Fabrikanter» gerichtliche K l a g e anzuheben, weil der Ausgang derselben vielleicht ungewiß ist, oder weil sie keine Verschärfung der Strafe durch Publikation eintreten lassen wollen.

Es würde nämlich nicht angehen, nur die für die Beklagten ungünstigen Urtheile zu veröffentlichen, die f r e i s p r e c h e n d e n aber nicht; ganz abgesehen davon, daß die Betreffenden leicht darauf verfielen, dies von sich aus zu besorgen, darf jene ungleiche Elle in einem demokratischen Staate nicht angewandt und das Ehr- und Rechtsgefühl des Bürgers auf solche Weise nicht verletzt werden. Nicht ohne Recht streift der V o r o r t d e s S c h w e i z . H a n d e l s - u n d I n d u s t r i e v e r e i n s i n seinem Gutachten vom 27. Mai 1890 diesen Punkt durch die Bemerkung, es werde u. A. aus seinen Kreisen Einsprache erhoben gegen die Anschauung, als ob "die Fabrikanten als eine ganz besonders boshafte Sorte von Menschen zu behandeln seien, welche man unier Ausnahmsgesetze stellen müsse".

Eine ausnahmsweise Behandlung sonst wohl durchaus unbescholtener Bürger, welche wir als unbillig und unzuläßig bezeichnen
müssen, läge aber in der Veröffentlichung der Urtheile überhaupt.

Sie würde eine starke V e r s c h ä r f u n g der S t r a f e bedingen, von der es an und für sich schon sehr zweifelhaft ist, ob sie recht-

229 lieh zuläßig wäre, indem zur Bestimmung des Strafmaßes nur die Gerichte selbst kompetent sind. Die Verschärfung wäre aber olinedieß namentlich dann eine höchst ungerechte, wenn sie einen Arbeitgeber träfe, welcher an der Uebertretung des Gesetzes p e r s ö n l i c h u n s c h u l d i g wäre, indem ja, wie auch die in der Arbeiterkonferenz vom 2. Februar 1891 anwesenden Vertreter der Metallarbeiterschaft erzählten, viele Fälle vorkommen, für welche er zwar haftet, welche aber ausschließlich vom Aufsiehtspersonal verschuldet sind; letzteres ist nicht selten recht gleichgültig oder geradezu widerspenstig, während der Arbeitgeber das Gesetz loyal halten möchte.

Ausnahmsweise wäre die Behandlung der Arbeitgeber auch deßhalb, weil eine analoge Maßregel in der Vollziehung a n d e r e r B u n d e s g e s e t z e , mögen sie noch so wichtige Materien beschlagen, nicht vorkömmt.

Es wäre ferner zu befürchten, daß in den Reihen der Betroffenen und ihrer Genossen eine gewisse V e r b i t t e r u n g geptlanzt und das im Interesse beider Parteien so wünschbare gute Verhältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter unnöthiger Weise ungünstig beeinflußt würde.

In unsern Akten finden wir endlich noch die Einwände, daß die Publikation von Urtheilen, welche unrichtige Erwägungen enthalten, das A n s e h e n der G e r i c h t e zu erschüttern geeignet sei, sowie daß diejenige von solchen mit freisprechendem Ausgang findigen Köpfen den Weg z u möglichst gefahrloser U m g e h u n g des Gesetzes zeigen könnte.

Die Veröffentlichung wird gemäß den uns zugegangenen Berichten von fast allen Seiten lebhaft bekämpft und nur von einer Kantonsregierung, derjenigen von Uri, gutgeheißen. Auch der leitende Ausschuß des Schweiz. A r b e i t e r b u n d e s bemerkt (11. Januar 1890): ,,Es ist schwer zu entscheiden, ob eine solche Urtheilssammlung mehr nützen oder mehr schaden würde, wie schon im Kreisschreiben des Tit. Departements angedeutet wird.11 So viel über diese Frage, die endgültig verneint werden dürfte.

Wir gelangen hiemit zur Hauptfrage, derjenigen betreffend einfache M i t t h e i l u n g d e r U r t h e i l e a u d e n B u n d e s r a t h .

Von den Kantonsregierungen sprechen sich mehr gegen als für die Anregung aus und es wird dieser vielfach keine große praktische Bedeutung zugemessen.

230 Neben dem Umstand, daß die früher häufigen Strafeinleitungen wegen Uebertretungen ernsterer Natur immer seiteuer werden -- nicht zum Mindesten deßhalb, weil das Gesetz nun meist viel gewissenhafter beobachtet wird, als man oft behauptet -- und im Allgemeinen mit ziemlich strenger Bestrafung enden, mag hauptsächlich die Erwägung obwaltend sein, daß dem Bundesruth eine d i r e k t e E i n w i r k u n g a u f d i e G e r i c h t e nicht zustehe, u n d daß daher der gewünschte Zweck nicht erreicht werde.

Es muß nun allerdings zugegeben werden, daß die Praxis der Gerichte in Beurtheilung von Uebertretungen des Fabrikgesetzes der Gleichmäßigkeit entbehrt, und daß ein Einblick in dieselbe ein bedeutendes Interesse bietet, wäre es auch nur deßhalb, um für eine Revision des Gesetzes, welche zur gegebenen Zeit vorzunehmen sein wird, nützliches Material zu sammeln und sich auf Beseitigung der zu Tage getretenen Lücken und Mängel desselben vorzusehen, oder um vorher schon durch Erlaß geeigneter Ausführungsvorschriften unrichtige Gesetzesinterpretationen (vergi. Kapitel III, litt. C, des gegenwärtigen Berichts) zu beseitigen.

Nicht unerwähnt aber möchten wir lassen, daß diese Seite der Frage bisher keineswegs übersehen worden ist. Wie ein Einblick in die von den K a n t o n s r e g i e r u n g e n an uns erstatteten und jeweilen im Druck erseheinenden Berichte über die Vollzihung des Gesetzes darthut, wird darin dem Kapitel "Uebertretungen" meistentheils gebührende Aufmerksamkeit geschenkt und manche Angabe über Zahl, Art und Bestrafung der Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz geboten. Ferner erhalten jetzt schon unsere Fabrikinspektoren beinahe vou allen Kantonsregierungen, und zwar frühzeitig genug, um allfälligen Weiterzug zu veranlassen, die ergangenen richterlichen Urtheile zur Einsichtnahme zugestellt; die Inspektoren machen sich daraus ihre Notizen, welche da und dort zu Nachschau, Besprechung mit Behörden, Fabrikanten etc.

veranlassen, übermitteln in gravirendern Fällen die Akten unserm Industriedepartemente behufs eventueller weiterer Entschließung, und bringen in ihren Jahresberichten aus dem Material Dasjenige (theilweise in extenso, ohne Nennung von Namen), was von besonderin Interesse ist.

Es geschieht also ungefähr das, was der l e i t e n d e A u s s c h u ß des s c h w e i z e r i s c h
e n Arbeiterbundes in seinem Gutachten vom 11. Januar 1890 als wünschbar darstellt, bereits jetzt; derselbe schreibt: ,,Wir betrachten das Begehren (Bundesbeschluß vom 24. Juni 1889) als begründet, stellen uns aber die Ausführung etwa so vor: O

O

231 ,,Die Urtheile sa m m t Un t er s u eh s a k t e n würden vom letztinstanzlichen Richter an das Fabrikinspektorat versandt. Dieses nähme Kenntniß von Akten und Urtheil und sendete dieselben an die Gerichts- oder Archivbehörde zurück. Ob ein Doppel des Urtheils für den Fabrikinspektor beizulegen sei, ist untergeordnete Formsache.

,,Der Inspektor würde alsdann die Pralle prüfen, sich bezügliche Notizen zusammenstellen und das Material für die zweijährliche Berichterstattung verwenden. Schlimmere Fälle nach dem Beispiele der kassirten Urtheile des Obergerichtes von Appenzell A.-Rh. unterbreitete er dem Tit. Bundesrathe zu weiterer Behandlung."

An anderer Stelle : ,,Die Mittheilung der Akten mit dem Urtheil scheint uns absolut nöthig, ein Urtheil ohne Akten ist leider vielfach nichts, der Thatbestand ist in solchen erst- und selbst zweitinstanzlichen Urtheilen gar nicht zu finden, oder nur zum Theil, entstellt, verdreht, verkehrt aufgefaßt, so daß derselbe eben nur aus den Untersuchungsakten ersehen werden kann, erst diese die Möglichkeit bieten, sich ein nothdürftiges Bild vom Einzelfalle zu verschaffen, das sehr oft abweichen dürfte von dem Bild, welches das Urtheil gewährt."

Auch ein sich anschließendes Postulat des leitenden Ausschusses findet insofern ebenfalls schon seine ziemliche Verwirklichung, als die Inspektoren sehr oft das gesammte Aktenmaterial vor der Ueberweisung an die Gerichte mitgetheilt erhalten, um sich über Lücken und Mängel der Untersuchung oder die Bedeutung der Uebertretung äußern zu können.

In der That erscheint es viel zweckmäßiger, die Urtheile an das Fa b r i k i n s p e k t o r à t, statt an den B u n d e s r a t h, zuleiten.

Wer die Verhältnisse kennt, muß sich vorab sagen, daß die Kenntnißgabe der Urtheile selbst keineswegs genügt, um einen richtigen Einblick in die Sachlage zu gewinnen, sondern daß allerdings sämmtliche zugehörige A k t e n ebenfalls dabei sein müssen. Es würde zu unendlicher Weitschweifigkeit führen, wollte man sich von letztem Abschrift geben lassen, und der Bundesrath, bezw. sein zuständiges Departement bald, um uns des Ausdrucks des St. G a l l e r Reg i e r u n g s r a t h es zu bedienen, mit einer ,,Masse meist höchst uninteressanten und werthlosen Aktenmaterials" überladen, obschon die Zahl der Urtheile keine sehr große ist.
Der Fabrikinspektor dagegen kennt in der Regel die Verhältnisse und Thatsachen, um die es sich handelt, aus eigener Anschauung, und ist in Folge dessen in der Lage, sich viel leichter

232 zurechtzufinden; seine Beobachtungen und Erfahrungen, sowie weitreichende Personenkenntniß ermöglichen es ihm auch, an die Urtheile den richtigen Maßstab anzulegen.

Wir haben noch auf einen Umstand aufmerksam zu machen, nämlich darauf, daß in einzelnen Kantonen Fälle geringerer Uebertretung nicht bei den Gerichten, sondern bei a d m i n i s t r a t i v e n A m t s s t e l l e n a n h ä n g i g g e m a c h t werden, e i n Verfahren welches Vieles für sich hat.

Folgendes Citât aus einem Schreiben des R e g i e r u n g s r a t h es des K a n t o n s T h u r g a u vom 10. Januar 1890 möge dieses Verhältniß beleuchten : ,,Diese Neuerung halten wir für total überflüssig. Im herwärtigen Kanton werden Zuwiderhandlungen gegen das Fabrikgesetz, insoweit sie sich als bloße Polizeiübertretungen und nicht als Vergehen im Sinne des Strafgesetzes qualifiziren, durch die Bezirksämter nach Maßgabe des kantonalen Gesetzes über Abwandlung der Polizeistraffälle bestraft und blos eventuell, im Falle der Schuldbestreitung, durch die gerichtliche Kommission beurtheilt, mit Ausnahme derjenigen schweren Wiederholungsfälle, welche .nach den Ergebnissen der Polizeiuntersuchung im Sinne des Bundesgesetzes eine Gefängnißstrafe zu verdienen scheinen und deßhalb an die Staatsanwaltschaft, beziehungsweise von dieser an die zuständigen Gerichte überwiesen werden. Fälle der letzten Art kommen aber äußerst selten vor; die Regel bilden die nicht rekurrirten bezirksamtlichen Bußerkenntnisse, welche keine einläßlichen Motive, sondern nur die eine bestimmte Gesetzesverletzung involvirende Thatsache enthalten. Was würde nun bei der abschriftlichen Mittheilung solcher Erkenntnisse an den Bundesrath herausschauen ? Die betreffenden Informationen, von denen in Ihrem Kreisschreiben die Rede ist, würden sie nicht bieten !"

Es versteht sich von selbst, daß, wenn die Einsichtnahme in die richterlichen Urtheile durch die Fabrikinspektoren wünschbar ist, dies auch für die administrativ ergangenen Erkenntnisse gilt, da sie das gleiche Interesse bieten.

Wenn wir gezeigt haben, daß der durch den Bundesbeschluß, welcher uns hier beschäftigt, verfolgte Zweck schon früher nich, außer Acht gelassen wurde, geben wir immerhin gern zu, dass dieses Gebiet noch i n t e n s i v e r bearbeitet werden kann und soll.

Es scheint uns keineswegs erforderlich
zu sein, hiefür einen Beschluß der Räthe zu provoziren; wir berufen uns auf A r t i k e l 17, Absatz 3 und 4, des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken, lautend :

233 ,,Die Regierungen erstatten dem Bundesrathe am Schlüsse jedes Jahres über ihre Thätigkeit behufs Vollziehung des Gesetzes, über die dabei zu Tage getretenen Erscheinungen, über die Wirkung des Gesetzes u. s. w., einen ausführlichen Bericht, über dessen Anordnung vom Bundesrath das Nähere festgestellt wird.

,,Ebenso geben sie ihm, beziehungsweise dem hiefür bezeichneten Departement oder andern gesetzlich aufgestellten Organen, in der Zwischenzeit jede wünschenswerthe sachbezügliche Auskunft."

Schon in unserm K r e i s s c h r e i b e n vom 19. S e p t e m b e r 1882 (Kommentar Seite 106) haben wir die Regierungen eingeladen, in ihren Berichten nähere Angaben ,,über die Zuwiderhandlungen gegen die bestehenden Vorschriften, über die vorgekommenen Unfälle und Strafurtheile" zu machen, welchem Verlangen anstandslos, wenn auch mehr oder weniger vollkommen, Folge gegeben worden ist.

Wir zweifeln nicht im Geringsten daran, daß ebenso, wenn wir gestützt auf Artikel 17 dort, wo sie noch nicht geschieht, die Mittheilung aller (richterlichen und administrativen) Urtheile und zugehörigen Akten betreffend Uebertretung des Gesetzes an den Fabrikinspektor des Kreises vorlangen, man uns mit großer Bereitwilligkeit entsprechen wird.

Falls Sie, wie wir gern annehmen, mit unserer Anschauungsweise einverstanden sind, würden wir also dafür sorgen, daß jene M i t t h e i l u n g e n an die I n s p e k t o r e n a l l g e m e i n d u r c h g e f ü h r t und letztere den Auftrag erhalten würden, dieselben möglichst a u s g i e b i g z u v e r w e r t h e n , u n d i n i h r e n A m t s berichten dem Gegenstand vermehrte Aufmerksamk e i t zu widmen, in dem Sinne, daß sie, unter Weglassung der Namen, statistische Zusammenstellungen (Zahl der Urtheile, der Freisprechungen, der Urtheile mit dem Minimum oder nahezu dem Minimum der Strafe etc.) bringen, unbegründete Freisprechungen erörtern, die Höhe der gefällten Strafen im Verhältnis zum gesetzlichen Strafminimum und im Verhältniß zu einander besprechen, auffallende Urtheile unter Umständen in extenso anführen würden etc.

Wird dieses System konsequent durchgeführt, so wird nach unserer Ueberzeugung wirklich ein Fortschritt erreicht.

Es erübrigt uns nur noch, uns über die aus dem Kanton St. Gallen stammende Anregung, es möchten die Urtheile in H a f t pf l i ch t s a c h en gesammelt und publizirt werden, dahin auszuBandesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

16

234

sprechen, daß uns die im Bundesgesetz betreffend die Ausdehnungder Haftpflicht, vom 26. April 1887, enthaltenen Vorschriften betreffend Mittheilung und Kontrole der ausgerichteten Haftpflichtentschädigungen dem Bedürfnisse zu genügen scheinen , und daß mit Hinsicht auf den vorübergehenden Charakter der Haftpflichtgesetzgebung überhaupt die Einführung der gewollten neuen Maßregel als inopportun zu unterlassen sein dürfte.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen, Hochachtung.

B e r n , den 3. Juni 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend vier Beschlüsse der Räthe zum Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken. (Vom 3. Juni 1891.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1891

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

25

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.06.1891

Date Data Seite

194-234

Page Pagina Ref. No

10 015 298

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.