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Schweizerisches Bundesblatt.

IX. Jahrg. IL

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Nr. 62.

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25. November 1857.

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.Bundesrathes an den schweiz. Ständerath über eine Beschwerde von luzernischen Großräthen, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 2l. September 1857.)

Tit.

Unterm 4. August h. a. haben Sie uns eine Beschwerde von fiebenzehn Mitgliedern des luzernischen Großen Rathes gegen diese Behörde und deu Regierungsrath zur Berichterstattung überwiesen, und wir beehren uns anmit, diesem Auftrage Folge zu geben.

Unter Berufung auf Art. 5 und 74, Ziffer 8, verlangen die Petenteu Schuz der verfassungsmäßigen Rechte, deren wesentliche Grundlage das politische Stimmrecht bildet. Gleichwie . ein undemokratisches Grundgesez hierüber die Garantie des Bundes nicht erhalten würde , so darf der leztere auch nicht dulden, daß durch unrichtige Auslegung einer klaren Verfassungsbestimmung das Stimmrecht beschränkt oder illusorisch gemacht werde.

Dieses Recht und die Souveränetät der Kantone würde aufhören, weuu an den Abstimmungen des Volkes momentan in den Kanton einwandernde Massen nach Belieben Theil nehmen könnten; auch würden die Wahlkreise, welche durch Bundes- und Kantonalverfassung vorgesehen sind, alle Bedeutung verlieren, Nach der Verfassung und dem Geseze von Luzern ist uebst den allgemeinen Requisiten für das Stimmrecht entweder das Heimathrecht oder der Wohnsiz in dem betreffenden Wahlkreise erforderlich, und es ist somit ganz klar, daß bloß vorübergehende Aufenthalter, auch wenn fie im Uebrigen stimmfähig wären, in dem Wahlkreise, welchem flieweder durch Heimathrecht, noch durch Wohnsiz angehören, nicht stimmen können. Nun haben aber die Kantonalbehörden theils grundsäzliche Gesezesexläuterungeu , theils Entscheidungen iu Spezialfällen gegeben, welche

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4.^ ienem Grundsaz ganz zuwider laufen. Die Stimmregister bilden die Grund^ Iage für die Volksabstimmungen. Wenn man nun in difese Register bloß vorübergehende Aufenthalter in Masse eintragen läßt, so wird dadurch der .oerfassungsmäßige Begriff des an bestimmte Kreise gebundenen Stimmrechts ganz verändert und die wirklich stimmfähigen Bürger und Einwohner eines Wahlkreises verlieren^ dadurch das Gewicht ihrer Stimmen. Wenn nun die kompetenten Oberbehörden dieses Versahren zulassen uud billigen, so tritt der Fall ein, die Garantie des verfassungsmäßigen Stimmrechtes bei der Bundesbehörde^zu suchen.

Am 17. A^ril h. a., neun Tage vor den Erneuerungswahlen des Großen .Rathes, erließ der Regierungsrath eine allgemeine Weisung fol^..

Senden Jnhaltes:

,, D e r R e g i e r u n g s r a t h d e s K a n t o n s L u z er n hat,

auf eine gestellte Einfrage des Polizeidepartements, ,,erwägend, daß, wenn auch der ..... 56 des Orgauisationsgesezes bestimmt, es fei das Verzeichnis^ der stimmfähigen Bürger vom Gemeindexathe a c h t Tage vor der Wahl bereinigt zu Jedermanns Einsicht aus der Gemeinderathskanzlei aufzulegen, dieß nicht den Sinn hat, daß nun das Verzeichniß geschlossen fei, sondern daß es im Sinne des zweiten Absazes des genannten Paragraphen und des darauf folgenden ^. 57 vielmehr liegt, daß dasselbe auf Reklamation hin fortwährend und selbst am Wahltage uoch berichtigt und ergänzt werden kann , ..erwägend, daß, wenn der ^..311 des Organifationsgesezes besagt, derjenige, welcher nicht a.^ Wohnorte, sondern am Heimathsorte stimmen .wolle, müsse sich wenigstens acht Tage vor dem Wahltage hierüber erklären, und davon dem Gemeindeammann seines Heimathsortes Anzeige machen, daraus nicht die Folgerung zu ziehen ist, daß auch derjenige, welcher am Wohnorte stimmen will , daselbst wenigstens acht Tage vor dem Wahltage seinen Wohnsiz genommen haben müsse, fondern in dieser Beziehung vollkommen genügt , daß der Stimmberechtigte v o r der Wahl in demjenigen .Kreise seine Wohnung aufgeschlagen habe, und sich auf das Stimmregister habe tragen lassen, in welchem er sein Stimmrecht ausüben will, erkennt: ,,Jeder Stimmfähige ist berechtigt, an seinem Wohnorte sein Stimm..

recht auszuüben, habe er dort seinen Wohnsiz mehr oder weniger lange Zeit vor der betreffenden Wahlverhandlung genommen ; es genügt dießfalls,

477 ^.aß der ^Stimmende sich vor der Wahl. über seine Stimmberechtigung ausgewiesen habe, und auf das Register der stimmberechtigten Büxger getragen worden sei; wovon dem Polizeidepartement zu seinem Verhalte Mittheilnng zu machen ist.^ Obwol diese Auslegung des .^. 27 der Kantonalverfassung erst am 28. Juni durch die amtlichen Blätter zur öffentlichen Kenntniß kam, so übte sie doch schon ihre Wirkung am 26. April, namentlich bei den Großrathswahlen des Kreises Rothenburg. Dort wurden^ nämlich Hundexte, welche dem Wahlkreise fremd waren, unter dem Titel von Knechten auf einige Tage einquartirt, oder als Eisenbahn^ und Stxaßenarbeiter angestellt, .'.und ganz kurze Zeit vor dem Wahltage auf die Stimmregister getragen, so daß die bisherige Mehrheit der stimmberechtigten Einwohner zur Mindexheit wurde. Wenn schvn diese Thatsache (fahren die Rekurrenten fort) förmlichst bewiesen war, so erklärte doch die Mehrheit des Großen Rathes, es seien keine Kassationsgründe vorhanden, ohne die Richtigkeit dieser Thatfache und den Beweis der unrichtig geführten Stimmregister zu bestreiten, wodurch sein Beschluß eine allgemeinere Bedeutung gewinnt und ^ur Ge^ sezes^ und Versafsungserläuterung wird, unter Bestätigung der regierungs^ räthlichen Jnterpretation. So ist durch diese beiden Auslegungen des Großen Rathes und der Regierung das politische Stimmrecht nicht mehr an die verfassungsmäßigen Wahlkreise und den Wohnsiz darin gebunden, sondern auf eine ganz andere verfassungswidrige Grundlage gestellt. Dadurch erhalten solche. Personen, die dem Wahlkreis weder durch Heimathrecht, noch Wohnsiz angehören, ein Vorrecht vor den Bürgern desselben, die in einem andern Wahlkreise wohnen. Denn diese müssen sich aeht Tage vor der Wahl aus das Stimmregister der Heimathsgemeinde tragen lassen, wenn sie dort stimmen wollen; sie müssen nachweifen, daß sie im Stimmxegister der Wohngemeinde gestrichen sind, und dürfen ein Jahr lang an keinem andern Orte stimmen. Bei einem solchen Verfahren nun treten mehrfache Folgen hervor, nämlich: a. Wenn der Begriff des Wohnsizes in erwähnter Weife aufgefaßt wird, so kann die halbe Bevölkerung eines Kre.ses auf den Tag einer Wahl in einen andern Kreis einrüken, dort wählen und Tags darauf wieder heimkehren. Bei den Großrathswahlen ist dieß um so wichtiger, als keine Jntegralerneuerung mehr
stattfindet und nicht einmal alle Kreise in denselben Serien zur Ausübung des Wahlrechts gelangen. Bei den eidg. Wahlen, wo der W o h n s i z allein entscheidet, ist die Sache noch bedenklicher ; ein paar tausend Eidgenossen könnten unter dem Titel von Knechten auf zwei Tage im Kanton Luzern die Nationalräthe und Geschwornen wählen. Das Mittel ist gerade so elaslifch, daß nur eine Regierungspartei, niemals aber eine Oppofition es anwenden könnte.

.b. Das Recht der Verfassungsrevifion wird durch diesen neuen Begriff

des Wohnfiz.es ganz illusorisch. Die Abstimmung findet in de.. Ge..

478 meindeu statt, aber nur wenu ein ^Sechstheil der darin wohnhafte^ Stimmberechtigten eine Revisionsgemeinde verlangt. Die übrigen werden als Gegner einer Revision angesehen. Da nun bloß der Wohnßz entscheidet, so ist es in der angeführten Weife leicht, im

lezten Augenblike der Anmeldungsfrist die Stimmenzahl des Registers

dermaßen zu erhöhen, daß die für die Revision Eingeschriebenen nicht mehr den Seehstheil ausmachen. Dieses geschah Anno 1854 in der Stadt Luzern, und kann künftig auch in andern Gemeinden wiederholt werden.

..... Ganz gleich verhält es sich mit den Vetogemeinden, da sie von deu

gleichen Bedinguugen abhängig find, wie die Revisionsgemeinde.1^.

Weil für die Verwerfung eines Gesezes die absolute Mehrheit aller stimmfähigen Einwohner erforderlich ist, so kann durch die Verhin.derung der Abhaltung auch aus weniger größern Gemeinden, wo sodann nicht allein die Mehrheit, sondern auch die Minderheit für Verwerfung einer Revision oder für Annahme eines Gesezes zählt, das Gesammtergebniß zu Gunsten der Behörden und gegen eine wirkliche Volksmehrheit ausfallen.

Auch dem Art. 86 der Verfassung, welcher vom Stimmrechte in Gerneindesachen handelt, droht auf demselben Wege eine vollständige BegriffsVeränderung. Es muß nach diesem Artikel ein Bürger oder Einwohner der Gemeinde nicht nur die allgemeine Stimmfähigkeit besizen, sondern Fr. 400 a. W. wirklieh v e r s t e u e r n . Die Erklärung, fortan diese Summe versteuern zu wollen, kann daher nicht genügen, sondern es muß eine fchou geleistete Steuer oder der Besiz des fraglichen Vermögens ausgewiesen

werden. So wurde der Artikel von 1841 bis 1848 ausgelegt. Seithex

fieng die Regierung an, ihm eine weitere, nicht gerechtfertigte Auslegung zu geben. Zwar scheint die richtige Ansicht noch festgehalten in einer re^gierungsräthlichen Weisuug vom 15. Februar 1854, wo es heißt: ,,Der ,,Art. 86 der Staatsverfassung habe die Deutung, daß in Gemeindean-.

..gelegensten jeder Kantonsangehörige, welcher neben der allgemeinen .. Stimmfähigkeit n a c h w e i s e , daß er, falls gegenwärtig eine Steuer be.,,zogen würde, wirklich Fr. 400 versteuern würde und m ü ß t e , ans das ,,Stimmregister zu nehmen sei.^ Allein in

einer regierungsräthlichen Weifung an den Gemeinderath

^on Nottw^l, d. d. 15. Mai 185.', heißt es: ,,Wenn ferner richtig ist,

daß der (vierte) Abgewiesene e r k l ä r t , er sei im Falle, Fr. 400 zu versteuern, so kann auch ihm, bestehender Uebung gemäß, der Zutritt zu deu Gemeinderathswahlen nicht verweigert werden. So wird also kein Ausweis mehr gesoxdert, sondern eine Anzahl vermögensloser Leute kann sich vor einer Wahl in eine Gemeinde begeben, unter der Erklärung, Fr. 400 versteuern zu wollen, fich auf die Stimmregister ^tragen lassen.

und nachher wieder die Gemeinde verlassen, ehe eine Steuer erhoben wird.

Dieses widerspricht aber offenbar dem Wortlaute und Sinne der Verfassung,

47^ und es kann somit eine entgegenstehende Uebung, auch wenu fie existireu würde, nicht in Betracht kommen.

Bei Entscheidungen über das Stimmrecht in Gemeindesachen ist uu^ ^ie Regierung die oberste kantonale Behörde, laut einem Beschluß des Großen Rathes, und es kann somit direkte bei der Bundesversammlung die^ Garantie des Art. 86 der Versassung gegenüber solchen Jnterpretationeu in Anspruch genommen werden. Wenn solche Weisungen bisweilen vom Polizeideparternente ausgehen, so sind fie gleichwol als Willensäußerung der Regierung zu betrachten, weil ein Departement keine selbständige^ Entscheidungen, am wenigsten Gesezesinterpretationen erlassen kann, und weil Dolche Weisungen in den amtlichen Regierungsverhandlungen aufgenommen find.

Schließlich erklären die Rekurrenten, sie wollen nicht schon getroffene^ Wahlen rükgängig machen, sondern sie stellen das Gesuche ,,Daß die Jnterpretationen der .:^. 27 und 86 der luzernifchen Ver-

,,fassung, wie sie durch die angeführten Regieruugsbefchlüsfe vom 17. April.

,,und 15. Mai, so wie durch den Großrathsbefchluß vom 1. Mai .1857 ,,erlassen worden find, als unvereinbar mit .dem Sinn und Wortlaut de.^ ,,Verfassung erklärt und demgemäß in ihrer grundfäzlichen Bedeutung auf,,gehoben werden...

Auf diese Beschwerde erwiderte die Regierung von Luzern in ihrem .Berichte vom 21. August h. a. im Wesentlichen Folgendes: ,,Die h. Bundesversammlung wird schon aus formellen Gründen nicht darauf eintreten können ; denn find die Rekurrenten der Anficht, daß die Regierung durch unrichtige Auslegung von Verfassung und Gesezen die Grundrechte des Volkes verlezt habe, so ist die .Beschwerde zunächst beim Großen ^Rathe des Kantens anzubringen, um entweder eine authentische Jnterpretation zu veranlassen oder zu verlangen, daß die Regierung zur Verantwortung gezogen werde. Dieser Weg ist bestimmt vorgezeichnet durch die ^. 48 und 49, Lemma 6 der Verfassung. Statt dessen wenden fich die Rekurrenten an die Bundesbehörden , ohne zu wissen , ob der Große Rath mit der Jnterpretation der Regierung einverstanden ist. Dieser Schritt soll zwar durch die Hinweifung auf den Großrathsbeschluß über die Wahleu von Rothenburg gerechtfertigt werden, weil diese Behörde dort der Anficht der Regierung beigetreten sei. Diese Annahme ist aber durchaus falsch.

Der Groß^ Rath ist gar nicht auf die regierungsräthliche Weifung vom 17. April über den W o h n s i z eingetreten, sondern hat einfach untersucht,.

ob die im Kassationsbegehren erwähnten Jnsormalitäten bewiesen seien oder^ nicht; er fand sie nicht erwiesen und erklärte daher, es liegen keine Gründe zur Kassation vor. Daher haben die Rekurrenten ihre Beschwerde zunächst an den Großen Rath zu bringen.

Jm Weitern ist die Weisung vom 15. Mai, welche den zweiten Beschwerdepunkt bildet, nicht einmal von der Regierung, sondern vom Po^

lizeidepartemente ausgegangen, wie die beiliegende Abschrift zeigt. Ei.^

480 Beschwerde gegen dieses ist aber^natürlich an die Regierung und nicht a.^ die Buudesbehörde zu richten.

Aus diesen formellen Gründen schließt die Regierung auf Nichtein^ treten, bemerkt aber gleichwol über den materiellen Jnhalt der Beschwerde Folgendes :

Die Weifung vom 17. April geht dahin: Jeder Stimmberechtigte

könne an seinem Wohnorte stimmen, sei es, daß er längere oder kürzere Zeit vor der Wahlverhandlung seinen Wohnfiz dort genommen; es genüge dießsalls , daß der Stimmende sich vor der Wahl über sein Stimmrecht ausgewiesen und aus das Stimmregister habe tragen lassen. Diese Weisung verlezt weder den ^. 27 der Verfassung, noch den ^. 56 des Orga.^.

nisationsgefezes. Jener handelt gar nicht von diesem Gegenstand, sondern

sezt bloß die Erfordernisse der politischen Stimmfähigkeit fest; w o und

wie diefelbe geltend zu machen sei, sagen der ^. 26 der Verfassung und der .^. 31 1 des Organisationsgefezes , indem 'sie dem Bürger freistellen, in der Heimath oder am Wohnorte zu stimmen. . Aber auch hier bestimmt .das Gesez nicht, wie lange man an einem Orte gewohnt haben müsse, um da stimmen zu können, sondern das Gesez läßt diesen Punkt ganz de.^ Vollziehnngsgewalt frei. Daher kann durch jene Weisung , welche eine kürzere oder längere Dauer des vorausgehenden Wohnsizes gleich behandelt, weder Verfassung, noch Gesez verlezt fein. Allerdings soll nach ^. 56 der Organisation das Stimmregister acht Tage vor der Versammlung b e r e i^ nigt und ausgelegt sein; aber dieses soll offenbar nicht bedeuten, daß es auch acht Tage vorher geschlossen. sei; denn der gleiche Paragraph gestattet auch Reklamationen gegen den Ausschluß vom Stimmregister, und solche .Reklamationen können laut ^. 57 noch am Wahltage seibst beim Bureau geltend gemacht werden. Daher ist kein Grund vorhanden , stimmfähige Bürger, welche einige Tage vor der Wahl in der Gemeinde ih. en Wohnsi^ aufschlagen und auf das Stimmregister getragen zu werden verlangen, abzuweifen. Die Rekurrenten schieben aber der Regierung die Absicht unter, bloßen A u f e n t h a l t e r n , die etwa anf die Wahlen hin gedungen werden, und nachher wieder fortgehen, das Stimmrecht zu gestatten. Das ist jedoch eine grundlose Supposition, und die Regierung würde eine Vollzie^ hung ihrer Weisung :^n diesem Sinne nicht billigen, indem fie weit entfernt ist, ordentii.^en Wohnsiz mit vorübergehendem Aufenthalt zu verwechseln.

Uel.rigens spricht die Weifung deutlich vom Wohnfiz, und einen an^ dexn Begriff unterzuschieben, gränzt an böswillige Verdrehung. Die Behauptuug, in Folge dieser Weifung haben sich bei den Wahlen in Rothen-.

burg Personen betheiligt , welche nicht im Kreise wohnten , wurde schon im Großen Rathe aufgestellt, aber nicht bewiesen. Selbst wenn die Thatsache wahr wäre, so dürfte sie mit Recht nicht auf Rech.nung der regie..

rungsräthlichen Weisung gefezt werden, die nur dem Polizeideparten.ente ertheilt und nicht öffentlich erlassen wurde, und übrigens so lautet, daß nur eine ganz falsche Auffassung zu den Konsequenzen führen könnte, ^velche^ die Rekurrenten daran knüpfen.

48l Was die zweite Beschwerde betrifft, nämlich das Schreiben des PoU..

^eidepartements an den Gemeinderathe von Nottw^l, so begreift man zuerst ^nicht. wie über Beeinträchtigung von Volksrechten geklagt werden kann., ^während die Auslegung, welche die Regierung dem ^. 86 der Verfassung über den Eensus gab, das freie Stimmrecht mehr begünstigt als schmälert, und daher gewiß zu rechtfertigen ist. Uebrigens geht die Beschwerde nicht sowol gegen die Auslegung der Regierung, als gegen das angeblich noch ^weitergehende Schreiben des Polizeidepartements, wonach nicht mehr der ^Ausweis des versteuerbaren Vermögens, fondern nur eine einfache Erklä^ ^xung des Befizes gefordert werde. Das Schreiben im Zusammenhange .^igt aber, daß das Departement nichts anderes bezwekte, als der Jnter.pretation der Regierung Nachaehtung zu verschaffen. .Jm Uebrigen ist zu bemerken , daß jenes Schreiben keine allgemeine Bedeutung hat, und gar reicht in einer Weife abgefaßt ist, wodurch der Gemeinderath von Nottwvl ^gebunden gewesen wäre, im Sinne des Departements zu handeln; er hätte ^en betreffenden Reklamanten gleichwol die Auftragung ins Stimmregister verweigern können , worauf sodann die Regierung zu entscheiden gehabt hätte, die ihre Ansicht in diesem Falle bis jezt nicht auszusprechen Gelegenheit

fand. Schließlich hält die Regierung dafür, daß die Beschwerde eventuell

auch m a t e r i e l l unbegründet sei, und daher abgewiesen werden müsse.

Wenn es unbestritten ist, daß die Bundesbehörden, und namentlich die hohe Bundesversammlung, kompetent sind, über Beschwerden betreffend Verlezung einer ..^antonsverfassung einzutreten, so liegt es immerhin in ihrer Stellung , vorerst zu untersuchen , ob die Bedingungen sür ein sofortiges Eintreten vorhanden seien, und es hat dieses hier um so Inehr zu geschehen, als die Regierung von Luzern, gegen welche die Beschwerde wesentlich geführt wird, in erster Linie wirklich auf die Einrede abstellt, daß sür einstweilen die hohe Bundesversammlung nicht aus den Gegenstand eiutreten könne, bis der Große Rath des Kantons Luzern darüber entschieden habe. Jn dieser Hinsicht nun können wir nicht umhin , d^e Anficht zu theilen, daß, wenn von Verlezung der Verfassung durch Verordnungen und Jnterpretationen einer Regierung die Rede ist, der Große Rath eines Kantons zunächst die kompetente Behörde ist, darüber zu erkennen; denn er hat ja die Verfassung durch die Gesezgebung zu eutwikeln und daher zu bestimmen , in welcher Weise und in welchem Sinne sie anzuwenden sei ; auch hat er die Amtsführung der Regierung, als oberste Aufsichtsbehörde, zu überwachen. Erläßt daher eine Regierung Verordnungen oder Weisunger.. die im Widerspruch stehen mit der Verfassung und den darauf hafirten Gesezen, so ist es vor allem Sache des Großen Rathes, jene Erlasse aufzuheben oder mit der Verfassung in Einklang zu bringen , so wie allfällig andere Maßregeln gegen die Regierung zu verfügen. Dieses Verfahren liegt nicht nur in dem natürlichen Gange der Dinge und der gegenseitigen Stellung der Behörden, sondern es folgt auch unzweideutig aus den Bestimmungen der ^. 48 und 49 der luzernifchen Verfassung. Bevor also der Bund, welcher diese Verfassung garantirte, bei Jnterpretatiou

482 einer Verfassuug intervenire kann, muß diese Jnterpretation von der Behörde ausgegangen sein, welche zunächst dazu berufen ist. Die Beschwerdesteller scheinen übrigens auch diese Ansicht zu haben, indem sie, wol zur Beseitigung der zu erwartenden dilatorischen Einrede, sich ans den^ Umstand berufen , daß der Große Rath am 1. Mai abhin das Kassationsgefuch ^egen die Wahlen des Kreises Rothenburg verworfen und dadurch die

Auslegung, welche die Regierung am 17. April dem ... 56 des Organisationsgesezes und damit zugleich dem Art. 27 (sollte heißen 26) der Verfassung gegeben , anerkannt und gebilligt habe. Wir finden indessen, daß diese Behauptung keineswegs hergestellt und nachgewiesen sei, und machen hierüber auf folgende zwei Momente aufmerksam : a) Der fragliche Beschluß des Großen Rathes enthält keine spezielle^ und einläßliehe Motivirung, sondern sagt nur: ,,Jn Betrachtung, ..daß k e i n e G r ü n d e v o r l i e g e n , welche eine Kassation der ,,Wahlverhandlungen von Rothenburg rechtfertigen könnten.^ Diese Gründe können son.ol f a k t i s c h e r als rechtlicher Natur sein; ^ie Behörde kann darunter verstanden haben, e n t w e d e r : . die verfassung^ widrigen Handlungen, weiche die Petenten behaupten, sind nicht vorhanden, nicht erwiesen; o d e r : das stattgehabte Verfahren entspricht der. Verfassung. Es ist also durch den Beschluß durchaus nicht hergestellt, daß der Große Rath bei diesem Anlaß die Verfassung interpretirt habe :. fondern er kann das Begehren eben so gut wegen mangelnden Beweises der eingeklagten Thatsachen verworfen haben.

Es ist serner nicht einmal wahrscheinlich, daß der Große Rath eine Verfassungsauslegung bei diesem Anlaß diskutirt und beschlossen hätte, ohne dieser Auslegung weder in den Motiven,. noch im Dispositiv ..u erwähuen.

b) Die Regierung erklärt in ihrem amtlichen Berichte bestimmt und ausdrüklich, der Große Rath habe sich gar nicht mit der Weisung des Regierungsraths .^om 17. April befaßt, sondern die Beschwerde einfach darum abgewiesen , weil er die behaupteten gesezwidrigen Handlungen nicht erwiesen fand. Von der Richtigkeit dessen wird man sich völlig überzeugen, wenn man berüksichtigt, daß das Organisation^gesez (.^. 87) die gleichzeitige Einlegung der Beweis^ mittel bei Kassationsbegehren vorschreibt, und wenn man die wenigen Bescheinigungen, welche demselben beigelegt waren, mit den behaupteten Thatsachen vergleicht.

Wenn sonaeh nicht hergestellt ist, daß der Große Rath über die Weisung der Regierung vom 1..'. April eine Untersuchung vornahm und eine Entscheidung abgab, so solgt daraus, daß der Bund zur Zeit nicht interveuiren kann, sondern daß. die Beschwerdesteller gutfindenden Falls sich au deu Großen Rath zu wenden haben.

^ Eben so begründet ist dieselbe
Einrede bei der zweiten Beschwerde , welche die Petenten mit den Worten einleiten: es d r o h e auch dem Art. 86 der Verfassung , welcher von der ^ Stimmberechtigung in Gemeinde-

483 Angelegenheiten handelt, aus demselben Wege eine vollständige BegriffsVeränderung. Damit soll doch wo.. nicht gesagt sein, daß die oberste kompetente Kantonalbehörde (nach der Anficht der Petenten ist die Regierung diese in vorliegender Beschwerde) durch eine erlassene Jnterpretatiou die Verfassung wirklich schon verl.ezt habe. Jn der That geht diese Beschwerde gegen eine Weisung, weiche das Polizeidepartement in einem Spe^ialfall erlassen hat. Aus den Akten ergibt sich nun, daß die Regierung am 15. Hornnng eine Weisung erließ, welche den Nachweis des Steuervermögens verlangt, und selbst nach der Anficht der Petenten nichts Versassungswidriges enthält; daß ferner das Polizeidepartement diese^Weisung ^ ausdrükiich aufnahm, dann aber mit Bezug auf eine einzelne Person, deren Stimmrecht in Frage lag, erklärte, nach bestehender Uebung könne dieser Person, wenn sie Fr. 400 zu versteuern im Falte und bereit sei, das Stimmrecht nicht verweigert werden. Hier i^ nun allerdings von einem förmlichen Nachweis des Vermögens nicht mehr die Rede, und somit enthält diese Stelle eine Abweichung von der Weisung des Regiernngraths in einem das Stimmrecht begünstigenden Sinne. Allein die Regierung erklärt, daß dieser Fall hätte an sie rekurrirt werden können, und daß sie also keine Veranlassung gehabt habe, sich darüber auszusprechen. Es exgibt sich demnach, daß die Regierung in dieser Sache noch nicht gesprochen hat und daß gegen ihre Weisung vom 15. Februar keine Beschwerde geführt wird. Es kann da.her nicht Sache des Bundes sein , gegen eine sich selbst etwas widersprechende Weisung des luzernischen Polizeid^artements einzutreten , während nicht nur der fragliche Spezialsall nicht vor die Regierung gelangte , vielmehr .^on lezterer eine allgemeine Weisung vorliegt, gegen welche kein Grund zur Beschwerde vorhanden ist.

Jndem wir daher zu dem Schlußantrag gelangen : e^ sei zur Zeit auf die Beschwerde nicht einzutreten, finden wir uns nicht veranlaßt, auf das M a t e r i e l l e der Sache näher einzugehen. Jndessen nehmen wir keinen Anstand, zu erklären, daß nach unserer Ansicht die Beschwerde auch mater i e l l ganz unbegründet ist, und zwar schon ans dem einfachen Grunde,

weil die Weisungen der Regierung vom 15. Februar und 17. April nichts Verfassungswidriges enthalten^ und andere Jnterpretationen, wie z. B. als ob ein bloß vorübergehender, zur Umgehung des Gesezes für wenige Tage

gewählter Ausenthalt zur Ausübung des Stimmrechts genüge, in der That

und Wahrheit gar nicht exiftiren.

Genehmigen Sie, Tit, die erneuerte Versicherung unserer vollkom^ menen Hochachtung.

B e r n , den 21. September 1857.

Jm Namen des fchweiz. Bundesrathes, Der Bnndespräsident : .^. ^oruerod.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß..

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Bericht des Bundesrathes an den schweiz. Ständerath über eine Beschwerde von luzernischen Großräthen, betreffend Verfassungsverlezung. (Vom 2l. September 1857.)

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1857

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.11.1857

Date Data Seite

475-483

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