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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Haager Konvention vom 12. Juni 1902, über Eheschliessung.

(Vom 7. September 1905.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Die Konvention zur R e g e l u n g des G e l t u n g s b e r e i che der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschließung, die erste der drei internationalen Übereinkünfte vom Haag vom 12. Juni 1902 (A. S. n. F. XXI, 397, ff.), welche von der Schweiz -unterm 17. Juli d. J. ratifiziert worden sind, tritt, zusammen mit den beiden ändern, am 15. S e p t e m b e r 1905 in K r a f t .

Es sind derselben bis dahin außer der S c h w e i z beigetreten: Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Rumänien und Schweden.

Mit gegenwärtigem Kreisschreiben machen wir Sie auf die Änderungen aufmerksam, welche die genannte Konvention für unsere Gesetzgebung im Verhältnis zu den Vertragsstaaten mit sich bringt. Es wird sich empfehlen, den Zivilstandsbeamten, sowie deren Aufsichtsbehörden, dasselbe zur Kenntnis zu bringen.

Vorab ist bezüglich des Anwendungsgebietes der Konvention .zu bemerken, daß diese sich nur auf Angehörige von Vertragsstaaten und nur auf das europäische G e b i e t dieser Staaten bezieht. Die außereuropäischen Gebiete von Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien und den Niederlanden fallen also bei Anwendung der Konvention außer Betracht.

Bundesblatt. 57. Jahrg. Bd. V.

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Bezüglich des Inhaltes der Konvention heben wir folgende Punkte hervor : Art. l der Konvention besagt: Das Recht zur Eingehung der Ehe bestimmt sich in Ansehung eines jeden der Verlobten nach dem Gesetze des Staates, dem er angehört (Gesetz des Heimatstaates), soweit nicht eine Vorschrift dieses Gesetzes ausdrucklich auf ein anderes Gesetz verweist.

Diese Vorschrift hat zur Folge, daß nun für die Ehe von Angehörigen der Vertragstaaten in der Schweiz, und zwar s o w o h l für den B r ä u t i g a m als f ü r die B r a u t , das Vorhandensein ihrer Ehefähigkeit nach den Bestimmungen ihres Heimatlandes nachgewiesen sein muß. Wenn sich also zum Beispiel eia Deutscher mit einer Französin, ein Belgier mit einer Niederländerin, in der Schweiz verheiraten will, so müssen beide Teile nach ihrem Heimatrecht ehefähig sein. Wenn nur ein Teil ein einem Konventionsstaate angehöriger Ausländer ist, und auch dann, wenn ein Schweizer eine einem ändern Konventionsstaate angehörendeAusländerin heiratet, so muß für die Angehörigen der Konventionsstaaten feststehen, daß sie nach ihrem Heimatrechte ehefähig sind..

Es gibt von diesem Nachweis der Ehefähigkeit nach Heimatrecht keinerlei Dispens, und die Kantonsregierungeu können ia dieser Hinsicht (mit Ausnahme des Falles religiöser Hindernisse im Heimatrechte [Art. 3]) keine Dispense mehr erteilen.

Für den Abschluß der Ehe von Schweizern im Auslande ist zu gunsten unseres Rechtes ein Vorbehalt gemacht insofern, als die absolute Herrschaft des Heimatrechtes dann nicht Geltung haben soll, wenn das heimatliche Recht selbst ein anderes Recht als maßgebend anerkennt. Dieses ist der Fall in Art. 54 der Bundesverfassung (Art. 25 des Bundesgesetzes über Zivilstand und Ehe), welcher bestimmt, daß die im Auslande nach der dort geltenden Gesetzgebung abgeschlossene Ehe im Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft als Ehe anerkannt werden soll.

Nach Art. 2 der Konvention kommen die im territorialen Rechte (Gesetz des Eheabschlußortes) geltenden Ehehindernissezur Anwendung nur, soweit sie 1. die Grade der Verwandtschaft und Schwägerschaft betreffen (Art. 28, 2) ; 2. auf einer vormaligen Ehe beruhen (Wartefrist; Art. 28,, letztes Alinea, und Art. 48).

Die Bestimmungen des Zivilstandsgesetzes erleiden hierdurch, folgende Modifikationen, wenn es sich um Eheabschluß von Ausländern aus Konventionsstaaten handelt.

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Art. 27. Das Ehefähigkeitsalter richtet sich nach der Gesetzgebung des Heimatstaates, welche auch darüber zu bestimmen hat, a. ob ein Dispens zulässig ist, o. wieweit eine Einwilligung der Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt zur Eingehung der Ehe erforderlich ist.

Art. 28. Da die auf Verwandtschaft beruhenden Ehehindernisse des schweizerischen Rechtes nach Art. 2 der Konvention auch für Angehörige der Konventionsstaaten zur Anwendung gelangen, so kann z. B. ein Deutscher seine Nichte in der Schweiz nicht heiraten, obschon sein Heimatrecht ihm den Eheabschluß gestauten würde.

Wieweit Geisteskrankheit oder Blödsinn ein Ehehindernis bilden, bestimmt sich dagegen nach dem Heimatrechte des Ausländers.

Art. 30. Nach Prüfung seiner Zuständigkeit hat der Zivilstandsbeamte von Ausländern, die Angehörige der Konventionsstaaten sind, behufs Vornahme der Verkilndung den in Art. 4 der Konvention vorgesehenen Nachweis zu verlangen, daß die vom Heimatgesetze für die Eingehung der Ehe aufgestellten Erfordernisse erfüllt sind.

Erst wenn dieser Nachweis erbracht ist, schreitet er zur Verkündung.

Art. 31. Alinea l wird insofern durch die Konvention modifiziert, als, wenn der in Art. 4 derselben geforderte Nachweis auf einer selbständigen Verkündung im Auslande beruht, die Übermittlung des Verkündungsaktes ins Ausland nicht mehr nötig ist.

Ebenso werden Alinea 4 und 5 mudifiziert.

Da Art. l und 5 der Konvention die Bedingungen aufstellen, unter denen die in den Konventionsstaaten eingegangenen Ehen im ganzen Konventionsgebiete gültig sind, und anerkannt werden müssen, so brauchen Angehörige der Konventiousstaaten in Zukunft keine Ehe-Anerkennungserklärungen mehr. Es fällt somit das Dispensrecht der kantonalen Regierungen dahin.

Anderseits sieht Art. 3 der Konvention die Möglichkeit des Abschlusses von Ausländerehen ausnahmsweise auch dann vor, wenn diese Ehe nach Art. l, beziehungsweise nach Heimatrecht des Ausländers, nicht möglich ist, das Ehehindernis jedoch ausschließlich auf Gründen religiöser Natur beruht und im Rechte

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des Ortes, wo die Ehe abgeschlossen werden soll,,nicht enthalten ist.

Da das schweizerische Recht Eheverbote aus religiösen Gründen nicht kennt, so ist die Möglichkeit gegeben, daß ia der Schweiz Ehen abgeschlossen werden können, welche nach dem Heimatrechte ungültig wären.

In dieser Hinsicht besteht das Dispensationsrecht der Kantonsregierung aus dem letzten Absatz der Art. 31 und 37 fort, d, h.

eine Dispeusation wäre nur erforderlich und zulässig, soweit der B r ä u t i g a m ein Ausländer ist.

Art. 3, Absatz l, der Konvention bestimmt nämlich : ,, Das Gesetz des Ortes der Eheschließung kann ungeachtet der Verbote des in Art. l bezeichneten Gesetzen (Heimatrecht) die Ehe von Ausländern gestatten, wenn diese Verbote ausschließlich auf Gründen religiöser Natur beruhen." Damit ist in dieser Hinsicht das Gesetz des Eheschließungsortes vorbehalten, und Art. 31 und 37, 4. beziehungsweise 5. Absatz, des Zivilstandsgesetzes bleibt anwendbar. Da dieser aber nur bei Ehen eines ausländischen B r ä u t i g a m s der Kantonsregierung ein Dispensationsrecht gewährt, so kann dieses Hecht auch nur in diesem Falle zur Anwendung gelangen. Hindernisse religiöser Natur, welche sich in dem Falle ergeben, wenn nur die Braut Ausländerin ist, sind dagegen überhaupt nicht zu berücksichtigen, denn die Braut wird durch den Abschluß der Ehe Schweizerbürgerin und es besteht keine Gefahr, daß die Kinder aus der Ehe heimatlos werden.

Ist dagegen der Bräutigam ein Ausländer, so ist den Kautonsregierungen möglichste Vorsicht in der Zulassung solcher Ehen anzuempfehlen, denn nach dem oben angeführten Artikel der Konvention kann die Ehe nicht nur in seinem Heimatstaate, sondern auch in den ändern Kouventionsstaaten als ungültig angesehen werden. Die Gefahr, daß Fälle von Heimatlosigkeit entstehen können, liegt also immer vor, besonders dann, wenn zu besorgen ist, daß der Heimatstaat des Bräutigams die abzuschließende Ehe nicht anerkennen wird.

Besondere Berücksichtigung verdient endlich noch Art. 8 der Konvention. Dort ist vorgesehen, daß dieselbe nur Anwendung findet, wenn mindestens ein Teil der Eheschließenden einem Konventionsstaate angehört, wobei aber kein Staat verpflichtet ist, «in Gesetz eines Nichtkonventionsstaates anzuwenden. Zwei Fälle sind dabei zu unterscheiden: . a. Der Bräutigam allein ist Angehöriger eines Konventionsstaates.

Dann findet auf ihn sein ;Heimatrecht Anwendung, und,

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wenn nach diesem die Ehe gültig abgeschlossen werden kann, so ist sie in der Schweiz abschließbar auch ohne Dispens der Kantonsregierung.

b. Die Braut allein ist Angehörige eines Konventionsstaates.

Dann ist der Nachweis der Gültigkeit der Ehe nach den oben gemachten Ausführungen nach ihrem Heimatrechte zu verlangen. Ist zudem der Bräutigam noch Ausländer, aber nicht Angehöriger eines Konventionsstaates, so gelten für ihn die Bestimmungen des Zivilatandsgesetzes unverändert.

Art. 37, Absatz 4, wird im Sinne der Bemerkungen zu Art. 31, Absatz 4 und 5, modifiziert.

Der Schweizer, welcher im Ausland seine Ehe abschließen will, wird im allgemeinen, infolge der Bestimmung des Art. 54 der Bundesverfassung, wonach die im Auslande, gemäß der dortigen Gesetzgebung, abgeschlossenen Ehen in der Schweiz anerkannt werden, den in Art. 4 der Konvention vorgesehenen Nachweis nicht zu erbringen haben.

Hat er indessen, infolge der Verschiedenheit der Gesetzgebungen in bezug auf Ehefähigkeitsalter, Erfordernis der elterlichen Einwilligung, z. B., dennoch den Nachweis zu erbringen, daß er den Bedingungen der schweizerischen Gesetzgebung genüge, so wird dieser Nachweis, wie bis dahin, vermittelst des auf dem Verkündschein angebrachten Zeugnisses der zuständigen Zivilstandsbeamten geleistet, d a ß er (der Zivilstandsbeamte) o h n e daß i r g e n d w e l c h e E i n s p r a c h e n e r f o l g t s i n d , d i e V e r k ü n d u n g d e r Ehe. . A vorgenommen habe und daß dem Vollzuge dieser Ehe n a c h s c h w e i z e r i s c h e n G e s e t z e n n i c h t s im Wege stehe.

Zuständig, die Verkündung vorzunehmen sind: a. wenn der Schweizer in der Schweiz seinen Wohnsitz hat, der Zivilstandsbeamte dieses letztern Ortes; b. beim Abgange eines Wohnsitzes in der Schweiz der Zivilstandsbeamte des Heimatortes.

Es ist somit in Zukunft der Wortlaut des Zeugnisses, wie er bis dahin für nach Deutschland oder Italien bestimmte Verkündscheiue vorgeschrieben war (.Kr. Sehr. B. R. v. 20. September 1901, Bundesbl. 1901, IV. 245 und A. S. n. F. XVII, 370) auf sämtlichen nach dem Auslande bestimmten Verkündscheinen anzubringen.

Art. 5, Alinea 4, der Konvention verlangt die Übersendung einer beglaubigten Abschrift der Eheschließungsurkunde an den Heimatstaat eines jeden, der einem Konventionsstaate angehörigen Ehegatten.

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Die Mitteilung von beglaubigten Bhescheinen ist daher auch nach denjenigen Vereinsstaaten obligatorisch, mit denen die Schweiz keine Zivilstandsaktenaustausch -Verträge besitzt. Die Übersendung geschieht auf diplomatischem Wege, insofern diesbezügliche Verträge nichts anderes bestimmen.

In diesem Sinne ist Art. 5 des Réglementes vom 20. September 1881, sowie Nr. 20 des Handbuches .für die schweizerischen Zivilstandsbeamteu, zu ergänzen.

Wir benutzen auch diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 7. September 1905.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Buchet.

Der II. Vizekanzler: Gigandet.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Haager Konvention vom 12. Juni 1902, über Eheschliessung. (Vom 7. September 1905.)

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13.09.1905

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