Umstände des Rücktritts eines eidgenössischen Untersuchungsrichters Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates vom 22. Januar 2010

2010-0136

3899

Abkürzungsverzeichnis BKP

Bundeskriminalpolizei

EffVor2

Effizienzvorlage 2 (Nachfolgeprojekt zu EffVor, einem Aufbauprojekt der Strafverfolgungsbehörden des Bundes)

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

ParlG

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, SR 171.10)

URA

Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt

VG

Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, SR 170.32)

StBOG

Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz), Botschaft in BBl 2008 8125

3900

Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Am 10. Juli 2008 teilte das Bundesstrafgericht mit, Untersuchungsrichter Ernst Roduner habe am 9. Juli 2008 seine Demission erklärt und verzichte aus gesundheitlichen Gründen ab sofort auf die Weiterführung der pendenten Verfahren.

Am 16. Januar 2009 gab das Bundesstrafgericht bekannt, dass es der Bundesanwaltschaft auf deren Antrag die Ermächtigung erteilt habe, gegen den ehemaligen Untersuchungsrichter Ernst Roduner ein Strafverfahren wegen Verdachts der Irreführung der Rechtspflege einzuleiten. Gemäss Bericht der Bundeskriminalpolizei (BKP) vom 8. Juli 2008 habe Roduner einen Mitarbeitenden der BKP aufgesucht und ihm ein eingegangenes Faxschreiben gezeigt, dessen Wortlaut sinngemäss lautete: «Hören Sie mit den Ermittlungen gegen H. auf. Denken Sie an Ihre Familie». Es bestehe der dringende Verdacht, Roduner selber habe die anonyme Drohung verfasst und sich per Telefax zugestellt.1 In der Folge wurde das Strafverfahren von der Bundesanwaltschaft eröffnet und im Februar 2009 an den Kanton Zürich delegiert. Am 30. März 2009 erledigte die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich das Strafverfahren mit einem Strafbefehl gegen Ernst Roduner, da dieser den Vorwurf der Irreführung der Rechtspflege anerkannte.2

1.2

Auftrag und Vorgehen

Die Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates (GPK) üben im Namen der eidgenössischen Räte die Oberaufsicht über die Geschäftsführung des Bundesrates und der Bundesverwaltung, der eidgenössischen Gerichte und anderer Träger von Aufgaben des Bundes aus (Art. 26 ParlG3). Bei der Ausübung der Oberaufsicht über die Gerichte und die Strafverfolgungsbehörden gilt ihre Aufmerksamkeit insbesondere dem rechtsstaatlichen, störungsfreien und effizienten Funktionieren der Justizbehörden, wobei sie stets darauf achten, die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren.

Ein strafwürdiges Verhalten eines Beamten in verantwortlicher Stellung in der Strafverfolgung ist grundsätzlich geeignet, das Vertrauen in die Justizbehörden zu beeinträchtigen und dem Ansehen der Justiz zu schaden. Im vorliegenden Fall war ein grosses Interesse der Öffentlichkeit und der Medien festzustellen. Die GPK des Nationalrates (GPK-N) erteilte deshalb ihrer Subkommission Gerichte am 27. Februar 2009 den Auftrag abzuklären, ob die betroffenen Behörden im Zusammenhang mit dem Faxvorfall ordnungsgemäss funktionierten. Die Subkommission Gerichte

1 2 3

Medienmitteilung des Bundesstrafgerichts vom 16.1.2009 und Entscheid der Verwaltungskommission des Bundesstrafgerichts vom 8.1.2009 (GL.2008.6).

Medienmitteilung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom 28.4.2009.

Parlamentsgesetz vom 13.12.2002, SR 171.10).

3901

der GPK des Ständerates (GPK-S) schloss sich namens der GPK-S der Untersuchung an.

Die Überprüfung richtete sich insbesondere auf die Informationspolitik der betroffenen Behörden, die Personalauswahl und Personalführung, die Arbeitssituation (Ressourcenfrage) beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) und die allfälligen Folgen des Vorfalls auf die von Untersuchungsrichter Roduner bearbeiteten Strafverfahren.

Die Subkommissionen Gerichte4 haben schriftliche Stellungnahmen beim Bundesstrafgericht eingeholt, Anhörungen5 durchgeführt und danach weitere schriftliche Stellungnahmen von verschiedenen Behörden verlangt. Der ehemalige Untersuchungsrichter Ernst Roduner wurde zur Anhörung eingeladen; er teilte jedoch durch seinen Anwalt mit, er verzichte mit Rücksicht auf seine Familie auf eine Anhörung, da er sich nach wie vor einer enormen Belastung durch die Medien ausgesetzt sehe.

Die GPK können Ernst Roduner nicht zur Anhörung verpflichten, da er nicht mehr im Dienst des Bundes steht.

Der Berichtsentwurf wurde von den Subkommissionen Gerichte am 2. Dezember 2009 verabschiedet und dem Bundesgericht als Aufsichtsbehörde des Bundesstrafgerichtes, dem Bundesstrafgericht, der Bundesanwaltschaft sowie dem betroffenen ehemaligen Untersuchungsrichter Roduner zur Stellungnahme zugestellt.

Die betroffenen Behörden sowie der Anwalt von Ernst Roduner haben Stellungnahmen eingereicht. Aufgrund der Stellungnahmen wurden verschiedene Anpassungen des Berichts vorgenommen.

Der vorliegende Bericht wurde von der GPK-S und der GPK-N am 22. Januar 2010 genehmigt.

2

Sachverhalt

2.1

Chronologie der Ereignisse

Am 27. November 2001 wählte das Bundesgericht Dr. iur. Ernst Roduner zum Untersuchungsrichter am Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA). Die Wahl erfolgte im Hinblick auf den Ausbau der Strafverfolgungsbehörden des Bundes auf Anfang 2002 im Rahmen der «Effizienzvorlage»6.

Ernst Roduner war zuvor während 17 Jahren als Oberrichter im Kanton Aargau tätig gewesen. Nach einer Untersuchung von gegen Roduner erhobenen Vorwürfen hatte die Mehrheit der Justizkommission des Grossen Rates des Kantons Aargau im Juni 4

5

6

Der Subkommission Gerichte der GPK-N gehören an: Nationalrätin Corina Eichenberger (Präsidentin; für dieses Geschäft in den Ausstand getreten), Nationalräte Sep Cathomas und André Daguet, Nationalrätinnen Therese Frösch, Brigitta M. Gadient, Alice Glauser und Maria Roth-Bernasconi. Der Subkommission Gerichte der GPK-S gehören an: Ständerate Hansruedi Stadler (Präsident), Peter Briner, Hans Hess und Claude Janiak, Ständerätinnen Helen Leumann und Anne Seydoux.

Folgende Personen wurden angehört: Erwin Beyeler, Bundesanwalt, Lorenz Meyer, Bundesgerichtspräsident, Alex Staub, Bundesstrafgerichtspräsident, Jürg Zinglé, Leitender Untersuchungsrichter.

Änderung vom 22.12.1999 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Schaffung neuer Verfahrenskompetenzen des Bundes in den Bereichen organisiertes Verbrechen und Wirtschaftskriminalität; BBl 2000 70).

3902

2001 ihrem Rat empfohlen, von einer Wiederwahl Roduners abzusehen.7 Daraufhin hatte Ernst Roduner auf eine Wiederwahl verzichtet.

Das Bundesgericht hatte vor der Wahl Roduners Kenntnis von den Akten des aargauischen Grossen Rates. Ein externes Audit zur Prüfung der Eignung des Kandidaten zeigte gewisse Mängel in der Sozialkompetenz auf. Bezüglich der Fachkompetenz beurteilte das Bundesgericht Ernst Roduner als erfahrensten und besten Kandidaten, wählte ihn jedoch wegen der besagten Mängel nicht zum Leiter des Untersuchungsrichteramtes. Das Gericht ging davon aus, dass die Persönlichkeit Roduners für die selbständige Arbeit als Untersuchungsrichter besser geeignet wäre als für die Tätigkeit in einem Kollegialgericht.

Am 27. November 2007 kündigte Ernst Roduner seine Stelle als eidgenössischer Untersuchungsrichter mit Hinweis auf den bevorstehenden Systemwechsel der Pensionskasse, um auf Ende Mai 2008 in den Ruhestand treten zu können.

Am 13. März 2008 stellte Ernst Roduner in Absprache mit dem Leitenden Untersuchungsrichter einen Antrag an das Bundesstrafgericht, ihn bis Ende 2008 weiter zu beschäftigen, um zwei langjährige Strafverfahren, jenes gegen den Zürcher Bankier H. und jenes gegen die Hells Angels, abschliessen zu können. Das Bundesstrafgericht, das seit 2004 Wahlbehörde der Untersuchungsrichter und für sie personalrechtlich verantwortlich ist, wählte darauf hin Ernst Roduner am 29. April 2008 als ausserordentlichen Untersuchungsrichter im Auftragsverhältnis einstweilen befristet bis 30. September 2008, mit Verlängerungsmöglichkeit. Roduner hatte zu einem relativ frühen Zeitpunkt signalisiert, dass er zur Beendigung der hängigen Verfahren im Auftragsverhältnis bereit wäre. Das Bundesstrafgericht begrüsste die Lösung, in der Annahme, dass damit die Verfahren nicht noch an einen anderen Untersuchungsrichter übergeben werden müssten.

Am frühen Nachmittag des 24. Juni 2008 übermittelte Ernst Roduner von der videoüberwachten Poststelle Zürich-Seebach aus einen an sich selbst adressierten Fax an das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt in Bern. Der Fax enthielt eine Drohung mit dem sinngemässen Wortlaut: «Hören Sie mit den Ermittlungen gegen H.

auf. Denken Sie an Ihre Familie». Ein Mitarbeiter des URA nahm Kontakt zu Ernst Roduner in der Zürcher Aussenstelle des URA auf. Dieser ordnete an,
den Fax an ihn weiterzuleiten und niemandem davon zu erzählen, insbesondere den Leitenden Untersuchungsrichter nicht zu informieren. Roduner informierte den Präsidenten der I. Beschwerdekammer, die Aufsichtsbehörde über das URA, telefonisch über den Erhalt des Drohfaxes. Der Kammerpräsident riet ihm, Strafanzeige zu erstatten.

Roduner übergab den Fax an Beamte der Bundeskriminalpolizei (BKP), die sofort erste Ermittlungen einleiteten. Die Ermittlungen wurden jedoch auf Veranlassung von Roduner wenige Stunden später eingestellt. Er hatte eingeräumt, das Faxschreiben selber verfasst zu haben.

7

Bericht der Justizkommission des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 22.6.2001 zum Beschwerdeverfahren gegen Oberrichter Dr. E. Roduner. Der Bericht hält einerseits fest, Oberrichter Roduner gelte ohne Zweifel juristisch als sehr kompetent, arbeite zielstrebig und speditiv. Andererseits wird ihm im Bericht unkorrektes Verhalten gegenüber drei Mitarbeitenden, der Präsidentin eines Arbeitsgerichts sowie im Zusammenhang mit einem Referat anlässlich einer Richtertagung zur Last gelegt. Es sei angesichts seiner Persönlichkeitsstruktur unklar, ob er in der Lage sei, generell gewisse Verhaltensweisen zu verändern. Erheblich belastend sei der Umstand, dass er im Jahre 1991 sein Amt als Oberrichter für private Zwecke missbraucht und eine Amtsgeheimnisverletzung begangen habe.

3903

Am 8. Juli 2008 übermittelte die BKP einen Bericht über ihre Ermittlungen an die Bundesanwaltschaft. Der Bericht enthielt u.a. Fotos aus der Videoüberwachung der Poststelle, die Roduner bei der Übermittlung des Faxschreibens zeigten. Gegen Abend dieses Tages informierte der Bundesanwalt den Bundesstrafgerichtspräsidenten in Bellinzona über die Angelegenheit.

Am frühen Morgen des 9. Juli 2008 liess sich der Bundesstrafgerichtspräsident in Bern vom Bundesanwalt den Sachverhalt darlegen. Danach suchte er den Leitenden Untersuchungsrichter auf und informierte ihn über den Faxvorfall. Am gleichen Tag reisten der Bundesstrafgerichtspräsident und der Leitende Untersuchungsrichter gemeinsam nach Zürich, wo Sie Untersuchungsrichter Ernst Roduner in seinem Büro aufsuchten. Sie konfrontierten ihn mit dem wesentlichen Inhalt des Ermittlungsberichts der BKP, wonach sich Roduner einen an sich selbst gerichteten Drohfax gesendet hatte. Roduner bestritt den Sachverhalt nicht, wollte aber keine Angaben dazu machen. Er wies jedoch darauf hin, er habe telefonische Drohungen erhalten. Der Bundesstrafgerichtspräsident, der das Gespräch führte, thematisierte den Sachverhalt nicht näher, machte jedoch klar, dass eine weitere Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht mehr möglich und eine sofortige Trennung erforderlich sei. Roduner sah zunächst lediglich ein Problem darin, dass der Vorfall publik werden könnte, und wollte die Fälle weiterführen. Schliesslich willigte er ein, seine sofortige Demission aus gesundheitlichen Gründen zu erklären und unterzeichnete eine entsprechende Erklärung.

Am 10. Juli 2008 teilte das Bundesstrafgericht in einer Medienmitteilung den sofortigen Rücktritt Roduners aus gesundheitlichen Gründen mit und dankte ihm für die geleisteten Dienste.

Am 11. Juli 2008 teilte der Bundesanwalt den Fall dem stellvertretenden Bundesanwalt zu, der am 14. Juli 2008 gestützt auf den Bericht der BKP formell ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Ernst Roduner im Zusammenhang mit dem Faxschreiben eröffnete. Der Bundesanwalt war der Meinung, der Fall sei nicht dringend, da die Sachlage nicht mehr verändert werden konnte, die Beweislage klar war und keine Verdunkelungsgefahr bestand. Nach der Beurteilung des Bundesanwalts war es angezeigt, Ernst Roduner aus gesundheitlichen Gründen Zeit zu geben,
da dieser auf ihn einen bedrückten und gefährdeten Eindruck machte. Dieser Ansicht schloss sich der stellvertretende Bundesanwalt an.

Am 4. Dezember 2008 reichte die Bundesanwaltschaft beim Eidgenössischen Justizund Polizeidepartement (EJPD) ein Gesuch um Ermächtigung zur Strafverfolgung ein (Art. 15 VG8). Nach einem behördlichen Meinungsaustausch entschied das Bundesstrafgericht, es sei gemäss Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe b für die Ermächtigung zuständig. Das Gesuch ging beim Bundesstrafgericht am 15. Dezember 2008 ein.

Am 8. Januar 2009 (Datum der Ausfertigung des Entscheides: 13. Januar 2009) erteilte die Verwaltungskommission des Bundesstrafgerichts die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Ernst Roduner wegen Irreführung der Rechtspflege.

8

Verantwortlichkeitsgesetz vom 14.3.1958, SR 170.32.

3904

Am Freitag, 16. Januar 2009 machte das Bundesstrafgericht mit einer Medienmitteilung den Faxvorfall publik und veröffentlichte gleichzeitig seinen Ermächtigungsentscheid zur Strafverfolgung.9 In der Medienmitteilung bezog sich das Bundesstrafgericht auf seine Information vom 10. Juli 2008 über die Demission Roduners aus gesundheitlichen Gründen, und teilte mit, aus Rücksicht auf die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft für erste Ermittlungen habe das Gericht zum damaligen Zeitpunkt von einer Orientierung über den Verdacht betreffend den selbst aufgegebenen Drohfax abgesehen. Nachdem der Entscheid des Gerichts zur Ermächtigungserteilung versandt und von den Betroffenen in Empfang genommen worden sei, sei für das Bundesstrafgericht als Wahl- und Aufsichtsbehörde der Zeitpunkt gekommen, um der Öffentlichkeit über die weiteren Hintergründe des Ausscheidens konkrete Angaben zu machen.

Am 18. Januar 2009 erschien ein Zeitungsartikel zum Faxvorfall10. Gegenüber der Zeitung bekannte sich Ernst Roduner dazu, einen Drohfax an sich selbst übermittelt zu haben, und sagt, er habe einen «Riesenfehler» gemacht; es sei eine «unverzeihliche Kurzschlusshandlung» gewesen. Weiter sagte er, dieselben Worte, die er im Drohfax geschrieben habe, habe eine Männerstimme mehrmals in anonymen Anrufen auf seinen privaten Telefonbeantworter gesprochen. Im selben Artikel hiess es, die Zeitung habe am 15. Januar 2009 die Verantwortlichen beim Bund mit ihren Recherchen konfrontiert; diese wollten aber keine Stellung nehmen. Um der Publikation des «vertuschten Skandals» zuvorzukommen, hätten sie tags darauf eine Medienmitteilung verschickt.

Nach dem Eintreffen der Ermächtigung durch das Bundesstrafgericht setzte der stellvertretende Bundesanwalt Einvernahmen an, die ab dem 23. Januar 2009 stattfanden. Über die Details der Ermittlungen verlangten die GPK keine Auskünfte. Die GPK üben zur Wahrung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft Zurückhaltung bei Auskunftsbegehren zu Ermittlungsverfahren.

Am 3. Februar 2009 delegierte die Bundesanwaltschaft das Strafverfahren an den Kanton Zürich, weil es sich um einen einfachen Fall handelte.

Am 30. März 2009 wurde Ernst Roduner durch die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich per Strafbefehl mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 170 Franken und einer Busse von 1700 Franken bestraft.

2.2

Informationspolitik der betroffenen Behörden

Dass das Bundesstrafgericht in der Medienmitteilung vom 10. Juli 2008 nicht über den Faxvorfall als Hauptgrund für die Demission Roduners informierte, entsprach einem einvernehmlichen Entscheid zwischen dem Bundesstrafgericht und dem Bundesanwalt. Nach Meinung des Bundesstrafgerichts lag das Primat für die Information über die Hintergründe der Demission bei der Bundesanwaltschaft, weil sich in Bezug auf den Drohfax ein Strafverfahren abzeichnete. Zu diesem Zeitpunkt hatte allerdings die Bundesanwaltschaft noch kein formelles gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eröffnet, weshalb der Vorfall vorerst als Personalangelegenheit betrachtet wurde.

9 10

Medienmitteilung des Bundesstrafgerichts vom 16.1.2009 und Entscheid der Verwaltungskommission des Bundesstrafgerichts vom 8.1.2009 (GL.2008.6).

SonntagsBlick vom 18.1.2009, «Ich habe einen Riesenfehler gemacht».

3905

Der Bundesstrafgerichtspräsident erklärte gegenüber dem stellvertretenden Bundesanwalt, er erwarte, dass der Faxvorfall von der Bundesanwaltschaft zu gegebener Zeit nach Absprache mit dem Bundesstrafgericht kommuniziert werde. Nach Angaben des Bundesstrafgerichtspräsidenten stand der gesundheitliche Aspekt ­ wenn auch nicht physisch so doch psychisch ­ ebenfalls im Raum, doch sei ein Verschweigen für ihn nie in Frage gekommen. Nach Aussage des Leitenden Untersuchungsrichters entschied man sich auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes für dieses Vorgehen. Aus personalrechtlicher Sicht habe kein Anlass bestanden zu informieren. Vom Bundesanwalt wurde zudem befürchtet, die Publikation des Vorfalls könnte zusätzliche Beschwerden und damit weitere Verzögerungen in den von Roduner bearbeiteten Strafverfahren zur Folge haben. Das Bundesgericht als Aufsichtsbehörde über das Bundesstrafgeicht wurde nicht über den Faxvorfall informiert.

Als eine Subkommission der GPK-N am 27. August 2008 Anhörungen zur Effizienzvorlage 2 (EffVor2) durchführte, wurde der Leitende Untersuchungsrichter beiläufig gefragt, ob Ernst Roduner nun den Bundesdienst definitiv verlassen habe.

Der Leitende Untersuchungsrichter erklärte, das sei definitiv. Roduner habe aus gesundheitlichen Gründen sofort zurücktreten müssen. In gleichem Sinn äusserte er sich auch am 25. November 2008, als eine Dreierdelegation der GPK-N beim URA in Bern einen Dienststellenbesuch durchführte. Den Faxvorfall erwähnte er nicht. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gab er als Grund für diese unvollständige Information gegenüber der parlamentarischen Oberaufsicht an, er habe aus Loyalität gegenüber dem Bundesstrafgericht als seiner vorgesetzten Behörde gehandelt.

Am 1. September 2008 insistierte der Bundesstrafgerichtspräsident per Mail beim stellvertretenden Bundesanwalt darauf, dass die Bundesanwaltschaft aktiv über den Faxvorfall informieren sollte. Er schrieb, es wäre bedauerlich, wenn der Zeitpunkt für eine aktive Kommunikation verpasst würde und lediglich auf Berichte reagiert werden müsste. Er überliess den Entscheid über den Zeitpunkt der Information jedoch ausdrücklich der Bundesanwaltschaft. Der stellvertretende Bundesanwalt sah zu diesem Zeitpunkt keine Notwendigkeit zur Information.

Dass das Bundesstrafgericht schliesslich am 16. Januar
2009 über den Faxvorfall informierte, begründete das es gegenüber den GPK mit der Tatsache, dass die Bundesanwaltschaft nach erteilter Ermächtigung immer noch keinen Bedarf für eine Medienmitteilung gesehen habe, worauf das Bundesstrafgericht umgehend informiert habe. Am Tag zuvor hatte sich ein Journalist beim URA gemeldet und über Anhaltspunkte zum Drohfax gesprochen. Dies bestärkte das Bundesstrafgericht in der Überzeugung, dass es die Bundesanwaltschaft bereits verpasst hatte, aktiv von sich aus zu informieren. Deshalb nahm das Bundesstrafgericht den Ermächtigungsentscheid zum Anlass, selbst über den Faxvorfall zu informieren. Nach Angaben des Bundesanwalts hatte die Bundesanwaltschaft ihrerseits vorgesehen, nach dem Eintreffen der Ermächtigung die Öffentlichkeit zu informieren, doch kam ihr dann die Zeitungspublikation zuvor.

3906

2.3

Rahmenbedingungen und Behördenverhalten im Zusammenhang mit dem Faxvorfall

a) Hinweise auf Überforderung Der Leitende Untersuchungsrichter, der für die Fallzuteilung und den Ressourceneinsatz im URA zuständig ist, hatte nicht den Eindruck, dass Ernst Roduner überfordert war. Jedenfalls kommunizierte Roduner ihm gegenüber nichts in diesem Sinne.

In fachlicher Hinsicht weist der Leitende Untersuchungsrichter darauf hin, dass Roduner als Jurist und Richter gute Qualifikationen hatte, dass er jedoch Unterstützung durch juristische Mitarbeitende beanspruchte. Demgegenüber hatte die Bundesanwaltschaft seit längerem den Eindruck, er sei überfordert gewesen und habe zu wenig Unterstützung erhalten. Gegenüber dem Bundesanwalt beklagte sich Roduner einmal darüber, dass sich das URA nicht um ihn kümmere und schon gar nicht das Bundesstrafgericht. Zur Eignung Roduners für seine Aufgabe äusserte der Bundesanwalt, er habe sich seinerzeit darüber gewundert, dass ein Oberrichter zum Untersuchungsrichter gewählt worden sei, da sich die beiden Tätigkeiten stark unterscheiden. Ein Oberrichter erhält in der Regel bereits aufbereitete Akten, während ein Untersuchungsrichter einen Fall von Grund auf erarbeiten muss.

b) Ressourcenknappheit und Arbeitsweise beim URA Die GPK-N hat bereits in ihrem Bericht zu den Strafverfolgungsbehörden des Bundes darauf hingewiesen, dass das URA seit langer Zeit personell stark unterdotiert war und sich dort die Verfahren ­ teilweise seit mehreren Jahren ­ stauten und Verjährungen drohten. Sie forderte vom Bundesstrafgericht, dem Abbau der Pendenzen beim URA hohe Priorität einzuräumen.11 In der Folge verzichtete das Bundesstrafgericht darauf, das Personal im URA aufzustocken, da diese Behörde mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Strafbehörden des Bundes (StBOG)12 voraussichtlich auf Anfang 2011 aufgehoben und das Personal in die Bundesanwaltschaft überführt wird. Zur Entlastung des URA wurden in den letzten zwei Jahren jedoch die Verfahren länger in der Bundesanwaltschaft zurückbehalten und mit einem höheren Detaillierungsgrad bearbeitet. Die I. Beschwerdekammer versucht als Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft und das URA auf eine Konzentration der Kräfte und eine Verwesentlichung der Verfahren hinzuwirken. Trotzdem waren Ende 2008 beim URA immer noch 33 Verfahren hängig (2007 42), während im Jahr 2008 lediglich 22 Fälle (2007 31) erledigt
werden konnten.13 Der Leitende Untersuchungsrichter weist darauf hin, die lange Dauer von komplexen Voruntersuchungen im URA werde stark vom Verhalten der Parteien bestimmt.

Sie habe zahlreiche Möglichkeiten für Beschwerden gegen Handlungen des Untersuchungsrichters, was jedesmal zu Verzögerungen des Verfahrens von mehreren Monaten führt.

11

12 13

Vgl. Überprüfung der Strafverfolgungsbehörden des Bundes, Bericht der GPK-N vom 5.9.2007, Ziff. 2.5, BBl 2008 2046 ff., mit Hinweisen auf die Berichte «Uster» und «Lüthi».

Botschaft vom 10.9.2008 zum Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG), BBl 2008 8125.

Vgl. Geschäftsbericht des Bundesstrafgerichts 2008 vom 27.1.2009.

3907

Ernst Roduner wurde als Einzelgänger wahrgenommen, der niemandem Einblick in seine Verfahren gewährte. Die Arbeitsorganisation im URA kam insofern seinem Arbeitsstil entgegen, als die Untersuchungsrichterinnen und -richter ihre Voruntersuchungen in alleiniger Verantwortung bearbeiten, allenfalls mit juristischer Unterstützung von Mitarbeitenden. Nach Angaben des leitenden Untersuchungsrichters ist er für den effizienten Einsatz der Ressourcen und die Fallzuteilung an die Untersuchungsrichter zuständig. Er nahm jedoch bis anhin kaum Einfluss auf die organisatorische und administrative Führung der Dossiers der einzelnen Untersuchungsrichter, obschon die gesetzlichen Bestimmungen dies durchaus zulassen würden14. Demgegenüber wurde in der Bundesanwaltschaft seit längerer Zeit das Arbeiten in Teams eingeführt, insbesondere bei komplexen Verfahren. Die Staatsanwältinnen und -anwälte sind in einer hierarchischen Führungsstruktur eingebunden und werden geführt. Nach Meinung des Leitenden Untersuchungsrichters ist eine Teambildung im URA wegen seiner Grösse (es sind 10 Untersuchungsrichterinnen und -richter), der Aufteilung auf drei Standorte und der Notwendigkeit, in drei Sprachen zu arbeiten, schwierig.

c) Personalführung und -betreuung Die Untersuchungsrichter werden auf Amtsdauer gewählt und sind in ihrer Strafverfolgungstätigkeit unabhängig. Die organisatorische und administrative Leitung des URA obliegt dem Leitenden Untersuchungsrichter. Eine persönliche Betreuung der Untersuchungsrichter ist nicht vorgesehen, auch nicht in anspruchsvollen Verfahren.

Das Bundesstrafgericht verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es allgemein bekannt sei, dass in der Strafverfolgung hohe Belastungen jeglicher Art entstehen können. Die Herausforderung bestehe darin, die richtigen Personen für die anspruchsvolle Aufgabe zu wählen.

Das Bundesstrafgericht und das Untersuchungsrichteramt haben intern keine Abklärungen zum Faxvorfall durchgeführt. Als der Bundesstrafgerichtspräsident und der Leitende Untersuchungsrichter Ernst Roduner am 9. Juli 2008 mit dem Verdacht konfrontierten, dass er sich selbst einen Drohfax übermittelt hatte, liessen sie es damit bewenden, dass Roduner dazu keine Aussagen machen wollte. Dieser Umstand lässt darauf schliessen, dass sie keine Notwendigkeit sahen, die Beweggründe Roduners und
die Umstände, die zum Vorfall führten, im Hinblick auf organisatorische und führungsmässige Mängel im Amt zu überprüfen.

d) Angebliche telefonische Drohungen gegen Roduner Der Bundesstrafgerichtspräsident und der Leitende Untersuchungsrichter sahen am 9. Juli 2008 keinen Anlass, dem Hinweis Roduners auf angebliche telefonische Drohungen nachzugehen, da sie davon ausgingen, dass der Hinweis von der Bundesanwaltschaft in die bevorstehenden Ermittlungen miteinbezogen werde. Aus Sicht des Gerichts ging es im damaligen Zeitpunkt ausschliesslich um eine sofortige Trennung von Roduner. Gegenüber dem Leitenden Untersuchungsrichter hatte Roduner nie von solchen Drohungen gesprochen. Die Bundesanwaltschaft hat nach Auskunft des Bundesanwalts im Rahmen des Ermittlungsverfahrens keine weiteren Abklärungen zu den angeblichen telefonischen Drohungen getroffen. Anlässlich der 14

Nach dem Reglement vom 25.5.2004 für die eidgenössischen Untersuchungsrichter und Untersuchungsrichterinnen (SR 173.713.1) sorgt der leitende Untersuchungsrichter für die Aufgabenerfüllung durch die Untersuchungsrichter und Untersuchungsrichterinnen sowie für eine rasche Geschäftserledigung (Art. 2 Abs. 1).

3908

Befragungen durch die Bundesanwaltschaft erwähnte Roduner zwar, er habe telefonische Drohungen erhalten. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollte Roduner aber ausdrücklich nicht, dass diesen nachgegangen wird. Er habe vermeiden wollen, dass seine Familie in die Sache hineingezogen werde. Im Weiteren gab Roduner gegenüber der Bundesanwaltschaft an, die betreffenden Drohanrufe auf seinem Telefonbeantworter würden nicht mehr existieren. In der Folge fehlte es der Bundesanwaltschaft an einem konkreten Tathinweis, um ein Verfahren einleiten zu können.

2.4

Auswirkungen des Faxvorfalls

Abgesehen davon, dass der Faxvorfall dem Vertrauen in die Justizbehörden abträglich und dem Ansehen der Justiz geschadet hat, erforderte der sofortige Rücktritt Roduners am 9. Juli 2008 einen Handwechsel der zwei umfangreichen Verfahren, die Roduner bearbeitete. Im Verfahren gegen den Bankier H. entstand eine Verzögerung von einigen Monaten. Die Voruntersuchung wurde im letzten Dezember abgeschlossen.15 Laut Angaben des Bundesstrafgerichts droht keine Verjährung. Im Verfahren gegen Mitglieder der Hells Angels sind nach Angaben des Bundesstrafgerichts keine Auswirkungen durch das Ausscheiden Roduners zu erwarten. Die Voruntersuchung steht kurz vor dem Abschluss.

In finanzieller Hinsicht entstanden dem Bund nach dem sofortigen Ausscheiden Roduners am 9. Juli 2008 keine weiteren Kosten.

3

Beurteilung, Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Aus Sicht der GPK ist das Verhalten des ehemaligen Untersuchungsrichters Ernst Roduner unentschuldbar und mit der Stellung eines Untersuchungsrichters unvereinbar. Der Faxvorfall bleibt für die GPK nicht nachvollziehbar, nicht zuletzt deshalb, weil Roduner sich weigerte, gegenüber den Kommissionen Aussagen zu machen. Der Vorfall ist allerdings aus strafrechtlicher Sicht geklärt und mit einer ausgesprochenen Strafe abgegolten. Ziel des vorliegenden Berichts ist es denn auch nicht, den Vorfall als solchen im Detail zu klären, sondern zu überprüfen, ob Mängel in der Geschäftsführung der betroffenen Behörden den Vorfall begünstigt haben könnten, welche Lehren daraus zu ziehen sind, und welche Folgen der Vorfall für das Funktionieren der Behörden nach sich zieht.

3.1

Informationspolitik

Zwar war für die Information über den strafrechtlichen Aspekt der Angelegenheit die Bundesanwaltschaft zuständig, allerdings erst ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens, also ab 14. Juli 2008. Wann und wie die Bundesanwaltschaft über ein Strafverfahren informiert, gehört zur Verfahrensführung16. Die Bundesanwalt15 16

Medienmitteilung des a.o. Untersuchungsrichters Thomas Hansjakob vom 18.12.2009.

Vgl. Überprüfung der Strafverfolgungsbehörden des Bundes, Bericht der GPK-N vom 5.9.2007, Ziff. 3.2, BBl 2008 2067 f.

3909

schaft informiert dabei nur aus der Sicht der Strafverfolgung. Aus dieser Sicht handelte es sich um ein vergleichsweise geringfügiges Delikt, das kaum eine frühzeitige Information der Öffentlichkeit erforderte. Für die GPK ist jedenfalls nachvollziehbar, dass die Bundesanwaltschaft aus der Sicht der Strafverfolgung keinen Informationsbedarf erkannte.

Ganz anders stellte sich die Situation für das Bundesstrafgericht als direkt vorgesetzte Behörde des URA mit personalrechtlicher und administrativer Verantwortung für das Amt dar. Wenn es sich wie hier um ein unkorrektes Verhalten eines Beamten in verantwortlicher Stellung im Rahmen seiner Funktion handelt, gilt das öffentliche Interesse vorab der Institution und deren Ansehen. Es lag in der Verantwortung des Bundesstrafgerichts, durch eine rechtzeitige und adäquate Information der Öffentlichkeit Transparenz zu schaffen und soweit möglich Schaden von der Justiz und der Strafverfolgung abzuwenden. Diese Verantwortung lag auch nach der Eröffnung des Strafverfahrens weiterhin beim Bundesstrafgericht und konnte nicht an die Bundesanwaltschaft delegiert werden. Dass der Vorfall früher oder später an die Öffentlichkeit dringen würde, war abzusehen. Dieser Gefahr war sich das Bundesstrafgericht zwar bewusst, doch verpasste es den richtigen Zeitpunkt.

Die Information, Roduner trete per sofort aus gesundheitlichen Gründen zurück, entsprach einer Irreführung der Öffentlichkeit, auch wenn gesundheitliche Aspekte möglicherweise eine Rolle gespielt haben mögen. Der wahre Rücktrittsgrund wurde verschwiegen. Dies wird durch die Tatsache unterstrichen, dass das Bundesstrafgericht dem abtretenden Untersuchungsrichter noch für die geleisteten Dienste dankte.

Die GPK sind im Weiteren der Meinung, dass im vorliegenden Fall das Bundesgericht als Aufsichtsbehörde unverzüglich hätte informiert werden müssen. Das Bundesgericht kann seine Aufgabe als Aufsichtsbehörde über das Bundesstrafgericht nicht richtig wahrnehmen, wenn es nicht informiert wird.

Der Leitende Untersuchungsrichter hat vor dem Bekanntwerden des Faxvorfalls zweimal Gremien der GPK-N wissentlich unvollständig über die Rücktrittsgründe Roduners informiert. Er tat dies zwar aus Loyalität gegenüber dem Bundesstrafgericht als vorgesetzter Behörde, doch hat er damit die Pflicht zur wahrheitsgemässen Aussage gegenüber der Oberaufsichtsbehörde verletzt (Art. 156 Abs. 1 ParlG).

Empfehlung 1

Überarbeitung des Informationskonzeptes

Das Bundesstrafgericht überprüft seine Informationspolitik im Hinblick auf administrative und personalrechtliche Fragen, die über die Rechtsprechung hinausgehen. Im Rahmen eines Informationskonzeptes sind die Führungsaufgaben und -verantwortlichkeiten zu definieren, die mit Informationsverantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber dem Bundesgericht als Aufsichtsbehörde und gegenüber dem Parlament verbunden sind.

3910

3.2

Dauer des Strafverfahrens im Zusammenhang mit dem Faxvorfall

Die Bundesanwaltschaft liess knapp fünf Monate verstreichen, bis sie die Einholung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung einleitete. Die GPK üben grundsätzlich Zurückhaltung bei der Beurteilung von Strafverfahren. Es liegt im Ermessen der Ermittlungsbehörde, wann sie welche Untersuchungsschritte einleitet. Für die GPK sind keine Hinweise auf Vertuschungsversuche, wie sie zum Teil in den Medien moniert wurden, erkennbar. Die Gesamtdauer des Verfahrens bis zur Erledigung betrug achteinhalb Monate, was keiner Rechtsverzögerung gleichkommen dürfte, umso mehr, als die Sachlage rasch klar und für die Betroffenen der Ausgang des Verfahrens voraussehbar war.

3.3

Rahmenbedingungen und Behördenverhalten

Einiges spricht dafür, dass Ernst Roduner mit seinen komplexen Verfahren überfordert war, auch wenn es unerklärlich bleibt, weshalb er deswegen zu einer Tat schritt, die er selbst als «Riesenfehler» und «unverzeihliche Kurzschlusshandlung» bezeichnete17 und die vom Bundesanwalt als «Hilferuf eines hoffnungslos überforderten Untersuchungsrichters» qualifiziert wurde. Auf eine Überforderung lässt bereits die Tatsache schliessen, dass das Verfahren Hells Angels seit 2005 und das Verfahren gegen H. seit 2004 bei Untersuchungsrichter Roduner hängig waren.

Es ist unverkennbar, dass Roduner als Untersuchungsrichter dieser zwei Verfahren, die stark im Blickwinkel der Öffentlichkeit standen, auch persönlich unter Druck kam. Trotzdem haben ihn das Bundesstrafgericht und die Leitung des URA im Alleingang weitermachen lassen. Hier hat es eindeutig an der nötigen Umsicht und Führung durch die Verantwortlichen gefehlt.

Die Verantwortlichen haben sich auch nicht darum bemüht, nach möglichen Ursachen für den Vorfall zu suchen, um Rückschlüsse auf Mängel in der Organisation oder der Führung des Amtes schliessen zu können. Administrative und aufsichtsrechtliche Massnahmen werden durch ein eingeleitetes Strafverfahren nicht ausgeschlossen. Sie wären in diesem Fall mindestens prüfenswert gewesen.

Die Abklärungen haben im Weiteren gezeigt, dass die Ressourcensituation beim URA nach wie vor kritisch ist. Zudem fehlt es an einer eigentlichen Führung der einzelnen Untersuchungsrichterinnen und -richter. Mit der voraussichtlichen Überführung des URA in die Bundesanwaltschaft auf Anfang 2011 ist ein Ende der heutigen unbefriedigenden Situation absehbar. Dennoch erscheint es den GPK angezeigt, dass die Verantwortlichen soweit möglich Massnahmen zur besseren Führung und Betreuung der Untersuchungsrichterinnen und -richter sowie Teambildungen bei komplexen Verfahren prüfen.

Schliesslich ist es für die GPK schwer nachvollziehbar, dass das Bundesgericht ­ bis 2004 Wahlbehörde für die eidgenössischen Untersuchungsrichter ­ Roduner vor dem Hintergrund seiner Vorgeschichte überhaupt als Untersuchungsrichter wählte, was schlussendlich das damalige Evaluationsverfahren in Frage stellt.

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SonntagsBlick vom 18.1.2009, «Ich habe einen Riesenfehler gemacht».

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Empfehlung 2

Massnahmen zur verstärkten Führung und Betreuung

Das Bundesstrafgericht prüft Massnahmen zur Verstärkung von Führung und Betreuung der Untersuchungsrichterinnen und -richter sowie die Bildung von Teams bei komplexen Verfahren im Hinblick auf einen nahtlosen Übergang des URA in die Bundesanwaltschaft.

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Weiteres Vorgehen

Die GPK ersuchen das Bundesgericht als Aufsichtsbehörde über das Bundesstrafgericht, zu Schlussfolgerungen und Empfehlungen des vorliegenden Berichts bis zum 31. März 2010 Stellung zu nehmen.

22. Januar 2010

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates Die Präsidien: Maria Roth-Bernasconi, Nationalrätin Claude Janiak, Ständerat Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommissionen Gerichte: Hansruedi Stadler, Ständerat Die Sekretärin der Subkommissionen Gerichte: Irene Moser

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