10.050 Botschaft über die Planung von Massnahmen zur Begrenzung volkswirtschaftlicher Risiken durch Grossunternehmen vom 12. Mai 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Planung von Massnahmen zur Begrenzung volkswirtschaftlicher Risiken durch Grossunternehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

12. Mai 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2010-1082

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Arbeiten der Expertenkommission

Wie die globale Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt hat, kann eine Gefährdung der Stabilität der Finanzbranche auch für die restliche Wirtschaft eine erhebliche Bedrohung darstellen. Die Situation in der Schweiz ist dabei insofern speziell, als die hiesige Wirtschaft durch ­ im Vergleich zur Grösse der Gesamtwirtschaft ­ grosse Finanzinstitute geprägt ist. Charakteristisch für unsere offene Volkswirtschaft ist zudem die hohe internationale Vernetzung der Finanzinstitute.

Eine Insolvenz eines grossen Finanzinstituts hätte schwerwiegende Auswirkungen auf unser Land. Dies insbesondere darum, weil solche Institute für die Schweizer Wirtschaft zentrale Dienstleistungen anbieten, die bei drohender Insolvenz nicht rechtzeitig von anderen Marktteilnehmern angeboten werden könnten. Funktionen, die für die Wirtschaft von vitaler Bedeutung sind, würden so wegfallen; das Institut erweist sich als systemrelevant, als «too big to fail».

Mit der Finanzkrise manifestierte sich die «Too big to fail»-Problematik in ganz akuter Art und Weise. In der Schweiz war das finanzielle Engagement von Bund und Schweizerischer Nationalbank zur Stützung der UBS in absoluten Zahlen bedeutend und diente der Abwendung eines erheblichen volkswirtschaftlichen Schadens. Der Bundesrat hat zudem im November 2009 eine «Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen» ernannt. Der Expertenkommission gehören Vertreter von Behörden, Wissenschaft und Privatindustrie an. Sie soll in einem Bericht Lösungsansätze zur «Too big to fail»-Problematik aufzeigen.

Die Expertenkommission hat am 22. April 2010 einen Zwischenbericht veröffentlicht, in dem sie erste Ergebnisse ihrer Analyse präsentiert1. Der Zwischenbericht zeigt ferner die Stossrichtung der zu ergreifenden Massnahmen auf und orientiert über die weiteren bevorstehenden Arbeitsschritte. Schliesslich werden darin für systemrelevante Banken gesetzliche Bestimmungen formuliert, die im Bankengesetz vom 8. November 19342 einzufügen wären.

Laut Expertenkommission können sich die Massnahmen innerhalb des Finanzsektors deshalb auf die Banken beschränken, weil dem Versicherungsgeschäft in der Schweiz nicht die gleiche Systemrelevanz zukommt.

1.2

Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat hat am 28. April 2010 den Zwischenbericht der Expertenkommission zustimmend zur Kenntnis genommen. Er erachtet es als richtig, dass der Zwischenbericht Massnahmen in den zwei Bereichen Prävention und Schadensbegrenzung vorschlägt. Präventiv wirkt die empfohlene Erhöhung der Anforderungen in den 1 2

http://www.sif.admin.ch/dokumentation/00514/00519/00592/index.html?lang=de SR 952.0

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Bereichen Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung. Dies ist das zentrale Element zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz einer systemrelevanten Bank. Da Finanzkrisen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden können, sind aber auch schadensbegrenzende Massnahmen nötig. Sie sollen subsidiär angewendet werden können. In diesem Bereich sind Eingriffe in die Organisation, wie Struktur, Führung, Kontrolle sowie konzerninterne Liquiditäts- und Kapitalflüsse zu prüfen, welche zur Weiterführung von systemrelevanten Funktionen im Falle einer Insolvenz der Bank notwendig sind.

Der Bundesrat erachtet es daher als nötig, dass systemrelevante Banken stärker reguliert werden. Er betrachtet dabei den von der Expertenkommission vorgeschlagenen Gesetzestext als Grundlage für die Gesetzgebungsarbeiten des Bundes zu den vorgeschlagenen Kernmassnahmen.

Der Bundesrat teilt schliesslich die Auffassung der Expertenkommission, dass die im Zwischenbericht herausgearbeiteten Kernmassnahmen nun konkretisiert und weitere Massnahmen vertieft geprüft und priorisiert werden. Im Schlussbericht wird die Expertenkommission ein Gesamtpaket von Massnahmen vorlegen. Der Bundesrat erwartet, dass die Expertenkommission die Wirksamkeit aller Massnahmen zur Eindämmung der «Too big to fail»-Problematik sowie deren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft analysiert. Der Bundesrat hat die Expertenkommission aufgefordert, die Fertigstellung des Schlussberichts auf den 31. August 2010 vorzuziehen.

Der Bundesrat hat im Weiteren am 28. April 2010 drei Massnahmen gegen Lohnexzesse im Finanzsektor vorgeschlagen. Unangemessene Vergütungssysteme mit falschen Anreizen waren mitverantwortlich dafür, dass übersteigerte Risiken eingegangen wurden, die zur Finanzmarktkrise geführt haben. Sie sind deshalb auch im Hinblick auf die «Too big to fail»-Problematik relevant. Als erste Massnahme sollen Salärsysteme von Finanzunternehmen, die Staatshilfe beanspruchen müssen, künftig einschränkend reguliert werden. Zweitens sollen künftig die variablen Lohnausschüttungen, die vom Unternehmensgewinn abhängig sind, als Gewinnverteilung besteuert werden. Der Bundesrat wird bis Herbst 2010 für diese beiden Massnahmen eine Vernehmlassungsvorlage unterbreiten. Als dritte Massnahme sollen Mitarbeiteroptionen künftig nicht mehr bei der Zuteilung,
sondern bei der Ausübung der Option besteuert werden. Das EFD wird in Bezug auf diese letzte Massnahme den zuständigen Parlamentskommissionen im Mai 2010 die bundesrätlichen Vorschläge unterbreiten.

1.3

Planung der weiteren Arbeiten

Der Bundesrat beabsichtigt, dem Parlament umgehend nach Vorlage des Schlussberichts der Expertenkommission gesetzgeberische Vorschläge zur Eindämmung der «Too big to fail»-Problematik zu unterbreiten. Damit können die Entscheidungen zum Gesamtpaket auf Basis eines umfassenden Überblicks über dessen Auswirkungen und unter Berücksichtigung der weiteren internationalen Entwicklungen getroffen werden. Dieses weitere Vorgehen bildet Gegenstand der hier präsentierten Vorlage.

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2

Der beantragte Erlass

2.1

Zweck

Wie dargelegt, betrachtet der Bundesrat eine Lösung der «Too big to fail»-Problematik als vordringlich; er will rasch wirksame Lösungen vorschlagen können. Er geht dabei davon aus, dass auch das Parlament einen entsprechenden Handlungsbedarf bejaht, und er legt hier daher den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss vor, der diesen übereinstimmenden politischen Willen auf eine verbindliche Weise in Form einer Planung konkretisiert.

2.2

Form

Die Planung der Staatstätigkeit ist eine verfassungsmässige gemeinsame Aufgabe von Bundesversammlung und Bundesrat (Art. 173 Abs. 1 Bst. g und 180 Abs. 1 der Bundesverfassung3; BV). Die Verfassungsbestimmung zur Bundesversammlung wird konkretisiert in Artikel 28 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG); Demnach wirkt das Parlament bei den wichtigen Planungen der Staatstätigkeit mit, indem es u.a. Grundsatz- und Planungsbeschlüsse fasst (Abs. 1 Bst. c). Bei diesen handelt es sich um Vorentscheidungen, die festlegen, dass bestimmte Ziele anzustreben, Grundsätze und Kriterien zu beachten oder Massnahmen zu planen sind (Abs. 2). Das Parlament erlässt solche Beschlüsse (soweit sie nicht von grosser Tragweite sind) in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses (Abs. 3). Der Bundesrat seinerseits kann der Bundesversammlung nach Artikel 148 ParlG neben den vom Gesetz vorgesehenen Planungen und Berichten weitere Planungen und Berichte zur Information oder zur Kenntnisnahme unterbreiten (Abs. 1) oder Ziele oder Schlussfolgerungen wichtiger Planungen oder Berichte in der Form des Entwurfs zu einem einfachen Bundesbeschluss oder zu einem Bundesbeschluss vorlegen (Abs. 2).

Der Bundesrat unterbreitet daher der Bundesversammlung nicht nur die gesetzlich vorgesehenen Planungen und Berichte (z. B. Finanzplan nach Art. 143 ParlG, Legislaturplanung nach Art. 146 ParlG), sondern ­ wie in der Praxis schon oft geschehen ­ auch etwa Sachbereichsplanungen (z.B. Armeeleitbild, Integrationsbericht, Gesamtverkehrskonzeption etc.) oder Vorentscheide und Vorgehensentscheide zu einzelnen Sachfragen (z.B. zum indirekten Gegenentwurf zur Volksinitiative «Ja zu Europa», BBl 1999 3830)5.

Vorliegend wird entsprechend der Tragweite der Vorlage ein einfacher (also dem Referendum nicht unterstehender) Bundesbeschluss unterbreitet (vgl. Art. 28 Abs. 3 ParlG). Die (inhaltlich weit bedeutendere) Legislaturplanung ergeht ebenfalls in dieser Form (BBl 2008 8543).

3 4 5

SR 101 SR 171.10 Vgl. Ehrenzeller, St. Galler Kommentar, 2. Aufl., zu Art. 173 BV Rz. 85 und 99.

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2.3

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

Art. 1 In dieser zentralen Bestimmung des Beschlusses manifestieren Bundesversammlung und Bundesrat ihr übereinstimmendes Bekenntnis, die «Too big to fail»-Problematik ernsthaft anzugehen. Die Art und Weise der Lösung wird programmatisch dargelegt: Es sollen wirksame Massnahmen auf dem Gesetzesweg gefunden werden und es soll rasch vorgegangen werden.

Art. 2 Abs. 1 Diese Bestimmung umreisst das Ziel der zu treffenden gesetzlichen Massnahmen.

Sie orientiert sich insbesondere am Vorschlag der Expertenkommission zur Anpassung des Bankengesetzes (vgl. Zwischenbericht S. 23 ff.). Entsprechend dem Umstand, dass die grossen Finanzinstitute den überwiegenden Teil der «Too big to fail»-Problematik verursachen, sollen insbesondere die Risiken der systemrelevanten Banken limitiert werden.

Abs. 2 Dieser Absatz definiert den Begriff der systemrelevanten Bank, wie er auch im Zwischenbericht verwendet wird. Es kann an dieser Stelle nicht abschliessend definiert werden, welches Finanzinstitut als systemrelevant im hier genannten Sinn zu gelten hat. Der Expertenkommission folgend ist immerhin festzustellen, dass die Systemrelevanz im Finanzsektor sich aus einer Kombination von Grösse, Vernetzung und volkswirtschaftlich wichtigen Leistungen ergibt, die nicht oder zumindest nicht rasch genug von anderen Leistungserbringern übernommen werden können.

Die Systemrelevanz hängt damit insbesondere ab vom Marktanteil am inländischen Kredit- und Einlagengeschäft sowie am Zahlungsverkehr, von der Höhe der ungesicherten Einlagen, vom Verhältnis der Bilanzsumme zum Bruttoinlandprodukt sowie vom Risikoprofil des Finanzinstituts (vgl. Zwischenbericht S. 16).

Abs. 3 Hier werden die gegenüber systemrelevanten Banken konkret vorzusehenden gesetzlichen Massnahmen aufgeführt. Im Vordergrund stehen dabei Änderungen des Bankengesetzes vom 8. November 19346. Der Inhalt des Vorschlags der Expertenkommission wird ausdrücklich als Grundlage für einen neuen Abschnitt des Bankengesetzes zu den systemrelevanten Banken erwähnt. Strengere Regelungen haben namentlich im Bereich der ­ für die Solidität eines Bankinstituts wesentlichen ­ Anforderungen an Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung anzusetzen. Bei den Eigenmitteln wird insbesondere an risikogewichtete Anforderungen und an eine «Leverage ratio» zu denken sein, bei der Liquidität
an eine Erhöhung der Anforderungen und bei der Risikoverteilung an eine Reduktion der Klumpenrisiken bei den Aktiven. Die Massnahmen im Bereich der Organisation sollen es ermöglichen, im Krisenfall die Weiterführung von systemrelevanten Funktionen zu gewährleisten, ohne dass ein ganzer Konzern von der öffentlichen Hand gerettet werden muss.

Ansatzpunkte für gesetzliche Regelungen bilden hier organisatorische Vorgaben vor 6

SR 952.0

3371

allem in den Bereichen Struktur, Führung und Kontrolle sowie konzerninterne Liquiditäts- und Kapitalflüsse.

Abs. 4 Diese Bestimmung legt noch einmal dar, dass die Gesetzesänderungen zu einer massgeblichen Verringerung der von systemrelevanten Banken ausgehenden Risiken führen sollen.

Abs. 5 In dieser Bestimmung wird klargestellt, dass sich die Massnahmen nach dem verfassungsmässigen Gebot der Rechtsgleichheit zu richten haben und nur soweit gehen sollen, als dies zu einer massgeblichen Verringerung der Risiken tatsächlich notwendig ist. Der Umfang und die Ausgestaltung der Massnahmen haben sich zudem nach dem Grad der Systemrelevanz der Banken zu richten.

Art. 3 Ein ernsthaftes Bekenntnis, eine Lösung der «Too big to fail»-Problematik finden zu wollen, bedingt auch zeitliche Vorgaben. Ausgangspunkt bildet dabei die Abgabe des Schlussberichts der Expertenkommission, der vom Bundesrat auf Ende August 2010 erwartet wird. Der Zeitplan für die hierauf vorzunehmenden gesetzgeberischen Arbeiten ist sehr ambitiös. Infolge der Dringlichkeit der Sache soll die Vernehmlassung zum ­ gestützt auf den Schlussbericht zu erstellenden ­ bundesrätlichen Vorentwurf konferenziell durchgeführt werden (Art. 7 Abs. 3 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20057), was einen erheblichen Zeitgewinn ermöglicht. Auch für die folgenden Schritte wurde das absolute Minimum an Zeitbedarf eingerechnet.

Art. 4 Der Bundesrat hat am 28. April 2010 Massnahmen gegen Lohnexzesse im Finanzsektor vorgeschlagen. Als erste Massnahme sollen Salärsysteme von Finanzunternehmen, die Staatshilfe beanspruchen müssen, künftig einschränkend reguliert werden. Zweitens sollen künftig die variablen Lohnausschüttungen, die vom Unternehmensgewinn abhängig sind, als Gewinnverteilung besteuert werden. Der Bundesrat wird im Herbst 2010 für diese beiden Massnahmen eine Vernehmlassungsvorlage unterbreiten. Mit der vorliegenden Bestimmung schlägt er dem Parlament vor, von dieser Absichtserklärung Kenntnis zu nehmen, was ihr eine zusätzliche Verbindlichkeit verleiht.

3

Auswirkungen auf die Bundesfinanzen und die Volkswirtschaft

Die Vorlage hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Bundesfinanzen und die Volkswirtschaft.

7

SR 172.061

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4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 23. Januar 20088 über die Legislaturplanung 2007­2011 noch im Bundesbeschluss vom 18. September 20089 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt. Die Gründe ergeben sich aus den vorstehenden Ausführungen.

5

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Der vorgelegte einfache Bundesbeschluss stützt sich auf Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe g BV sowie die Artikel 28 und 148 ParlG. Er untersteht nicht dem Referendum (Art. 28 Abs. 3 erster Satz ParlG).

8 9

BBl 2008 753 BBl 2008 8543

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