10.031 Botschaft zum Bundesgesetz über die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens vom 24. Februar 2010

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen einen Entwurf zum Bundesgesetz über die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. Februar 2010

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-3020

1467

Übersicht Bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren soll der Asylentscheid in wenigen Einzelfällen beim Bundesgericht anfechtbar sein. Flankierende Massnahmen zielen auf eine bessere Koordination und Beschleunigung der Verfahren ab.

Ausgangslage Eine Arbeitsgruppe des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements untersuchte, wie parallel laufende Asyl- und Auslieferungsverfahren besser koordiniert werden können. Auslöser waren verschiedene Auslieferungsfälle, in denen die strafrechtlich verfolgte Person die Schweiz um Asyl ersuchte. Bei der Abwicklung der parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren kam es zu Koordinationsproblemen.

Die zeitlichen und inhaltlichen Koordinationsdefizite, die bei etwa drei Fällen pro Jahr ernsthafte Probleme schaffen, sind auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Es gibt systembedingte Unterschiede beim Verfahren und beim Rechtsmittelweg. Die Asyl- und die Auslieferungsverfahren fallen in die Zuständigkeit verschiedener Bundesbehörden, und es gelten unterschiedliche Rechtsmittelwege. Im Einzelfall kann dies widersprüchliche Asyl- und Auslieferungsentscheide zur Folge haben und zu Verfahrensverzögerungen führen. Die Koordinationsschwierigkeiten rühren aber auch daher, dass für beide Verfahren unterschiedliche Zielsetzungen gelten. Beim Asylverfahren steht der Schutz der asylsuchenden Person vor Verfolgung im Vordergrund, beim Auslieferungsverfahren hingegen steht das Interesse der Strafverfolgung im Zentrum. In beiden Verfahren müssen die Asyl- und die Auslieferungsbehörden die konkrete Gefährdung der betroffenen Person im Heimatstaat prüfen.

Inhalt der Vorlage Im Vordergrund stehen drei Massnahmen. Sie bezwecken, die Informationsbeschaffung zwischen den Asyl- und den Auslieferungsbehörden zu verbessern, das Asylverfahren zu beschleunigen und widersprüchliche Asyl- und Auslieferungsentscheide zu vermeiden. Letztere können im Einzelfall eine längere Auslieferungshaft nach sich ziehen und der internationalen Glaubwürdigkeit der Schweiz schaden. Die Massnahmen sollen möglichst wenig in das Verfahrensrecht eingreifen, einer unverhältnismässig langen Auslieferungshaft vorbeugen, eine unnötige Verfahrensverzögerung vermeiden und keine Entscheide in juristischen Fremdbereichen erfordern.

Konkret wird im Asylbereich in bestimmten Fällen der Zugang zum Bundesgericht
geöffnet. Dies ermöglicht ein Zusammenführen des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens auf der Stufe des Bundesgerichts und eine gebührende Berücksichtigung des Non-Refoulement-Gebots. Der Zugang zum Bundesgericht im Asylbereich bleibt auf wenige Einzelfälle beschränkt, sodass die Änderung bei der Rechtsmittelordnung vertretbar ist. Ergänzend wird im Asylverfahren das Beschleunigungsgebot gesetzlich verankert. Im Asyl- und im Auslieferungsverfahren wird eine Verpflichtung zum gegenseitigen Aktenbeizug eingeführt.

Für die Umsetzung der Massnahmen sind Anpassungen im Asyl-, im Bundesgerichts- und im Rechtshilfegesetz notwendig (SR 142.31, 173.110, 351.1).

1468

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Diverse Auslieferungsfälle, in denen die strafrechtlich verfolgte oder verurteilte Person die Schweiz um Asyl ersuchte, haben gezeigt, dass bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren Koordinationsprobleme mit nachteiligen Folgen entstehen können.

Pro Jahr gibt es rund 10 Fälle, in denen parallel ein Asyl- und Auslieferungsverfahren hängig ist.1 Davon bieten etwa drei Fälle erhebliche Probleme, d.h. knapp 2 % von den an die Schweiz gerichteten Auslieferungsersuchen. Der geringen Zahl der Problemfälle steht die Tatsache gegenüber, dass die Auswirkungen im Einzelfall belastend und stossend sein können. Diese Fälle können dazu führen, dass eine im Ausland strafrechtlich verfolgte Person, die in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt hat, ungebührlich lange in Auslieferungshaft sitzen muss oder dass die Schweiz solche Personen nicht ausliefern kann.

Vor diesem Hintergrund setzte die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements am 25. August 2008 eine Arbeitsgruppe ein mit dem Ziel, Verbesserungsmöglichkeiten bei der Koordination der beiden Verfahren zu prüfen. Die Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundesstrafgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Departements für auswärtige Angelegenheiten (Direktion für Völkerrecht) und des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (Bundesamt für Migration und Bundesamt für Justiz), lieferte ihren Schlussbericht am 18. Februar 2009 mit Lösungsvorschlägen ab.2 Dieser Bericht bildet die Grundlage für die Vorlage.

1.1.1

Problemanalyse

1.1.1.1

Geltendes Verfahren

Das Asyl- und das Auslieferungsverfahren fallen in die Zuständigkeit zweier verschiedener Bundesämter: Das Bundesamt für Migration entscheidet über Asylanträge, das Bundesamt für Justiz über Fahndungs- und Auslieferungsersuchen. Der Asylentscheid wird abschliessend vom Bundesverwaltungsgericht beurteilt, während der Auslieferungsentscheid vom Bundesstrafgericht und in letzter Instanz vom Bundesgericht beurteilt wird, sofern ein besonders bedeutender Fall vorliegt.3 Diese

1 2

3

Die Schweiz erhält jährlich über 200 Auslieferungsersuchen vom Ausland (2009: 345 Ersuchen; 2008: 262 Ersuchen; 2007: 215 Ersuchen).

Mitglieder der Arbeitsgruppe: Rudolf Wyss, (Präsident), Erwin Jenni, Astrid Offner, Philippe Gerber (Bundesamt für Justiz); Mario Vena (Bundesverwaltungsgericht); Cornelia Cova (Bundesstrafgericht); Matthias Keusch (Bundesamt für Migration); Dieter Cavalleri (Direktion für Völkerrecht).

Über die Einrede des politischen Delikts entscheidet das Bundesstrafgericht in erster Instanz (Art. 55 Abs. 2 des Rechtshilfegesetzes).

1469

Rechtsmittelordnung geht auf die Justizreform zurück und gilt seit dem 1. Januar 2007.4 Sowohl im Asyl- wie im Auslieferungsverfahren ist der Grundsatz des NonRefoulement zu beachten. Gemäss diesem zum zwingenden Völkerrecht zählenden Prinzip darf niemand in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht.5 Das Prinzip ist namentlich in Artikel 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 19846 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Folterkonvention), in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 19507 (EMRK) sowie in Artikel 7 des Internationalen Paktes vom 16. Dezember 19668 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) verankert.

Für das Asylverfahren findet sich das Non-Refoulement-Prinzip in Artikel 33 Absatz 1 der Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 19519, in Artikel 25 Absatz 2 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV)10 und in Artikel 5 des Asylgesetzes vom 26. Juni 199811. Es untersagt die Ausweisung oder Rückführung eines Flüchtlings in ein Land, wo das Leben oder die Freiheit des Betroffenen wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre. Diese Bestimmungen schliessen eine Ausweisung an den Verfolgerstaat, d.h. den Heimatoder Herkunftsstaat aus.

Für das Auslieferungsverfahren hält das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 195712 den Grundsatz des Non-Refoulement in Artikel 3 Ziffer 2 fest: Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn sie von dem Staat verlangt wird, in dem eine Verfolgung droht. Das Rechtshilfegesetz vom 20. März 198113 (IRSG) enthält in Artikel 2 eine ähnliche Regelung. Das Auslieferungsverbot bei drohender Folter oder grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung stützt sich im schweizerischen Landesrecht auf Artikel 25 Absatz 3 der Bundesverfassung.

Sowohl im Asyl- wie auch im Auslieferungsverfahren muss die konkrete Gefährdung der betroffenen Person im Verfolgerstaat abgeklärt werden. Dies führt aufgrund der Parallelität der beiden Verfahren dazu, dass weitgehend die gleichen Fragen von zwei Bundesstellen aus unterschiedlicher Optik untersucht und von verschiedenen
Gerichten des Bundes überprüft werden. Hinzu kommen praktische Probleme, weil zwischen den Datenbanken der beiden Bundesämter keine automatisierte Schnittstelle besteht.

4

5 6 7 8 9 10 11 12 13

Der Ständerat war bei der Beratung des Bundesgerichts- und des Verwaltungsgerichtsgesetzes ursprünglich dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt, der für Auslieferungs- und Rechtshilfeentscheide das Bundesverwaltungsgericht als erste und zugleich letzte Beschwerdeinstanz vorsah (01.023; AB 2003 S 875).

BBl 2009 5102 SR 0.105 SR 0.101 SR 0.103.2 SR 0.142.30 SR 101 SR 142.31 SR 0.353.1 SR 351.1

1470

Nach geltender Praxis des Bundesgerichts kann eine Person, die parallel zu einem Auslieferungsverfahren um Asyl ersucht, nicht an den Verfolgerstaat ausgeliefert werden, solange das Asylgesuch nicht rechtskräftig abgelehnt worden ist. Hat eine Person den Flüchtlingsstatus erhalten, so darf ein Auslieferungsverfahren nur durchgeführt werden, wenn das Asyl vorgängig widerrufen worden ist.14

1.1.1.2

Mängel des Verfahrens

Die getrennten Verfahren und unterschiedlichen Rechtsmittelwege im Asyl- und im Auslieferungsverfahren können zu Informationsdefiziten führen. Es sind widersprüchliche Asyl- und Auslieferungsentscheide möglich. Dies kann im Einzelfall eine unverhältnismässig lange Auslieferungshaft zur Folge haben. So musste in einem Auslieferungsverfahren mit der Türkei, in dem das Bundesgericht die Auslieferung grundsätzlich bewilligt hatte, der Verfolgte nach drei Jahren Auslieferungshaft entlassen werden, nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Flüchtlingseigenschaft bejaht hatte.15 In einem Auslieferungsverfahren mit Kroatien wurde der Verfolgte trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Auslieferungsentscheids nach über einem Jahr aus der Auslieferungshaft entlassen, weil das Bundesstrafgericht die Haft im Verhältnis zur Vollstreckung einer 20-monatigen Freiheitsstrafe als zu lange betrachtete und das Bundesverwaltungsgericht über die Asylfrage noch nicht entschieden hatte.16 Im letzten Fall konnte der Auslieferungsentscheid nicht vollstreckt werden, weil der Verfolgte floh und Kroatien nach dessen erneuter Verhaftung in der Schweiz im April 2009 das Auslieferungsersuchen zurückzog.

Aufgrund dieser systembedingten Unterschiede können sich bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren, bei denen eine allfällige diskriminierende Verfolgung, eine Verfolgung wegen eines politischen Delikts oder die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung zu prüfen sind, Koordinationsschwierigkeiten ergeben. Sie sind u.a.

darauf zurückzuführen, dass die beiden Verfahren unterschiedliche Zielsetzungen haben und daher verschiedenen Regeln unterliegen.

Als Illustration für Fallkonstellationen, die Probleme bei der Koordination bieten können, mögen folgende Beispiele dienen:

14 15 16

­

Ein Asylgesuch wird kurz vor oder nach einer Festnahme zwecks Auslieferung an den Heimat- und Verfolgerstaat eingereicht.

­

Ein Asylentscheid ist rechtskräftig, und das Auslieferungsverfahren ist noch hängig.

­

Ein Auslieferungsentscheid ist rechtskräftig, und kurz vor dem Vollzug der Auslieferung reicht die betroffene Person ein Asylgesuch ein.

­

Ein Auslieferungsentscheid ist rechtskräftig, aber es steht noch der Asylentscheid aus.

­

Einer betroffenen Person wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt; danach ersucht der Verfolgerstaat um ihre Auslieferung. Es stellt sich die Frage des Asylwiderrufs bzw. der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Z.B. BGE 1A.267/2005 vom 14. Dez. 2005 (E. 3).

Fall E. (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-4286/2008 vom 17. Okt. 2008).

Fall P. (Urteil des Bundesstrafgerichts RR.2008.46 vom 22. April 2008).

1471

Die nachfolgende Übersicht zeigt die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Asyl- und dem Auslieferungsverfahren auf.

Asylverfahren

Auslieferungsverfahren

Beim Asylverfahren steht der Schutz vor Verfolgung im Mittelpunkt; ein Asylgesuch darf voraussetzungslos gestellt werden und hat gegenüber allen Behörden Geltung.

Beim Auslieferungsverfahren steht das Interesse der Strafverfolgung im Vordergrund.

Im Asylverfahren steht der Schutz der antragstellenden Person im Zentrum.

Die Flüchtlingseigenschaft bzw. die Asylunwürdigkeit muss von Amtes wegen geprüft werden. Diese Prüfung dient dazu, eine strafrechtlich legitime Verfolgung (prosecution) von einer asylrechtlich potenziell relevanten Verfolgung (persecution) zu unterscheiden.

Im Auslieferungsverfahren steht das Ersuchen eines anderen Staates um Auslieferung einer Person zwecks Strafverfolgung oder Strafvollstreckung im Vordergrund. Dabei werden in der Regel keine Schuld- und Tatfragen geprüft.17

Das Non-Refoulement-Gebot bildet den Im Auslieferungsverfahren ist das NonKern des Asylverfahrens.

Refoulement-Gebot eine völker- und verfassungsrechtliche Barriere gegen eine sonst zulässige Auslieferung.

Im Asyl- und Wegweisungsverfahren werden diplomatische Garantien nicht eingeholt.18

Im Auslieferungsverfahren können vom ersuchenden Staat diplomatische Garantien verlangt werden, insbesondere zur Einhaltung der Grundrechte.19

1.2

Untersuchte Lösungsmöglichkeiten

1.2.1

Leitgedanken

Bei den Lösungsmodellen, welche die heutige Verfahrenssituation verbessern sollen, stehen vier Überlegungen im Mittelpunkt. Die Lösung soll sich widersprechende Asyl- und Auslieferungsentscheide soweit wie möglich ausschliessen, möglichst wenig in das Verfahrensrecht eingreifen, eine unverhältnismässig lange Auslieferungshaft vermeiden und keine Entscheide in juristischen Fremdbereichen erfordern.

17 18 19

Siehe BGE 1A.80/2004 vom 8. Juli 2004 und BGE 1A.288/2004 vom 28. Febr. 2005.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-4286/2008 vom 17. Okt. 2008, E. 4.8.2.

BGE 1C_205/2007 vom 18. Dez. 2007; siehe auch Kritik des UNHCR, in: Guidance Note on Extradition and International Refugee Protection (April 2008), Randziffer 29, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/481ec7d92.html

1472

Wegleitende Kriterien sind: Der Asyl- und der Auslieferungsentscheid müssen kohärent sein. Die Lösung ist einfach umzusetzen. Sie trägt dem Zeitfaktor Rechnung (Haftfälle/Vermeidung von Verfahrensverzögerungen) und erlaubt ein Arbeiten im angestammten Fachbereich der jeweiligen Behörde.

1.2.2

Geprüfte Lösungsmodelle

Die analysierten Massnahmen und Lösungsvarianten lassen sich wie folgt zusammenfassen: ­

Einführung von Verfahrensregeln, mit denen Informationsdefizite zwischen den Asyl- und den Auslieferungsbehörden behoben werden können und das Asylverfahren beschleunigt werden soll;

­

Änderungen beim erstinstanzlichen Verfahren und beim Beschwerdeverfahren, mit denen widersprüchliche Asyl- und Auslieferungsentscheide korrigiert bzw. verhindert werden sollen;

­

Neuregelung der Kompetenzen der Fachbehörden und der beiden erstinstanzlichen Gerichte des Bundes bei der Beurteilung der politischen Verfolgung sowie des Bundesgerichts, das in letzter Instanz über die Flüchtlingseigenschaft und die Auslieferung entscheidet;

­

Sistierung des Auslieferungsverfahrens bis zum Vorliegen eines erstinstanzlichen Asylentscheids.

Bewertung Kein Modell bringt die Ideallösung. Alle haben ihre Vor- und Nachteile. Gemeinsam ist allen Modellen, dass sie nicht sämtliche Fallkonstellationen abdecken können.

Dies trifft vor allem auf die Fälle zu, in denen das Asylverfahren dem Auslieferungsverfahren nachgelagert ist und die beiden Verfahren zeitlich stark auseinanderliegen.

Gegen Lösungsmodelle, die einen Eingriff in die Kompetenzen der beiden erstinstanzlichen Gerichte des Bundes vorsehen (z.B. gemischte Urteilskammern), sprechen vor allem Praktikabilitätsüberlegungen. Ein System mit gemischten Gerichtskammern ist zudem der schweizerischen Rechtsordnung fremd. Es birgt die Gefahr, dass Richter, die an beiden Verfahren mitwirken, nach der Teilnahme am ersten Verfahren als befangen betrachtet werden müssen.

Eine Zusammenführung des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens bei der Fachbehörde (Bundesamt für Justiz oder Bundesamt für Migration) oder auf der Rekursebene bringt keine echte Verbesserung, weil diese Lösungsvarianten am unterschiedlichen Rechtsmittelweg nichts ändern und somit widersprüchliche Asyl- und Auslieferungsentscheide nicht völlig ausschliessen können.

Eine Sistierung des Auslieferungsverfahrens bis zum Vorliegen eines erstinstanzlichen Asylentscheids wäre für Fälle, in denen die Einrede einer politischen Verfolgung nicht offensichtlich unbegründet erscheint, ein denkbarer Lösungsansatz. Das Hauptargument gegen diese Lösung sind der Zeitfaktor und das Missbrauchspotenzial. Das Auslieferungsverfahren würde länger dauern und die betroffene Person müsste länger in Auslieferungshaft bleiben, weil mit dem Auslieferungsentscheid und dem Beschwerdeverfahren zugewartet werden müsste, bis ein rechtskräftiger 1473

Entscheid über das Asylgesuch vorliegt. Dadurch entstünde ein Konflikt mit dem Beschleunigungsgebot, das im Auslieferungsverfahren gilt (Art. 17a IRSG). Nach heutiger Praxis wird das Auslieferungsverfahren bis zum letztinstanzlichen Entscheid des Bundesgerichts durchgeführt. Nach dem ablehnenden Beschwerdeentscheid über das Asylgesuch kann die verfolgte Person sofort ausgeliefert werden.

Bei einer Sistierung des Auslieferungsverfahrens wäre dies kaum möglich, weil im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Asylentscheids noch kein rechtskräftiger Auslieferungsentscheid vorläge. Das Asylverfahren könnte in diesen Fällen dazu missbraucht werden, das Auslieferungsverfahren zu verzögern.

1.3

Die beantragte Neuregelung

Der Bundesrat kommt zum Schluss, dass das Modell, das im Asylbereich in wenigen Einzelfällen den Zugang zum Bundesgericht öffnet und damit parallele Asyl- und Auslieferungsverfahren auf der Stufe des Bundesgerichts zusammenführt, die bestmögliche Lösung darstellt. Daneben werden mit dem Beschleunigungsgebot im Asylverfahren und dem Aktenbeizug in beiden Verfahren zwei Massnahmen für eine bessere Koordination der Verfahren vorgeschlagen.

Die vorgesehene Lösung sieht wie folgt aus: ­

Das Bundesgericht wird in parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren letzte Beschwerdeinstanz.

­

Für die Asylverfahren wird das Beschleunigungsgebot verankert.

­

Für die Asyl- und die Auslieferungsverfahren wird die gegenseitige Akteneinsicht eingeführt.

1.4

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Das Lösungsmodell mit dem Bundesgericht als letzte Beschwerdeinstanz in beiden Verfahren hat den Vorteil, dass weder in das Verfahrensrecht noch in die Zuständigkeit der Fachbehörden und der erstinstanzlichen Gerichte des Bundes eingegriffen wird. Das Asyl- und das Auslieferungsverfahren können weiterhin von unterschiedlichen Behörden in separaten Verfahren durchgeführt werden. Die beiden Verfahren werden auf der Stufe des Bundesgerichts zusammengeführt. Dies erlaubt eine einheitliche Rechtsprechung im Asyl- und im Auslieferungsbereich unter voller Beachtung des Non-Refoulement-Gebots.

Der Nachteil dieses Lösungsmodells besteht darin, dass die vorgesehene Beschwerdemöglichkeit an das Bundesgericht eine Änderung beim bundesgerichtlichen Verfahren mit sich bringt und zu einer gewissen Rechtsungleichheit führt, weil eine begrenzte Zahl von asylsuchenden Personen den Asylentscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom Bundesgericht überprüfen lassen kann. Eine Zuständigkeit des Bundesgerichts im Asylbereich ist insofern neu, als das Bundesgericht seit seinem Bestehen nie zur Beurteilung von Beschwerden gegen Asylentscheide zuständig gewesen ist. Das Parlament hat die Zuständigkeit des Bundesgerichts im Asylbereich in der jüngsten Vergangenheit abgelehnt.

1474

Diesem Umstand wird dahingehend Rechnung getragen, dass der Zugang zum Bundesgericht im Asylbereich nur für einzelne Ausnahmekonstellationen vorgesehen wird. Die Geschäftslast des Bundesgerichts wird unter dieser Regelung nur leicht ansteigen, da pro Jahr vermutlich mit etwa zehn Beschwerdefällen aus dem Asylbereich zu rechnen ist. Die Verfahren werden voraussichtlich bei der Ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zusammengeführt.

Mit der Öffnung des Rechtsmittelwegs an das Bundesgericht für Einzelfälle im Asylbereich wird allerdings von der Stossrichtung der Totalrevision der Bundesrechtspflege abgewichen (keine Beurteilung der Asylentscheide durch das Bundesgericht). Zudem ist der Zugang zum Bundesgericht im Unterschied zum Auslieferungsverfahren nicht auf besonders bedeutende Fälle beschränkt.20 Diese Einschränkung drängt sich aber im Asylverfahren wegen der geringen Zahl der möglichen Beschwerdefälle kaum auf. Zudem wären im Asylverfahren andere Kriterien notwendig als im Auslieferungsverfahren.

Wie die Beschwerde an das Bundesgericht bezwecken auch die zusätzlich vorgeschlagenen Massnahmen eine bessere zeitliche und inhaltliche Koordination der Asyl- und der Auslieferungsverfahren, damit es keine sich widersprechenden Asylund Auslieferungsentscheide mehr geben kann. Mit dem Beschleunigungsgebot soll sichergestellt werden, dass die Asylbehörden dem Asylgesuch einer Person hohe Priorität einräumen, wenn diese Person gleichzeitig Gegenstand eines Auslieferungsverfahrens ist. Mit dem Aktenbeizug soll bereits auf der Stufe der Fachbehörde alles daran gesetzt werden, dass sich sowohl der Asyl- als auch der Auslieferungsentscheid bei der Frage der politischen Verfolgung auf die gleichen Informationen abstützt.

Aus den erwähnten Gründen drängt sich für den Bundesrat das vorgeschlagene Modell als bestmögliche Lösung auf.

1.5

Rechtsvergleich und Verhältnis zum europäischen Recht

Die Ausgangslage in den Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich ist insofern mit derjenigen in der Schweiz vergleichbar, als auch dort die Asyl- und die Auslieferungsverfahren von unterschiedlichen Behörden in getrennten Verfahren durchgeführt werden. Die Lösungsansätze in den einzelnen Ländern weichen jedoch stark voneinander ab und sind kaum auf die schweizerischen Verhältnisse übertragbar.

Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eine Studie des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung vom 20. Oktober 2008 sowie auf Informationen von Asyl- und Auslieferungsexpertinnen und -experten aus drei Nachbarländern.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Verhältnis von Asyl- und Auslieferungsverfahren in keinem Nachbarstaat explizit geregelt ist. In der Praxis kann in Deutschland, Österreich und unter bestimmten Voraussetzungen auch in Italien ein 20

Artikel 84 des Bundesgerichtsgesetzes (SR 173.110) lässt gegen einen Auslieferungsentscheid eine Beschwerde an das Bundesgericht zu, wenn es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt. Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist.

1475

Auslieferungsverfahren einem Asylverfahren vorgehen, während in Frankreich das Asylverfahren Vorrang hat.

Deutschland Das deutsche Recht sieht kein generelles Verbot der Auslieferung von Asylberechtigten vor. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen spricht in § 6 Absatz 2 von einer engen Verknüpfung mit der Gewährleistung des Asylrechts für politisch verfolgte Personen. Im Auslieferungsverfahren muss der deutsche Richter die konkrete Gefährdung der auszuliefernden Person selbständig prüfen. Er ist dabei aber nicht an vorhergehende Entscheide der Asylbehörde, die eine Verwaltungsbehörde ist, gebunden. Das deutsche Asylverfahrensgesetz schliesst in § 4 Satz 2 eine Bindungswirkung der Statusentscheidung über die Gewährung von Asyl für das Auslieferungsverfahren ausdrücklich aus. Es ist möglich, dass ein Asylgesuch einer Person nicht mehr geprüft wird, gegen die ein rechtskräftiger Auslieferungsentscheid vorliegt. Die Nichtbindung der deutschen Gerichtsbehörden an die Asylanerkennung stösst in der Wissenschaft auf Kritik.21 Frankreich Das französische Recht enthält keine spezielle Regelung über das Zusammenspiel des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens. In der Praxis wird das Auslieferungsverfahren sistiert, sobald ein Antrag auf Asyl gestellt worden ist. In beiden Verfahren wird die Frage der politischen Verfolgung getrennt geprüft. In letzter Instanz kann in beiden Verfahren der Conseil d''Etat angerufen werden, sodass widersprüchliche Asyl- und Auslieferungsentscheide kaum vorkommen.

Italien Im italienischen Recht fehlt eine explizite Regelung über das Verhältnis von Asylund Auslieferungsverfahren. Weder der Codice di procedura penale noch die Asylgesetzgebung enthalten konkrete Hinweise. Die Asylgesetzgebung hält den Grundsatz fest, dass der Flüchtlingsstatus oder ein subsidiärer Schutz verweigert werden kann, wenn dieser Status schon erteilt wurde, bzw. widerrufbar ist, wenn ein besonders schweres Verbrechen oder Vergehen begangen wurde. Ein Auslieferungsverfahren scheint nicht ausgeschlossen, wenn dafür alle Voraussetzungen vorliegen.

Österreich Das österreichische Recht spricht sich über mögliche Zusammenhänge zwischen Asyl- und Auslieferungsrecht nicht aus. Das Bundesgesetz über die Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen von 1979 enthält in § 19 das Refoulement-Verbot. Der
Flüchtlingsstatus stellt nur eine, wenn auch starke Vermutung für die Unzulässigkeit einer Auslieferung dar. Die Tatsache, dass der verfolgten Person in Österreich oder in einem anderen Staat bereits Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, legt zwar die Annahme politischer Verfolgung nahe, macht jedoch die Auslieferung nicht schlechthin unzulässig. Die Gefahr der politischen Verfolgung ist im Auslieferungsverfahren unabhängig von einem eventuellen Asylverfahren zu beurteilen. Weder das Gericht noch das Bundesministerium für Justiz sind in ihrer Entscheidung an 21

Prof. Dr. Otto Lagodny, Professor für österreichisches und ausländisches Straf- und Strafverfahrensrecht sowie Strafrechtsvergleichung an der Universität Salzburg, kommt in einem Gutachten zum Schluss, dass die Regelung verfassungs- und völkerrechtswidrig ist.

1476

den Ausgang des Verfahrens vor einer anderen Verwaltungsbehörde gebunden. Bei Vorliegen eines rechtskräftigen Auslieferungsentscheids wird die Auslieferung in der Regel trotz hängigem Asylverfahren vollzogen. Es besteht keine Verpflichtung, ein Auslieferungsverfahren zu sistieren, wenn ein Asylverfahren hängig ist.

1.6

Umsetzung

Das vom Bundesrat vorgeschlagene Lösungsmodell will die Koordinationsdefizite bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren durch Einschaltung des Bundesgerichts beheben, indem im Asylverfahren in Abweichung zum bestehenden Rechtsmittelsystem der Zugang zum Bundesgericht geöffnet werden soll. Der Zugang bleibt indessen auf klar umschriebene Fälle beschränkt, sodass die Änderung bei der Rechtsmittelordnung zumutbar und für das Bundesgericht verkraftbar sein sollte.

Zwei zusätzliche Massnahmen ein Beschleunigungsgebot im Asylverfahren und der gegenseitige Aktenbeizug bezwecken, bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren das erstinstanzliche Verfahren auf der Stufe der Fachbehörden sowie das Beschwerdeverfahren vor den erstinstanzlichen Gerichten des Bundes besser aufeinander abzustimmen.

Für die Umsetzung der vorgeschlagenen Lösungsmassnahmen sind diverse Gesetzesanpassungen notwendig. Die Änderungen betreffen drei Bundesgesetze und müssen gemäss Artikel 164 Absatz 1 der Bundesverfassung in der Form eines Bundesgesetzes ergehen. Der Änderungserlass ist dem fakultativen Referendum unterstellt.

1.7

Ergebnisse der Anhörung

1.7.1

Allgemeines

Das Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 200522 (VIG) sieht in Artikel 10 für Vorlagen von untergeordneter Tragweite anstelle der ordentlichen Vernehmlassung eine Anhörung vor.

Die vorgeschlagenen Gesetzesanpassungen sind aus gesamtschweizerischer Sicht nicht von erheblicher politischer Tragweite. Es handelt sich um Änderungen, die eher technischer Natur oder relativ geringfügig sind. Bei der beschränkten Ausweitung des Beschwerderechts im Asylverfahren ist der Adressatenkreis der effektiv Interessierten eher klein. Ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren war unter diesen Voraussetzungen nicht angezeigt.

Die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements eröffnete am 29. Juni 2009 die Anhörung zum Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens. Die Anhörung dauerte bis am 28. August 2009.

22

SR 172.061

1477

Zur Anhörung wurden 38 Organisationen und Institutionen eingeladen. Davon äusserten sich 16 materiell zur Vorlage. Eine politische Partei und ein Verband reichten von sich aus eine Stellungnahme ein.23

1.7.2

Fazit

Die Stellungnahmen zum Vorentwurf der Gesetzesvorlage sind unterschiedlich ausgefallen. Eine Minderheit der Anhörungsteilnehmer begrüsst die Vorlage und die vorgeschlagene Gesetzesrevision zur Behebung der Koordinationsdefizite bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren.

Eine Mehrheit der Anhörungsteilnehmer erachtet eine Gesetzesrevision für die wenigen parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren, die Probleme bieten, nicht als notwendig und verwirft die Vorlage. Die Gegner der Vorlage lehnen das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz ab und plädieren im Falle einer Gesetzesrevision für eine Sistierung des Auslieferungsverfahrens bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheides über die Flüchtlingseigenschaft und für eine gesetzliche Verankerung des Vorrangs des Flüchtlingsrechts. Ein Teilnehmer weist die Vorlage zurück, weil er negative Auswirkungen für die betroffene Person befürchtet.

Mehrheitlich auf Zustimmung stossen die Vorschläge zum Aktenbeizug und zur Verfahrensbeschleunigung.

Bewertung und Gewichtung Knapp die Hälfte der Anhörungsadressaten hat materiell zum Vorentwurf Stellung genommen. Dabei überwiegen quantitativ die Antworten, die eine Gesetzesrevision und insbesondere die Öffnung des Rechtsmittelwegs an das Bundesgericht ablehnen.

Sie stammen mehrheitlich von Menschenrechtsorganisationen.

Positiv zu einer Gesetzesrevision geäussert haben sich die Institutionen, die von einer Revision am meisten betroffen sind. Es erscheint gerechtfertigt, diesen Stellungnahmen ein besonderes Gewicht beizumessen. Wie diese Befürworter, so hält auch der Bundesrat eine Gesetzesrevision für angebracht, weil verschiedene Fälle gezeigt haben, dass bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren ein Koordinationsbedarf besteht.

Die Bedenken der Gegner der Gesetzesvorlage vermögen nicht zu überzeugen. Für den Bundesrat ist insbesondere nicht nachvollziehbar, inwiefern sich die Zusammenführung paralleler Asyl- und Auslieferungsverfahren beim Bundesgericht wegen der Verschiedenartigkeit der betroffenen Rechtsgüter und des fehlenden Spezialwissen des Bundesgerichts in Asylfragen nachteilig auf die Asylsuchenden auswirken werde. Nichts abgewinnen kann der Bundesrat ferner dem Einwand, die vorgeschlagene Gesetzesrevision könne widersprüchliche Entscheide bei einem Asylverfahren

23

Bericht des Bundesamtes für Justiz von September 2009 über das Ergebnis der schriftlichen Anhörung zum Vorentwurf des Bundesgesetzes über die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens, veröffentlicht unter http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/documents/1786/Ergebnis.pdf

1478

gemäss Dublin-Abkommen24 nicht verhindern. Dem ist entgegenzuhalten, dass es bei der Gesetzesrevision darum geht, in parallelen Verfahren materielle Unterschiede bei Asyl- und Auslieferungsentscheiden soweit als möglich zu verhindern. Bei den Dublin-Verfahren kann es zwischen einem Asyl- und einem Auslieferungsverfahren formelle Unterschiede geben (Nichteintretensentscheid im Asylverfahren).

Die Gesetzesrevision ist jedoch nicht für solche Fälle gedacht.

Nicht für stichhaltig hält der Bundesrat die Kritik, die Regelung über den Aktenbeizug könne sich im Auslieferungsverfahren zuungunsten der asylsuchenden Person auswirken. Dieser Einwand beruht auf der falschen Annahme, dass im Auslieferungsverfahren Vertreter des ausländischen Staates anwesend sein können und dabei Informationen aus dem Asylverfahren erhalten. Dies trifft indessen nicht zu. Die Teilnahme ausländischer Verfahrensbeteiligter am Auslieferungsverfahren ist im Unterschied zum Rechtshilfeverfahren nicht vorgesehen.

1.7.3

Geprüfte und teilweise berücksichtigte Vorschläge

Ein Anhörungsteilnehmer möchte den Zugang zum Bundesgericht auf Endentscheide und besonders bedeutende Auslieferungsfälle einschränken.

Der Bundesrat hat ein gewisses Verständnis für das Anliegen. Er teilt die Ansicht, dass im Asylverfahren nur der Endentscheid beim Bundesgericht anfechtbar sein soll. Dies muss im Gesetzestext klar zum Ausdruck kommen. In diesem Punkt schlägt der Bundesrat im Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 200525 (BGG) eine entsprechende Anpassung von Artikel 93 Absatz 2 vor (siehe dazu Ziff. 2.2).

Eine Einschränkung auf besonders bedeutende Auslieferungsfälle erscheint indessen nicht gerechtfertigt. Der Vorschlag beruht auf der Annahme, dass ein Auslieferungsverfahren immer vor Abschluss des Asylverfahrens vom Bundesgericht beurteilt wird. Dies mag in vielen Fällen zutreffen. Sollte aber ein Verfahren zeitlich anders ablaufen, so wäre bei einer solchen Fallkonstellation die Beschwerde an das Bundesgericht im Asylbereich ausgeschlossen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung kaum vertretbar.

1.7.4

Nicht berücksichtigte Vorschläge

Verschiedene Anhörungsteilnehmer möchten die flankierenden Massnahmen ergänzen, die im Asyl- und im Rechtshilfegesetz vorgesehen sind. Andere Teilnehmer sprechen sich für den Vorrang des Asylverfahrens aus. Der Bundesrat nimmt zu den einzelnen Punkten kurz Stellung und legt dar, weshalb er die Vorschläge nicht berücksichtigen will.

24

25

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (SR 0.142.392.68).

SR 173.110

1479

Obligatorischer Meinungsaustausch zwischen den Behörden Zwischen den Asyl- und den Auslieferungsbehörden soll zwingend ein Meinungsaustausch stattfinden, wenn das Non-Refoulement-Prinzip zwischen den betroffenen Behörden anders beurteilt wird. Dabei soll die betroffene Person angehört werden.

Auf der Stufe der beiden Fachinstanzen findet bei parallelen Verfahren regelmässig ein Meinungsaustausch statt. Zwischen den Gerichtsbehörden ist ein Meinungsaustausch in der Sache nicht zulässig, weil damit das Gebot der Unbefangenheit in Frage gestellt würde. Der Vorschlag verkennt zudem, dass das Asyl- und das Auslieferungsverfahren in den wenigsten Fällen gleichzeitig anfangen und enden. Diese zusätzliche Schwierigkeit schmälert den Nutzen eines obligatorischen Meinungsaustausches.

Bindung an den Entscheid der ersten Behörde zum Non-Refoulement-Gebot Bei Bejahung der Anwendbarkeit des Non-Refoulement-Prinzips durch eine Behörde soll die Behörde des parallelen Verfahrens daran gebunden sein.

Eine Verpflichtung der Behörden, an den Entscheid der ersten Behörde gebunden zu sein, die das Non-Refoulement-Prinzip bejaht (positiver Asylentscheid oder negativer Auslieferungsentscheid) kann je nach Fallkonstellation kontraproduktiv sein.

Liegen das Asyl- und das Auslieferungsverfahren zeitlich relativ weit auseinander, könnte die zweite Behörde nämlich in ihrem Entscheid neue Tatsachen nicht mehr berücksichtigen, die unter Umständen zur Ablehnung des Non-RefoulementPrinzips führen müssten. Diese Lösung ist nicht erstrebenswert. Sie wäre höchstens für die Fälle denkbar, in denen das erstinstanzliche und das zweitinstanzliche Verfahren gleichzeitig anfangen und enden. Dies trifft aber nur für die wenigsten Fälle zu.

Beschleunigungsgebot nicht auf Haftfälle beschränken Das Beschleunigungsgebot soll in parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren gelten, unabhängig davon, ob die Person in Haft ist oder nicht.

Der Vorschlag ist im Grundsatz lobenswert. Er verkennt indessen, dass ein generelles Beschleunigungsgebot nicht notwendigerweise die gewollte Wirkung erzielt. Der Fokus wird bei der vom Bundesrat favorisierten Lösung bewusst auf die Haftfälle gelegt. Es ist ein zentrales Anliegen der Vorlage, dass bei den Personen, die in Auslieferungshaft sind, so rasch als möglich über das Asylgesuch und das Auslieferungsersuchen
entschieden wird, damit der Freiheitsentzug nicht unnötig lang dauert. Dieses Ziel könnte mit einem generellen Beschleunigungsgebot untergraben werden, weil nicht sämtliche parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren prioritär behandelt werden können.

Sistierung des Auslieferungsverfahrens Bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren soll das Auslieferungsverfahren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids über die Flüchtlingseigenschaft ausgesetzt werden.

Der Bundesrat hat ein gewisses Verständnis für diesen Ansatz, ist aber der Meinung, dass eine Verfahrenssistierung keine befriedigende Lösung darstellt. Dagegen sprechen vor allem der Faktor Zeit und die Gefahr des Missbrauchs (siehe dazu Ziff. 1.2.2).

1480

Vorrang des Flüchtlingsrechts gesetzlich verankern Ein neuer Artikel 6a soll im Asylgesetz festhalten, dass das Bundesamt für Migration und das Bundesverwaltungsgericht allein und abschliessend über die Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung oder Verweigerung des Asyls sowie über die Wegweisung entscheiden.

Dieser Vorschlag ist mit der vom Bundesrat gewählten Lösung (Bundesgericht als Beschwerdeinstanz) wenig sinnvoll. Selbst wenn diese Lösung nicht berücksichtigt würde, wäre die vorgeschlagene Regelung überflüssig, weil das Bundesgericht nach geltendem Recht keine Asylentscheide trifft.

1.7.5

Weitere Bemerkungen

Ein Anhörungsteilnehmer möchte, dass bei einem Verfahren, das zur Auslieferung eines Flüchtlings führen kann, die Informationen im Zusammenhang mit dem Asylgesuch einer Person vertraulich behandelt werden. Für den Bundesrat besteht in diesem Punkt kein Handlungsbedarf. Das Asylgesetz enthält in Artikel 97 eine Geheimhaltungspflicht für Personendaten von Asylsuchenden, anerkannten Flüchtlingen und Schutzbedürftigen. Wenn das Bundesamt für Migration die Auslieferungsbehörden über ein hängiges Asylverfahren informiert, so geschieht dies in Anwendung dieser Geheimhaltungsbestimmung mit der Auflage, dass die Asyldaten vertraulich zu behandeln sind und dem Verfolgerstaat (Heimat- oder Herkunftsstaat) nicht zukommen dürfen. Eine zusätzliche Regelung ist hier nicht notwendig.

Eine Übermittlung der Asyldaten an das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), wie dies vorgeschlagen wird, erachtet der Bundesrat im Lichte der Geheimhaltungspflicht nach Artikel 97 des Asylgesetzes für fragwürdig, zumal diese Organisation weder im Asyl- noch im Auslieferungsverfahren Parteistellung hat.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

2.1

Änderung im Asylgesetz

Art. 37 Abs. 4 (neu) und 109 Abs. 5 (neu) Im Asylverfahren soll sichergestellt sein, dass über das Asylgesuch einer Person möglichst ohne Verzug entschieden wird, wenn diese Person gleichzeitig in Auslieferungshaft sitzt. Diese Asylfälle sollen von allen betroffenen Behörden prioritär behandelt werden, um eine unverhältnismässig lange Haftdauer im Auslieferungsverfahren zu verhindern.

Auf die Festsetzung einer Behandlungsfrist wurde aus Praktikabilitätsgründen verzichtet. Ordnungsfristen sind in der Regel nur in beschränktem Umfang durchsetzbar.

Das Beschleunigungsgebot wird im Asylgesetz mit einer Ergänzung von Artikel 37 und 109 verankert.

1481

Art. 41a (neu) und 108a (neu) Bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren ist es wichtig, dass die Asyl- und Auslieferungsbehörden und die Rechtsmittelinstanzen in voller Sachkenntnis entscheiden. Dies bedingt, dass sich die Behörden gegenseitig über den Verfahrenstand informieren und die Akten des anderen Verfahrens beiziehen. Dadurch können Entscheide vermieden werden, die sich auf unterschiedliche Informationen abstützen und sich wegen Informationsdefiziten widersprechen. Dies ist vor allem mit Blick auf die Abklärungen zum Non-Refoulement-Gebot von Bedeutung. Der Aktenbeizug soll sich auf das Papierdossier beschränken. Ein Online-Zugriff auf elektronische Dossiers ist nicht vorgesehen.

Die Verpflichtung zum Aktenbeizug aus dem Auslieferungsverfahren erfordert im Asylgesetz zwei neue Bestimmungen: Artikel 41a bezieht sich auf das erstinstanzliche Verfahren und Artikel 108a auf das Beschwerdeverfahren auf Bundesebene.

Im Rahmen der Veröffentlichung der Rechtsprechung werden die Gerichtsbehörden des Bundes darauf achten müssen, die Entscheide zu parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren derart zu anonymisieren, dass der ausländische Staat, der um Auslieferung der verfolgten Person ersucht hat, keine Kenntnis vom Asylgesuch erhält.26 Es gilt zu vermeiden, dass die betroffene Person im Falle einer Auslieferung im Verfolgerstaat einer Gefahr ausgesetzt wird und nachträglich ein Asylgrund geschaffen wird.

2.2

Änderung im Bundesgerichtsgesetz

Art. 83 Bst. d Ziff. 1 Nach geltendem Recht ist eine Beschwerde an das Bundesgericht in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten gegen Asylentscheide ausgeschlossen. Neu soll im Asylbereich in begrenzten Fällen ein Beschwerdeentscheid des Bundesverwaltungsgerichts beim Bundesgericht anfechtbar sein.

Der Zugang zum Bundesgericht im Asylbereich soll beschränkt werden auf Asylbeschwerdeentscheide des Bundesverwaltungsgerichts, die sich gegen asylsuchende Personen richten, gegen die ein Auslieferungsersuchen des Staates vorliegt, vor dem diese Personen Schutz suchen. Im Zentrum stehen die Konstellationen, in denen parallel zum Asylverfahren ein Auslieferungsverfahren hängig ist oder ein rechtskräftiger positiver Auslieferungsentscheid vorliegt.

Beschwerdegegenstand ist der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. die Asylerteilung oder Asylverweigerung. Die Beschwerdeberechtigung wird angesichts der geringen Zahl der möglichen Beschwerdefälle nicht weiter eingeschränkt, um beispielsweise die Anfechtung eines Nichteintretens- oder eines Kostenentscheids oder die Beschwerde in einem unbedeutenden Fall explizit auszuschliessen. Das Bundesgericht kann somit nur bei parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren und nur in

26

Vgl. Artikel 27 Absatz 2 des Bundesgerichtsgesetzes (SR 173.110), Artikel 29 Absatz 2 des Verwaltungsgerichtsgesetzes (SR 173.32) und Artikel 25 Absatz 2 des Strafgerichtsgesetzes (SR 173.71).

1482

den erwähnten Konstellationen angerufen werden. In den übrigen Asylverfahren besteht weiterhin keine Beschwerdemöglichkeit an das Bundesgericht.

Die neue Beschwerdemöglichkeit im Asylwesen erfordert im Bundesgerichtsgesetz eine Ergänzung von Artikel 83 Buchstabe d Ziffer 1.

Die Beschwerde steht der von einem Asyl- und Auslieferungsverfahren betroffenen Person wie auch dem Bundesamt für Migration offen. Die Beschwerdelegitimation der betroffenen Person ergibt sich aus der allgemeinen Bestimmung von Artikel 89 Absatz 1 des Bundesgerichtsgesetzes. Das Departement ist nach Artikel 89 Absatz 2 Buchstabe a des Gesetzes zur Beschwerde legitimiert. Das Beschwerderecht des Departements kann in einer Verordnung an das Bundesamt delegiert werden.27 Art. 93 Abs. 2, erster Satz Nach Artikel 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes sind nicht nur Endentscheide, sondern unter besonderen Voraussetzungen auch Vor- und Zwischenentscheide beim Bundesgericht anfechtbar. Die Kriterien, nach welchen ein Verfahren als abgeschlossen zu betrachten ist, sind nicht nur abhängig vom Verfahren vor der Vorinstanz des Bundesgerichts, sondern auch vom Verfahren vor der Behörde, deren Entscheid an diese Vorinstanz weitergezogen wurde.28 Dies bedeutet, dass der Begriff des Zwischenentscheids in Artikel 93 nicht nur die Vor- und Zwischenentscheide der Vorinstanz abdeckt, sondern auch diejenigen der ersten Instanz, die bei der Rekursinstanz angefochten worden sind. Im Asylverfahren wären somit die Vorund Zwischenentscheide des Bundesamtes für Migration und des Bundesverwaltungsgerichts rekursfähig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Um eine Verlängerung des Asylverfahrens mit Rekursen gegen Zwischenentscheide des Bundesverwaltungsgerichts zu verhindern, rechtfertigt es sich, in Artikel 93 Absatz 2 eine Ausnahmebestimmung für den Asylbereich einzuführen. Sie soll die Anfechtbarkeit von Vor- und Zwischenentscheiden im Asylverfahren beim Bundesgericht ausschliessen, auch wenn diese Entscheide einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken. Davon ausgenommen sind Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und den Ausstand (Art. 92 BGG).

Art. 107 Abs. 3 Das geltende Recht lässt auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe Beschwerden an das Bundesgericht im beschränkten Umfang zu. Es ist
vorgesehen, dass das Bundesgericht den Nichteintretensentscheid innert 15 Tagen seit Abschluss eines allfälligen Schriftenwechsels fällt. Diese Bestimmung dient der Verfahrensbeschleunigung. Sie greift indessen nicht, wenn parallel zu einem Auslieferungsverfahren noch ein Asylverfahren hängig ist. Bei dieser Fallkonstellation muss ein allfälliger Nichteintretensentscheid im Ermessen des Bundesgerichts liegen. Dies bedingt im Bundesgerichtsgesetz eine Anpassung von Artikel 107 Absatz 3.

27 28

Bernhard Waldmann, Art. 89, Nr. 50, in: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 2008.

Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001 (BBl 2001 4332); Bernard Corboz, Art. 90, Nr. 9, in: Commentaire de la LTF, Berne 2009.

1483

2.3

Änderung im Rechtshilfegesetz

Art. 55a (neu) Analog zu den Asylbehörden sollen die Auslieferungsbehörden und die Rechtsmittelinstanzen im Auslieferungsverfahren die Akten aus dem Asylverfahren beiziehen.

Die Verankerung des Aktenbeizugs aus dem Asylverfahren bedingt im Rechtshilfegesetz eine neue Bestimmung.

Für die Veröffentlichung der Entscheide zu parallelen Asyl- und Auslieferungsverfahren gelten die gleichen Bemerkungen wie zum Asylgesetz (siehe dazu Ziff. 2.1; Art. 108a).

2.4

Redaktionelle Anpassung im Asyl- und im Rechtshilfegesetz

Die Teilrevision eines Gesetzes wird gemäss Praxis der parlamentarischen Redaktionskommission zum Anlass genommen, um die Präambel des revidierten Erlasses an die geltende Bundesverfassung anzupassen. Diese neue Praxis bedingt im Asylund im Rechtshilfegesetz eine Änderung der Präambel.

Grundlage für das Asylgesetz ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern sowie über die Gewährung von Asyl. Die entsprechende Bestimmung findet sich in Artikel 121 Absatz 1 der Bundesverfassung.

Grundlage für das Rechtshilfegesetz ist die Zuständigkeit des Bundes für auswärtige Angelegenheiten sowie die subsidiäre Gesetzgebungskompetenz der Bundesversammlung nach den Artikeln 54 Absatz 1 und 173 Absatz 2 der Bundesverfassung.

Die internationale Rechtshilfe bezweckt in erster Linie, einen ausländischen Staat bei der Strafverfolgung und bei der Strafvollstreckung zu unterstützen. Das Gesetz enthält zudem Bestimmungen über die Zuständigkeit der Behörden und das Verfahren.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Das Bundesgericht wird neu Beschwerden in Asylfällen beurteilen, bei denen sich wegen eines parallel laufenden Auslieferungsverfahrens zeitliche und inhaltliche Koordinationsprobleme stellen. Pro Jahr dürfte sich der Arbeitsaufwand für das Bundesgericht (Erste öffentlich-rechtliche Abteilung) um schätzungsweise zehn Fälle erhöhen.

Bei den erstinstanzlichen Gerichten des Bundes (Bundesstraf- und Bundesverwaltungsgericht) und den Fachinstanzen (Bundesamt für Migration und Bundesamt für Justiz) sind keine zusätzlichen Aufgaben zu erwarten. Hingegen können die Auslieferungskosten in einzelnen Fällen höher ausfallen als heute, sofern die neue Rekursmöglichkeit an das Bundesgericht im Asylbereich eine längere Auslieferungshaft zur Folge haben sollte. Die zusätzlichen Kosten beim Bundesamt für Justiz dürften schätzungsweise zwischen 40 000 und 200 000 Franken pro Jahr 1484

liegen und würden gegebenenfalls vom zuständigen Departement kompensiert.

Andere Auswirkungen sind nicht absehbar.

3.2

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Die Umsetzung der Vorlage lässt keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft erwarten.

3.3

Auswirkungen auf die Informatik

Mit der Umsetzung der Vorlage sind keine Auswirkungen auf die Informatik zu erwarten. Zwischen den betroffenen Bundesämtern und den Gerichtsinstanzen sind keine direkten Zugriffe auf elektronische Asyl- und Auslieferungsdossiers vorgesehen.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

In der Botschaft vom 23. Januar 2008 über die Legislaturplanung 20072011 figuriert die Vorlage als weiteres Geschäft unter Ziel 6 (Internationale Zusammenarbeit im Justiz- und Polizeibereich verstärken: Botschaft zur Teilrevision des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen).29

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Gesetzesentwürfe stützen sich auf Artikel 54 Absatz 1 und 121 Absatz 1 der Bundesverfassung.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Vorlage will parallel laufende Asyl- und Auslieferungsverfahren auf der Stufe des Bundesgerichts zusammenführen. Sie ermöglicht zwei getrennte Verfahren vor den Fachinstanzen und den erstinstanzlichen Rekursbehörden und trägt dem NonRefoulement-Gebot vollumfänglich Rechnung. Damit nimmt die Vorlage ein wichtiges Anliegen des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge auf.30 Die Vorlage steht im Einklang mit den Verpflichtungen, welcher der Schweiz aus den einschlägigen internationalen Übereinkommen und dem darin verankerten, zum zwingenden Völkerrecht zählenden Non-Refoulement-Prinzip erwachsen (siehe 29 30

BBl 2008 753 822 Bericht des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR): Guidance Note on Extradition and International Refugee Protection (April 2008), im Internet abrufbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/481ec7d92.html.

1485

dazu Ziff. 1.1.1.1). Die Flüchtlingskonvention untersagt die Ausweisung oder Rückführung eines Flüchtlings in ein Land, wo das Leben oder die Freiheit des Betroffenen wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre (Art. 33 Abs. 1). Das Europäische Auslieferungsübereinkommen enthält ein Auslieferungsverbot bei drohender Folter oder grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung (Art. 3 Ziff. 2). Das Auslieferungsverbot, das zum zwingenden Völkerrecht gehört, stützt sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 3) und findet sich in der Bundesverfassung (Art. 25 Abs. 3).31 Diesen internationalen Grundsätzen trägt die Vorlage Rechnung.

5.3

Erlassform

Die Vorlage erfordert Anpassungen im Bundesgerichts-, im Asyl- und im Rechtshilfegesetz. Da zwischen den einzelnen Änderungen ein enger Zusammenhang besteht, werden diese in einem Erlass unter einem Sammeltitel zusammengefasst. Der Mantelerlass wird in der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts ohne SR-Nummer publiziert; die einzelnen Änderungen werden in der Systematischen Sammlung des Bundesrechts direkt in das betreffende Bundesgesetz eingebaut.

31

Z.B. BGE 1C_205/2007 vom 18. Dez. 2007 (E. 6.3).

1486