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1912

Bericht des

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Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Errichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten.

: '"" fVom 25. November 1924.)

'

I. Die Motion des Nationalrates.

Am 5. Oktober 1920 hat der Nationalrat eine Motion, betreffend die Errichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten, folgenden Wortlauts angenommen : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht den eidgenössischen Räten eine Gesetzesvorlage einzureichen sei, die die Schaffung einer ständigen Kommission fUr auswärtige Angelegenheiten vorsieht.11 Die Errichtung einer solchen Kommission wird als empfehlenswert angesehen aus Gründen allgemeiner Natur, die in nachstehender Weise zusarnmengefasst werden können. Die moderne Demokratie, im besondern die schweizerische Demokratie, lässt keine geheime Führung der internationalen Angelegenheiten zu.

Ihre Entwicklung führt vielmehr folgerichtig dazu, dem Volke zu ermöglichen, sich über alle wichtigen und langfristigen Verpflichtungen, die gegenüber fremden Staaten eingegangen werden müssen, auszusprechen. Der Regierung liegt deshalb ob, sich noch häufiger, als es bisher der Fall war, über die Volksmeinung auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten ein Urteil zu bilden und sich auf sie zu stützen. Es ist deshalb angezeigt, das Parlament an der Führung von diplomatischen Unterhandlungen tätig mitwirken zu lassen, um durch dessen Vermittlung eine möglichst enge Übereinstimmung zwischen dem Volk und seinen vollziehenden Behörden aufrecht zu erhalten und tunlichst zu vermeiden,

lOOi dass letztere, Vereinbarungen, die nach langen und oft schwierigen Verhandlungen mit fremden Staaten eingegangen wurden, einer Verwerfung durch das Volk aussetzen. Eingeschoben zwischen Volk und Regierung wilrde demnach dem Parlament nicht nur die Rolle eines Kontrollorgans zufallen, sondern zugleich auch die Aufgabe, auf diese in beratendem und auf jenes in mässigendem Sinne einzuwirken. Die Verantwortung für die Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Eidgenossenschaft würde damit geteilt; der Bundesrat könnte sie teilweise auf das Parlament abwälzen.

Diesen Überlegungen fügen die Unterzeichner der Motion noch hinzu, dass die Schweiz durch ihren Eintritt in den Völkerband dazu geführt worden ist, eine tätigere Anssenpolitik als früher zu handhaben. Nach ihrer Ansicht kann sich in einer Zeit, in der die Solidarität der Völker sich immer mehr zu verwirklichen strebt, in der die Anstrengungen zur Abrüstung sich vermehren und in der das Schiedsgerichtsverfahren eine bisher unbekannte Entwicklung erfahren hat, die Schweiz nicht mehr in sich zurückziehen unter dem Schutze einer Neutralität, die gleichbedeutend wäre mit Abkehr von weiterer Förderung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Indem man das Parlament an einer tätigen Politik, die im übrigen bloss auf die Entwicklung aller friedlichen Einrichtungen hinzielen wird, teilnehmen lässt, wird man zum grössten Wohl des Landes das Interesse fördern, das seine Glieder für die auswärtigen Beziehungen der Schweiz bekunden und gleichzeitig in einer ständigen Form dieses Interesse im Volke wach erhalten. Wenn endlich auch die Unterzeichner der Motion sich dagegen verwahren, in allen Punkten die Gebräuche und Einrichtungen des Auslandes nachahmen zu wollen, so möchten sie doch nicht unterlassen, das Vorhandensein von ständigen parlamentarischen Kommissionen in andern Staaten als beweiskräftigen Umstand zu benutzen und zu verlangen, dass auch die Schweiz ihrerseits sich die in dieser Hinsicht erworbenen Erfahrungen zunutzen mache.

Es erscheint deshalb angebracht, bevor zu einer vollkommenen objektiven Würdigung der Vor- und Nachteile der neuen, durch ein Gesetz zu schaffenden Einrichtung im parlamentarischen Räderwerk eingegangen wird, die Staaten zu erwähnen, die sie kennen, wie diejenigen, denen sie unbekannt ist, und in Kürze das Wesen und die Betätigung dieser Kommissionen in denjenigen fremden Staaten, in denen sie in grundsätzlicher Weise Aufnahme gefunden haben, darzulegen,

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IL Die ständigen parlamentarischen Kommissionen far auswärtige Angelegenheiten in den fremden Staaten.

Es ist nicht zu bestreiten, dass in der Mehrzahl der fremden Staaten parlamentarische Kommissionen anzutreffen sind, die bestimmt sind, in einer beständigen Weise die Führung der auswärtigen Politik zu überwachen ; die Wirksamkeit ihrer Tätigkeit kann jedoch nicht nach der Bedeutung bemessen werden, welche die ihnen zugrunde liegenden Gesetzestexte ihnen zuerkennen ; sie hängt in viel höherm Masse von den Regierungsgebräuchen und parlamentarischen Sitten als vom Gesetz ab. Eine Untersuchung, die wir auf i 9 Staaten, unter denen die nach Volkszahl und nach politischer Erfahrung wichtigsten Mächte vorkommen, erstreckt haben, gestattete uns festzustellen, dass es ein Trugschluss wäre, von dem blossen Vorhandensein derartiger Kommissionen auf ihre Notwendigkeit öder auf die Nützlichkeit ihrer Tätigkeit zu folgern. Ihr Wesen und ihre Aufgabe wechseln vielmehr von Land zu Land in merklichem Umfange.

In einer ersten Gruppe von Staaten sind sie völlig unbekannt.

Das ist der Fall in Grossbritannien, in Japan, in Rumänien, in Jugoslawien und in der Tschechoslowakei. Immerhin wird die Zweekmässigkeit ihrer Errichtung in einigen von diesen Staaten häufig erörtert, und namentlich in England wurde sie im Laufe der letzten zehn Jahre vom Unterhaus zu -wiederholten Malen geprüft; die britische Regierung, unterstützt von der Mehrheit der Abgeordneten, hat stets entschieden Stellung genommen gegen die Einrichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten ; man ist der Auffassung, dass sie geeignet sei, durch einen Einbruch in das Prinzip der Gewaltentrennung eine Verwirrung herbeizuführen, indem sie das Parlament an der Verantwortlichkeit für Handlungen des Vollzugsorgans teilnehmen lagst, während es vielmehr das letztere zu beaufsichtigen und zu entscheiden hätte, ob die Regierung würdig ist, im Besitze der ihr übertragenen Verantwortlichkeit zu bleiben.

In einer zweiten Gruppe von Staaten sind ständige parlamentarische Kommissionen für auswärtige Angelegenheiten vorhanden, die indessen nicht sehr hervortreten ; es kommt ihnen bloss beratender Charakter zu; sie sind abhängig von der Regierung und nekmen in keiner Weise an der diplomatischen Tätigkeit teil; ihre Rolle beschränkt
sich darauf, diejenigen Fragen der auswärtigen Politik zu untersuchen, welche die Regierung als angezeigt erachtet, ihnen zu unterbreiten, was bloss dann der Fall ist, wenn die zu treflenden Entscheidungen von

1003 besonderer Tragweite sind. Dieser Art der Einrichtung ist namentlich von den spanisch-amerikanischen Staaten, wie z. B. von der argentinischen Republik, Chile, Uruguay, der Vorzug gegeben worden; man trifft sie auch in Dänemark und in Spanien, wo eine im Jahre 1918 geschaffene ständige Kommission nie zusammengetreten ist und sich aufgelöst hatte ; sie ist im Jahre 1920 neuerdings errichtet worden, aber im Jahre 1923 mit der Auflösung des Parlaments wieder dahingefallen. In Österreich findet sich eine gleichartige Ordnung. Eine besondere, nach dem Kriege geschaffene Kommission für auswärtige Angelegenheiten hatte lediglich die Aufgabe, dem Parlament und den politischen Parteien Bericht zu erstatten; ihr Präsident hatte jedoch die Befugnis, sieh die Akten des Ministeriums für Äusseres vorlegen zu lassen ; Berichte an die Nationalversammlung kamen immerhin ziemlich selten vor, so dass diese Kommission durch einen ,,Hauptausschuss" des Nationalrates ersetzt worden ist, dem nicht als besondere Aufgabe zufallt, sich mit den auswärtigen Beziehungen der Republik Österreich zu befassen, da er daneben noch verschiedene Befugnisse in Finanz- und Wahlsachen besitzt. Der österreichische Bundesrat hat in seinem Schosse ebenfalls eine Kommission für auswärtige Angelegenheiten gebildet, doch sind deren Befugnisse nicht genau abgegrenzt; sie ist deshalb ausserstande, einen wirksamen Einfluss auf den Gang der äussern Politik auszuüben. In Ungarn untersucht eine ständige parlamentarische Kommission für auswärtige Angelegenheiten alle Fragen der Aussenpolitik, für die die Nationalversammlung zuständig ist., bevor sie dieser unterbreitet werden ; die Sitzungen dieser Kommission sind öffentlich, was die Erörterung von vertraulichen Fragen ziemlich schwierig gestaltet.

Eine dritte Gruppe von Staaten umfasst diejenigen, in denen die ständigen Kommissionen für auswärtige Angelegenheiten, ohne sich mit der Regierung in die Leitung der Auslandspolitik zu teilen, doch mit genügend weitgehenden Befugnissen ausgerüstet sind, um von der Regierung alle ihnen notwendig erscheinenden Aufschlüsse und Schriftstücke zu verlangen, aber immerhin ohne verbindliche Weisungen erteilen zu können. Das ist der Fall in Frankreich, in Italien, in Belgien, in den Niederlanden, in Deutschland und in Schweden.

In Frankreich hat jede der
beiden parlamentarischen Versammlungen, der Senat wie das Abgeordnetenhaus, eine Kommission für auswärtige Angelegenheiten eingesetzt, die von Zeit zu Zeit zusammenberufen wird, um über die wichtigsten Ge-

1004 Schäfte auf dem laufenden gehalten zu werden. Ihre Befugnisse stützen sich weder auf Gesetze noch auf Verordnungen ; sie sind aus der Tradition hervorgegangen. Jede Kommission ist berufen, über Gesetzesvorschläge und Entwürfe betreffend die auswärtigen Angelegenheiten Bericht zu erstatten ; sie ist befugt, den Minister des Äussern zu sich vorzuladen, wie auch jeden andern Minister oder Beamten, wenn sie glaubt, Aufklärungen über Fragen der Außenpolitik von ihm verlangen zu sollen, was übrigens in Frankreich nur die Anwendung des gemeinen Rechts in parlamentarischer Hinsicht bedeutet; sie besitzt das Recht der Akteneinsichtnahme und kann die Bekanntgabe der Berichte der französischen Vertreter im Ausland verlangen ; es steht aber dem Minister frei, das zu verweigern, wie er auch die Befugnis besitzt, die Abgabe der von ihm verlangten Auskünfte auf einen spätem Zeitpunkt au verschieben. Die Kommission besitzt, sofern nicht ein besonderer Beschluss von Kammer oder Senat vorliegt, weder Untersuchungsgewalt noch das Recht zur Interpellation ; wenn die Einvernähme eines Ministers oder eines Beamten einen Meinungsstreit oder eine Uneinigkeit zur Folge hat, kommt es einem Mitglied der Kommission zu, die Angelegenheit durch eine Interpellation im Parlament zu öffentlicher Verhandlung zu bringen. Die Budgetfragen entfallen ihrem Zuständigkeitsbereich und unterstehen bloss der Finanzkommission.

In Italien wurde eine ständige Kommission für auswärtige Angelegenheiten nach dem Weltkriege eingesetzt. Sie wird auf die Dauer eines Jahres von der Kammer selbst ernannt. 8ie hat zur Aufgabe, die Gesetzesentwürfe, Spezialbudgets, Motionen und alle Angelegenheiten zu untersuchen, die in die auswärtige Politik fallen und für welche ein Bericht dem Parlament vorgelegt werden muss. Sie besitzt die Befugnis, die Mitglieder der Regierung einzuberufen und von ihnen Aufklärung zu verlangen-. Die Regierung kann ihrerseits den Zusammentritt der Kommission veranlassen, um ihr Mitteilungen zu machen. Die Kommission trifft keine Entscheidung; sie beschränkt sich, darauf, ihren Standpunkt bekanntzugeben. Es kommt ihr das Recht zu, die Mitteilung eines Vertragsentwurfes, der die auswärtige Politik des Königreichs betrifft, zu verlangen, doch besteht für die Regierung keine Verpflichtung, ihr alle Schriftstücke in der Angelegenheit
vorzulegen, mit der sie befasst wurde. Sie ist nicht zuständig für Budgetfragen ; diese hängen vielmehr von der parlamentarischen Budgetkommission ab, welche die Errichtung, die Abänderung oder die Aufhebung von Botschaften und Gesandtschaften vorschlagen kann.

1005 In Belgien gibt es seit dem Waffenstillstand eine Kommission gleicher Art, wie sie in Frankreich und Italien tätig sind ; sie beschränkt sich darauf, von Mitteilungen, welche die Regierung an sie richtet, Kenntnis zu nehmen, ohne aber auf den Gang der diplomatischen Geschäfte irgendwelchen tatsächlichen Einfluss ausüben zu können. Das gleiche ist der Pali in den Niederlanden ; die parlamentarische Kommission wird von Zeit zu Zeit vom Minister des Äussern einberufen, der ihr die Fragen der auswärtigen Politik darlegt. Die zu treffenden Entscheidungen fallen völlig in die Zuständigkeit der Regierung, der keine Pflicht obliegt, vor ihrem Tätigwerden die Kommission beratend beizuziehen, Im monarchischen Deutschland, wo die kaiserliche Verfassung vom 16. April 1871 bereits eine Kommission für auswärtige Angelegenheiten im Schosse des Bundesrates, unter dem Vorsitz Bayerns, vorsah, ist diese Kommission äusserst selten einberufen worden und hat kaum einen Einfluss auf die Gestaltung der Aussenpoltik des Reiches ausgeübt. Während des Krieges wurde sie durch den ^Hauptausschuss1* des Reichstags ersetzt, der von der Regierung häufig zur Mitberatung einberufen worden ist. Die republikanische Verfassung des gegenwärtigen Reiches sieht die Bezeichnung eines ständigen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten durch den Reichstag vor, der den beratenden Charakter der vorhergehenden Kommissionen beibehalten hat. Er besitzt das auch jeder andern parlamentarischen Kommission zukommende Recht, das Erscheinen des Reichskanzlers und jedes andern Ministers vor dem Ausschuss zu verlangen ; er kann der Regierung bekanntgeben, welche Beschlüsse und Massnahmen ihm zweckmässig erscheinen. Er besitzt aber kein Mittel, diese zur Befolgung ihrer Ratschläge zu verpflichten. Seine weitgehendsten Kompetenzen ergeben sich aus seiner durch die Verfassung festgelegten Gleichstellung mit den Untersuchungsausschüssen ; es folgt daraus, dass er selbst eine Angelegenheit untersuchen oder eine Untersuchung anordnen, die Vorlegung aller amtlichen Schriftstücke verlangen und an die Gerichte zur Vornahme aller Beweiserhebungen gelangen kann ; obschon er dem Parlament angehört, wird er mit der Auflösung des Reichstags nicht aufgehoben, sondern fährt fort, seine Tätigkeit bis zum Zusammentritt der neuen Volksvertretung auszuüben.
Schweden hat eine ähnliche Ordnung angenommen. Während des Krieges wurde dort eine Geheimkommission geschaffen, der eine lediglich beratende Aufgabe zugewiesen war. Sie wurde im Jahre 1921 durch eine parlamentarische Kommission für auswärtige Angelegenheiten, die aus 16 Mitgliedern besteht, ersetzt, Btmdesblatt. 76. Jahrg. Bd. III.

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1006 deren Aufgabe sich darin erschöpft, unter dem Vorsitz des Königs alle Fragen, die die auswärtigen Beziehungen betreffen, und die von einer gewissen Bedeutung sind, zu beraten. Zu Anfang jeder Legislaturperiode gibt der Minister des Äussern der Kommission eine allgemeine Übersicht über die Aussecpolitik Schwedens. Die Kommission wird in der Regel auf Veranlassung des Königs, des Ministerpräsidenten oder des Ministers des Äussern einberufen ; doch kann sie auch selbst ihren Zusammentritt veranlassen, wenn wenigstens sechs Mitglieder diesen verlangen. Der Zusammentritt der Kommission ist immer häufiger geworden, und sie hat sich namentlich über Vertragsentwürfe mit fremden Staaten auszusprechen.

Eine vierte Abart der Kommission findet sieh endlich in der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Entgegen den in der Schweiz geltenden Bräuchen sind die standigen Kommissionen die Regel im amerikanischen Kongress, und die besondern und zeitlichen Kommissionen die Ausnahme. Nur dio eine Kammer, der Senat, besitzt das Recht der Aufeicht über die auswärtigen Angelegenheiten ; unter seinen sehr zahlreichen ständigen Kommissionen gibt ea auch ein ^Committee of Foreiga Relations" von 17 Mitgliedern, bei dem im allgemeinen der Führer der Mehrheitspartei dea Vorsitz innehat. Dieser Ausschuss tritt nur während den Sitzungen des Kongresses zusammen und besitzt sehr ausgedehnte Befugnisse, die ihn zum Mitarbeiter der Regierung stempeln. Er erstattet nicht nur Bericht über alle Verträge, die dem Senat zur Genehmigung unterbreitet werden, sondern nimmt auch Stellung zu Ernennungen von Beamten im diplomatischen und konsularischen Dienste wie im Staatsdepartement, die vom Präsidenten dem Senat zur Genehmigung vorgelegt werden; er nimmt die Einvernahme aller Gewährsmänner vor, die ihm Auskünfte über die Kandidaten zu geben imstande sind; diese Einvernahmen gehören übrigens in den Vereinigten Staaten zur Überlieferung. Er hat das Recht, jederzeit Auskünfte über die von der Regierung befolgte auswärtige Politik zu verlangen, und es ist üblich, dass alle Schriftstücke, von denen er Einsicht zu nehmen wünscht, ihm vorgelegt werden.

Wenn wir von den Vereinigten Staaten absehen, deren ,,Committee of Foreign Relations" offenbar der Schweiz, wo die politischen Sitten gänzlich verschieden sind, nicht als Muster
zu dienen geeignet ist, kann kaum gesagt werden, dass die ständigen parlamentarischen Kommissionen für auswärtige Angelegenheiten einem offenkundigen Bedürfnis entsprechen. In der Mehrzahl der

1007 Staaten., in denen sie eingeführt wurden, sind sie infolge des Krieges notwendig geworden. Sie sind entstanden aus einer Reaktion gegen die Geheimdiplomatie. In den Ländern, in denen, wie bei uns, das Volk an der Genehmigung der völkerrechtlichen Verpflichtungen unmittelbar Teil hat, und in denen starke demokratische Überlieferungen jede Geheirndiplomatie unmöglich machen, lässt sich die Errichtung von ständigen Kommissionen als Gegenmittel gegen derlei Bestrebungen nicht wohl rechtfertigen.

Im übrigen nehmen in allen Staaten, die solche Kommissionen kennen, die Regierungsstellen entschieden für sich das Recht in Anspruch, auf dem Gebiete der äussern Politik alle Massnahmen zu treffen, welche die Umstände, manchmal mit äusserster Dringlichkeit, erfordern. Die ständigen parlamentarischen Kommissionen werden sehr häufig vor vollendete Tatsachen gestellt, die sie nicht mehr abzuändern vermögen; es liegt in der Natur der Dinge, dass dem so ist, denn da die Kommissionen den Gang der Ereignisse oder wichtiger diplomatischer Verhandlungen, deren Resultate notwendigerweise das Ergebnis der gegenseitigen Zugeständnisse darstellt, nicht von Tag zu Tag zu verfolgen vermögen, sind sie auch meistens nicht in der Lage, über alle Seiten einer Frage unterrichtet zu sein, um rechtzeitig ein wirklich nützliches Urteil abgeben oder die Richtlinien des diplomatischen Vorgehens festlegen zu können : dies ist die der Regierung zustehende Aufgabe.

Der grösste Vorteil der fraglichen Kommissionen besteht darin, eine engere Fühlung zwischen dein Vollzugsorgan und den parlamentarischen Kreisen herzustellen; die Regierung kann sich veranlasst sehen, den ihr angehörenden Abgeordneten in vertraulicher Weise Mitteilungen zu machen, die öffentlich in parlamentarischer Verhandlung nur schwierig zu geben wären, ohne die Empfindlichkeiten anderer Staaten zu verletzen oder ohne die eigene Stellung in internationalen, in Gang befindlichen Verhandlungen zu schwächen. Die Errichtung von ständigen parlamentarischen Kommissionen ist von einem gewissen Vorteil, indem sie gestattet, irrige, in der Öffentlichkeit verbreitete Anschauungen zu bekämpfen und eine beruhigende Wirkung auszuüben.

Aber selbst in der Stellung als Vermittler zwischen Regierung und öffentlicher Meinung sind diese ständigen Kommissionen nicht immer von. glücklichem
Einfluss gewesen; in den Staaten, wo die politischen Leidenschaften manchmal lebhafte Formen annehmen, hat man sich vielfach über Indiskretionen beklagt, die den Erfolg von schwebenden Verhandlungen bis zu solchem Grade

1008 beeinträchtigten, dass die Regierungen den Kommissionen die Auskünfte verweigern mussten, die von ihnen verlangt worden waren.

Anderseits empfindet das Parlament die Verschwiegenheit dieser Kommissionen nicht sehr angenehm, da es nicht mehr in genügender Weise über die internationale Lage auf dem laufenden gehalten wird; so sind Mitteilungen an die Mitglieder der ständigen Kommissionen durch nicht öffentliche Sitzungen des ganzen Parlaments ersetzt worden, zu dessen Kenntnis bei solchen Anlässen Auskünfte vertraulicher Natur gebracht wurden.

III. Zweck der Motion des Nationalrates.

Die Unterzeichner der Motion, die Gegenstand des gegenwärtigen Berichts bildet, haben sich nicht genau darüber ausgesprochen, welches das Wesen und die Befugnisse der ständigen parlamentarischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten in der Schweiz sein sollte. Laut Artikel 50 des Geschäftsreglements des Nationalrates vom 17, Dezember 1920 und des Artikels 34 des Geschäftsreglements des Ständerates vom 27. März 1903, die sich beide auf Artikel 28 des Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1902 über den Geschäftsverkehr zwischen Nationalrat, Ständerat und Bundesrat etc. stützen, hat jeder der eidgenössischen Räte das Recht, für die Dauer der Gesetzgebungsperiode Kommissionen zu ernennen ; es ist ihnen demnach die Möglichkeit gegeben, durch einen einfachen Beschluss eine parlamentarische Kommission zu schaffen, welche die ganze Aufsicht über die auswärtigen Beziehungen der Eidgenossenschaft in sich vereinigen würde.

. Da nun der Bundesrat ersucht worden ist, zu prüfen, ob nicht in dem Gegenstande ein G e s e t z e n t w u r f vorzulegen sei, so kann man annehmen, dass, obwohl die parlamentarische Aussprache kaum eine Abklärung über die der Kommission zu gebenden Befugnisse gezeitigt hat, die Unterzeichner der Motion nicht ein Organ zu schaffen wünschen, dessen Vorteil sich darauf beschränken würde, diese Zusammenfassung der parlamentarischen Arbeit zu verwirklichen ; die Einrichtung einer Kommission, ähnlich einer der bereits für die Finanzen, die Eisenbahnen, die Zölle usw. vorhandenen, würde nicht den Erlass eines neuen Gesetzes erheischen. Soll daraus der Schluss gezogen werden, dass der durch die Motion verfolgte Zweck darin besteht, die parlamentarische Aufsicht in der Weise zu gestalten, dass ihr ein beständiger, ja selbst vorsorglicher Charakter zukäme, indem sie sich auf die Gesamtheit der hängigen Geschäfte erstrecken würde, solcher Art, dass die Räte internationalen Verhandlungen, ja selbst

1009 der ganzen auswärtigen Politik des Staates unmittelbar eine bestimmte Richtung zu geben vermöchten? Eine solche Auffassung würde unvermeidlich zur Errichtung von parlamentarischen Kommissionen führen, die sich mit der .Regierung unmittelbar in deren Arbeit zu teilen hätten, d. h. zu wirklichen Kommissionen der Mitverwaltung, die wir im vorliegenden Bericht den ständigen Aufsichtskommissionen gegenüberstellen, die bereits durch die gegenwärtigen Geschäftsordnungen der eidgenössischen Räte gewährleistet sind.

Derartige Kommissionen der Mitverwaltung scheinen uns nicht dienlich zur Erreichung eines guten Arbeitens des schweizerischen diplomatischen Dienstes. Im Gegenteil scheinen eie uns bestimmte Nachteile zu bieten. Sie sind auch in unsern Augen unvereinbar mit den Bestimmungen der Bundesverfassung.

IT. Nutzlosigkeit einer ständigen Kommission für Mitverwaltung der auswärtigen Angelegenheiten.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Errichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für Mitverwaltung eine grössere Aufmerksamkeit der eidgenössischen Räte für die vom Bundesrat befolgte auswärtige Politik wecken könnte; die Teilnahmslosigkeit, die man ihnen gelegentlich in der Frage vorzuwerfen pflegt, besteht überhaupt nicht. Wir haben im Gegenteil feststellen können, dass das Parlament mit der grössten Anteilnahme die Entwicklung der auswärtigen Fragen verfolgt, welche von wesentlicher Bedeutung für unser Land sind ; eine einfache Aufzählung der Botschaften und Eotwürfe zu Bundesbeschlüssen betreffend die auswärtigen Beziehungen der Schweiz, sowie eine solche der die auswärtige Politik berührenden Interpellationen, Motionen und Postulaten genügt, um das dar/utun: von 1921 bis zu diesem Jahre zählt man 72 der einen und 61 der andern Art, die auf der Tagesordnung der eidgenössischen Räte aufgeführt waren und Anlass zum Auftreten von Vertretern aller Parteien und der verschiedensten Kantone gegeben haben. Durch die einlässlichen Botschaften, welche wir über alle zu behandelnden Fragen an die eidgenössischen Räte gerichtet haben, durch die gründlichen Erörterungen, die sie hervorgerufen haben, wie durch die Geschäftsberichte, welche im Ausland die wärmsten Anhänger der ständigen parlamentarischen Kommissionen für auswärtige Politik als Musterbeispiel einer unter demokratischer Regierungsform zu gebenden Auskuuftserteilung anführen, haben die Mitglieder des Parlaments Gelegenheit, über alle wichtigen Probleme, welche

1010 die auswärtige Politik des Landes aufwirft, in eingehendster Weise auf dem laufenden gehalten zu werden.

Es ist zweifellos zuzugeben, dass die Mitglieder einer ständigen Kommission für auswärtige Angelegenheiten eine grössere Fachkenntnis ÌQ der Führung der diplomatischen Geschäfte erlangen würden als ihre Kollegen ; es ·würde damit im Schosse des Parlaments eine gewisse Anzahl von Spezialisten der auswärtigen Politik geschaffen, die in steter Fühlung mit der Regierung besonders geeignet wären, die Probleme dieser Politik zu erfassen, deren Entwicklung zu verfolgen und in deren Weitschichtigkeit oder/usammenhänge einzudringen. Nichtsdestoweniger könnte aber eine derart tiefgehende Erfahrung nicht erworben werden ohne ein umfassendes Studium der zahlreichen und häufig sehr umfangreichen Aktendossiers des Politischen Departements, was sehr lange Sitzungen der Kommission, wenn nicht gar eine ununterbrochen tagende Kommission erfordern würde, sofern wenigstens die in die Zuständigkeit des Politischen Departements fallenden Fragen mit der Stetigkeit^ dem Takt und der gründlichen Sachkenntnis behandelt werden sollen, welche die Führung der auswärtigen Geschäfte verlangen. Auch vorausgesetzt, dass die Mitglieder der Kömmission diesen Arbeiten die erforderliche Zeit widmen könnten, so wäre zn befürchten, dass die eidgenössischen Räte als solche sich der auswärtigen Politik schliesslicb entfremden und daran gewöhnen könnten, im Vertrauen auf das Wissen und die Erfahrung eines nicht sehr zahlreichen Ausschusses parlamentarischer Sachverständigen deren Beschlüsse regelrnässig zu bestätigen, da die andern Mitglieder des Parlaments nicht mehr Aussicht hätten, an Kommissionen teilzunehmen, die Fragen der auswärtigen Politik zu behandeln haben.

Der Bundesrat anerkennt durchaus, wie wertvoll für seine auswärtige Politik die Unterstützung ist, die er in den parlamentarischen Kreisen, finden kann; aber er ist der Meinung, dass eine ständige Kommission für Mitverwaltung der auswärtigen Angelegenheiten nicht geeignet wäre, diese zu erhöhen. Er glaubt daran erinnern zu sollen, dass es keine wichtige Frage gibt, in der. er die von ihm einzuhaltenden Richtlinien nicht festgelegt hätte, ohne, vorher Fühlung mit den parlamentarischen und den übrigen in Betracht kommenden Kreisen zu nehmen,i sei es durch O Beziehung
der Präsidenten der politischen Gruppen, sei es durch das Mittel der Sachverständigenkommissionen. Diese Kommissionen gewähren unbestreitbar gegenüber einer ständigen parlamentarischen Kommission den Vorteil einer weit grössern Anpassungsfähigkeit

1011 in ihrer Zusammensetzung. Die Regierung kann Personen zur Teilnahme auffordern, die auf dem Gebiet der abzuklärenden Fragen besonders bewandert sind. Er kann den Parlamentariern, die besonders zuständig sind, über die politische Zweckmässigkeit der zu treffenden Massnahmen zu entscheiden, Fachleute heigeben, die mehr die technische Seite zu prüfen haben, Juristen, Industrielle, Kauf leute etc., je nach der Natur der zu behandelnden Sache. Diese Form des Vorgehens gehört in der Schweiz zur Überlieferung.

Die Erfahrungen, die wir mit ihr gemacht haben, veranlassen uns nicht, sie leichthin aufzugeben, noch sie zu erschweren durch eine neue Kommission, die eine blosse unnötige Wiederholung derjenigen bilden würde, die beizuziehen wir bereits gewohnt sind. Die Überlegenheit dieses Systems ist derartig, dass, wie wir feststellen konnten, in einigen Ländern die Einsetzung von Ausschüssen für völkerrechtliche Fragen, zusammengesetzt aus Parlamentariern und hochangesehenen Fachleuten, die Zuhilfenahme der ständigen parlamentarischen Kommissionen sozusagen überflüssig gemacht hat, die nach der Natur der Dinge nicht derart zweckmässig zusammengesetzt werden können.

Die Vorteile des gegenwärtigen Systems scheinen uns demnach zum mindesten denjenigen gleichzukommen, die man von einer ständigen Kommission erwarten könnte, die mit der Regierung sich in die Führung der diplomatischen Geschäfte teilen würde.

Die Geheimdiplomatie ist in der Schweiz unmöglich, und unsere auswärtige Politik ist völlig beherrscht von einem allgemein anerkannten Verfassungsgrundsatz, von dem der dauernden Neutralität. Es ergibt sich daraus, dass die auswärtige Politik der Eidgenossenschaft unvereinbar ist mit geheimen Abmachungen, und dass sie nicht beeinflusst werden kann von den Berechnungen einer Diplomatie, die darauf ausgeht, Bündnisse abzuschliessen oder umzustossen, die Kräfte der Grossmächte im Gleichgewicht zu halten, den politischen Einfluss zu stärken und Staatengruppierungen zu fördern oder zu festigen. Die Politik der Schweiz ist durchaus einfach, gerade und klar. Fussend auf einem Grundgedanken, der durch eine vielhundertjährige Überlieferung sich gesetzesmiissige Anerkennung errungen hat, hält sie sich abseits vom Wetteifern der Mächte in den grossen Fragen der internationalen Politik und beschränkt sich auf die
Verteidigung der unmittelbaren Landosi n l eresse n, auf die Förderung einer friedlichen Ausgestaltung der internationalen Beziehungen und auf die Zusammenarbeit der Staaten zur Lösung der Fragen von sozialem

1012 oder humanitärem Charakter, Die Haltung, die von der Schweiz in der äiissern Politik eingenommen wird, kann nur diejenige einer Zurückhaltung und Unparteilichkeit gegenüber allen Staaten sein ; wenn ihre Diplomatie sich mit einer gewissen Anzahl besonderer und für die Zukunft und das Gedeihen des Landes häufig sehr wichtiger Fragen zu befassen hat (Frage der Freizonen, des Rheins, des Gotthards, der Schiede- und Vergleichsverträge usw.), so haben diese keine Rückwirkung auf das Schachbrett der internationalen Politik, Die wesentliche Aufgabe der in andern Ländern vorhandenen, ständigen parlamentarischen Kommissionen, nämlich der Kampf gegen die Geheim diplomatie und zu gleicher Zeit die genaue Überwachung der allgemeinen, von einer Regierung in den auswärtigen Beziehungen eingeschlagenen Richtlinien, findet in der Schweiz kein Betätigungsfeld.

Y. Nachteile einer ständigen Kommission für MitYerwaltung der äussern Angelegenheiten.

Für die Vorbereitung und die Erledigung der Angelegenheiten, die Gegenstand unserer auswärtigen B Ziehungen bilden, bietet die Mitarbeit einer parlamentarischen Kommission Nachteile praktischer Art, die unseres Erachtens ein für das Land gedeihliches Wirken sozusagen zur Unmöglichkeit machon. Infolge der Natur der Dinge sähe sich der Bundesrat zuweilen veranlasst, Beschlüsse zu fassen und zu handeln, bevor die Mitglieder der Kommission wirklich Zeit dazu finden würden, die Angelegenheit zu studieren, sich zu besammeln und der Vollzuaisgewalt ihre begründete Auffassung bekanntzugeben. Es scheint demnach, dass es schwierig wäre, folgendem Dilemma zu entgehen : entweder würden die Kommissionen lediglich die Mitteilungen erhalten, die der ßundesrat ihnen in dem ihm geeignet erscheinenden Augenblick geben könnte, wobei sie dann nichts anderes als ein unnützes Räderwerk darstellen würden, da diese Mitteilungen erst gemacht werden könnten, wenn ein diplomatisches Vorgehen sich bereits vollzogen und im übrigen eine Unterrichtung der gesetzgebenden Räte selbst eher angezeigt wäre; oder aber die Kommission hätte vorgängig jeder Beschlussfassung der Regierung oder Weisungserteilung des Bundesrates an seine Vertreter im Auslande ihre Ansicht über die in ihre Zuständigkeit fallenden Fragen auszusprechen, und dann würde die Tätigkeit der Regierung gehemmt oder selbst gelähmt, wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Bundesrat und der Kommission entstehen sollte.

Im Falle eines unlösbaren Gegensatzes zwischen dem Standpunkt

1013 der Kommission und dem der Regierung würde letztere niemals einer politischen Richtlinie ihre Zustimmung geben, die mit ihren Überzeugungen im Widerspruch wäre. Die Regierung musate deshalb sich entweder über die Meinung der parlamentarischen Kommission hinwegsetzen oder einen Entscheid der eidgenössischen Räte herbeiführen ; im ersten Falle wäre ihre Stellung, wenn nicht erschüttert, so doch geschwächt, und im zweiten hätte sie Verzögerungen und eine öffentliche Erörterung zur Folge, die den Interessen, welche der Bundesrat wahrzunehmen hat, nur nachteilig sein könnten. Diese Lage könnte leicht zu einer Verwirrung führen, wenn man der parlamentarischen Kommission das Recht zuerkennen wollte, für die Regierung verbindliche Vorentscheide zu treffen ; da dieser immer eine gewisse Bewegungsfreiheit gewährt werden müsste, so wäre es unmöglich, eine in der Praxis zu beobachtende Grenzlinie zu ziehen, welche die Angelegenheiten, die ausschliesslich in die Zuständigkeit des Bundes* rates fallen, von denjenigen, welche die Mitarbeit der Kommission erfordern, scheiden würde.

Die Errichtung einer ständigen Kommission würde sich als besonders unzweckmässig erweisen, wenn es sich darum handeln sollte, ein Organ zu schaffen, das zwischen dem Bundesrat und den Gesandtschaften eingeschoben würde, mit der Befugnis zur Einsichtnahme aller politischen Berichte der letztern. Die Autorität des Politischen Departements gegenüber den diplomatischen Vertretern der Schweiz wie das Vertrauen, das zwischen diesen und der Bundesregierung bestehen soll, würde an der Wurzel untergraben. Die politischen Berichte der Gesandtschaften an den Bundesrat sind von vertraulichem Charakter, den sie, sollen sie Überhaupt ihren Nutzen behalten, bewahren müssen. Würden sie zur Verfügung einer, wenn auch beschränkten, Anzahl von Parlamentariern gestellt, so würde Gefahr bestehen, dass die durch sie veranlassten Erörterungen in Zeiten der Spannung zwischen den politischen Parteien nicht mehr mit der erforderlichen Verschwiegenheit verbunden würden ; es wäre auch nicht ausgeschlossen, dass sie zuweilen verloren gehen würden. Ihre Mitteilung an andere Behörden als an die Regierung könnte Meinungsstreitigkeiten heraufbeschwören, die rasch sehr bedauerlichen Charakter annehmen könnten ; sie würden nicht nur unsern diplomatischen Vertretern
die Freiheit des Urteils nehmen, sondern auch ihre Stellung im Auslaude, wenn nicht diejenige unseres' Landes selbst, kompromittieren. Im übrigen würde die Tätigkeit der Gesandtschaften auch beeinflusst durch die unvermeidlichen Schwankungen in der innern Politik des Parlaments ; es ist vor-

1014 zuziehen, dass sie völlig unabhängig bleiben und daes kein Bestreben, die persönliche Stellung zum Zwecke der Befriedigung dieser oder jener parlamentarischen Gruppe auszumitzen, die volle Objektivität trübe, die wir von den Berichten unserer Gesandten erwarten.

VI. Verfassungswidriger Charakter einer parlamentarischen Kommission für Mitverwaltnng der auswärtigen Angelegenheiten.

Der gewichtigste Einwand, den wir gegen die Ausarbeitung eines Gesetzes zu erheben haben, durch das ein ständiges parlamentarisches Organ eingesetzt wird, zum Zwecke, die auswärtige Politik des Bundesrates zu überwachen und mit diesem zusammenzuarbeiten, ist der, dass sie einen Eingriff der gesetzgebenden Gewalt in den Zuständigkeitsbereich der Vollzugsgewalt darstellen würde und deshalb unvereinbar wäre mit den Bestimmungen der Bundesverfassung, welche die Befugnisse der einen und der andern auf dem Gebiete der auswärtigen Politik genau abgrenzen.

Diese Verteilung der Befugnisse ergibt sich aus den Artikeln 85, Ziffern 5 und 6, und 102, Ziffern 8 und 9, der. Verfassung. Nach dem ersten dieser Verfassungsartikel hat die Bundesversammlung zu beschliessen über Bündnisse und Verträge mit den auswärtigen Staaten, über Massregeln für die äussere Sicherheit wie für die Behauptung der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz, sowie endlich über Kriegserklärungen und Friedensschlüsse. Die an zweiter Stelle erwähnten Verfassungsbestimmungen beauftragen den Bundesrat, die Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, zu wahren und die auswärtigen Angelegenheiten der Schweiz überhaupt zu besorgen ; er wacht über die äussere Sicherheit, die Behauptung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz.

Die Bundesversammlung ist demnach allein zuständig für alle völkerrechtlichen Fragen, welche die Existenz selbst des Staates angehen (vgl. Fleiner, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 733); aber ihre Befugnisse auf diesem Gebiete beschränken sich darauf, die landesgesetzlichen Vorschriften aufzustellen, welche 'die völkerrechtliche Stellung der Schweiz sichern sollen ; sie kann dem Bundesrate Weisungen erteilen, und dieser ist gehalten, sich danach zu richten, doch kann sie nicht selbst unmittelbar tätig werden (Burckhardt, Kommentar der Schweizerischen Bundes-

1015 Verfassung, 8. 750; Salis-Borel, Schweizerisches Bundesrecht I, S. 401). Die Verfassung verbietet zweifellos der Bundesversammlung nicht, durch ein Gesetz die Führung der auswärtigen Geschäfte der Schweiz zu regeln ; aber dieses Gesetz könnte lediglich einige abstrakte und allgemeine Regeln enthalten, nach welchen der Bundesrat sich einzurichten hätte ; es könnte aber nicht _der Bundesversammlung das Recht zuerkennen, diplomatische Handlungen selbst vorzunehmen; das ist gerade die der Regierung vorbehalteno Aufgabe (Burckhardt a, a.. O, S. 750); es erscheint deshalb a fortiori ausgeschlossen, dass die eidgenössischen Räte diese einer ständigen parlamentarischen Kommission über tragen könnten.

Die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten fällt, wie auf andern Gebieten der Bundes Verwaltung, allein in die Zuständigkeit des Bundesrates. Für alle Fragen, die nicht ein Lebensinteresse für die Schweiz darstellen (Massregeln für die äussere Sicherheit, Behauptung der Unabhängigkeit und der Neutralität, Kriegserklärung und Friedensschluss), ist der Bundesrat die einzige Bundesinatanz, die besehliessen und handeln kann. Die eidgenössischen Räte haben in dieser Beziehung keine andere verfassuDgsmässige Aufgabe, als seine Geschäftsführung zu überwachen auf Grund der jährlichen Berichte, der besondern Botschaften und aller Mitteilungen, welche die Regierung gehalten ist, an sie zu richten, sobald die Notwendigkeit hierzu vorliegen sollte (Art. 85, Ziffer 11, Bundesverfassung). Der Bundesrat hat weder die Absicht, die verfassungsmässige Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen, noch sich der Aufsicht der Räte zu entziehen. Wenn er es ablehnen inuss, seine Verantwortlichkeit mit einer ständigen parlamentarischen Kommission zu teilen --- im Bewusstseia, dass, wie die Geschichte es lehrt, eine geteilte Verantwortlichkeit eine aufgehobene Verantwortlichkeit bedeutet --, so erscheint es anderseits überflüssig, hervorzuheben, dass es nicht in seiner Absicht liegt, in irgendeiner Weise das Anfsichtsrecht des Parlaments einschränken zu wollen.

Der Bundesrat glaubt folglich im G-eiste der Bundesverfassung zu handeln, wenn er sich der Schaffung eines parlamentarischen Organs widersetzt, dem die Macht gegeben wäre, ihm Wegleitungen für die Führung unserer auswärtigen Politik zu geben. Um die schwere Verantwortlichkeit,
die die Verfassung ihr auferlegt, auf sich nehmen zu können, muss die Regierung Herrin ihrer Entschliessungen bleiben ; es wäre gefährlich, ein beständiges Organ zu schaffen, durch das bei den Gliedern der Vollzugsgewalt das

1016 Gefühl ihrer Verantwortlichkeit geschwächt werden könnte. Der Bundesrat hat im Laufe der letzten Jahre durch die Tat bewiesen, dass er eine auswärtige Politik völliger Lauterkeit und Redlichkeit befolgt. Wenn die Ergebnisse jeglichen diplomatischen Handelns nicht verborgen bleiben dürfen, so verhält es sich nicht ao mit der Führung der Verhandlungen, die eine grosse Verschwiegenheit erfordern, wenn nicht das verfolgte und erhoffte Ziel in nicht wieder gut zu machender Weise aufs Spiel gesetzt werden soll.

Dem Bundesrat muss es deshalb überlassen bleiben, zu entscheiden, in welchem Zeitpunkte Angelegenheiten der auswärtigen Politik öffentlich bekanntgegeben werden können ; im vorbereitenden Stadium darf er sich nicht durch irgendwelche besondere Verpflichtungen gegenüber einer ständigen Kommission gebunden fühlen, die eine Art zweiter Regierung darstellen würde, .deren Befugnisse sich auf das Gebiet der internationalen Politik beschränken würden.

TU. Ständige Aufsichtstommissiou "gemäss den Bestimmungen der parlamentarischen Geschäftsreglemente.

Wenn der Bundesrat sich der Errichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für Mitverwaltung der auswärtigen Angelegenheiten widersetzt, so glaubt er anderseits, sich über die Zweckmässigkeit nicht aussprechen zu können oder zu sollen, die 'hinsichtlich der Errichtung ständiger parlamentarischer Kommissionen auf Grund des Gesetzes vom 9. Oktober 1902, betreffend den Geschäftsverkehr zwischen den beiden gesetzgebenden Räten, bestehen würde, welchen Kommissionen die Aufgabe zufiele, die parlamentarische Aufsichtsarbeit über die diplomatische Tätigkeit der Regierung auszuüben. Diese Kommissionen wären demnach beauftragt mit der Prüfung aller Botschaften, Verträge und Gesetzesentwürfe, wie mit der Vorbereitung aller Berichte au die Räte, die gegenwärtig besondern und zeitweiligen Kommissionen anvertraut sind. Ihre Tätigkeit wäre nicht verschieden von derjenigen anderer ständiger, gegenwärtig tätiger parlamentarischer Kommissionen. Sie würden nicht in die Vorrechte der Regierung eingreifen. Wenn die Räte die Errichtung derartiger Kommissionen als zweckmässig erachten sollten, so könnte angenommen werden, dass der Bundesrat sie zuweilen beiziehen würde in Fällen, in denen er ein Interesse hätte, im voraus die wahrscheinliche Aufnahme zu kennen, die das Parlament gewissen Beschlüssen oder Anregungen bereiten sollte. Aber er könnte keine Verpflichtung hierzu anerkennen und müsste, welches auch

1017 dio von der Kommission geäusserte Ansicht wäre, sich vorbehalten, diese ausser acht zu lassen, wenn in seinen Augen die Umstände oder eine richtige Wahrnehmung der ihm anvertrauten Interessen es erfordern sollten.

Auf Grund der vorstehenden Erwägungen gelangt der Bundesrat zum Schluss, dass die Errichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für Mitverwaltung der auswärtigen Angelegenheiten . mittels Gesetz weder möglich noch wünschbar ist und dass wir Ihnen deshalb empfehlen, der vom Nationalrat am 5. Oktober 1920 angenommenen Motion keine Folge zu geben.

Er hat anderseits sich über die Errichtung einer ständigen parlamentarischen Aufsichtskommission nicht auszusprechen, die gemäss den bestehenden Geschäftsreglementen der eidgenössischen Räte eingesetzt würde, und er überlasst jede Stellungnahme in dieser Hinsicht der eigenen Entschliessung jeder der beiden Räte.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 25. November 1924.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Chuard.

Der Vizekanzler: Kaeslin.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Errichtung einer ständigen parlamentarischen Kommission für auswärtige Angelegenheiten. (Vom 25.

November 1924.)

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