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Bundesrathsbeschluß in

der Rekurssache des Herrn alt Rath Maurus J n g l i n .

von Rothenthurm, Kts. Schwyz, betreffend Verfassungsverlezung.

(Vom 7. Juni 1867.)

D e r s ch w e i z e r r s eh e B u n d e s r a t h hat

in Sachen des Herrn alt-Rath Maurus J n g l i n , von Rothenthuxm, Kantons Schwyz, betreffend Versassungsverlezung .

^ naeh angehortem Berichte des Jnstiz- nnd Volizeidepaxtements und naeh Einsieht der Akten, woraus sich ergeben .

L Dureh Urtheil des Kximinalgeriehtes des Kantons Schwyz vom

6. Oktober 1851 wurde Rekurreut der Widerlichkeit gegen Behörden und Beamte, sowie der Veruntreuung verschiedener Beträge in seiner Eigenschaft als Präsident der Gemeinde Rotheuthurm schuldig erklärt

und zu einer Geldstrafe von Fr. 500 (a. W.), zu zehnjähriger Ehren..

einstellung und zur Bezahlung der Prozesskosten verurtheilt.

.Laut Bericht der Justiz-Kommission des Kantons Schwyz appellirte zwar der Verurteilte, proseguirle aber die Appellation nicht.

H. Maurus Jnglin versuchte nun seither wiederholt eiue Revision dieses Prozesses zu erlangen, alleiu ohne Erfolg, weil nach der Erklärung seines Advokaten in der gegenwärtigen Rekursschrift, die im Geseze geforderten Rova mangelten.

Dagegen erhob er im Rovember 1864 eine Beschwerde bei dem Bundesxathe gegen die Vexfassungsmässigkeit des Urtheils, und verlangte die

77 Aufhebung desselben. Mit Beschluß vom 5. Dezember 1864 wurde er jedoeh augewiesen , seine Beschwerde zunächst bei dem Kantonsrathe von Schw^z, welchem die nächste Aufsicht über die Handhabung der Verfassung zustehe, einzureichen.

IH. Unterm 12. Dezember 1864 stellte nun .^.r. Jnglin an den Kantonsrath von Schw^z das Gesuch, dass das erwähnte Urtheil als

verfassungswidrig kassirt und die bezügliche Kriminalprozedur als gesezwidrig aufgehoben werden mochte. Mit Besehluss vom 4. August 1865

entsprach der Kantonsrath von Schw.^ diesem Gesuche nur theilweise, indem er zwar das Urtheil aufhob, aber den Fall zur neuen Beurtheilung an das Kriminalgericht verwies.

Der diessällige Beschluß stüzte sich daraus, dass der ^ 74 der

Verfassung ^ur Wählbarkeit in das Kriminalgexicht das zurükgelegte 25. Altersjahr erfordere, während bei dem fraglichen Urtheile ein Richter mitgewirkt habe, der laut pfarramtliehem Zeugniss zur Zeit der Ur-

theilssällnng das 25. Altersjahr noch nicht zurükgelegt gehabt.

IV. Der Beschlnss des Kantonsrathes wurde dem Kriminalgeriehte

des Kantons ^chwyz mitgetheilt, allein die neue Beurtheilung des Re-

kurrenten verwerte sieh längere Zeit, weil die Untersuchungsakten ver^ schwunden waren. Jn diesem Stadium trat nun der Rekurreut gegen

die Regieruug des Kantons Schw.^z mit der Klage auf, dass diese ge-

sichtlich zu verpflichten sei , ihm die bezahlte Busse nebst den Brozesskosten im Betrage von Fr. 1276. 43, sammt ^ins a 5^ seit dem

10. Rovember 1851 bis 1. Juli 1866, zurük zu ^zahlen.

Dieser Brozess kam am 4. August 1866 vor dem Bezirksgerichte von Sehw^z znr Verhandlung. Die Regierung des Kantons Schw^.z hatte jedoeh vorher wiederholt aus die Fortsezung und Erledigung des

Krimiualprozesses gedrungen. Sie gab deshalb am 1. Angnst 1866

der Staatsanwaltschaft den Auftrag, den Strafprozess gegen Hrn. Jnglin sofort neu zu eroffnen uno verlangte am 4. August vor Bezirksgericht

die Sistiruug des Zivilprozesses bis zur Erledigung der ueuen ^trasuntersuchung. Das Bezirksgericht fand jedoch, es sei die Zivilklage

unabhängig von der neuen Kriminaluntersuchnug , und erkannte, es sei die Regierung verpflichtet, sich einzulassen. Dieser Entscheid wurde von der Justi^Kommission des Kantons Schw^ am 18. September 1866

.bestätigt.

V. Die beiden erwähnten Vrozesse wurden nun stets neben einander betrieben.

Aus der einen Seite wurde die Zivilklage des Reknrrenten durch

Urtheil des Bezirksgerichtes von Schw^z d. d. 27. Oktober 1866 auch

in der Hauptsache bejahend entschieden, von der Regierung des Kantons Schw.^z jedoeh an das Kantonsgericht appellirt, wo sie gegenwärtig noeh

pendent ist.

78 ^.lus der andern Seite betrieben die Regierung und die Staats.Anwaltschaft des Kantons Sehw.^z die Fortsezung der Kriminalunter.suchnng , worauf jedoch das Kriminalgexicht wegen des .Verlustes der Akten nicht eintreten zu konnen erklärte. Als aber im Rovember 1866 die alten Untersuchungsakten wieder aufgefunden wurden, erhob der Rekurrent die Einrede , dass die Strafverfolgung überhaupt zu unterbleiben, eventuell, dass sie jedenfalls nur aus die kriminellen .funkte sich auszudehnen habe. Das Kriminalgericht entschied am 12. Dezember 1866, diese Vrozedur falle wirklich in seine Kompetenz, indem einzelne

Klagpunkte nach Tit. Il, ^ 3 des Strafgesezes krimineller Ratur seien.

Mehrere andere Klagpunkte, woraus das erste Urtheil stch auch ansdehnte, wurden dagegen fallen gelassen.

Gegen diesen Entscheid rekurrirte Hr. Dr. G...r in Sehw.^, namens des Hrn. Jnglin, an die Jnsti^Kommission des Kantons Schw..^, welehe jedoch mit Besehluss vom 30. Januar 1867 ihr Eintreten ablehnte, weil die Beschwerde erst am 21. Dezember 1866, also. nach Ablauf der gesezlichen Frist von acht Tagen, eingegeben worden sei.

VI. Herr Dr. G^r erhob nun namens des Hrn. Jnglin Besehwerde bei dem Bundesrathe und erwirkte am 6. Februar a. c. eine vorläufige Sistirung des Krin.^alpro^esses, verlangte aber auf der andern Seite, dass der Zivilprozess seinen Fortgang nehme. Auf ein bezügliches Gesueh der Regierung des Kantons Schw^z wurden jedoch am 13. Februar 1867 auch die Verhandlungen des Zivilprozesses bis zur Erledigung des von Hrn. Jnglin angekündigten Rekurses siftirt.

VII. Der von Hrn. Dr. G...r namens des Hrn. Jnglin angekündigte Rekurs wurde mit Eingabe an d^n Bundesrath vom 27. Februar

1867 prose.^uirt und in rechtlicher Beziehung dahin begründet : 1) Der Beschluss des Kantonsrathes von Sehw^z sei in Zisf. 2 als im Widerspruche. stehend mit ^ 12 und ^ 50 der sehw.^erischen Verfassung aufzuheben ,

^^ Der Entscheid des Kriminalgexichtes vom 12. Dezember 1866 sei ^ ^^ unzulässig : ^ ^. weil der Entscheid über das Begehren des Rekurrenten auf Aktenvervollständigung und Zeugeneinvernahme vorher hätte erlassen werden müssen ^ 232 St. B. .^.), aber nicht er.^ lassen worden sei, und Rekurrent B. dadurch dem versassungsmässigen Richter entzogen worden sei, (^ 13 der sehw.^erischen Verfassung).

C. weil sieh der Entscheid aus Ziff. 2 des Beschlusses des Kantonsrathes vom 4. Augnst 1865 stüze, dieser Besehlnss aber im Widerspruche stehe mit ^ 12 und ^ 50 der sehw.^erisehen Verfassung .

7^ 3) Der Entscheid der Justizkommisston gestalte sich faktisch ^u einer Rechtsverweigerung, weil der Rekurs am lezten, d. h. am achten Tage , wie es gefordert sei , wirklich eingelegt worden, also die Annahme einer Fristversaumniss als unbegründet erscheine ; eventuell: es sei die Justizkommission in dex^zum wenigsten zweifelhasten Frage nicht berechtigt, eine Fristversäumniss anzunehmen , wenn keine Bartei dieselbe behaupte. im ..gegentheil beide Parteien ihren Entscheid begehren.

4) Die Sistirung des Zivilprozesses sei weder durch die schw..,zerische Kantons-, noch durch die Bundesversassung gerechtfertigt, indem die vom Bundesrathe angenommene Konnex^ität durch die kompe.tenten schwierigen Berichte als unzulässig zurükgewiesen worden

sei und daher zu alsbaldiger Beendigung des Zivilprozesses dessen

Sistirung ausgehoben werden sollte.

Vlll. Das Kriminalgericht des Kantons Sehwr^ gab in seiner Antwort vom 10. April .^. c. nähern Anfsehluss übe.. verschiedene per^ sonliche Verhandlungen des Hrn. Dr. G^r am 20. Dezember 1866, um den Beschluss vom 12. Dezember gl. J. zum Zweke des Rekurses zu erhalten, und bemerkte, dass Rekurrent zuerst 3 Tage Frist zur Stel^

lung von Ergänzungsbegehren, dann 10 Tage und nachträglich no.h

weitere 3 Tage Frist zum Studium der Akten gehabt, allein nie ein schriftliches Begehren um Vervollständigung der Akten gestellt habe ^ es habe ihm da^er auch nie ein motivirter Entscheid darüber nach Vorschrift der ^ 175 und 231 der ^trasprozess-.^rdnung ertheilt werden konnen. Davon koune keine Rede sein , dass Hr. Jnglin durch den Beschluss des Kanto..srathes vom Jahr 1865 seinem versassungsmässigen Richter entzogen worden sei, denn dureh die Aushebung des ersten Urtheils aus einem formellen Grunde seien die eingeklagten Handlungen

des Hrn. Jnglin keineswegs straslos erklärt worden.

I^. Die Justi^kommission des Kantons ^ehw^ schließt ihre weitläufige Beantwortung des Rekurses d. d. 26. .^lpril 1867 mit dem .Antrage aus Abweisuug des leztern und weist nach , dass der. Rekurs

.gegen den Bescheid des Kriminalgeriehtes vom 12. Dezember wirklich erst am 21. Dezember eingegeben worden, also nach ^ 310 der Strasprozess^rdnnng verspätet gewesen sei. Auch sei die Behauptung des Rekurrenten unrichtig, dass er am 20. Dezember die Rekursschrift, am 21. Dezember aber den reknrrirten Beschluss eingegeben habe.

.^.. Die Regierung des Kantons ...^chw^ stellt in ihrer Antwort von. 27. April 1867 ebenfalls den Antrag aus Abweisung des Rekurses

und bemerkt mit Rüksicht aus den Zivilprozess, dass sie von der Ansicht ausgehe, entweder^ werde Jnglin vom Kriminalgeriehte sreigesproehen, dann werde der Staat die Rükerstattnng mit aller Bereitwilligkeit .leisten;

Bundesbl....... ^ahrg.XIX. Bd. III.

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^0 ^oder Jnglin werde mehr oder weniger schuldig befunden und in diesem Falle auch im neuen Urtheil zipilreehtlich haftbar erklärt werden.

Jn E r w ä g u n g : 1) Die Behauptung , ^ der Beschluss des .^antonsr...thes, welcher ausser der Aushebung des kriminal^riehtliehen Urtheils wegen inkonstitutionell ^usammengeseztex Behorde den Fall aus Grund der bezüglichen Vrozessakten zur neuen Beurtheilung an das Gericht zurükwies, verstosse

sich in lezterer Begehung gegen die Artikel 12 und 50 der Kantousverfassung, ist unrichtig.

2) Der erstere Artikel handelt nur von der ..^rennang der versehiedenen Gewalten und perbietet der gesezgebenden Behorde, riehter^liehe Verrichtungen auszuüben oder sich anzueignen . der lettere reservirt dem ......antonsrath das Recht der Gesezeserläuterung, jedoch nie in Anwendung aus einen einzelnen vor den Gerichten schwebenden Rechts-

fall,

3) Von einer Erläuterung gesezlicher Vorsehristen des Strasrechtes in Be^ng auf den Vrozess des Rekurrenten ist nirgends die Rede.

^Ebenso kann a..ch mit Grund nicht behauptet werden . es liege eine Einmischung der gesezgebenden Gewalt in richterliche Funktionen vor, ^enn der Kantonsrath einer neuerliehen Benrlheiluug einer abgeschlossen neu Strasuntersnchnng den regelmässigen Laus anweist , da er zu einer Niederschlagung des Prozesses weder Veranlassung uoeh Kompetenz besizt.

der Richter hätte ohnehin den Bro^ess einem Endnrtheil^entgegensühren umssen , 4) Wenn Rekurrent im Weitern sich über Reehtsverweigerung beschwert, so ist im richtigen Sinn des Wortes hievon keine Rede, da ihm kein zulässiges Rechtsmittel abgeschnitten oder verkümmert wurde, daher eine Einweisung aus Art. 65 der ^.antonsversassnng uieht zutreffend wäre. Zudem ergibt sich aus den amtliehen Berichten , dass die faktischen Behauptungen des Rekurreuten pielsach mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen , 5^ Ganz haltlos. ist die ...inführung, dass Rekurrent den. versassungsmassigen Richter entzogen worden sei. Rieht nur ist von Aufstellung verfassungswidriger Gerichte keine Rede , sondern es ergibt sich , dass der Brozess vor den ordentlichen Jnstanzen geführt wurde, die Rekurrent ohne Einwendung als solche anerkannte, und dass er nun erst diese Einwendung erhebt, da ein Reehtsbegehren nicht die gewünschte Erledigung gesunden hat.

6) Sosern aber keine bundesgemäss garantirten Rechte verleg sind, ,.o ist sür den Bundesrath keinerlei Veranlassung vorhanden , sieh mit der Frage über die Priorität der Urtheile und den Gang der Vrozesse

überhaupt zu besehästigen ,

^t b e s eh l o s s e n :

1. Der Rekurs ist als unbegründet abgewiesen.

2. Die früher von hier ans angeordnete Suspension des Kriminal-

und des Zivilprozesses ist aufgehoben.

.3. Dieser Beschluss ist der Regierung des Kantons Sehw.^ für sich und zuhanden des Kantonsrathes und der Justizkommission, sowie dem Hrn. Fürsprech Dr. G^r in Schw..^ als Anwalt des Rekurrenten Herrn

alt-Rath M. Jnglin, unter Rüksendung der Akten mittheilen.

Also beschlossen, .^ern, den 7. Juni 1867.

Jm Ramen des schweizerischen Bundesrathe^, Der Bundespräsident:

^. Fornerod.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

^chie^.

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Bundesrathsbeschluß in der Rekurssache des Herrn alt-Rath Maurus Inglin, von Rothenthurm, Kts. Schwyz, betreffend Verfassungsverlezung. (Vom 7. Juni 1867.)

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1867

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51

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

30.11.1867

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