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Botschaft des

Bundesrathes an die gesellenden Räthe der Eidgenossenschaft,.

betreffend die neue Staatsverfassnng des Kantons Unter= walden ob dem Wald.

(Vom 9. Dezember 1867.)

Tit. l Der Artikel 6 der Bundesverfassung verpflichtet die Kantone, für ihre Verfassungen die Gewährleistung des Bandes nachzusuchen. Der Bund übernimmt diese Gewährleistung , insofern a. sie nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten .

b. sie die Ausübung der politischen Rechte naeh republikanischen repräsentativen oder demokratischen Formen siehern , c. sie vom Volke angenommen worden sind und revidirt werden konnen, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt.

Jn Raehachtung des Eingangs des zitirten Versassungsartikels haben Landammann und Regierungsrath des Kantons Unterwalden ob dem Wald die neue Verfassung dieses Kantons übermacht und um die bundesgemässe Gewährleistung derselben nachgesucht.

Diese Verfassung ist von dem in einer ausserordentlichen .Landsgemeinde versammelt gewesenen Volke von Ob.valden am 27. Oktober

211 1867 angenommen worden und tritt mit der ordentlichen Landsgemeinde

1868, d. h. laut Art. 34 am lezten Sonntag des Aprils in Kraft.

^ie kann jederzeit ganz oder theilweise .revidirt werden , und anerkennt au.h fernerhin die Landsgemeinde als oberste souveräne Gewalt , der einige neue Kompetenzen zugeschieden sind , die sie bis anhin nicht besass.

Die Verfassung organisirt die ganze Staatseinrichtung in demokratischer Weise , sie hat die grosse Behordenzahl vermindert, die Kompetenz der einzelnen besser ausgeschieden und die Trennung der Gewalten , wenn auch nicht strenge durchgeführt, doch grundsazlich ausgesprochen.

Aus diesen allgemeinen Bemerkungen ergibt sieh , dass die neue Versassung von Ewalden im Ganzen diejenigen Requisite besizt , die der Bund verlangt , und dass sie in einigen Punkten wesentliche Verbesserungen enthalt.

Wir finden uns aber doch veranlasst, einige Bestimmungen derselben einer kurzen Beleuchtung zu unterwerfen , wobei wir uns strenge nur an diejenigen Pnnkte halten wollen , die bei der eidgenossischen Garantie der Verfassung in Frage kommen müssen.

Jm Art. 26, im dritten Alinea, ist die Bestimmung enthalten, dass solche, die kein Gemeinderecht besten, dem Kanton statt der Bürgergemeinde im Armenwesen steuerpflichtig sind. Jn Uebereinstimmung hiemit ist im Art. 7.), Litt. b, bezüglich des Vormundschastswesens wieder pon Personen die Rede, die nirgends im Kanton ein Gemeinderecht besten. Ewalden hatte seinerzeit bekanntlich eine ziemliche Anzahl sogenannter T o l e r i r t e r , welche kein Gemeindebürgerrecht besassen.

Das Bundesgesez, die Heimatlosigkeit betreffend, vom 3. Dezember 1850, verpflichtet aber den Kanton , diesen Leuten ein GemeindeBürgerrecht zu verschaffen. Eine Ausnahme von dieser Regel gestattet das Gesez nur bei Männern, die über 60 und bei Weibern, die über ^0 Jahre alt sind, und ferner bei solchen Personen,. welche eine kriminelle oder entehrende Strafe erlitten haben , bis zur eingetretenen Re-

habilitation.

Es lässt sich nun nicht wohl annehmen, dass in Obwalden bei Auwendung des genannten Bundesgesezes noch viele Personen e^istiren sollten, welche sich ohne Gemeindebürgerrecht befinden. Desswegen ist es etwas auffallend , dass in einer Versassnngsnrkunde , die einen bleibenden Eharakter hat, solche Bestimmnngen aufgenommen werden. Wir knüpfen an diese Bestimmungen, puncl.o Genehmigung, keinen Vorbehalt, hingegen werden dieselben dem Bundesrathe .^eranlassnng geben , sich genau über die thatsächlichen Verhältnisse zu erkundigen und nöthigen-

falls Obwalden znr Erfüllung seiner Pflicht anzuhalten.

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Raeh den bezüglichen Berichten sollte das Bnndesgesez über die Heimatlosigkeit im Danton Unterwalden ob dem Wald schon im Jahre 1853 vollzogen worden sein. Darnach wären 404 Bersonen in Gemeinden eingebürgert worden.

69 ,, in das Verzeichnis dersenigen Kautonsan^ehorigen aufgenommen worden , welche wegen Alters nicht eingebürgert zu werden brauchten, und 13 ,.

wegen entehrenden Strafen in der Einbürgerung bis zu ihrer Rehabilitation suspendirt geblieben.

Run versteht es sich von selbst, dass jene 404 Bersonen nicht unter

die Artikel 26 uud 79, Litt. b, fallen konuen. Jm Sinne von Art. 4 des Bundesgesezes dürsen sie in diesen Verhältnissen nieht anders gestellt werden, als jeder andere alte Gemeindsbürger von Obwalden.

Was sodann die .vegen Alters uud wegen Verbrechen nicht in Gemeinden eingebürgerten Bersonen betrifft. so liegt es in der Ratur der Sache, dass ^ diese im Verlause von 14 Jahren sehr zusammengeschmolzen sein müssen , wenn sie nicht ganz aufgehort haben. Es ist nämlich wohl zu beachten und sür die Jnterpretation der fragliehen Verfassun^sbestimmungen schon jezt zu konstatiren, dass diese Klassen s.ch nicht vermehren konnten , da die Gründe , wesshalb bei der einen Klasse die Einbürge.^ rnng in Gemeinden gänzlich und bei der anderen Klasse wenigstens Bitweise unterbleiben konnte , nur auf den .Zeitpunkt der Einbürgerung sich beziehen und rein personlicher Ratur sind. Daher haben schon im Jahre 1853 die Kinder und Rachkommen eines über 60 Jahre alten Mannes oder einer über 50 Jahre alten Witwe , wie auch die Rachkommen von Kriminalisten, in Gemeinden eingebürgert werden müssen .

und wenn seither einzelne Jndividuen kriminalisirt worden wären , so hätten sie deswegen doch ihr Gemeindebürgerrecht nieht verlieren und nicht wieder in die Klasse der T o l e r i r t e n zurüksallen konnen.

Die Sache wird sieh übrigens , wie bereits bemerkt , nach näherer Jnsormation ans dem Wege der Vollziehung ordnen lassen.

Anlasslieh des Absazes 3 von Art. 26 finden wir noch die Bemerknng nothig, dass diese Bestimmung im Hinblik aus die Artikel 41 und 48 der Bundesverfassuug nieht dahin verstanden werden darf, als ob dadurch die ausser dem Kanton niedergelassenen Bürger von ^bwalden für Armensteuern von der Heimatgemeiude in Anspruch genommen werden konnen, und eben so wenig, dass von Schwei^erbürgern , die in Obwalden niedergelassen sind, eine andere Art von Armeusteuer bezogen werden darf . als solches nach den im eidgenossischen Rechte geltenden

Grundsäzen zulässig ist.

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Bei folgenden drei Artikeln dagegen sind wir im Falle, der eid^enossischen Garantie einen bestimmten Vorbehalt beizufügen : 1) Der Art. 15 verpflichtet jeden Kantonsbürger und jeden im Danton niedergelassenen Schweizer zur Wehrpflicht. Die gleiche Bestimmung stund schon in der Verfassung vom Jahr 1850, ohne dass sie damals beanstandet worden wäre. Darnach find einerseits die aus andern Kantonen in Obwalden niedergelassenen Schweizerbürger verpflichtet , dort Militärdienste zu thun , und andererseits soll der ^bwaldnerbürger , ohne Rüksicht auf eine anderweitige Niederlassung , in seinem Heimatkanton der Wehrpflicht Genüge leisten. Der Wortlaut lässt keine andere Deutung zu, obwohl in der Vrax^s anders wird perfahren worden sein. Es muß daher auch der Wortlaut in Einklang mit der Gesezgebuug über die Militärorganisation gebracht werden.

2) Art. 32 gibt in eidgenössischen Angelegenheiten nur den niedergelassenen S.hweizerbürgern Stimm- und Wahlfähigkeit. Auch in diesem Vuukte hatte die alte Verfassung die gleiche Bestimmung , welche nicht beanstandet wurde. Und dennoch ist sie unzulässig . sie wider-

spricht namentlich den Vorsehristen der Artikel 42 und 63 der Bundes-

versassung. Das Stimmrecht für eidgenosfische Wahlen und Abstimmuugen mnss sich aber naeh der eidgenössischen Ges..zgebnng richten.

Darnach ist stimmberechtigt jeder Schweizer, der das zwanzigste Altersjahr zurükgelegt hat und im Uebrigen nach der Gesezgebu.^g des Kantons , in welchem er seinen Wohnsiz hat , nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist. ^Es muss also dieser Verfassungsartikel mit der Bundesverfassung in Einklang gebracht werden.

3) Jm Artikel 33 wird zur ^timmfähigkeit in Kirchen- und SchulAngelegenheiten neben den allgemeinen Requisiten noch verlangt , daß einer der katholischen Konfeffion angehöre. Jn gleicher Weise spricht sieh der Art. 69 aus , der für die kirchlichen Wahlen und die Wahl der .^ehullehrer die Bekenner einer andern als der katholischen Konsession

ausschliesst. Was die kirchlichen Angelegenheiten anbetrisst . so wird sich uiehts dagegen einwenden lassen , wenn nur die Angehörigen der betreffenden , d. h. katholischen Konsession .zur Regelung derselben berufen werden. Es ist daher ganz konsequent, wenn der Art. 2^ zur Kirchen- und ^frundsteuer nur die in der Gemeinde Niedergelassenen der katholischen Konsession pflichtig erklärt. Richt so verhält es sich aber mit der Sehulsteuer , an welche die Bekenner der andern Konfession bezahlen sollen, wofern die Kinder der verschiedenen Konfessionen die gleiche Schule besuchen. Also auf der einen Seite verpflichtet man die gleichen Bürger zur Bezahlung der S.hulsteuer und auf der andern Seite sehliesst man diefelben von aller Theilnahme an den Schulangelegenheiten aus.

Dieser Ausschluß ist aber eine unzulässige UuGleichheit.

BundesbIatt.. ^ahrg.XIX. Bd. III.

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214 Anders wird sich die Sache gestalten, wenn der in der Verfassung porgesehene Fall eintritt , dass sieh einzelne protestantische Gemeinden organistren , welchen die selbstständige Verwaltung ihrer Kirchen- nnd Sehulangelegenheiten wie den Gemeinden katholischer Konsession zugesichert ist. Jn diesem Falle würde selbstverständlich in den betreffenden ...gemeinden die Mitberathung und Mitbezahlung an die Landesschulen wegsallen.

Jm Uebrigen scheint uns diese Verfassung nichts zu enthalten, was mit der Bundesverfassung im Widerspruch wäre. Wir empfehlen sie daher im Sinne der so eben gemachten Bemerkungen zur eidgenössischen Gewährleistung mittelst solgenden Dekrete... : Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes über die neue Staatsverfassung des Kantons Unterwalden ob dem Wald , vom 27.

Weinmonat 1867, in Berechtigung .

1) dass Lemma 1 von Art. 15 dieser Verfassung, dahin lautend: ,,Jeder Kantonsbürger und jeder im Kanton niedergelassene

,,Schweizer ist wehrpflichtig,^ - nur im Einklang mit der jeweiligen Bundesgesezgebung über die Militärorganis.ation auszulegen ist .

2) dass Art. 32, Litt. a, der vorliegenden Versassimg , wodurch die

^timm- und Wahlsähigkeit in eidgenössischen Angelegenheiten für

Schweizerbürger anderer Kantone von der Niederlassung abhängig gemacht wird , mit Art. 42 und 63 der Bundesverfassung nicht harmonirt, indem hienaeh bei e i d g e n o s s i s e h e n Wahlen und Abstimmungen jeder Schweizer wahl^ und stimmfähig ist , der das

zwanzigste Altersjahr zurükgelegt und im Uebrigen nach der Gesezgebung des Kantons , in welchem er seinen Wohnsiz hat , nieht vom .^lktivbürgerrecht ausgeschlossen ist ; .^) dass in den Artikeln 33 und 69 die Bekenner der protestantischen Konfession von der Stimmfähigst in Sehulangelegenheiten ausgeschlossen sind, während sie doch andererseits für die Sehulsteuern als pfliehtig erklärt werden , diese Bestimmung aber eine unzu-

lässige Ungleichheit enthält und somit von der eidgenossischen Sanktion auszusehliessen ist,

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4) dass diese Verfassung im Uebrigen nichts enthält, was mit der Bundesverfassung im Widerspruehe wäre,

beschließt: 1. Der neuen Verfassung des .Kantons Unterwalden ob dem Wald von 1867 wird im Sinne der Erwägungen die Gewährleistung des Bundes ertheilt.

2.

theilen.

Dieser Besehluss ist dem Bundesrathe zur Vollziehung mitzu-

B e r n , den ..). Dezember 1867.

Jm .^amen des schweizerischen Bundesrathe^,

Der Vizepräsident:

^r. ^. Dubs.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ^chie^.

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Botschaft des Bundesrathes an die gesetzgebenden Räthe der Eidgenossenschaft, betreffend die neue Staatsverfassung des Kantons Unterwalden ob dem Wald. (Vom 9. Dezember 1867.)

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14.12.1867

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