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Bundesversammlung.

Bei Anlass der Eröffnung der Bundesversammlung am 12. April 1926 gedachte im N a t i o n a l r a t Herr Präsident Dr. E. Hof mann des verstorbenen Herrn Ständerat Wipfli mit folgenden Worten: Meine Herren!

Wiederum haben wir beim Sessionsbeginn eines Verstorbenen zu gedenken.

Standerat Josef Wipfli in Altdorf ist auf des Lebens Höhe vom Allbezwinger Tod in der Morgenfrühe des 4. März dahingerafft worden. Nicht ganz 44 Jahre gönnte ihm das unerforschliche Schicksal. Mitten in einem Leben reich an Mühe und Arbeit, vom Sonnenschein des Erfolges bestrahlt, angesichts neuer Würden und Bürden tot dahin zu sinken, gilt manchem als bitteres Loa.

Liebling des Schicksals nennt der Lebenserprobte den Erdensohn, dei' auf der Sonnenhöhe des Lebens dem Tod den letzten Tribut zollt. Ganz sicher war der Verstorbene ein Liebling des Schicksals. Das schenkte ihm voi allem eine arbeitsvolle, harte Jugendzeit. Eines Bauern Sohn, früh der Mutter durch den Tod beraubt, wuchs der nunmehr Verstorbene zusammen mit 9 Geschwistern in nicht gerade üppigen Verhältnissen auf. Blutjung ins Joch der Arbeit eingespannt, bald Gehilfe des Vaters und der altern Geschwister, bald Geisshirt auf dem väterlichen Bergheimet im Erstfeldertal, lernte er der Arbeit Freud und Segen kennen. Ein wissensdurstiger Schüler, musste er sich doch mit einem einzigen Jahr Sekundärschule begnügen. Der Vermittlung seines Pfarrers und Gönners dankte er den Besuch der landwirtschaftliehen Winter&chule in Sursee während eines Semesters.

Als zweite Gabe verlieh ihm das Schicksal die Kunst echter Volkstümlichkeit. Das Volk schätzt die Kraftnaturen, die überall Hand anlegen, die sich zu allem geschickt erweisen, die vor den fernsten und schwersten Aufgaben nicht zurückschrecken, die ohne Doktorhut dem Gelehrten in nichts nachstehen und manchen Studierten kraft ihrer naturlichen Veranlagung und dank eigener Fortbildung in den Schatten stellen. Das Volk schenkt den von ihm selber und ohne fremdes Zutun Auserwählten sein volles Zutrauen. Man weiss nicht von wannen es kommt. Nur das weiss man, da ss solches Zutrauen in der Regel Tod und Grab überdauert. Das Volk liebt die mit ihm leben und weben, als ihresgleichen sich geben und die ihm den Willen diktieren -- unmerklich beinahe und doch mit grosser Energie.

Und endlich gönnte ihm ein giltiges Geschick die
Zeit zu langsamer, ruhiger, stufenmässiger Entwicklung seiner Fähigkeiten. Nachdem er die erste Belastungsprobe siegreich bestanden, fügte sich ein Wirkungsfeld ans andere, jedo neue Aufgabe den Blick weitend, Lücken des Kennen« und Wissens ergänzend.

Gesund und stark an Leib und Seele, ein Knabe noch an Jahren, begann er t-eine öffentliche Laufbahn als Brunnenineister und entwickelte sich in der Ausübung dieses Amtes zum Wasserleitungsinstallateur,

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Dem 17jährigen erteilte der Regierungsrat die Jahrgebung, da er von den Erstfeldern zum Stellvertreter des Betreibungsbeamten gewählt worden war.

Mit 20 Jahren wurde ihm das Betreibungsamt übertragen. Von da an wurde der Verstorbene überall hinein gewählt, wo eine Lücke in einem Kollegium entstand. Schulrat, Kirchenrat, Gemeinderat, Gemeindepräsident, BurgerratsPräsident, Landrat, Landratspräsident, Kreisrichter, Präsident des Landgerichtes, Präsident der Korp. Uri, Notar, Kreiseisenbahnrat, Major des Urner Bataillons und endlich 1925 Mitglied des Ständerates.

Es ist nicht daran zu zweifeln, dass er auch in diesem Bat sich bald Ansehen und Geltung verschafft hätte und dass seine Karriere noch nicht abgeschlossen war. Das Schicksal hat es anders gewollt und hat allzufrüh nach menschlichem Ermessen seinen Strich gesetzt unter das Lebensbuch dieses wackern Eidgenossen.

Zu Ehren des Verstorbenen erhebt sich der Bat von den Sitzen.

Im S t ä n d e r a t e hielt Herr Präsident Dr. G.Keller-Aargau folgenden Nachruf : Meine Herren Kollegen!

Am 4. März ging die unerwartete Trauernachricht durch unser Land, dass Herr Ständerat Josef Wipfli, den man krank wusste, aber auf dem Wego do Genesung wähnte, in seinem 43. Altersjahre in Altdorf plötzlich gestorben sei.

Eine innere Verletzung hatte einer an sich ungefährlichen Bruch-Operation gerufen. Bereits halte der Kranke da-, Bett wieder verlassen, da warf ihn eine Lungenentzündung neuordings nieder, und eine Herzlähmung führte, als man auch diese Gefahr schon gehoben glaubte, zum frühen Ende. Herr Josef Wipfli war geboren am 30. Mäxz 1883 als achtes Kind des Landwirtes Ambros Wipfli auf dem Heimwesen Hofstatt m Erstfeld. Josef Wipfli besuchte die Gemeindeschule von Erstfeld, nachher ging er noch einen Winter an die landwirtschaftliche Schule in Sursee. Ausserdem wurde der eidgenössische Militärdienst zur Quelle für die Bereicherung seines Wissens und Könnens. Er wurde ein freier Bauer im Lande Uri. Was ihm die frühe Jugend an Schulweisheit versagte, das ersetzte ihm das zunehmende Alter durch praktische Einsicht und Erfahrung. Denn der Mann war ausserordentlich gescheit und arbeitsfreudig.

Die Natur hatte ihn nicht nur mit einer hohen, kräftigen und doch anmutigen Gestalt, sondern auch, man brauchte bloss in die lebhaften, klugen und freundlichen Augen zu
blicken, mit reichen Gaben des Geistes und Gemütes ausgerüstet. Frühe schon entwickelte er sich zum Urbilde des bescheidenen und doch selbstbewußten, starken und in sich abgeschlossenen Mannes, wie wir i Im aus dem Ständerate kennen. Und frühe schon erkannten seine Mitbürger in ihm den Führer, dem sie Amt um Amt vertrauensvoll übertrugen. Kaum stimmfähig, wurde er Brunnenmeister und alsdann auch Betreibungsbeamter von Erstfeld, und es ist charakteristisch für das im Kleinsten sich bewahrende Pflichtbewusstsein von Josef Wipfli, dass ei dieses undankbare Amt bis zum

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Jahre 1925, rund 22 Jahre lang, erfüllt hat. Es gibt wohl kein Gemeindeamt in Erstfeld, his hinauf zum Einwohnergemeinde- und Burgerratspräsidenten, das er nicht bekleidet hätte. Mit 25 Jahren zog er in den Urner Landrat ein, was ihm auch die wichtigsten kantonalen Ämter eröffnete. Im Jahre 1909 wurde er Ersatzmann im Kreisgericht Uri, 1913 dessen Mitglied und 1920 Präsident. Menschenkenntnis und Lebenserfahrung neben dem angeborenen juristischen ifndizïum machten ans dem Manne mit dem. klaren Verstand und dem unbeugsamen Gerechtigkeitssinn einen vorzüglichen Richter. Der Herr Landesgcrichtspräsident Wipfli stand hoch im Ansehen seines Volkes, derart hoch, da&s ihn seine Mitbürger immer mehr auch mit kantonalen Ämtern bedachten.

Im Jahre 1924 wurde er an die Spitze der Korporation Uri berufen, jener uralten Markgenossenschaft, die fast alle Alpen und Waldungen von der Schwyzer Grenze bis zur Schöllenen umfasst und ihrem unermüdlichen Präsidenten ein geradezu ideales Arbeitsfeld hot zur Verwirklichung seiner Bestrebungen und Pläne für eine bessere Bewirtschaftung der geliebten heimatlichen Berge. Auch das Präsidium der Genossenschaft zur Melioration der Beijss-Ebene wurde Wipfli übertragen. Daneben erfüllte er als Soldat männlich seine Pflicht.

Im Jahre 1920 wurde er zum Major befördert und zum Kommandanten des urnerischen Gebirgs-Infanterie-Bataillons 87 ernannt. Er war als tüchtiger, pflichtgetreuer Offizier von Vorgesetzten und Untergebenen anerkannt ; das ist immer noch da» Schönste, was man von einem Schweizer Milizoffizier sagen kann. Au der Landsgemeinde des Frühlings 1925 erfolgte die überraschende Wahl von Josef Wipfli in den schweizerischen Ständerat. Hier war uns das Gluck beschieden, diesen Liebling des Urner-Volkes kennen und schätzen zu lernen. Mit unermüdlichem Fleiss folgte er den Verhandlungen unseres Bates, und als er einmal, würdig und wirkungsvoll, das Wort ergriff, da sprach er, der seinen Kanton auch im Kreiseisenbahnrate der Bundesbahnen vertrat, in einer Eisenbahnfrage für seinen Kanton Uri, Es war ihin nicht vergönnt, länger an den Verhandlungen unseres Bates, dem er kein volles Jahr angehört hat, teilzunehmen. Er, der jüngsten einer im Standerate, musste dem unvergesslichen Kollegen Adalbert Wir«, der lange Zeit unser allverehrter Senior gewesen war, in die Ewigkeit
nachfolgen. Zu seinen Ehren schössen ihm drei Dutzend seiner Füsiliere drei Salven übers Grab. Die Zeitungen seiner Heimat schilderten ihn als den im, Sonnenlichte der Jugendlichkeit stehenden populärsten Politiker und kommenden Mann in Uri, ja als denjenigen, der tatsächlich bereits der Führer seines Volkes geworden war. Das Blatt der freisinnigen Opposition hob besonders hervor, dass dem Ständerat Wipfli noch eine bedeutsame und glückliche Vermittler- und Friedenswille im Umerlaude zugewiesen war. «Wenn auch der konservativen Sache, die er in Bern vertrat, treu ergeben, so erwuchs ihm», schreibt diese Zeitung, «durch das von allen Parteien ausgesprochene Vertrauen doch die Aufgabe, die für unsern Kanton so verderbliche Einseitigkeit abzulehnen, das verlassene Zusammenwirken aller guten Kräfte wieder aufzurichten und unser öffentliches Leben freundlicher und sachlicher zu gestalten.» Dieses Lob eines oppositionellen Blattes beweist

563 neben den Leistungen des Herrn Josef \Vipfli in hohem Masse, dass dieser das Zeug zu einem wirklichen Staatsmanne hatte. Er starb auf der Höhe seiner Tätigkeit. Viele weitere Erfolge, aber auch die unvermeidlichen Enttäuschungen persönlicher und sachlicher Natur, die mit jeder politischen Laufbahn mehr als je verbunden sind, hat er nicht erlebt. In seinen TJmer Bergen und Tälern wird er als der schlichte Vertrauensmann seines Volkes, als der Politiker der stillen Arbeit und des fruchtbaren Erfolges, durch das frühe Sterben verklärt zu einer Art Siegfried-Gestalt, weiterleben. Er ist wieder ein prächtiges Beispiel dafür, dass in unserem demokratischen Lande dem Tüchtigen, auch wenn er keinen berühmten Stammbaum hat, die freie Bahn offen steht für alle bürgerlichen und militärischen Ämter. Der schweizerische Ständerat, den die Herren Andermatt und Dietschi bei der Bestattungsfeier vertreten haben, wird das Andenken des Herrn Josef Wipfli "in Ehren halten. Ich ersuche Sie, der Witwe und den zwei Knaben, sowie dem Urnervolke unsere herzliche Teilnahme dadurch zu bezeugen, dass Sie sich von Ihren Sitzen erheben.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 12. April 1926.)

Die Herren A. J u n o d, Nationalrat Dr. Rud. M i e s c h e r und E. A.

S t e i g e r - Z ü s t werden für eine neue dreijährige Amtsdauer als Mitglieder der schweizerischen Ausstellungskommission bestätigt.

Herr Professor Ernst Delaquis, Chef der Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz-, und Polizeidepartementes, wird als schweizerischer Abgeordneter an die diplomatische Konferenz bezeichnet, die am 20. April 1926 behufs Revision der Übereinkunft vom 11. Oktober 1909 betreifend den internationalen Automobilverkehr in Paris zusammentritt.

Es werden folgende Bundesbeitràge bewilligt; 1. den» Kanton Bern für die auf 600,000 franz. Fr. = 150,000 Schweizerfranken veranschlagten Kosten der Wiederherstellung der internationalen Strasse Grand Lucelle-_Klösterle 20 °/0 des auf die Schweiz entfallenden Kostenanteils (Hälfte) von 300,000 franz. Fr., also 60,000 franz.- Fr, = 15,000 Schweizerfanken im Maximum ; 2. dem Kanton Bern an die Fr. 56,695 betragenden Kosten der Wiederinstandstellung (Übererdung) der durch ein Unwetter verwüsteten Rebberge in den Gemeinden Tüscherz-Alfermee und Biel-Vingelz 25 °/o, im Maximum Fr. 14,173. 75; 3. dem Kanton St. Gallen an die zu Fr. 11,800 veranschlagten Kosten einer Wasserversorgung in Quinten, in der Gemeinde Quarten, 35 °/o, im Maximum Fr. 4130.

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21.04.1926

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