04.463 Parlamentarische Initiative Rolle des Bundesrates bei Volksabstimmungen Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 15. September 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf für eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

Gleichzeitig beantragt sie, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2003 P

03.3179

15. September 2006

Volksabstimmungen. Informationen durch den Bundesrat (N 23.9.2003, Staatspolitische Kommission NR, S 29.9.2005)

Im Namen der Kommission Der Präsident: Andreas Gross

2006-2513

9259

Übersicht Die Informationstätigkeit der Bundesbehörden vor Volksabstimmungen gab in jüngerer Zeit immer wieder zu Diskussionen Anlass. Während die einen ein zu distanziertes Verhalten insbesondere des Bundesrates beklagten, monierten die anderen eine zu aktive Rolle der Bundesbehörden in Abstimmungskampagnen. Mit der in den eidgenössischen Räten hängigen Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» soll den Bundesbehörden das Engagement vor Volksabstimmungen sogar weitgehend untersagt werden.

Für die Staatspolitische Kommission des Nationalrates ist allerdings klar: Die Bundesbehörden haben vor Volksabstimmungen zu informieren. Der Bundesrat, dem diese Aufgabe als zuständigem Organ für den Vollzug der Beschlüsse der gesetzgebenden Behörde zu einem grossen Teil obliegt, hat sich dabei jedoch an gewisse Grundsätze zu halten. Solche Grundsätze bestehen bereits heute in einem Leitbild.

Mit dieser Vorlage soll die Informationspflicht des Bundesrates vor Volksabstimmungen im Bundesgesetz über die politischen Rechte verankert werden, ebenso wie die für die Behördenkommunikation wichtigen und damit auch für die direkte Demokratie bedeutenden Grundsätze. Danach wird der Bundesrat verpflichtet, umfassend über eidgenössische Abstimmungsvorlagen zu informieren. Dabei hat er die Haltung der Bundesversammlung zu vertreten und die Information kontinuierlich, sachlich, transparent und verhältnismässig vorzunehmen.

Mit dieser Vorlage wird die bestehende Praxis auf Gesetzesebene klar definiert. Die Vorlage ist als indirekter Gegenentwurf zur erwähnten Volksinitiative konzipiert, damit die Stimmberechtigten dereinst in Kenntnis der Vorstellungen der Bundesversammlung betreffend behördliche Information vor Volksabstimmungen entscheiden können.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Die parlamentarische Initiative 04.463 Burkhalter.

Rolle des Bundesrates bei Volksabstimmungen

Am 7. Oktober 2004 reichte Nationalrat Didier Burkhalter (FdP, NE) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er eine Ergänzung von Artikel 10 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. Mai 1997 (RVOG) forderte. Mit der von ihm vorgeschlagenen Bestimmung soll der Bundesrat gesetzlich zu einer aktiven Informationstätigkeit über eidgenössische Abstimmungsvorlagen verpflichtet werden. Dabei soll er klar und objektiv die Haltung der Bundesbehörden vertreten.

Der Initiant will eine einfache und taugliche Grundsatzregel verankern betreffend die Art und Weise, wie die Regierung über die Haltung der Behörden zu informieren hat. Danach hat sich der Bundesrat bei allen eidgenössischen Abstimmungen aktiv, klar und objektiv einzusetzen. Ein klares und unmissverständliches Engagement der Regierung ist nach Ansicht des Initianten in der modernen Informationsgesellschaft angezeigt, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden zu stärken.

1.2

Die Vorprüfung in den Staatspolitischen Kommissionen

Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates hat am 27. Januar 2005 die parlamentarische Initiative vorgeprüft und ihr mit 17:6 Stimmen Folge gegeben.

In der Kommission wurde die Notwendigkeit der behördlichen Information gerade in einer direkten Demokratie betont. Die Stimmberechtigten müssen die Argumente der Behörden kennen, damit sie sich eine Meinung bilden können. Der Dialog zwischen Behörden und Stimmberechtigten bildet ein Kernstück der direkten Demokratie.

Allerdings wurde in der Kommission auch betont, dass sich die Behörden bei der Information an gewisse Regeln zu halten haben. Die Aufgabe des Bundesrates besteht nicht in einer einseitigen Propaganda, sondern in der Darlegung der im Meinungsbildungsprozess der Behörden erwogenen Argumente und der Begründung der Mehrheitslösung. Bei der Umsetzung der Initiative soll deshalb auch geprüft werden, ob gewisse Leitplanken behördlicher Information verankert werden sollen, wie sie die von den Räten als Postulat überwiesene Motion der SPK des Nationalrates (Mo. 03.3179 Volksabstimmungen. Information durch die Bundesbehörden) fordert (AB 2003 N 1437; AB 2005 S 804, vgl. Ziff. 1.4.3). Insbesondere wurde in der Kommission auch festgehalten, dass die Mitglieder des Bundesrates über die Position der Behörden zu informieren haben, ohne sich von den Vorlagen, wie sie von der Bundesversammlung verabschiedet wurden, zu distanzieren.

Gemäss Ansicht einer Kommissionsminderheit sollte sich der Bundesrat hingegen vor Volksabstimmungen möglichst zurückhalten. Die gesetzliche Verankerung einer aktiven Informationspflicht vor Volksabstimmungen ziele deshalb in die falsche Richtung. Ein allzu starkes Engagement vor einer Volksabstimmung schade der Glaubwürdigkeit der Regierung nach einer Abstimmungsniederlage.

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Die SPK des Ständerates schloss sich jedoch der Mehrheit der SPK des Nationalrates an und erteilte dieser am 28. April 2005 mit 6:1 Stimmen bei einer Enthaltung die Zustimmung zur Ausarbeitung einer Vorlage zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter.

1.3

Indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» (05.054)

1.3.1

Die Volksinitiative

Das Thema Behördeninformation wurde auch mit einem Volksbegehren aufgegriffen. Am 11. August 2004 wurde die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» mit 106 344 gültigen Unterschriften eingereicht.1 Die Initiative will dem Bundesrat und dem obersten Kader der Verwaltung die Informationstätigkeit vor Volksabstimmungen weitgehend untersagen. So sollen zum Beispiel dem Bundesrat und dem obersten Kader der Verwaltung Medienauftritte sowie die Teilnahme an Informations- und Abstimmungsveranstaltungen untersagt sein. Lediglich eine «einmalige kurze Information an die Bevölkerung» durch das zuständige Mitglied des Bundesrates wäre erlaubt. Zudem dürfte der Bund Informationskampagnen weder durchführen noch finanzieren.

1.3.2

Die Botschaft des Bundesrates

Mit Botschaft vom 29. Juni 20052 beantragte der Bundesrat, die Bundesversammlung solle die Volksinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung empfehlen. Der Bundesrat betonte in der Botschaft, dass die Annahme der Initiative massive Einschränkungen der Informationstätigkeiten der Bundesbehörden zur Folge hätte: «Es könnte nur in einem sehr engen Rahmen Grundlagenwissen zu den Abstimmungsvorlagen vermittelt werden. Auf offensichtliche falsche oder irreführende Äusserungen Privater könnte der Bundesrat nicht mehr reagieren»3. Die Stimmberechtigten hätten jedoch ein Anrecht auf eine umfassende und objektive Information seitens der Bundesbehörden. Der Bundesrat betonte in seiner Botschaft durchaus auch, dass sich der Bundesrat bei seiner Informationspolitik an bestimmte Grundsätze zu halten habe. Er verwies dabei in der Botschaft auf die entsprechenden Leitlinien, welche von der Arbeitsgruppe erweiterte Konferenz der Informationsdienste im Jahre 2001 erarbeitet wurden4, sowie auch auf die im Rahmen einer reichhaltigen Bundesgerichtpraxis entwickelten Grundsätze. Eine rechtliche Verankerung dieser Leitlinien und Grundsätze erachtete er jedoch als überflüssig und verzichtete deshalb darauf, der Volksinitiative einen indirekten Gegenentwurf gegenüberzustellen.

1 2 3 4

BBl 2004 4847 BBl 2005 4373 BBl 2005 4375 Bericht der Arbeitgruppe erweiterte Konferenz der Informationsdienste (AG KID), 2001, Das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von Abstimmungen, Bern, http://www.admin.ch/ch/d/pore/pdf/Eng_BR_d.pdf (zit. Bericht AG KID). Der Bericht wurde am 21. November 2001 vom Bundesrat zur Kenntnis genommen.

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1.3.3

Die Behandlung der Volksinitiative im Ständerat

Der Ständerat hat sich als Erstrat mit der Volksinitiative befasst und empfahl am 29. September 2005 auf Antrag seiner Kommission die Volksinitiative mit 34:3 Stimmen zur Ablehnung (AB 2005 S 808). Der Ständerat hat vorerst darauf verzichtet, der Volksinitiative einen indirekten Gegenentwurf gegenüberzutellen. In der Debatte wurde aber erwähnt, dass die Thematik im Rahmen der Geschäfte 04.463 (pa.Iv. Burkhalter) und 03.3179 (Po. Volksabstimmungen. Informationen durch die Bundesbehörden) weiterverfolgt werden sollte. Der Rat möchte aber die Vorschläge aus dem Nationalrat abwarten, dessen Kommission die Umsetzung der parlamentarischen Initiative obliegt (vgl. z.B. Votum Inderkum AB 2005 S 797).

1.3.4

Die Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter als indirekter Gegenentwurf

Die SPK des Nationalrates hatte sich an ihrer Sitzung vom 4. November 2005 mit der Frage zu beschäftigen, ob sie die ihr obliegende Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter unabhängig von der Behandlung der Volksinitiative vornehmen will, oder ob sie die beiden Geschäfte verknüpft.

Gemäss Artikel 105 des Parlamentsgesetzes kann die Bundesversammlung die Frist für die Behandlung einer Volksinitiative um ein Jahr verlängern, wenn ein Rat über einen «mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf» Beschluss fasst. Sinn dieser Bestimmung ist es, den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern gegenüber Transparenz herzustellen. Bei einer Volksabstimmung sollte bekannt sein, ob und wie die Bundesversammlung im Bereich des zur Diskussion stehenden Themas legiferieren will. Die Stimmberechtigten sollen in Kenntnis möglicher zur Diskussion stehender Alternativen entscheiden können.

Indem die beiden SPK der parlamentarischen Initiative Burkhalter zugestimmt haben, haben sie sich für eine gesetzliche Regelung der Informationstätigkeit der Behörden vor Volksabstimmungen ausgeprochen. Im Gegensatz zum Bundesrat sehen sowohl die SPK wie auch die Vertreter der Volksinitiative gesetzgeberischen Handlungsbedarf, indem sie der Behördeninformation rechtliche Rahmenbedingungen auferlegen wollen. Diese Rahmenbedingungen sehen zwar unterschiedlich aus.

Umso wichtiger kann es für die Stimmberechtigten bei der Abstimmung über die Volksinitiative sein, die Vorstellungen der Bundesversammlung zu kennen.

Während die Volksinitiative die Behördeninformation vor Volksabstimmungen weitgehend unterbinden will, wollen die SPK in Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter die bestehende Praxis klarer definieren und rechtlich festhalten.

Somit sollen bestehende Unsicherheiten über das Ausmass und die Art und Weise der behördlichen Informationspflicht beseitigt werden. Es soll eine positive Antwort auf die negative Volksinitiative gegeben werden.

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1.3.5

Vorlage zu Handen der Vernehmlassung

Die SPK hat an ihrer Sitzung vom 24. Februar 2006 Vorschläge zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter geprüft. Am 31. März 2006 verabschiedete sie den Bericht zu Handen der Vernehmlassung. Die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens wird von der SPK als sinnvoll erachtet, um das Projekt, welches ja die Funktion eines indirekten Gegenentwurfs hat, im Hinblick auf die Volksabstimmung zur Volksinitiative einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Die Kommission hat dem Vorentwurf zu Handen der Vernehmlassung mit 15:8 Stimmen zugestimmt.

1.3.6

Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse und Verabschiedung des Berichts zu Handen des Rates

Der Vorentwurf wurde in der Vernehmlassung gut aufgenommen. Die Kommission konnte an ihrer Sitzung vom 15. September 2006 davon Kenntnis nehmen, dass der Vorentwurf von einer deutlichen Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer positiv aufgenommen wurde. 24 von 46 Teilnehmern sprachen sich für die vorgeschlagene Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte aus, darunter die Mehrheit der Kantone sowie drei der vier Bundesratsparteien. Die Vorlage wurde in diesen positiven Stellungnahmen als notwendige und zweckmässige Regelung am richtigen Ort erachtet. Die Teilnehmer sind überzeugt, dass die Information der Bevölkerung durch den Bundesrat vor einer Abstimmung von grosser Bedeutung ist und einen unverzichtbaren Beitrag zu einem umfassenden Prozess der Meinungsbildung darstellt.

Sechs weitere Vernehmlassungsteilnehmer stimmen der Vorlage nur teilweise zu, während 16 Vernehmlassungsteilnehmer den Vorentwurf ablehnen. Ablehnend Stellung genommen haben sechs Kantone, zwei Parteien (SVP und EDU) sowie drei Vereinigungen und fünf Privatpersonen. In ihrer Argumentation gegen die Vorlage gehen die Teilnehmer in verschiedene Stossrichtungen: Während fünf Kantone die Vorlage als überflüssig erachten bzw. sogar befürchten, der Handlungsspielraum des Bundsrates würde zu sehr eingeengt, verlangen ein Kanton, die SVP, die EDU sowie die Vereinigungen und Privatpersonen eine präzisere Formulierung der Bestimmungen, welche dem Bundesrat mehr Zurückhaltung bei der Informationstätigkeit auferlegen. Für diese Vernehmlassungsteilnehmer geht die Vorlage in die falsche Richtung.

Aufgrund dieser deutlichen Ergebnisse beschloss die Kommission, an ihrem Entwurf festzuhalten. Einzelne Vernehmlassungsteilnehmer haben auch konkrete Vorschläge zur Formulierung des Gesetzestextes gemacht. So wurde von je einem Vernehmlassungsteilnehmer vorgeschlagen, dass der Bundesrat nicht nur «umfassend», sondern auch «korrekt» bzw. «ausgewogen» zu informieren habe. In je einer Stellungnahme wurde die Streichung des Begriffes «umfassend» bzw. des Grundsatzes der «Kontinuität» verlangt. Die Kommission erachtet es jedoch nicht als sinnvoll, den in Absatz 1 enthaltenen Auftrag zur «umfassenden Information» durch neue, klärungsbedürftige Begriffe zu ergänzen. Zum anderen will sie in Absatz 2 an den in der Praxis bewährten Informationsgrundsätzen festhalten.

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Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 15. September 2006 noch einigen redaktionellen Vorschlägen der verwaltungsinternen Redaktionskommission zugestimmt.

Schliesslich hat sie in Ziff. II Abs. 2 eine Änderung im Sinne der Urheber der Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» vorgenommen: Diese sollen nicht gezwungen sein, gegen die Vorlage das Referendum ergreifen zu müssen, da sie noch nicht wissen können, wie ihre Volksinitiative in der Volksabstimmung aufgenommen wird. Die Gesetzesänderung soll deshalb erst publiziert werden, nachdem über die Volksinitiative abgestimmt worden ist.

1.4

Frühere Diskussionen in der Bundesversammlung

Die parlamentarischen Vorstösse zur Frage der Behördeninformation vor Volksabstimmungen sind zahlreich. Häufig werden solche Vorstösse im Zusammenhang mit konkreten Volksabstimmungen eingereicht und es wird ein zu weit gehendes oder ein zu bescheidenes Engagement der Behörden beklagt. Als neueres Beispiel für ersteres kann etwa die Interpellation der SVP-Fraktion vom 22. September 2004 genannt werden (04.3449. Ip. V Schengen/Dublin. Staatspropaganda), mit welcher Auskunft über die nach Ansicht der Interpellanten zu weit gehende Information der Behörden im Hinblick auf die Volksabstimmung über die «Bilateralen II» verlangt wurde. Auf der anderen Seite wurde in der Fragestunde des Nationalrates vom 4. Oktober 2004 von verschiedenen Fragestellern und Fragestellerinnen moniert, dass sich der Bundesrat zu wenig für die am 26. September 2004 in der Volksabstimmung zur Diskussion stehenden Bürgerrechtsvorlagen eingesetzt und insbesondere auch Falschmeldungen nicht widerlegt habe (AB 2004 N 1543). Kritisiert wurde verschiedentlich auch das Engagement staatsnaher Betriebe bei Volksabstimmungen, so zum Beispiel jüngst mit einer Anfrage Donzé (05.1144 Anfrage.

SBB-Abstimmungspropaganda für sonntägliche Öffnungszeiten) vom 6. Oktober 2005 betreffend die Plakate der SBB im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 25. September 2005 über die Vorlage zu den Ladenöffnungszeiten in Bahnhöfen.

Neben diesen punktuellen Vorstössen im Zusammenhang mit bestimmen Urnengängen gab es immer wieder auch Vorschläge für eine generelle Regelung der Problematik.

1.4.1

93.433 Pa.Iv. Hafner Rudolf: Volksabstimmungen.

Regelung der Propaganda

Die Problematik der Information der Behörden vor Volksabstimmungen beschäftigte die SPK des Nationalrates schon zu Beginn der 90er Jahre. Am 28. April 1993 reichte der damalige Nationalrat Rudolf Hafner (Grüne, BE) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er eine gesetzliche Regelung der Informationstätigkeit des Bundesrates vor Volksabstimmungen verlangte. Die Regelung sollte vorsehen, dass der Bundesrat die Vor- und Nachteile einer Vorlage sachgemäss und vollständig offenzulegen habe und für seine Meinung als Gesamtbehörde nicht mit öffentlichen Geldern Propaganda machen dürfe. Für den Fall der Nichteinhaltung der Regelungen wollte der Initiant eine Beschwerdemöglichkeit ans Bundesgericht vorsehen.

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Die SPK sah damals jedoch keinen Handlungsbedarf und beantragte mit 9:1 Stimmen bei sechs Enthaltungen, der Initiative keine Folge zu geben. In ihrem Bericht vom 4. Februar 1994 stellte die Kommission fest, dass angesichts des geringen Problemdrucks eine Regelung, welche sie zum Teil als zu weit gehend, zum Teil als unpraktikabel erachtete, nicht angebracht sei. Die Kommission störte sich zum Beispiel an den schwer fassbaren Formulierungen wie «sachgemäss» und «vollständig.» Im Weiteren wehrte sich die Kommission dagegen, den Abstimmungskampf ausschliesslich privaten Kreisen zu überlassen.

Der Initiant zog die Initiative am 8. Dezember 1994 zurück.

1.4.2

02.419 Pa.Iv. Fehr Hans: Volksabstimmungen.

Behördliche Information statt Propaganda

Knapp zehn Jahre später hatte sich die SPK mit einem ähnlichen Vorstoss zu befassen. Am 22. März 2002 reichte Nationalrat Hans Fehr (SVP, ZH) eine parlamentarische Initiative ein, mit welcher er eine Ergänzung des RVOG forderte, wonach sich behördliche Informationen im Abstimmungskampf auf die sachlichen Aspekte zu beschränken haben. Dem Bundesrat und der Bundesverwaltung soll es insbesondere verwehrt sein, eine eigentliche Abstimmungskampagne zu führen oder eine solche zu unterstützen.

Die Argumentation in der Kommission zu dieser Initiative glich derjenigen zum analogen Anliegen der parlamentarischen Initiative Hafner. Auch dieses Mal wurde das Anliegen abgelehnt, und zwar mit 12:8 Stimmen bei zwei Enthaltungen. Die Kommission verwies in ihrem Bericht vom 8. November 2002 auf die Dominanz finanzstarker privater Kreise in Abstimmungskämpfen. Die Behörden müssten die Möglichkeit und die Mittel haben, um die Bevölkerung zu informieren und auch irreführenden Aussagen im Abstimmungskampf Paroli zu bieten.

Der Rat folgte der Argumentation seiner Kommission und gab der parlamentarischen Initiative am 23. September 2003 mit 106:41 Stimmen keine Folge (AB 2003 N 1437).

1.4.3

03.3179 Po. Volksabstimmungen.

Informationen durch den Bundesrat

Obwohl die SPK sich gegen die parlamentarische Initiative Fehr Hans aussprach, sah sie Handlungsbedarf. Wenn es zehn Jahre früher zum Zeitpunkt der Behandlung der parlamentarischen Initiative Hafner noch relativ wenig Kritik an der behördlichen Informationspolitik vor Abstimmungen gab, haben inzwischen die kritischen Stimmen zugenommen. Im Zusammenhang mit verschiedenen Urnengängen gab es Kritik an der Informationspolitik der Bundesbehörden, was zu zahlreichen parlamentarischen Vorstössen führte (vgl. Ziff. 1.4). Die SPK reichte deshalb am 11. April 2003 eine Motion ein, mit der sie eine gesetzliche Regelung verlangte, mit welcher die Informationsbefugnisse von Bundesrat und Verwaltung bei Abstimmungskampagnen präziser als bisher gefasst werden. Gemäss Motionstext wären insbesondere auch Kriterien für den Einsatz öffentlicher Gelder und für die zulässigen Inhalte behördlicher Abstimmungskampagnen festzulegen. In der Begründung

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hielt die SPK fest, dass unbestritten sei, dass der Bundesrat und die Verwaltung die Beschlüsse des Parlamentes vertreten und erklären sollen. Fraglich seien jedoch: a.

materiell: die eingesetzten Mittel (Kredite, Aufträge an PR-Büros, usw.)

b.

inhaltlich: Informationen, die als Abstimmungspropaganda eingestuft werden müssen.

In seiner Stellungnahme vom 28. Mai 2003 sprach sich der Bundesrat skeptisch gegenüber einer gesetzlichen Regelung aus. Er bezweifelte, ob durch rechtliche Bestimmungen Missbräuche vermieden werden können bei gleichzeitiger Wahrung der nötigen Flexibilität. Dennoch erklärte sich der Bundesrat bereit, die Frage zu prüfen, und beantragte die Umwandlung der Motion in ein Postulat.

Während der Nationalrat am 23. September 2003 einstimmig seiner Kommission folgte und die Motion überwies (AB 2003 N 1437), sprach sich der Ständerat am 29. September 2005 für eine Überprüfung der Anliegen im Rahmen der Umsetzung der parlamentarischen Initiative Burkhalter aus und wandelte die Motion in ein Postulat um (AB 2005 S 804).

1.4.4

03.434 Pa.Iv. Rechsteiner. Verwendung öffentlicher Gelder in Abstimmungskampagnen

Das finanzielle Engagement in Abstimmungskämpfen von staatsnahen Betrieben hatte Rudolf Rechsteiner mit seiner parlamentarischen Initiative vom 20. Juni 2003 im Visier. Er verlangte eine Gesetzesänderung, wonach folgende Unternehmungen keine Gelder für die Finanzierung von Kampagnen bei eidgenössischen Abstimmungen einsetzen dürfen: 1.

Unternehmungen mit Mehrheitsbeteiligung von Bund, Kantonen und Gemeinden;

2.

Unternehmungen, die sich durch gesetzlich vorgesehene, obligatorische Zahlungen der Bürgerinnen und Bürger finanzieren (z.B. obligatorische Versicherungen, Krankenkassen, Pensionskassen usw.);

3.

Unternehmungen, welche die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen.

Die SPK beantragte mit 12:8 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Die Kommission sah keinen Handlungsbedarf, weil der Initiant ihrer Ansicht nach den Einfluss von Abstimmungskampagnen überschätzte. Insbesondere sah sie aber auch praktische Probleme bei der Umsetzung. Zum einen wären die betroffenen Unternehmen rechtlich sehr schwierig einzugrenzen. Zum andern könnten entsprechende Bestimmungen leicht umgangen werden, indem die Unternehmen finanzielle Mitteld indirekt mittels Verbandsmitgliedschaften in Abstimmungskampagnen investieren könnten.

Im Rat setzte sich die Ansicht der Kommissionsmehrheit durch. Der Initiative wurde am 28. Februar 2005 mit 109:66 Stimmen keine Folge gegeben (AB 2005 N 27).

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2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Inhalt

Die vorliegende Regelung normiert die Pflicht des Bundesrates zu umfassender Information über eidgenössische Abstimmungen. Sie orientiert sich an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur behördlichen Information im Vorfeld von kantonalen Abstimmungen, an der heute herrschenden Lehre, die gestützt auf Artikel 34 Absatz 2 BV von einem Informationsrecht oder sogar von einer Informationspflicht ausgeht5, und kodifiziert die bestehende Praxis des Bundesrates6. Der Bundesrat hat bei Abstimmungen die Haltung der Bundesversammlung zu vertreten.

Die Vorlage greift damit die Anliegen der hier zur Diskussion stehenden parlamentarischen Initiative von Nationalrat Didier Burkhalter auf, die eine gesetzliche Grundsatznorm zur Information des Bundesrates vor eidgenössischen Abstimmungen verlangt. Im Rahmen der Erarbeitung der Vorlage wurde auch das Postulat 03.3179 (vgl. Ziff. 1.4.3) geprüft, welches eine Präzisierung der bundesrätlichen Informationsbefugnisse bei Abstimmungen sowie die Festlegung von Kriterien für den Einsatz öffentlicher Gelder und für das zulässige behördliche Informationshandeln verlangt. Die Kommission ist jedoch zum Schluss gekommen, dass hier gesetzliche Regelungen nicht angebracht sind. Das Postulat wird zur Abschreibung beantragt.

Heute sind die Informationsgrundsätze vor Abstimmungen im Bericht der Konferenz der Informationsdienste der Bundesverwaltung (KID) über das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von Abstimmungen enthalten (vgl.

Fussnote 4). Ihre Verankerung in Berichten und Leitbildern des Bundes, denen keine normative Kraft zukommt, entspricht indessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht: Nach Artikel 164 Absatz 1 BV sind wichtige Bestimmungen in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen, wozu zweifellos auch die Grundsätze für die Information des Bundesrates und der Bundesverwaltung bei Abstimmungen gehören. Die Heraufstufung auf die Gesetzesebene entspricht daher den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten.

Die Kommission hat sich zudem ­ auch im Zusammenhang mit der Prüfung des Postulats 03.3179 ­ mit zwei weiteren Regelungsvorschlägen auseinandergesetzt, die sie jedoch nicht weiterverfolgen will (vgl. Ziff. 4): Zum einen stellte sich die Frage, wie die Offenlegung derjenigen finanziellen Mittel gewährleistet werden kann, die bei behördlichen
Abstimmungsinformationen verwendet werden. Zum andern befasste sich die Kommission mit der Frage, ob die gesetzlich zu verankernden Informationsgrundsätze auch auf vom Bund beherrschte Unternehmen angewendet werden sollen.

5 6

Vgl. Botschaft vom 29. Juni 2005 über die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda», BBl 2005 4385.

Botschaft vom 29. Juni 2005 über die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda», BBl 2005 4373.

9268

2.2

Verankerung einer Informationspflicht ohne Propagandatätigkeit

Mit der Vorlage soll eine Informationspflicht der Bundesbehörden verankert werden. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben ein Recht darauf, seitens der Behörden über die Abstimmungsvorlagen umfassend informiert zu werden (vgl.

Ziff. 3 Erläuterungen zu Art. 10a Abs. 1 BPR).

Hingegen sollen die Behörden keine eigentliche Kampagne führen und insbesondere auf eine Propagandatätigkeit verzichten. Dies kommt in den Grundsätzen behördlicher Information vor Volksabstimmungen zum Ausdruck, wie sie nun gesetzlich verankert werden sollen (vgl. Ziff. 3 Erläuterungen zu Art. 10a Abs. 2 BPR). Die Grundsätze der Kontinuität, Transparenz, Sachlichkeit und Verhältnismässigkeit sollen eine Information der Stimmberechtigten gewährleisten, die zur freien Willensbildung beiträgt. Demgegenüber bezweckt die Propaganda, die Meinung der Stimmberechtigten in einem ganz bestimmten Sinn und im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten eindeutig zu lenken.7 Die Behörden haben zu informieren und nicht zu überzeugen: Dabei kann eine sachlich argumentative Information durchaus überzeugend wirken; gemeint ist jedoch, dass die Behörden nicht eine taktisch auf Überredung ausgerichtete Kampagne führen sollen.

Überzeugen hingegen dürfen und sollen die politischen Parteien. Ihnen kommt eine grosse Bedeutung im politischen Meinungsbildungsprozess zu. In der Kommission wurde die Meinung zum Ausdruck gebracht, dass die Parteien ihre Rolle im Meinungsbildungsprozess aufgrund fehlender Mittel zu wenig wahrnehmen könnten.

Wünschenswert wäre in dieser Sicht eine vermehrte Präsenz der Parteien, welche ein zurückhaltenderes Engagement der Behörden erlauben würde. Heute jedoch müssten die Behörden zum Teil dafür sorgen, dass überhaupt eine öffentliche Diskussion über Abstimmungsvorlagen stattfinde. In der Kommission war jedoch umstritten, ob und wieweit die Parteien Mittel zur Führung von Kampagnen vor Abstimmungen erhalten sollten.

2.3

Regelungsort

Die Vorlage sieht eine einheitliche Regelung im Bundesgesetz vom 17. Dezember 19768 über die politischen Rechte (BPR) vor. Denkbar wäre allerdings auch eine Ergänzung des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG) gewesen, das sich in Artikel 10 bereits mit Fragen der behördlichen Information befasst, oder eine teilweise Regelung je im BPR und im RVOG. Die Regelung im BPR hat jedoch folgende Vorzüge: Die vorliegende Regelung befasst sich ausschliesslich mit der Information des Bundesrates über eidgenössische Abstimmungen und hat dadurch einen engen Bezug zu den politischen Rechten. Das übrige behördliche Informationshandeln ausserhalb von Abstimmungen wird hingegen nicht erfasst. Diese Trennung zwischen behördlichem Informationshandeln bei und ausserhalb von Abstimmungen ist 7

8

Ausführlicher zur Abgrenzung zwischen Information und Propaganda vgl. Botschaft vom 29. Juni 2005 über die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda», BBl 2005 4396.

SR 161.1

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bereits in der Bundesverfassung selber angelegt: Artikel 34 befasst sich mit der Frage der Abstimmungsinformation, während Artikel 180 Absatz 2 Grundsätze für die übrige Informationstätigkeit verankert.

Die vorliegende Regelung gibt diese Unterscheidung wider, indem die Informationspflicht des Bundesrates und die Informationsgrundsätze vor Abstimmungen einheitlich und nur im BPR geregelt werden. Die bestehende Regelung in Artikel 10 RVOG bezieht sich demgegenüber auf das übrige behördliche Informationshandeln ausserhalb von Abstimmungen. Eine einheitliche Regelung im BPR ist auch aus Gründen der Informationsfunktion und der Lesbarkeit der Bestimmung angezeigt.

2.4

Ansicht der Minderheit: keine Regelung

Die Minderheit will auf die hier vorgeschlagene Ergänzung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte verzichten, eventualiter die Vorlage an die Kommission zurückweisen mit dem Auftrag, Artikel 10a BPR so zu formulieren, dass die Informationspflicht des Bundesrates genau umschrieben und gegenüber der heutigen Handhabe klar eingegrenzt wird. Die verschiedenen Vorstösse aus verschiedenen politischen Lagern bezüglich des Engagements der Bundesrates vor diversen Volksabstimmungen würden zeigen, dass das behördliche Engagement vor Volksabstimmungen häufig als parteiisch empfunden werde. Insbesondere der Bundesrat sollte vor Volksabstimmungen weit möglichste Zurückhaltung üben und jeden Eindruck der Parteilichkeit vermeiden. Es sei zu bedenken, dass der Bundesrat ja auch die Ergebnisse von Volksabstimmungen umzusetzen habe, welche seinen Intentionen nicht entsprechen. Wenn er sich vor der Abstimmung zu weit zum Fenster hinaus gelehnt habe, hätten die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen kaum Vertrauen in eine getreue Umsetzung der Vorlage.

Die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz würden vollumfänglich ausreichen, damit der Bundesrat seiner Informationspflicht nachkommen könne. Eine zusätzliche Verankerung der Informationspflicht in bezug auf Volksabstimmungen würde falsche Signale setzen.

Durch kontinuierliche Information schaffe der Bundesrat oftmals bereits vor den eigentlichen Abstimmungskämpfen nicht mehr wettzumachende Ungleichheiten zwischen Bundesrat und Verwaltung einerseits sowie den politischen Parteien andererseits. Damit beschneide er nicht nur von vorneherein die Garantie der Chancengleichheit zwischen den politischen Akteuren, sondern hindere damit die Parteien an deren verfassungsmässigem Auftrag, an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes mitzuwirken.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 10a Abs. 1 erster Satz In Absatz 1 werden das Recht und die Pflicht des Bundesrates verankert, über eidgenössische Abstimmungen umfassend zu informieren.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Abstimmungsfreiheit nach Artikel 34 BV haben staatliche Behörden im Vorfeld von Abstimmungen grundsätzlich 9270

Zurückhaltung zu üben, weil die Willensbildung in erster Linie den gesellschaftlichen und politischen Kräften vorbehalten werden soll. Diese Rechtsprechung scheint indessen im Fluss zu sein: In einem jüngeren Entscheid hat das Bundesgericht nicht ausgeschlossen, dass sich im Einzelfall aus Artikel 34 Absatz 2 BV sogar eine behördliche Informationspflicht ergeben kann9.

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung nähert sich damit dem wissenschaftlichen Diskurs an. Hier dominiert die Meinung, dass die Abstimmungsfreiheit nicht nur ein Abwehrrecht sei, sondern behördliche Informationen zu Abstimmungsvorlagen einen unverzichtbaren Beitrag zu einem freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung darstellen. Es wird daher aus Artikel 34 Absatz 2 BV ein Informationsrecht oder sogar eine Informationspflicht abgeleitet10.

Auch der Bundesrat geht von einer Teilnahmepflicht am Abstimmungskampf aus, wie er in seiner Botschaft zur Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» ausführlich begründete11. Für ihn haben die Stimmberechtigten einen Anspruch darauf, die Sicht der Behörden zu kennen, die sich intensiv mit den Abstimmungsvorlagen befasst haben. Die Stimmberechtigten müssen für eine sinnvolle, wirksame und verantwortliche Ausübung der demokratischen Rechte über hinreichendes Grundlagenwissen zum Abstimmungsgegenstand verfügen. Die verfassungsrechtlich garantierte freie Willensbildung nach Artikel 34 Absatz 2 BV verpflichtet den Bundesrat deshalb zur Anwesenheit auch in der letzten Phase vor der Abstimmung, in der sich die Mehrheit der Stimmberechtigten überhaupt erst mit der Sachfrage auseinandersetzt.

Diese Informationspflicht des Bundesrates lässt sich auch mit seiner staatsleitenden Funktion nach Artikel 174 BV begründen: Verantwortungsvolle und vorausschauende staatsleitende Tätigkeit heisst, Sachprobleme frühzeitig zu erkennen und mit zielstrebigen Lösungen darauf zu reagieren. Das ist aber nur möglich, wenn der Bundesrat in ständigem Dialog mit den Stimmberechtigten die Ziele behördlicher Reformvorhaben erläutern kann.

Art. 10a Abs. 1 zweiter Satz Der zweite Satz von Absatz 1 verpflichtet den Bundesrat zur Vertretung der Haltung der Bundesversammlung. Damit wird Artikel 182 Absatz 2 BV auf Gesetzesstufe umgesetzt, wonach der Bundesrat die Beschlüsse der Bundesversammlung zu vollziehen
hat. Diese Formulierung schliesst nicht aus, dass der Bundesrat im Rahmen der Vertretung der Parlamentsbeschlüsse auch berechtigt ist, den vorangehenden Entscheidungsprozess und damit u.U. eine frühere andere Position des Bundesrates transparent zu machen. Die Formulierung schliesst aber aus, dass der Bundesrat gegebenenfalls auch gegen eine Vorlage der Bundesversammlung Stellung nehmen darf.

Art. 10a Abs. 2 Absatz 2 verankert die Informationsgrundsätze, wie sie bei Abstimmungen gelten sollen. Es handelt sich dabei um eine Heraufstufung der heute im bereits erwähnten Bericht der AG KID enthaltenen Kriterien. Die Regelung der Informationsgrund9 10 11

BBl 2005 4384 Fn 11 BBl 2005 4385 f.

BBl 2005 4373

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sätze auf Gesetzesebene ist nach dem in der Verfassung verankerten materiellen Gesetzesbegriff, wonach alles Wichtige in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen ist, geboten. Mit einer gesetzlichen Normierung werden die Bedeutung und Verbindlichkeit der Informationsgrundsätze gestärkt, indem sie nur noch zur Disposition der Bundesversammlung stehen.

Die Informationsgrundsätze haben sich bewährt und werden in der Praxis eingehalten. Ihre Heraufstufung auf die Gesetzesebene bedeutet keine Änderung der bisherigen Praxis, welche sich bereits im Rahmen dieser Grundsätze bewegt.

Kontinuierliche Information bedeutet, dass der Bundesrat seine wesentlichen Beweggründe für oder gegen eine Vorlage von Anfang an offen legt. Damit soll der Gegenseite ermöglicht werden, darauf reagieren zu können. Letztlich liegt das Gebot der Kontinuität im Interesse der Stimmberechtigten, die sich ihr Urteil gestützt auf einen umfassenden Meinungsbildungsprozess und in Kenntnis der verschiedenen Argumente bilden sollen.

Das Gebot der Sachlichkeit verlangt eine objektive und sachliche Information: Die Behörden sollen am Abstimmungskampf teilnehmen und ihre Auffassung über die Vorlage äussern können. Sie müssen dies aber sachlich tun; die Stimmberechtigen dürfen überzeugt, aber nicht überredet werden. Sachlich ist die Information dann, wenn sowohl auf die positiven als auch auf die negativen Seiten einer Vorlage hingewiesen wird. Aussagen Dritter müssen richtig wiedergeben werden, unsichere Tatsachen müssen als solche erkennbar sein und die behördliche Bewertung von Inhalt und Folgen einer Vorlage darf nicht widersprüchlich sein.

Das Transparenzgebot verbietet die verdeckte Einflussnahme durch Behörden. Das Wissen um die Herkunft einer Information ist wesentlich für die freie Willensbildung der Stimmberechtigten. Das Transparenzgebot schliesst nicht aus, dass Dritte mit der Information über eine Abstimmungsvorlage beauftragt oder als Berater zugezogen werden. Dies muss jedoch für die Stimmberechtigten aus der Information ersichtlich sein. Unterlagen, welche Dritten zur Verfügung gestellt werden, müssen allen interessierten Kreisen zugänglich sein, insbesondere auch jenen, die einen anderen Standpunkt als denjenigen der Behörden vertreten.

Das Gebot der Verhältnismässigkeit verlangt, dass die Information in ihrer Art,
Intensität und Wahl der Mittel geeignet und erforderlich ist, um die freie Willensbildung der Stimmberechtigten zu gewährleisten. Letztlich geht es um die Garantie der Chancengleichheit im Abstimmungskampf.

Im Rahmen der Arbeiten zum vorliegenden Erlassentwurf wurde auch erwogen, eine Liste mit unzulässigen Informationsinstrumenten und -techniken gesetzlich zu verankern. Die Kommission hat indessen aus verschiedenen Gründen davon abgesehen: Eine solche Liste könnte nicht abschliessend sein und wäre daher nur von erklärendem Inhalt. Um eine Überregulierung zu vermeiden, müsste die Liste zudem auf die wichtigsten unzulässigen Instrumente und Techniken begrenzt bleiben. Eine solche Aufzählung bliebe damit eher im Bereich des Allgemeinen und müsste jeweils im Anwendungsfall ausgelegt werden. Damit würde die Liste eine unechte Sicherheit vortäuschen und gäbe im Vorfeld von Abstimmungen zu unnötigen Diskussionen Anlass.

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Die Vorlage verfolgt die Konzeption, Rechtssicherheit zu schaffen, indem das Gebotene und Zulässige normativ verankert werden soll. Sie soll keine Verbotsgesetzgebung sein. Eine Liste mit den unzulässigen Informationsinstrumenten und -techniken vertrüge sich nicht mit dieser Konzeption. Aus diesen Überlegungen hat die Kommission daher von einer solchen Liste abgesehen.

4

Weitere geprüfte Vorschläge

4.1

Kostentransparenz

Nach Artikel 167 BV bewilligt das Parlament dem Bundesrat die Mittel für die Wahrnehmung seiner Aufgaben im Rahmen des Voranschlages. Die Departemente verfügen jedoch nicht über separate Informationsbudgets. Die Aufwendungen werden über die Personal- und Sachkredite abgerechnet.

Kann der Informationsaufwand für eine konkrete Vorlage nicht mit den im Voranschlag eingestellten personellen und sachlichen Mitteln gedeckt werden, so wird der Aufwand im Voranschlag und in Nachträgen gesondert ausgewiesen. Dabei handelt es sich jedoch um Ausnahmen: So wurden für die EWR-Abstimmung knapp 6 Millionen, für die Bilateralen Verträge I 1,6 Millionen und für die UNOAbstimmung 1,2 Millionen gesprochen.

Seit dem Jahr 2000 weist der Bundesrat jährlich den Aufwand für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundes aus. Die Kosten für die Informationstätigkeit vor Abstimmungen werden allerdings nicht separat dargestellt. Abgesehen von den erwähnten Ausnahmefällen, in denen das Parlament zusätzliche Mittel sprach, wird der Informationsaufwand im Vorfeld von Abstimmungen somit nicht gesondert ausgewiesen.

Die Kommission begrüsst die Bestrebungen des Bundesrates um Herstellung von Transparenz über die Verwendung finanzieller Mittel bei der Öffentlichkeitsarbeit.

Sie ist allerdings der Ansicht, dass die Kosten aus der Informationstätigkeit vor Abstimmungen gesondert auszuweisen sind, damit sie hinreichend aussagekräftig sind. Sie hat geprüft, ob der Bundesrat dazu mittels gesetzlicher Regelung ausdrücklich verpflichtet werden sollte. Die Kommission hat auf eine solche Regelung indessen verzichtet, weil es sich aus ihrer Sicht um eine Überregulierung handelt. Der zu erwartende Effekt wäre nicht sehr gross, da der Bundesrat die Kosten erst nachträglich ausweisen muss. Zudem würde sich die Öffentlichkeit mit der Zeit an die Ausgaben für die Abstimmungsinformation gewöhnen, weshalb der Druck auf die Kosten wieder abnehmen dürfte. Auch eine weitergehende Regelung, wie die Festlegung eines Höchstbetrags der für Abstimmungsinformationszwecke zu verwendenden Mittel, wurde als zu wenig flexibel und deshalb als untauglich verworfen.

Die Kommission erwartet aber vom Bundesrat, dass er die Kosten für die Informationsarbeit vor Abstimmungen jährlich beziffert und offen legt, wie es das neu in Absatz 2 vorgesehene Gebot der Transparenz verlangt.

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4.2

Einbezug bundesnaher Betriebe

In der Vergangenheit wurde die Rolle von Unternehmungen, die vom Bund beherrscht werden oder welche öffentliche Aufgaben wahrnehmen, im Vorfeld von Abstimmungen verschiedentlich in parlamentarischen Vorstössen thematisiert12. Der Nationalrat hat am 28. Februar 2005 auf Antrag der Staatspolitischen Kommission einer entsprechenden parlamentarischen Initiative von Rudolf Rechsteiner (03.434) keine Folge gegeben (vgl. Ziff. 1.4.4).

Im Rahmen der Vorarbeiten zum vorliegenden Erlassentwurf hat die Kommission geprüft, ob sie die Informationstätigkeit von bundesnahen Unternehmen im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen zusammen mit der Abstimmungsinformation des Bundesrates im vorliegenden Erlassentwurf regeln soll. Eine solche gesetzliche Regelung wäre weniger weit gegangen als das in der parlamentarischen Initiative von Nationalrat Rudolf Rechsteiner vorgesehene Verbot der Abstimmungsinformation für staatsnahe Unternehmen: Sie hätte lediglich die für den Bundesrat geltenden Informationsgrundsätze ausdrücklich auch auf vom Bund kapital- oder stimmenmässig beherrschte Unternehmen anwendbar erklärt, sofern sie vom Abstimmungsgegenstand besonders betroffen sind.

Heute besteht eine reichhaltige bundesgerichtliche Praxis zur Zulässigkeit von Interventionen staatlich beherrschter Unternehmen in den Abstimmungskampf.

Diese Rechtsprechung genügt und sollte in ihrer Entwicklung durch eine gesetzliche Regelung nicht behindert werden.

Zudem wird der Rechtsschutz mit dem Inkrafttreten von Justizreform und neuem Bundesgerichtsgesetz ausgebaut: Die Justizreform (Art. 189 Abs. 1 Bst. f BV) schreibt eine gerichtliche Kontrolle hinsichtlich der politischen Rechte des Bundes vor. Nach Artikel 80 BPR13 sowie Artikel 82 Buchstabe c, Artikel 88 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 89 Absatz 3 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 200514 kann neu gegen Entscheide der Kantonsregierung über Abstimmungsbeschwerden bei eidgenössischen Abstimmungen beim Bundesgericht Beschwerde erhoben werden. Interventionen von staatlich beherrschten Unternehmen vor eidgenössischen Abstimmungen können deshalb inskünftig beim Bundesgericht gerügt werden.

Die Kommission kommt daher zum Schluss, dass eine gesetzliche Regelung, welche die für den Bundesrat geltenden Informationsgrundsätze ausdrücklich auf vom Bund beherrschte Unternehmen anwendbar erklärt, angesichts der Rechtsprechung und der neuen Rechtsmittel nicht erforderlich ist.

12

13 14

03.434 Pa. Iv. Rechsteiner Rudolf. Verwendung öffentlicher Gelder in Abstimmungskampagnen; 05.1122 DA SP-Fraktion. Rolle der SBB in der Abstimmungskampagne zur Ausweitung der Sonntagsarbeit; 05.1144 A Donzé Walter. SBB-Abstimmungspropaganda für sonntägliche Öffnungszeiten.

SR 161.1 BBl 2005 4045 (Referendumsvorlage)

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5

Auswirkungen

Der Erlassentwurf enthält keine Bestimmungen, die unmittelbar finanzielle oder personelle Auswirkungen haben.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Der Erlassentwurf regelt die Informationstätigkeit des Bundesrates vor eidgenössischen Abstimmungen und stützt sich auf Artikel 34 BV.

6.2

Erlassform

Nach Artikel 164 Absatz 1 Buchstabe a BV müssen die grundlegenden Bestimmungen über die Ausübung der politischen Rechte in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden. Die Regelung der Abstimmungsinformation des Bundesrates betrifft die politischen Rechte und ist deshalb in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen.

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