06.060 Botschaft zum Bundesgesetz über die Stauanlagen vom 9. Juni 2006

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zum Bundesgesetz über die Stauanlagen, das im Rahmen der Reorganisation der Sicherheitsaufsicht innerhalb des UVEK das Wasserbaupolizeigesetz für den Bereich der Stauanlagen ersetzen soll.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. Juni 2006

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-0066

6037

Übersicht Artikel 76 Absatz 3 der Bundesverfassung verpflichtet den Bund unter anderem dazu, Vorschriften über die Sicherheit der Stauanlagen zu erlassen. Diese Aufgabe wird zurzeit mit Artikel 3bis des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1877 über die Wasserbaupolizei, in der Fassung vom 27. März 1953 (SR 721.10), und mit der Stauanlagenverordnung vom 7. Dezember 1998 (SR 721.102) erfüllt. Das geltende Recht hat sich im Grossen und Ganzen bewährt. Im Rahmen der Reorganisation der Aufsicht über die technische Sicherheit innerhalb des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sind die Vorschriften über die Aufsicht, die Projektgenehmigung und den Betrieb sowie die Überwachung grundlegend anzupassen. Aus heutiger Sicht ungenügend erscheinen zudem die Regelung der Haftpflicht und die gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über kleinere Stauanlagen. Der Ersatz des Wasserbaupolizeigesetzes drängt sich daher auf.

Der hier vorgelegte Entwurf führt im Bereich der konstruktiven Sicherheit die bisherige Regelung auf Gesetzesebene im Grundsatz weiter. Die Sicherheit über die grossen Anlagen wird weiterhin von einer staatlichen Stelle geprüft, diejenige über die kleineren Anlagen soll neu durch akkreditierte unabhängige Stellen, die vom staatlichen Sicherheitsorgan überwacht werden, gewährleistet werden.

Die Hauptverantwortung für den Bau und den Betrieb einer Stauanlage bleibt bei ihrer Inhaberin. Der Geltungsbereich der geltenden Regelung wird auf Gesetzesstufe verankert, indem kleinere Stauanlagen, die eine besondere Gefährdung darstellen, nun ausdrücklich der besonderen Aufsicht unterstellt sind und entsprechend beurteilt und überwacht werden müssen. Am bisherigen Notfallkonzept, das auf kleinere Anlagen ausgedehnt wird, soll festgehalten werden.

Mit der Vorlage wird weiter die Haftung für Stauanlagen verschärft. Die Massnahme wurde im Rahmen der Gesamtrevision des Haftpflichtrechts vorgeschlagen und wiederholt in politischen Vorstössen gefordert. Die Betreiberin einer Stauanlage soll für Personen- und Sachschäden haften, die durch austretende Wassermassen verursacht werden. Sie soll auch dann haften, wenn sie kein Verschulden trifft und die Anlage keinen Mangel aufweist (Gefährdungshaftung). Sie ist von der Haftung befreit, wenn der Schaden durch höhere Gewalt
(ausserordentliche Naturvorgänge und kriegerische Ereignisse) oder grobes Verschulden der geschädigten Person verursacht wurde. Auf die Einführung einer Deckungspflicht auf Bundesebene wird verzichtet. Es soll weiterhin den Kantonen überlassen werden, entsprechende Vorschriften zu erlassen. Zur Bewältigung von Grossschäden enthält der Entwurf ähnliche Vorschriften wie das Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (KHG ­ SR 732.44).

Die neue Regelung soll einerseits für die rund 190 Stauanlagen gelten, deren Sicherheit heute nach der Stauanlagenverordnung vom Bund kontrolliert wird.

Andererseits werden ihr auch einige Hundert kleinere Stauanlagen unterstellt, die gegenwärtig unter der Aufsicht der Kantone stehen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Stauanlagen in der Schweiz 1.1.2 Sicherheit und Risiken von Stauanlagen 1.1.3 Geltende Aufsichts- und Haftungsregelung 1.2 Reformbedarf 1.3 Grundzüge des Entwurfs 1.4 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

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2 Besonderer Teil: Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen 2.1 1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen 2.2 2. Kapitel: Sicherheit der Stauanlagen 2.3 3. Kapitel: Haftpflicht 2.4 4. Kapitel: Aufsicht und Rechtsschutz 2.5 5. Kapitel: Strafbestimmungen und Datenbarbeitung 2.6 6. Kapitel: Schlussbestimmungen

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3 Auswirkungen 3.1 Auf den Bund 3.2 Auf die Kantone 3.3 Auf die Betreiberinnen von Stauanlagen

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4 Verhältnis zur Legislaturplanung

6060

5 Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit und Rechtsform 5.2 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen 5.3 Verhältnis zum europäischen Recht

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Bundesgesetz über die Stauanlagen (Entwurf)

6063

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Stauanlagen in der Schweiz

Stauanlagen sind Anlagen, die ein Fliessgewässer aufstauen, Wasser, Geschiebe, Treibeis oder Lawinenschnee speichern oder der Absetzung von Schwebestoffen (z.B. Sand) dienen. Sie bestehen aus einem Absperrbauwerk (Talsperre) und einem Stauraum (Staubecken). Das Absperrbauwerk kann aus einer Mauer, einem Damm oder einem Wehr bestehen. Ein Staudamm besteht aus Schüttmaterial, ein Wehr wenigstens zu 50 Prozent aus beweglichen Abschlussvorrichtungen. Staumauern werden als Gewichts-, Bogen- oder Pfeilermauern gebaut, Dämme als Stein- oder Erddämme mit äusseren oder inneren Dichtelementen.

Sowohl im Bau als auch in der Überwachung von Stauanlagen verfügt die Schweiz über grosse und langjährige Erfahrung. Im 19. Jahrhundert, mit dem Beginn der Industrialisierung, wurde mit dem Bau zahlreicher Stauanlagen für die Stromerzeugung begonnen. Am Anfang wurden grössere Laufkraftwerke an den Flüssen des Mittellandes gebaut, später folgten Speicherwerke im Alpenraum. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden bemerkenswerte Anlagen: die Stauanlage von Montsalvens, die erste Bogenmauer Europas, oder die Stauanlage Schräh, die weltweit erste Anlage mit einer Höhe über 100 m. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Bau von Stauanlagen einen grossen Aufschwung. Am meisten wurde in den Jahren 1950 bis 1970 gebaut. In dieser Periode wurden Talsperren mit Höhen von über 200 m realisiert (Grande Dixence, Mauvoisin, Contra, Luzzone).

Heute ist die Periode des intensiven Baus von Stauanlagen praktisch abgeschlossen.

Neu gebaut werden vor allem noch Anlagen für den Hochwasserschutz oder für die Erzeugung von künstlichem Schnee sowie Geschiebesammler.

Die Sicherheit der grossen und der mittleren Stauanlagen wird vom Bund überwacht, gestützt auf Artikel 3bis des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1877 betreffend die Wasserbaupolizei (Wasserbaupolizeigesetz, SR 721.10) und auf die dazu erlassene Verordnung vom 7. Dezember 1998 (Stauanlagenverordnung, StAV; SR 721.102).

Die Stauanlagenverordnung gilt nach ihrem Artikel 1 für «... Stauanlagen, bei denen die Stauhöhe über Niederwasser des Gewässers oder über Geländehöhe mindestens 10 m beträgt oder die bei mindestens 5 m Stauhöhe einen Stauraum von mehr als 50 000 m3 aufweisen».

Zurzeit überwacht der Bund rund 190 Anlagen. Davon dienen 86 Prozent der Produktion elektrischer
Energie, die übrigen vor allem der Wasserversorgung (Trinkwasser, Bewässerung) oder dem Rückhalt von Hochwasser, Geschiebe oder Lawinen.

In der Schweiz gibt es mehrere Hundert Anlagen, die das Grössenkriterium der Stauanlagenverordnung für eine Bundesaufsicht nicht erreichen. Davon dient ein grosser Teil keinem besonderen Zweck mehr (z.B. weil die Stromproduktion eingestellt wurde). Der Stauanlagenverordnung wurden deshalb auch kleinere Stauanlagen unterstellt, soweit sie eine besondere Gefahr für Personen oder Sachen darstellen. Den Kantonen wurden entsprechende Vollzugsaufgaben übertragen.

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Die Nutzung von Wasserkräften im Zusammenhang mit einer Stauanlage setzt die Verleihung eines Wasserrechts (Konzession) nach dem Wasserrechtsgesetz vom 22. Dezember 1916 (WRG, SR 721.80) voraus. Das kantonale Recht bestimmt, welches Gemeinwesen das Wasserrecht verleiht (Kanton, Bezirk, Gemeinde oder Körperschaft). Bei internationalen Gewässern verleiht der Bund das Wasserrecht (Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation ­ UVEK). Als Fachstelle steht ihm das Bundesamt für Energie zur Verfügung. Keine Konzession benötigt, wer selbst über das Gewässer verfügen kann, sei es, dass er als Gemeinwesen verfügungsberechtigt ist, sei es, dass er privatrechtlich Eigentümer des Gewässers ist oder dass ihm ein altrechtliches Wasserrecht zusteht.

1.1.2

Sicherheit und Risiken von Stauanlagen

Stauanlagen sind besondere Bauwerke, die im Versagensfall enorme Schäden verursachen können. Deshalb sind hohe Anforderungen an die Projekte, den Bau und den Betrieb sowie an die Kontrolle solcher Anlagen zu stellen. Um einen möglichst hohen Sicherheitsgrad zu garantieren und das Restrisiko zu minimieren, muss jede Anomalie im Verhalten einer Anlage, ihrer Fundation oder ihrer Umgebung erfasst werden. In diesem Sinn wurde in der Schweiz ein umfassendes Sicherheitskonzept entwickelt, das auf den folgenden drei Säulen beruht: ­

die konstruktive Sicherheit, die eine entsprechende Planung und Realisierung der Anlagen voraussetzt;

­

die Überwachung, welche die Einrichtung einer straffen Überwachungsorganisation voraussetzt;

­

das Notfallkonzept, das entsprechende Vorbereitungen für den Gefährdungsfall voraussetzt.

Verschiedene andere Länder wenden ebenfalls eine vergleichbare Sicherheitsphilosophie an, in Europa namentlich Frankreich, Italien, Österreich und Spanien.

Die konstruktive Sicherheit wird dadurch gewährleistet, dass die Anlagen so geplant und realisiert werden, dass sie allen vorhersehbaren Last- und Gebrauchsfällen sicher standhalten. Bei der Planung sind alle Einwirkungen, die eine Stauanlage beeinflussen können, zu berücksichtigen. Man unterscheidet zwischen ständigen Einwirkungen, wie dem Eigengewicht, veränderlichen Einwirkungen, wie dem Wasserdruck oder Sedimenten, klimatischen Einwirkungen und schliesslich zufälligen Einwirkungen, wie Hochwasser oder Erdbeben.

Um bei Bedarf den Wasserspiegel absenken oder einen See in kürzester Zeit leeren und, wenn nötig, auch leer halten zu können, müssen entsprechende konstruktive Vorkehrungen (Grundablass) getroffen werden. Überdies muss jede Stauanlage auch bei vollem Becken die Hochwasser über eine Hochwasserentlastung sicher abführen oder durch einen entsprechenden Freiraum im Staubecken vollständig zurückhalten können.

Obwohl die Erdbebenaktivität in der Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern (wie Italien oder Griechenland) in den letzten Jahren gering gewesen ist, muss die Erdbebensicherheit der Anlagen ebenfalls gewährleistet sein. Grundsätzlich werden alle Sperren nach einem Erdbeben der Magnitude 3 oder höher am Ort zusätzlich kontrolliert.

6041

Die regelmässige und genaue Überwachung der Stauanlagen soll es erlauben, jede Beeinträchtigung ihrer Sicherheit rechtzeitig erkennen zu können (z.B. ein unregelmässiges Verhalten, ein Schaden, ein grösserer Mangel oder eine äussere Bedrohung, wie die Gefahr eines Felsabsturzes in den Stauraum). Das bisher in der Schweiz bei den grossen Stauanlagen angewendete Sicherheitskonzept beruht auf einer vierstufigen Kontrolle (Inhaberin, erfahrene Fachperson, Expertin oder Experte und als unabhängige Organisation die staatliche Aufsichtsbehörde).

Der Anlagezustand und das Anlageverhalten werden beurteilt durch: ­

visuelle Kontrollen;

­

Direktmessungen, beruhend auf einem Messsystem, und

­

Funktionsproben der beweglichen Abschluss- und der Entleerungsvorrichtungen.

Diese Massnahmen werden ergänzt durch periodische Überprüfungen der Anlagesicherheit (insbesondere durch Fünfjahresexpertisen) und durch gezielte Untersuchungen, welche von der Aufsichtsbehörde veranlasst werden (Überprüfung älterer Bauwerke, Sicherheit gegenüber Naturereignissen).

Die visuellen Kontrollen sind deshalb wichtig, weil sie nicht nur erlauben, den Zustand der Stauanlage und der zugehörigen Nebenbauwerke (Verwitterung der Materialien, Rissbildung usw.) zu überprüfen, sondern auch denjenigen der sichtbaren Bauteile der Fundationen und der Abstützung der Flanken des Stauraumes.

Weltweit werden gegen 70 Prozent der besonderen Ereignisse bei Stauanlagen durch visuelle Kontrollen festgestellt.

Die Analyse der Resultate von Direktmessungen über Deformationen, Wassereintritte und Wasserdrücke erlaubt eine Beurteilung des Verhaltens der Stauanlagen.

Nach einer summarischen Überprüfung der an der Staumauer erhobenen Messwerte werden die Resultate einer erfahrenen Fachperson übermittelt, welche das Verhalten der Stauanlage präzise analysiert und zusätzlich beauftragt ist, eine jährliche Inspektion durchzuführen. Auf Grund einer solchen Analyse war es möglich, die aussergewöhnlichen Deformationen der Staumauer Tseuzier als Folge einer Drainagewirkung während der Bauarbeiten an einem Stollen frühzeitig zu erkennen.

Die Grundablässe der Stauanlagen müssen im Bedarfsfall geöffnet werden können und einwandfrei funktionieren (vorsorgliche Absenkung im Falle eines festgestellten anormalen Verhaltens, Handhabung während eines Hochwasserereignisses). Mindestens einmal pro Jahr müssen daher offizielle Tests der Funktionsfähigkeit dieser Ablassvorrichtungen durchgeführt werden. Besondere Bedingungen (wie ungenügende Kapazität oder ungeeignete Konstruktion) erforderten in Einzelfällen die Erstellung von neuen Grundablässen.

Da trotz dieser Massnahmen das Auftreten einer Gefahrensituation nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, ist es notwendig, über ein Notfallkonzept zu verfügen, damit die Bewohner unterhalb einer Stauanlage informiert und im Bedarfsfall evakuiert werden können. Bei Stauanlagen von mehr als 2 Millionen m3 Stauraum bestehen für die Nahzone Wasseralarmsysteme mit speziellen Sirenen (Wasseralarmsirenen). Als Nahzone gilt das Gebiet, das bei plötzlichem totalem Bruch der Anlage
innert zwei Stunden überflutet wird. Gegenwärtig sind 62 Stauanlagen mit diesem Wasseralarmsystem ausgerüstet. Die überflutungsgefährdeten Gebiete wurden von Bundesstellen festgelegt. Gestützt auf die Überflutungskarten können die betroffenen Kantone und Gemeinden ihre Evakuierungspläne erstellen. Der Bund, 6042

die Kantone und die Gemeinden sorgen mit Hilfe der üblichen Mittel und Strukturen des Bevölkerungsschutzes für die Verbreitung von Verhaltensanweisungen an die Bevölkerung und für deren allfällige Evakuierung.

Bei der Notfallstrategie werden sechs mögliche Bedrohungen unterschieden, welche zu einer Gefahrensituation führen können: ­

Verhaltensanomalie des Bauwerks (z.B. Verschiebung, Verformung) oder seines Untergrunds (z.B. Veränderung der Sickerströmung);

­

Hangrutschung oder Massesturz (Bergsturz, Gletscherabbruch) in den Stauraum;

­

extremes Hochwasser;

­

stärkeres Erdbeben;

­

Sabotage;

­

militärische Einwirkung.

Die drei ersten Bedrohungen werden in der Regel früh erkannt, so dass Massnahmen ergriffen werden können, bevor die Bevölkerung evakuiert werden muss (bei Hangrutschungen beispielsweise das Anlegen von Drainagen oder das vorsorgliche Absenken des Stausees). Wegen der Lawinengefährdung sind elf Anlagen vom 1. November oder 1. Dezember bis 30. April mit Speicherbewirtschaftungsbeschränkungen belegt.

1.1.3

Geltende Aufsichts- und Haftungsregelung

Nach Artikel 76 Absatz 3 der Bundesverfassung hat der Bund unter anderem Vorschriften über die Sicherheit der Stauanlagen zu erlassen. Diese Bundesaufgabe wird zurzeit in Artikel 3bis des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1877 über die Wasserbaupolizei, in der Fassung vom 27. März 1953 (SR 721.10), und in der Stauanlagenverordnung vom 7. Dezember 1998 (SR 721.102) umschrieben. Artikel 3bis des Wasserbaupolizeigesetzes enthält allerdings kaum Grundsätze über die Sicherheit von Stauanlagen, sondern überlässt den Erlass entsprechender Normen weitestgehend dem Bundesrat. Dieser wird in Absatz 1 angewiesen, dafür zu sorgen, «dass bei bestehenden und künftigen Einrichtungen zur Stauhaltung die notwendigen Massnahmen getroffen werden, um die Gefahren und Schäden tunlichst zu vermeiden, die infolge des Bestandes der Einrichtungen, ihres ungenügenden Unterhalts oder durch Kriegshandlungen entstehen könnten». In Absatz 3 wird der Bundesrat beauftragt, die erforderlichen Vorschriften zu erlassen. Die Bestimmung wurde seinerzeit bewusst sehr allgemein gehalten, «um dem Bundesrat zu ermöglichen, der künftigen Entwicklung der Technik folgend, die jeweilen notwendigen Ausführungsvorschriften zu erlassen» (BBl 1952 I 708).

Der Bundesrat hat den Auftrag durch den Erlass entsprechenden Verordnungsrechts umgesetzt und das oben unter Ziffer 1.1.2 dargestellte Sicherheitskonzept zuerst in der Talsperrenverordnung von 1957 und seit 1998 in der Stauanlagenverordnung verankert. Das Ziel, eine optimale Sicherheit der Stauanlagen zu gewährleisten und damit die Unterlieger zu schützen, wird einerseits durch klare Planungs-, Bau-, Unterhalts- und Kontrollvorschriften erreicht, andererseits durch eine wirksame staatliche Aufsichtsregelung. Die Aufsichtsbehörde kann zur Gewährleistung der 6043

Sicherheit alle notwendigen Massnahmen, gegebenenfalls auch die Absenkung oder Entleerung des Stausees, anordnen. Als Werkeigentümerin haftet die Inhaberin einer Stauanlage auch ohne Verschulden für den Schaden, der infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder infolge mangelhaften Unterhalts durch das Werk verursacht wurde. Sie macht sich schliesslich strafbar, wenn sie die Bestimmungen des Wasserbaupolizeigesetzes oder der Stauanlagenverordnung oder die gestützt darauf erteilten Weisungen vorsätzlich oder fahrlässig verletzt.

Diese Regelung hat sich bis heute bewährt. Bisher ist bei keiner der vom Bund beaufsichtigten Stauanlagen ein Versagen eingetreten, bei welchem die Bevölkerung konkret gefährdet worden wäre oder Schaden erlitten hätte. Dies ist einerseits das Verdienst der Inhaberinnen, die ihre Verantwortung wahrgenommen und die Stauanlagen nach anerkannten Regeln erstellt und betrieben und mit den Aufsichtsbehörden eng zusammengearbeitet haben. Andererseits hat sich auch die Überwachung und Aufsicht durch externe Fachleute und Experten sowie durch die Aufsichtsbehörden eingespielt und bewährt.

Die Haftpflicht für Stauanlagen wird heute hauptsächlich durch die allgemeinen Haftungsbestimmungen des Obligationenrechts (OR; SR 220) geregelt. Bedeutsam ist vor allem die Haftung des Werkeigentümers nach Artikel 58 OR. Dieser haftet ohne Verschulden (kausal) für den Schaden, den das Werk infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder infolge mangelhaften Unterhalts verursacht. Diese Bestimmung gewährt den Geschädigten einen weit gehenden Schutz. Sie müssen immerhin einen Mangel des Werks nachweisen, damit die Haftpflicht gegeben ist.

Man spricht deshalb von einer einfachen oder milden Kausalhaftung.

In drei Fällen, welche die klassischen Entlastungsgründe des Haftpflichtrechts darstellen, haftet der Werkeigentümer nicht: (1) wenn der Schaden durch höhere Gewalt verursacht wurde, d.h. durch ein unvorhersehbares, aussergewöhnliches Ereignis, das mit unabwendbarer Gewalt von aussen hereinbricht1 (ausserordentliche Naturvorgänge oder unvorhersehbare kriegerische Ereignisse); ferner (2) wenn der Schaden durch grobes Verschulden des Geschädigten oder (3) wenn der Schaden durch grobes Verschulden eines Dritten (z.B. Sabotage) verursacht wurde. Selbst wenn ein gewisser Werkmangel gegeben sein
sollte, haftet der Werkeigentümer nicht, wenn einer dieser Entlastungsgründe als ausschliessliche Ursache des Schadens anzusehen ist, d.h. wenn er so intensiv ist, dass er den ursächlichen Zusammenhang (Kausalzusammenhang) zwischen dem Werkmangel und dem Schaden unterbricht.

Das Wasserbaupolizeigesetz enthält in Artikel 3bis Absätze 7, 10 und 11 Haftungsbestimmungen im Zusammenhang mit staatlich angeordneten Absenkungsmassnahmen. Sie sehen auch eine Entschädigungspflicht des Bundes vor.

Wiederholt haben Kantone in Konzessionen den Nutzungsberechtigten eine strenge Haftung für die Schäden auferlegt, die durch die Stauanlagen der Wasserkraftanlagen verursacht werden. Die Zulässigkeit solcher Konzessionsbestimmungen ist

1

BGE 111 II 433, Heinrich Honsell, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 3. Aufl., Zürich 2000, S. 38 N 39; Heinz Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 132 N 574; Alfred Keller, Haftpflicht im Privatrecht I, 6. Aufl. 2002, S. 94.

6044

jedoch umstritten2. Bezweifelt wird auch die Zulässigkeit derartiger Haftungsbestimmungen in der kantonalen Wasserrechtsgesetzgebung3.

Unbestritten ist dagegen die Befugnis der Kantone, den Nutzungsberechtigten vorzuschreiben, dass sie eine Haftpflichtversicherung abschliessen müssen. Von dieser Befugnis haben die Kantone Wallis und Graubünden Gebrauch gemacht.

Die Deckungssummen der Haftpflichtversicherung für grosse Stauanlagen betragen heute in den Kantonen Wallis und Graubünden zwischen 50 und 200 Millionen Franken, in den Kantonen ohne Versicherungsobligatorium betragen sie zwischen 50 und 100 Millionen Franken.

1.2

Reformbedarf

Am 30. September 1991 hat der Ständerat und am 16. Dezember 1992 der Nationalrat einer Standesinitiative des Kantons Wallis (90.203 vom 13. September 1990, «Unbeschränkte Haftpflicht bei Wasserkraftanlagen») Folge gegeben, mit der verlangt wird, «... für Inhaber von Wasserkraftanlagen die unbeschränkte Haftpflicht einzuführen und analog zur Regelung der Kernenergiehaftpflicht einen eidgenössischen Solidaritätsfonds für Schäden durch höhere Gewalt oder durch kriegerische Ereignisse zu schaffen». Im Zusammenhang mit dieser Standesinitiative haben die eidgenössischen Räte zudem eine Motion der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (M 93.3027, «Einführung der unbeschränkten Haftpflicht bei Wasserkraftanlagen») überwiesen. Darin wurde der Bundesrat beauftragt, «unverzüglich und ohne die allgemeine Revision des Haftpflichtrechts abzuwarten, ein Gesetz vorzuschlagen, das in Analogie zur Kernenergiehaftpflicht die unbeschränkte Haftpflicht für Wasserkraftanlagen einführt». Die Kommission des Ständerates präzisierte, dass sie «unter dem Begriff eine ebenso speditive wie seriöse Behandlung im ordentlichen Verfahren» verstehe4.

Am 2. Dezember 1992 haben das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) sowie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) eine Expertenkommission für die Regelung der Haftpflicht für Stauanlagen eingesetzt und beauftragt, den Vorentwurf einer gesetzlichen Regelung auszuarbeiten. Die Kommission lieferte Vorentwurf und Bericht im August 1994 ab.

Am 16. Mai 1995 haben das EVED und das EJPD die Vernehmlassung zum Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Haftpflicht für Stauanlagen eröffnet. Die Frist zur Stellungnahme dauerte bis 31. Dezember 1995. Den Grundsätzen des Vorentwurfs wurde mehrheitlich zugestimmt. Zahlreiche Stellungnahmen verlangten aber zusätzliche Abklärungen oder Änderungen. Gefordert wurden genauere Angaben über die Einteilung der Stauanlagen in Risikoklassen und die gestützt darauf zu erwartenden Versicherungssummen und -prämien.

2

3 4

BGE 42 II 526, 43 II 124; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Allgemeiner Teil I, S. 54, § 1, N 124 mit Literaturhinweisen; Pierre Tercier, La responsabilité civile des centrales hydro-électriques et sa couverture, ZSR 105 (1986) I S. 297 ff. (303); Pierre Tercier, L'indemnisation des préjudices causés par des catastrophes en droit suisse, ZSR 109 (1990) II S. 73 ff. (144).

Tercier, L'indemnisation (Anm. 2), 144.

AB 1993 S 533

6045

In der Folge wurde die Expertenkommission reaktiviert und der Vorentwurf überarbeitet. Am Vorentwurf wurde namentlich Folgendes geändert: Kanalisierung der Haftung auf die Inhaberin der Stauanlage, Festsetzung der höchsten Deckungssumme auf 600 Millionen Franken, Lockerung der Bestimmungen für kleine Anlagen.

Im Unterschied zum ersten Vorentwurf und zur geltenden Regelung enthielt der zweite Vorentwurf zudem auch die Sicherheitskriterien in ihren wesentlichen Grundzügen. Die Vorlage wurde als Entwurf eines Bundesgesetzes über die Stauanlagen vom 7. Oktober 1999 bis zum 31. März 2000 in die Vernehmlassung gegeben.

Die Stellungnahmen fielen kontrovers aus. Während die Bestimmungen über die Sicherheit von Stauanlagen weitgehend unbestritten blieben, stiess die Einführung einer obligatorischen Deckung bzw. einer Versicherungspflicht analog dem Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (KHG ­ SR 732.44) mehrheitlich auf Ablehnung. Bevor man den Inhaberinnen von Stauanlagen zusätzliche Kosten auferlegen könne, müsse man die Auswirkungen des Elektrizitätsmarktgesetzes kennen.

Zudem stehe eine Gesamtrevision des Haftpflichtrechts an, in deren Rahmen die Haftpflicht von Stauanlagen, abgestimmt auf andere vergleichbare Risiken wie beispielsweise die Rohrleitungen, geregelt werden könne. Eine deutliche Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer hielt die Vorlage allerdings trotz verändertem Umfeld für notwendig und sprach sich grundsätzlich für eine Verschärfung der Haftung aus (scharfe Kausalhaftung).

Im Rahmen der Verwaltungsreform schlägt der Bundesrat vor, die sicherheitsrelevanten Aufgaben im Bereich des UVEK neu zu regeln (vgl. dazu die Botschaft vom 9. Juni 2006 zum Sicherheitskontrollgesetz, Ziff. 1.1, BBl 2006 5925). Die Aufsicht über die Stauanlagen gehört zu diesen sicherheitsrelevanten Aufgaben. Die rechtlichen Grundlagen müssen deshalb angepasst werden, wobei eine Teilrevision des Wasserbaupolizeigesetzes von 1877, das den heutigen Vorstellungen des Legalitätsprinzips nicht mehr entspricht, nicht in Frage kommen kann. Gestützt auf die bisher geleisteten Vorarbeiten und die Ergebnisse der Vernehmlassungsverfahren ist vielmehr eine neue gesetzliche Grundlage für die Regelung der Sicherheit von Stauanlagen zu schaffen.

1.3

Grundzüge des Entwurfs

Dem vorliegenden Entwurf liegt weiterhin das bewährte dreisäulige Sicherheitskonzept zu Grunde, das oben unter Ziffer 1.1.2 dargestellt wurde.

Im Unterschied zur bisherigen Regelung legt das Gesetz die Sicherheitskriterien in ihren wesentlichen Grundzügen fest. Die Detailbestimmungen bleiben der Verordnungsgebung überlassen. Dadurch werden rasche Anpassungen an sich verändernde Verhältnisse sowie Differenzierungen in Bezug auf die Sicherheitsstandards unterschiedlicher Anlagetypen ermöglicht.

Aus Gründen der Rechtssicherheit wird auch der Geltungsbereich des Gesetzes genauer umschrieben. Dieser erstreckt sich nun ausdrücklich auch auf kleinere Anlagen, sofern sie ­ ungeachtet ihres Verwendungszwecks ­ ein gewisses Gefährdungspotenzial aufweisen. Über die Sicherheit dieser Einrichtungen, die nach der Stauanlagenverordnung bis 2006 unter die Aufsicht der Kantone gestellt werden müssen, bisher aber noch keiner besonderen Kontrolle unterstanden, sind keine verlässlichen Aussagen möglich. Es muss jedoch angenommen werden, dass die konstruktive Sicherheit einiger dieser (vielfach noch aus der Frühzeit der Industriali6046

sierung stammenden) Objekte nicht mehr heutigem Standard entspricht. Da eine ständige Überwachung weitgehend fehlt, besteht in aller Regel auch keine Möglichkeit, die Unterlieger im Versagensfall zu warnen. Nachdem das Schadenpotenzial mit zunehmender Besiedelung des Landes laufend zugenommen hat, steht zu befürchten, dass etliche dieser kleineren Anlagen für die Bevölkerung eine Gefahr darstellen.

Das neue Aufsichtskonzept soll dazu beitragen, auch diese Gefahr möglichst klein zu halten. Wie bisher tragen in erster Linie Bauherr, Ersteller und Betreiber einer Stauanlage die Hauptverantwortung für deren Sicherheit. Je nach Gefährdungspotenzial und Wahrscheinlichkeit eines Unfalls sind zusätzliche Prüfungen und Kontrollen durch Dritte vorgesehen, entsprechend dem Konzept, das im Sicherheitskontrollgesetz (SKG) verankert ist. Auf eine kantonale Aufsicht soll grundsätzlich verzichtet werden. Die entsprechenden Anlagen sollen neu prinzipiell durch unabhängige Stellen, die unter der Aufsicht der staatlichen Aufsichtsbehörde stehen, geprüft und kontrolliert werden. Die grossen, bisher unter direkter Bundesaufsicht stehenden Anlagen, die alle ein hohes Gefährdungspotenzial aufweisen, sollen weiterhin durch eine staatliche Stelle geprüft und kontrolliert werden. Zur Konzeption und näheren Ausgestaltung dieser Aufsicht kann auf die Botschaft zum Sicherheitskontrollgesetz verwiesen werden (Ziff. 1.4 und 1.5).

Die Wassermassen, die sich in einer Stauanlage befinden, stellen grundsätzlich eine besondere Gefahr für die Unterlieger dar. Sie können beim Bruch der Talsperre oder ähnlichen Unfällen zu schwer wiegenden Schäden führen. Das Schadenpotenzial ist durchaus demjenigen der Bereiche, die bereits einer Gefährdungshaftung unterstehen, vergleichbar oder sogar noch grösser (Starkstromanlagen, Eisenbahnen, Luftfahrzeuge, Motorfahrzeuge, Rohrleitungen, Sprengstoff oder Kernenergie). Die Unterstellung von Stauanlagen unter die Gefährdungshaftung ist daher gerechtfertigt. Die in den Jahren 1999/2000 durchgeführte Vernehmlassung zum Stauanlagengesetz hat allerdings gezeigt, dass die Einführung strengerer Haftungsvorschriften, beispielsweise der Haftung für höhere Gewalt und kriegerische Ereignisse, und einer Deckungs- bzw. Versicherungspflicht ausschliesslich für Stauanlagen zurzeit kaum mehrheitsfähig wären. Angesichts
des hohen Sicherheitsstandards der Stauanlagen ist es gerechtfertigt, diese Fragen erst zu diskutieren und zu beantworten, wenn die Liberalisierung des Elektritzitätsmarktes vollzogen ist und abgeschätzt werden kann, in welchem Umfang den Betreiberinnen der Stauanlagen zusätzliche Kosten für Versicherungsprämien überbunden werden können. Der Entwurf sieht daher keine Gefährdungshaftung bei höherer Gewalt und kriegerischen Ereignissen vor und verzichtet auf eine Deckungs- oder Versicherungspflicht. Hingegen sieht er wie im Kernenergiehaftpflichtgesetz vor, dass die Bundesversammlung bei Grossschäden eine besondere Entschädigungsordnung erlassen kann.

Die vorgeschlagene Gefährdungshaftung ist zunächst deshalb schärfer als die geltende Haftung des Werkeigentümers, weil dem Geschädigten der Beweis erleichtert wird; er muss nur die Verursachung des Schadens durch austretende Wassermassen nachweisen, nicht aber einen Mangel der Anlage. Ferner wird es der Betreiberin der Stauanlage erschwert, sich auf einen Entlastungsgrund zu berufen. Denn zum einen werden die Entlastungsgründe bei Gefährdungshaftungen zurückhaltender ausgelegt, insbesondere wenn auf Seiten des Haftpflichtigen ein Verschulden oder eine erhöhte

6047

Betriebsgefahr vorliegt5. Zum andern werden in Artikel 16 nur höhere Gewalt und grobes Selbstverschulden als Entlastungsgründe vorgesehen. Grobes Drittverschulden befreit die Betreiberin der Stauanlage nicht.

Mit der vorgeschlagenen Neuregelung wird die Haftung für Stauanlagen also nur in begrenztem Ausmass verschärft.

1.4

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Der Entwurf eines Stauanlagengesetzes wurde zusammen mit dem Entwurf eines Bundesgesetzes über die Kontrolle der technischen Sicherheit (BGTS) von September bis Oktober 2001 in eine Vernehmlassung gegeben. Mit dem BGTS schlug der Bundesrat vor, die Sicherheitsaufsicht in allen das UVEK betreffenden Bereichen durch die Harmonisierung der Verfahren, die Schaffung einer Agentur für technische Sicherheit und durch die Übertragung von Sicherheitsaufgaben an unabhängige private Unternehmen zu optimieren und zu verbessern. Das Vernehmlassungsverfahren, mit über 200 Eingaben, hat ergeben, dass die grundsätzlichen Zielsetzungen des Projekts (klare Abgrenzung der Verantwortlichkeiten bei der Sicherheitsaufsicht, Entwicklung einer für alle Bereiche gültigen Risikophilosophie, optimierter Einsatz der Ressourcen für die Sicherheitsaufsicht) begrüsst wurden. Die vorgeschlagene Umsetzung, insbesondere die Schaffung einer Sicherheitsagentur, wurde jedoch kritisch beurteilt. Der Bundesrat hat daher am 26. September 2003 beschlossen, die Kompetenzen der Aufsicht über die technische Sicherheit grundsätzlich bei den Ämtern zu belassen und auf die Schaffung einer zentralen Stelle zu verzichten, die Verfahren hingegen wie in der Vernehmlassungsvorlage vorgesehen zu vereinheitlichen. Die Vorlage wurde entsprechend überarbeitet (vgl. Botschaft zum Sicherheitskontrollgesetz, Ziff. 1.10).

43 Vernehmlassungsteilnehmer haben sich ausdrücklich zum Entwurf eines Stauanlagengesetzes geäussert. Mehrheitlich wurde betont, dass sich das bestehende, mit der Stauanlagenverordnung 1998 eingeführte Konzept bewährt habe und materiell nicht geändert werden müsse. Ein allfälliges Gesetz habe dieses Konzept daher weiterzuführen. Die vorgeschlagene Regelung der Haftpflicht und der Verzicht auf die Einführung einer Deckungspflicht auf Bundesebene wurden mehrheitlich begrüsst.

Auch dem Vorschlag, die Kantone von der Aufsicht über die kleineren Stauanlagen zu befreien, wurde überwiegend zugestimmt. Befürchtet wurde allerdings, dass die Neuordnung, namentlich die Einführung einer Aufsicht durch unabhängige Stellen, zu einer Erhöhung des administrativen Aufwandes führe und Synergien und Fachwissen verloren gehe.

Der überarbeitete Entwurf versucht, die in der Vernehmlassung vorgebrachten Anliegen aufzunehmen. Den Bedenken, dass das neue
Aufsichtskonzept lediglich den administrativen Aufwand erhöhe, die Sicherheit tatsächlich aber nicht verbessere, wird vor allem beim Erlass der Vollzugsverordnungen Rechnung zu tragen sein.

5

Deschenaux/Tercier, La responsabilité civile, 2e éd., Berne 1982, S. 62 N 54; Heinz Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 129 N 559.

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2

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

2.1

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1

Gegenstand

Neben der Sicherheit der Stauanlagen, zu der auch die Aufsicht gehört, soll im Gesetz die Haftung neu ausdrücklich geregelt werden. Gehaftet wird allerdings nur für Schäden, die auf unvorhergesehenes Austreten von Wassermassen zurückzuführen sind, was beispielsweise nach einem Bruch der Stauanlage, einem Versagen der Schützen oder einem plötzlichen Massesturz in den Stauraum erfolgen kann. Das mit dem Aufstau grosser Wassermassen verbundene spezifische Risiko muss sich somit verwirklicht haben, was etwa bei einer durchfliessenden Hochwasserwelle nicht der Fall wäre (vgl. dazu auch die Bemerkungen zu den Art. 15 und 17).

Art. 2

Geltungsbereich

Nach Absatz 2 gilt das Gesetz auch für Stauanlagen, die die Mindestmasse nach Absatz 1 nicht erreichen, wenn sie ein besonderes Gefährdungspotenzial für Personen und Sachen darstellen. Ein solches ist etwa gegeben, wenn im Fall eines Bruches der Stauanlage mindestens ein Wohn- oder Arbeitsraum oder ein wichtiger Verkehrsweg betroffen ist und Menschen an Leib und Leben bedroht sind.

Art. 3

Begriffe

Stauanlagen sind Anlagen, die ein Fliessgewässer aufstauen, Wasser, Geschiebe, Treibeis oder Lawinenschnee speichern oder der Absetzung von Schwebestoffen (z.B. Sand) dienen. Zu den Stauanlagen sind auch Rückhaltebecken zu zählen, die Wasser, Geschiebe, Schnee oder Eis zurückhalten, in der Regel aber nicht gefüllt sind, denn auch diese Bauwerke sind potenziell gefährlich und daher entsprechend zu bauen, zu betreiben und zu überwachen.

Die grossen Stauanlagen standen bisher unter Bundesaufsicht (vgl. Art. 21 Stauanlagenverordnung). Sie sollen auch künftig durch eine staatliche Stelle überprüft werden. Für die anderen Stauanlagen, die nach Artikel 2 unter das Gesetz fallen, soll das Verfahren mit Sicherheitsbescheinigung nach SKG zur Anwendung kommen. Zum besseren Verständnis von Artikel 5 erscheint eine Legaldefinition der «grossen Stauanlagen» sinnvoll.

Art. 4

Stauanlagen an Grenzgewässern

Für Stauanlagen an Grenzgewässern ergeben sich besondere Probleme bezüglich der Aufsicht: Die Schweiz kann die Aufsicht nur für jene Anlageteile regeln, die sich auf ihrem Gebiet befinden. Und selbst bezüglich dieser Teile ist es nicht ratsam, die Materie einseitig vorzuschreiben. Denn die mit Nachbarstaaten abgeschlossenen

6049

Vereinbarungen, die Stauanlagen an Grenzgewässern betreffen6, sehen ein partnerschaftliches Zusammenwirken der beteiligten Staaten vor.

Nach Absatz 1 kann der Bundesrat besondere Bestimmungen erlassen, namentlich solange keine Vereinbarung mit einem Nachbarstaat zu Stande gekommen ist.

Ferner behält Absatz 1 besondere Bestimmungen in Vereinbarungen mit den Nachbarstaaten vor. Da es sich dabei um die Regelung ausgewählter Fragen weitgehend technischer Natur handelt, die eine kleine Anzahl von Stauanlagen betreffen, ist es zweckmässig, dass die eidgenössischen Räte den Bundesrat zum Abschluss solcher Vereinbarungen ermächtigen.

Nach Absatz 2 soll der Bundesrat von Bestimmungen des Bundesrechts über das anwendbare Recht und den Gerichtsstand abweichen können. Grundsätzlich keine Abweichung ist somit zulässig in Bezug auf die Sicherheitsvorschriften. Wann eigenes und wann fremdes Haftpflichtrecht anwendbar ist, wird durch das Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG, SR 291) bestimmt. Artikel 133 IPRG erklärt für grenzüberschreitende Haftpflichtfälle grundsätzlich das Recht des Ortes für anwendbar, wo der Schaden eingetreten ist. Die Vorschriften über den Gerichtsstand (das zuständige Gericht) im Verhältnis zu den Nachbarstaaten sind fast ausschliesslich im Lugano-Übereinkommen vom 16. September 19887 enthalten. Nur im Verhältnis zum Fürstentum Liechtenstein gilt Artikel 129 IPRG. Die vorgeschlagene Vorschrift erlaubt, die Bestimmungen der beteiligten Staaten über das anwendbare Recht und die zuständigen Gerichte8 zu koordinieren, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu verhindern.

Art. 5

Prüfung und Kontrolle der technischen Sicherheit

Artikel 5 Absatz 1 verweist hinsichtlich Prüfung und Kontrolle von Stauanlagen generell auf das SKG, das auch die näheren Verfahrensvorschriften zu Planung und Bau (vgl. Art. 7 StAG) sowie zum Betrieb (vgl. Art. 9 StAG) enthält.

Das Sicherheitsorgan ist organisatorisch Teil der Aufsichtsbehörde, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 23 zu bezeichnen hat. Es hat als staatliche Stelle wie bisher die grossen Stauanlagen zu überwachen. Die Sicherheit der übrigen Stauanlagen ist durch unabhängige Stellen im Verfahren mit Sicherheitsbescheinigung nach SKG zu prüfen und zu kontrollieren.

6

7 8

Staatsverträge mit Frankreich: SR 0.721.809.349.2 (Rhône), 0.721.809.349.1 (Emosson), 0.721.809.349.5 (Doubs); Staatsverträge mit Italien: SR 0.721.325 (Luganersee), 0.721.809.454.1 (Spöl), 0.721.809.454.2 (Reno di Lei); Staatsverträge mit Österreich: SR 0.721.191.631­633 (Rhein von der Illmündung bis zum Bodensee); Rechtsgrundlagen für die Stauanlagen an Grenzgewässern mit Deutschland: SR 0.747.224.32/BS 13 482 (Rhein von Neuhausen bis unterhalb Basel), SR 0.747.224.052.1/BS 12 557 (Rhein zwischen Strassburg/Kehl und Istein).

Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, SR 0.275.11.

Vom Lugano-Übereinkommen kann allerdings nur durch einen völkerrechtlichen Vertrag, nicht durch Verordnung abgewichen werden.

6050

2.2

2. Kapitel: Sicherheit der Stauanlagen

Art. 6

Grundsätze

Artikel 6 Absatz 1 legt allgemein fest, dass Stauanlagen nach dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik so zu bemessen, zu bauen und zu betreiben sind, dass ihre Standsicherheit bei allen voraussehbaren Betriebs- und Lastfällen gewährleistet ist. Die Inhaberin einer Stauanlage muss also die möglichen Beanspruchungsarten festlegen und die Sicherheit des Bauwerkes für die ungünstigste Lastkombination nachweisen.

Der Bundesrat soll besondere Kategorien von Stauanlagen von der Pflicht zur Erstellung von Ablass- und Entlastungsvorrichtungen befreien können. Gedacht wird hier vor allem an Rückhaltebecken, die nur im Hochwasserfall gefüllt werden und dementsprechend dimensioniert sind (Abs. 2).

Hochwasser müssen in jedem Fall, auch bei vollem Becken, sicher abgeleitet werden können (Abs. 3). Dies erfolgt in der Regel durch spezielle Entlastungsorgane. Nur wenn der Stauraum allfällige Hochwasser in jedem Fall aufzunehmen vermag (z.B.

Grande Dixence), kann auf eine spezielle Hochwasserentlastung verzichtet werden.

Art. 7

Planung und Bau

Bau- und Umbauprojekte von Stauanlagen sind je nach Gefährdungspotenzial der Anlage im Verfahren mit Prüfung durch amtliche Kontrolle oder im Verfahren mit Sicherheitsbescheinigung zu prüfen und zu beurteilen. Die Einzelheiten der diesbezüglichen Verfahren sind im SKG geregelt und in der Botschaft dazu erläutert.

Im Sinne einer Verfahrenskoordination erfolgt eine eigentliche Projektgenehmigung nur dann, wenn kein kantonales oder bundesrechtliches Bewilligungsverfahren, beispielsweise nach Wasserrechtsgesetz (SR 721.80), durchgeführt wird. Werden solche Verfahren aber durchgeführt, so sind die von dem für die Sicherheitsprüfung zuständigen Organ bzw. der zuständigen Stelle gezogenen Schlüsse und die abgegebenen Empfehlungen im (Gesamt-)Entscheid zu berücksichtigen. Die Projektbeurteilung wird damit verfahrensrechtlich gleich behandelt wie beispielsweise eine Rodungsbewilligung. Damit gewährleistet ist, dass in den Bewilligungen die sicherheitsrelevanten Schlussfolgerungen berücksichtigt werden und keine Bewilligung ohne Projektbeurteilung erteilt wird, ist in Artikel 25 Absatz 2 die Behördenbeschwerde gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide vorgesehen. Die Regelung entspricht damit der Waldgesetzgebung, wie sie mit Botschaft vom 25. Februar 1998 letztmals bestätigt wurde9.

Die Gefahr von Sabotageakten sollen Inhaberin und Bewilligungsbehörde bereits bei der Planung und beim Bau berücksichtigen, damit das entsprechende Risiko möglichst klein bleibt (Abs. 4).

Art. 8

Inbetriebnahme

Artikel 8 übernimmt die geltenden Vorschriften hinsichtlich Inbetriebnahme. Beim ersten Einstau, der nach einem bestimmten Programm durchgeführt wird, wird das Verhalten der Anlage genau gemessen und mit den berechneten Werten verglichen.

9

Vgl. BBl 1998 2697

6051

Nur wenn die Anlage in der vorausberechneten Weise reagiert, darf sie in Betrieb genommen werden. Dasselbe gilt für den ersten Wiedereinstau, beispielsweise nach einer Sanierung oder einem Umbau einer Anlage. Bei Rückhaltebecken können in der Regel keine Einstauversuche durchgeführt werden.

Art. 9

Betrieb

Die Aufsichtsbehörde kann gestützt auf Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a den Weiterbetrieb einer Stauanlage verbieten, wenn die zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt notwendigen Massnahmen nicht getroffen wurden (vgl. zum Begriff der notwendigen Massnahmen Art. 10 Abs. 1 Umweltschutzgesetz [USG] ­ SR 814.01).

Die Aufsichtsbehörde hat damit auch die Möglichkeit, bauliche Verbesserungen zu verlangen und durchzusetzen, wenn eine Stauanlage dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr entsprechen sollte. Die Kontrolle der technischen Sicherheit richtet sich im Übrigen nach den Verfahren gemäss SKG, wobei abweichend vom SKG die Betreiberin den Sicherheitsbericht wie bisher direkt dem Sicherheitsorgan soll zustellen müssen.

In Absatz 2 wird klargestellt, dass die Betreiberin einer Stauanlage auch für deren Kontrolle und Überwachung zuständig ist. Die Einzelheiten der Überwachung und Kontrolle soll wie bisher der Bundesrat in einer Verordnung regeln. Da sich das geltende mehrstufige Überwachungssystem bewährt hat, wird es der Bundesrat nicht wesentlich ändern. Die Einführung des neuen Kontrollregimes wird allerdings auch bei der Überwachung und Kontrolle der Stauanlagen eine stärkere Berücksichtigung ihres effektiven Gefährdungspotenzials erfordern.

In Absatz 3 ist die Nachrüstpflicht der Betreiberinnen ausdrücklich verankert.

Viele kleine Stauanlagen, die oft Sicherheitsdefizite aufweisen, wurden im letzten Jahrhundert zu Beginn der Industrialisierung gebaut und bisher kaum überwacht und kontrolliert. Der ursprüngliche Betreiber existiert manchmal schon lange nicht mehr, das gestaute Wasser wird als natürliches Gewässer oder Biotop wahrgenommen und ist teilweise sogar unter Schutz gestellt. Damit der ordnungsgemässe Betrieb dieser Anlagen auch nach einem Wegfall des ursprünglichen Betreibers sichergestellt ist, sieht Absatz 4 vor, dass beim Fehlen einer Betreiberin die Grundeigentümerin einer Stauanlage für deren ordnungsgemässen Betrieb verantwortlich ist.

Art. 10

Beeinflussung der Sicherheit durch andere Bauten und Anlagen

Der Vortrieb des Sondierstollens für einen Rawil-Strassentunnel hat die Staumauer der Anlage Tseuzier (Kt. Wallis) in den Siebzigerjahren schwer beeinträchtigt. Um ähnliche Vorfälle zu vermeiden, sind die zuständigen Behörden, die Anlagen zu bewilligen haben, welche sich nachteilig auf die Sicherheit einer Stauanlage auswirken könnten, weiterhin verpflichtet, das Sicherheitsorgan frühzeitig zu informieren und zu konsultieren (so untersuchte beispielsweise eine Expertengruppe, welche Auswirkungen der Bau der NEAT auf vier Stauanlagen hat). Die Kosten für allfällige Abklärungen oder Beweismassnahmen hat, wie allgemein üblich, der Verursacher zu zahlen.

6052

Art. 11­13

Notfallkonzept

Das bisher in der Stauanlagenverordnung enthaltene Notfallkonzept wird auf Gesetzesstufe verankert. Das Konzept soll gewährleisten, dass die Behörden bei drohendem Versagen einer Stauanlage frühzeitig alarmiert werden, damit sie rechtzeitig die notwendigen Massnahmen zur Verhinderung von Schäden und allenfalls die Evakuierung gefährdeter Personen anordnen können. Man geht davon aus, dass alle Kantone über eine rund um die Uhr funktionierende Pikettstelle verfügen.

Neu sollen grundsätzlich alle Stauanlagen, die unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen, über ein Wasseralarmsystem verfügen. Es ist vorgesehen, dass je nach Grösse und Gefährdungspotenzial einer Anlage unterschiedliche Alarmierungssysteme installiert und betrieben werden sollen. Der Bundesrat wird in der Verordnung im Einzelnen bestimmen, welche Aufgaben die Betreiberinnen zu erfüllen haben und welches die Pflichten der Organe des Bevölkerungsschutzes sind.

2.3 Art. 14

3. Kapitel: Haftpflicht Ausnahmen vom Geltungsbereich

Aufgrund ihres besonderen Zwecks, des Schutzes vor Naturgefahren, und des entsprechenden Betriebs sollen für bestimmte Stauanlagen die strengen Haftungsvorschriften des 3. Kapitels nicht gelten. Die Werkeigentümerhaftung nach Artikel 58 OR erscheint für solche Anlagen zweckmässig und ausreichend.

Art. 15

Haftung der Betreiberin

Absatz 1 sieht die Gefährdungshaftung der Betreiberin der Stauanlage für Personenund Sachschäden vor, die durch die Verwirklichung der charakteristischen Risiken entstehen, welche austretenden Wassermassen innewohnen, die also durch die hohe Bewegungsenergie der Wassermassen verursacht werden. Die Gefährdungshaftung gilt grundsätzlich nur für Personen- und Sachschäden sowie für Einkommensausfälle (entgangener Gewinn), die sich daraus ergeben, nicht aber für so genannte reine Vermögensschäden. Ein solcher liegt vor, wenn z.B. ein Hotelbesitzer einen Ertragsausfall erleidet, weil die Zufahrtsstrassen, die ihm nicht gehören, zerstört worden sind. Nur bei Personen- und Sachschäden verwirklicht sich das typische Risiko, das die Einführung einer Gefährdungshaftung rechtfertigt.

Absatz 2 sieht dagegen den Ersatz einer bestimmten Art von reinem Vermögensschaden vor: Die Betreiberin muss die Aufwendungen ersetzen, welche Vorsorgemassnahmen vor einem unmittelbar drohenden Schadenereignis verursacht haben.

Es geht hier um Aufwendungen, die entstehen, wenn wegen der Gefahr des Bruchs einer Talsperre oder des Überschwappens eines Staubeckens eine Evakuierung angeordnet wird (z.B. Fahr- und Unterkunftskosten). Die Bestimmung ist aus dem KHG (Art. 2 Abs. 1 Bst. c) übernommen. Entgangener Gewinn im Zusammenhang mit Vorsorgemassnahmen nach Absatz 2 wird nicht ersetzt.

Absatz 3 sieht wie Artikel 3 Absatz 4 KHG vor, dass Betreiberin und Eigentümerin der Anlage solidarisch haften, wenn es sich dabei um verschiedene Personen handelt. Als Betreiberin gilt dabei, in Anlehnung an Artikel 2 Absatz 7 KHG, bereits die Bauherrin (nicht aber der beauftragte Bauunternehmer). Damit wird klar gestellt, dass auch Schäden während des Baus einer Anlage unter dieses Gesetz fallen.

6053

Nach Absatz 4 haften Bund, Kantone, Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten ebenfalls nach diesem Gesetz, wenn sie Stauanlagen betreiben. Die Gefährdungshaftung ersetzt diesbezüglich die Bestimmungen über die Staatshaftung (vgl. etwa auch Art. 73 Strassenverkehrsgesetz ­ SR 741.01; Art. 59a USG ­ SR 814.01; Art. 27 Sprengstoffgesetz ­ SR 941.41).

Art. 16

Haftungsausschluss

Anders als bei der Kernenergiehaftpflicht soll die Betreiberin einer Stauanlage dann von der Haftung befreit sein, wenn sie nachweist, dass der Schaden durch höhere Gewalt oder durch grobes Verschulden der geschädigten Person verursacht wurde.

Höhere Gewalt ist ein «unvorhersehbares, aussergewöhnliches Ereignis, das mit unabwendbarer Gewalt von aussen hereinbricht»10. Im Rohrleitungsgesetz (RLG ­ SR 746.1, AS 1964 99 ­ Art. 33 Abs. 2) wird statt von höherer Gewalt von «ausserordentlichen Naturvorgängen» und «kriegerischen Ereignissen» gesprochen, gemeint ist aber dasselbe. Gleich wie bei Kernenergie- oder Rohrleitungsanlagen soll grobes Drittverschulden (beispielsweise Sabotage) eine Haftung nicht ausschliessen, weil Art und Schwere eines Schadens in erster Linie durch die charakteristischen Risiken bestimmt werden, die austretenden Wassermassen innewohnen.

Grobes Selbstverschulden soll dagegen, wie allgemein üblich, als Entlastungsgrund anerkannt werden (vgl. dazu etwa Art. 33 Abs. 2 RLG, Art. 27 Abs. 2 Sprengstoffgesetz oder auch Art. 5 KHG).

Art. 17

Anwendung des Obligationenrechts

Ergänzend anwendbar sind insbesondere folgende Bestimmungen des Obligationenrechts: Artikel 42, Festsetzung des Schadens; Artikel 43, Bestimmung des Ersatzes11; Artikel 44, Herabsetzungsgründe; Artikel 45 und 46, Tötung und Körperverletzung; Artikel 47 und 49, Genugtuung; Artikel 50 und 51, Haftung mehrerer; Artikel 52, Notwehr, Notstand, Selbsthilfe; Artikel 53, Verhältnis zum Strafrecht; Artikel 60, Verjährung. Im Gegensatz zu Artikel 7 KHG ist die Anwendung von Artikel 44 Absatz 2 OR nicht ausgeschlossen. Diese Bestimmung erlaubt dem Gericht, die Ersatzpflicht zu ermässigen, wenn die haftpflichtige Person den Schaden weder vorsätzlich noch grobfahrlässig verursacht hat und bei Leistung des vollen Ersatzes in eine Notlage geriete.

Es gibt Schäden im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Stauanlage, für die dieses Gesetz nicht gilt. Es ist namentlich nicht auf Schäden anwendbar, die beim Auffüllen eines Stausees entstehen (z.B. wenn die damit verbundene Hebung des Grundwasserspiegels einen Erdrutsch verursacht). Ferner gilt es nicht, wenn ein Mensch im Staubecken oder in einem normalen Abfluss unterhalb der Stauanlage (d.h. in einer durch die Stauanlage hindurchgeflossenen Wassermenge) ertrinkt. Auch in diesen Fällen kann jedoch eine Haftung der Betreiberin der Stauanlage auf Grund anderer Haftungsbestimmungen (z.B. Verschuldenshaftung, Art. 41 OR; Geschäftsherrenhaftung, Art. 55 OR; Werkeigentümerhaftung, Art. 58 OR) gegeben sein.

10 11

Vgl. Anm. 1 Zur (eingeschränkten) Anwendbarkeit von Art. 43 OR auf Kausalhaftungen vgl. Oftinger/ Stark, Allgemeiner Teil I (Anm. 2), S. 384, § 7, N 12a, S. 378, § 7, N 3.

6054

Für Hochwasser, das eine Stauanlage durchflossen hat und anschliessend unterhalb des Absperrbauwerks Schäden verursacht, gilt ebenfalls nur das Obligationenrecht.

In diesem Fall, der im September 1993 beim Stausee Mattmark im Wallis eintrat, verwirklicht sich nicht eine typische Gefahr der Stauanlage, denn das Hochwasser wäre auch gegeben, wenn die Stauanlage nicht existierte. Die Betreiberin soll daher nur dann haften, wenn sie ein Hochwasserschutzreglement oder eine analoge Verpflichtung, durch einen vorsorglichen Verzicht auf das vollständige Auffüllen des Stauraums Hochwasserschäden zu vermeiden, missachtet hat. Die Werkeigentümerhaftung nach Artikel 58 OR ist dafür die sachgerechte Regelung.

Art. 18

Beweissicherung bei grösserem Schadenereignis

Artikel 18 lehnt sich an die Bestimmung des KHG (Art. 22) über die Beweissicherung an. Der Beweissicherung kommt bei Überflutungsschäden allerdings nicht die gleiche Bedeutung zu wie bei den Strahlenschäden, die für die Geschädigten normalerweise nicht erkennbar sind. Auf die Formulierung «die möglicherweise einen Schaden erlitten haben» wird daher verzichtet. Die Aufforderung an die Geschädigten, sich bei einer bestimmten Stelle zu melden, dient aber der rationellen Schadenerledigung und ermöglicht, einen ersten Überblick über das Ausmass des Schadens zu gewinnen. Dies ist im Zusammenhang mit Grossschäden (Art. 20 f.) von Bedeutung.

Art. 19

Deckung der Haftpflicht

Die Bestimmung soll klarstellen, dass es bis zum Inkrafttreten einer bundesrechtlichen Regelung den Kantonen überlassen bleibt, eine Deckungspflicht einzuführen.

Die von den Kantonen Wallis und Graubünden eingeführte Deckungspflicht soll damit ausdrücklich bestehen bleiben können.

Art. 20

Grossschaden

Mit dieser Bestimmung wird der Bundesversammlung die Befugnis erteilt, bei einem Grossschaden eine besondere Entschädigungsordnung aufzustellen. Damit die Regelung rasch in Kraft treten kann, ist sie in der Form der Verordnung zu erlassen.

Der Grossschaden wird in Absatz 2 ähnlich definiert wie in Artikel 29 KHG: Ein Grossschaden liegt vor, wenn bei einem einzigen Schadenfall damit zu rechnen ist, dass die zur Deckung der Schäden zur Verfügung stehenden Mittel des Haftpflichtigen und der Deckungspflichtigen (z.B. einer privaten Versicherungseinrichtung) zur Befriedigung aller Ansprüche nicht ausreichen. Unter den Mitteln allfälliger Deckungspflichtigen sind nur die Mittel in der Höhe der gesetzlich vorgeschriebenen oder vertraglich vereinbarten Deckungssumme zu verstehen, nicht deren gesamtes Vermögen. Ein Grossschaden liegt auch vor, wenn wegen der grossen Zahl der Geschädigten das ordentliche Verfahren nicht durchgeführt werden kann. Unter «ordentlichem Verfahren» ist hier ganz allgemein das Verfahren nach der geltenden (kantonalen oder schweizerischen) Zivilprozessordnung oder nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs12 zu verstehen, auch wenn es sich um ein besonderes (z.B. beschleunigtes oder summarisches) Verfahren handelt. Wenn Tausende von Personen geschädigt sind, kann es notwendig sein, Bestimmungen zur 12

SR 281.1

6055

Vereinfachung des Verfahrens zu erlassen, selbst wenn der Schaden voll gedeckt werden kann.

Nach dem Vorentwurf 1999 wäre ein Grosschaden auch dann gegeben gewesen, wenn der Bund Inhaber oder Eigentümer einer Stauanlage gewesen wäre und der Schaden voraussichtlich mehr als zwei Milliarden Franken betragen hätte. Eine Bestimmung war ferner für den Fall vorgesehen, in dem eine andere öffentlichrechtliche Körperschaft oder Anstalt Inhaberin oder Eigentümerin der Stauanlage gewesen wäre und der Schaden die vorgeschriebene Deckungssumme um die Hälfte überstiegen hätte. Da bundesrechtlich keine Deckungspflicht vorgeschrieben wird, kann auf derartige Bestimmungen verzichtet werden. Die aufgeführten Kriterien müssen genügen, wobei sie bei einem Gemeinwesen dann als erfüllt anzusehen wären, wenn dieses den Schadenersatz nur mit unzumutbaren Steuererhöhungen oder Sparmassnahmen finanzieren könnte.

Die Absätze 3 und 4 umschreiben den Inhalt einer Entschädigungsordnung und die zulässigen Abweichungen von schadenersatzrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzes oder anderer Vorschriften (vgl. dazu Art. 29 Abs. 2 KHG). Denkbar sind gestützt auf Absatz 4 Buchstabe a beispielsweise Pauschalentschädigungen für bestimmte Arten von Schäden oder bestimmte Gruppen von Geschädigten, um das Verfahren zu vereinfachen. Wenn die Mittel zur Deckung aller Schäden nicht ausreichen, so kann auch der Deckung der dringendsten Bedürfnisse der Vorzug gegeben und es können beispielsweise Genugtuungsansprüche der Geschädigten oder Rückgriffsansprüche der Sozial- und Privatversicherer beschränkt werden13. In der Entschädigungsordnung können schliesslich Beweiserleichterungen vorgesehen werden, z.B. wenn Beweismittel durch das Schadenereignis zerstört worden sind.

Nach Buchstabe b soll der Bund an den nicht gedeckten Schaden zusätzliche Beiträge leisten können (vgl. Art. 29 Abs. 1 KHG). Dabei soll der Bund seine Beiträge von Leistungen des Kantons abhängig machen können, in dem die Stauanlage gelegen ist. Diese Bestimmung ist in der Vernehmlassung von einigen Teilnehmern kritisiert worden. Sie trägt aber dem Umstand Rechnung, dass die Wasserzinsen den Kantonen oder den Gemeinden zustehen, die die Konzession erteilt haben. Diese wirtschaftlichen Vorteile können es rechtfertigen, dass der Kanton Mittel für die Deckung eines Grossschadens
zur Verfügung stellt. Ferner sieht Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 199014 über Finanzen und Abgeltungen (Subventionsgesetz) vor, dass Finanzhilfen des Bundes in der Regel nur vorzusehen sind, wenn die Kantone eine Finanzhilfe ausrichten. Eine Beteiligung der Kantone an der Deckung von Katastrophenschäden ist auch wegen des föderalistischen Aufbaus der Schweiz verlangt worden15. Die Bundesversammlung wird sodann auch berücksichtigen müssen, in welchem Ausmass die haftpflichtige Person für die Deckung des Schadens gesorgt hat. Wenn sie keine Deckung vorgesehen hat, muss sie damit rechnen, dass sie den Schaden allein zu tragen hat. Nach Buchstabe c kann die Bundesversammlung das Verfahren regeln und eine besondere Instanz zum Vollzug der Entschädigungsordnung einsetzen. Angesichts der grossen Zahl der Geschädigten kann es notwendig sein, diese in einer Zwangsgemeinschaft zusammenzufas-

13 14 15

Vgl. Tercier, L'indemnisation (Anm. 2), 259 ff., 262 ff.

SR 616.1 Tercier, L'indemnisation (Anm. 2), 274.

6056

sen16. Es soll möglich sein, das Beweisverfahren zu vereinfachen und die Rechtsmittel zu beschränken. Verwirkungsfristen für die Einreichung der Klage und besondere Kostenregelungen zugunsten der Geschädigten können gerechtfertigt sein17. Als besondere Instanz zur Durchführung der Entschädigungsordnung könnte ein Gericht, das mit Fachleuten zusammengesetzt ist, eingesetzt werden, allenfalls auch eine Verwaltungsbehörde, die durch Verfügung über die Ansprüche entscheidet. Ein Rechtsmittel ans Bundesgericht soll möglich sein.

Art. 21

Änderung der Leistungspflicht und Umlagebeiträge im Falle eines Grossschadens

In Artikel 21 wird entsprechend Artikel 30 KHG eine besondere Regelung ermöglicht, wenn infolge eines Grossschadens ein Notstand eintritt. In einem solchen Fall müssen alle vorhandenen Geldmittel zweckmässig und koordiniert eingesetzt werden. Die Regelung betrifft nicht nur die Privat- und Sozialversicherungen, sondern auch die öffentliche Versicherung (Gebäudeversicherung). Der Bundesrat kann vorsehen, dass die Leistungen der Versicherungseinrichtungen erhöht oder vermindert werden. Entsprechend können bei den Versicherungsnehmern ausserordentliche Beiträge (Umlagebeiträge) erhoben oder es können solche Beiträge von den Versicherungsleistungen abgezogen werden18.

Die Verfassungsmässigkeit dieser Bestimmung wird unter Ziffer 5.1 behandelt.

Nach den dortigen Überlegungen ist die Kompetenz des Bundesrates subsidiär zu kantonalen Notstandsmassnahmen.

Art. 22

Kosten für Massnahmen von Behörden

Artikel 22 regelt wie Artikel 15 Absatz 2 die Entschädigung von Kosten für Vorsorgemassnahmen, hauptsächlich im Zusammenhang mit Evakuierungen angesichts eines unmittelbar drohenden Austritts von Wassermassen. Die Bestimmung enthält eine öffentlich-rechtliche Entschädigungspflicht für Kosten, die den zuständigen Behörden erwachsen (wie Art. 4 KHG), während Artikel 15 Absatz 2 eine privatrechtliche Haftung für die Kosten Privater vorsieht. Die Kosten der Behörden können durch Verfügung dem Inhaber der Stauanlage überbunden werden.

2.4

4. Kapitel: Aufsicht und Rechtsschutz

Art. 23

Aufsicht

Alle Stauanlagen, die diesem Gesetz unterstellt sind, stehen inskünftig ausschliesslich unter der Aufsicht des Bundes; die Kantone haben hinsichtlich der kleineren Anlagen keine besonderen Aufsichtsaufgaben mehr (Abs. 1).

16

17 18

Nicolas Jeandin, Parties au procès: Mouvement et (r)évolution; Précis en vue du Code fédéral de procédure civile actuellement en préparation, Zürich 2003, 158 ff. 165 f.; Tercier, L'indemnisation (Anm. 2), 253 f.

Tercier, L'indemnisation (Anm. 2), 249 f., 251, 253 f., 254 ff.

Tercier, L'indemnisation (Anm. 2), 271 ff.

6057

Der Bundesrat wird im Rahmen seiner Organisationskompetenz eine Aufsichtsbehörde zu bezeichnen haben, die im Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts des Bundes Verfügungskompetenz besitzt (Abs. 2). Der Aufsichtsbehörde organisatorisch angegliedert ist das Sicherheitsorgan als eigentliche Fachstelle des Bundes für die Sicherheit von Stauanlagen (vgl. dazu auch Art. 5 dieses Gesetzes).

Art. 24

Aufsichtsabgabe

Gestützt auf Ziffer 1 des Anhangs der Verordnung über die Gebühren des Bundesamtes für Wasser und Geologie (SR 721.803) hatten die Betreiberinnen bisher jährliche Verwaltungs- und Aufsichtsgebühren zu bezahlen, wobei ein Berechnungssystem angewendet wurde, das Maximalgrenzen vorsah, die vom Inhalt des Stauraumes abhingen. Eine gesetzliche Grundlage zur Überwälzung der individuell nicht verrechenbaren Kosten (inskünftig allgemeine Aufsicht über die Stauanlagen und über die unabhängigen Stellen/stichprobenweise Nachkontrollen usw.) fehlte bisher. Sie soll mit der Einführung der jährlichen Aufsichtsabgabe nun geschaffen werden.

Artikel 46a RVOG bildet die gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Verwaltungsgebühren; eine spezialgesetzliche Regelung ist damit entbehrlich.

Nach Absatz 5 hat der Bundesrat die Einzelheiten zu regeln, insbesondere die Frage, was zu den anrechenbaren Kosten gehört und für welche Anlagen keine Abgaben geschuldet sind (gedacht wird hier in erster Linie an Rückhaltebecken, Lawinendämme und ähnliche, der Gefahrenabwehr dienende Anlagen, die häufig bereits mit Bundesbeiträgen erstellt wurden und deren Betrieb keinen direkten Ertrag abwirft).

Art. 25

Rechtsmittel

Artikel 25 Absatz 1 entspricht Artikel 72 Absatz 3 des Wasserrechtsgesetzes19.

Absatz 2 sieht vor, dass die Aufsichtsbehörde Beschwerde gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide in Anwendung dieses Gesetzes führen kann (Behördenbeschwerde). Damit wird, wie beispielsweise auch bei Rodungen, dem Umstand Rechnung getragen, dass die Beurteilung der Baupläne von Talsperren in der Regel Bestandteil eines rein kantonalen Verfahrens ist und eine negative Beurteilung der Pläne nicht zwingend eine Abweisung des Gesuchs zur Folge haben muss.

2.5

5. Kapitel: Strafbestimmungen und Datenbearbeitung

Art. 26

Verletzung von Sicherheitsvorschriften

Um den einer Inhaberin einer Stauanlage auferlegten Pflichten Nachdruck zu verschaffen, werden deren Verletzungen wie im geltenden Recht (Art. 13bis Wasserbaupolizeigesetz) mit besonderen Strafbestimmungen geahndet. Als Vergehen geahndet wird nach Artikel 26 die vorsätzliche oder fahrlässige Erstellung einer Stauanlage, ohne die vorgeschriebenen Sicherheitsmassnahmen vorzusehen, sowie der Weiterbetrieb einer Anlage, die erhebliche Sicherheitsmängel aufweist.

19

Nach Art. 72 Abs. 3 WRG in der Fassung des am 18. Juni 1999 verabschiedeten Bundesgesetzes über die Koordination und Vereinfachung von Entscheidverfahren ist die Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt zuständig (AS 1999 3081).

6058

Art. 27

Strafverfolgung

Weil die Aufsicht vollumfänglich dem Bund bzw. der Sicherheitsbehörde übertragen ist, soll die Strafverfolgung Sache des Bundes sein und nach dem Verwaltungsstrafrechtsgesetz (SR 313.0) ablaufen. Der Bundesrat wird die verfolgende und urteilende Verwaltungsbehörde bezeichnen müssen.

2.6

6. Kapitel: Schlussbestimmungen

Art. 29­30 Durch Artikel 30 wird das Wasserbaupolizeigesetz vom 22. Juni 1877 aufgehoben.

Die darin vorgesehenen Entschädigungspflichten des Bundes für angeordnete Absenkungen (Art. 3bis Abs. 8­11) sind im Stauanlagengesetz nicht mehr enthalten.

Sondernormen auf diesem Gebiet sind nicht länger gerechtfertigt. Müssen nämlich Massnahmen aufgrund ausserordentlicher oder kriegerischer Ereignisse angeordnet werden, so sollen sich die Ersatzpflichten nach den in den einschlägigen Gesetzen enthaltenen Vorschriften richten (vgl. z.B. Art. 80 Militärgesetz ­ SR 510.10 ­ oder Art. 30 und 31 Zivilschutzgesetz ­ SR 520.1). Absenkungen, die vom Sicherheitsorgan bzw. einer unabhängigen Stelle beantragt und von der Genehmigungs- oder von der Aufsichtsbehörde angeordnet werden, um drohende Gefährdungen zu vermeiden (z.B. Stauraumbewirtschaftung im Winter, um ein Überschwappen bei Lawinenniedergängen zu verhindern), sind von der Betreiberin weiterhin entschädigungslos zu dulden, denn sie ist wie jeder Werkeigentümer verpflichtet, ihre Anlage sicher zu betreiben, also in einer Art und Weise, dass davon ausgehende Gefahren möglichst gering gehalten werden.

3

Auswirkungen

3.1

Auf den Bund

Das Bundesamt für Energie oder eine andere vom Bundesrat bezeichnete Behörde wird weiterhin die Sicherheit der grossen Stauanlagen überwachen müssen. Zusätzlich hat diese Bundesstelle bzw. das ihr angegliederte Sicherheitsorgan, in Bezug auf die kleineren Stauanlagen teilweise die Aufsichtsaufgaben der Kantone zu übernehmen, und sie wird bei der Akkreditierung der unabhängigen Stellen und bei deren Beaufsichtigung mitwirken müssen. Im Vergleich zur heutigen Regelung dürfte dies zu einer Mehrbelastung führen, die nur mit einer Aufstockung des Personalbestandes um 4 spezialisierte Ingenieure bewältigt werden kann.

3.2

Auf die Kantone

Die Kantone werden durch den Wegfall der Aufsicht über die kleineren Stauanlagen entlastet. Ihre Aufgaben sollen künftig durch die Aufsichtsbehörde bzw. das Sicherheitsorgan und durch unabhängige Dritte wahrgenommen werden. Die kantonalen Bewilligungsbehörden werden allerdings durch die Neuordnung der Sicherheitsaufsicht einen gewissen Mehraufwand zu tragen haben (Korrespondenz mit dem Sicherheitsorgan und den unabhängigen Stellen).

6059

3.3

Auf die Betreiberinnen von Stauanlagen

Die Betreiberinnen von Stauanlagen werden durch die Neuordnung der Sicherheitsaufsicht, zu der auch die Einführung einer kostendeckenden Finanzierung gehören soll, finanziell stärker belastet als bisher. Die Mehrbelastung dürfte sich für die Betreiberinnen der grösseren Stauanlagen in Grenzen halten, denn diese mussten schon nach geltendem Recht die Kosten der externen Fachleute und Experten, die zur Kontrolle und Überwachung der Stauanlagen eingesetzt werden, tragen. Die neue Aufsicht über die kleineren Stauanlagen durch unabhängige Stellen dürfte einer Betreiberin jährliche Kosten von durchschnittlich rund 10 000 Franken verursachen, wobei davon ausgegangen wird, dass das Erstellen des Sicherheitsberichts durch einen Fachmann rund 3 Tage beansprucht, die Tätigkeit der unabhängigen Stelle ca.

1,5­2 Tage Aufwand erfordert und die (weiterverrechnete) Aufsichtsabgabe eher bescheiden ausfällt.

Die Neuregelung der Haftpflicht dürfte keine nennenswerten Auswirkungen haben, weil die Haftung nur wenig verschärft wird.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist Teil der Reorganisation der Sicherheitsaufsicht im UVEK. Diese ist in Beilage 1 zum Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 (BBl 2004 1149) unter Ziffer 1.4 (Botschaft zum Bundesgesetz über die technische Sicherheit) angekündigt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit und Rechtsform

Artikel 76 Absatz 3 BV räumt dem Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Sicherheit von Stauanlagen ein. Grundlegende Bestimmungen über Rechte und Pflichten von Personen, über Aufgaben von Bundesbehörden sowie über die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden sind nach Artikel 164 Absatz 1 der Bundesverfassung in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen.

Artikel 21 des Entwurfs gibt dem Bundesrat die Befugnis, Vorschriften über die Änderung der Leistungspflicht von Versicherern und über Umlagebeiträge zu erlassen, wenn durch ein Grossschaden ein Notstand eingetreten ist. In der Vernehmlassung zu einem Stauanlagenhaftpflichtgesetz wurde von einigen Kantonen die Verfassungsmässigkeit dieser Befugnis hinsichtlich der kantonalen Gebäudeversicherung bestritten. Diese Kompetenz ergibt sich jedoch einerseits aus dem genannten umfassenden Gesetzgebungsauftrag auf dem Gebiet der Wasserbaupolizei.

Andererseits lässt sich die Notstandskompetenz des Bundes auf seine Befugnis zur Wahrung der inneren Sicherheit abstützen (vgl. Art. 52, 57, 173 Abs. 1 Bst. a, 185 Abs. 2 BV). Der Vorbehalt kantonaler Regalrechte in Artikel 94 Absatz 4 BV steht dieser Bundeskompetenz nicht im Wege. Denn er ermöglicht eine Beschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit, beschneidet aber keine Bundeskompetenzen. Hingegen ist zu beachten, dass auch den Kantonen eine Kompetenz zur Wahrung der inneren Sicherheit zusteht. Der Bund wird daher seine Kompetenz nur subsidiär 6060

wahrnehmen, wenn einem Notstand nicht durch kantonale Massnahmen begegnet werden kann, weil z.B. mehrere Kantone betroffen sind.

5.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Artikel 4 Absatz 1, 6 Absatz 2, 21 Absatz 1, 27 Absatz 4 und 28 enthalten Rechtsetzungsdelegationen an den Bundesrat. Diese betreffen technisch-administrative Einzelheiten oder besondere Regelungen für Ausnahmetatbestände sowie den Vollzug des Gesetzes. Die Delegationen halten sich somit an die verfassungsrechtlichen Vorgaben (Art. 164 Abs. 2 und 182 BV).

5.3

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Europäische Union hat die Sicherheitsaufsicht im Bereich der Stauanlagen bisher noch nicht harmonisiert. Die uns umgebenden Alpenländer Österreich, Italien und Frankreich haben die Anforderungen und die Aufsicht über die Stauanlagen jeweils in einem nationalen Rahmengesetz geregelt, und zwar nach folgenden Prinzipien: Die materiellen Vorschriften des Gesetzes finden auf alle Stauanlagen Anwendung. Die grössten Stauanlagen stehen unter direkter Aufsicht einer nationalen Behörde, die kleineren Anlagen unter der Aufsicht regionaler Behörden (Österreich) oder ebenfalls nationaler Stellen (Frankreich und Italien). Die im Rahmen des SKG vorgeschlagene Aufsicht über die kleineren Anlagen durch unabhängige Stellen kennt bisher noch kein europäisches Land.

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