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Botschaft des

Bündesrates an die Bundesversammlung über den Entwurf zu einem Bundesgesetze betreffend Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit im Gebiete der Eidgenossenschaft.

(Vom 18. Dezember 1893.)

Tit.

In seinem Berichte über die Untersuchung betreffend die anarchistischen Umtriebe in der Schweiz, vom Mai und Juni 1885, machte Bundesanwalt Eduard Müller auf die Unzulänglichkeit des eidgenössischen und des kantonalen Strafrechts in Bezug auf anarchistische Verbrechen aufmerksam. Bei den verbrecherischen Thaten der Anarchisten, führte er aus, ist die bestehende Gesellschaft und ihre gewaltsame Zerstörung das Endziel. Dieselben haben einen socialen, weniger einen specifisch politischen Charakter.

Der eigentümliche Charakter, der den anarchistischen Verbrechen zukommt, schloß er, fordert eine möglichst einheitliche Behandlung" derselben. Es sollte in ein und demselben Staate für diese Verbrechen nur ein Recht und für ihre Verfolgung nur e i n Verfahren gelten.

Auch der Bundesrat hat sich von der Unzulänglichkeit der eidgenössischen und kantonalen Strafbestimmungen in Bezug auf anarchistische Verbrechen überzeugt und seit Jahren darauf Bedacht genommen, diesem Übelstande durch Ergänzung der Bundesstrafgesetzgebung abzuhelfen.

Unser Justizdepartement nahm im Jahre 1890 die Revision des Bundesstrafrechts in Aussicht und legte seine Vorschläge, die auch Bestimmungen über die Anreizung zu anarchistischen Verbrechen und zum Klassenkampf enthielten, einer Expertenkommission vor, welche am 15. April 1890 unter dem Vorsitze des Herrn Bundesrat Ruchonnet in Bern zusammentrat.

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Die Expertenkommission begutachtete die Vorschläge des Departements in wesentlich zustimmendem Sinne, und sie beantragte nur wenige vorwiegend redaktionelle Abänderungen.

Wenn das Justiz- und Polizeidepartement dessenungeachtet darauf verzichtete, dem Bundesrat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen, so findet dies einmal darin seine Erklärung, daß seit jener Zeit die Vorarbeiten ftir die Vereinheitlichung des gesamten Strafrechts an die Hand genommen wurden und damit auch eine sachgemässe gesetzgeberische Behandlung des anarchistischen Verbrechens gesichert schien, dann aber auch, weil die öffentliche Sicherheit in den letzten Jahren durch anarchistische Verbrechen weniger bedroht schien und ein gewisser Stillstand in der Propaganda der That eintrat.

Die Schandthat eines Eavachol und die jüngsten schrecklichen Attentate in Barcelona und Paris beweisen aber, daß der Anarchismus weiterhin zur That schreitet und wieder neue Anhänger gewinnt.

Wenn auch die Schweiz bisher von Dynamitattentaten verschont geblieben ist, so sind doch auch auf schweizerischem Gebiete Erscheinungen zu Tage getreten, welche erkennen lassen, daß der Anarchismus auch unserem Land verderblich werden kann. Es erscheint daher geboten, mit unerbittlicher Strenge gegen anarchistische Umtriebe einzuschreiten und das anarchistische Verbrechen mit schweren Strafen zu bedrohen. Dadurch ersparen wir uns für jeden Fall den Vorwurf, mangels Kompetenz und mangels strafrechtlicher Bestimmungen nicht im stände zu sein, Schuldige der verdienten Strafe zu überliefern. Es darf aber doch auch eine abschreckende und vom Verbrechen abhaltende Wirkung von einer strengen Strafgesetzgebung gegen anarchistische Verbrechen erwartet werden.

Die K o m p e t e n z des B u n d e s zum Erlaß der in diesem Entwurfe vorgeschlagenen Straf bestimmungen gründet sich auf die Art. 2, 85, Ziff. 2, 7 und 8, und 114 der Bundesverfassung.

Zur Begründung der einzelnen Bestimmungen führen wir Folgendes an : Das Aufmuntern und Anleiten zu Verbrechen, welche das Leben von Menschen in Gefahr bringen.

(Art. 1.)

Die Aufmunterung zu Verbrechen verdient namentlich bei anarchistischen Verbrechen volle Aufmerksamkeit. Denn so verwerflich und niederträchtig auch die Thaten sind, durch welche der Anarchiemus sich äussert, so beruht er doch, wie die politischen Delikte, auf einer Überzeugung, und seine Anhänger gehen methodisch und nach einem festen Systeme vor. Daher ist die Propaganda für dieses

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System, wenn sie sich nicht auf eine von der Verwirklichung absehende Theorie beschränkt, geradezu die Wurzel des anarchistischen Verbrechens. Wer daher zu Raub, Mord, Brandstiftung auch nur grundsätzlich aufmuntert, unterliegt dem Strafgesetz wie der Anstifter zu einer bestimmten That, gleichviel, ob die Aufmunterung und die Anleitung zu einem praktischen Erfolg führt. Auch die Verherrlichung anarchistischer Thaten wird unter Umständen eine verdeckte Aufmunterung zur Nachfolge in sich schliessen.

Besonders strafwürdig erscheint die Aufmunterung und das Anleiten zu solchen Verbrechen, wenn es in der Absicht geschieht, die sociale Revolution, den Umsturz des Bestehenden vorzubereiten oder einzuleiten.

Herstellung und Verkehr mit Sprengstoffen, die zu Verbrechen gebraucht werden sollen.

(Art. 2.)

Jeder der sich mit Sprengstoffen zu schaffen macht und dabei weiß, daß diese Sprengstoffe zu Verbrechen gebraucht werden sollen, ist ein Verbrecher, der mittelbar oder unmittelbar zum Gelingen eines anarchistischen Attentats mitwirkt und sich dessen bewußt sein muß.

Daher ist er auch für seine Thätigkeit strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, selbst wenn er in den Plan bestimmter Verbrechen nicht eingeweiht ist oder ein solcher überhaupt noch nicht besteht.

Das Strafgesetz wird nur dann eine wirksame Macht gegen anarchistische Attentate werden, wenn es nicht nur den Versuch und die Vollendung bestimmter Angriffe auf Menschenleben, sondern auch die Vorbereitung solcher Verbrechen im allgemeinen erfaßt. Besonders genannt wird die Anleitung zur Herstellung von Sprengstoffen mit dem Bewußtsein ihrer verbrecherischen Bestimmung. Der Anarchismus verteilt die Rollen unter seine Anhänger. Eine wichtige Rolle kommt denjenigen zu, welche ihre wissenschaftlichen Kenntnisse in den Dienst des Anarchismus stellen und den rohen Verbrecher in den Stand setzen, todbringend zu wirken.

Wenn der Entwurf den mit Strafe bedroht, der Sprengstoffe, von denen er weiß, daß sie zu Verbrechen gebraucht werden sollen, behändigt, jemandem übergiebt, an einen ändern Ort schafft, oder der sonst irgendwie mit solchen Sprengstoffen umgeht, so ist damit wohl jeder strafwürdige Verkehr mit Sprengstoffen getroffen.

Der verbrecherische Gebrauch von Sprengstoffen (Art. 3)

umfaßt das gemeingefährliche Attentat in jeder Form. Ob das Attentat Erfolg hat, hängt regelmäßig von Umständen ab, die von dem Willen

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des Thäters unabhängig sind. Es ist daher auch vom Standpunkte der Gerechtigkeit aus gerechtfertigt, die Strafe nicht von dem Erfolg dea Attentats abhängig zu machen. Wer eine Bombe wirft, hat das Äußerste gethan, was die Propaganda zur That kennzeichnet, er hat daher auch die schwerste Strafe verwirkt.

Verletzung der Anzeigepflicht.

(Art. 4.)

Daß Jedermann verpflichtet ist, Den bei der Polizei zu verzeigen, von dem er weiß, daß er ein Attentat plant oder daß er ein Attentat ausgeführt hat, bedarf keiner Begründung. Die Verletzung dieser Pflicht rechtfertigt seine Bestrafung. Dadurch dürfte die Verhütung anarchistischer Verbrechen wirksam gesichert werden.

Auf persönliche Verhältnisse ist Rücksicht zu nehmen.

Das Fressdelikt.

(Art. 5.)

Die Aufmunterung zu Verbrechen (Art. 1) wird nicht selten durch das Mittel der Presse oder durch ähnliche Mittel begangen.

Diejenigen, welche wissentlich dazu mitwirken, solche Verbrechen durch die Presse zu begehen, sind zunächst als Teilnehmer strafbar.

Es ist aber denkbar, daß jemand wissentlich an der Vervielfältigung einer verbrecherischen Schrift mitwirkt oder sie verbreitet, ohne Teilnehmer am Verbrechen im strengen Sinne zu sein. Für diesen Fall droht Art. 5 eine besondere Strafe an.

Das System der stufenweisen Verantwortlichkeit, welches das Bundesstrafrecht in Art. 69 ff. vorsieht, darf, weil es wesentlich auf gesetzlichen Präsuintionen beruht, hier nicht Anwendung linden.

Die Strafen.

(Art. 1--5.)

Die Strafen, welche auf die einzelnen Verbrechen angedroht werden, sind hart und streng. Allein angesichts des grenzenlosen Unglücks, das diese Verbrechen in weiten Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft anrichten, rechtfertigt sich ein über das Gewöhnliche hinausgehendes Strafmaß.

Es ist an der Zeit, dem Anarchismus ein ,,Bis hieher und nicht weiter" entgegenzuhalten.

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Verhältnis des Entwurfes zum Bundesstrafgesetze von 1853.

(Art. 6.)

Der Entwarf ergänzt thatsächlich die Bestimmungen des Bundesstrafrechts, und es sind lediglich gesetzesteclmische Erwägungen, welche den Bundesrat veranlassen, diese Bestimmungen nicht dem Gesetz über das Bundesstrafrecht als Bestandteil einzufügen. Es sollen daher die a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 auch auf diese Verbrechen Anwendung finden. Dabei machen wir aufmerksam, daß Art. 9 dieses Gesetzes das Verhältnis des Bundesstrafrechts zum kantonalen Strafrecht regelt.

Gerichtsbarkeit.

(Art. 7.)

Daß diese Verbrechen der Bundesstrafgerichtsbarkeit zu unterstellen sind, bedarf nach den einleitenden Ausführungen keiner weiteren Darlegung.

Nach Art. 125 des Bundesgesetzes über .die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 wird das Bundesstrafgericht diese Verbrechen beurteilen, wenn sie der Bundesrat nicht an die kantonalen Behörden weist.

Referendumsklausel.

(Art. 8.)

Art. 8 enthält die Referendumsklausel und ermächtigt den Bundesrat, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes festzusetzen.

Auf Grund dieser Darlegung bitten wir Sie, Tit., den Gesetzentwurf, den wir die Ehre haben, Ihnen hiermit zu unterbreiten, in Beratung zu ziehen, und entbieten Ihnen bei diesem Anlasse neuerdings die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 18. Dezember 1893.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenk.

,

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Bingier.

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(Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

Verbrechen gegen die öffentliche Sicherheit im Gebiete der Eidgenossenschaft.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 2 und Art. 85, Ziffer 2, 7 und 8 der Bundesverfassung und in Ergänzung des Bundesgesetzes über '· das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853, in Ausführung des Art. 114 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 18'. Dezember 1893, beschließt: Art. 1.

Wer offen oder verdeckt zu verbrecherischen Handlungen aufmuntert oder Anleitung giebt, welche das Leben von Menschen in Gefahr bringen, wird mit Zuchthaus bestraft.

Handelt der Thäter hierbei in der Absicht, einen gewaltsamen Umsturz der staatlichen oder gesellschaftlichen Ordnung vorzubereiten oder einzuleiten, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter 5 Jahren.

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Art. 2.

Wer Sprengstoffe, von denen er weiß, daß sie zu Verbrechen gebraucht werden sollen, herstellt, wer zu deren Herstellung Anleitung giebt, wer solche Sprengstoffe behändigt, aufbewahrt, jemandem übergiebt, an einen ändern Ort schafft oder mit denselben sonst irgendwie umgeht, wird mit Zuchthaus nicht unter 5 Jahren bestraft.

Art. 3.

Wer Sprengstoffe verbrecherisch gebraucht, wird mit Zuchthaus von wenigstens 10 Jahren bis auf Lebenszeit bestraft.

Art, 4.

Wer einen Menschen, von dem er weiß, daß er den verbrecherischen Gebrauch von Sprengstoffen plant oder daß er Sprengstoffe verbrecherisch gebraucht hat, bei der Behörde nicht verzeigt, wird mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten bestraft.

Die Verletzung der Anzeigepflicht kann straflos gelassen werden, wenn dem zur Anzeige Verpflichteten die Anzeige nach dem persönlichen Verhältnisse, in dem er zu dem Verbrecher steht, nicht zugemutet werden kann.

* Art. 5.

Werden die in Art. l bedrohten Verbrechen durch die Druckerpresse oder durch ähnliche Mittel begangen, so sind diejenigen, welche zu der Vervielfältigung oder der Verbreitung der Schrift wissentlich mitgewirkt haben, sofern sie nicht als Thäter, Anstifter oder Gehülfen strafbar sind, mit Geldstrafe bis zu 10,000 Franken oder mit Gefängnis oder mit beiden Strafen zugleich zu belegen.

Art. 6.

Die allgemeinen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft

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finden auf die durch dieses Gesetz bedrohten Verbrechen Anwendung. Nicht anwendbar sind die Art. 69 bis 72 des genannten Gesetzes.

Art. 8.

Die durch dieses Gesetz bedrohten Verbrechen sind der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterstellt.

Art. 8.

Der Bundesrat wird beauftragt, die Bekanntmachung dieses Gesetzes in Gemäßheit der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

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20.12.1893

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