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Bundesratsbeschluß über

den Rekurs des Longin Rosset, Florentin Rosset, Emile Rosset und Eugène Rosset, von Granges-de-Vesin (Kantons Freiburg), gegen den Beschluß des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 27. März 1893, betreffend die Kirchgemeinderatswahlen in der Kirchgemeinde Aumont vom 16. Februar 1893.

(Vom 31. Oktober 1893.)

Der schweizerische Bundesrat hat über den Rekurs des Longin Rosset, Florentin Rosset, Emile Rosset und Eugène Rosset, von Granges-de-Vesin (Kantons Freiburg), gegen den Beschluß des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 27. März 1893, betreffend die Kirchgemeinderatswahlen in der Kirchgemeinde Aumont vom 16. Februar 1893, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements

folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlich er Beziehung wird festgestellt: I.

Der Staatsrat des Kantons Freiburg hat am 27. März 1893 ·infolge einer Rekursbeschwerde, gestutzt auf Art. 264 des Gesetzes über die Gemeinden und Kirchgemeinden (Pfarreien) vom 26. Mai 1879, sowie auf die Art. 2, litt, b, 5, 6, litt, a, und 11 des Regierungsbeschlusses vom 10. Januar 1893 betreffend die Erneuerung der Kirchgemeinderäte,

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erwägend, daß sieben in Granges-de-Vesin verbürgerte und in Aumont wohnhafte Wähler an der Wahl des Kirchgemeinderates der Kirchgemeinde Aumont am 26. Februar 1893 teilgenommen haben, obgleich sie nicht wenigstens 3 Monate zuvor ihren Heimatschein bei der Gemeindebehörde von Aumont hinterlegt hatten, erwägend ferner, daß der Kirchgemeinderat kein besonderes Slimrnregister für die Kirchgemeinde aufgestellt hatte, weshalb ein solches auch nicht gemäß Art. 13 des Regierungsbeschlusses vom 10. Januar 1893 auf dem Sekretariat der Kirchgemeinde seit dem 13. Februar zu Händen der Beteiligten aufgelegt und am 24. Februar in Gegenwart des Kirchgemeinderates geschlossen werden konnte, die Wahlverhandlung in Aumont vom 26. Februar 1893 als nichtig erklärt und eine neue Wahlverhandlung auf Sonntag den 23. April 1893 angesetzt.

II.

Gegen diesen Regierungsbeschluß wandten sich mit Eingabe vom 14. April 1893 im Wege der Rekursbeschwerde an den Bundesrat die Herren Longin Rosset, Florentin Rosset, Emile Rosset und Eugène Rosset von Granges-de-Vesin.

Die politische Gemeinde Granges-de-Vesin gehört zur Kirchgemeinde Aumont.

Die vier Rekurrenten sind nebst noch drei andern Wählern Bürger der Gemeinde Granges, wohnen aber im Gebiete der Gemeinde Anmont.

Die Rekurrenten haben bisher unbeanstandet an den Abstimmungen der Kirchgemeinde Aumont teilgenommen. Dieses Jahr wurden ihnen auf specielle Weisung des Präfekten des Bezirks der Broye vom Kirchgemeinderat Wählerkarten zugestellt. Darauf nahmen sie an der Wahl vom 26. Februar teil.

Die Rekurrenten sagen, daß der Gemeindepräsident von Aumont nach Eröffnung des Wahlresultates ausgerufen habe: ,,Wir werden die Wahlen kassieren, da das Stimmregister der Kirchgemeinde nicht geschlossen worden ist!"

Es wäre aber gerade seine, des Gemeindepräsidenten, Sache gewesen, diese Ordnungsvorschrift zu beobachten.

Wirklich hat dann der Gemeindepräsident Berchier mit fünf Genossen beim Staatsrate das Begehren gestellt, es sei die Wahlverhandlung vom 26. Februar als nichtig zu erklären.

Die Rekurrenten führen vom rechtlichen Standpunkte aus zur Begründung des Rekurses an, was folgt:

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1. Art. 264 des freiburgischen Gesetzes über die Gemeinden und Pfarreien vom 26. Mai 1879 lautet: ,,Die Kirchgemeindeversammlung wird gebildet: a. ,,von allen Bürgern der Gemeinde oder der Gemeinden des Pfarreisprengels, welche im Genüsse des Aktivbürgerrechtes stehen, daselbst wohnen und dem religiösen Bekenntnisse, für das die Pfarrei gegründet ist, angehören; b. "von allen Schweizern, Freiburgern und Kantonsfremden, welche des Aktivbürgerrechts sich erfreuen, seit drei Monaten in der Gemeinde oder den Gemeinden des Pfarreisprengels wohnen und dem religiösen Bekenntnisse, für das die Pfarrei gegründet ist, angehören.

" ,,Es wird für jede Kirchgemeinde ein besonderes Stimmregister geführt."

Daraus ergiebt sich, daß die unter litt, a genannten Bürger der Gemeinde oder der Gemeinden, welche den Pfarreisprengel bilden, in Kirchgemeindesachen ohne Hinterlegung von Ausweisschriften stimmberechtigt sind, während dagegen allerdings die unter litt, b Genannten den Vorschriften betreffend den Erwerb der Niederlassung gemäß Art. 270 in Verbindung mit Art. 7 u. fif. des Gesetzes unterworfen sind.

, Indem der Staatsrat den sieben Bürgern, deren Teilnahme an dar Wahlverhandlung des 26. Februar und an der neu angesetzten Verhandlung des 23. April in Frage steht, das Stimmrecht abspricht, macht er sich ihnen gegenüber einer Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte schuldig.

Der Regierungsbeschluß vom 27. März 1893 muß daher aus diesem Grunde vom Bundesrate aufgehoben werden.

2. In zweiter Linie begeht der Staatsrat einen Einbruch in den Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze, wenn er die Wahlverhandlung vom 26. Februar 1893 in der Kirchgemeinde Aumont wegen des Mangels regelrechter Schließung des Stimmregisters nichtig erklärt. Denn bis jetzt hat der Staatsrat solche Unregelmäßigkeiten nicht als Nichtigkeitsgründe behandelt. Die Rekurrenten verweisen diesfalls auf einen Beschluß der Behörde, betreffend einen wegen Mangels des Stimmregisters und dessen Schließung vor vier Jahren von Bürgern der Gemeinde Cugy erhobenen Rekurs. Damals wurde der Rekurs abgewiesen, weil aus der fraglichen Unregelmäßigkeit keinerlei Rechtsfolge sieh ergeben hatte. Heute steht die Sache in Aumont durchaus gleich. Kein Bürger hat sich wegen Beeinträchtigung seiner Rechte beschwert.

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Warum für Aumont anders beschließen als für Cugy?

Die Rekurrenten stellen an den Bundesrat folgende Begehren : a. die auf den 23. April angesetzte neue Wahlverhandlung zu suspendieren ; b. den Regierungsbeschluß vom 27. März 1893 aufzuheben; c. festzustellen, daß die Rekurrenten in der Kirchgemeinde Aumont das Stirnmrecht besitzen; a. das Wahlergebnis vom 26. Februar 1893 als rechtsgültig zu erklären.

III.

Der Bundesrat hat am 21. April die Suspension der vom Staatsrat auf den 23. April angesetzten neuen Wahlverhandlung verfügt und den Staatsrat eingeladen, bis zur Beurteilung der Sache durch die Bundesbehörde eine Neuwahl des Kirchgemeinderates der Pfarrei Aumont nicht vornehmen zu lassen.

Der Staatsrat weigerte sich anfänglich, diese Verfügung des Bundesrates, dessen Kompetenz er bestritt, zu vollziehen, und setzte eine neue Wahlverhandlung auf Sonntag den 30. April an.

Als jedoch der Bundesrat auf der Vollziehung seiner Verfügung beharrte, erklärte der Staatsrat unter Vorbehalt seiner Rechte die Wahlverhandlungen von Aumont suspendieren zu wollen.

Nach dem Regierungsbesehlusse vorn 27. März 1893 bleibt deialte Kirehgemeinderat im Amte, bis die Neuwahl erfolgt ist.

IV.

Der Staatsrat des Kantons Freiburg hat die Kompetenz des Bundesrates zum Erlaß der provisorischen Verfügung vom 21. April und zur materiellen Beurteilung der Sache aus verschiedenen Gesichtspunkten bestritten :

a. Mittelst Zuschrift vom 25. April 4893.

1. Nicht der Bundesrat, sondern das Bundesgericht ist nach Maßgabe von Art. 59, Ziff. 9, des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege (vom 27. Juni 1874) zuständig zur Beurteilung von Beschwerden betreffend die Gültigkeit von G e m e i n d e - und Pfarrei wählen.

So -- sagt der Staatsrat -- hat das Bundesgericht selbst in seinem Urteile vom 6. März 1891 erkannt in Sachen Favre und Konsorten, betreffend die Gültigkeit der Wahl des Steuereinnehmers Dechenaux zum Mitglied des Gemeinderates von Romont.

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2. Es geht nicht an -- sagt der Staatsrat weiter -- daß die Bundesbehörde am Vorabend einer Wahl oder Abstimmung auf einseitiges Begehren einiger Bürger, und ohne daß die kantonale Rekursinstanz, hier der Staatsrat, zuvor mit der Sache behelligt worden wäre, die Abbestellung und Verschiebung von Wahlen verfügt. Es könnten aus einem solchen Vorgehen sehr schwere Folgen erwachsen.

Übrigens hat der Bunclesrat selbst im Jahre 1883 dem Regierungsrat von Luzern auf dessen Frage, ob die Einreichung eines Rekurses in allen Fällen Suspeusiveffekt äußere, verneinend geantwortet.

b. Mittelst Zuschrift vom il. Juni Ì893.

Die Kompetenz der Bundesbehörde zur Beurteilung von Beschwerden betreffend das Stimmrecht der Bürger bei kantonalen und kommunalen Wahlen ist innerhalb der Schranken und unter den Bedingungen, welche die bundesreehtliche Praxis selbst aufgestellt hat, anzuerkennen.

Im vorliegenden Falle handelt es sich aber nicht um eine Wahl dieser Art. Es handelt sich vielmehr um die innere Organisation eines Kultus, des römisch-katholischen Kultus im Kanton Freiburg, und um eine für diesen Kultus zu treffende Wahl.

In einer Frage dieser Art hat der Bundesrat sich jeder Intervention zu enthalten.

Die Bundesverfassung proklamiert die Freiheit der religiösen Kulte. Ebenso die kantonale Verfassung. Die Organisation der Kulte gehört in das Gebiet der Kantonalsouveränität.

Da demgemäß die Bundesbehörde zur Erledigung der vorliegenden Beschwerde nicht kompetent ist, so kann der Staatsrat nur unter Vorbehalt der Kompetenzfrage zu einer einläßlichen Antwort sieh entschließen.

V.

Zur Sache selbst bemerkt der Staatsrat: Die Rechtserörterung der Rekurrenten ist eine durchaus irrtümliche.

Die Stimmberechtigung in der Kirchgemeinde hängt von der Stimmberechtigung in der Wohnsitzgemeinde ab. In das Stimmregister der Kirchgemeinde können nur solche Bürger eingetragen werden, die im Stimmregister der Gemeinde oder einer der Gemeinden, welche die Pfarrei bilden, verzeichnet sind.

848 Der Kirchgemeinderat der Kirch- oder Pfarrgemeinde hat bei der Aufstellung des Stimmregisters dieser letztern keine andere Aufgabe, als die Namen derjenigen Wähler der politischen Gemeinden wegzulassen, welche nicht dem Religionsbekenntnisse angehören, für das die Kirchgemeinde errichtet ist.

In Gemäßheit der Art. 7. litt, a, und Art. 264, litt, b, des Gesetzes konnten die Rekuirenten nicht auf das Stimmregister der politischen Gemeinde Aumont, ihrer Wohnsitzgemeinde, getragen werden, da sie es unterlassen halten, ihre H ei m ätsch ei n e rechtzeitig dort zu hinterlegen. Sie haben nachträglieh die Hinterlegung allerdings bewerkstelligt und sich damit thatsächlich in Widerspruch mit ihrer eigenen Theorie gesetzt ; allein die Hinterlegung erfolgte zu spät für die Teilnahme an der Wahl vom 26. Februar : Longiu Rosset hinterlegte seinen Heimatschein in Aumont am 14. Februar, Florentin Rosset am 1. März und Eugène Rosset am 9. März 1893.

Richtig itt, daß die Rekurrenten bisher unbehelligt an den Kirchgemeindeversammlungen von Aumont teilgenommen haben.

Allein daraus folgt nicht, daß diese Ungehörigkeit aufrecht erhalten und ferner praktiziert werden soll.

Den hauptsächlichen Kassationsgrund bildete jedoch für den Staatsrat die Thatsache, daß entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes (Art. 264, letztes Alinea) und des Art. 11 der Regierungsverordnung vom 10. Januar 1893 ein Kirchgemeindestimniregister gar nicht errichtet worden ist und daher auch nicht öffentlich aufgelegt und gemäß Art. 13 der Verordnung als geschlossen erklärt werden konnte.

Die Kekurrenten beklagen sich diesfalls über ungleiche Behandlung vor dem Gesetze. Allein sie befinden sich wieder im Irrtum. Gegen die vor 4 Jahren in Cugy vorgenommenen Kirchgemeindewahlen ist; dem Staatsrate kein Rekurs eingereicht wordea; wohl aber gegen diejenigen vom Jahre 1885. Jener Rekurs von 1885 betraf jedoch keineswegs den Mangel eines Kirchgemeindestimmregisters, wie aus der der staatsrätliehen Antwort beigelegten Abschrift sich ergiebt.

Dagegen hat der Staatsrat Stetsfort Wahlverhandlungen kassiert, in Bezug auf welche die besprochene Unregelmäßigkeit als Rekursgrund angerufen wurde, so für die Kirchgemeinde Vuisternens am 19. März 1889, für Freiburg am 19. Mai 1889.

VI.

Die Rekurrenten erwidern auf die Anbringungen des Staatsrates mittelst Eingabe vom 17. August 1893:

849 a. In Bezug auf die Kompetenzfrage.

1. Die Rekurrenten verweisen in dieser Beziehung vorerst auf die im Jahre 1891 zwischen Bundesrat und Bundesgericht erfolgten Auseinandersetzungen. (Dieselben finden sieh im Bundesbl. 1892, II, 564 ff. der deutschen Ausgabe ; 8. 352 ff. der französischen Ausgabe.) Das Resultat derselben war die Übereinstimmung der beiden Bundesbehörden, daß dem Bundesrate die Erledigung der Beschwerden betreffend die Gültigkeit kantonaler Wahlen zukomme, möge es sich nun um Wahlen handeln, die für den ganzen Kanton oder nur für einen Bezirk oder eine Gemeinde vorgenommen wurden.

2. Sodann erörtern die Rekurrenten die Frage der rechtlichen Natur der Kirchgemeinden des Kantons Freiburg.

Das Gesetz vom 26. Mai 1879 regelt keineswegs besondere Einrichtungen des römisch-katholisehen Kultus, sondern es bezieht sich in allem, was hinsichtlich der Kirchgemeinden gesagt ist, sowohl auf die katholische als auch auf die protestantische Konfession (vgl. Art. 4, 260, 264, 274 des Gesetzes). Es ist ein Gesetz von allgemeinem Charakter. Die Kirchgemeinde ist der politischen Gemeinde einfach nachgebildet. Die Hechte der Konfessionsgenossen in den Versammlungen der Kirchgemeinden sind in gleicher Weise bestimmt wie diejenigen der Bürger in den politischen Gemeinden (vgl. Art. 271); desgleichen entsprechen die Bestimmungen über die Ernennung, die Funktionen und die Organisation der Kirchgenieinderäte (Kirchenräte) den einschlägigen Bestimmungen für die politischen Gemeinderäte (vgl. Art. 275, 291).

Der Kirchgemeinderat erläßt Verwaltungsreglements, verhängt Strafen (Geldstrafen und Haft) wie ein politischer Gemeinderat.

Die Kirchgemeindeversammlungen erheben Steuern wie die politischen Gemeindeversammlungen.

Mit einem Worte : Die Kirchgemeinde ist ein Bestandteil nes kantonalen Verwaltungsorganismus.

Dazu kommt, daß Art. 270 des Gesetzes die Kirchgemeinden in Bezug auf das Niederlassungsrecht der Bürger und das Rekursrecht in Wahlangelegenheiten ausdrücklich den Bestimmungen unterstellt, welche für die Wähler der politischen Gemeinde gelten, speciell den Artikeln 7, 11, 14 und 15 des Gemeindegesetzes.

Demnach ist völlig klar : Wenn der Bundesrat kompetent ist, über Beschwerden betreffend Gemeindewahlen zu erkennen, so ist er es für den Kanton Freiburg nach Maßgabe des kantonalen Gesetzes selbst für Wahlen der Kirchgemeinden so gut wie für solche der politischen Gemeinden.

850 Es ist übrigens, fahren die Rekurrenten fort, der Regierung des Kantons Freiburg bis jetzt niemals eingefallen, zwischen politischen und Kirchgemeinden zu unterscheiden, um die Kompetenz des Bundesrates zu bestreiten. Auf den Antrag der Regierung nahm der Große Rat am 26. Mai 1879 das gegenwärtige Gesetz an, in Erwägung ziehend, daß es ,, a n g e s i c h t s der B e s t i m m u n g e n der B u n d es V e r f a s s u n g zur Notwendigkeit geworden sei, mehrere Punkte des Gesetzes über die Gemeinden und Kirchgemeinden (Pfarreien) vom 7. Mai 1864 zu revidieren, u m d i e selben mit der Bundesverfassung in Einklang zu setzen."

Wenn es wahr wäre, daß, wie heute der Staatsrat sagt, die Bestimmungen über die Kirchgemeinden ausschließlich ins Gebiet der Kantonalsouveränität gehören, warum dann diese Revision des Gesetzes zur Anpassung desselben an die Vorschriften der Bundesverfassung ?

Am 10. Februar 1880 hat der Bundesrat das Gesetz i n g l o b o genehmigt, wie es auch in globo vom Staatsrate seiner Genehmigung unterstellt worden war, ohne daß eine Unterscheidung zwischen politischen und kirchlichen Gemeinden gemacht wurde.

Das Stimmrecht der Konfessionsgenossen ist demgemäß unter den Schutz des Bundes gestellt, insbesondere des Art. 5 der Bundesverfassung, und die Rekurrenten bitten den Bundesrat, die Kompetenzeinrede der Freiburger Regierung zu verwerfen und in die Beurteilung der Sache einzutreten.

b. Mit Bezug auf die Sache selbst beharren die Rekurrenten bei ihrer Auffassung, daß sie, kraft des Art. 264 des freiburgischen Gemeindegesetzes, das Stimmrecht in der Kirchgemeinde besitzen, sobald sie als Bürger einer zur Pfarrei gehörenden Gemeinde im Sprengel der ersteren wohnen.

Das ist durch das Gesetz festgesetzt und der Staatsrat kann durch administrative Verfügung daran nichts ändern.

Sodann erklären die Rekurrenten, daß sie allerdings ihre Heimatscheine in Aumont hinterlegt haben, aber nicht, um das Stimmrecht in der Kirchgemeinde zu erlangen, das sie schon besitzen, sondern um in der politischen Gemeinde Aumont stimmberechtigt zu werden.

Was schließlich den Kassationsgrund betrifft, den der Staatsrat aus den Unregelmäßigkeiten in betreff des Stimmregisters herleitet, so erklären die Rekurrenten, sie seien nicht in der Lage, die Staats-

851 rätlichen Entscheidungen betreffend die Wahlen von Vuisternens und Freiburg aus dem Jahre 1889 mit derjenigen, gegen welche der Rekurs sich richtet, zu vergleichen, da die ersteren ihnen nicht zu Gesicht gekommen seien. Indessen müssen sie doch auf die befremdende Thatsache aufmerksam machen, daß, wenn Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, dieselben dem Syndic und jenen Bürgern zur Schuld fallen, die mit ihm beim Staatsrate die Kassation der Wahlverhandlung verlangt haben. Und nun sollen diese fehlbaren Beschwerdeführer vermöge des staatsrätlichen Beschlusses aus ihrer Gesetzesübertretung noch Nutzen ziehen !

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: a. In betreff

der

Kompetenzfrage.

1. Nachdem zwischen Bundesrat und Bundesgericht im Herbste (Oktober und November) 1891 über die vom Bundesgerichte aufgeworfene Kontroverse, ob das Organisationsgesetz über die Bundesrechtspflege von 1874 dem Bundesrate oder dem Bundesgerichte die Beurteilung von Beschwerden betreffend Bezirks- und Gemeindewahlen übertrage, vollständige Übereinstimmung im Sinne der Anerkennung der b u n d e s r ä t l i c h e n Kompetenz hergestellt worden ist, kann es zur BegründuDg der Abweisung der vorn Freiburger Staatsrate mittelst Memorials vom 25. April 1893 in dieser Richtung erhobenen Einrede genügen, wenn auf die bezüglichen im Bundesblatte 1892, Band U, Seite 564 ff. der deutschen und Seite 352 ff. der französischen Ausgabe enthaltenen Mitteilungen und Ausführungen des bundesrätlichen Geschäftsberichtes pro 1891 verwiesen wird.

Die Bundesversammlung hat durch Bundesbeschluß vom 23. Juni 1892 der Geschäftsführung des Bundesrates und des Bundesgerichtes vom Jahre 1891 die Genehmigung erteilt, ohne diesfalls irgend welchen Vorbehalt zu machen (vergi. Bundesbl. 1892, III, 1161 und 1162 der deutschen und 1157 und 1158 der französischen Ausgabe).

2. Gegenüber der vom Freiburger Staatsrat mittelst Memorials vom 17. Juni 1893 erhobenen Einrede, dahingehend, der Bundesrat sei nicht kompetent, Beschwerden betreffend Wahlen einer katholischen Kirchgemeinde des Kantons Freiburg zu beurteilen, mag es genügen, an folgende zwei Thatsachen zu erinnern.

Bundesblatt. 45. Jahrg. Bd. IV.

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852 a. Der Große Rat des Kantons Freiburg hat auf den Antrag des Staatsrates das kantonale Gesetz über die Gemeinden und Pfarreien vom 7. Mai 1864 einer Revision unterzogen, weil dasselbe in mehreren Punkten mit den Bestimmungen der Bundesverfassung von 1874, betreffend die Stimmberechtigung der Niedergelassenen, nicht im Einklänge stand. In Nachachtung der Vorschrift von Art. 43, Absatz 6, der Bundesverfassung von 1874, wonach die kantonalen Gesetze über die Niederlassung und das Stimmrecht der Niedergelassenen in den Gemeinden der Genehmigung des Bundesrates bedürfen, unterstellte dann der Staatsrat das revidierte Gesetz, wie es am 26. Mai 1879 aus den Beratungen des Großen Rates hervorgegangen war, ohne die Bestimmungen über das Stimmrecht in Kirchgemeindesachen auszunehmen, der Genehmigung des Bundesrates und der Bundesrat erteilte seine Genehmigung dem ganzen Gesetze am 10. Februar 1880.

b. Am 4. November 1881 hat der Bundesrat einen Rekurs, betreffend die Gültigkeit einer Wahl in den Kirchgemeinderat der freiburgischen Gemeinde Avry-devant-Pont behandelt; er ist auf die Beschwerde wegen mangelnder Kompetenz nicht eingetreten, da sich ihm aus der Prüfung der Akten ergab, daß bei der fraglichen Wahl weder Bundesrecht noch kantonales Verfassungsrecht verletzt worden sei (vergi. Bundesbl. 1882, I, 8. 33, deutsche Ausgabe ; S. 25, französische Ausgabe).

Durch Bundesbeschluß vom 19. April 1882 wurde eine Beschwerde gegen diesen Bundesratsbeschluß abgewiesen, in den Erwägungen jedoch von der Bundesversammlung betont, daß die Motivierung des bundesrätlichen Entscheides zwar nicht als zutreffend erscheine, indem der Rekurs gegen den kantonalbehördlichen Beschluß wirklich auf eine Verfassungsverletzung gestützt werde, daß aber der Rekurs materiell unbegründet gewesen und der Entscheid des Bundesrates als eine materielle Abweisung aufzufassen sei (vergi. Bundesbl. 1882, II, S. 708, deutsche Ausgabe; S. 490, französische Ausgabe).

Der Staatsrat des Kantons Freiburg hatte auch damals die Kompetenz der Buudesbehörden bestritten.

3. Die Rekurrenten behaupten, es seien durch den Staatsratsbeschluß vom 27. März 1893 ihre in Art. 9 und 25 der Kantonsverfassung und in Art. 4 und 5 der Bundesverfassung gewährleisteten allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte, insbesondere das in Art. 264 des freiburgischen Gemeindegesetzes näher bestimmte Recht der aktiven Teilnahme an einer Kirchgemeinderatswahl, verletzt worden.

853 Ob diese Behauptung thatsächlich begründet sei, kann nur durch eine einläßliche Untersuchung festgestellt werden. Es ist deshalb in die Sache selbst einzutreten.

b. In betreff

der Sache selbst.

i. Der Staatsrat bestreitet den Rekurrenten das Recht der Teilnahme an der Kirchgemeindeversammlung in Aumont vom 26. Februar 1893, weil dieselben in der Gemeinde Aumont, wo sie wohnen, nicht verbürgert und daher nur nach gesetzlicher Regulierung ihres Wohnsitzes daselbst auf das Stimmregister der Gemeinde und damit auf dasjenige der Kirchgemeinde Aumont getragen werden konnten; da die Rekurrenten zugestandenermaßen in Aumont ihre Heimatscheine nicht wenigstens drei Monate vor der Wahl vom 26. Februar hinterlegt hatten, waren sie nach der Ansicht des Staatsrates von der Teilnahme an dieser letztem ausgeschlossen.

Die Rekurrenten dagegen glauben, Art. 264, litt, a, des freiburgischen Gemeindegesetzes sichere ihnen das Stimmrecht in der Kirchgemeinde Aumont zu, weil sie Bürger der zu der Kirchgemeinde gehörenden Gemeinde Granges-de-Vesin sind; als solche meinen sie von der Hinterlegung von Schriften in der Wohnsitzgemeinde als Bedingung der Ausübung ihrer Rechte in der Kirchgemeinde entbunden zu sein, indem für sie in Kirchgemeindesachen der Wohnsitz im Gebiete der Kirchgemeinde gleichzuaehten sei dem Wohnsitz in der Bürgergemeinde.

Die Verordnung des Staatsrates vom 10. Januar 1893 geht in Art. 9 ff. unverkennbar von der Auffassung aus, das Stimmregister der Kirchgemeinde müsse sich genau an die Stitnmregister der politischen Gemeinden halten und auf diesen aufgebaut werden.

Immerhin verweist auch die staatsrätliche Verordnung vom 10. Januar in Art. 11 auf die in Art. 2 derselben reproduzierte Bestimmung des Art. 264 des Gesetzes und schreibt vor, das Speeialstimmregister der Kirchgemeinde sei an der Hand der Gemeindestimmregister in G e m ä ß h e i t des a l l e g i e r t e n G e s e t z e s a r t i k e l s aufzustellen.

In Bezug auf die Auslegung des citierten Art. 264 aber ist den Rekurrenten zuzugeben, daß ihre bis jetzt, wie aus den Akten hervorgeht, vom Präfekten des Broyebezirks geteilte Ansieht, wonach die Bürger einer zur Kirchgemeinde gehörenden Gemeinde, sofern sie nur im Gebiete der Kirchgemeinde, sei es in dieser oder jener Gemeinde, wohnen, ohne weitern Ausweis als Stimmberechtigte der Kirchgemeinde anzusehen sind, mit dem Wortlaut

854 des Gesetzes vereinbar ist und dem Geiste einer auf Erleichterung der Ausübung des Stimmrechts abzielenden Gesetzesinterpretation entspricht.

Anderseits fällt jedoch in Betracht, daß die Bundesbehörde sich mit der Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechts nur dann zu beschäftigen hat, wenn durch das Vorgehen der Kantonsbehörden Grundsätze des Bundesrechts oder des kantonalen Verfassungsrechts berührt erscheinen.

Wenn die Auslegung des Staatsrates geradezu willkürlich oder unmöglich wäre, oder wenn die Rekurrenten den Beweis geführt hätten, daß sie mit der im Kanton Freiburg bestehenden Praxis im Widerspruch stehe, so würde offenbar ein verfassungsmäßiges Recht derselben, ihr Stimmrecht, beziehungsweise ihr Anspruch auf gleiche Behandlung vor dem Gesetze, durch den Staatsratsbeschluß eine Beeinträchtigung erfahren haben, gegen welche sie sich unter Anrufung der von ihnen citierten Art. 4 und 5 der Bundesverfassung und Art. 9 und 25 der Kantonsverfassung an die Bundesbehörde wenden könnten.

Allein dem ist nicht so. Es handelt sieh vielmehr lediglich um eine zulässige Verschiedenheit der Auslegung einer kantonalen Gesetzesbestimmung.

2. Der Staatsrat hat sodann in der Nichtbefolgung der Vorschrift des Gesetzes und seiner Verordnung betreffend die Anlegung, öffentliche Auflegung und Schließung eines Kirchgemeindestimmregisters einen weitern und, wie er sagt, den hauptsächlichen Grund zur Kassation der Wahlverhandiung vom 26. Februar gefunden.

Die Rekurrenten beanstanden dieses Motiv des Staatsrates nicht aus rechtlichen Gründen, sondern kritisieren bloß die Handlungsweise des Gemeindepräsidenten und jener andern Bürger, denen mit dem Präsidenten die Nichtbeachtung des Gesetzes zur Schuld fällt und die trotzdem mit ihm dieser wegen persönlich beim Staatsrate die Kassation der Wahl begehrt haben.

Diese Kritik der Rekurrenten ist ohne rechtliche Bedeutung.

Die Rekurrenten haben auch nicht etwa den Beweis geführt, daß im vorliegenden Falle vom Staatsrate anders verfahren worden sei als in andern, frühern Fällen. Die Akten erhärten übrigens die Gleichmäßigkeit der staatsrätlichen Praxis in diesem Punkte. (Abschrift des Regierungsentscheides vom 19. März 1889 betreffend die Pfarrei Vuisternens.)

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Demnach wird beschlossen: 1. Der Rekurs ist unbegründet und wird daher abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist dem Staatsrate des Kautons Freiburg und den Rekurrenten schriftlich mitzuteilen.

B e r n , den 31. Oktober 1893.

Im Hamen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluß über den Rekurs des Longin Rosset, Florentin Rosset, Emile Rosset und Eugène Rosset, von Granges-de-Vesin (Kantons Freiburg), gegen den Beschluß des Staatsrates des Kantons Freiburg vom 27. März 1893, betreffend die Kirchgemeindera...

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1893

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15.11.1893

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843-855

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