03.032 Botschaft betreffend die Änderung von Artikel 1 vom 21. Dezember 2001 des Übereinkommens vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermässige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können vom 16. April 2003

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend die Änderung von Artikel 1 des Übereinkommens vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermässige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. April 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-2094

3575

Übersicht Mit dieser Botschaft unterbreitet der Bundesrat den Eidgenössischen Räten die Änderung von Artikel 1 des Übereinkommens vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermässige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (nachfolgend Übereinkommen), zur Genehmigung. Das Übereinkommen besteht aus einem Rahmenabkommen und fünf Protokollen, welche den Gebrauch spezifischer konventioneller Waffen einschränken oder verbieten (Protokoll I über nichtentdeckbare Splitter; Protokoll II und revidiertes Protokoll II über Minen, Sprengfallen und andere Vorrichtungen; Protokoll III über Brandwaffen; Protokoll IV über Blendlaserwaffen).

Die an der zweiten Überprüfungskonferenz am 21. Dezember 2001 verabschiedete Änderung des Artikels 1 des Übereinkommens bezweckt die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Rahmenabkommens und der dazugehörigen bestehenden Protokolle auf nicht internationale bewaffnete Konflikte. Das Protokoll II ist in seiner an der ersten Überprüfungskonferenz von 1996 revidierten Fassung bereits auf nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbar.

Der geänderte Artikel 1 ist mit der schweizerischen Rechtsordnung kompatibel.

So hat die Schweiz bereits das revidierte Protokoll II ratifiziert und bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde des Protokolls IV von sich aus die Erklärung abgegeben, dass sie es unter allen Umständen anwenden wird, namentlich im Fall nicht internationaler bewaffneter Konflikte. Deshalb beschränkt sich die Tragweite der Änderung von Artikel 1 des Übereinkommens für die Schweiz nur auf die Protokolle I und III. Die Annahme dieser Änderung wird keine voraussehbaren finanziellen Folgen für Bund und Kantone haben.

Mit der Verabschiedung des geänderten Artikels 1 des Übereinkommens wurde ein weiterer bedeutender Schritt zur Weiterentwicklung der Regeln für nicht internationale bewaffnete Konflikte getan. Er zeigt eine wachsende Bereitschaft der Staaten, die bei internationalen bewaffneten Konflikten anerkannten Regeln auch in internen Konflikten anzuwenden. Dies entspricht aus humanitärer Sicht einer absoluten Notwendigkeit, sind doch heute die Mehrheit der bewaffneten Konflikte nicht internationaler Natur. Die Schweiz hat sich im Rahmen des Übereinkommens stets für humanitäre Anliegen eingesetzt und hat die Änderung des Artikels 1 an der zweiten Überprüfungskonferenz unterstützt.

3576

Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Das Übereinkommen über konventionelle Waffen

Das Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermässige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können1 (nachfolgend Übereinkommen), wurde am 10. Oktober 1980 im Rahmen der Vereinten Nationen in Genf abgeschlossen. Die Staaten handelten damals in der Einsicht, dass das Recht, dem Gegner zu schaden, nicht unbegrenzt ist und die Zivilbevölkerung unter allen Umständen geschont werden muss.

Es besteht aus einem Rahmenabkommen und fünf Protokollen, welche den Gebrauch spezifischer konventioneller Waffen regeln.

Protokoll I2 verbietet den Einsatz von Waffen, welche als Hauptwirkung Splitter erzeugen, die mit Röntgenstrahlen im menschlichen Körper nicht entdeckbar sind.

Protokoll II3 regelt den Gebrauch von Minen und verbietet das Anbringen von Sprengfallen an harmlos scheinenden Gegenständen. Dieses Protokoll wurde an der ersten Überprüfungskonferenz in Genf 1996 revidiert4 (nachfolgend revidiertes Protokoll II). Protokoll III5 beschränkt den Einsatz von Brandwaffen, wie z.B. Napalm, auf militärische Ziele und verbietet ihn, wenn Gefahr besteht, dass die Zivilbevölkerung ebenfalls getroffen wird. Das Protokoll IV6 verbietet den Einsatz von Blendlaserwaffen, wenn sie eigens dazu dienen sollen, dauernde Erblindung herbeizuführen.

Als Rahmenabkommen bildet das Übereinkommen die rechtliche Basis für die angeführten Protokolle und enthält auf letztere anwendbare allgemeine Bestimmungen.

Es ist zudem ein dynamisches Instrument, da es eine rechtliche Grundlage für die Vertragsstaaten vorsieht, um Verbote oder Beschränkungen weiterer konventioneller Waffensysteme anzustreben. Die Schweiz hat das Übereinkommen und die ersten drei Protokolle am 20. August 1982 sowie das revidierte Protokoll II und das Protokoll IV am 24. März 1998 ratifiziert.

1 2 3

4

5 6

SR 0.515.091 Protokoll über nichtentdeckbare Splitter (im Anhang zum Übereinkommen über konventionelle Waffen), SR 0.515.091.

Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen (im Anhang zum Übereinkommen über konventionelle Waffen), SR 0.515.091.

Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen in der am 3. Mai 1996 geänderten Fassung, BBl 1997 IV 1 (Botschaft); dieses Protokoll wurde von der Schweiz am 24. März 1998 ratifiziert und ist für die Schweiz am 3. Dezember 1998 in Kraft getreten.

Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Brandwaffen (im Anhang zum Übereinkommen über konventionelle Waffen), SR 0.515.091.

Protokoll über Blendlaserwaffen, BBl 1997 IV 1 (Botschaft); dieses Protokoll wurde von der Schweiz am 24. März 1998 ratifiziert und ist für die Schweiz am 24. September 1998 in Kraft getreten.

3577

1.2

Revisionsmechanismus des Übereinkommens über konventionelle Waffen

Änderungen des Rahmenübereinkommens und seiner Protokolle sind in Artikel 8 Absatz 1 und 2 des Übereinkommens geregelt. Dieser sieht ein Verfahren vor, das von den einzelnen Vertragsstaaten in Gang gesetzt werden kann und die Zustimmung von einer Mehrheit voraussetzt, die mindestens 18 Vertragsstaaten umfassen muss. Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe a legt fest, dass jeder Vertragsstaat den Depositar um die Einberufung einer Überprüfungskonferenz ersuchen kann, wenn zehn Jahre nach Inkrafttreten des Übereinkommens keine solche Konferenz einberufen worden ist.

An der ersten Überprüfungskonferenz von 1995/1996 kamen die Vertragsstaaten überein, dass künftig alle fünf Jahre eine Überprüfungskonferenz durchgeführt werden soll. Diese de-facto-Änderung des Art. 8 des Übereinkommens wurde jedoch nur in der Schlusserklärung festgehalten, weil sich gewisse Vertragsstaaten jeglicher formellen Änderung des Rahmenübereinkommens widersetzten7. Diese materielle Änderung soll es ermöglichen, dass das Übereinkommen durch Änderung der bestehenden Regeln und Erarbeitung und Annahme neuer Protokolle mit der raschen Entwicklung der Waffentechnik und der Kriegsmethoden Schritt halten kann.

2

Zweite Überprüfungskonferenz

2.1

Ausgangslage

Die 55. Generalversammlung der Vereinten Nationen rief in Resolution 55/37 vom 20. September 2000 den Beschluss der ersten Überprüfungskonferenz der Vertragsstaaten zum Übereinkommen in Erinnerung, die nächste Überprüfungskonferenz nicht später als 2001 durchzuführen. Entsprechend der Empfehlung dieser Resolution ging der zweiten Überprüfungskonferenz vom 11. bis 21. Dezember 2001 eine einjährige Vorbereitungsphase voran, während der drei offizielle Vorbereitungstreffen in Genf abgehalten wurden8. Die Vertragsstaaten schlugen an diesen Treffen zahlreiche Themen für die Überprüfungskonferenz vor. Es zeichnete sich jedoch aufgrund der Komplexität der verschiedenen Vorschläge bald ab, dass an der zweiten Überprüfungskonferenz eine vertragliche Änderung nur in bezug auf die

7 8

Botschaft über das revidierte Protokoll II und Protokoll IV zum Übereinkommen über konventionelle Waffen, BBl 1997 IV 1.

Diese Treffen fanden am 14. Dezember 2000, vom 2.­6. April 2001 und vom 24.­28. September 2001 statt (vgl. «Report of the Second Review Conference of the States Parties to the Convention on Prohibitions or Restrictions of the Use of Certain Conventional Weapons which may be deemed to be Excessively Injurious or to have Indiscriminate Effects (nachfolgend CCW-Report CONF.II), UNO-Doc.

CCW/CONF.II/2, Para. 3).

3578

Ausweitung des Anwendungsbereichs des Rahmenabkommens auf nicht internationale bewaffnete Konflikte verabschiedet werden könnte9.

2.2

Position der Schweiz

Die Schweiz hat sich im Rahmen des Übereinkommens stets für humanitäre Anliegen und die Stärkung und Förderung des humanitären Völkerrechts eingesetzt, mit dem Ziel, die Auswirkungen des Krieges vor allem auf die Zivilbevölkerung zu mildern und auch die Kombattanten vor Waffen und Methoden der Kriegführung zu bewahren, die über den legitimen Zweck bewaffneter Konflikte ­ das Aussergefechtsetzen des Gegners ­ hinausgehen. Dabei hat sie auch den Interessen der Landesverteidigung, den erzwingenden Erfordernissen der militärischen Notwendigkeit Rechnung getragen. Der Bundesrat hatte der Schweizer Delegation bereits im Hinblick auf die erste Überprüfungskonferenz von 1995/1996 das Mandat erteilt, sich für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Rahmenabkommens und der dazugehörigen Protokolle auf nicht internationale bewaffnete Konflikte einzusetzen10 und wiederholte dies auch für die zweite Überprüfungskonferenz11.

9

10

11

Folgende weitere Initiativen wurden in der Vorbereitungsphase lanciert: 1. Ausarbeitung eines Protokolls, welches u.a. die Verpflichtungen der Vertragsstaaten vorsieht, die Zuverlässigkeit von Waffensystemen und deren explosiver Munition (z.B. Streubomben, Mörser oder Granaten) durch technische Vorrichtungen zu erhöhen, sowie das Territorium nach dem bewaffneten Konflikt von explosiven Munitionsrückständen zu säubern (Initiative «nicht explodierte Kriegsmunitions rückstände»); 2. Reglementierung der Submunition, wie z.B. Streubomben («Cluster Bombs»), welche in ihrer Kernbestimmung technische Massnahmen verlangt, um das Risiko des Nichtexplodierens beim Aufprall auf den Boden wesentlich zu verringern.

(schweizerische Initiative «Submunition»); 3. Reglementierung anderer Landminen als Antipersonenminen (Initiative «Andere Landminen als Antipersonenminen»); 4. Aufnahme eines Kontrollmechanismus in das revidierte Protokoll II oder in das Rahmenabkommen.

5. Ausarbeitung einer Reglementierung der Kleinkalibermunition, welche überflüssige Verletzungen und unnötiges Leiden verursacht. Es geht um eine Aktualisierung des Verbots der Dritten Haager Deklaration von 1899, welche den Gebrauch von Munition in bewaffneten Konflikten verbietet, die sich leicht im menschlichen Körper ausbreitet oder plattdrückt (Dumdum-Effekt) und somit unnötige Verletzungen verursachen kann (schweizerische Initiative Kleinkalibermunition).

Die Schweiz war damals auch massgeblich an der Ausarbeitung des Protokolls IV sowie des revidierten Protokolls II beteiligt; siehe dazu Botschaft über das revidierte Protokoll II und Protokoll IV zum Übereinkommen über konventionelle Waffen, BBl 1997 1.

Zudem hat die Schweiz in der Vorbereitungsphase zur zweiten Überprüfungskonferenz die Erhöhung der Zuverlässigkeit von Submunition durch technische Massnahmen sowie die Ausarbeitung einer neuen Reglementierung für Kleinkalibermunition vorgeschlagen und sich für ihre Initiativen in der Vorbereitungsphase eingesetzt.

3579

2.3

Resultate der Überprüfungskonferenz

Die zweite Überprüfungskonferenz fand vom 11. bis 21. Dezember 2001 in Genf statt. Befürchtungen, dass das Verhandlungsklima aufgrund der blockierten Abrüstungskonferenz, der an der Biologiewaffenkonferenz auftretenden Unstimmigkeiten sowie der kurz zuvor bekannt gegebenen Kündigung des ABM-Vertrages durch die Vereinigten Staaten belastet sein könnte, erwiesen sich als unbegründet. Die Vertragsstaaten verabschiedeten die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens von 1980 und seiner bestehenden Protokolle auf nicht internationale bewaffnete Konflikte und beschlossen, die Diskussionen in bezug auf die anderen an der Überprüfungskonferenz vorgeschlagenen Themen weiterzuführen12.

3

Änderung des Art. 1 des Übereinkommens über konventionelle Waffen

3.1

Das internationale normative Umfeld

Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs des Artikels 1 des Übereinkommens auf nicht internationale bewaffnete Konflikte haben die Vertragsstaaten nicht etwas grundlegend Neues im humanitären Völkerrecht beschlossen, sondern eine seit Jahrzehnten fortschreitende Rechtstendenz bestätigt.

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts waren innerstaatliche bewaffnete Konflikte nicht Gegenstand des Völkerrechts, da nach damaliger Auffassung grundsätzlich nur souveränen Staaten Völkerrechtssubjektivität zukam. Erst nach den schrecklichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg begann die Staatengemeinschaft Regeln für nicht internationale bewaffnete Konflikte zu entwickeln. Dies zeigt sich zunächst im gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer von 194913 (nachfolgend Genfer Abkommen von 1949), welcher eine Liste von minimalen humanitären Schutzbestimmungen enthält, die in nicht internationalen bewaffneten Konflikten gelten. Die Schaffung dieses Artikels setzte einen lange umstrittenen Kompromiss zwischen zwei Interessen voraus, welche viele Staaten als fundamental gegensätzlich erachteten. Einerseits sind humanitäre Ziele zu verfolgen und ein Mindestschutz der elementarsten humanitären Rechte in allen Arten von Konflikten zu gewährleisten. Andererseits war den Bedenken der Staaten Rechnung zu tragen, welche befürchteten, den bewaffneten Gruppen durch ihre Einbeziehung 12

13

Die Vertragsstaaten beschlossen, eine offene Gruppe von Regierungsexperten mit zwei verschiedenen Koordinatoren für die Initiative «Explosive Kriegsmunitionsrückstände» sowie für die Initiative «Reglementierung anderer Landminen als Antipersonenminen» zu schaffen. Ferner wurde der designierte Präsident des nächsten Vertragsstaatentreffens beauftragt, bei den Vertragsstaaten Konsultationen über einen Vollzugs- und Verifikationsmechanismus durchzuführen. Schliesslich lud die Überprüfungskonferenz die Vertragsstaaten ein, technische Expertentreffen über Kleinkalibermunition durchzuführen und einen Bericht darüber den Vertragsstaaten am nächsten Vertragsstaatentreffen vorzulegen.

Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde, SR 0.518.12; Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See, SR 0.518.23; Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen, SR 0.518.42; Genfer Abkommen vom 12. Aug. 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, SR 0.518.51.

3580

ins Recht indirekt einen offiziellen Status zu zuerkennen und damit ihre Souveränität und Sicherheit zu gefährden. So hält Artikel 3 in Absatz 4 fest, dass die Anwendung dieser Bestimmung auf die Rechtsstellung der am Konflikt beteiligten Parteien keinen Einfluss hat. Die in Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949 enthaltenen Regeln gelten heute als Gewohnheitsrecht14. Übernommen wurde dieser Ansatz im Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 195415.

Die erschreckende Zunahme nicht internationaler bewaffneter Konflikte in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sowie die ungenügende rechtliche Erfassung dieser Situationen, welche heute die Mehrheit der bewaffneten Konflikte darstellen, führten zur Verabschiedung des zweiten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen von 194916 (nachfolgend Zusatzprotokoll II/ ZP II). Es erweitert und ergänzt den Katalog der minimalen Garantien von Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949.

Der Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls II ist gegenüber Art. 3 der Genfer Abkommen von 1949 jedoch dahingehend eingeschränkt, dass es nur auf nicht internationale bewaffnete Konflikte Anwendung findet, die im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei zwischen regulären Streitkräften und Aufständischen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung die Kontrolle über einen Teil des staatlichen Hoheitsgebietes ausüben, dabei anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Auch die Kernbestimmungen des Zusatzprotokolls II sind dem Gewohnheitsrecht zuzuordnen17.

An der ersten Überprüfungskonferenz der Vertragsstaaten des Übereinkommens über konventionelle Waffen in den Jahren 1995/1996 wurde die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Rahmenabkommens auf nicht internationale bewaffnete Konflikte eingehend diskutiert. Angesichts der Einwände gewisser Staaten18 wurde jedoch beschlossen, nur den Anwendungsbereich des Protokolls II auf nicht internationale bewaffnete Konflikte auszuweiten.

Seither hat sich die Staatengemeinschaft allerdings sowohl beim Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe

14

15 16 17 18

Vgl. Nicaragua-Fall, ICJ Rep. 1986, Ziff. 172 ff., 215 ff.; IT-94-1-AR72, Appeals Chamber, Tadic, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, 2. Oktober 1995, Ziff. 96 ff.

SR 0.520.3 Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, SR 0.518.522.

Vgl. Tadic, a.a.O., Ziff. 117.

Neben den Bedenken einiger Staaten, dass die Einbeziehung der bewaffneten Gruppen ins Recht ihre Souveränität und Sicherheit hätte gefährden können, spielten auch taktische Überlegungen eine Rolle. So wollten andere Staaten vermeiden, dass eine Änderung des Art. 1 des Rahmenabkommens die Gelegenheit geboten hätte, gleichzeitig andere Bestimmungen des Rahmenabkommens abzuschwächen. Zudem machten einige Staaten geltend, dass eine solche Ausdehnung die Universalisierung des Übereinkommens beeinträchtigen könnte (vgl. auch Botschaft über das revidierte Protokoll II und Protokoll IV zu dem Übereinkommen über konventionelle Waffen, BBl 1997 IV 1).

3581

von Anti-Personenminen und über deren Vernichtung vom 18. September 199719 («Ottawavertrag») als auch beim Zweiten Protokoll von 26. März 1999 zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten20 auf die Anwendbarkeit in nicht internationalen bewaffneten Konflikten geeinigt21.

Die Rechtsprechung der beiden Ad-hoc-Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda hat ebenfalls zur Annäherung der auf nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbare Bestimmungen an die Regelungsdichte für internationale bewaffnete Konflikte beigetragen. Aus den gleichen Gründen, welche anfänglich einer umfassenden Regelung interner Konflikte entgegenstanden, sehen Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949 und das Zusatzprotokoll II im Gegensatz zu den Bestimmungen für internationale bewaffnete Konflikte keine strafrechtliche Normen vor. Das Statut des Ad-hoc-Tribunals für Ruanda kriminalisierte erstmals Verstösse gegen Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949 und gegen die Kernbestimmungen des Zusatzprotokolls II und ordnete sie der Kategorie der Kriegsverbrechen zu22. Mit diesem Begriff wurden bis anhin nur schwere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht bezeichnet, welches bei internationalen bewaffneten Konflikten Anwendung fand. Es kam aber dem Ad-hoc-Tribunal für Ex-Jugoslawien zu, sich in seiner Rechtsprechung als erstes darauf zu berufen23.

19

20

21

22

23

BBl 1998 679; von der Schweiz am 24. März 1998 ratifiziert und für die Schweiz am 1. März 1999 in Kraft getreten. Wie beim Biologiewaffenübereinkommen von 1972 (SR 0.515.07) und dem Chemiewaffenübereinkommen von 1993 (SR 0.515.08) findet das besagte Übereinkommen unter allen Umständen Anwendung, das heisst sowohl in bewaffneten Konflikten internationalen und nicht internationalen Charakters als auch in Friedenszeiten, also auch in Situationen innerer Unruhen und Spannungen. Dieser umfassende Anwendungsbereich, der den Verträgen des Abrüstungsbereiches eigen ist, ist darauf zurückzuführen, dass neben dem Gebrauch auch die Lagerung, Herstellung und Weitergabe vom Verbot erfasst werden.

Dieses Protokoll wurde an der diplomatischen Konferenz der Vertragsstaaten zum Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten verabschiedet. Die Schweiz hat es am 17. Mai 1999 in Den Haag unterzeichnet.

Im Fakultativprotokoll von 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (SR 0.107.1) wurde ein anderer Lösungsansatz verfolgt. So wurde der Besorgnis einiger Staaten in Bezug auf die Einhaltung des klassischen Rechtsgrundsatzes Rechnung getragen, dass in Menschenrechtsinstrumenten nur Vertragsstaaten verpflichtet werden können, während nichtstaatliche bewaffnete Gruppen durch nationale Bestimmungen ins Recht zu fassen sind.

Entsprechend werden im Fakultativprotokoll die bewaffneten Gruppen nur indirekt, d.h. über die in Art. 4 Abs. 2 vorgesehenen nationalen Strafbestimmungen verpflichtet (siehe Uno-Doc. E/CN.4/2000/74 Ziff. 35 ff., Ziff. 108 und Add. Art. 4).

Statut des Ad-hoc-Tribunals für Ruanda, Anhang zu S/RES/955 (8. November 1994); vgl. Report of the Secretary-General pusuant to Paragraph 5 of Security Council Resolution 955 (1994), UNO-Doc. S/1995/134, vom 13 Februar 1995, Ziff. 11­12.

Vgl. Tadic, a.a.O., Ziff. 128 ff.

3582

Diese Entwicklung widerspiegelt sich auch im Statut des internationalen Strafgerichtshofs, welches in Artikel 8 unter anderem Straftatbestände für nicht internationale bewaffnete Konflikte vorsieht24. In die gleiche Richtung geht ferner das Zweite Protokoll zum Haager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, welches Verstösse seiner Bestimmungen in nicht internationalen bewaffneten Konflikten kriminalisiert25.

Mit der Ausweitung des Anwendungsbereichs des Artikels 1 des Übereinkommens wurde ein weiterer bedeutender Schritt zur Weiterentwicklung der Regeln für interne Konflikte getan. Er lässt eine grössere Bereitschaft der Staaten erkennen, bereits anerkannte Regeln auf interne Konflikte anzuwenden.

3.2

Inhalt des geänderten Artikels 1

Artikel 1 bestimmt den Anwendungsbereich des Rahmenabkommens und der dazugehörigen Protokolle. Absatz 1 ist unverändert geblieben: er verweist auf den gemeinsamen Artikel 2 der Genfer Abkommen von 1949 und auf Artikel 1 Absatz 4 des Zusatzprotokolls I. Das Rahmenabkommen und die dazugehörigen Protokolle finden somit in zwischenstaatlichen Konflikten, in besetzten Gebieten und in Befreiungskriegen Anwendung.

Absätze 2 bis 6 sind neu; sie wurden vom revidierten Protokoll II, Artikel 1 Absatz 2 bis 6, sinngemäss übernommen und waren an der Überprüfungskonferenz unbestritten. Absatz 2 weitet den Anwendungsbereich mit Hinweis auf den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949 auf nicht internationale bewaffnete Konflikte aus und stellt klar, dass er Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretender Gewalttaten und anderer ähnlichen Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten, nicht umfasst. Die Absätze 3 bis 6 enthalten verschiedene Präzisierungen oder Vorbehalte zur Regel der Anwendbarkeit auf interne Konflikte. Sie stützen sich ursprünglich auf die Artikel 1 Absatz 2 und Absatz 3 des Zusatzprotokolls II. So hält Absatz 3 fest, dass bei einem internen Konflikt jede der am Konflikt beteiligten Parteien durch das Rahmenabkommen und der dazugehörigen Protokolle verpflichtet wird. Absatz 4 bis 6 tragen Souveränitäts- und Sicherheitsbedenken der Staaten Rechnung.

Über den Inhalt von Absatz 7 wurde an der Überprüfungskonferenz heftig debattiert.

Eine Mehrheit der Staaten befürwortete den Vorschlag, dass die Ausweitung des Anwendungsbereiches auf interne Konflikte auch für jedes neue im Rahmen des 24

25

Art. 8 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) von 1998, SR 0.312.1; Die Systematik des Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut basiert auf der Unterscheidung zwischen internationalen und nicht internationalen bewaffneten Konflikten. Die Bstn. (a) und (b) regeln Kriegsverbrechen in internationalen bewaffneten Konflikten.

Dabei übernimmt Bst. (a) die Definitionen der Genfer Abkommen von 1949 über die schweren Verletzungen, während Bst. (b) Regelungen enthält, die auf die Bestimmungen über schwere Verletzungen von Zusatzprotokoll I und auf Vorschriften der Haager Landkriegsordnung von 1907 zurückgehen. Die Bstn (c) und (e) des Artikels 8 Absatz 2 IStGH-Statut erfassen sodann Straftaten, die in nicht internationalen bewaffneten Konflikten begangen worden sind. Bst. (c) geht auf den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen von 1949 zurück, Bst. (e) insbesondere auf Vorschriften des Zusatzprotokolls II.

Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 und Art. 15.

3583

Übereinkommens verabschiedete Protokoll gelten sollte, sofern in diesem nichts anderes vorgesehen würde. Die Minderheit der Staaten konnte sich aufgrund des Konsensprinzips mit der vorliegenden Regelung durchsetzen. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs gilt somit nur für die bereits bestehenden Protokolle26. Bei der Ausarbeitung zukünftiger Protokolle muss die Anwendbarkeit in nicht internationalen bewaffneten Konflikten explizit erwähnt werden. Bei Stillschweigen in dieser Frage wird einzig Artikel 1 Absatz 1 des Rahmenabkommens zur Anwendung kommen, welcher nur die Anwendbarkeit in internationalen bewaffneten Konflikten vorsieht.

3.3

Inkrafttreten des geänderten Artikels 1

Änderungen dieses Übereinkommens sowie der dazugehörigen Protokolle treten in derselben Weise wie dieses Übereinkommen und die dazugehörigen Protokolle in Kraft, also sechs Monate nach Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikations-, Annahme- oder Beitrittsurkunde beim Depositar, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen. Für jeden Staat, der seine Ratifikations-, Annahme- oder Beitrittsurkunde nach Hinterlegung der zwanzigsten Urkunde hinterlegt, tritt dieses Übereinkommen sechs Monate nach dem Zeitpunkt der Hinterlegung seiner Urkunde in Kraft27.

4

Kompatibilität mit der schweizerischen Rechtsordnung

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens ist mit der schweizerischen Rechtsordnung kompatibel. So hat die Schweiz bereits das revidierte Protokoll II, welches auch auf interne bewaffnete Konflikte anwendbar ist, ratifiziert und bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde des Protokolls IV von sich aus die Erklärung abgegeben, dass sie es unter allen Umständen anwenden wird, namentlich im Fall nicht internationaler bewaffneter Konflikte28. In bezug auf das Protokoll I wird in der Botschaft vom 16. September 1981 betreffend das Übereinkommen und der dazugehörigen Protokolle festgehalten, dass es keine grosse praktische Bedeutung habe, da bis heute kaum Waffen bekannt seien, die primär eine solche Wirkung hätten. Über das Protokoll III heisst es ferner, dass für die Schweiz und ihrer Armee die punktuellen Beschränkungen des Protokolls III in Abwesenheit eines generellen Verbotes von Brandwaffen kaum wesentliche Änderungen bedingen würden, da im eigenen Land gekämpft würde und damit die Rücksichtnahme auf die eigene Zivilbevölkerung ohnehin die Einsatzdoktrin bestimme29. Die schweizerische Rechtsordnung war bereits damals mit dem Protokoll I und Protokoll III vereinbar. Sie ist auch mit der vorliegenden Ausweitung des Anwendungsbereichs der beiden Protokolle kompatibel.

26 27 28 29

Das Protokoll II ist seit seiner Änderung im Jahre 1996 auf nicht internationale bewaffnete Konflikte anwendbar.

Art. 8 Abs. 1 Bst. b in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens über konventionelle Waffen.

Siehe Bundesbeschluss in: BBl 1998 I 116.

Botschaft vom 16. September 1981 betreffend das Übereinkommen über konventionelle Waffen und der dazugehörigen Prokolle, BBl 1981 III 311 und 317.

3584

5

Finanzielle Auswirkungen

Die Annahme der Änderung des Artikels 1 des Übereinkommens wird für die Eidgenossenschaft keine finanziellen Auswirkungen haben.

6

Legislaturplanung

Im Zeitpunkt der Erstellung der Legislaturplanung 1999-200330 war nicht vorhersehbar, dass die Ausweitung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens verabschiedet würde. Die Annahme des geänderten Artikels 1 des Übereinkommens wurde daher nicht in die Legislaturplanung aufgenommen.

7

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses zur Annahme des geänderten Artikels 1 des Übereinkommens beruht auf Artikel 54 Absatz 1 BV, welcher den Bund ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig, die Annahme gutzuheissen.

Laut Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Das revidierte Übereinkommen und seine Protokolle sind unbefristet, können aber jederzeit gekündigt werden. Die Kündigung wird ein Jahr nach Eingang ihrer Notifikation beim Depositar wirksam, es sei denn, die kündigende Vertragspartei sei bei Ablauf dieser Frist in einen bewaffneten Konflikt verwickelt oder in einen Besetzungszustand eingetreten. In diesen Fällen bleibt der kündigende Staat durch die vertraglichen Verpflichtungen bis zum Ende des Konflikts oder der Besetzung gebunden31. Das revidierte Übereinkommen sieht auch keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor.

Es stellt sich einzig die Frage, ob die Annahme eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführt. Nach konstanter Praxis des Bundesrates unterliegen dem fakultativen Referendum nur diejenigen Verträge zwingend, die Einheitsrecht enthalten, das im wesentlichen direkt anwendbar ist, und ein bestimmtes, genau umschriebenes Rechtsgut genügend umfassend regeln, d.h. jenen Mindestumfang aufweisen, der auch nach landesrechtlichen Massstäben die Schaffung eines separaten Gesetzes als sinnvoll erscheinen liesse32. Das Parlament hat die Praxis des Bundesrates präzisiert und entschieden, dass in Einzelfällen - wegen der Bedeutung und Art der Bestimmungen oder weil internationale Kontrollorgane geschaffen werden - auch dann eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorliegen kann, wenn die betreffenden

30 31 32

BBl 2000 2270 Siehe Art. 9.

BBl 1988 II 912, 1990 III 948, 1992 III 324

3585

internationalen Normen nicht zahlreich sind33. Der Begriff der «Rechtsvereinheitlichung» kann sich nur auf einzelne Normen beziehen, wenn diese von grundlegender Bedeutung sind.

Die Auswirkungen der Ausweitung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens und der dazugehörigen Protokolle auf die Schweiz sind nicht von einer solchen Tragweite, als dass die Änderung des Artikels 1 als materielle Rechtsvereinheitlichung im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV zu qualifizieren ist. Der zur Genehmigung unterbreitete Bundesbeschluss unterliegt deshalb nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum.

33

BBl 1990 III 948 mit Hinweisen.

3586