03.062 Botschaft zum Vertrag zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 vom 19. September 2003

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu dem am 10. Februar 2003 unterzeichneten Vertrag zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und beantragen Ihnen, diesem Entwurf zuzustimmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

19. September 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-1132

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Übersicht Die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, zu der auch die Auslieferung zählt, ist für die Bekämpfung der Kriminalität auf nationaler und internationaler Ebene von immer grösserer Bedeutung. Was die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Frankreich im Bereich der Auslieferung anbelangt, sind die allgemeinen Grundsätze im Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 geregelt.

Mit dem zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik abgeschlossenen Vertrag über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 werden die Auslieferungsverfahren zwischen der Schweiz und Frankreich vereinfacht und beschleunigt. Sofern die betroffene Person der Übergabe zustimmt und der ersuchte Staat seine Genehmigung erteilt, kann das Auslieferungsverfahren verkürzt werden. Mit dem Vertrag soll die Anwendung des Übereinkommens vereinfacht werden. Ausserdem soll das Übereinkommen ergänzt werden, um jene Fälle angemessener abzudecken, in denen die Personen, nach denen zum Zwecke der Auslieferung gefahndet wird, der Übergabe zustimmen. Mit diesem Vertrag wird eine neue Form der Zusammenarbeit begründet, die in der Praxis eine entscheidende Rolle spielt. Der Vertrag erfordert keine Änderungen des geltenden innerstaatlichen Rechts, weil diese Form der Zusammenarbeit im schweizerischen Auslieferungsrecht bereits vorgesehen ist. Er ist weitgehend dem Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) nachgebildet. Er steht im Einklang mit der Politik des Bundesrates, die einen Ausbau der bestehenden Instrumente der Strafrechtszusammenarbeit innerhalb Europas verfolgt.

7090

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Auslieferungen zwischen der Schweiz und Frankreich beruhen auf dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; im Folgenden auch das Übereinkommen)1. Für Frankreich ist dieses Übereinkommen am 11. Mai 1986 in Kraft getreten, für die Schweiz gilt es im Verhältnis zu anderen Staaten seit dem 20. März 1967. Es handelt sich um ein Instrument, das die wichtigsten Grundsätze im Bereich der Auslieferung festlegt: den Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit2, den Ausschluss der Auslieferung bei politischen3, militärischen4 und fiskalischen5 strafbaren Handlungen, die Möglichkeit einer Ablehnung der Auslieferung von eigenen Staatsangehörigen6, den Ausschluss der Auslieferung bei einer Verjährung der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung7 und den Grundsatz der Spezialität8.

Das Übereinkommen sieht auch vor, dass die Vertragsparteien zusätzliche Vereinbarungen nur zur Ergänzung des Übereinkommens oder zur Erleichterung der Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze schliessen können9. Der Vertrag zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (im Folgenden der Vertrag), am 10. Februar 2003 unterzeichnet, erfüllt diese Bedingung. Durch den Abschluss von Zusatzverträgen mit den Nachbarländern zu den Übereinkommen des Europarats versucht die Schweiz, die negativen Auswirkungen ihrer Nichtzugehörigkeit zur Europäischen Union (EU) auszugleichen und zu verhindern, dass sich unser Land innerhalb von Europa zu einer Drehscheibe der Kriminalität entwickelt.

1.2

Verlauf der Verhandlungen

Der Vertrag wurde in zwei Verhandlungsrunden ausgearbeitet, die im Juni 2000 in Bern und im März 2001 in Paris stattfanden. Nach Abschluss der ersten Verhandlungsrunde hatten die beiden Delegationen einen Entwurf verabschiedet, der eine weiter gehende Regelung enthielt. Da die französische Verhandlungsdelegation diesen Entwurf infolge der Revision der französischen Gesetzgebung im Bereich der Auslieferung nicht bereinigen konnte, ersuchte sie um eine Aufteilung des Entwurfs

1 2 3 4 5 6 7 8 9

SR 0.353.1 Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens.

Art. 3 des Übereinkommens.

Art. 4 des Übereinkommens.

Art. 5 des Übereinkommens.

Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens.

Art. 10 des Übereinkommens.

Art. 14; siehe auch Art. 15 des Übereinkommens.

Art. 28 Abs. 2 des Übereinkommens.

7091

in zwei Instrumente. In einer ersten Phase sollte ausschliesslich ein Vertrag über das vereinfachte Auslieferungsverfahren abgeschlossen werden.

Ein Vertrag über die vereinfachte Auslieferung ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung. Während in der Schweiz das Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG)10 bereits heute eine Verkürzung des Auslieferungsverfahrens11 erlaubt, wenn die betroffene Person zustimmt, lässt die französische Gesetzgebung ein solches Vorgehen nicht zu. Beinahe die Hälfte der Auslieferungsfälle in der Schweiz ist davon betroffen. Unser Land hat daher ein Interesse daran, einen Vertrag zu schliessen, der ihm jene Möglichkeiten einräumt, die Frankreich bereits jetzt von der Schweiz in Anspruch nehmen kann. Damit könnte das Auslieferungsverfahren in Frankreich verkürzt werden, sofern die Zustimmung der betroffenen Person und die Genehmigung des ersuchten Staates vorliegen.

Die Aufteilung der Vertragsmaterie entspricht im Übrigen dem Vorgehen der Europäischen Union, die für die Regelung der Auslieferung zwei Instrumente vorgesehen hat: das Übereinkommen vom 27. September 199612 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und das Übereinkommen vom 10. März 199513 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Der Vertrag wurde am 10. Februar 2003 in Bern unterzeichnet.

2

Besonderer Teil

2.1

Erläuterung des Vertrags

Mit dem Vertrag wird beabsichtigt, die Strafrechtszusammenarbeit zwischen Frankreich und der Schweiz im Bereich der Auslieferung von Personen zum Zwecke der Strafverfolgung und Strafvollstreckung zu verbessern und zu beschleunigen. Er ist darauf ausgerichtet, die Anwendung des Übereinkommens zu erleichtern und die darin enthaltenen Bestimmungen zu ergänzen, um jene Fälle angemessener abzudecken, in denen die Personen, nach denen zum Zwecke der Auslieferung gefahndet wird, der Übergabe zustimmen. Wie in der Präambel festgehalten wird, ist es in solchen Situationen wünschenswert, die für das Auslieferungsverfahren notwendige Zeit14 und die Dauer der Auslieferungshaft auf ein Mindestmass zu verringern. Das Übereinkommen bleibt für alle Fragen anwendbar, die im Vertrag nicht geregelt werden. Als Beispiel lassen sich die Auslieferungsbedingungen anführen.

Unter der Voraussetzung, dass die betroffene Person ihrer Auslieferung zustimmt und die zuständige Behörde des ersuchten Staates die Auslieferung genehmigt, er10 11 12 13 14

Rechtshilfegesetz; SR 351.1.

Art. 54 IRSG.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (fortan ABl. EG) C 313 vom 23. Okt. 1996, S. 12 ff.

ABl. EG C 78 vom 30. März 1995, S. 2 ff.

Im innerstaatlichen Recht der Schweiz ist das Gebot der raschen Erledigung in Art. 17a IRSG festgehalten. Dieser Grundsatz gilt auch für den Bereich der Auslieferung: BGE 1A. 52/2001 E. 2b, S. 5 und E. 1 S. 4, der sich insbesondere auf das obiter dictum der raschen Behandlung von Ersuchen bezieht. Siehe dazu auch BGE 123 II 268 E. 1b/bb S. 272.

7092

möglicht der Vertrag eine beträchtliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens. Die Genehmigung der zuständigen Behörde hängt nicht allein von der Zustimmung der betroffenen Person ab. Die zuständige Behörde des ersuchten Staates kann somit frei über die Zweckmässigkeit der Auslieferung befinden. Dies geschieht unter Berücksichtigung des Inhalts des Ersuchens und allfälliger laufender Verfahren hinsichtlich der betroffenen Person im ersuchten Staat, durch welche die Durchführung der Auslieferung verzögert werden könnte. Wenn die zuständige Behörde des ersuchten Staates ihre Genehmigung erteilt15, erfolgt die Übergabe der Person ohne Vorlage eines Auslieferungsersuchens16 und demzufolge ohne formelles Auslieferungsverfahren17. In diesem Fall wird das vereinfachte Verfahren direkt zwischen den zuständigen Behörden des ersuchten und des ersuchenden Staates abgewickelt18.

Der Vertrag liefert somit einen flexiblen rechtlichen Rahmen. Die zuständige Behörde des ersuchten Staates prüft die Situation hinsichtlich Rechtmässigkeit und Zweckmässigkeit. Die vereinfachte Auslieferung hat dieselben Rechtswirkungen wie die Auslieferung und unterliegt denselben Einschränkungen. Der ersuchende Staat wird auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, wobei dies namentlich bezüglich des Grundsatzes der Spezialität gilt, der zur Anwendung gelangt, wenn die betroffene Person nicht darauf verzichtet19. Ausserdem verfolgt der Vertrag das Ziel, die Effizienz der Strafjustiz zu erhöhen. Solange eine Person, um deren Auslieferung ersucht wurde, nicht den Behörden des ersuchenden Staates übergeben wird, ist das Strafverfahren in diesem Staat blockiert oder wird zumindest verzögert. Eine solche Verzögerung ergibt sich, weil die betroffene Person das Recht hat, sich einer Auslieferung zu widersetzen, und sie steht im Einklang mit den Grundsätzen eines gerechten Strafverfahrens. Falls sich jedoch die betroffene Person ihrer Auslieferung nicht widersetzt, ist eine solche Verzögerung nicht zu rechtfertigen. Aus diesem Grund schafft der Vertrag den rechtlichen Rahmen, um in diesem Fall eine raschere Auslieferung zu ermöglichen. In einem solchen Fall gilt das Gebot der raschen Erledigung, da die betroffene Person das Recht auf eine Beurteilung ihres Falls innerhalb einer angemessenen Frist hat20.

Der Vertrag beruht weitgehend
auf dem Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In einigen Punkten besteht eine geringfügige Abweichung zum EU-Übereinkommen.

So wurde z.B. auf die Weiterlieferung an einen anderen Staat und auf die Durchlieferung verzichtet. Diese Bereiche werden Gegenstand zukünftiger Verhandlungen 15 16

17 18 19 20

Art. 5 Abs. 2 des Vertrags.

In Art. 2 Abs. 2 des Vertrags wird für diesen Fall die Anwendung von Art. 12 des Übereinkommens ausgeschlossen; dieser enthält Bestimmungen betreffend das Ersuchen und die dem Auslieferungsersuchen beizufügenden Unterlagen.

Art. 1 des Vertrags.

Art. 12 des Vertrags.

Art. 54 Abs. 3 IRSG in Verbindung mit Art. 21 der Verordnung über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfeverordnung, IRSV; SR 351.11).

Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101), obwohl diese Bestimmung nicht direkt auf das Auslieferungsverfahren anwendbar ist, weil es administrativer Natur ist: nicht veröffentlichter BGE 1A. 52/2001 E. 2b S. 5 und der zitierte Verweis in VPB 1997 97 919, sowie der Verweis auf Art. 29 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV, SR 101), der jeder Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen den Anspruch auf gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist gewährleistet.

7093

sein. Zudem übernimmt der Vertrag nur einen Anwendungsfall, der im EUÜbereinkommen in Bezug auf den Verzicht auf den Spezialitätsgrundsatz vorgesehen ist. Mit Ausnahme dieser Einzelpunkte weicht der Vertrag nicht vom EUÜbereinkommen ab.

Der Vertrag gelangt in zwei Situationen zur Anwendung: ­

Im ersten und häufigsten Fall wird ein Ersuchen um vorläufige Festnahme zum Zwecke der Auslieferung vorgelegt. Die betroffene Person stimmt der Auslieferung unmittelbar nach ihrer Festnahme (oder innerhalb von zehn Tagen nach der Festnahme) zu und es wird im ersuchten Staat nicht wegen einer anderen Strafsache nach ihr gefahndet bzw. sie hat in diesem Staat keine Strafe zu verbüssen21. Verbüsst die betroffene Person im ersuchten Staat eine Strafe wegen einer anderen Straftat, so gelangt der Vertrag ebenfalls zur Anwendung, doch die Übergabe wird aufgeschoben, bis alle anderen laufenden Verfahren im Zusammenhang mit der betroffenen Person abgeschlossen sind22.

­

Im zweiten Fall, der weniger häufig vorkommt, stimmt die betroffene Person ausserhalb der oben erwähnten Bedingungen23 ­ insbesondere nach Ablauf der in Artikel 7 Absatz 124 des Vertrags verankerten Frist von zehn Tagen ­ der Auslieferung zu. Diese Ausgangslage unterliegt den gleichen Anforderungen wie der erste Fall. Der einzige Unterschied besteht im Zeitpunkt, in dem die betroffene Person ihre Zustimmung erteilt.

2.2

Erläuterung der wichtigsten Vertragsbestimmungen

Art. 1

Übergabepflicht

Diese Bestimmung enthält das grundlegende Prinzip des Übereinkommens, d. h. die Verpflichtung zur Übergabe von Personen, nach denen zum Zwecke der Auslieferung gefahndet wird, sofern deren Zustimmung25 zum vereinfachten Auslieferungsverfahren und die Genehmigung des ersuchten Staates26 vorliegen.

21 22 23 24 25 26

Art. 2­10 des Vertrags.

Art. 19 Abs. 1 des Übereinkommens.

Die in den Art. 2­10 des Vertrags festgehaltenen Bedingungen.

Art. 11 des Vertrags.

Die Zustimmung der betroffenen Personen wird in Art. 5 Abs. 1 des Vertrags geregelt, mit Verweis auf die Art. 4 und 6.

Diese Genehmigung wird gemäss Art. 5 Abs. 2 des Vertrags entsprechend dem innerstaatlichen Verfahren des ersuchten Staats erteilt.

7094

Art. 2

Bedingungen der Übergabe

Ausgangspunkt des vereinfachten Verfahrens ist das Ersuchen um vorläufige Festnahme27 28.

Die Vorlage eines formellen Auslieferungsersuchens und der dazugehörigen Unterlagen29 ist im Rahmen des vereinfachten Auslieferungsverfahrens30 überflüssig.

Die Auslieferung erfolgt auf der Grundlage der Informationen, die im Ersuchen um vorläufige Festnahme enthalten sind31.

Die Übergabe der Person erfolgt spätestens zwanzig Tage nach Mitteilung des Auslieferungsentscheides32. Sie wird auf der Grundlage der Informationen vollzogen, die im Ersuchen um vorläufige Festnahme enthalten sind.

Art. 3

Zu übermittelnde Informationen

In Artikel 3 sind diejenigen Informationen aufgeführt, die bei einem vereinfachten Verfahren im Anschluss an ein Ersuchen um vorläufige Festnahme33 übermittelt werden müssen. Die Vorlage von Unterlagen, die im Rahmen eines formellen Ersuchens im Sinne des Übereinkommens erforderlich sind34, kann demnach im Rahmen des vereinfachten Verfahrens nicht verlangt werden.

Die übermittelten Informationen dienen dazu, die festgenommene Person über die Grundlage in Kenntnis zu setzen, auf der sie die Zustimmung zur Übergabe erteilen kann. Zum andern dienen sie der Unterrichtung der zuständigen Behörde des ersuchten Staates, indem dieser die Elemente vorgelegt werden, die für die Prüfung der Genehmigung der Auslieferung erforderlich sind.

Diese Informationen werden von der zuständigen Behörde des ersuchten Staates als ausreichend angesehen. Die Informationen enthalten alle erforderlichen Elemente für eine angemessene Prüfung der Genehmigung einer vereinfachten Auslieferung in Bezug auf die Person und die strafbare Handlung.

Art. 4

Unterrichtung der Person

Dieser Artikel verlangt von der zuständigen Behörde des ersuchten Staates, dass sie die Person, die zum Zwecke der Auslieferung festgenommen wurde, über das gegen 27

28

29 30 31 32 33 34

In Anwendung von Art. 47 Abs. 1 IRSG stellt die Festnahme der Person, um deren Auslieferung ersucht wird, die Regel dar, wenn nicht eine der in Art. 47 Abs. 1 Bst. a und b IRSG (der Verfolgte entzieht sich nicht der Auslieferung noch gefährdet er die Strafuntersuchung, oder der Verfolgte kann ohne Verzug nachweisen, dass er im Zeitpunkt der Tat nicht am Tatort war) oder in Art. 47 Abs. 2 IRSG (der Verfolgte ist nicht hafterstehungsfähig oder andere Gründe rechtfertigen andere Massnahmen) erwähnten Bedingungen gegeben ist: BGE 109 Ib 59 E. 2; BGE 111 Ib 149 f. E. 4.

Wie in Art. 16 des Übereinkommens vorgesehen. Die Rechtsprechung hat sich zu den formellen Anforderungen geäussert, die ein Ersuchen um vorläufige Festnahme erfüllen muss. Sie hat festgehalten, dass die in Art. 16 EAUe enthaltenen Anforderungen, die präziser als die in Art. 28 IRSG sind, Vorrang haben: BGE 111 Ib 319 E. 3.

Wie in Art. 12 des Übereinkommens vorgesehen.

Art. 2 Abs. 2 des Vertrags; BGE 124 II 589, E. b aa.

In Art. 3 des Vertrags werden die zu übermittelnden Informationen erläutert.

Art. 10 Abs. 1 des Vertrags; eine Ausnahme bilden die Fälle von höherer Gewalt, durch welche die Übergabe der Person gemäss Art. 10 Abs. 3 des Vertrags verhindert wird.

Wie in Art. 16 des Übereinkommens vorgesehen.

Art. 12 des Übereinkommens.

7095

sie gerichtete Ersuchen sowie über die ihr gebotene Möglichkeit unterrichtet, ihrer Übergabe an den ersuchenden Staat im vereinfachten Verfahren zuzustimmen. Die Unterrichtung erfolgt nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Staates. In der Schweiz ordnet das Bundesamt für Justiz (BJ) die Festnahme35 an und verlangt von der zuständigen kantonalen Behörde, dass sie die Person, nach der gefahndet wird36, bei der Festnahme insbesondere37 über den Inhalt des Ersuchens um Festnahme und die Tragweite des Grundsatzes der Spezialität sowie über die Möglichkeit unterrichtet, einem vereinfachten Auslieferungsverfahren zuzustimmen und auf den Grundsatz der Spezialität zu verzichten38.

Art. 5

Zustimmung und Genehmigung

Diese Bestimmung legt den Rahmen fest, in dem die Zustimmung und die Genehmigung, die nach Artikel 1 erforderlich sind, erteilt werden. Die Zustimmung der festgenommenen Person erfolgt nach den Bedingungen, die in den Bestimmungen hinsichtlich der Unterrichtung39 und der Entgegennahme der Zustimmung40 der betroffenen Person festgelegt sind.

Was die Genehmigung des ersuchten Staates anbelangt, so ist in der Schweiz das Bundesamt für Justiz die dafür zuständige Behörde. Es trifft seinen Entscheid, sobald die Person ihre Zustimmung erteilt hat41. Damit der Entscheid möglichst rasch getroffen werden kann, muss die entsprechende kantonale Behörde das BJ so bald wie möglich über die Zustimmung der betroffenen Person informieren.

Art. 6

Entgegennahme der Zustimmung

Diese Bestimmung erläutert, in welchem Umfang ein angemessener Schutz der Person gewährleistet wird, die der vereinfachten Auslieferung zustimmt. Die Regelung gilt auch für den Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität42.

Der Vertrag legt nicht fest, zu welchem Zeitpunkt die Zustimmung der betroffenen Person entgegengenommen werden muss. In der Schweiz wird das Verfahren mit der vorläufigen Festnahme der Person eröffnet. Demzufolge muss die Zustimmung von diesem Zeitpunkt an erteilt werden können, sofern die Person in Auslieferungshaft gesetzt wird43.

Im Sinne von Absatz 1 wird die Zustimmung ­ und gegebenenfalls der Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität ­ von der zuständigen Justizbehörde des ersuchten

35 36 37

38 39 40 41 42 43

Art. 47 IRSG.

Festnahme im Sinne von Art. 44 IRSG.

Die betroffene Person wird auch auf ihr Recht hingewiesen, Beschwerde zu erheben, einen Beistand ihrer Wahl zu bestellen oder sich amtlich verbeiständen zu lassen: Art. 52 Abs. 1 IRSG.

Art. 52 und 54 IRSG; Grundsatz der Spezialität: Art. 38 IRSG.

Art. 4 des Vertrags.

Art. 6 des Vertrags.

Die betroffene Person kann eine Bedenkfrist verlangen, um sich hinsichtlich der vereinfachten Auslieferung zu entscheiden.

Wie in Art. 8 des Vertrags festgehalten.

Dies ergibt sich aus Art. 4 des Vertrags, der die Unterrichtung der Person unmittelbar nach deren Festnahme verlangt, sowie aus Art. 7 des Vertrags bezüglich der Mitteilung der Zustimmung innerhalb von zehn Tagen nach der vorläufigen Festnahme.

7096

Staates entgegengenommen. In der Schweiz handelt es sich dabei je nach Kanton namentlich um einen Untersuchungsrichter oder um einen Staatsanwalt.

Der Vertrag gewährleistet folgende angemessene Massnahmen: ­

Vor der Zustimmung und gegebenenfalls vor dem Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität hat zum einen eine Unterrichtung der betroffenen Person über die damit verbundenen rechtlichen Auswirkungen zu erfolgen44.

­

Zum andern muss die betroffene Person ihre Zustimmung und ihren Verzicht freiwillig und in Kenntnis der rechtlichen Folgen erklären.

Die in Haft genommene Person kann in diesem Zusammenhang einen Rechtsbeistand beiziehen45.

Die Informationen zu den Auswirkungen der Zustimmung beziehen sich auf den Verzicht auf die Garantien des normalen Verfahrens, auf die Möglichkeit der betroffenen Person, ihre Zustimmung zu widerrufen, und auf den ihr dafür zur Verfügung stehenden Zeitrahmen46. Die vereinfachte Auslieferung wird vollstreckbar, wenn die betroffene Person die sofortige Auslieferung an den ersuchenden Staat ausdrücklich verlangt47. Die erteilte Zustimmung wird unwiderruflich48, sobald die zuständige Behörde die vereinfachte Auslieferung bewilligt hat49, d.h. ab dem Erlass des entsprechenden Entscheids und nicht erst ab der Mitteilung50. In der Praxis erfolgt die Mitteilung über die bewilligte Auslieferung auf dem Interpol-Kanal. In Absprache mit den betroffenen kantonalen Behörden ordnet das BJ die für den Auslieferungsvollzug notwendigen Massnahmen an51.

Das Verfahren für die Entgegennahme der Zustimmung ­ und gegebenenfalls des Verzichts auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität ­ muss eine spätere Überprüfung des freiwilligen und bewussten Charakters der Zustimmung ermöglichen.

Aus diesem Grund werden die Zustimmung und der oben erwähnte Verzicht in einem Protokoll festgehalten52. Die Modalitäten der Erstellung des Protokolls und dessen Form werden im innerstaatlichen Recht festgelegt. Was die vereinfachte Auslieferung anbelangt, so wird gemäss dem innerstaatlichen Recht der Schweiz53 im Protokoll insbesondere festgehalten, ob ein Rechtsbeistand oder ein Dolmetscher beigezogen wurde, welche Unterlagen und Vorschriften der Verfolgte eingesehen hat54, welche Erläuterungen ihm gegeben wurden und in welcher Sprache55, was er

44 45 46 47 48

49 50 51 52 53 54 55

Art. 4 des Vertrags.

Art. 6 Abs. 2 des Vertrags.

Gemäss Art. 6 IRSV werden diese Angaben in einem Protokoll festgehalten.

Art. 56 Abs. 1 Bst. a IRSG.

Falls jedoch die betroffene Person beim Bundesgericht Beschwerde einlegt (weil sie beispielsweise ihre Meinung geändert hat), wird das Verfahren vom Bundesgericht aufgeschoben (Art. 21 Abs. 4 Bst. a IRSG), bis dieses über die Beschwerde befunden hat.

Art. 54 Abs. 2 IRSG.

BGE 1A. 132/1989, E. S. 3, auch zit. in: Robert Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, Ziff. 199, S. 152 f.

Art. 57 Abs. 1 IRSG.

Art. 6 Abs. 3 des Vertrags.

Art. 18 Abs. 1 Bst. a­f IRSV.

Art. 52 Abs. 1 IRSG.

Art. 52 Abs. 1 IRSG.

7097

über seine persönlichen Verhältnisse ausgesagt hat56, ob er der vereinfachten Auslieferung zugestimmt hat57, dass er auf die Möglichkeit hingewiesen worden ist, auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität zu verzichten58, und dass er auf sein Recht hingewiesen worden ist, mit der Vertretung seines Heimatstaates zu verkehren59.

Art. 7

Mitteilung der Zustimmung

Dieser Artikel verlangt, dass der ersuchte Staat dem ersuchenden Staat unverzüglich die Zustimmung der vorläufig festgenommenen Person mitteilt. Damit soll das einwandfreie Funktionieren des vereinfachten Verfahrens gewährleistet werden. In der Praxis teilt das BJ als zuständige schweizerische Behörde Frankreich unverzüglich seinen Entscheid mit. Ausserdem gibt das BJ den französischen Behörden das Datum und den Ort der Übergabe bekannt60. Nach der Weiterleitung dieser Information kann der ersuchende Staat die Vorbereitung der für das Auslieferungsersuchen erforderlichen Unterlagen61 einstellen und stattdessen den Vertrag62 anwenden.

Um eine allfällige Vorlage eines formellen Auslieferungsersuchens63 innerhalb einer Frist von vierzig Tagen64 zu ermöglichen, legt Artikel 7 fest, dass der ersuchte Staat dem ersuchenden Staat spätestens zehn Tage nach der vorläufigen Festnahme mitzuteilen hat, ob die Person ihrer Auslieferung zugestimmt hat oder nicht. Der Zweck dieser Frist besteht nicht darin, eine spätere Zustimmung65 der Person zu verhindern. Es soll vielmehr vermieden werden, dass die Durchführung des Auslieferungsverfahrens durch die Ungewissheit der Zustimmung im Zusammenhang mit den im Übereinkommen vorgesehenen Fristen66 beeinträchtigt wird.

Ebenfalls im Hinblick auf eine rasche Abwicklung des Verfahrens ist in Absatz 2 vorgesehen, dass die Mitteilung unmittelbar zwischen den zuständigen Behörden ­ in der Schweiz das BJ ­ erfolgt, die spätestens beim Inkrafttreten des Vertrags bezeichnet werden67.

Art. 8

Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität

Dieser Artikel legt fest, dass der Grundsatz der Spezialität nicht gilt, wenn die Person, die ihrer Auslieferung zugestimmt hat, ausdrücklich und unmissverständlich 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

67

Art. 52 Abs. 2 IRSG.

Im Sinne von Art. 54 IRSG; Art. 6 IRSV.

Art. 38 Abs. 2 Bst. a IRSG.

Art. 16 IRSV.

Art. 57 Abs. 2 IRSG.

Wie in Art. 12 des Übereinkommens vorgeschrieben.

Art. 3 des Vertrags.

Art. 12 des Übereinkommens.

Im Sinne von Art. 16 des Übereinkommens.

Diese wird in Art. 11 des Vertrags geregelt.

In Art. 16 Abs. 4 des Übereinkommens ist festgelegt, dass die vorläufige Haft aufgehoben werden kann, wenn das Auslieferungsersuchen und die in Art. 12 dieses Übereinkommens erwähnten Unterlagen dem ersuchten Staat nicht innerhalb von 18 Tagen nach der Festnahme vorliegen. Die vorläufige Haft darf in keinem Fall 40 Tage vom Zeitpunkt der Festnahme an überschreiten. Die vorläufige Freilassung ist jedoch jederzeit möglich, sofern der ersuchte Staat alle Massnahmen trifft, die er zur Verhinderung einer Flucht des Verfolgten für notwendig hält.

Art. 12 des Vertrags.

7098

darauf verzichtet68. Dieser Grundsatz ist sowohl im Übereinkommen69 wie auch im innerstaatlichen Recht der Schweiz70 71 festgehalten. Mit dem Grundsatz der Spezialität im Bereich der Auslieferung hat sich die Rechtsprechung bereits ausführlich befasst72.

Art. 9

Mitteilung des Auslieferungsentscheids

Um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, legt diese Bestimmung fest, dass alle Mitteilungen im Zusammenhang mit dem vereinfachten Verfahren direkt zwischen den zuständigen Behörden73 zu erfolgen haben. Wie oben erläutert wurde, wird diese Aufgabe in der Schweiz vom Bundesamt für Justiz wahrgenommen. Diese Regelung hat den Zweck, dass alle Mitteilungen zwischen den direkt vom Verfahren betroffenen Behörden erfolgen und dass diese die Entscheide hinsichtlich der Anwendung des vereinfachten Verfahrens treffen, ohne dass weitere Verwaltungsbehörden miteinbezogen werden müssen.

Was die Mitteilung des Auslieferungsentscheids und die Informationen betreffend das vereinfachte Verfahren anbelangen, so wird eine Frist von höchstens zwanzig Tagen nach dem Zeitpunkt der Zustimmung der betroffenen Person festgelegt. Es ist jedoch wünschenswert, dass der positive oder negative Entscheid möglichst rasch74 nach der Zustimmung der betroffenen Person mitgeteilt wird. Dies gilt sowohl für den Fall, dass kein Hindernis für eine Auslieferung besteht, als auch für den Fall, dass ein solches vorliegt. Das BJ teilt dem ersuchenden Staat seinen Entscheid unverzüglich mit. Im Zusammenhang mit der Genehmigung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens wird auf die damit verbundenen Einschränkungen hingewiesen75.

Art. 10

Übergabefrist

Absatz 1 legt fest, dass die Übergabe der Person an den ersuchenden Staat spätestens zwanzig Tage nach dem Zeitpunkt zu erfolgen hat, zu dem der Auslieferungsentscheid mitgeteilt wurde. Natürlich kann der ersuchte Staat die Auslieferung unmittelbar nach dem Entscheid der zuständigen Behörde vornehmen, sofern die Übergabe in diesem Zeitpunkt76 möglich ist. In der Schweiz erfolgt die Auslieferung in den meisten Fällen am Tag nach dem Auslieferungsentscheid.

Absatz 2 sieht vor, dass die betroffene Person freigelassen wird, wenn sie nicht fristgerecht an den ersuchenden Staat ausgeliefert wird.

68 69 70 71 72 73 74 75 76

Erläuterungen in Art. 6 des Vertrags, insbesondere in Abs. 2.

Dieser Grundsatz ist in Art. 14 des Übereinkommens festgehalten, dessen Tragweite durch die Rechtsprechung spezifiziert wird: BGE 109 Ib 317 ff. E. 4, 13, 14 und 15.

Art. 38 Abs. 1 Bst. a IRSG.

Art. 38 Abs. 2 Bst. a IRSG.

Insbesondere zit. von Robert Zimmermann, Ziff. 490 f., S. 379 ff.

Diese werden gemäss Art. 12 des Vertrags bezeichnet (Behörde, die um die vorläufige Festnahme ersucht hat, und zuständige Behörde des ersuchten Staates).

Die Bestimmung hält dazu Folgendes fest: «...unverzüglich und spätestens innerhalb von zwanzig Tagen nach dem Zeitpunkt der Zustimmung der Person».

In Art. 21 IRSV wird auf die Bedingungen verwiesen, zu denen die verfolgte Person ausgeliefert wird. Diese Bedingungen sind in Art. 38 IRSG festgehalten.

Die Auslieferung kann beispielsweise nicht unverzüglich erfolgen, wenn die betroffene Person aus medizinischen Gründen (z.B. Herzanfall) nicht transportfähig ist.

7099

Im Falle höherer Gewalt, welche die Übergabe der Person innerhalb der vorgesehenen Frist verhindert, ist jedoch gemäss Absatz 3 eine Abweichung von der erwähnten Frist von zwanzig Tagen zulässig. Die mit einem solchen Fall konfrontierte zuständige Behörde des ersuchten Staates informiert die zuständige Behörde des ersuchenden Staates. Anschliessend wird zwischen diesen Behörden ein neuer Zeitpunkt für die Übergabe vereinbart. Falls die Person nicht innerhalb von zwanzig Tagen nach dem neu vereinbarten Zeitpunkt an den ersuchenden Staat ausgeliefert wird, wird sie freigelassen. Der Begriff «höhere Gewalt» muss in diesem Zusammenhang eng ausgelegt werden, entsprechend seiner Auslegung im internationalen Strafrecht. Es handelt sich um eine Situation, die nicht vorhersehbar war und die nicht verhindert werden konnte. Diesbezüglich lassen sich die folgenden Beispiele anführen: ein Verkehrsunfall und die Unmöglichkeit, ein anderes Transportmittel zu benutzen, oder eine schwere Erkrankung der auszuliefernden Person, welche eine dringende Einweisung in ein Spital erfordert. In solchen Fällen muss der neue Zeitpunkt für die Übergabe möglichst bald nach dem Datum angesetzt werden, an dem die ursprünglich vereinbarte Frist ablief.

Absatz 4 legt fest, dass die Auslieferung verschoben werden kann, wenn der ersuchte Staat nach dem Auslieferungsentscheid Tatsachen feststellt, welche die betroffene Person belasten und welche die Eröffnung eines Strafverfahrens durch seine eigenen Behörden rechtfertigen77. In einem solchen Fall sind die Bestimmungen des Übereinkommens anwendbar, wonach ein innerstaatliches Verfahren dem Auslieferungsverfahren vorgehen kann und die Übergabe der Person demzufolge aufgeschoben wird78. Eine Verschiebung kann auch im Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren angeordnet werden79. Der ersuchte Staat, der die Verschiebung der Übergabe anordnet, ist verpflichtet, die verfolgte Person nach Abschluss des von ihm durchgeführten Verfahrens auszuliefern80.

Art. 11

Zustimmung nach Ablauf der in Artikel 7 vorgesehenen Frist oder unter anderen Umständen

Die Artikel 3­10 des Vertrags regeln den Fall, da die betroffene Person im Anschluss an ihre vorläufige Festnahme ihrer Auslieferung zustimmt. Artikel 11 dagegen bestimmt das Vorgehen für den Fall, dass die betroffene Person ihre Zustimmung nicht unter den in den Artikeln 3­10 vorgesehenen Bedingungen erteilt, insbesondere nach Ablauf der Frist von zehn Tagen, die in Artikel 7 Absatz 1 festgelegt ist.

Was die Anwendung von Artikel 11 Absatz 1 des Vertrags anbelangt, so bestehen zwei mögliche Szenarien:

77

78 79

80

Unter solchen Umständen ist die Verschiebung des Auslieferungsentscheids auch im innerstaatlichen Recht vorgesehen: Art. 58 IRSG; BGE 124 II 590, E. 2b bb betreffend die Aufschiebung der Auslieferung einer Person, die in der Schweiz wegen anderer strafbarer Handlungen verfolgt wurde.

Art. 19 des Übereinkommens.

Wie beispielsweise bei einem Asylverfahren, in dem die Gewährung des Asyls der Auslieferung entgegenstünde: BGE 123 II 527, Urteilsdispositiv Ziff. 4; 122 II 380 f.

Urteilsdispositiv Ziff. 6, zit. von Robert Zimmermann, Ziff. 201, S. 154.

Robert Zimmermann, Ziff. 201, S. 154 und der erwähnte Verweis auf die Lehre.

7100

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Im ersten Fall erfolgt die Zustimmung der betroffenen Person zwischen dem Ablauf der Frist von zehn Tagen und dem Ablauf der im Übereinkommen81 vorgesehenen Frist von vierzig Tagen sowie vor der Vorlage eines formellen Auslieferungsersuchens82 durch den ersuchenden Staat. In diesem Fall sieht Artikel 11 Absatz 1 des Vertrags vor, dass der ersuchte Staat das vereinfachte Verfahren gemäss dem Vertrag durchführt. Liegt nach Ablauf der ersten Frist von zehn Tagen die Zustimmung der betroffenen Person noch nicht vor, so bereitet der ersuchende Staat das formelle Auslieferungsersuchen vor, ohne eine allfällige spätere Zustimmung der Person abzuwarten.

Auf diese Weise stellt der ersuchende Staat sicher, dass er dieses Ersuchen innerhalb der oben erwähnten Frist von höchstens vierzig Tagen einreichen kann.

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Im zweiten Fall erfolgt die Zustimmung der betroffenen Person zum vereinfachten Auslieferungsverfahren nach der Vorlage eines formellen Auslieferungsersuchens durch den ersuchenden Staat. Dabei spielt es keine Rolle, ob diesem Begehren ein Ersuchen um vorläufige Festnahme voranging oder nicht. In dieser Fallkonstellation hat die zuständige Behörde des ersuchten Staates die Möglichkeit, das vereinfachte Auslieferungsverfahren durchzuführen.

Absatz 2 deckt den Fall ab, dass die Zustimmung nach Eingang eines formellen Auslieferungsersuchens erteilt wurde und dass kein Ersuchen um vorläufige Festnahme gestellt wurde. Bei diesem Szenario hat der ersuchte Staat ebenfalls die Möglichkeit, das vereinfachte Verfahren anzuwenden.

Art. 12

Zuständige Behörden

Die beiden Vertragsstaaten müssen spätestens beim Inkrafttreten des Vertrags die Behörden bezeichnen, die für das im Vertrag geregelte Verfahren zuständig sind.

Das Bestreben nach einem raschen und effizienten Verfahren macht die Bezeichnung der zuständigen Behörden erforderlich. Damit kann die Zwischenschaltung von Verwaltungsbehörden vermieden werden, deren Einbezug für die sachgerechte und reibungslose Abwicklung des Verfahrens nicht erforderlich ist. Wie oben erläutert, fällt in der Schweiz die Anordnung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens in die Zuständigkeit des Bundesamtes für Justiz.

Art. 13

Konsequenzen der Kündigung des Übereinkommens

Artikel 13 regelt, wie sich eine Kündigung des Übereinkommens durch einen der beiden Staaten auswirkt. Nach dieser Bestimmung verliert der Vertrag im Fall einer Kündigung des Übereinkommens nicht automatisch die Wirksamkeit. Es versteht sich jedoch von selbst, dass eine vertiefte Zusammenarbeit mit Frankreich im Bereich der Auslieferungsverfahren keinen Sinn mehr hätte, wenn einer der beiden Staaten vom Übereinkommen zurückträte. Die Schweiz würde deshalb den Vertrag kündigen, falls sie oder Frankreich vom Übereinkommen zurücktreten sollte.

81 82

Art. 16 des Übereinkommens.

Art. 12 des Übereinkommens.

7101

Art. 14 und 15 Inkrafttreten und Kündigung Diese Bestimmungen entsprechen den klassischen Klauseln für das Inkrafttreten und die Kündigung.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

3.1.1

auf den Bund

Auf Bundesebene hat der Vertrag keine finanziellen Auswirkungen und keinen zusätzlichen Personalbedarf zur Folge. Mit der neuen Art der Zusammenarbeit werden im Gegenteil ein Zeitgewinn und eine höhere Effizienz angestrebt. Die Schweiz wendet das vereinfachte Auslieferungsverfahren derzeit bereits an, und Frankreich wird dies nach dem Inkrafttreten des Vertrags ebenfalls tun.

3.1.2

auf die Kantone und Gemeinden

Auf kantonaler Ebene hat der Vertrag weder zusätzliche Ausgaben noch einen erhöhten Personalbedarf zur Folge.

4

Legislaturplanung

Mit dem vorliegenden Vertrag wird das Ziel erreicht, die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen ­ insbesondere im Bereich der Auslieferungsverfahren ­ zu intensivieren, um die internationale Kriminalität wirksam zu bekämpfen, wie dies in der Legislaturplanung für die Jahre 1999­2003 vorgesehen ist83.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

In Europa wird die Auslieferung grundsätzlich durch das Europäische Auslieferungsübereinkommen, dem auch die Schweiz beigetreten ist, sowie durch bilaterale Verträge geregelt, die das Übereinkommen ergänzen. Der vorliegende Vertrag gehört zur letzteren Kategorie. Er ist auch mit dem europäischen Auslieferungsrecht vereinbar. Dies umso mehr, als er weitgehend dem Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nachgebildet ist.

83

BBl 2000 2331

7102

6

Verfassungsmässigkeit

Gemäss Artikel 54 Absatz 1 BV fallen die auswärtigen Angelegenheiten in die Zuständigkeit des Bundes. Konsequenz davon ist seine Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen mit ausländischen Staaten. Die Bundesversammlung ist aufgrund von Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig für die Genehmigung der Verträge.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterstehen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Der Vertrag zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über das vereinfachte Auslieferungsverfahren und über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens ist kündbar (vgl.

Art. 15) und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor.

Es bleibt die Frage, ob der Vertrag wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält oder ob seine Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Unter rechtsetzenden Bestimmungen sind gemäss Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes84 Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generellabstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Wichtige Bestimmungen sind solche, die im internen Recht im Lichte von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines formellen Gesetzes zu erlassen sind. Der vorliegende Vertrag führt zwischen den Vertragsparteien ein vereinfachtes Auslieferungsverfahren ein. Dadurch schafft er Pflichten für Individuen und weist den mit der Anwendung betrauten Behörden Zuständigkeiten zu. Der Vertrag enthält damit rechtsetzende Bestimmungen. Diese Bestimmungen sind zudem insofern als wichtig zu erachten, als, wenn sie auf nationaler Ebene erlassen würden, dies aufgrund von Artikel 164 Absatz 1 Buchstaben b und c BV in Form eines Gesetzes im formellen Sinn zu geschehen hätte. Aus diesen Überlegungen folgt, dass der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Vertrags über die vereinfachte Auslieferung aufgrund von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Staatsvertragsreferendum zu unterstellen ist.

84

Bundesgesetz über die Bundesversammlung (ParlG); SR 171.10

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