zu 01.426 Parlamentarische Initiative Revision Erwerbsersatzgesetz Ausweitung der Erwerbsersatzansprüche auf erwerbstätige Mütter (Triponez Pierre) Bericht vom 3. Oktober 2002 der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 6. November 2002

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, im Sinne von Artikel 21quater Absatz 4 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) unterbreiten wir Ihnen nachfolgend unsere Stellungnahme zum Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 3. Oktober 2002.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. November 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

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2002-2555

Stellungnahme 1

Einleitende Bemerkung

Die parlamentarische Initiative Triponez vom 20. Juni 2001, die vom Nationalrat am 29. November 2001 mit grosser Mehrheit (124 gegen 36 Stimmen) entgegengenommen worden ist, verlangt einerseits die Einführung einer Mutterschaftsentschädigung und andererseits die Erhöhung des Erwerbsersatzes für alle Dienstleistenden mit Ausnahme der Rekruten. In seiner Stellungnahme legt der Bundesrat das Gewicht auf das Hauptanliegen der Initiative, die Einführung der Mutterschaftsentschädigung.

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Stellungnahme zu den Grundzügen der Vorlage

2.1

Kontext der Initiative

Nach der Ablehnung der Mutterschaftsversicherung in der eidgenössischen Volksabstimmung vom 13. Juni 1999 wurden zahlreiche parlamentarische Vorstösse eingereicht, darunter auch etliche parlamentarische Initiativen, die alle auf eine Verbesserung des Mutterschaftsschutzes hinzielten. Dazu sollte in erster Linie ein eigenständiger, bezahlter Mutterschaftsurlaub von je nach Vorschlag zwischen 8 und 16 Wochen geschaffen werden. Für die Finanzierung des Erwerbsersatzes wurden verschiedene Modelle zur Diskussion gestellt. Während bei den einen mittels einer Revision des Obligationenrechts die Arbeitgebenden dafür aufzukommen hätten, sahen die andern die Errichtung einer Mutterschaftsversicherung oder die Schaffung eines Systems mit einer gemischten Finanzierung vor.

Am 15. Juni 2001 eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren über eine Revision des Obligationenrechts. Danach sollte für alle Arbeitnehmerinnen ein Anspruch auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub geschaffen werden. Es wurden zwei Modelle vorgeschlagen. Nach dem ersten Modell hätte der Anspruch 8 Wochen im ersten und zweiten Dienstjahr betragen, mit weiteren fortschreitenden Erhöhungen bis auf 14 Wochen ab dem achten Dienstjahr. Das zweite Modell sah einen generellen Anspruch von 12 Wochen vor. Während des Mutterschaftsurlaubs müsste der Arbeitgeber den vollen Lohn ausrichten. Dieser Lohnanspruch bestände unabhängig davon, ob die Arbeitnehmerin im gleichen Dienstjahr aus anderen Gründen (z.B.

Krankheit, Unfall oder Schwangerschaft) bereits an der Arbeit verhindert war. Die Arbeitgebenden dürften wegen des Mutterschaftsurlaubs auch die Ferien nicht kürzen. Bei beiden Varianten soll die Mutter einen Urlaub von insgesamt 14 Wochen beziehen können, und zwar unabhängig von der Dauer des Lohnanspruchs.

Eine grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer lehnte die bundesrätlichen Vorschläge ab und wünschte stattdessen, den Verdienstausfall während des Mutterschaftsurlaubes mit einer Leistung der sozialen Sicherheit ­ analog dem Erwerbersatz für Dienstleistende ­ zu entgelten. Damit strebten sie eine gleiche oder sehr ähnliche Lösung wie die inzwischen eingereichte parlamentarische Initiative Triponez an. Daraufhin beschloss der Bundesrat am 21. November 2001, diese Initiative ebenfalls zu unterstützen und die Vorlage für eine Revision des Obligationenrechts 1113

bis zum Entscheid des Nationalrates über die Initiative zurückzustellen, sofern das Parlament rasch eine entsprechende Vorlage ausarbeitete.

Bei der nun vorgeschlagenen Revision des Bundesgesetzes über die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz (EOG; SR 831.40), welche die Initiative Triponez umsetzt, wird den anlässlich des Vernehmlassungsverfahrens über eine OR-Änderung eingebrachten Vorschlägen Rechnung getragen. In diesem Sinne ist die Revisionsvorlage also die Antwort auf die Ergebnisse dieser Vernehmlassung. Von dieser Überlegung ausgehend kam die SGK-N zum Schluss, dass auf ein weiteres Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden könne. Der Bundesrat teilt diese Ansicht vollumfänglich.

2.2

Sozial- und familienpolitische Würdigung der Mutterschaftsentschädigung

Der Bundesrat teilt die Meinung der Kommission, dass es sich bei der Einführung eines echten und bezahlten Mutterschaftsurlaubs um einen längst fälligen Schritt zugunsten der Frauen handelt. Auch nach der Ablehnung der Mutterschaftsversicherung in der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999 hat er an seinem Ziel festgehalten, den Mutterschaftsschutz zu verbessern und mindestens für die lohnabhängigen Mütter einen bezahlten Urlaub nach der Geburt eines Kindes zu verwirklichen.

In diesem Sinne schlug er denn auch eine Revision des Obligationenrechts vor, weil er davon ausging, dass eine Versicherungslösung im damaligen Zeitpunkt kaum Erfolgschancen gehabt hätte.

Schon in seiner Botschaft zur Mutterschaftsversicherung vom 25. Juni 1997 (BBl 1997 IV 981) hat der Bundesrat auf die vorrangige Bedeutung der Mutterschaft für die Familie und für die ganze Gesellschaft hingewiesen. Der Schutz der Mutterschaft ist eine unverzichtbare Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft. Es geht dabei um die Verwirklichung von wichtigen familien-, sozial- und gleichstellungspolitischen Anliegen. Der Mutter soll eine Ruhepause nach der Niederkunft ermöglicht werden, damit sie sich erholen und möglichst unbelastet für das Neugeborene sorgen und ihre Beziehung zu ihm aufbauen kann. Nach der Geburt kann und darf die Mutter ihrer Erwerbsarbeit nicht nachgehen. Ein Arbeitsunterbruch ist nicht nur nötig, sondern auch vom Arbeitsgesetz vorgeschrieben (Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel; ArG; SR 822.11). Auch dieser Arbeitsunterbruch muss, ebenso wie ein solcher wegen eines Unfalls oder Militärdienstes, sozial abgesichert sein. Die wirtschaftlichen Folgen dürfen nicht ausschliesslich der Mutter und ihrer Familie auferlegt sein. Jeder Mutter sollte ­ unabhängig von ihren Dienstjahren und von branchenspezifischen Regelungen ­ ein gleicher und ausreichender, bezahlter Urlaub garantiert sein. Ein solcher stellt ein weiteres Element zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Berufsarbeit dar und ist deshalb auch gleichstellungspolitisch relevant.

Der bezahlte Mutterschaftsurlaub wird vom Bundesrat auch im Kontext einer koordinierten und umfassenden Familienpolitik als vordringlich angesehen. Sämtliche verschiedenartigen Instrumente der Familienpolitik sollen sich ergänzen und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Familien und der Chancen der Kinder beitragen.

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Die Familienzulagen, die in vielen Kantonen auch Geburtszulagen umfassen, und die steuerlichen Erleichterungen für Familien, gleichen die Familienlasten teilweise aus. Im Parlament steht gegenwärtig eine Kommissionsvorlage (Pa.Iv. 91.411, Leistungen für die Familie, Fankhauser) für ein Bundesgesetz über die Familienzulagen zur Diskussion. Der Bundesrat unterstützt die Bestrebungen, die Familienzulagen besser zu koordinieren.

Mit seinen Vorschlägen zur Steuerreform möchte er auch die Entlastung von Familien verstärken.

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Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit tragen, neben einer möglichst familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt, die Angebote für die ausserhäusliche Kinderbetreuung bei. Hier soll durch die zeitlich begrenzten Finanzhilfen des Bundes für familienergänzende Betreuungsplätze, welche auch der Bundesrat im Grundsatz befürwortet hatte, ein Impuls für die vermehrte Schaffung von entsprechenden Einrichtungen gegeben werden. Die Eidgenössischen Räte haben das entsprechende Bundesgesetz am 4. Oktober 2002 verabschiedet. Die vermehrte Erwerbstätigkeit beider Eltern bzw. von allein erziehenden Eltern vermindert auch das Armutsrisiko von Familien.

Wenn eine Familie nicht selber über die genügende wirtschaftliche Basis verfügt, so kann sie auf bedarfsabhängige Leistungen in den Kantonen zählen, sei es im Rahmen der Sozialhilfe, sei es im Rahmen von Sonderregelungen für Mütter oder Eltern mit ungenügendem Einkommen. Im Zusammenhang mit zwei vom Nationalrat überwiesenen parlamentarischen Initiativen (00.436, Fehr Jacqueline, und 00.437, Meier-Schatz Lukrezia) wird die Einführung von Ergänzungsleistungen für Eltern auch auf Bundesebene diskutiert.

Der vorliegende Entwurf zur Einführung eines bezahlten Mutterschaftsurlaubs geht ganz klar weniger weit als das 1999 verworfene Gesetz über eine Mutterschaftsversicherung. Man hätte gewiss auch eine grosszügigere Lösung in Betracht ziehen können, wie etwa die Einführung einer Entschädigung für 16 Wochen (wie dies eine Minderheit der SGK-N vorgeschlagen hat), die Garantie einer Minimalentschädigung oder auch eine höhere Obergrenze für die maximale Entschädigung. Ebenso hätte man erwägen können, die Mutterschaftsentschädigung auf die nicht erwerbstätigen Mütter auszudehnen oder ­ entsprechend dem Minderheitsvorschlag der SGK-N ­ eine Adoptionsentschädigung einzuführen. Der Bundesrat ist indessen überzeugt, dass eine grosszügigere als die von der Mehrheit der SGK-N vorgeschlagene Lösung das gleiche Schicksal wie das Mutterschaftsversicherungsgesetz erleiden könnte. Für den Bundesrat liegt heute, 57 Jahre nach der Schaffung der verfassungsmässigen Grundlage für den sozialversicherungsrechtlichen Mutterschaftsschutz, die erste Priorität darin, den Verfassungsauftrag endlich zu erfüllen.

Wie die Mehrheit der SGK-N ist auch er überzeugt, dass dies nur zum Preis einer eher bescheidenen, aber keinesfalls minimalistischen, Vorlage möglich ist, die nur einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub für erwerbstätige Frauen vorsieht mit einer Entschädigung, die bis zu einem Plafond 80 % des Lohnausfalls deckt, wie dies gleichermassen für die Dienstleistenden vorgesehen ist.

Die Einführung eines weitergehenden Schutzes soll von den Sozialpartnern ausgehandelt werden oder wird den Kantonen überlassen. Der Bundesrat begrüsst es daher besonders, dass die Revisionsvorlage ausdrücklich auf dieses Prinzip hinweist (Art. 16h der Revisionsvorlage zum EOG).

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2.3

Wirtschaftspolitische Würdigung der Mutterschaftsentschädigung

Die Einführung eines bezahlten 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs für alle erwerbstätigen Frauen verursacht für die Wirtschaft rund 100 Millionen Mehrausgaben.

Diese Mehrausgaben resultieren aus der Leistungsverbesserung für alle Frauen, die heute weniger als 14 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub haben. Dieser Zahl liegt zudem die Annahme zu Grunde, dass Betriebe, welche heute höhere als die von der Initiative Triponez geforderten Mutterschaftsleistungen ausrichten, diese vollumfänglich beibehalten (gesamtschweizerisch handelt es sich um ca. 71 Millionen Franken).

Wie im Bericht der SGK-N gesagt wird, vertritt auch der Bundesrat die Meinung, dass die Finanzierung dieser zusätzlichen Ausgaben für unsere Wirtschaft tragbar ist. Zudem ist der Bundesrat überzeugt, dass diese Massnahme auf längere Sicht das wirtschaftliche Wachstum nur begünstigt, indem sie nämlich dazu beiträgt, den Arbeitsmarkt für Frauen attraktiver zu gestalten.

Der Bundesrat unterstützt ohne Vorbehalte die im Bericht vorgeschlagene Finanzierungsweise, die sich auf das EO-System stützt (Erwerbsersatz für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz). Diese Lösung ist solidarischer und insgesamt vorteilhafter für die Arbeitgebenden, die gegenwärtig den Hauptteil der durch Mutterschaftsurlaube verursachten finanziellen Last tragen. Von der heutigen Totalsumme von rund 382 Millionen Franken tragen die Arbeitgebenden rund 353 Millionen Franken (0,13 % der Lohnsumme) und die Erwerbstätigen die restlichen 29 Millionen Franken. Mit der Finanzierungsweise, wie sie die Initiative Triponez vorschlägt, würde sich die Gesamtlast für die Arbeitgeber um 136 Millionen verringern und damit auf 0,08 % der Lohnsumme fallen. Dies deshalb, weil zum einen die Leistungen nicht mehr ausschliesslich durch die Arbeitgeber finanziert werden müssten. Zum andern fliessen die Mutterschaftsleistungen in dem Ausmass an die Arbeitgebenden zurück, als dass sie der versicherten Person trotz der Berechtigung auf Mutterschaftsleistungen Lohn bezahlen, wie dies heute bei den Entschädigungen für Dienstleistende der Armee der Fall ist.

Der Vorschlag der SGK-N betreffend die Finanzierung erlaubt zudem, die enormen Kostenunterschiede zwischen den Branchen, die viele Frauen und solchen, die vorwiegend Männer beschäftigen, aufzuheben. Er führt sogar zu einer
Korrektur von Wettbewerbsverzerrungen, welche heute zu Lasten von Betrieben gehen, die Frauen im gebärfähigen Alter beschäftigen.

Der Bundesrat nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass ein bezahlter Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen in der Anfangsphase nach dem Inkrafttreten der Änderung des EOG (vorgesehen auf 2004) mit keinerlei finanzieller Belastung für die Unternehmen verbunden wäre. Tatsächlich fände eine erste Erhöhung der EOBeiträge um 0,1 Prozent erst 4 Jahre später statt (vorgesehen im Jahr 2008).

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Die generelle Einführung eines bezahlten Mutterschaftsurlaubes wird Anforderungen an die Unternehmen stellen, vor allem natürlich an die kleinen, die sich entsprechend organisieren müssen, um die Nachteile im Zusammenhang mit den Abwesenheiten ihrer Angestellten aufzufangen. Der Bundesrat ist jedoch überzeugt, dass der Arbeitsmarkt und eine grössere interne Flexibilität bei der Verwaltung der Arbeitskräftereserven es jedem Betrieb erlauben werden, eine auf seine Bedürfnisse abgestimmte Lösung zu finden, die keine nachteiligen Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf hat.

Nach 2008 würden nicht zwangsläufig sämtliche Unternehmen von einer finanziellen Erleichterung gegenüber der heutigen Situation profitieren. Der Bundesrat teilt dennoch die Einschätzung der SGK-N. Diese beurteilt die äusserst bescheidenen Erhöhungen der EO-Beitragssätze zu Lasten der Arbeitgebenden (0,05 % im 2008 und 0,05 % im 2012) als durchaus erträglich für die Unternehmen, die heute mit den Kosten, welche die Mutterschaftsurlaube auf nationaler Ebene verursachen, gar nicht oder nur gering belastet werden.

Die übrigen Beitragszahlenden (Arbeitnehmende, Selbständigerwerbende, Nichterwerbstätige) werden ebenfalls eine entsprechend geringe Erhöhung ihrer Beiträge im Jahr 2008 und nochmals im 2012 erfahren. Der Bundesrat schätzt, dass die damit verbundenen geringfügigen Einkommensverminderungen den Lebensstandard nicht merklich beeinflussen werden; sie dürften weder das Konsumverhalten noch das Arbeitsangebot verändern.

2.4

Auswirkungen der Einführung einer Mutterschaftsentschädigung für Bund und Kantone

Wie der Bericht der SGK-N erwähnt, betrifft die Initiative den Bund und die Kantone hauptsächlich in ihrer Funktion als Arbeitgeber. Der Vergleich zwischen der aktuellen Belastung des Bundes (gemäss Bericht schätzungsweise 0,12 % der Lohnsumme) sowie der Kantone (schätzungsweise 0,34 %) und der künftigen Belastung (0,1 % für die Arbeitgebenden ab 2012 für einen Urlaub von 14 Wochen) zeigt, dass die Kantone von der neuen Finanzierung mehr profitieren würden als der Bund.

Der Bundesrat ist der Meinung, dass die durch den Bund als Arbeitgeber realisierten Einsparungen rechtfertigen, dessen gegenwärtige Regelungen zum Mutterschaftsurlaub beizubehalten. Der Bund als Arbeitgeber gewährt seinen Angestellten nämlich den vollen Lohn während des gesetzlich zugesicherten 4-monatigen Mutterschaftsurlaubs und wendet dafür (Stand 2001) rund 5 Millionen Franken pro Jahr auf. Bezogen auf den 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub im Sinne der Initiative Triponez fielen demnach etwa 4,4 Millionen Franken Lohnfortzahlungen an. Mit der Einführung einer Mutterschaftsentschädigung in der Höhe von 80 % während 14 Wochen könnte demnach die Bundesverwaltung Einsparungen in der Höhe von 3,5 Millionen Franken machen. Diese Einsparungen würden die bescheidenen Zusatzkosten, die ihr im Rahmen der Umsetzung dieser neuen Leistung der sozialen Sicherheit entstünden, bei Weitem ausgleichen (vgl. Ziff. 2.5).

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2.5

Vollzugsfragen

Organisatorisch und verfahrensmässig lehnt sich die Mutterschaftsentschädigung sehr stark an die bewährten Regelungen der Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in der Armee, Zivildienst und Zivilschutz an. Der Vollzug der Mutterschaftsentschädigung wird demnach denjenigen Organen anvertraut, die bereits die Erwerbsersatzordnung vollziehen, nämlich den AHV-Ausgleichskassen und den Arbeitgebenden. Damit sind nach Einschätzung des Bundesrates keine grösseren Probleme bei der technischen Umsetzung der Mutterschaftsentschädigung zu erwarten. Hingegen unterschätzt der Bundesrat ­ übereinstimmend mit der SGK-N ­ keineswegs die Mehrbelastung, welche die Einführung der Mutterschaftsentschädigung für die Ausgleichskassen zur Folge haben wird: Es werden insgesamt rund 50 0001 zusätzliche Dossiers pro Jahr behandelt werden müssen, deren Bewirtschaftung komplexer ist als diejenige der Dossiers von Dienstleistenden: So müssen etwa die Spezialregeln des Personenverkehrsabkommens mit der EU berücksichtigt werden, da die Mutterschaftsentschädigung, im Gegensatz zum Erwerbsersatz für Dienstleistende, in den Geltungsbereich dieses Abkommens fällt. Auch der Kontrollaufwand wird grösser sein (Abklärung der versicherungsmässigen Voraussetzungen, Kontrolle, ob die Erwerbstätigkeit nicht vor Ablauf der Höchstdauer des Entschädigungsanspruches aufgenommen wurde, etc.). Hinzu kommt, dass sich die Arbeitsbelastung auch mit dem Wirksamwerden der «Armee XXI» nicht reduziert, obwohl sich die Zahl der Angehörigen der Armee verringert. Diese Reduktion erfolgt nämlich nur über die Personalreserven, d.h. bei Angehörigen der Armee, die ihre Dienstpflicht schon erfüllt haben. Auch wenn der Bundesrat eine rasche Einführung der Mutterschaftsentschädigung anstrebt, scheint es wegen der zu erwartenden Arbeitsbelastung dennoch unerlässlich, den Durchführungsorganen genügend Vorbereitungszeit einzuräumen. Andererseits wird der Bundesrat dafür besorgt sein, mit den von ihm zu erlassenden Ausführungsbestimmungen zur Mutterschaftsentschädigung zu einem rationellenVollzug beizutragen. Aber auch die Arbeitgebenden werden durch administrative Mehrarbeiten belastet werden, da sie den Ausgleichskassen die nötigen Daten für die Berechnung der Entschädigung liefern müssen. Der Bundesrat teilt indessen die Meinung der SGK-N, dass es sich dabei um
eine geringe Zusatzbelastung handelt. Bei vielen Arbeitgebenden wird sie zudem weitgehend ausgeglichen, da sich ihre finanzielle Belastung verringert, weil die Lohnfortzahlung an Frauen im Mutterschaftsurlaub nicht mehr ausschliesslich zu ihren Lasten geht.

Das Gleiche gilt auch für die Bundesverwaltung. Die Einführung der Mutterschaftsentschädigung führt zu einer Verminderung der Lohnsumme, welche die bescheidene Zunahme der administrativen Aufgaben, die bei denjenigen Diensten anfällt, die mit den Ausgleichskassen zusammenarbeiten müssen, bei Weitem ausgleicht.

Dies gilt ebenso für die Kosten, welche für die maximal zwei zusätzlich zu schaffenden Stellen bei der Aufsichtsbehörde, dem Bundesamt für Sozialversicherung, verursacht werden.

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Im Jahr 2000 gab es in der Schweiz rund 78 000 Geburten. Die meisten Frauen übten zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes eine Erwerbstätigkeit aus. Eine für die Jahre 1991 bis 1999 gemachte Untersuchung zeigt, dass 62 % der Mütter nach der Geburt des ersten Kindes die Erwerbstätigkeit fortgesetzt haben. Nach der Geburt eines zweiten Kindes ist die Auswirkung auf die berufliche Tätigkeit der Mütter noch geringer.

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2.6

Vereinbarkeit der Mutterschaftsentschädigung mit dem internationalen und europäischen Recht

Wie die SGK-N zutreffend darauf hingewiesen hat, steht das Projekt für eine Mutterschaftsentschädigung insofern nicht ganz im Einklang mit Artikel 10 § 2 des von der Schweiz ratifizierten Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I), als dass kein Vormutterschaftsurlaub vorgesehen ist.

Schon in der Vergangenheit hat sich das Kontrollorgan des Paktes I über die fehlende Mutterschaftsversicherung in unserem Land beklagt und der Schweiz empfohlen, den schwangeren Frauen und Müttern nach der Niederkunft einen gleichwertigen Schutz auf der Ebene der sozialen Sicherheit zuzugestehen. Das EOG-Revisionsprojekt würde zweifelsohne als wichtiger Fortschritt erachtet. Trotzdem könnte das Kontrollorgan die Schweiz wegen der fehlenden Leistungen vor der Geburt des Kindes weiterhin rügen.

Trotz dieses Vorbehalts und aus den unter Ziffer 2.2 angeführten Gründen verzichtet der Bundesrat darauf, die Einführung eines Vormutterschaftsurlaubs vorzuschlagen.

Die Bestimmungen des Paktes I richten sich grundsätzlich nicht an Einzelpersonen, sondern an den Gesetzgeber. Das Bundesgericht hat schon verschiedentlich festgehalten, dass die Bestimmungen des Paktes im Prinzip keine subjektiven Rechte begründen, welche die Einzelnen gerichtlich durchsetzen könnten (BGE 122 I 101).

Gewisse Bestimmungen des Paktes I hat es jedoch als direkt anwendbar erklärt (selfexecuting). Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat das Bundesgericht keine Gelegenheit gehabt, sich zu Artikel 10 § 2 des Paktes I zu äussern. Es ist daher nicht möglich, im voraus ein Urteil über eine mögliche direkte oder indirekte Wirkung dieser Bestimmung zu fällen.

Betreffend die Europäische Sozialcharta des Europarates, deren Ratifizierung von einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 91.419 der sozialdemokratischen Fraktion) verlangt wird, muss nach Einschätzung des Kontrollorgans ein vorgeburtlicher Urlaub gewährt werden, damit die staatliche Gesetzgebung hinsichtlich der Anforderungen von Artikel 8 § 1 der Charta als genügend erachtet wird. Im Übrigen hat die Schweiz die europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit des Europarates und das Übereinkommen Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ratifiziert, ohne jedoch den Teil VIII anzuerkennen, welcher die Leistungen bei Mutterschaft betrifft. Nun würde die
Ratifizierung der entsprechenden Teile dieser beiden internationalen Instrumente wegen des Fehlens eines Vormutterschaftsurlaubs verhindert.

Wie der Bericht der SGK-N zutreffend darauf hinweist, stellen hingegen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU und das revidierte Abkommen mit der EFTA kein Hindernis für die ins Auge gefasste Mutterschaftsentschädigung dar, da die Vorlage weder nach Nationalität der Berechtigten unterscheidet noch die Auszahlung der Leistungen ins Ausland verwehrt.

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2.7

Vorschlag einer Erhöhung des Erwerbsersatzes für Dienstleistende

Nach der von der SGK-N ausgearbeiteten Änderungsvorlage des EOG beträgt die Grundentschädigung für dienstleistende Personen 80 % des massgebenden vordienstlichen Erwerbseinkommens. Der Bundesrat begrüsst diese Massnahme, stellt sie doch eine spürbare Verbesserung für die Betroffenen dar, ja sogar für die Arbeitgebenden, die den Lohn während des Militärdienstes weiterzahlen. Sie erlaubt zudem eine gewisse Vereinheitlichung der verschiedenen Lohnausfallentschädigungen des einen oder andern Zweigs der sozialen Sicherheit. In der Tat wendet die Unfallversicherung bereits diesen Taggeldansatz an, teilweise auch die Arbeitslosenversicherung, und die 4. IV-Revision sieht dessen Einführung für die Taggelder ebenfalls vor. Die Erhöhung der Grundentschädigung für die Dienstleistenden von 65 auf 80 Prozent des Erwerbseinkommens hat Mehrausgaben in der Höhe von 62 Millionen Franken zur Folge.

3

Stellungnahme zu den einzelnen Gesetzesbestimmungen

Aufgeführt werden nur diejenigen Bestimmungen, die inhaltlich zu Bemerkungen Anlass geben.

a. Ingress Nach den gesetzestechnischen Richtlinien der Bundeskanzlei sind die Zivilrechtsund die Strafrechtskompetenz (Art. 122 und 123 BV) im Ingress nicht zu erwähnen, ausser wenn sie im Erlass von besonderer Bedeutung sind, was hier nicht der Fall ist. Diese beiden Bestimmungen brauchen deshalb nicht mehr erwähnt zu werden, auch wenn dies bisher noch der Fall war (Bezug auf altBV Art. 64 und 64bis).

b. Art. 9 Abs. 2 (Entschädigung für Rekruten, die Anspruch auf Kinderzulagen haben) Gemäss der Gesetzesvorlage soll nur die Sachüberschrift von Artikel 9 geändert werden. Da jedoch die Grundentschädigung für alle übrigen Dienste neu in Artikel 10 geregelt werden soll und Artikel 11 nur noch den Berechnungsmodus enthält, muss in Artikel 9 Absatz 2 neu auf Artikel 10 verwiesen werden, damit Rekruten mit Anspruch auf Kinderzulagen gleich entschädigt werden wie andere Dienstleistende mit Kindern. Diese Bestimmung sollte also wie folgt lauten: «Die tägliche Grundentschädigung für Rekruten, die Anspruch auf Kinderzulagen haben, wird nach Artikel 10 bemessen.» c. Art. 16b Abs. 1 Dem Bericht der SGK-N ist zu entnehmen, dass die Mehrheit der Kommission den Ehefrauen, die ohne Barlohn im Betrieb ihres Ehegatten mitarbeiten, keinen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung einräumen will, eine Minderheit diesen Vorschlag jedoch ablehnt. Dies geht jedoch nicht genügend klar aus dem vorgeschlagenen Gesetzestext hervor und die Erläuterungen zum Mehrheitsantrag schaffen keine zusätzliche Klarheit. Gemäss Absatz 6 dieser Erläuterungen würde 1120

nämlich gerade auch Ehefrauen, die ohne Barlohn im Betrieb ihres Ehemannes mitarbeiten, ein Entschädigungsanspruch eingeräumt, was anscheinend auf einem Irrtum beruht.

Unseres Erachtens müsste daher der Mehrheitsantrag, den wir unterstützen, noch präzisiert werden. Ohne grössere sprachliche Korrektur müsste die Bestimmung folgendermassen formuliert werden: «Anspruchsberechtigt sind Frauen, die im Zeitpunkt der Niederkunft als Arbeitnehmerin, die nicht ohne Barlohn im Betrieb ihres Ehemannes mitarbeitet, oder als Selbständigerwerbende ...» Bei einer solchen Formulierung sind zwar die Ehefrauen, die ohne Barlohn im Betrieb ihres Ehegatten mitarbeiten, vom Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung ausgeschlossen, nicht jedoch Frauen, die zwar erwerbstätig sind, jedoch noch zu jung, um beitragspflichtig zu sein (s. Art. 3 AHVG).

d. Art. 16b Abs. 3 Aus der Formulierung dieser Bestimmung ist nicht klar ersichtlich, wie weit die Rechtssetzungsdelegation des Bundesrates gehen soll. Kann er alle Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die im Zeitpunkt der Niederkunft nicht als Arbeitnehmerin oder Selbständigerwerbende gelten, regeln oder nur die Fälle wo die betroffenen Frauen wegen Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit nicht mehr als Arbeitnehmerin oder Selbständigerwerbende gelten. Gemäss den Erläuterungen zu dieser Bestimmung bezieht sich die Rechtssetzungsdelegation an den Bundesrat auf die engere Interpretation dieser Bestimmung; eine weiter gefasste Interpretation wäre übrigens auch nicht zulässig.

Wir schlagen deshalb folgende Formulierung vor: «Der Bundesrat regelt die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit: a.

die Voraussetzungen von Absatz 1 Buchstabe a nicht erfüllen; oder

b.

im Zeitpunkt der Niederkunft nicht als Arbeitnehmerin oder Selbständigerwerbende gelten.»

Bei den Erläuterungen zu dieser Bestimmung fällt im Weiteren auf, dass der Bundesrat von den allgemeinen in Abs. 1 vorgesehenen Regeln bei Arbeitslosigkeit nur dann abweichen kann, wenn eine Frau im Zeitpunkt der Geburt auch tatsächlich Arbeitslosenentschädigung bezieht. Dies muss sicher der Regelfall sein. Ausnahmen müssten aber dann gemacht werden können, wenn eine Frau im Zeitpunkt der Niederkunft oder innerhalb der 14 Wochen danach die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenentschädigung erfüllt oder erfüllen würde oder wenn der Arbeitsunterbruch gesundheitsbedingt ist.

Damit soll sichergestellt werden, dass der Bundesrat auf Verordnungsstufe regeln kann, dass nicht nur für jene Frauen, die im Zeitpunkt der Niederkunft Arbeitslosenentschädigung und damit einen Erwerbsersatz beziehen, ein Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung besteht. Ein Anspruch soll auch dann bestehen, wenn ohne Bezug von Arbeitslosenentschädigung

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im Zeitpunkt der Niederkunft eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet ist, unabhängig davon, ob unmittelbar vor der Niederkunft Arbeitslosenentschädigung bezogen wird;

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unmittelbar vor oder unmittelbar nach der Niederkunft eine nach dem AVIG genügende Beitragszeit nachgewiesen wird oder ein Grund für die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit vorliegt.

Im Sinne einer konsequenten Leistungsabgrenzung und Koordination zwischen AVIG und EOG soll damit vermieden werden, dass sich Versicherte zur Wahrung ihrer Ansprüche auf Mutterschaftsentschädigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung anmelden müssen. Eine solche Anmeldung kann angesichts des starren Rahmenfristensystems in der Arbeitslosenversicherung zu einer massiven Beeinträchtigung ihrer Ansprüche im Falle einer späteren Arbeitslosigkeit führen. Zudem verlangt das Gebot der Gleichbehandlung eine solche Regelung, weil ansonsten die Kategorie der beitragsfrei versicherten Personen ungleich behandelt wird, je nachdem, ob im Zeitpunkt der Niederkunft ein Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gestellt worden ist oder nicht.

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Schlussfolgerungen

Die Vorlage der SGK-N bildet eine vollkommen angemessene Lösung, um die letzte grosse Lücke im schweizerischen System der sozialen Sicherheit zu schliessen, die durch das Fehlen einer Mutterschaftsentschädigung noch immer besteht. Sie bildet einen entscheidenden sozialpolitischen Fortschritt, dessen finanzielle Folgen sogar auf lange Sicht derart bescheiden sind, dass sie keine Auswirkungen auf die inländische Wirtschaft haben werden. Durch die Einführung einer Mutterschaftsentschädigung mit diesem Finanzierungsmodus wird aber auch die Solidarität gefördert, nämlich einerseits zwischen den Arbeitgebenden und den Arbeitnehmenden und andererseits zwischen den Unternehmen der verschiedenen Branchen.

Der Bundesrat weist abschliessend darauf hin, dass im Bereich des Erwerbsersatzes für Dienstleistende ein weitergehender Regelungsbedarf besteht. Nach Ansicht des Bundesrates sollten insbesondere die Rekrutenentschädigung erhöht und der Auszahlungsmodus für die Durchdiener geregelt werden. Um die vorliegende Vorlage nicht unnötig zu überladen, sieht der Bundesrat von einem Antrag auf Ergänzung der Vorlage ab. Er wird dem Parlament die Regelung dieser Punkte im Rahmen der Totalrevision der Zivilschutzgesetzgebung beantragen.

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