03.025 Botschaft betreffend das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 26. März 2003

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses zum Zweiten Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. März 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002­1579

3267

Übersicht Das Übereinkommen des Europarates vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen ist seit dem 12. Juni 1962 in Kraft (anwendbar für die Schweiz seit dem 20. März 1967). 1978 wurde das Übereinkommen durch ein erstes Zusatzprotokoll ergänzt, das die Rechtshilfe bei Fiskaldelikten ermöglicht. Die Schweiz hat dieses Zusatzabkommen neben Liechtenstein und acht anderen Staaten nicht ratifiziert.

Das Übereinkommen von 1959 vermag den modernen Formen der Kriminalität nicht mehr ganz zu genügen. Die Globalisierung der Märkte und die Entwicklung der Technologie wirken sich auch auf die internationale Kriminalität aus. Dies bedingt eine Anpassung der Rechtshilfeinstrumente an die neuen Verhältnisse. Damit die Staaten wirkungsvoll gegen die internationale Kriminalität vorgehen können, braucht es griffige Rechtshilfebestimmungen, die den neuen Anforderungen der Praxis gerecht werden.

Aus diesen Gründen hat der Europarat ein Zweites Zusatzprotokoll ausgearbeitet, das auch weitgehend die in der Zwischenzeit im EU-Raum geschaffenen Rechtshilfebestimmungen berücksichtigt, die im EU­Rechtshilfeübereinkommen vom 29. Mai 2000 und im Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 enthalten sind. Viele im Vergleich zum Übereinkommen von 1959 neuen Bestimmungen lehnen sich denn auch an diese beiden Abkommen an (z.B. die Einvernahme per Video- und Telefonkonferenz, die Informationsübermittlung ohne Ersuchen, die Rückgabe von Deliktsgut, die grenzüberschreitende Observation, die kontrollierte Lieferung, die verdeckte Ermittlung, die gemeinsamen Ermittlungsgruppen oder die strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortlichkeit bei Beamten).

Formell gliedert sich das Zweite Zusatzprotokoll in drei Kapitel. Das erste Kapitel enthält die Bestimmungen, welche einzelne Artikel des Übereinkommens von 1959 ersetzen oder ergänzen (Art. 1­6). Im zweiten Kapitel finden sich Bestimmungen, die neu sind (Art. 7­29). Das dritte Kapitel umfasst die üblichen Schlussbestimmungen (Art. 30­35). Materiell ändert das Zweite Zusatzprotokoll am Kerngehalt des Übereinkommens von 1959 nichts. Die Vorbehalte und Erklärungen behalten ihre Gültigkeit, sofern sie nicht zurückgezogen werden. Diese Klausel ermöglicht der Schweiz, die Rechtshilfe auch unter dem neuen Zusatzprotokoll an den Grundsatz der doppelten Strafbarkeit
und der Spezialität zu koppeln.

Die Schweiz hat das Zweite Zusatzprotokoll, an dessen Ausarbeitung sie aktiv mitgewirkt hat, am 15. Februar 2002 unterzeichnet. Damit wurde das neue Zusatzprotokoll bisher von 21 Staaten unterzeichnet. Es kann in Kraft gesetzt werden, sobald drei Ratifikationen vorliegen. Mit der Ratifikation dieses Instrumentes betritt die Schweiz kein Neuland, weil zahlreiche Regelungen in bilateralen Verträgen mit den Nachbarstaaten vereinbart wurden oder auf Bestimmungen im Rechtshilfegesetz vom 20. März 1981 (IRSG; SR 351.1) zurückgehen.

Zusammen mit den im EU-Raum geschaffenen Übereinkommen bildet das Zweite Zusatzprotokoll des Europarates eine fortschrittliche Grundlage für die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen in Europa.

3268

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen

Das Europäische Übereinkommen vom 20. April 19591 über die Rechtshilfe in Strafsachen (ETS Nr. 30, nachfolgend «Übereinkommen» genannt) ist das erste völkerrechtliche Instrument, das eine Kodifikation der Rechtshilferegeln darstellt, die sich im Laufe der Zeit auf Grund internationaler Übung herausgebildet hatten. Vor diesem Übereinkommen gab es vereinzelte Rechtshilferegeln in bilateralen Auslieferungsverträgen. Die Schweiz ist dem Übereinkommen am 20. Dezember 1966 beigetreten. Heute gehören dem Übereinkommen alle Mitgliedstaaten des Europarates (mit Ausnahme von Andorra, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina und San Marino) sowie Israel2 an.

Das Übereinkommen wurde 1978 durch ein erstes Zusatzprotokoll (ETS Nr. 99) ergänzt, das insbesondere eine Rechtshilfeverpflichtung bei Fiskaldelikten einführte.

Dieses erste Zusatzprotokoll hat die Schweiz unterzeichnet, aber nicht ratifiziert3.

Das Parlament hatte das Zusatzprotokoll 1985 mit dem Vorbehalt genehmigt, das Kapitel über die Rechtshilfe in Fiskalsachen werde nicht angenommen (NR 4.6.1984; SR 4.10.1985). In der Folge verzichtete der Bundesrat4 auf die Ratifikation, weil dieser Vorbehalt das Zusatzprotokoll praktisch seiner Substanz entleert und in der Praxis zu Anwendungsschwierigkeiten geführt hätte5.

1.1.2

Notwendigkeit eines Zweiten Zusatzprotokolls

Das Übereinkommen von 1959 vermag den modernen Formen der Kriminalität nicht mehr ganz zu genügen. Die Globalisierung der Märkte und die Entwicklung der Technologie wirken sich auch auf die internationale Kriminalität aus. Dies bedingt eine Anpassung der Rechtshilfeinstrumente an die neuen politischen, sozialen und kriminalistischen Verhältnisse. Damit die Staaten wirkungsvoll gegen die internationale Kriminalität vorgehen können, braucht es griffige Rechtshilfebestimmungen, die den neuen Anforderungen der Praxis gerecht werden.

Der Expertenausschuss im Europarat, der regelmässig die Anwendung der europäischen Strafrechtsinstrumente auf die Praxistauglichkeit überprüft (Comité d'experts 1 2 3

4 5

SR 0.351.1 Das Übereinkommen steht auch Nichtmitgliedstaaten des Europarates offen (Art. 28).

Neben der Schweiz haben neun Staaten das Zusatzprotokoll von 1978 nicht ratifiziert: Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Liechtenstein, Malta, San Marino und Serbien-Montenegro.

Siehe dazu Botschaft des Bundesrates zum ersten Zusatzprotokoll (BBl 1983 IV 121).

Die Schweiz hätte jede Rechtshilfe in Fiskalsachen (Steuerhinterziehung und Abgabebetrug) verweigern müssen, obwohl sie in der Praxis gestützt auf Art. 3 Abs. 3 IRSG bei Abgabebetrug Rechtshilfe gewährt.

3269

sur le fonctionnement des Conventions européennes dans le domaine pénal), kam Ende 1995 zum Schluss, dass für die Lösung der anstehenden Rechtshilfeprobleme ein Zweites Zusatzprotokoll zum Übereinkommen notwendig sei.

Bei der Erarbeitung des neuen Instrumentes berücksichtigte der Expertenausschuss die Entwicklungen in der Europäischen Union, die parallel zum Europarat ein Rechtshilfeübereinkommen für die EU-Staaten vorbereitete. Im Frühjahr 2001 lag ein Textentwurf vor, an dem die Schweiz aktiv mitgearbeitet hatte. Der Lenkungsausschuss für Strafrechtsfragen (Comité Directeur pour les Problèmes Criminels) genehmigte den Entwurf des Zweiten Zusatzprotokolls im Juni 2001 mit zwei Änderungen: Es wurde neu eine Bestimmung über den Zeugenschutz eingeführt, und die Datenschutzregelung wurde mit einer Vorbehaltsmöglichkeit ergänzt.

Am 19. September 2001 verabschiedete das Ministerkomitee das Zweite Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (ETS Nr. 182, nachfolgend «Zweites Zusatzprotokoll» genannt) und legte es zur Unterzeichnung auf.

In vielen Punkten lehnt sich das Zweite Zusatzprotokoll an Regelungen an, die im EU-Rechtshilfeübereinkommen vom 29. Mai 20006 (nachfolgend «EU-Übereinkommen») und im Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 19907 enthalten sind. Einige dieser Regelungen finden sich auch in bilateralen Verträgen, welche die Schweiz mit den Nachbarstaaten auf den Gebieten der Rechtshilfe in Strafsachen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit abgeschlossen hat8.

1.2

Stand der Unterzeichnungen und Ratifikationen

Das Zweite Zusatzprotokoll wurde am 8. November 2001 für die Staaten, die dem Übereinkommen beigetreten sind oder es unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung aufgelegt. Einundzwanzig Staaten haben das Instrument bisher unterzeichnet9; zwei Staaten (Albanien und Dänemark) haben es ratifiziert.

Das Zweite Zusatzprotokoll tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der dritten Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt (Art. 30 Abs. 2).

6

7

8 9

Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften [ABl.] C 197 vom 12.7.2000, S. 3).

Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19).

Siehe dazu Ziff. 2.2 Albanien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Irland, Island, Malta, Mazedonien, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Ukraine, Zypern und Schweiz (Stand 31. März 2003).

3270

2

Besonderer Teil

2.1

Genereller Kommentar zum Zweiten Zusatzprotokoll

Das Zweite Zusatzprotokoll will die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen verbessern. Zu diesem Zweck enthält das Zweite Zusatzprotokoll Bestimmungen, welche die geltende Regelung im Übereinkommen ergänzen. Andere Bestimmungen dienen der Vereinfachung und Straffung des Rechtshilfeverfahrens. Das Zweite Zusatzprotokoll ändert am Kerngehalt des Übereinkommens nichts. Es ergänzt das Übereinkommen (und das erste Zusatzprotokoll von 1978) mit dem Zweck, die Anwendung dieser beiden Instrumente zu erleichtern. Das Zweite Zusatzprotokoll schafft insbesondere keine Rechtshilfeverpflichtung für Fiskaldelikte.

Das Zweite Zusatzprotokoll gliedert sich in drei Kapitel. Das erste Kapitel enthält die Bestimmungen, welche einzelne Artikel des Übereinkommens ersetzen oder ergänzen (Art. 1­6). Im zweiten Kapitel finden sich die Bestimmungen, die im Verhältnis zum Übereinkommen neu sind (Art. 7­29). Das dritte Kapitel umfasst die Schlussbestimmungen (Art. 30­35).

Eine wesentliche Neuerung im ersten Kapitel ist die in Artikel 1 Absatz 3 vorgesehene Ausdehnung der Rechtshilfe auf Zuwiderhandlungen, die durch Verwaltungsbehörden geahndet werden können. Zahlreiche Bestimmungen im zweiten Kapitel, die teilweise auf Anregung der Schweiz aufgenommen wurden, sind dem EU-Übereinkommen vom 29. Mai 2000 und dem Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 nachgebildet. Einige Bestimmungen wurden wörtlich übernommen. Dies gilt insbesondere für die Einvernahme per Video- und Telefonkonferenz, die Informationsübermittlung ohne Ersuchen, die Rückgabe des Deliktsguts, die zeitweilige Überstellung inhaftierter Personen in die ersuchte Vertragspartei (Art. 9-13) sowie die grenzüberschreitende Observation, die kontrollierte Lieferung, die verdeckte Ermittlung, die gemeinsamen Ermittlungsgruppen sowie die strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortlichkeit bei Beamten (Art. 17-22).

Diese Bestimmungen stellen für die Schweiz kein Neuland dar, da sie bereits in bilateralen Verträgen mit den Nachbarstaaten auf den Gebieten der Rechtshilfe in Strafsachen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit Eingang gefunden haben10 oder auf Regelungen im Rechtshilfegesetz (IRSG)11 zurückgehen, die von der Schweiz bereits angewendet werden12.

Bei fünf Artikeln sind Vorbehalte
möglich (Art. 33 Abs. 2). Sie beschränken sich auf die Bestimmungen über die postalische Zustellung von Verfahrensurkunden (Art. 16), die grenzüberschreitende Observation (Art. 17), die kontrollierte Lieferung (Art. 18), die verdeckte Ermittlung (Art. 19) und die gemeinsamen Ermittlungsgruppen (Art. 20)13.

Von Bedeutung ist zudem, dass die Vorbehalte und Erklärungen zum Übereinkommen weiterhin Gültigkeit haben, ausser ein Staat verzichtet ausdrücklich darauf 10 11 12

13

Siehe dazu Ziff. 2.2 SR 351.1 Dazu gehören die Artikel über den Informationsaustausch ohne Ersuchen (Art. 11), die Rückgabe von Deliktsgut (Art. 12), die postalische Zustellung von Verfahrensurkunden (Art. 16) und die vorläufigen Massnahmen (Art. 24).

Siehe dazu Ziff. 2.3.2

3271

(Art. 33 Abs. 1). Diese Klausel ermöglicht der Schweiz, ihre Rechtshilfepolitik beizubehalten. Sie kann die Rechtshilfeleistung auch unter dem Zweiten Zusatzprotokoll an den Grundsatz der doppelten Strafbarkeit und der Spezialität knüpfen.

2.2

Kommentar zu den einzelnen Bestimmungen des Zweiten Zusatzprotokolls

Im Folgenden werden nur die wichtigsten Bestimmungen eingehend kommentiert.

2.2.1

Kapitel I

Art. 1

Geltungsbereich

Diese Bestimmung ergänzt Artikel 1 des Übereinkommens in dreifacher Hinsicht.

In Absatz 1 wird der Satzteil «... und innerhalb kürzester Frist ...» eingefügt. Dieser Zusatz untermauert den wichtigen und dringenden Charakter der internationalen Rechtshilfe. Er verpflichtet den ersuchten Staat, Rechtshilfeersuchen ­ analog zu Artikel 17a IRSG ­ beförderlich zu erledigen. Aus dieser Bestimmung kann indessen keine Verpflichtung abgeleitet werden, dass der ersuchte Staat das Rechtshilfeersuchen innerhalb einer vom ersuchenden Staat vorgegebenen Frist erledigen muss.

Absatz 3 dehnt den Geltungsbereich des Übereinkommens ­ es ist auf hängige Strafverfahren vor einer Justizbehörde beschränkt ­ auf strafbare Handlungen aus, die von einer Verwaltungsbehörde untersucht werden. Die Bestimmung will alle Verfahren wegen strafbarer Handlungen abdecken, unabhängig davon, ob sie einen Straftatbestand oder einen Übertretungstatbestand zum Gegenstand haben. Die Formulierung, die sich an Artikel 49 Buchstabe a des Schengener Durchführungsübereinkommens anlehnt, trägt dem Umstand Rechnung, dass dieselbe strafbare Handlung in einzelnen Staaten von einer Strafbehörde und in anderen Staaten von einer Verwaltungsbehörde geahndet werden kann (z.B. Strassenverkehrsübertretungen).

Die geltende Regelung führte in der Praxis zu unbefriedigenden Lösungen, weil gewisse Staaten unter dem Übereinkommen beispielsweise für Strassenverkehrsdelikte Rechtshilfe gewährten und andere Staaten eine Zusammenarbeit mit dem Argument ablehnten, es handle sich um kein Strafverfahren vor Justizbehörden. Bei Wirtschaftsdelikten hat sich gezeigt, dass häufig spezialisierte Verwaltungsbehörden an Stelle der klassischen Ermittlungsbehörden die Voruntersuchungen führen.

Mit dem neuen Absatz 3, der als Kann-Vorschrift formuliert ist, erhalten die Verwaltungsbehörden, die eine strafbare Handlung verfolgen, künftig die Möglichkeit, einen anderen Staat um Rechtshilfe zu ersuchen. Es ist dabei unerheblich, ob das Verfahren in der ersten Phase in die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde oder einer Strafverfolgungsbehörde fällt. Ausschlaggebend ist, dass in einer späteren Phase ein Strafgericht angerufen werden kann, wobei dieses Gericht nicht ausschliesslich in Strafsachen zuständig sein muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit einer Verwaltungsbehörde gegeben, wenn sie strafbare Handlungen ermitteln und nach Abschluss der

3272

Untersuchung die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens beantragen kann, das zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen kann14.

Die Ausdehnung der Rechtshilfe auf Verwaltungsbehörden lässt keine allgemeine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit Steuerbehörden entstehen, z.B. bei Steuerhinterziehungsverfahren. Die Verweigerungsgründe in Artikel 2 des Übereinkommens bleiben bestehen. Demnach kann die Rechtshilfe auch unter dem Zweiten Zusatzprotokoll bei fiskalisch strafbaren Handlungen abgelehnt werden (Art. 2 Bst. a des Übereinkommens). Die Schweiz kann somit die Rechtshilfe weiterhin verweigern, wenn dem Rechtshilfeersuchen ein reiner Steuerhinterziehungstatbestand zu Grunde liegt. Die Rechtshilfe ist hingegen bei Abgabebetrug nach Artikel 3 Absatz 3 IRSG möglich.

Ein weiteres Argument, das gegen eine Rechtshilfeverpflichtung der Schweiz gegenüber ausländischen Steuerbehörden spricht, liegt im Spezialitätsvorbehalt der Schweiz: Der ersuchende Staat darf die auf dem Rechtshilfeweg erhaltenen Informationen und Beweismittel ohne vorgängige Zustimmung der Schweiz nur zur Verfolgung eines rechtshilfefähigen Delikts verwenden15. Dieser Vorbehalt schliesst eine Verwendung der Vollzugsakten aus der Schweiz zu fiskalischen Zwecken aus.

Die Bestimmung hat auf den Grundsatz der doppelten Strafbarkeit keinen Einfluss.

Aus der Bestimmung kann insbesondere nicht abgeleitet werden, dass einer Verwaltungsbehörde Rechtshilfe gewährt werden muss, die prozessualen Zwang erfordert (z.B. Aufhebung des Bankgeheimnisses). Ob einer Verwaltungsbehörde, die unter den Geltungsbereich des Zweiten Zusatzprotokolls fällt, im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens rechtlich geschützte Informationen herausgegeben werden dürfen, bestimmt sich nach Artikel 5 des Übereinkommens. Die Schweiz ordnet Zwangsmassnahmen nur an, wenn die dem Ersuchen zu Grunde liegende Handlung in beiden Staaten strafbar ist, d.h. eine gemeinrechtliche Strafnorm verletzt. Fehlt die beidseitige Strafbarkeit, so sind Zwangsmassnahmen auch unter dem Zweiten Zusatzprotokoll nicht möglich16.

Für die Schweiz ist die Regelung in Absatz 3 nicht neu. Sie findet sich in den Zusatzverträgen mit den Nachbarstaaten17 zum Übereinkommen und entspricht der Philosophie von Artikel 1 Absatz 3 IRSG.

Absatz 4 erweitert den Anwendungsbereich des Übereinkommens auf Strafverfahren
gegen juristische Personen. Die Tatsache, dass nach dem Recht des ersuchten Staates eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen im Rahmen des Verwaltungs- oder Strafrechts nicht vorgesehen ist, darf nicht mehr als alleinige Begründung für die Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens geltend gemacht werden.

Für die Schweiz bietet diese Bestimmung insofern keine besondere Schwierigkeit, als der Bundesrat dem Parlament im Rahmen der Revision des Allgemeinen Teils 14

15 16 17

BGE vom 28. April 1997 1A.361/1966 (Rechtshilfe an die italienische Börsenaufsichtsbehörde); BGE 121 II 153 und BGE 118 Ib 457 (Rechtshilfe an die französische Börsenaufsichtsbehörde).

Erklärung der Schweiz zu Art. 2 Bst. b und c des Übereinkommens (SR 0.351.1).

Erklärung der Schweiz zu Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens (SR 0.351.1).

Vgl. Art. I Bst. a des Zusatzvertrags mit Deutschland vom 13. Nov. 1969 (SR 0.351.913.61), Art. I des Zusatzvertrags mit Österreich vom 13. Juni 1972 (SR 0.351.916.32), Art. I Abs. 1 des Zusatzvertrags mit Frankreich vom 28. Okt. 1996 (SR 0.351.934.92), Art. II Abs. 1 des Zusatzvertrags mit Italien vom 10. Sept. 1998 (BBl 1999 1585).

3273

des Strafgesetzbuches eine neue Strafnorm zur Unternehmenshaftung unterbreitet hat (Art. 102 E-StGB). Nach dem Entwurf des Bundesrates macht sich ein Unternehmen strafbar, wenn durch den Betrieb dieses Unternehmens eine Straftat verübt wird und der eigentliche Täter nicht ermittelt werden kann, weil die Organisation des Unternehmens mangelhaft ist18. Das Parlament hat den bundesrätlichen Vorschlag dahingehend geändert, dass in bestimmten Fällen eine primäre Verantwortlichkeit des Unternehmens besteht19. Im Übrigen konnte die Schweiz bis anhin in solchen Fällen gestützt auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Organe eines Unternehmens Rechtshilfe gewähren.

Damit Artikel 1 in der Praxis greift, sind die Staaten eingeladen, eine Liste der Justiz- und Verwaltungsbehörden zu erstellen, welche die oben beschriebenen Kriterien des Zweiten Zusatzprotokolls erfüllen. Wir verweisen dazu auf die Artikel 6 und 27.

Art. 2

Anwesenheit von Behörden der ersuchenden Vertragspartei

Artikel 2 sieht vor, dass am ausländischen Verfahren beteiligte Personen bei der Ausführung des Rechtshilfeersuchens teilnehmen können, wenn der ersuchende Staat die Anwesenheit dieser Personen im Interesse des Verfahrens verlangt. Dieser Zusatz, mit dem Artikel 4 des Übereinkommens ergänzt wird, dient dazu, den Vollzug eines Rechtshilfeersuchens zu erleichtern und Ergänzungsersuchen so weit wie möglich zu verhindern. Eine analoge Bestimmung findet sich in Artikel 65a IRSG.

Es versteht sich, dass die Teilnahme der am ausländischen Prozess beteiligten Personen nicht dazu führen darf, dass diese Personen während des Vollzugs des Rechtshilfeersuchens vorzeitig Zugriff auf Tatsachen aus dem Geheimbereich erhalten. Die zuständige schweizerische Rechtshilfebehörde muss die nötigen Vorkehrungen treffen, damit in dieser Phase des Verfahrens keine Informationen aus dem Geheimbereich herausgeben werden20. Der Entscheid über die Anwesenheit ausländischer Behörden hat in Form einer anfechtbaren Zwischenverfügung zu erfolgen21.

Art. 3

Zeitweilige Überstellung in Haft gehaltener Personen in das Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei

Diese Bestimmung ersetzt Artikel 11 des Übereinkommens, der in der Praxis zu Anwendungsproblemen führte. Nach dem geltenden Wortlaut von Artikel 11 (des Übereinkommens) können Personen, die im ersuchten Staat inhaftiert sind, dem ersuchenden Staat nur in zwei Fallkonstellationen zugeführt werden: Der ersuchende Staat benötigt die Person entweder als Zeuge oder zur Gegenüberstellung in einem Strafverfahren. Es zeigte sich, dass dieser Anwendungsbereich zu eng ist. Die Bestimmung deckt insbesondere den Fall nicht ab, dass die inhaftierte Person im er18

19

20 21

Botschaft des Bundesrates vom 21. Sept. 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, Ziff. 217 (BBl 1999 2136 ff.).

Der Ständerat hat am 19. Sept. 2001 alle Differenzen zu Art. 102 E-StGB bereinigt (AB 2001 S 514 ff.). Das Parlament hat die neue Strafbestimmung in der Schlussabstimmung vom 13.12.2002 verabschiedet (BBl 2002 8280).

Art. 65a Abs. 3 IRSG; Botschaft des Bundesrates vom 29. März 1995 betreffend die Änderung des Rechtshilfegesetzes, Ziff. 241 (BBl 1995 III 22).

BGE vom 23. Juni 2000 1A.157/2000.

3274

suchenden Staat erscheinen muss, um sich dort für Taten zu verantworten, für die sie strafrechtlich verfolgt wird. Wird dieser Person die Anwesenheit im ersuchenden Staat nicht ermöglicht, so hemmt dies unter Umständen das Strafverfahren, weil die Person beispielsweise zu den Anklagepunkten nicht angehört werden kann. Aus diesem Grund drängte sich eine Bestimmung auf, die weiter gefasst ist als der geltende Text.

Die in Absatz 1 vorgesehene Formulierung «zu Ermittlungszwecken» trägt diesem Bedürfnis der Praxis Rechnung. Um Abgrenzungsschwierigkeiten mit der Auslieferung zu vermeiden, wird die Zuführung inhaftierter Personen zwecks Aburteilung ausdrücklich ausgeschlossen. Die Auslieferung, die eine Übergabe der Person im Hinblick auf einen Strafentscheid oder die Vollstreckung einer Strafe bezweckt, wird von der Bestimmung nicht abgedeckt. Die Zuführung inhaftierter Personen nach Artikel 3 beschränkt sich auf die Verfahrensphase vor dem Urteil22.

Die Bestimmung ist sowohl auf Staatsangehörige wie auch auf Nicht-Staatsangehörige der Vertragsparteien anwendbar. Aus diesem Grund darf der ersuchende Staat, dem eine Person zugeführt wird, die Bürgerin dieses Staates ist, die Rückführung in den ersuchten Staat nicht wegen der Staatsangehörigkeit der Person verweigern. Hat eine Person ihrer Zuführung in den ersuchenden Staat zugestimmt, so gilt das auch für die Rückführung in den ersuchten Staat.

Art. 4

Übermittlungswege

Die neu formulierte Bestimmung über die Übermittlungswege enthält im Verhältnis zur geltenden Regelung zwei Ergänzungen in Bezug auf den Geschäftsweg und die Form der Übermittlung.

Nach Absatz 1 können künftig Rechtshilfeersuchen direkt der zuständigen Justizbehörde im ersuchten Staat geschickt und auf demselben Weg zurückgeleitet werden.

Die Ersuchen müssen nicht mehr über die Justizministerien übermittelt werden. Der Geschäftsweg über die Justizministerien bleibt jedoch weiterhin offen. Die Möglichkeit des direkten Verkehrs besteht auch für die Rechtshilfeersuchen der Verwaltungsbehörden nach Artikel 1 Absatz 3 (Abs. 3). Für Ersuchen um kontrollierte Lieferung und verdeckte Ermittlung sowie für Ersuchen um Strafregisterauszüge besteht ebenfalls die Möglichkeit des direkten Geschäftsweges (Abs. 4­6). Von der direkten Übermittlung ausgeschlossen bleiben die Ersuchen um die Zuführung inhaftierter Personen nach Artikel 11 des Übereinkommens und Artikel 13 des Zweiten Zusatzprotokolls (Abs. 2). In dringenden Fällen ist der Übermittlungsweg über die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) vorbehalten (Abs. 7).

Um die Wirksamkeit in der Praxis zu verstärken, kann die Bestimmung Gegenstand von Erklärungen sein (Abs. 8).

Der direkte Geschäftsverkehr stellt für die Schweiz keine Neuheit dar. Er wurde mit den Nachbarstaaten in den Zusatzverträgen zum Übereinkommen vereinbart23.

22 23

Wird eine inhaftierte Person der Schweiz nach Art. 3 vorübergehend zugeführt, so ist der ausländische Haftbefehl auch in der Schweiz wirksam (Art. 72 IRSG).

Vgl. Art. VIII des Zusatzvertrags mit Deutschland vom 13. Nov. 1969 (SR 0.351.913.61), Art. IX des Zusatzvertrags mit Österreich mit 13. Juni 1972 (SR 0.351.916.32), Art. XIV des Zusatzvertrags mit Frankreich vom 28. Okt. 1996 (SR 0.351.934.92), Art. XVII Abs. 1 des Zusatzvertrags mit Italien vom 10. Sept. 1998 (BBl 1999 1591).

3275

Nach Absatz 9 kann bei der Übermittlung der Rechtshilfeersuchen oder Mitteilungen unter bestimmten Voraussetzungen auf die modernen Telekommunikationsmittel zurückgegriffen werden. Diese Form der Übermittlung (z.B. Telefax, E-Mail) setzt indessen voraus, dass die ersuchende Behörde auf Verlangen der ersuchten Behörde jederzeit das Original des Ersuchens oder des übermittelten Schriftstücks sowie einen schriftlichen Nachweis der Übermittlung liefern kann. Eine weitere Schranke besteht darin, dass jeder Staat eine Erklärung abgeben kann, unter welchen Bedingungen er auf elektronischem Weg oder durch andere Telekommunikationsmittel übermittelte Ersuchen und Mitteilungen zulässt. Diese Erklärung ist jederzeit möglich.

Für die Schweiz drängt sich vorderhand keine Erklärung auf, weil die Bestimmung nicht verpflichtend ist und genügend flexibel ausgestaltet ist, damit die Schweiz im Einzelfall das Original des Rechtshilfeersuchens auf dem ordentlichen Weg verlangen kann. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, den Ausgang der Gesetzesvorlage über die elektronische Signatur abzuwarten, die in Vorbereitung ist24.

Art. 5

Kosten

Die geltende Kostenregelung in Artikel 20 des Übereinkommens wurde durch eine neue, umfassendere Bestimmung ersetzt.

Artikel 5 hält am Grundsatz der Unentgeltlichkeit der Rechtshilfe fest. Von diesem Grundsatz wird indessen in Absatz 1 abgewichen, und zwar bei Kosten, die im Zusammenhang mit dem Beizug von Sachverständigen (Bst. a) oder der Zuführung inhaftierter Personen stehen (Bst. b) oder die vom Umfang her erheblich und ausserordentlich sind, d.h. den üblichen Rahmen sprengen (Bst. c). Dies kann beispielsweise zutreffen, wenn ein Rechtshilfeersuchen nach den Prozessvorschriften des ersuchenden Staates ausgeführt werden muss, die der ersuchte Staat in seinem Verfahren nicht kennt (z.B. Kreuzverhör). Denkbar sind auch Auslagen, die dem ersuchten Staat mit der Lagerung eines beschlagnahmten Kunstgegenstandes oder einer aufwändigen Telefonüberwachung entstehen. In all diesen Fällen kann der ersuchte Staat vom ersuchenden Staat eine Rückerstattung der Kosten verlangen.

Nach Absatz 2 muss der ersuchende Staat auch sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Videokonferenz tragen, es sei denn, es werde eine andere Kostenregelung vereinbart.

Absatz 3 hält die Parteien an, sich bei erheblichen und ausserordentlichen Kosten nach Absatz 1 vorgängig über die Zahlungsmodalitäten abzusprechen.

24

Der Bundesrat hat am 3. Juli 2001 die Botschaft zu einem Bundesgesetz über Zertifizierungsdienste im Bereich der elektronischen Signatur verabschiedet (BBl 2001 5679). Mit der Gleichstellung von elektronischer Signatur und eigenhändiger Unterschrift will der Bundesrat den elektronischen Geschäftsverkehr fördern.

3276

2.2.2 Art. 7

Kapitel II Aufgeschobene Erledigung von Ersuchen

Diese Bestimmung ergänzt Artikel 19 des Übereinkommens in dem Sinn, dass neben der Verweigerung der Rechtshilfe neu auch ein Aufschub der Rechtshilfe und eine teilweise oder mit Bedingungen versehene Erledigung des Ersuchens möglich ist.

Absatz 1 räumt den Staaten die Möglichkeit ein, die Rechtshilfe aufzuschieben, wenn der Vollzug des Ersuchens negative Auswirkungen auf ein laufendes innerstaatliches Strafverfahren haben könnte.

Die Absätze 2 und 3 regeln, wie bei der Ablehnung oder beim Aufschub der Rechtshilfe vorzugehen ist: Der ersuchte Staat muss seinen Entscheid auf Ablehnung oder Aufschub der Rechtshilfe begründen und mit dem ersuchenden Staat abklären, ob und unter welchen Bedingungen Rechtshilfe allenfalls möglich wäre.

Vorlage für diese Bestimmung war Artikel 27 des Europarat-Übereinkommens über die Cyber-Kriminalität25 (ETS Nr. 185).

Art. 8

Verfahren

Im Übereinkommen (Art. 3) gilt der Grundsatz, dass die Rechtshilfeersuchen nach den Prozessvorschriften des ersuchten Staates erledigt werden. Artikel 8 weicht diesen Grundsatz auf. Er sieht vor, dass der ersuchte Staat bei der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens in bestimmten Fällen die Modalitäten des ausländischen Prozessrechts berücksichtigen muss. Sinn dieser Bestimmung ist es, die Verwendung der im Rahmen der Rechtshilfe gewonnenen Erkenntnisse als Beweismittel im ersuchenden Staat zu erleichtern. Die Begriffe «Formvorschriften» und «Verfahren» sind in einem weiten Sinn zu verstehen.

Der Anwendung des ausländischen Prozessrechts sind Schranken gesetzt: Die vom ersuchenden Staat verlangten Formvorschriften müssen sich auf eine innerstaatliche Rechtsbestimmung abstützen und dürfen den Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Staates nicht zuwiderlaufen. Zudem kommt die Bestimmung nur insofern zum Tragen, als das Zweite Zusatzprotokoll nicht ausdrücklich vorsieht, dass ein Ersuchen nach dem Recht des ersuchten Staates erledigt werden muss. Dies trifft beispielsweise bei der kontrollierten Lieferung zu (Art. 18 Abs. 3).

Die Anwendung des ausländischen Prozessrechts ist in Artikel 65 IRSG bereits vorgesehen.

Art. 9

Einvernahme per Videokonferenz

Dieser Artikel entspricht weitgehend Artikel 10 des EU-Übereinkommens26. Die Entwicklung der neuen Technologien ermöglicht es Personen und Behörden, über eine direkte Videoverbindung mit Personen in einem anderen Land zu kommunizieren. Artikel 9 schafft die Grundlage für die Inanspruchnahme dieses Verfahrens, das der Überwindung von Schwierigkeiten dient, die sich in Strafverfahren ergeben 25 26

Die Schweiz hat das Übereinkommen am 23. Nov. 2001 unterzeichnet.

Art. 10 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 8; Erläuternder Bericht zu Art. 10: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S. 15.

3277

können, wenn sich eine Person in einem Staat aufhält und ihr Erscheinen zu einer Einvernahme in einem anderen Staat nicht zweckmässig oder nicht möglich ist. Der Artikel enthält Regeln in Bezug auf das Ersuchen um Einvernahme per Videokonferenz und die Durchführung einer solchen Einvernahme. Die Regelung gilt generell für Einvernahmen von Sachverständigen und Zeugen, kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen nach Absatz 8 auch auf Einvernahmen beschuldigter und verdächtiger Personen Anwendung finden. Zu den wichtigsten Verfahrensregeln gehört, dass die Einvernahme per Videokonferenz im ersuchten Staat nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstossen darf (Abs. 2) und dass die elementaren Verfahrensrechte gewährleistet sind (Abs. 5). Mit diesen Leitplanken und dem Verweis in der Präambel auf die Konvention vom 4. November 195027 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) soll sichergestellt werden, dass das Verfahren der Einvernahme per Videokonferenz die Menschenrechte respektieren muss.

In Absatz 1 ist der Grundsatz niedergelegt, wonach ein Staat im Rahmen eines Strafverfahrens ein Ersuchen um Einvernahme per Videokonferenz in Bezug auf eine Person, die sich in einem anderen Vertragsstaat befindet, stellen kann. Voraussetzung für ein derartiges Ersuchen ist, dass die Justizbehörden des ersuchenden Staates die Einvernahme der betreffenden Person als Zeuge oder Sachverständiger verlangen kann und es nicht zweckmässig oder nicht möglich ist, dass die Person sich zum Zwecke der Einvernahme in diesen Staat begibt. Nicht zweckmässig ist dies beispielsweise in Fällen, in denen der Zeuge besonders jung oder alt oder aber in schlechtem Gesundheitszustand ist; nicht möglich ist dies z.B. in Fällen, in denen der Zeuge bei einem Erscheinen im ersuchenden Vertragsstaat einer ernsten Gefahr ausgesetzt wäre.

Gemäss Absatz 2 ist der ersuchte Staat verpflichtet, einem Ersuchen um Einvernahme per Videokonferenz stattzugeben, sofern die Einvernahme in dem betreffenden Einzelfall nicht den Grundprinzipien seiner Rechtsordnung zuwiderläuft und er über die technischen Vorrichtungen verfügt, die eine derartige Einvernahme ermöglichen.

Die Bezugnahme auf die Grundprinzipien seiner Rechtsordnung bedeutet, dass ein Ersuchen nicht mit der alleinigen Begründung abgelehnt werden kann, dass die Einvernahme
von Zeugen und Sachverständigen per Videokonferenz nach dem Recht des ersuchten Staats nicht vorgesehen ist oder dass eine oder mehrere Detailvoraussetzungen für eine Einvernahme per Videokonferenz nach seinem innerstaatlichen Recht nicht erfüllt sind. Sind die entsprechenden technischen Vorrichtungen nicht vorhanden, so kann der ersuchende Staat mit Zustimmung des ersuchten Staats eine adäquate technische Ausrüstung zur Verfügung stellen, welche die Durchführung der Einvernahme möglich macht.

Absatz 3 erwähnt die Informationen, die Ersuchen nach Artikel 9 beizufügen sind und schreibt unter anderem vor, dass in einem Ersuchen dargelegt werden muss, warum das persönliche Erscheinen der Person, die Gegenstand des Ersuchens ist, im ersuchenden Staat nicht zweckmässig oder nicht möglich ist. Die Einschätzung dieser Umstände obliegt dem ersuchenden Staat. Er muss jedoch im Ersuchen begründen, weshalb die Anhörung nicht im ersuchenden Staat stattfinden kann.

Denkbar ist dies in Fällen, in denen sich die betreffende Person ins Ausland abgesetzt hat, weil sie im ersuchenden Staat eine Strafverfolgung riskiert.

27

SR 0.101

3278

Gemäss Absatz 4 hat die Justizbehörde des ersuchten Staats die betreffende Person vorzuladen. Mit dieser Bestimmung soll gewährleistet werden, dass geeignete Schritte unternommen werden können, um das persönliche Erscheinen der betreffenden Person zum Zwecke der Einvernahme sicherzustellen. Im Gegensatz zu Absatz 8, der sich auf die beschuldigte und verdächtige Person bezieht, ist es nicht erforderlich, dass der Zeuge oder Sachverständige seine Zustimmung zur Einvernahme per Videokonferenz gibt.

Absatz 5 enthält die Vorschriften, die im Falle einer Einvernahme per Videokonferenz einzuhalten sind. So sind gemäss Buchstabe a die Anwesenheit und im Bedarfsfall auch das Tätigwerden einer Justizbehörde des ersuchten Staates vorgeschrieben. Damit soll insbesondere sichergestellt werden, dass bei der Einvernahme nicht gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung dieses Staates verstossen wird.

Der ersuchte Staat muss alle notwendigen Vorkehrungen treffen, damit seine Rechtsvorschriften bei der Einvernahme eingehalten werden, und bei Missachtung seiner Rechtsgrundsätze sofort einschreiten.

Gemäss Buchstabe b sind Massnahmen zum Schutz der einzuvernehmenden Person, erforderlichenfalls zwischen den jeweiligen zuständigen Behörden, zu vereinbaren.

Darunter kann auch die Anwendung allfälliger Rechtsvorschriften des ersuchenden Staats über den Schutz von einzuvernehmenden Personen fallen.

Gemäss Buchstabe c werden Einvernahmen unmittelbar von den Justizbehörden des ersuchenden Staats oder unter deren Leitung nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Staates durchgeführt. Unbeschadet des Buchstabens e darf die per Videokonferenz einzuvernehmende Person nicht über weniger Rechte verfügen, als sie hätte, wenn sie an einer Einvernahme im ersuchenden Staat teilnähme.

Unter Buchstabe d wird zudem verlangt, dass der ersuchte Staat der einzuvernehmenden Person einen Dolmetscher zur Verfügung stellt, wenn dies notwendig ist und vom ersuchenden Staat oder von der einzuvernehmenden Person gewünscht wird.

Buchstabe e enthält eine Schutzklausel für die einzuvernehmende Person: Sie kann ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen, das ihr nach dem Recht des ersuchten oder des ersuchenden Staats zustünde. Wird ein derartiges Recht geltend gemacht, so obliegt der Entscheid der Justizbehörde, welche die
Einvernahme durchführt. Die Justizbehörde des ersuchten Staates muss in jedem Fall die notwendigen Massnahmen ergreifen, damit die Einvernahme im Einklang mit den Grundprinzipien ihrer Rechtsordnung durchgeführt wird. Es empfiehlt sich, dass sich die Justizbehörden der beiden Staaten im Falle der Geltendmachung eines Zeugnisverweigerungsrechts gegenseitig konsultieren.

Gemäss Absatz 6 hat die Justizbehörde des ersuchten Staates ein Protokoll über die Einvernahme per Videokonferenz zu erstellen und dieses dem ersuchenden Staat zu übermitteln. Im Absatz wird im Einzelnen aufgeführt, welche Angaben in das Protokoll aufzunehmen sind. Diese Angaben beziehen sich indessen nicht auf den Inhalt der Einvernahme. Die Vertragsstaaten können vorbehaltlich ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften besondere Vereinbarungen hinsichtlich des Protokolls treffen, wenn es darum geht, den Schutz der an der Einvernahme teilnehmenden Personen sicherzustellen. Es ist beispielsweise denkbar, dass sich die betroffenen Staaten darauf einigen, die Namen bestimmter Personen, die bei der Einvernahme im ersuchten

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Staat anwesend waren, im Protokoll nicht erscheinen zu lassen. In diesem Fall sollten jedoch die Funktionen der Personen angegeben werden.

Nach Absatz 7 muss der Staat, in dem sich die einvernommene Person aufhält, für den Fall, dass diese im Laufe einer Einvernahme per Videokonferenz die Aussage verweigert oder falsch aussagt, die Möglichkeit haben, mit dieser Person in derselben Weise zu verfahren wie bei einer Einvernahme im Rahmen seiner innerstaatlichen Verfahren. Dies ergibt sich daraus, dass die Aussagepflicht bei einer Einvernahme per Videokonferenz aus dem Recht des ersuchten Staats erwächst. Mit diesem Absatz soll insbesondere sichergestellt werden, dass ein Zeuge, der seiner Verpflichtung auszusagen nicht nachkommt, ähnliche Folgen zu gewärtigen hat wie in einem innerstaatlichen Verfahren ohne Rückgriff auf eine Videokonferenz. In Fällen, in denen die Aussage verweigert oder falsch ausgesagt wird, werden sich der ersuchende und der ersuchte Staat in der Regel gegenseitig unterrichten und so bald wie möglich die Informationen zur Verfügung stellen müssen, die erforderlich sind, damit der ersuchte Staat adäquate Massnahmen gegen den Zeugen oder Sachverständigen unternehmen kann.

Gemäss Absatz 8 können die Vertragsstaaten die Videokonferenz auch auf Einvernahmen von beschuldigten oder verdächtigen Personen ausdehnen. Jedem Staat steht es frei, ob er die Erledigung von Ersuchen, die sich auf derartige Einvernahmen beziehen, bewilligt oder nicht. Die Einvernahme einer beschuldigten oder verdächtigen Person per Videokonferenz setzt drei Bedingungen voraus. Erstens: Die ersuchende und die ersuchte Justizbehörde sind mit dieser Einvernahmemethode einverstanden und haben sich über die Modalitäten geeinigt. Zweitens: Die getroffene Vereinbarung steht im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der beiden Staaten sowie mit den einschlägigen internationalen Verträgen (z.B. EMRK).

Drittens: Die beschuldigte oder verdächtige Person hat ihre Zustimmung gegeben.

Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen kann eine beschuldigte oder verdächtige Person per Videokonferenz einvernommen werden.

Jeder Vertragsstaat kann gemäss Absatz 9 eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Erklärung abgeben, wonach er die Einvernahme per Videokonferenz im Falle einer beschuldigten oder verdächtigen
Person nicht anwendet. Für die Schweiz drängt sich eine solche Erklärung nicht auf. Sie wäre angesichts der wachsenden internationalen Kriminalität rechtspolitisch auch kaum angezeigt, weil der Einvernahme mittels Videokonferenz vor allem bei komplexen Fällen künftig immer grössere Bedeutung zukommen dürfte. Eine analoge Bestimmung hat die Schweiz bereits mit Italien vereinbart28.

Die Einvernahme per Videokonferenz ist im Schweizer Prozessrecht in dieser Form nicht ausdrücklich vorgesehen. Das Rechtshilfegesetz erlaubt zwar bereits heute, bei der Beschaffung von Beweismitteln Formen zu verwenden, die das schweizerische Recht nicht kennt, sofern sie mit dem schweizerischen Recht vereinbar sind und den Beteiligten daraus keine wesentlichen Nachteile erwachsen (Art. 65 IRSG). Zudem kann eine Zeugeneinvernahme in Anwesenheit ausländischer Prozessbeteiligter erfolgen (Art. 65a IRSG). Die Regelung über die Videokonferenz ergänzt das geltende Recht insofern, als der Zeuge oder Sachverständige zur Videokonferenz erscheinen muss, wenn seine Einvernahme im ersuchenden Staat nicht zweckmässig oder möglich ist, und die Verfahrensherrschaft bei dieser Einvernahmemethode bei der ersu28

Siehe dazu Art. VI des Zusatzvertrags mit Italien vom 10. Sept. 1998 (BBl 1999 1587).

3280

chenden Behörde liegt. In diesem Bereich schafft Artikel 9 einheitliches Recht, das von den staatlichen Behörden unmittelbar angewendet werden kann. Wir verweisen dazu auf Ziffer 6.1.1.

Art. 10

Einvernahme per Telefonkonferenz

Dieser Artikel trägt dem Umstand Rechnung, dass Einvernahmen per Telefonkonferenz eine weitere Möglichkeit für den Einsatz der modernen Telekommunikationsmittel im Rahmen der Rechtshilfe darstellen. Derartige Einvernahmen können besonders dann zweckmässig sein, wenn beispielsweise eine Zeugenaussage in einer Routineangelegenheit erforderlich ist. Sie können unkompliziert und kostengünstig arrangiert und durchgeführt werden. Vorlage für die Bestimmung war Artikel 11 des EU-Übereinkommens29.

Artikel 10 schafft einen allgemeinen Rahmen für Ersuchen um Einvernahme per Telefonkonferenz. Er unterscheidet sich von der in Artikel 9 vorgesehenen Einvernahme per Videokonferenz insofern, als die Bestimmung nur auf die Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen anwendbar ist. Die Einvernahme per Telefonkonferenz kann zudem nur durchgeführt werden, wenn der Zeuge oder Sachverständige seine Zustimmung hierzu erteilt (Abs. 2). Diese Art der Einvernahme muss ferner im Recht des ersuchenden Staates vorgesehen sein (Abs. 1) und darf den allgemeinen Rechtsgrundsätzen im ersuchten Staat nicht zuwiderlaufen (Abs. 3). Aus diesem Grund war es im Unterschied zu Artikel 9 nicht nötig, die Einvernahme an die Bedingung zu knüpfen, dass das persönliche Erscheinen der einzuvernehmenden Person im ersuchenden Staat nicht zweckmässig oder nicht möglich ist. Nichts in Artikel 10 steht der Praxis in einigen Vertragsstaaten entgegen, die darin besteht, dass eine Person vom Ausland aus, gegebenenfalls in einem Konsulat, ohne Unterstützung des Staats, in dem sie sich befindet, als Zeuge per Telefon einvernommen wird.

Absatz 1 ermöglicht Ersuchen um Unterstützung zum Zwecke der Einvernahme per Telefonkonferenz in Fällen, in denen sich eine Person, die als Zeuge oder Sachverständiger in einem Vertragsstaat einvernommen werden soll, in einem anderen Vertragsstaat befindet. Ein Ersuchen setzt voraus, dass die Einvernahme von den Justizbehörden des ersuchenden Staats durchgeführt wird und nach dem Recht dieses Staates zulässig ist.

Gemäss Absatz 2 ist Voraussetzung, dass die betreffende Person ihrer Einvernahme per Telefonkonferenz zustimmt.

Gemäss Absatz 3 ist der ersuchte Staat verpflichtet, einem Ersuchen stattzugeben, sofern es den Grundprinzipien seiner Rechtsordnung nicht zuwiderläuft.

Absatz 5 sieht vor, dass sich der ersuchende
und der ersuchte Staat über die praktischen Modalitäten der Einvernahme einigen. Ungeachtet dieser Vereinbarung kann der ersuchte Staat gestützt auf Absatz 6 verlangen, dass bei der Einvernahme die in Artikel 9 Absätze 5 und 7 vorgesehenen Regeln greifen, soweit diese anwendbar sind.

29

Art. 11 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 9; Erläuternder Bericht zu Art. 11: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S. 16.

3281

Das schweizerische Verfahrensrecht sieht die Einvernahme per Telefonkonferenz nicht vor. Da dies eine Grundvoraussetzung für ein Ersuchen ist, kann die Schweiz diese Art der Einvernahme vom Ausland nicht verlangen. Ist die Schweiz ersuchter Staat, so wird die zuständige Rechtshilfebehörde in Anlehnung an Artikel 65 IRSG zu entscheiden haben, welche Folge sie dem Ersuchen gibt.

Art. 11

Ohne Ersuchen übermittelte Informationen

Die Erfahrungen mit dem Europarat-Übereinkommen vom 8. November 199030 über Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (ETS Nr. 141) haben gezeigt, dass im Kampf gegen die internationale Kriminalität ein rascher Informationsaustausch über die Tathandlungen und Tatorte notwendig ist. Die strafrechtliche Erfassung muss in diesen Fällen so früh als möglich einsetzen. Es kann daher nützlich sein, wenn ein Staat Informationen, die er im Rahmen seiner Ermittlungen erlangt hat, einem anderen Staat zugänglich macht.

Mit Artikel 11 wird der im Bereich der Geldwäscherei vorgesehene Informationsaustausch zu einer generellen Vorschrift, die auf alle Straftaten anwendbar ist. Die Bestimmung gibt den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen ohne Vorliegen eines Rechtshilfeersuchens Auskünfte zu übermitteln, die sie in einem eigenen Verfahren erhoben haben und die für eine ausländische Strafverfolgungsbehörde von Interesse sein könnten. In die gleiche Stossrichtung geht Artikel 67a IRSG.

Absatz 1 umschreibt die Voraussetzungen, unter denen die unaufgeforderte Übermittlung von Auskünften ausserhalb eines Rechtshilfeverfahrens zulässig ist. Es handelt sich um eine Kann-Vorschrift. Der Informationsaustausch geschieht nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts.

Gemäss Absatz 2 kann die Verwendung der übermittelten Auskünfte von Bedingungen abhängig gemacht werden, die im Recht der übermittelnden Behörde vorgesehen sind31; ist dies der Fall, so ist die empfangende Behörde nach Absatz 3 an diese Bedingungen gebunden.

Absatz 4 räumt jedem Vertragsstaat die Möglichkeit ein, zu erklären, nicht an die Bedingungen gebunden zu sein, die der übermittelnde Staat nach Absatz 2 festlegt, sofern er nicht vorgängig über die Art dieser Informationen unterrichtet worden ist und deren Übermittlung zustimmt. Die Vorbehaltsmöglichkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass einige Staaten auf Grund ihres Prozessrechts nicht in der Lage sind, Bedingungen einzuhalten, die an die Informationsübermittlung gebunden sind (z.B. beschränkte Verwendung der Informationen im Empfangsstaat).

Art. 12

Rückgabe

Das Übereinkommen (Art. 3) lässt die Herausgabe von Gegenständen nur zu Beweiszwecken zu. Artikel 12 erweitert die Herausgabe auf das Deliktsgut. Künftig können im ersuchten Staat beschlagnahmte Gegenstände, die aus einer strafbaren Handlung herrühren, auch zur Rückerstattung an den rechtmässigen Eigentümer 30 31

SR 0.311.53; Art. 10.

Eine schweizerische Strafverfolgungsbehörde kann z.B. verlangen, dass die ausländische Behörde die übermittelten Bankinformationen einzig dazu verwendet, ein Rechtshilfeersuchen an die Schweiz zu stellen (Art. 67a Abs. 5 IRSG).

3282

herausgegeben werden. Die Herausgabe setzt voraus, dass die Ansprüche von Personen, die Rechte an den beschlagnahmten Gegenständen gutgläubig erworben haben, vorgängig befriedigt werden. Der Begriff «Gegenstände» ist in einem weiten Sinn zu verstehen. Er umfasst beispielsweise auch die Vermögenswerte, wie dies in Artikel 74a IRSG vorgesehen ist.

Gemäss Absatz 1 kann der ersuchte Staat einem derartigen Ersuchen stattgeben; er ist jedoch dazu nicht verpflichtet. Der ersuchte Staat kann beispielsweise ein Ersuchen ablehnen, wenn er die verlangten Gegenstände in einem nationalen Verfahren als Beweismittel benötigt. Die Bestimmung zielt nicht auf eine Änderung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Einziehung ab. Sie sollte zudem nur in den Fällen zur Anwendung kommen, in denen kein Zweifel darüber besteht, wer der rechtmässige Eigentümer der verlangten Gegenstände ist.

Nach dem Übereinkommen (Art. 6 Abs. 2) kann der ersuchte Staat auf die Rückgabe der Gegenstände verzichten, die er dem ersuchenden Staat zu Beweiszwecken übermittelt. Der Verzicht ist vor oder nach der Herausgabe möglich. Absatz 2 präzisiert die Bestimmung des Übereinkommens dahingehend, dass der ersuchte Staat von der Verzichtsmöglichkeit Gebrauch machen kann, um die Rückgabe der Gegenstände an ihren rechtmässigen Eigentümer zu ermöglichen. Wie in Absatz 1 setzt auch dies voraus, dass eindeutig feststeht, wer der Eigentümer der Gegenstände ist, und dass die Rechte gutgläubiger Dritter unbeschadet bleiben.

Absatz 3 stellt klar, dass der ersuchte Staat keine Sicherheitsrechte oder Ansprüche geltend machen kann, die er auf Grund steuerlicher oder zollrechtlicher Vorschriften an den herauszugebenden Gegenständen haben könnte, wenn er vor der Herausgabe auf die Rückgabe der Gegenstände verzichtet hat.

Nach Absatz 4 hindert der Verzicht auf die Rückgabe der Gegenstände den ersuchten Staat nicht daran, Steuern oder Abgaben zu erheben, die ihm der rechtmässige Eigentümer der Gegenstände schuldet.

Eine analoge Bestimmung hat die Schweiz in bilateralen Verträgen mit Frankreich und Italien vereinbart32. Sie lehnt sich an das EU-Übereinkommen (Art. 8) an.

Art. 13

Zeitweilige Überstellung in Haft gehaltener Personen in das Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei

Artikel 11 des Übereinkommens und Artikel 3 des Zweiten Zusatzprotokolls regeln den klassischen Fall der Zuführung von Häftlingen: Eine Person ist im ersuchten Staat in Haft und soll vorübergehend dem ersuchenden Staat zugeführt werden, um dort an Ermittlungshandlungen teilzunehmen. Artikel 13 befasst sich mit dem umgekehrten Fall, dass eine Person im ersuchenden Staat inhaftiert ist und dem ersuchten Staat vorübergehend zugeführt werden soll. Diese Fallkonstellation kann sich in der Praxis stellen, wenn der ersuchende Staat ein Rechtshilfeersuchen stellt und die dort inhaftierte Person aus verfahrensrechtlichen Gründen beim Vollzug des Rechtshilfeersuchens im ersuchten Staat anwesend sein muss. Dient z.B. ein Rechtshilfeersuchen dazu, den Tathergang zu rekonstruieren, so kann eine Rechtshilfehandlung im ersuchten Staat oft nur durch die Überstellung einer im ersuchenden Staat inhaftierten Person erfolgreich durchgeführt werden.

32

Vgl. Art. VI des Zusatzvertrags mit Frankreich vom 28. Okt. 1996 (SR 0.351.934.92) und Art. VIII des Zusatzvertrags mit Italien vom 10. Sept. 1998 (BBl 1999 1589).

3283

Gemäss Absatz 1 bedarf die Überstellung der inhaftierten Person einer Absprache zwischen den zuständigen Behörden des ersuchenden und des ersuchten Staates.

Absatz 2 hält fest, dass sich die betroffenen Behörden auf die Einzelheiten der Überstellung und den Zeitpunkt der Rücküberstellung der Person in den ersuchenden Staat einigen müssen.

Absatz 3 trägt der Tatsache Rechnung, dass die Überstellung von der Zustimmung der inhaftierten Person abhängig gemacht werden kann. Ist nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchenden Staates die Zustimmung der betroffenen Person notwendig, so muss diese dem ersuchten Staat im Original oder in Kopie unverzüglich zukommen.

Die Absätze 4 und 5 enthalten die rechtliche Grundlage, damit die zugeführte Person im ersuchten Staat in Haft gehalten werden kann und die dort verbrachte Haftzeit auf die Haftdauer der betroffenen Person im ersuchenden Staat angerechnet werden kann. Die Bestimmung entspricht der Regelung in Artikel 11 Absatz 3 des Übereinkommens.

Absatz 7 gibt den Staaten die Möglichkeit, eine Erklärung abzugeben, unter welchen Umständen sie die Zustimmung der inhaftierten Person verlangen. Für die Schweiz drängt sich in diesem Punkt keine Erklärung auf. Nach Artikel 70 IRSG kann die Schweiz einer ausländischen Behörde Personen, die in der Schweiz in Haft sind, grundsätzlich gegen deren Willen zuführen. Eine Ausnahme besteht für die im Ausland nicht angeschuldigten Personen sowie für Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Auf ihre Zustimmung kann aber verzichtet werden, wenn die Überstellung dem Vollzug eines schweizerischen Rechtshilfeersuchens dient. Gestützt auf diese Rechtslage erübrigt sich eine Erklärung der Schweiz zu Artikel 13, der genau diesen Fall abdecken will.

Die Bestimmung findet sich auch in den bilateralen Verträgen mit Frankreich und Italien33. Sie lehnt sich auch an das EU-Übereinkommen (Art. 9) an.

Art. 14

Persönliches Erscheinen überstellter verurteilter Personen

Bei der Anwendung des Europarat-Übereinkommens vom 21. März 198334 über die Überstellung verurteilter Personen (ETS Nr. 112) stellte sich heraus, dass keine Bestimmung den Fall abdeckt, dass die verurteilte Person im Heimatstaat die ausländische Strafe verbüsst und im Urteilsstaat ein Revisionsverfahren eröffnet wird, bei dem die verurteilte Person anwesend sein sollte.

Mit Artikel 14 soll diese Lücke geschlossen werden. Er bestimmt, dass für das persönliche Erscheinen der verurteilten und überstellten Person im Urteilsstaat zwecks Revision des Urteils die Bestimmungen über die zeitweilige Überstellung und die Immunität nach den Artikeln 11 und 12 des Übereinkommens sinngemäss zur Anwendung kommen. Es versteht sich, dass die überstellte Person im Urteilsstaat für die Handlungen, die dem Revisionsurteil zugrunde liegen, keinen Immunitätsschutz geniesst.

33 34

Vgl. Art. XII des Zusatzvertrags mit Frankreich vom 28. Okt. 1996 (SR 0.351.934.92) und Art. XIV des Zusatzvertrags mit Italien vom 10. Sept. 1998 (BBl 1999 1590).

SR 0.343

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Artikel 14 liegt der Gedanke zugrunde, dass das Revisionsverfahren hauptsächlich im Interesse der überstellten Person liegt. Daher sollte die Bestimmung nicht zur Anwendung kommen, wenn sich die überstellte Person einer Zuführung in den Urteilsstaat widersetzt.

Art. 15

Sprache der zuzustellenden Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheidungen

Artikel 15 befasst sich mit den Zustellungsersuchen nach den Artikeln 7 ff. des Übereinkommens und Artikel 3 des ersten Zusatzprotokolls von 1978 (von der Schweiz nicht ratifiziert). Er ist in Verbindung mit Artikel 16 des Übereinkommens zu verstehen, der jede Vertragspartei ermächtigt, eine Übersetzung der Ersuchen und der beigefügten Schriftstücke zu verlangen. Nach der von der Schweiz abgegebenen Erklärung müssen ausländische Rechtshilfeersuchen und die Beilagen in eine der drei Amtssprachen übersetzt werden. Ausgenommen von der Übersetzungspflicht sind die Ersuchen um Zustellung einer Vorladung35. Andere Staaten haben zu diesem Punkt keine Erklärung abgegeben. Artikel 15 will aus Gründen der Rechtssicherheit eine einheitliche Regelung statuieren. Diese trägt vor allem dem Umstand Rechnung, dass ein Rechtsstaat die elementaren Verfahrensrechte gewährleisten muss. Dazu gehört, dass die angeklagte Person in einer ihr verständlichen Sprache über die Art und den Grund der gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert wird36.

Die in Artikel 15 verankerte Regelung gilt für sämtliche Zustellungsersuchen und Zustellungsformen (Abs. 1). Sie ist auch im Zusammenhang mit der postalischen Zustellung (Art. 16) von Bedeutung. Es gilt der Grundsatz, dass die Zustellungsakten (Verfahrensurkunden, Gerichtsentscheide usw.) in der Originalsprache zugestellt werden (Abs. 2). Dieser Grundsatz wird in zwei Fällen durchbrochen: ­

Die Behörde, die das Dokument verfasst hat, muss das zuzustellende Dokument oder zumindest den wesentlichen Inhalt in die Sprache übersetzen, die der Empfänger versteht, wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass der Empfänger der Zustellungsakten nur dieser Sprache kundig ist (Abs. 3).

­

Erfolgt die Zustellung über die Behörden des ersuchten Staates, so muss die ausstellende Behörde eine kurze Information über den Inhalt der Zustellungsakten in der Sprache oder einer der Sprachen des ersuchten Staates liefern (Abs. 4).

Diese Regelung gilt nur für die Zustellungsakten. Für die Zustellungsersuchen sind weiterhin Artikel 16 des Übereinkommens bzw. die Erklärungen der einzelnen Staaten massgebend.

Art. 16

Zustellung auf dem Postweg

Zweck dieses Artikels ist es, die Zustellung von Prozessakten und Verfahrensurkunden an Empfänger, die sich in einem anderen Staat befinden, zu vereinfachen.

Zustellungsersuchen können die Rechtshilfebehörden stark belasten, weil der Zeitund Arbeitsaufwand bei der Übermittlung eingehender und ausgehender Zustel35 36

Erklärung der Schweiz zu Art. 16 Abs. 2 des Übereinkommens (SR 0.351.1).

Art. 6 Abs. 3 Bst. a EMRK (SR 0.101).

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lungsersuchen oft in keinem vernünftigen Verhältnis zur Schwere der strafbaren Handlungen stehen. Die Bestimmung dient dazu, die Rechtshilfebehörden von Bagatellgeschäften zu entlasten (z.B. Zustellung von Parkbussen oder Bussentscheiden wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen).

Absatz 1 gibt den Strafverfolgungsbehörden der Vertragsparteien die Möglichkeit, Verfahrensurkunden und Gerichtsentscheide im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung dem Empfänger direkt auf dem Postweg zuzustellen.

Die Absätze 2-4 dienen dem Rechtsschutz des Empfängers. Sie übertragen der Behörde, die das zuzustellende Dokument ausgestellt hat, folgende Verpflichtungen: ­

Die ausstellende Behörde muss dem Zustellungsdokument eine kurze Information beifügen, aus der hervorgeht, wo und wie sich der Empfänger über seine Pflichten und Rechte belehren lassen kann (Abs. 2).

­

Der Empfänger sollte insbesondere darauf hingewiesen werden, welche Folgen mit der Nichtbeachtung des Zustellungsdokuments verbunden sind.

Handelt es sich um eine Vorladung als Zeuge oder Sachverständiger, so sollte die Information einen Vermerk enthalten, ob die vorgeladene Person Anrecht auf einen Vorschuss zur Deckung der Reise- und Aufenthaltskosten hat. Wird der Empfänger als Angeklagter vorgeladen, so sollte er darüber informiert werden, unter welchen Voraussetzungen er einen Rechtsbeistand beanspruchen kann (Abs. 3).

­

Hat die ausstellende Behörde Anhaltspunkte dafür, dass der Empfänger wegen fehlender Sprachkenntnisse den Inhalt des Zustellungsdokuments und die mitgelieferte Information nicht versteht, so muss der wesentliche Inhalt der Schriftstücke in die Sprache übersetzt werden, deren der Empfänger kundig ist (Abs. 4).

Diese Regelung lehnt sich an das EU-Übereinkommen (Art. 5) an. Für die Schweiz ist die direkte Postzustellung nicht neu. Sie ist im IRSG ausdrücklich vorgesehen und wurde mit verschiedenen Nachbarstaaten vereinbart (s. Ziff. 2.3.2 zu Art. 16).

Art. 17

Grenzüberschreitende Observation

Dieser Artikel lehnt sich fast vollständig an Artikel 40 des Schengener Durchführungsübereinkommens37 an, wobei der Anwendungsbereich auf Personen ausgedehnt wurde, von denen ernsthaft anzunehmen ist, dass sie zur Identifizierung oder Auffindung der gesuchten Person führen können (Abs. 1). Ferner wurde der Deliktskatalog um den Menschenschmuggel und den sexuellen Missbrauch von Kindern erweitert (Abs. 6).

Unter Observation ist eine länger andauernde heimliche Beobachtung von Personen durch Polizeibehörden zu verstehen, wobei ein Kontakt zwischen der observierten Person und dem observierenden Beamten nicht beabsichtigt ist.

Nach Absatz 1 sind Beamte einer Vertragspartei, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in ihrem Land eine Person observieren, die im Verdacht steht, an einer auslieferungsfähigen Straftat beteiligt zu sein, oder eine Person, bei der ernsthaft an37

Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen: ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

3286

zunehmen ist, dass sie zur Identifizierung oder Auffindung der vorgenannten Person führen kann, befugt, die Observation auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei fortzusetzen, wenn diese der grenzüberschreitenden Observation auf der Grundlage eines zuvor gestellten Rechtshilfeersuchens zugestimmt hat. Die erteilte Zustimmung gilt jeweils für das gesamte Hoheitsgebiet, kann jedoch mit Auflagen verbunden werden. Auf Verlangen ist die Observation an die Beamten der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Observation stattfindet, zu übergeben.

Falls eine vorherige Zustimmung wegen besonderer Dringlichkeit nicht beantragt werden kann, darf die Observation nach Absatz 2 unter gewissen Voraussetzungen über die Grenze hinweg fortgesetzt werden: Der Grenzübertritt ist noch während der Observation unverzüglich der zuständigen Behörde des Vertragsstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Observation fortgesetzt werden soll, mitzuteilen. Ein begründetes Ersuchen ist unverzüglich nachzureichen. Stimmt der ersuchte Staat nicht zu oder unterlässt er es, eine Zustimmung innerhalb von fünf Stunden nach Grenzübertritt zu erteilen, so ist die Observation einzustellen.

Eine Observation nach Absatz 2 ist jedoch nur bei folgenden Delikten zulässig: Mord, Totschlag, Vergewaltigung, vorsätzliche Brandstiftung, Falschmünzerei, schwerer Diebstahl, Hehlerei und Raub, Erpressung, Entführung und Geiselnahme, Menschenhandel, unerlaubter Verkehr mit Betäubungsmitteln, Verstoss gegen die gesetzlichen Vorschriften über Waffen und Sprengstoffe, Vernichtung durch Sprengstoffe, unerlaubter Verkehr mit giftigen und schädlichen Abfällen, Menschenschmuggel und sexueller Missbrauch von Kindern (Abs. 6).

Absatz 3 legt die allgemeinen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Observation fest. Die observierenden Beamten sind an die Bestimmungen des Artikels 17 und an das Recht der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet sie auftreten, gebunden und haben Anordnungen der örtlich zuständigen Behörden zu befolgen. In nicht dringlichen Fällen haben sie ein Dokument mitzuführen, aus dem die Zustimmung des ersuchten Staates hervorgeht. Sie müssen in der Lage sein, ihre amtliche Funktion nachzuweisen. Die Dienstwaffe darf während der Observation mitgeführt werden, es sei denn, die ersuchte Vertragspartei hat dem ausdrücklich widersprochen. Der
Gebrauch ist jedoch mit Ausnahme der Notwehr nicht zulässig. Nach Buchstabe e ist das Betreten von Wohnungen und öffentlich nicht zugänglichen Grundstücken nicht zulässig. Die observierenden Beamten sind nicht befugt, die zu observierende Person anzuhalten oder festzunehmen. Über jede Operation wird den Behörden der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Operation stattgefunden hat, Bericht erstattet. Dabei kann das persönliche Erscheinen der observierenden Beamten gefordert werden. Gemäss Buchstabe h unterstützen die Behörden der Vertragspartei, aus deren Hoheitsgebiet die observierenden Beamten kommen, auf Ersuchen der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Observation stattgefunden hat, die nachträglichen Ermittlungen einschliesslich gerichtlicher Verfahren.

Zu den nach Absatz 4 zu bezeichnenden Behörden wird die Schweiz eine Erklärung abgeben38.

38

Siehe dazu Ziff. 2.3.1

3287

Das Instrument der grenzüberschreitenden Observation stellt keine Neuerung für die Schweiz dar, sind doch in bilateralen Verträgen mit Frankreich39, Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein40 sowie Deutschland41 zum Teil weiter gehende Regelungen festgeschrieben.

Art. 18

Kontrollierte Lieferung

Dieser Artikel lehnt sich sehr stark an Artikel 12 des EU-Übereinkommens an42. Die Bestimmung geht auf das von der Schweiz noch nicht ratifizierte UNO-Übereinkommen vom 20. Dezember 198843 gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen zurück, das die kontrollierte Lieferung auf Drogendelikte beschränkt. Artikel 18 des vorliegenden Zusatzprotokolls geht einen Schritt weiter, indem es die kontrollierte Lieferung bei allen schwerwiegenden Straftaten ermöglicht, die mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Die kontrollierte Lieferung setzt ein Rechtshilfeersuchen voraus. Sie bedarf der Zustimmung des ersuchten Staates und untersteht den Rechtsvorschriften dieses Staates. Für die Schweiz sind das kantonale und das eidgenössische Verfahrensrecht massgebend.

Ziel des Artikels ist es, für die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien in Bezug auf kontrollierte Lieferungen einen Rahmen zu schaffen. Bei den kontrollierten Lieferungen handelt es sich um eine Ermittlungsmethode, die sich bei der Bekämpfung des Drogenhandels und anderer Formen der schweren Kriminalität als sehr effizient erwiesen hat44.

Der Begriff «kontrollierte Lieferung» ist nicht definiert und sollte in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften45 und Gepflogenheiten ausgelegt werden. Die Bestimmung gilt beispielsweise, wenn die unerlaubte Sendung mit Zustimmung der betroffenen Vertragsparteien abgefangen und ihre Weitersendung in einen anderen Staat mit dem intakten ursprünglichen Inhalt oder ohne diesen oder mit einem ganz oder teilweise ersetzten Inhalt genehmigt wurde. Diese Methode hilft den zuständigen Behörden die Urheber einer Straftat schneller zu eruieren.

Gemäss Absatz 1 muss jede Vertragspartei die Voraussetzungen schaffen, die es ihr, wenn sie von einer anderen Vertragspartei darum ersucht wird, gestatten, die Durchführung einer kontrollierten Lieferung in ihrem Hoheitsgebiet im Rahmen ei39

40

41

42 43 44 45

Art. 7 des Abkommens vom 11. Mai 1998 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen (SR 0.360.349.1).

Art. 10 des Vertrags vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (SR 0.360.163.1).

Art. 14 und 15 des Vertrags vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit (schweizerisch-deutscher Polizeivertrag; BBl 2000 926 ff.), in Kraft seit 1.3.2002.

Art. 12 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 9; Erläuternder Bericht zu Art. 12: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S. 17.

BBl 1996 I 637 Europol hat ein «Europäisches Handbuch über kontrollierte Lieferungen» ausgearbeitet, das Informationen zu deren Abwicklung enthält.

Bei der kontrollierten Lieferung handelt es sich in der Regel um dringende Massnahmen nach Art. 18 IRSG, die der Beweiserhebung und der Sicherung gefährdeter Beweismittel dienen.

3288

ner strafrechtlichen Ermittlung betreffend eine auslieferungsfähige Straftat zu genehmigen. Aus dieser Bestimmung kann indessen keine Pflicht zur Gutheissung einer kontrollierten Lieferung abgeleitet werden. Es liegt im Ermessen der ersuchten Partei, ob sie ein Ersuchen bewilligt oder ablehnt.

Gemäss Absatz 2 entscheidet die ersuchte Vertragspartei darüber, ob eine kontrollierte Lieferung in ihrem Hoheitsgebiet stattfinden soll oder nicht. Derartige Entscheide sind je nach Einzelfall im Rahmen der einschlägigen Vorschriften der ersuchten Vertragspartei zu treffen.

Die praktischen Vorkehrungen für kontrollierte Lieferungen erfordern eine enge Konsultation und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen und Behörden der betroffenen Vertragsparteien. Absatz 3 hält fest, dass diese Lieferungen im Einklang mit den Verfahren der ersuchten Vertragspartei durchzuführen sind. Es obliegt den zuständigen Behörden dieser Vertragspartei, gegebenenfalls tätig zu werden sowie die Massnahmen zu leiten und diese zu überwachen.

Zu den nach Absatz 4 zu bezeichnenden Behörden wird die Schweiz eine Erklärung abgeben46.

Für die Schweiz stellt die Ermittlungsmethode der kontrollierten Lieferung keine Neuerung dar, da bereits entsprechende Regelungen in bilateralen Verträgen mit Deutschland47 und Österreich sowie dem Fürstentum Liechtenstein48 bestehen.

Art. 19

Verdeckte Ermittlungen

Dieser Artikel deckt sich weitgehend mit der Regelung in Artikel 14 des EU-Übereinkommens49. Da es sich um einen äusserst sensiblen Bereich handelt, wurde die Bestimmung als Kann-Vorschrift abgefasst. Der ersuchte Staat hat die Möglichkeit, ein Ersuchen abzulehnen. Massgebend für die Bewilligung und Durchführung der verdeckten Ermittlung ist das Recht des ersuchten Staates. Dieser Artikel betrifft nur strafrechtliche Ermittlungen durch verdeckt oder unter falscher Identität handelnde Beamte. Diese Beamten werden in der Regel als verdeckte Ermittler bezeichnet. Sie sollten besonders ausgebildet sein und können insbesondere in ein Verbrechernetz eingeschleust werden, um Informationen zu erlangen oder bei der Identifizierung und Festnahme der Mitglieder des Netzes Hilfestellung zu leisten. Andere Formen der verdeckten Ermittlungen wegen einer Straftat fallen nicht darunter. Ein Ersuchen um Unterstützung kann gestellt werden, um es einem verdeckten Ermittler zu ermöglichen, im ersuchten Vertragsstaat tätig zu werden, oder aber um einen verdeckten Ermittler des ersuchten Vertragsstaats im ersuchenden Vertragsstaat einsetzen zu können. Ferner könnte der ersuchte Vertragsstaat gebeten werden, einen verdeckten Ermittler zum Zwecke einer verdeckten Ermittlung in seinem eigenen Hoheitsgebiet bereitzustellen.

Absatz 1 enthält eine flexible Bestimmung und besagt, dass sowohl der ersuchende als auch der ersuchte Vertragsstaat zustimmen müssen, bevor ein verdeckter Ermitt46 47 48

49

Siehe dazu Ziff. 2.3.1 Art. 19 des schweizerisch­deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (BBl 2000 932).

Art. 12 des Vertrags vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (SR 0.360.163.1).

Art. 14 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 11; Erläuternder Bericht zu Art. 14: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S. 19.

3289

ler im Einzelfall eingesetzt wird. Da diese Bestimmung den Staaten einen grossen Ermessensspielraum lässt, wurde es nicht für erforderlich gehalten, die Ermittlungen, derentwegen um Unterstützung ersucht werden kann, wie bei der kontrollierten Lieferung nach Artikel 18 auf Ermittlungen wegen auslieferungsfähiger Straftaten zu beschränken.

Gemäss Absatz 2 ist die Entscheidung über ein Ersuchen betreffend eine verdeckte Ermittlung von den zuständigen Behörden des ersuchten Vertragsstaats zu treffen.

Wird einem Ersuchen stattgegeben, so müssen sich die betroffenen Staaten auch über eine Reihe von Fragen, darunter die Dauer der Ermittlung und deren genaue Modalitäten, unter Beachtung ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Verfahren einigen.

Absatz 3 wurde weit gefasst, um den Vertragsstaaten eine gewisse Flexibilität einzuräumen, die sie im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungen benötigen. So ist vorgesehen, dass verdeckte Ermittlungen im Einklang mit den Rechtsvorschriften und Verfahren des Vertragsstaats, in dem die Ermittlung stattfindet, durchzuführen sind. Vorbereitung und Überwachung der Ermittlung, einschliesslich der Sicherheitsvorkehrungen für die betreffenden Beamten, die Gegenstand der Zusammenarbeit sind, erfolgen in gegenseitiger Absprache zwischen den betroffenen Vertragsparteien. Im schweizerischen Recht existiert in einzelnen kantonalen Verfahrensrechten eine gesetzliche Grundlage für die verdeckte Ermittlung. Eine gesamtschweizerische Regelung ist im Entwurf zum Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung vorgesehen50, das in der parlamentarischen Beratung steht.

Zu den nach Absatz 4 zu bezeichnenden Behörden wird die Schweiz eine Erklärung abgeben51.

In einem bilateralen Vertrag mit Deutschland52 ist die verdeckte Ermittlung bereits geregelt.

Art. 20

Gemeinsame Ermittlungsgruppen

Dieser Artikel lehnt sich sehr stark an Artikel 13 des EU-Übereinkommens an53, wobei der Anwendungsbereich auf entsandte Mitglieder der Ermittlungsgruppe ausgedehnt wurde (Abs. 3). Grundlage für die Regelung war die Tatsache, dass erfahrungsgemäss in Fällen, in denen ein Staat wegen Straftaten ermittelt, die eine grenzüberschreitende Dimension haben, die Beteiligung von Strafverfolgungsbehörden und anderen zuständigen Stellen eines anderen Staats, in dem ein Zusammenhang zu den betreffenden Straftaten besteht, für die Ermittlungen nützlich sein kann. Dies trifft in besonderem Masse für Strafuntersuchungen im Bereich der organisierten Kriminalität zu. Eines der Hindernisse, das bislang in Bezug auf gemeinsame Ermittlungsgruppen bestand, war das Fehlen spezifischer Rechtsgrundlagen, nach denen derartige Gruppen gebildet und tätig werden sollten. Um diese Lücke zu 50

51 52 53

Botschaft des Bundesrates vom 1. Juli 1998 zu den Bundesgesetzen über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs und über die verdeckte Ermittlung (BBl 1998 4241).

Siehe dazu Ziff. 2.3.1 Art. 17 und 18 des schweizerisch­deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (BBl 2000 930 ff.).

Art. 13 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 9; Erläuternder Bericht zu Art. 13: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S. 17.

3290

schliessen, ist in diesem Artikel festgelegt, unter welchen Bedingungen gemeinsame Ermittlungsgruppen zu bilden sind und wie sie ihre Aufgaben zu erfüllen haben.

Absatz 1 enthält die Grundregeln für die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe. Grundlage jeder gemeinsamen Ermittlungsgruppe ist ein Rechtshilfeersuchen, das von jeder betroffenen Vertragspartei gestellt werden kann. Gestützt darauf bedarf es einer Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden der betreffenden Vertragsparteien über den Zweck und die Dauer des Einsatzes sowie über die Zusammensetzung der Ermittlungsgruppe. Was die Zahl der beteiligten Vertragsparteien betrifft, so wurde keine Beschränkung vorgesehen. Der Einsatz der Ermittlungsgruppe beschränkt sich auf einen klar umschriebenen Auftrag, der darin besteht, strafrechtliche Ermittlungen in einer oder mehreren der beteiligten Vertragsparteien durchzuführen. Im Übrigen gilt die Vereinbarung nur für einen festgelegten Zeitraum, der im gegenseitigen Einvernehmen verlängert werden kann. Die Personen, aus denen sich die Ermittlungsgruppe zusammensetzt, sind ebenfalls in der Vereinbarung anzugeben. Im Regelfall dürfte es sich bei diesen Personen um Strafverfolgungsbeamte handeln. In gewissen Fällen können der Gruppe auch Staatsanwälte und Richter oder sonstige Personen angehören. Wurde ein Einvernehmen über die Bildung einer Ermittlungsgruppe erzielt, so wird sie in der Regel in der Vertragspartei eingesetzt, in der voraussichtlich der wesentliche Teil der Ermittlungen durchzuführen sein wird. Die Vertragsparteien müssen auch die Kostenfrage einschliesslich der Tagessätze für die Mitglieder der Gruppe berücksichtigen.

Gemäss Absatz 3 werden die Ermittlungsgruppe und ihre entsandten Mitglieder unter der Voraussetzung tätig, dass ihr Leiter ein Vertreter der an den strafrechtlichen Ermittlungen beteiligten zuständigen Behörde der Vertragspartei ist, in der die Gruppe zum Einsatz kommt. Dies bedeutet insbesondere, dass sich die Leitung der Gruppe je nach spezifischem Auftrag ändern kann, wenn die Ermittlungen durch die Gruppe in mehr als einer Vertragspartei durchgeführt werden. Der Leiter der Gruppe handelt im Rahmen seines innerstaatlichen Rechts (Bst. a). Die Gruppe ist verpflichtet, die Rechtsvorschriften der Vertragspartei, in der sie tätig wird, in vollem Masse
einzuhalten. Der Leiter erteilt den anderen Mitgliedern der Gruppe Weisungen, die diese unter Berücksichtigung der Bedingungen, unter denen die Gruppe gebildet wurde, ausführen (Bst. b).

In Absatz 4 findet sich eine Definition der Ermittlungsgruppe und der entsandten Mitglieder. Nach Absatz 5 können Mitglieder einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe, die nicht in ihrem eigenen Staat zum Einsatz kommen (entsandte Mitglieder), anwesend sein, wenn Ermittlungsmassnahmen im Einsatzstaat ergriffen werden. Der Leiter der Gruppe kann jedoch aus besonderen Gründen anders entscheiden, sofern dies mit den Rechtsvorschriften des Staats, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, vereinbar ist. Der Ausdruck «besondere Gründe» wurde in diesem Zusammenhang nicht definiert, kann jedoch derart ausgelegt werden, dass beispielsweise auch die Aufnahme von Zeugenaussagen im Falle von Sexualverbrechen erfasst ist, insbesondere wenn die Opfer Kinder sind. Ein allfälliger Ausschluss eines entsandten Mitglieds darf nicht mit der alleinigen Begründung erfolgen, dass es sich bei dem Mitglied um einen Ausländer handelt. In bestimmten Fällen können derartige Entscheidungen aus operativen Gründen getroffen werden.

Gemäss Absatz 6 können entsandte Mitglieder Ermittlungsmassnahmen im Einsatzstaat nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts dieses Staats durchführen. Dies geschieht nach Weisungen des Leiters der Gruppe und mit Zustimmung der zuständi3291

gen Behörden des Einsatzstaats und des entsendenden Staats. Eine derartige Zustimmung kann entweder in die Vereinbarung über die Bildung der Gruppe aufgenommen oder zu einem späteren Zeitpunkt erteilt werden. Sie kann auch generell gelten oder auf bestimmte Fälle und Umstände beschränkt werden.

Eine wichtige Neuerung wird in Absatz 7 eingeführt. Ein entsandtes Mitglied kann die zuständigen Behörden seines Landes ersuchen, Massnahmen zu ergreifen, die von der Gruppe für erforderlich erachtet werden. In diesem Fall muss der Einsatzstaat kein formelles Ersuchen um Unterstützung stellen. Die verlangten Massnahmen werden in der betroffenen Vertragspartei so angesehen, als ob sie nach den für innerstaatliche Ermittlungen geltenden Bedingungen erbeten worden wären.

Absatz 8 betrifft den Fall, dass die Unterstützung einer Vertragspartei, die an der Bildung der Ermittlungsgruppe nicht beteiligt war, oder eines Drittstaats erforderlich ist. In diesen Fällen stellt der Einsatzstaat ein Ersuchen um Unterstützung nach den üblicherweise anwendbaren Vorschriften.

Durch Absatz 9 wird die Arbeit der gemeinsamen Ermittlungsgruppen insofern erleichtert, als die Möglichkeit eröffnet wird, dass ein entsandtes Mitglied der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Informationen zur Verfügung stellt, die in dessen Staat vorliegen und die für die Ermittlungen der Gruppe relevant sind. Dieser Informationsaustausch ist jedoch nur unter Beachtung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des entsendenden Staats und im Rahmen der Befugnisse des entsandten Mitglieds möglich.

Absatz 10 regelt die Voraussetzungen, unter denen von einem Mitglied oder einem entsandten Mitglied einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe rechtmässig erlangte Informationen verwendet werden dürfen, wenn diese Informationen den zuständigen Behörden der betreffenden Vertragsparteien nicht anderweitig zugänglich wären.

Die Verwendungsmöglichkeiten solcher Informationen sind allerdings beschränkt: Die übermittelten Informationen können nur für die Zwecke verwendet werden, für die die Gruppe gebildet worden ist (Bst. a). Sie müssen der Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung anderer Straftaten dienen, vorbehaltlich der vorgängigen Zustimmung der Vertragspartei, in der die Informationen erlangt wurden. Die Zustimmung darf nur in den Fällen verweigert werden, in denen eine
solche Verwendung die strafrechtlichen Ermittlungen in der betreffenden Vertragspartei gefährden würde oder in denen diese Vertragspartei die Rechtshilfe verweigern könnte (Bst. b). Die Informationen dienen der Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit und, unbeschadet der Bestimmungen von Buchstabe b, wenn anschliessend eine strafrechtliche Ermittlung eingeleitet wird (Bst. c). Die Verwendung für andere Zwecke ist möglich, sofern dies von den Vertragsparteien, die die Gruppe gebildet haben, vereinbart worden ist (Bst. d).

Gemäss Absatz 12 können die Vertragsparteien, die eine gemeinsame Ermittlungsgruppe gebildet haben, vereinbaren, dass Personen, die nicht Vertreter der zuständigen Behörden dieser Staaten sind, an der Tätigkeit der Gruppe teilnehmen können.

Denkbar wäre beispielsweise, dass auf Personen aus anderen Staaten oder aus internationalen Organisationen (Interpol, Europol) zurückgegriffen wird, die einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mit Rat und Tat beistehen können. Personen, denen es gemäss Absatz 12 gestattet wird, sich an einer Ermittlungsgruppe zu beteiligen, werden in erster Linie unterstützend oder beratend tätig sein. Sie dürfen weder die Aufgaben von Mitgliedern oder entsandten Mitgliedern einer Gruppe wahrneh-

3292

men noch die in Absatz 10 genannten Informationen nutzen, es sei denn, dies ist gemäss der einschlägigen Vereinbarung zwischen den betreffenden Vertragsparteien erlaubt.

Art. 21

Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Beamten

Dieser Artikel lehnt sich sehr stark an Artikel 15 des EU-Übereinkommens an54. Er regelt, sofern nichts anderes zwischen den betroffenen Vertragsparteien vereinbart worden ist, dass Beamte einer anderen als der Vertragspartei, in der der Einsatz erfolgt, wegen Straftaten, die gegen sie gerichtet sind oder die sie begehen, den strafrechtlichen Bestimmungen des Einsatzstaates unterstehen. Die Regelung erstreckt sich auf die grenzüberschreitenden Observationen, die kontrollierten Lieferungen, die verdeckten Ermittlungen und die gemeinsamen Ermittlungsgruppen.

Art. 22

Zivilrechtliche Verantwortlichkeit bei Beamten

Vorlage für diese Bestimmung war Artikel 16 des EU-Übereinkommens55. Ziel dieses Artikels ist eine Regelung zur Deckung zivilrechtlicher Ansprüche, die sich aus dem Einsatz von Beamten einer Vertragspartei im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei bei grenzüberschreitenden Observationen, bei kontrollierten Lieferungen, bei verdeckten Ermittlungen und bei gemeinsamen Ermittlungsgruppen ergeben können. Als Grundregel gilt, sofern die Vertragsparteien nichts anderes vereinbart haben, dass eine Vertragspartei für alle Schäden, die von ihren Beamten während eines solchen Einsatzes verursacht werden, haftet. Von derjenigen Vertragspartei, in der der Schaden entstanden ist, wird verlangt, dass sie den Schaden vorerst in derselben Weise behebt, als wäre er von ihren eigenen Beamten verursacht worden. In einem solchen Fall muss die andere Vertragspartei den an die Geschädigten oder ihre Rechtsnachfolger geleisteten Schadenersatz in voller Höhe erstatten. Vorbehaltlich einer solchen Erstattung und unbeschadet allfälliger Ansprüche gegenüber Dritten darf die Vertragspartei, in der der Schaden entstanden ist, keine weiteren Ersatzansprüche geltend machen.

Art. 23

Zeugenschutz

Die Bestimmung ermöglicht einem Staat, besonderen Schutz für eine Person zu verlangen, die im Zusammenhang mit einem Strafverfahren Einschüchterungsmassnahmen ausgesetzt ist oder sein könnte. Nach dem Willen der Verfasser schafft die Bestimmung für den ersuchten Staat keine Verpflichtung, konkrete Massnahmen zu ergreifen oder gesetzgeberisch tätig zu werden. Sie hält die betroffenen Staaten an, sich über die Vorkehrungen zu einigen, die den Schutz der bedrohten Person sicherstellen können. Der Begriff «Zeuge» ist in Anlehnung an die Empfehlung des Europarates betreffend die Einschüchterung der Zeugen und die Verteidigungsrechte56 in einem weiten Sinn zu verstehen und kann auch die Sachverständigen oder Übersetzer umfassen. Die Bestimmung ist auf jede Person anwendbar, die über Informationen zu einem Strafverfahren verfügt.

54 55 56

Art. 15 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 11; Erläuternder Bericht zu Art. 15: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S. 19.

Art. 16 des Übereinkommens: ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 11; Erläuternder Bericht zu Art. 16: ABl. C 379 vom 29.12.2000, S.19.

Recommandation R (97) 13 sur l'intimidation des témoins et les droits de la défense.

3293

Die Bestimmung legt fest, dass bei einem Rechtshilfeersuchen, das auf Grund des Übereinkommens oder eines seiner Protokolle hinsichtlich eines Zeugen, Sachverständigen oder Übersetzers gestellt wird, zwischen den zuständigen Behörden des ersuchenden und des ersuchten Staates Massnahmen zum Schutz der betroffenen Person zu vereinbaren sind, wenn diese Drohungen befürchten muss oder Schutz benötigt. Solche Drohungen müssen geeignet sein, die Fähigkeit der betroffenen Person, Informationen ohne äussere Einwirkung weitergeben zu können, zu beeinträchtigen. Allfällige Massnahmen sind nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts der beiden Vertragsparteien zu vereinbaren.

Die Anwendung der Bestimmung setzt voraus, dass ein Ersuchen vorliegt und sich die betroffenen Staaten über die notwendigen Schutzmassnahmen einig sind.

Art. 24

Vorläufige Massnahmen

Nach diesem Artikel kann die ersuchte Vertragspartei auf Ersuchen der ersuchenden Vertragspartei vorläufige Massnahmen zur Beweissicherung, Aufrechterhaltung eines bestehenden Zustandes und zum Schutz bedrohter rechtlicher Interessen anordnen (z.B. Sperrung eines Bankkontos). Die ersuchte Vertragspartei kann dem Ersuchen teilweise und unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Befristung der ergriffenen Massnahmen) stattgeben. Die innerstaatliche Rechtsgrundlage, um diese Massnahmen anzuordnen, findet sich in Artikel 18 IRSG.

Nach Absatz 1 setzt die Anordnung einer vorläufigen Massnahme voraus, dass sie im Einklang mit dem Recht des ersuchten Staates steht. Ist die Schweiz ersuchter Staat, so können die im Rahmen eines ausländischen Strafverfahrens verlangten vorläufigen Massnahmen angeordnet werden, wenn keine offensichtlichen Gründe gegen die Zusammenarbeit vorliegen (z.B. Fehlen der doppelten Strafbarkeit).

Absatz 2 regelt die Modalitäten. Der ersuchte Staat kann die vorläufige Massnahme teilweise anordnen oder an Bedingungen knüpfen.

Art. 26

Datenschutz

Da das Zweite Zusatzprotokoll eine Reihe polizeilicher Massnahmen vorsieht, lag ein spezielles Augenmerk auf der Regelung der sich daraus ergebenden datenschutzrechtlichen Fragestellungen.

Artikel 26 bezieht sich auf personenbezogene Daten, die auf Grund des Übereinkommens oder eines seiner Protokolle übermittelt werden. Der Ausdruck «personenbezogene Daten» ist in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 198157 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten verwendet worden. Nach Artikel 2 Buchstabe a des genannten Übereinkommens bedeutet «personenbezogene Daten» jede Information über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person («Betroffener»). Diese Begriffsumschreibung gilt ungeachtet der Weise der Speicherung oder der Verarbeitung der personenbezogenen Daten. Dies beinhaltet, dass Artikel 26 sowohl auf automatisch als auch auf nicht automatisch verarbeitete Daten Anwendung findet.

Als bestimmbar wird eine Person angesehen, die direkt oder indirekt identifiziert werden kann, insbesondere durch Zuordnung zu einer Kennnummer oder zu einem 57

SR 0.235.1

3294

oder mehreren spezifischen Elementen, die Ausdruck der physischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser Person sind.

Die für die Vertragsstaaten nach dem Übereinkommen von 1981 bestehenden Pflichten bleiben von Artikel 26 in jeder Hinsicht unberührt. Nach Artikel 5 des genannten Übereinkommens müssen die Vertragsparteien in ihrem innerstaatlichen Recht die erforderlichen Massnahmen ergreifen, damit die personenbezogenen Daten, die automatisch verarbeitet werden, nach Treu und Glauben und auf rechtmässige Weise beschafft und verarbeitet, für festgelegte und rechtmässige Zwecke gespeichert und zweckgebunden verwendet werden. Zudem müssen die gespeicherten Daten sachlich richtig sein, wenn nötig auf den neuesten Stand gebracht sein und so aufbewahrt werden, dass der Betroffene nicht länger identifiziert werden kann, als es die Zwecke, für die sie gespeichert sind, erfordern.

Die Voraussetzungen, unter denen personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der Ausführung eines Rechtshilfeersuchens vom Vertragsstaat, dem sie übermittelt wurden, ohne vorherige Zustimmung des Vertragsstaats, der sie übermittelt hat, verwendet werden dürfen, sind in Absatz 1 Buchstaben a­c geregelt: Buchstabe a betrifft die Verwendung für Verfahren, «auf die das Übereinkommen oder eines seiner Protokolle Anwendung findet».

Buchstabe b erlaubt eine Verwendung im Rahmen «sonstiger justizieller und verwaltungsbehördlicher Verfahren, die mit Verfahren im Sinne des Buchstabens a unmittelbar zusammenhängen». Die Formulierung «unmittelbar zusammenhängen» kann sich beispielsweise auf Verfahren betreffend den Entzug des Sorgerechts im Zusammenhang mit einem Strafverfahren wegen Kindesmisshandlung beziehen oder ein Entschädigungsverfahren eines Opfers einer Straftat betreffen, das seine finanziellen Ansprüche auf dem Zivilweg einklagt. Um sicherzustellen, dass von der Schweiz übermittelte Daten nicht für Steuerhinterziehungsverfahren verwendet werden können, beabsichtigt der Bundesrat, von der in Absatz 5 vorgesehenen Erklärungsmöglichkeit Gebrauch zu machen58.

Buchstabe c betrifft die Abwehr «einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit».

Für jede andere Verwendung personenbezogener Daten verlangt Absatz 2 die vorgängige Zustimmung entweder der übermittelnden
Vertragspartei oder der betroffenen Person.

Absatz 3 gibt jedem Vertragsstaat die Möglichkeit, die Übermittlung von Daten, die er infolge der Erledigung eines Ersuchens gemäss dem Übereinkommen oder einem seiner Protokolle erlangt hat, unter bestimmten Voraussetzungen zu verweigern. Die Herausgabe der Daten kann abgelehnt werden, wenn die Daten nach dem innerstaatlichen Recht geschützt sind und die Vertragspartei, der die Daten übermittelt werden sollen, nicht an das Übereinkommen des Europarates zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 28. Januar 1981 gebunden ist. Verpflichtet sich jedoch die Vertragspartei, der die Daten übermittelt werden, den Daten den gleichen Schutz zu gewähren wie die übermittelnde Vertragspartei, so darf die Übermittlung nicht verweigert werden.

58

Siehe dazu Ziff. 2.3.1

3295

Nach Absatz 4 kann jede Vertragspartei, die infolge der Erledigung eines Ersuchens nach dem Übereinkommen oder einem seiner Protokolle Daten übermittelt, von der Vertragspartei, der die Daten übermittelt wurden, verlangen, über die Verwendung der Daten unterrichtet zu werden.

Die Schweiz wird zu Absatz 5 eine Erklärung abgeben, die den Anwendungsbereich der Bestimmung präzisiert. Diese Erklärung dient dazu, dass personenbezogene Daten aus der Schweiz nicht in einem ausländischen Steuerhinterziehungsverfahren verwendet werden.

Art. 28

Verhältnis zu anderen Übereinkünften

Der Zweck dieser Bestimmung liegt in der Harmonisierung der Vereinbarungen im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Nach diesem Artikel steht das Zweite Zusatzprotokoll weitergehenden Regelungen zwei- oder mehrseitiger ­ zwischen Vertragsparteien geschlossener ­ Übereinkünfte nicht entgegen, sofern diese Vereinbarungen der Ergänzung des Übereinkommens, des Zweiten Zusatzprotokolls oder der Erleichterung der Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze dienen. Die zwischen der Schweiz und den Nachbarstaaten (Frankreich, Deutschland, Österreich und das Fürstentum Liechtenstein sowie Italien) geschlossenen bilateralen Verträge auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Strafsachen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit verfolgen genau diesen Zweck. Ihrer Weitergeltung steht somit nichts entgegen.

In die gleiche Richtung zielt Artikel 30 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 196959 über das Recht der Verträge, der sich mit der Anwendung aufeinanderfolgender Verträge über denselben Gegenstand befasst. Artikel 30 hält in Absatz 3 fest, dass wenn alle Vertragsparteien eines früheren Vertrages zugleich Vertragsparteien eines späteren sind, ohne dass der frühere Vertrag beendet oder suspendiert wird, der frühere Vertrag (in casu: die mit den Nachbarstaaten abgeschlossenen bilateralen Verträge) nur Anwendung findet, als er mit dem späteren Vertrag (in casu: Zweites Zusatzprotokoll) vereinbar ist. Als Ausfluss des Grundsatzes «Pacta sunt servanda» (Art. 26) ist jede vertragliche Regelung im Einzelfall nach Treu und Glauben anzuwenden60. Diese Bestimmung ist für die bilateralen Verträge und das Zweite Zusatzprotokoll insofern von Bedeutung, als die Übereinkünfte teilweise die gleichen Themengebiete abdecken. Das Inkrafttreten des Zweiten Zusatzprotokolls sollte aus schweizerischer Sicht die weiterhin geltenden bilateralen Verträge mit den Nachbarstaaten in keiner Weise beschränken. Es ist davon auszugehen, dass auf Grund des Handlungsspielraums im Zusatzprotokoll die heute bestehenden Möglichkeiten im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit bei der Anwendung dieser Verträge ausgeschöpft werden können.

59 60

SR 0.111 Robert Zimmermann, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, Bern 1999, S. 58 f.

3296

2.2.3 Art. 30­35

Kapitel III Schlussbestimmungen

Die Artikel 30­35 basieren sowohl auf den vom Ministerkomitee 1980 genehmigten «Muster-Schlussklauseln für im Rahmen des Europarates geschlossene Übereinkommen und Abkommen»61 als auch auf den Schlussklauseln des Übereinkommens von 1959.

Wie das Übereinkommen selber, so steht auch das Zweite Zusatzprotokoll Nichtmitgliedstaaten des Europarates offen. Voraussetzung eines Beitritts zum Zweiten Zusatzprotokoll ist der Beitritt zum Übereinkommen (Art. 31 Abs. 1).

Artikel 33 befasst sich mit geltenden und neuen Vorbehalten. Die Vorbehalte wie auch die Erklärungen zum Übereinkommen und zum ersten Zusatzprotokoll behalten ihre Gültigkeit, sofern sie nicht zurückgezogen werden (Abs. 1). Beim Zweiten Zusatzprotokoll beschränken sich die Vorbehalte auf die Artikel 16-20 (Abs. 2).

Jeder Vertragsstaat kann das Zweite Zusatzprotokoll jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Notifikation kündigen (Art. 34 Abs. 1). Eine Kündigung des Übereinkommens bedeutet gleichzeitig auch eine Kündigung des Zweiten Zusatzprotokolls (Art. 34 Abs. 3).

2.3

Bundesbeschluss betreffend das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen

Das Zweite Zusatzprotokoll sieht vor, dass ein Vertragsstaat anlässlich der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungsoder Beitrittsurkunde verschiedene Erklärungen und Vorbehalte abgeben kann.

2.3.1

Erklärungen zum Zweiten Zusatzprotokoll

Der Bundesrat beabsichtigt, anlässlich der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde sieben Erklärungen zum Zweiten Zusatzprotokoll abzugeben. Sie bezwecken, die Umsetzung der Rechtshilfebestimmungen zu vereinfachen und den Rahmen für die Zusammenarbeit abzustecken.

I. Zu Artikel 4 Absatz 8 (Übermittlungswege) In Anlehnung an die Erklärung zum Übereinkommen62 ist für die Entgegennahme der Rechtshilfeersuchen des Auslands und für die Übermittlung der schweizerischen Rechtshilfeersuchen nach Artikel 4 Absätze 1 und 4, für die Entgegennahme und Übermittlung von Ersuchen um vorübergehende Überstellung von Häftlingen nach 61

62

Siehe «Rapport explicatif relatif au Deuxième Protocole additionnel à la Convention européenne d'entraide judiciaire en matière pénale», Ziff. 203: http://conventions.coe.int/Treaty/FR/Cadreprincipal.htm.

Erklärung der Schweiz zu Art. 11 Abs. 3, 13 Abs. 1 und 15 Abs. 1 und 3 des Übereinkommens (SR 0.351.1).

3297

Artikel 4 Absatz 2 sowie für die Stellung und Entgegennahme von Ersuchen um Abgabe von Strafregisterauszügen nach Artikel 4 Absatz 5 das Bundesamt für Justiz als Zentralstelle zuständig. Wird ein Ersuchen nach Artikel 4 wegen Dringlichkeit unmittelbar der zuständigen Behörde im ersuchten Staat übermittelt, so ist eine Kopie des Ersuchens und der Antwort an das Bundesamt für Justiz zu richten.

II. Zu Artikel 6 (Justizbehörden) In Anlehnung an die Erklärung zum Übereinkommen63 gelten als schweizerische Justizbehörden im Sinne des Übereinkommens die Gerichte, ihre Kammern oder Abteilungen, die Bundesanwaltschaft, das Bundesamt für Justiz sowie die nach kantonalem oder eidgenössischem Recht mit der Instruktion von Straffällen betrauten, zur Ausstellung von Strafbefehlen ermächtigten oder Entscheide in Verfahren strafrechtlicher Angelegenheiten fällenden Behörden.

III. Zu Artikel 17 Absatz 4 (Grenzüberschreitende Observation) Für die Erledigung von Ersuchen nach Artikel 17 werden das Bundesamt für Polizei und die Polizeikommandos der Kantone als zuständig erklärt.

Ersuchen an die Schweiz nach Artikel 17 Absätze 1 und 2 sind an die Strafverfolgungsbehörden des Bundes oder an die Strafverfolgungsbehörden des Kantons zu richten, auf dessen Gebiet der Grenzübertritt voraussichtlich erfolgen soll.

Im Zweifelsfall können Ersuchen nach Artikel 17 Absatz 1 an das Bundesamt für Justiz und Ersuchen nach Artikel 17 Absatz 2 an das Bundesamt für Polizei geschickt werden.

IV. Zu Artikel 18 Absatz 4 (Kontrollierte Lieferung) Ersuchen an die Schweiz nach Artikel 18 sind an die Strafverfolgungsbehörden des Bundes oder an die Strafverfolgungsbehörden des Kantons zu richten, auf dessen Gebiet der Transport beginnt.

Im Zweifelsfall können die Ersuchen an das Bundesamt für Justiz geschickt werden.

V. Zu Artikel 19 Absatz 4 (Verdeckte Ermittlungen) Für die Erledigung von Ersuchen nach Artikel 19 werden die Bundesanwaltschaft und der eidgenössische Untersuchungsrichter64 sowie die Strafverfolgungsbehörden des Kantons, auf dessen Gebiet die grenzüberschreitende Ermittlung beginnt, als zuständig erklärt.

VI. Zu Artikel 26 Absatz 5 (Datenschutz) Die Schweiz verlangt, dass personenbezogene Daten, die einer Vertragspartei für die in Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Zwecke übermittelt werden, ohne Einwilligung der
betroffenen Person nur nach Zustimmung des Bundesamtes für Justiz in einem Verfahren verwendet werden dürfen, für das die Schweiz die Übermittlung oder Verwendung der personenbezogenen Daten nach dem Übereinkommen hätte verweigern oder einschränken können65.

63 64 65

Erklärung der Schweiz zu Art. 1 des Übereinkommens (SR 0.351.1).

Siehe Art. 10 E-BG über die verdeckte Ermittlung (BBl 1998 4319).

Siehe Art. 12 Abs. 3 Bst. b des Europarat-Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (SR 0.235.1).

3298

VII. Zu Artikel 27 (Verwaltungsbehörden) Als schweizerische Verwaltungsbehörden nach Artikel 1 Absatz 3 des Übereinkommens werden die Amtsstellen des Bundes und der Kantone bezeichnet, die nach kantonalem oder eidgenössischem Recht strafbare Handlungen verfolgen und nach Abschluss der Untersuchung die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens beantragen können, das zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen kann.

2.3.2

Vorbehalte zum Zweiten Zusatzprotokoll

Der Bundesrat beabsichtigt, zu keinem der Artikel mit Vorbehaltsmöglichkeit (Art. 16­20) einen Vorbehalt anzubringen.

I. Zu Artikel 16 (Zustellung auf dem Postweg) Entsprechende Regelungen bestehen bereits in bilateralen Verträgen mit Frankreich66, Italien67 und Deutschland68. Artikel 68 IRSG in Verbindung mit Artikel 30 der entsprechenden Verordnung69 (IRSV) geht in die gleiche Richtung. Diese Bestimmungen sehen die postalische Zustellung ausdrücklich vor.

II. Zu Artikel 17 (Grenzüberschreitende Observation) Die Regelung über die grenzüberschreitende Observation ist so ausgestaltet, dass sie den Vertragsparteien einen weiten Handlungsraum lässt. Der Vollzug dieser Massnahme richtet sich ausschliesslich nach dem Recht des ersuchten Staates. Mit dem Verweis auf das innerstaatliche Recht ist sichergestellt, dass der Gesetzgeber in dieser Materie nicht gebunden ist.

Nach Artikel 17 des Zweiten Zusatzprotokolls ist für eine grenzüberschreitende Observation ein Rechtshilfeersuchen notwendig. Damit soll sichergestellt werden, dass ausländische Beamte nicht ohne Zustimmung der verfahrensleitenden Behörde auf schweizerischem Territorium Amtshandlungen vornehmen, die den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden vorbehalten sind. In dringenden Fällen ist eine Observation ohne Ersuchen über die Grenze hinweg möglich. Aber auch in diesen Fällen muss ein Ersuchen nachgereicht werden. Die Gutheissung eines Ersuchens um Observation durch die Bundesbehörde oder eine kantonale Behörde kann an Auflagen geknüpft werden. Diese Bestimmung ermöglicht es der Schweiz, die Observation beispielsweise zeitlich zu befristen und sie nach Ablauf dieser Frist nur nach Bewilligung durch die zuständige kantonale oder eidgenössische Gerichtsinstanz weiterzuführen. Die in Artikel 17 vorgesehene Regelung gibt der Schweiz genügend 66

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68

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Art. X des Vertrags vom 28. Okt. 1996 zwischen der Schweiz und Frankreich zur Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.934.92).

Art. XII des Vertrags vom 10. Sept. 1998 zwischen der Schweiz und Italien zur Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen und zur Erleichterung seiner Anwendung (BBl 1999 1590).

Art. 1 des Vertrags vom 8. Juli 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Änderung des Vertrages vom 13. Nov. 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (BBl 2000 947).

SR 351.11

3299

Handlungsspielraum und steht dem Vorentwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung nicht entgegen.

Zudem bestehen bereits in bilateralen Verträgen mit Deutschland70 und Österreich sowie dem Fürstentum Liechtenstein71 Regelungen über die grenzüberschreitende Observation, die teilweise weiter gehen. Auch mit Frankreich wurde im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit eine Bestimmung über die grenzüberschreitende Observation aufgenommen72.

III. Zu Artikel 18 (Kontrollierte Lieferung) Der Entscheid über die Durchführung und das Verfahren von kontrollierten Lieferungen kann im Einzelfall von der ersuchten Vertragspartei nach Massgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften getroffen werden. Der Vollzug der Massnahme richtet sich ausschliesslich nach dem Recht des ersuchten Staates. Diese Schranke lässt der Schweiz genügend Ermessensspielraum bei der Behandlung solcher Ersuchen. Im Übrigen bestehen bereits entsprechende Regelungen in bilateralen Verträgen mit Deutschland73 und Österreich sowie dem Fürstentum Liechtenstein74.

IV. Zu Artikel 19 (Verdeckte Ermittlungen) Bei der Bestimmung über die verdeckte Ermittlung handelt es sich einerseits um eine Kann-Vorschrift, andererseits bedarf der Vollzug dieser Massnahme einer Vereinbarung zwischen den betroffenen Vertragsparteien. Ausserdem ist für den Vollzug ausschliesslich das Recht der ersuchten Vertragspartei massgebend. Mit dem Vorbehalt des innerstaatlichen Rechts ist sichergestellt, dass der Handlungsspielraum des Parlaments mit Blick auf die Vorlage über die verdeckte Ermittlung nicht beschnitten wird. Im Übrigen existiert eine entsprechende Regelung bereits in einem bilateralen Vertrag mit Deutschland75.

V. Zu Artikel 20 (Gemeinsame Ermittlungsgruppen) Bei der Bestimmung über die gemeinsamen Ermittlungsgruppen handelt es sich ebenfalls um eine Kann-Vorschrift. Eine gemeinsame Ermittlungsgruppe kann nur gebildet und eingesetzt werden, wenn zwischen den betroffenen Vertragsparteien eine Vereinbarung zustande gekommen ist. Der Einsatz richtet sich zudem nach dem Recht der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Ermittlung stattfindet. Diese strengen Voraussetzungen bieten ausreichend Gewähr, dass die schweizerischen Rechtsvorschriften Anwendung finden. Ein Vorbehalt drängt sich deshalb nicht auf.

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Art. 14 und 15 des schweizerisch­deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (BBl 2000 926 ff.). In Kraft seit 1.3.2002.

Art. 10 des Vertrags vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (SR 0.360.163.1).

Art. 7 des Abkommens vom 11. Mai 1998 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Justiz-, Polizei- und Zollsachen (SR 0.360.349.1).

Art. 19 des schweizerisch­deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (BBl 2000 932).

Art. 12 des Vertrags vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (SR 0.360.163.1).

Art. 17 und 18 des schweizerisch­deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (BBl 2000 930 ff.).

3300

Im Übrigen bestehen entsprechende Regelungen bereits in bilateralen Verträgen mit Deutschland76 und Österreich sowie dem Fürstentum Liechtenstein77.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen auf den Bund und auf die Kantone

Das Zweite Zusatzprotokoll schafft für die Schweiz keine Rechtshilfeverpflichtungen, die über das Rechtshilfegesetz und die einschlägigen Staatsverträge mit den Nachbarstaaten hinausgehen. Von daher ist vom Zweiten Zusatzprotokoll quantitativ kein zusätzlicher Arbeitsanfall zu erwarten. Hingegen kann angesichts der vorgesehenen Rechtshilfemassnahmen (Einvernahme per Video- und Telefonkonferenz, grenzüberschreitende Observation, kontrollierte Lieferung, verdeckte Ermittlung, gemeinsame Ermittlungsgruppen usw.) ein qualitativer Mehraufwand nicht ausgeschlossen werden. Die Erledigung solcher Ersuchen kann unter Umständen zeit- und kostenintensiv sein. Dies trifft insbesondere auf die Rechtshilfefälle zu, die der Bund in eigener Kompetenz behandelt. Zurzeit lässt sich noch nicht abschätzen, wie sich ein allfälliger Mehraufwand bei der Erledigung solcher Ersuchen finanziell auf die eidgenössischen und kantonalen Behörden auswirken wird. Dies hängt massgeblich von der Anzahl und vom Umfang der Ersuchen sowie von der Art und Dauer der verlangten Rechtshilfemassnahmen ab.

3.2

Auswirkungen auf die Informatik

Der Beitritt der Schweiz zum Zweiten Zusatzprotokoll lässt keine Auswirkungen auf die Informatik erwarten.

3.3

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Der Beitritt der Schweiz zum Zweiten Zusatzprotokoll lässt keine volkswirtschaftlichen Auswirkungen erwarten.

4

Legislaturplanung

Das Zweite Zusatzprotokoll wird im Bericht vom 1. März 2000 über die Legislaturplanung 1999­200378 unter Ziel 4 Umsetzung der neuen Sicherheitspolitik «Sicherheit durch Kooperation» (R 9 Intensivierung der internationalen Justiz- und

76 77

78

Art. 20 ff. des schweizerisch­deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (BBl 2000 933 ff.).

Art. 13 ff. des Vertrags vom 27. April 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden (SR 0.360.163.1).

BBl 2000 2287 f.

3301

Polizeizusammenarbeit als Grundlage für die innere Sicherheit) als neues Rechtshilfeinstrument erwähnt.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Das Zweite Zusatzprotokoll liegt auf der Linie der neuen Instrumente, die in Europa geschaffen wurden. Es lehnt sich stark an das Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union an. Teilweise sind auch Bestimmungen aus dem Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 eingeflossen.

Ziel des Zweiten Zusatzprotokolls ist es, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten durch die Weiterentwicklung und Modernisierung der bestehenden Rechtshilfebestimmungen zu verbessern. Mit dem neuen Rechtshilfeinstrument soll die gemeinsame Bekämpfung der internationalen Kriminalität verstärkt werden. Es handelt sich um ein wichtiges Instrument des Europarates, das zusammen mit den neuen Übereinkommen im EU-Raum eine fortschrittliche Grundlage für die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen darstellt.

6

Verfassungsmässigkeit

Der Bund ist nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV) für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig. Als Ausfluss dieser Kompetenz obliegt es dem Bundesrat, völkerrechtliche Verträge mit dem Ausland zu unterzeichnen und sie der Bundesversammlung zur Genehmigung zu unterbreiten (Art. 184 Abs. 2 BV). Die Genehmigungskompetenz der Bundesversammlung ist in Artikel 166 Absatz 2 BV festgehalten.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV werden völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Das Zweite Zusatzprotokoll ist kündbar (Art. 34) und impliziert keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation.

Es stellt sich einzig die Frage, ob die Ratifikation eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführt. Nach konstanter Praxis des Bundesrates unterliegen dem fakultativen Referendum nur diejenigen Verträge zwingend, die Einheitsrecht enthalten, das im Wesentlichen direkt anwendbar (self-executing) ist, und ein bestimmtes, genau umschriebenes Rechtsgebiet genügend umfassend regeln, d.h. jenen Mindestumfang aufweisen, der auch nach landesrechtlichen Massstäben die Schaffung eines separaten Gesetzes als sinnvoll erscheinen liesse79. Das Parlament hat die Praxis des Bundesrates präzisiert und entschieden, dass in Einzelfällen - wegen der Bedeutung und der Art der Bestimmungen oder weil internationale Kontrollorgane geschaffen werden ­ auch dann eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vorliegen kann, wenn die betreffenden internationalen Normen nicht zahlreich sind80. Der Be-

79 80

BBl 1988 II 912, 1990 III 948, 1992 III 324 BBl 1990 III 948 (mit Hinweisen)

3302

griff der «Rechtsvereinheitlichung» kann sich nur auf einzelne Normen beziehen, wenn diese von grundlegender Bedeutung sind81.

Das Zweite Zusatzprotokoll enthält hauptsächlich Vorschriften formeller oder verfahrensrechtlicher Natur, die das Grundübereinkommen von 1959 ergänzen und für die Schweiz nicht neu sind. Diese Bestimmungen bewirken keine multilaterale Rechtsvereinheitlichung und sind nicht direkt anwendbar. Bei Artikel 9 hingegen wird in Bezug auf die Einvernahme per Videokonferenz einheitliches Recht geschaffen, das in den Vertragsstaaten direkt anwendbar ist. Diese Bestimmung verpflichtet den ersuchten Staat, Zeugen oder Sachverständige nach dem Recht und unter der Verfahrensleitung des ersuchenden Staates im Rahmen einer Videokonferenz einzuvernehmen. Die rechtshilfeweise Einvernahme von Zeugen oder Sachverständigen, bei der ausländisches Recht angewendet wird und ausländische Prozessbeteiligte anwesend sind, ist im nationalen Recht zwar bereits vorgesehen (Art. 65 Abs. 1 und 2 sowie Art. 65a Abs. 1 und 2 IRSG). Die Regelung im Zweiten Zusatzprotokoll wird aber zur Folge haben, dass die Verfahrensherrschaft bei dieser neuen Einvernahmemethode beim ersuchenden Staat liegt. Zudem muss der Zeuge oder Sachverständige zur Videokonferenz erscheinen, wenn seine Einvernahme im ersuchenden Staat nicht zweckmässig oder möglich ist. Nach geltendem Recht steht es einer Person frei, ob sie im ersuchenden Staat zu einer Einvernahme erscheinen will (Art. 69 Abs. 1 IRSG). Da die Bestimmung im Zweiten Zusatzprotokoll das nationale Recht in einem entscheidenden Punkt ergänzt und von den staatlichen Behörden unmittelbar angewendet werden kann, darf davon ausgegangen werden, dass das Zweite Zusatzprotokoll in diesem Bereich eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV darstellt.

Aus diesen Gründen wird der Genehmigungsbeschluss der Bundesversammlung dem fakultativen Referendum unterstellt.

81

BBl 2001 6338

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