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Schweizerisches Bundesblatt.

44. Jahrgang. IV.

Nr. 38.

14. September 1892.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend das Gesuch des Kantons Tessin um Bewilligung eines Bundesbeitrages an die Centovallistraße.

(Vom 9. September 1892.)

Tit.

In unserm Geschäftsberichte für das lelzte Jahr ist bereits erwähnt worden, daß die Regierung des Kantons Tessin unterm 10. Dezember 1891 auf Veranlassung der Gemeinden von Palagnedra, Borgnone und Intragna neuerdings um Subventionirung der Straße durch das Centovalli eingekommen ist. Wie wir dies in unserer Botschaft an die h. Bundesversammlung vom 15. November 1887 des Nähern auseinandergesetzt h a b e n , war von obgenannter Regierung schon mit Schreiben vom 2. März 1886 ein solches Gesuch eingereicht worden. Die neue Straße wäre nach dem eingesandten Projekte bei Cavigliano von der nach Onsernone führenden Verbindungsstraße abgezweigt und hätte, bei Intragna in das Thal von Centovalli gelangend, letzteres bis an die italienische Grenze durchlaufen. Indem sie in der Fortsetzung auf dem jenseitigen Gebiete bis Domo d'Ossola geführt halte, wäre damit die Straßenverbindung zwischen Locamo und letztgenanntem, an der Simplonlinie liegenden Orte hergestellt worden. Die Regierung von Tessin glaubte hierin die Befriedigung eines wichtigen strategischen Interesses erblicken zu sollen und motivirte wesentlich damit ihr Subventionsgesuch.

Unser Militärdepartement sprach sich aber in dem -von ihm eingeholten Gutachten ganz gegentheilig aus, und wir landen uns dadurch veranlaßt, der Regierung zu erwidern, der Bundesrath Bundesblatt. 44. Jahrg.

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könne die Ansicht nicht theilen, daß die Unterstützung des fraglichen Straßenbaues von Seite des Bundes sich aus militärischen Gründen rechtfertige, und er lehne es daher ab, auf das gestellte Gesuch einzutreten.

Die Regierung wiederholte dann aber letzteres mit Schreiben vom 5. Juni 1886 unter Einsendung einer von den vorgenannten Gemeinden an die eidgenössischen Räthe gerichteten Petition.

Nach genauer Prüfung der Angelegenheit haben wir der h. Bundesversammlung den Antrag auf Nichteintreten vorgelegt, welchem der Nationalrath durch Beschluß vom 25. Juni 1888 beistimmte, während der Ständerath zuerst die Subventionirung beschloß, aber dann in endgültiger Abstimmung vom 27. Juni 1888 insofern beitrat, als z u r Z e i t dieses Nichteintreten bestätigt wurde.

Auf energisches Drängen der Thalbevölkerung, welche durchaus eine fahrbare Verbindung einerseits mit dem übrigen Kantone, anderseits mit dem stark bevölkerten und reichen italienischen Thaïe von Vigezzo anstrebte, beschloß der Große Rath des Kantons Tessin, die Straße ohne Bundessubvention zu bauen, wobei aber, der bedrängten Finanzlage der Betheiligten Rechnung tragend, die Breite der Fahrbahn von 5 m, auf 3 m. reduzirt wurde.

Unterm 1. Dezember 1891 richteten die drei Hauptgemeinden von Centovalli : Palagoedra, Borgnone und Intragna, neuerdings an die Regierung das Gesuch, sie möchte noch einmal bei der h. Bundesversammlung um Subventionirung der Straße von Cavigliano hinweg durch das Centovalli bis zur italienischen Grenze einkommen, indem dieselben geltend machten, daß die Wichtigkeit einer Straße durch das Centovalli bedeutend zugenommen habe, nachdem die Aussichten, daß auch auf italienischer Seite die Straße von Santa Maria Maggiore her fortgesetzt werde, sich wesentlich befestigt hätten. Die italienische Regierung habe nämlich mit Gesetz vom 23. Juli 1881 den Beitrag für neue Straßenbauten in den Jahren 1881--1895 bestimmt und für die Provinz No varrà die Erstellung der Straße von Santa Maria Maggiore über Grana nach der Schweizergrenze gegen Centovalli hin vorgesehen. Die Länge dieser Straße sei auf 12,87 km. angesetzt worden, mit einem Kosten voranschlage von Fr. 350,000, welche Summe zur Hälfte vom Staate und zur Hälfte von der betreffenden Provinz getragen werden solle.

Ueberdies habe eine italienische Expertenkommission,
welche im letzten Frühjahre eine Lokalbesichtigung vorgenommen, erklärt, daß Italien mit der Ausführung dieses Straßenbaues beginnen werde, sobald auf schweizerischer Seite die nöthige Verbreiterung des Planums und der Ausbau der Strecke Cavigliano-Intragna an Hand

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genommen worden sei. Für letztere Strecke, welche bis jetzt im Bau ganz zurückgeblieben war, hat der Große Rath in seiner Sitzung vom 26. November 1891 eine kantonale Beitragsleistung ebenfalls zugesagt. Von Intragna bis Camedo nahe bei der italienischen Grenze ist die Straße bereits erstellt und das Straßenstuck Cavigliano bis Intragna befindet sich im Bau.

Die Centovallistraße zweigt bei Cavigliano von der bereits bestehenden, von Locamo über Ponte Broda, Tegna, Versoio nach dem Val Onsernone fuhrenden ab, überschreitet den Isorno auf einer gewölbten Brücke, um mit einer Verbindungsgallerie von 30 m. Länge die Brücke über das Seitentobel der Gura zu erreichen, welches mit einer Brücke von 20 m. Lichtweite überspannt wird; von dort weg zieht sich dieselbe dem Abhänge entlang nach Intragna.

Von Intragna bis Camedo ist die Straße, wie schon erwähnt, beendigt und vor Kurzem durch die tessinischen Behörden kollaudirt worden.

Sie zieht sich unter dem Dorfe am linkseitigen, steilen und felsigen Abhänge der Melezza hin, überschreitet mittelst einer steinernen Brücke den Riale di Molini, bleibt unterhalb der Casa Mattoni und dem Weiler von Coreapolo, durchquert eine Menge von größeren und kleineren Wasserrinnen (woher der Name Centovalli herrührt) und gelangt nach (Jeberwindung eines Felsbandes zur Trana di Coreapolo, einer gewaltigen, hoch hinauf sich erstreckenden Felsabrutschung, welche gegenwärtig verbaut und aufgeforstet wird. Immer dem Terrain und den vielen Seitenthälchen sich anschmiegend, überschreitet die Straße dann auf einer steinernen Brücke von 20 m. Oeffnung den Riale di Vallacela, bleibt unterhalb der Kapelle Oratorio di Sanalto, übersetzt den Riale di Chiara mittelst einer im Bogen gebauten steinernen Brücke von zwei Oeffnungen, gelangt nach einem hohen Felseinschnitte zum Riale di Verdasio, welcher mit einer eisernen Brücke von 60 m. Länge mit eisernem Mittelpfeiler überspannt ist. Von dort folgt die Straße stets den Ondulationen des Terrains, immer an steilem Abhänge sich bewegend, durchquert das Felsband beim Riale di Lionza, überschreitet den Riale di Borgnone und führt durch einen Felseirischnitt und einen circa 28 m. langen Tunnel nach dem Dorfe Camedo und von dort an die italienische Grenze.

Es bleibt nun noch eines kleinen Straßenstuckes zu erwähnen übrig, welches jenseits
der Brücke von Verdasio abzweigend das Dorf Palagnedra mit der Hauptstraße verbindet. In zwei Kehren beabsichtigt man zu einer eisernen Hochbrücke über die Melezza zu gelangen, welche mit einer einzigen Spannung von 40 m. an-

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gelegt würde. Die Länge der Centovallistraße, inklusive des kleinen Seitenstückes bei Palagnedra, beträgt 12 km. 510 m.

Hievon entfallen : Auf die Strecke von Cavigliano bis Intragna 2,270 km.; auf diejenige von Intragna bis Camedo 9,s km. und endlich auf das Verbindungsstück nach Palagnedra 0,440 km.

Das Maximalgefälle der Hauptstraße beträgt 7,5 °/o, das des kleinen Verbindungsstückes 10 °/o.

Die Fahrbahnbreite variirt von 3 bis zu 4 m., welch' letztere Breite bei den meisten Kunstbauten angenommen wurde, so zwar, daß Wehrsteine, Geländer und Brustmauern außerhalb dieser Breite fallen.

Von Kunstbauten sind besonders 398 laufende Meter Halbgallerien, 43 rn. Tunnel, 19 gewölbte Durchlässe von 3 bis 5 in.

lichter Weite und 12 Brücken, wovon 3 eiserne von 30 m., 40 m.

und 60 m. Länge und 9 .steinerne Brücken von 7 bis 20 m. Spannweite, zu erwähnen ; außerdem sind noch bedeutende Felseinschnitte und hohe Stützmauern vorhanden.

Der Kosteuvoranschlng beträgt Fr. 710,000, die Ausgaben für Verbreiterungen an der Fahrbahn und militärische Maßnahmen inbegriffen.

Die erforderliche. Lokalbesichtigung seitens des Oherbauinspektorates hat stattgefunden und es wurde infolge dessen die Regierung eiogeladen, die Fahrbahnbreite von 3 m. auf 4,ao m. zu erhöhen, indem dieses dio geringste Dimension ist, welche jetzt bei einer vom Bunde zu subventionirenden Fahrstraße zugelassen werden kann. Mit Schreiben vom 6. August abbin hat die Regierung des Kantons Tessin die Zusicherung gegeben, daß die gewünschte Verbreiterung der Hauptstraße in Kürze überall durchgeführt werden solle, wozu sie bereits die erforderliehen Aufträge an die Bauleitung ertheilt habe.

Weitere Untersuchungen in Betreff der Straßenanlage und der Solidität der ausgeführten Bauten werden stattfinden, sobald die Hauptfrage, nämlich die der Subventionirung duroh den Bund, entschieden sein wird. Man kann jedoch schon jetzt erklären, daß die Straße im Allgemeinen vollkommen kuustgerecht und solid ausgeführt worden ist.

Was dann die Beantwortung der Frage anbelangt, ob dem vorliegenden Subventionsgesuche entsprochen werden könne, so ist Folgendes hierüber zu bemerken :

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Vor Allem ist die Wichtigkeit der Straße für die ganze Thalschaft hervorzuheben, welche sich zweifellos bekundet in den großen Anstrengungen, welche die Bevölkerung des Centovalli gemacht hat, um das Zustandekommen derselben zu erreichen, da dieselbe wohl fühlte, daß sie ohne eine solche fahrbare Kommunikation vom übrigen Kanton und der Schweiz überhaupt wie abgeschnitten sei.

Man muß aber annehmen, daß eine solche Wichtigkeit auch für den Bund bestehe, wie dieß die wiederholten Gesuche der Bevölkerung und des Kantons beweisen, welche eindringlichst ermahnen, ihnen zu Hülfe zu kommen, weil ohne eine solche die Last dieses Straßenbaues für sie zu schwer sei.

Es erscheint nun billig, diese immer wieder erneuten Anstrengungen zu unterstützen, indem man auf das vorliegende Gesuch eintritt, besonders da man den frühern abweichenden Standpunkt der Ablehnung nicht so weit ausgedehnt hat, daß man den Straßenbau überhaupt des Gänzlichen verboten hat.

Ein weiterer Gjund, auf das Gesuch des Kantons Tessin einzutreten, liegt auch noch darin, daß die erstellte Straße mit sehr bedeutenden Terrainschwierigkeil en zu kämpfen hatte, wie dieß die vielen Kunstbauten, Brücken, Gallerien, Tunnels, Felseinschnitte und Verbauungen zur Genüge beweisen. Dieß bildet aber bekanntlich auch eines der Haupterfordernisse für die Erlangung einer Bundessubvention, indem solche Strecken so kostspielig sind, dali die Anlage derselben die Kräfte der Interessenten übersteigt.

Die hier zuletzt erwähnten Terrainschwierigkeiten ermöglichen es aber hinwieder auch, den militärischen Bedenken durch besondere Maßnahmen Rechnung zu tragen, und es ist hiefür im Voranschlag, wie schon erwähnt, ein Betrag aufgenommen worden.

Was endlich das Beitragsverhältniß anbelangt, so sind wir der Ansieht, daß dasselbe auf 40% angesetzt werden sollte, wenn man die interessirten Gemeinden wirklich entlasten will. Bei einem Kostenvoranschlage von Fr. 710,000 und einem kantonalen Beitrage von 50 °/o würde ihnen noch eine Summe von Fr. 355,000 zu bezahlen übrig bleiben, was für sie eine ganz außerordentliche Belastung ist.

Mit 40 °/o Subvention seitens des Bundes oder Fr. 284,000 bleiben denselben noch Fr. 71,000 auszurichten übrig, welche Summe nicht mehr zu drückend erscheint.

Aus Billigkeitsrücksichten haben wir uns daher entschlossen, die Gewährung eines Bundesbeitrages an die Erstellung einer Straße durch das Centovalli in der angegebenen Höhe zu beantragen.

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Indem wir Ihnen den nachstehenden Entwurf eines Bundesbeschlusses zu unterbreiten uns beehren, benutzen wir zugleich auch diesen Anlaß, Sie unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 9. September 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Hanser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesbeschluß betreffend

Bewilligung eines Bundesbeitrages an den Kanton Tessin fUr die Centovallistraße.

D i e Bu n d es v e r sa mml u ng der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. eines Schreibens der Regierung von Tessin vom 10. Dezember 1891 ; 2. einer Botschaft des Bundesrathes vom 9. September 1892, beschließt: Art. 1. Dem Kanton Tessin wird für eine Straße im Centovalli zwischen Cavigliano und der italienischen Grenze bei Camedo ein Bundesbeitrag zugesichert von 40 °/o der wirklichen Kosten und von höchstens Fr. 284,000, als 40 °/o der Kostenvoranschlagssumme von Fr. 710,000.

Die Ausbezahlung dieses Beitrages erfolgt, beginnend mit dem Jahre 1893, in Annuitäten von höchstens Fr. 71,000.

Art. 2. Die Bauausführung ist spätestens bis 1895 zu vollenden. Sie hat entsprechend dem vorliegenden Projekte nach seiner definitiven, vom Bundesrathe genehmigten Feststellung zu erfolgen.

Die Straßenbreite einschließlich der Hälfte der befahrbaren Schale ist zu 4,2o m. festgesetzt ; bei Kunstbauten, Brücken und Gallerien und außerordentlich schwierigen Strecken kann

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dieselbe auf 4 m. herabgesetzt werden. Die nöthigen Sicherungen (Wehrsteine, Schranken, Brustmauern) sind außerhalb dieser Breite anzubringen.

Die Maximalsteigung der Hauptstraße soll 7,s % nicht übersteigen; beim Verbindungsstück von Palaguedra darf dieselbe 10 °/o betragen.

Art. 3. Dem Bundesrathe ist die Kontrolirung der planmäßigen Ausführung und die Prüfung der Baurechnungen vorbehalten.

Art. 4. Der Kanton Tessin hat für den späteren Unterhalt unter Aufsieht des Bundes (Art. 37 der Bundesverfassung) zu sorgen.

Art. 5. Die Zusicherung des Bundesbeitrages tritt erst in Kraft, nachdem Seitens des Kantons Tessin die Ausführung des Baues gesichert sein wird. Dem Bundesrath steht hierliber die Entscheidung zu.

Art. 6. Für die Vorlegung des dießfälligen Ausweises (Art. 5) wird dem Kanton Tessin eine Frist von einem Jahr, vom Datum des gegenwärtigen Beschlusses an gerechnet, gesetzt.

Art. 7. Dieser Beschluß tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

Art. 8. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung desselben beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend das Gesuch des Kantons Tessin um Bewilligung eines Bundesbeitrages an die Centovallistraße. (Vom 9.

September 1892.)

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14.09.1892

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