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Kreisschreiben des

Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen über die Vollziehung des Bundesgesetzes vom 22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande.

(Vom 28. Juni 1892.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Mit unserm Schreiben vom 2. Juni d. J. haben wir Ihnen mitgetheilt, daß wir in unserer Sitzung vom 19. Mai 1892 beschlossen haben, das Bundesgesetz betreffend die A u s l i e f e r u n g g e g e n ü b e r dem A u s l a n d vom 22. Januar 1892 (A. S. n. F.

XII, 870) sofort in Kraft treten zu lassen; gleichzeitig sind Ihnen Exemplare des Gesetzes in der gewohnten Zahl zugestellt worden.

Um die in jenem Schreiben angekündigten Instruktionen vorzubereiten, haben wir uns mit dem Bundesgericht über die Bemerkungen geeinigt, zu denen uns die Artikel 23, 24 und 25 des neuen Gesetzes veranlaßten. Im Besitze der Antwort des Bundesgerichts, sind wir nun in der Lage, Ihnen im Folgenden die Anleitungen zu geben, deren Beachtung durch die kantonalen Behörden uns bei der Anwendung des neuen Bundesgesetzes vor Allem nothwendig erscheint.

I.

Zunächst müssen wir bemerken, daß für das V e r h ä l t n i ß der Schweiz zu den a u s w ä r t i g e n S t a a t e n , mit denen sie Auslieferungsverträge besitzt, die in diesen Verträgen vereinbarten Grundsätze in Geltung bleiben, so lange diese Ver-

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A u s l i e f er u n g s b e g e h r e n an a u s w ä r t i g e S t a a t e n sind daher stets, begleitet von den vertragsmäßigen Belegen, durch die Kantonsregierungen dem Bundesrath vorzulegen; dieser wird sie auf diplomatischem Wege bei der Regierung des Zufluchtsstaates anhängig machen, nötigenfalls nach eingeholter Ergänzung oder Berichtigung.

Ebenso gelten auch fernerhin unsere wiederholten Instruktionen über das Verfahren bei d i r e k t e n F a h n d u n g s g e s u c h e n kantonaler Amtsstellen an ausländische Behörden. (Vergi. Bundesbl.

1870, I, 61; 1874, III, 8855 1880, II, 639; 189Ï, II, 619.)

Was insbesondere die direkten Fahndungsgesuche in solchen Fällen betrifft, in denen die Zusicherung des G e g e n r e c h t s nöthig wird, so veranlaßt uns ein Vorkommniß aus neuester Zeit, darauf hinzuweisen, daß Gesuche dieser Art ausschließlich durch die Vermittlung des Bundesrathes oder des eidgenössischen Justizund Polizeidepartements, in dringenden Fällen auf telegraphischem Wege eingeleitet werden sollen. Es geht nicht an, daß eine kantonale Polizeistelle einer fremden Behörde die Anbietung einer Gegenrechtserklärung in Aussicht stellt und dadurch dem Entscheide des Bundesrathes, als der einzig zur Zusicherung der Reziprozität in Auslieferungsangelegenheiten kompetenten Behörde (A.rt.1), vorgreift.

II.

Alle Angelegenheiten, in denen der Bundesrath nach dem Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892 zu handeln berufen ist, werden dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartemeut zur Prüfung und Antragstellung überwiesen.

In dringenden Fällen und über Zwischenfragen kann dieses Departement mit den kantonalen Behörden und den Vertretern der Eidgenossenschaft im Ausland direkt korrespondiren.

III.

Die Vorschriften des neuen Gesetzes über das A u s l i e f e r u n g s v e r f a h r e n , die sich naturgemäß einzig auf das Verfahren bei Auslieferungen von der S c h w e i z an das A u s l a n d b e z i e h e n , entsprechen im Wesentlichen der Praxis, die sich .auf G-ruad des Kreisschreibens vom 26. Januar 1875 (Bundesbl.

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1875, I, 122) ausgebildet hat und seither stets mit Vortheil geübt worden ist. Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken : 1. Die p r o v i s o r i s c h e V e r h a f t u n g kann durch die kantonalen Behörden, entweder auf Grund eines zu ihrer Keuntniß gelangten S t e c k b r i e f s (Art. 20) oder eines d i r e k t e n brieflichen oder telegraphischen A n s u c h e n s ausländischer Behörden (Art. 19) oder auf W e i s u n g des B u n d e s r a t h e s (Art. 17) vollzogen werden.

a. Die Verhaftung auf Grund eines a u s l ä n d i s c h e n S t e c k b r i e f s ist immer fakultativ. Die Beantwortung der Frage, ob die gesetzlichen und thatsächlichen Voraussetzungen dazu vorliegen, hängt vom Ermessen der zuständigen kantonalen Behörden ab.

b. Die Verhaftung auf d i r e k t e s telegraphisches oder briefliches A n s u c h e n m u ß , wenn die vertraglichen Voraussetzungen vorliegen, vorgenommen werden nach den Auslieferungsverträgen mit Deutschland (Art. 8), Luxemburg (Art. 4) und Großbritannien (Art. III).

Nach den Verträgen mit allen andern Staaten ist die provisorische Verhaftung auf direktes Ansuchen f a k u l t a t i v . Der Sinn des Gesetzes (Art. 19, AI. 1) ist jedoch der, daß die Verhaftung in der Regel stattfinden und nur dann unterbleiben soll, wenn besondere, dem Bundesrathe mitzutheilende Gründe bestehen.

c. Von allen auf Grund eines ausländischen Steckbriefs oder direkten Ansuchens vorgenommenen Verhaftungen ist dem Bundesrath sofort A n z e i g e zu machen (Art. 19, AI. 1; Art. 20). Die Anzeige soll, außer der genauen Bezeichnung des Verhafteten, die requirirende Behörde, das eingeklagte Delikt, sowie Ort und Tag der Verhaftung angeben.

d. Die W e i s u n g des B u n d e s r a t h e s , einen Verfolgten zu verhaften, ist selbstverständlich bindend (Art. 18, AI. l, 2).

Im Bericht über die Verhaftung sind stets auch Ort und Zeit ihrer Vollziehung anzugeben.

Bleibt der Verfolgte unentdeckt, so ist doch Alles mitzutheilen, was über ihn hat in Erfahrung gebracht werden können.

e. Nach Art. 17, AI. 2, Art. 19, AI. 3, und Art. 20, AI. 2, ist der Verhaftete in F r e i h e i t zu s e t z e n , wenn das Auslieferungsbegehren und die Belege binnen einer gewissen Frist nicht vorgelegt worden sind. Die Haftentlassung soll jedoch nicht durch die kantonalen Behörden von sieh aus, sondern nur auf die Weisung der Bundesbehörden hin verfügt werden.

Bnndesblatt. 44. Jahrg. Bd. IV.

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2. Das A u s l i e f e r u n g s b e g e h r e n wird wie bisher vom Bundesrathe formell geprüft und je nach Umständen entweder von vorneherein abgewiesen oder dem Zufluchtskanton übermittelt werden. Die Art. 15, 16, 18, 21 des neuen Gesetzes ändern nichts Wesentliches an dem bisher in dieser Beziehung geübten Verfahren ; nur soll in Zukunft gemäß Art. 21, AI. 2, das Einvernahmeprotokoll dem Bundesrathe stets eingesandt werden.

Mit dem B e r i c h t e der Regierung des Zufluchtskantons sind, wie bisher, auch die Auslieferungsbelege zurückzusenden; der Bericht soll überdies die Bemerkungen enthalten, zu denen die Regierung durch das Auslieferungsbegehren oder die Vernehmlassung des Verhafteten veranlaßt werden mag.

W i d e r s e t z t sich der Verfolgte seiner Auslieferung, so soll aus dem Einvernahmeprotokoll ersichtlich sein, ob er seine Einsprache auf das Auslieferungsgesetz, den Staatsvertrag oder eine Gegenrechtserklärung stützt. Dem Verfolgten soll auf seinen Wunsch ermöglicht werden, binnen einer angemessenen Frist einen schriftlichen Einspruch einzureichen. Der Verfolgte kann einen Rechtsbeistand zuziehen ; dagegen findet die amtliche Beiordnung einesAnwaltes in diesem Vorverfahren nicht statt (Art. 21, AI. 2, vgL mit Art. 23, AI. 5).

Auch wenn sich der Verfolgte seiner Auslieferung n i c h t widersetzt, soll der Bericht der Regierung des Zufluchtskantons von Amtes wegen folgende Punkte melden: a. wenn Zweifel über die E i g e n s c h a f t des V e r f o l g t e n als e i n e s A u s l ä n d e r s bestehen (Art. 2, AI. 1) ; in einem solchen Falle sind alle der Regierung zu Gebote stehenden Nachweise über die Staatsangehörigkeit vorzulegen (vgL Bundesbl. 1892, II, 569); b. wenn der Auslieferungsbewilligung einer der in Art. 6 und 12 des Gesetzes bezeichneten Gründe entgegensteht; c. wenn der A u s l i e f e r u n g s V o l l z u g gemäß Art. 13, AI. l y verschoben werden muß.

3. Der E n t s c h e i d ü b e r die A u s l i e f e r u n g .

a. Gemäß Art. 22 wird im Allgemeinen der B u n d e s r a t h wie bisher über 'Auslieferungsbegehren auswärtiger Staaten gegen in der Schweiz verhaftete Personen zu entscheiden haben.

b. Wenn dagegen der Verhaftete gegen seine Auslieferung E i n s p r u c h e r h e b t und sich dabei auf das Gesetz, auf den Staatsvertrag oder auf eine Gegenrechtserklärung beruft, so wird das Bundesgericht entscheiden (Art. 23, AI. 1).

35 In einem solchen Fall wird der Bundesrath alle Akten, die ihm in der Sache zugegangen sind, dem Bundesgericht in der bisher gewohnten Weise übermitteln.

c. Von der Ueberweisung des Falles an das Bundesgericht wird der schweizerische B u n d e s a n w a l t sogleich in Kenntniß gesetzt und es wird ihm Gelegenheit zur Einsicht der Akten geboten.

Er wird sich hierauf direkt mit dem Bundesgericht in's Benehmen setzen und diesem mittheilen, ob und in welcher Weise er sich an der Voruntersuchung und an der Hauptverhandlung zu hetheiligen wünscht (Art. 23, AI. 4).

ci. Erachtet das Bundesgericht eine A k t e n v e r v o l l s t ä n d i g u n g für nothwendig, die in einer im Ausland vorzunehmenden Erhebung besteht, so wird es dafür die Vermittlung des Bundesrathes in Anspruch nehmen (Art. 23, AI. 2).

Ueber Erhebungen in der Schweiz und über das persönliche Erscheinen des Verhafteten (Art. 23, AI. 3) wird das Bundesgericht unmittelbar mit den kantonalen Behörden verkehren. Die daraus entstehenden Kosten werden von der Kasse des Bundesgerichtes getragen.

e. Verlangt der Verhaftete die a m t l i c h e E r n e n n u n g e i n e s R e c h t s b e i s t a n d e s , so trifft das Bundesgericht die nöthigen Anordnungen und bestimmt die Entschädigungsansprüche des Anwalts. Diese sind durch die Kasse des Bundesgerichts zu liquidiren (Art. 23, AI. 5).

f. Das Bundesgericht wird seinen E n t s c h e i d (Art. 24) dem Bundesrathe so rasch als möglich in drei Ausfertigungen zustellen.

Ist die Muttersprache des Verfolgten eine der drei schweizerischen Landessprachen, so wird der Entscheid in dieser Sprache, andernfalls in der des Zufluchtskantons ausgefertigt.

Von einem die Auslieferuag verweigernden Entscheid (Art. 26, AI. 2) gibt das Bundesgericht dem Bundesrath auf dem kürzesten Wege schon vor der Ausfertigung des Urtheils amtliche Kenntniß; der Bundesrath kann daraufhin sogleich den Verhafteten in Freiheit setzen lassen, er sei denn aus einem andern Grunde in Haft zu behalten.

g. Reicht der Verhaftete sein Gesuch um provisorische Freilassung bei einer Behörde des Zufluchtskantons ein, so ist es durch die kantonale Regierung je nach dem Stande der Angelegenheit dem Bundesrath oder dem Bundesgericht zuzuleiten (Art. 25, AI. 2); die Kantonsregierung kann ihre Ansicht über die Berechtigung des Gesuchs beifügen.

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h. Gemäß Art. 29 kann die R e g i e r u n g des Z u f l u c h t s k a n t o n s d i e Auslieferung v o n s i c h a u s a n o r d n e n u n d u n verzüglich vollziehen, wenn folgende drei Voraussetzungen zusammentreffen, nämlich wenn : die Verhaftung auf Grund eines direkten Ansuchens (Art. 19) oder eines Steckbriefs (Art. 20) ausländischer Behörden erfolgt ist; ein Haftbefehl oder eine andere gleichwerthige Urkunde (Art. 15, Abs. 2) vorliegt; der Verhaftete mit eigenhändiger Unterschrift erklärt hat, er willige in seine Auslieferung, ohne die Erfüllung der diplomatischen Förmlichkeiten abzuwarten.

t. Obgleich die genannten drei Voraussetzungen zusammentreffen, soll doch eine solche A u s l i e f e r u n g k u r z e r H a n d nicht stattfinden: wenn ein diplomatisches Begehren beim Bundesrath eingegangen und durch diesen bei der Regierung des Zufluchtskantons anhängig gemacht worden ist; denn wenn einmal das ordentliche diplomatische Verfahren eingeleitet ist, geht es nicht an, daß in seine regelmäßige Erledigung durch einen Akt der kantonalen Behörden eingegriffen werde; wenn die Auslieferung gemäß Art. 2, AI. l, Art. 3, 5, 10, 11, 12 und 13 von Amtes wegen zu verweigern oder nur unter Vorbehalt zu bewilligen ist; in einem solchen Falle soll die Angelegenheit dem Bundesrath mit allen Belegen unverzüglich unterbreitet werden.

k. Von einer Auslieferung kurzer Hand ist das eidg. Justizund Polizeidepartement sofort gemäß Art. 29, AI. 2, zu benachrichtigen.

4. Der A u s l i e f e r u n g s v o l l z o g (Art. 22, 27, 28, 29 und 31). Die Vollziehung der Auslieferung ist wie bisher, unter Vorbehalt besonderer Anordnungen des Bundesrathes, Sache der Kantone. Eine Auslieferung an einen nicht angrenzenden Staat soll jedoch nicht vollzogen werden, bevor der Bundesrath der Kantonsregierung mitgetheilt hat, daß der Transit von der Sehweizergreuze bis an die Grenze des requirirenden Staates geordnet ist.

Im Einzelnen sind für den Auslieferungsvollzug noch folgende Vorschriften zu beachten: a. Der Auszuliefernde ist den Behörden des requirirenden oder des Transitstaates an der G ' r e n z e zu übergeben. Auf keinen Fall dürfen kantonale Agenten einen Auszuliefernden in das Innere

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eines auswärtigen Staates oder durch dessen Gebiet begleiten, wenn dies nicht zwischen dem Bundesrath und der betheiligten auswärtigen Regierung vereinbart worden ist.

6. Für die A u s l i e f e r u n g e n n a c h D e u t s c h l a n d ist die mit der Reichsregierung vereinbarte ,,Zusammenstellung der Orte, an welchen deutscherseits die von der Schweiz herkommeoden Ausund Durchlieferungstransporte übernommen werden, und der entsprechenden schweizerischen Grenzorte, nebst Bezeichnung der beiderseits zuständigen Behörden" maßgebend. Diese Zusammenstellung ist im Bundesbl. 1891, I, S. 220 ff. veröffentlicht.

c. Für die A u s l i e f e r u n g e n n a c h I t a l i e n gelten die Uebereinkunft betreffend den Polizeidienst in den internationalen Stationen der Gotthardbahn zu Chiasso und Luino vom 16. Februar 1881 (A. S. n. F., V, 577) und die dazu gehörige Erklärung vom 11. November 1884/12. Januar 1885 (A. S. n. F., VIII, 65 ff.).

Das dort für die Transportbefehle aufgestellte Formular A ist zur Vermeidung unnöthiger Weiterungen genau einzuhalten.

d. Es ist übrigens empfehlenswert!), die Formulare, die durch die soeben erwähnte Erklärung für die Ausstellung von Transportbefehlen nach Italien vereinbart worden sind, überhaupt für Auslieferungstransporte nach auswärtigen Staaten zu verwenden. Diese Formulare sind sehr zweckmäßig und entsprechen vollkommen den Anforderungen, die im Kreisschreiben vom 20. Mai 1879 (Bundesbl.

1879, II, 691) für die Transportbefehle aufgestellt sind. Dadurch würde der große Vortheil erreicht, daß , der Auszuliefernde mit einem einzigen Transportbefehl bis an die Grenze gebracht werden könnte, während beim gewöhnlichen Schubverfahren von jedem Kanton ein neuer Transport befehl ausgestellt werden muß.

e. Auslieferungstransporte sollen nicht mit Transporten polizeil i c h a u s g e w i e s e n e r P e r s o n e n verbunden werden ; erfahrungsgemäß ergeben sich aus einer derartigen Verbindung von Transporten verschiedener Art leicht unangenehme Inkonvenienzen.

f. Mit dem Auszuliefernden sind der auswärtigen Grenzbehörde in der Regel alle P a p i e r e , W e r t h s a c h e n und G e g e n s t ä n d e zu übergeben, die gemäß Art. 18, AI. 2, mit Beschlag belegt worden sind und sich auf das Verbrechen beziehen, wegen dessen die Auslieferung stattfindet (Art. 27, AI. 1). Wo
die Verträge es zulassen (Vereinigte Staaten, Frankreich , Portugal, Belgien, Luxemburg, Spanien, Salvador, Monaco , Serbien), steht nichts entgegen, daß die Behörde des Zufluchtskantons in Beschlag genommene Gegenstände ausnahmsweise direkt an die requirirende Behörde sendet, wenn sie dieses Verfahren für geeigneter hält; allerdings handelt sie in diesem Falle auf eigene Verantwortlichkeit.

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g. Ueber die V o l l z i e h ' u n g aller durch den Bundesrath oder das Bundesgericht bewilligten Auslieferungen ist dem Bundesrath B e r i c h t zu erstatten. Dieser Bericht soll die ausländische Grenzbehörde, der der Auszuliefernde zugeführt wurde, das Datum der Uebergabe und die ausgehändigten Papiere, Werthsachen und Gegenstände angeben. Dem Bericht ist beizulegen eine R e c h n u n g über die nach Art. 31 vom Bunde zu tragenden A u s l i e f e r u n g s k o s t e n , umfassend : die o r d e n t l i c h e n H a f t k o s t e n für die Zeit vom Tag der Verhaftung oder -- wenn diese auf direktes Ansuchen oder auf Grund eines Steckbriefs einer auswärtigen Behörde vorgenommen wurde -- vom Tag ihrer Mittheilung an den Bundesrath an bis zum Tag, an dem die Bewilligung der Auslieferung zur Kenntniß der betheiligten Regierung gelangt ist (die Kosten einer allfälligen kantonalen Untersuchungs- oder Strafhaft dürfen selbstverständlich nicht verrechnet werden) 5 ferner die o r d e n t l i c h e n T r a n s p o r t k o s t e n vom Ort der Verhaftung bis an die Grenze der Schweiz auf dem nächsten Wege.

Außerordentliche Haft- und Transportkosten werden nur vergütet, wenn sie auf den Anordnungen einer zuständigen Bundesbehörde beruhen.

Die Haftkosten für solche Auszuliefernde, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes festgenommen worden sind, werden durch den Bund ^vom 19. Mai 1892 an oder eventuell, wenn die Mittheilung von der Verhaftung an die Bundesbehörden erst später erfolgt ist, vom Datum dieser Mittheilung an vergütet.

Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement wird, die Kosten von Zeit zu Zeit liquidiren.

Sobald der Bundesrath die nöthigen Erfahrungen gesammelt hat, wird er für die Berechnung der Haftkosten einen Tarif aufstellen.

5. Die p r o v i s o r i s c h e A u s l i e f e r u n g (Art. 13, AI. 2) wird wie bisher durch den Bundesrath nach eingeholter Vernehmlassung der betheiligten Kantonsregierung bewilligt werden.

Geht ein Gesuch um provisorische Auslieferung einer kantonalen Regierung zu, so übermittelt sie es mit ihren Bemerkungen dem Bundesrath zur Entscheidung.

Die provisorische Auslieferung ist in gleicher Weise zu vollziehen wie die definitive. Ueber die Vollziehung ist dem Bundesrath Bericht zu erstatten (vgl. oben III, 4gQ, unter Anschluß einer Kostenrechnung über den Transport bis zur Grenze.

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Wenn der provisorisch Ausgelieferte zurückgeliefert ist, theilt die betheiligte Kantonsregierung dies dem Bundesrath wiederum mit.

IV.

Die s t r a f r e c h t l i c h e V e r f o l g u n g (Art. 2, AI. 2, 3) eines Schweizers wegen einer im Ausland begangenen strafbaren Handlung wird nach dem neuen Gesetz nur übernommen, wenn der requirirende Staat kraft seiner Gesetzgebung in der Lage ist, die Beobachtung des Grundsatzes ^non bis in idema zuzusichern.

Eine Neuerung liegt besonders in Art. 2, AI. 3. In Zukunft ist nämlich der Niederlassungskanton und, wenn der Verfolgte in der Schweiz keine Niederlassung besitzt, der Heimatkanton ohne Weiteres verpflichtet, die strafrechtliche Verfolgung zu übernehmen, wenn der Bundesrath dem auswärtigen Staat die in Art. 2, AI. 2, vorgesehene Zusicherung ertheilt hat, während bisher eine solche Pflicht nur kraft der Verträge mit Italien (Art. 5), Rußland (Art. 2), Deutschland (Art. 2), Großbritannien (Art. I, AI. 2) und Serbien (Art. X) bestand.

Obgleich Art. 2, AI. 3, des Gesetzes den Niederlassungskanton in erster Linie zur strafrechtlichen Verfolgung des Schweizerbürgers verpflichtet, wird doch, wie bisher, der Heimatkanton in den meisten Fällen zum Einschreiten berufen sein, da es sich vorwiegend um Personen handeln wird, die in der Schweiz keinen Wohnsitz haben.

Der Bundesrath wird der Regierung des zum strafrechtlichen Einschreiten verpflichteten Kantons das Begehren der auswärtigen Regierung mit allen Akten und Belegen übermitteln. Weitere Aufklärungen sind durch das kantonale Gericht auf dem ordentlichen Requisitorialweg einzuholen. Das ergangene Urtheil ist dem Bundesrath unter Rückschluß der ausländischen Akten in authentischer Ausfertigung mitzutheilen.

V.

Ueber d i e Frage, o b d i e V o r b ü ß u n g e i n e r i m A u s l a n d v e r h ä n g t e n G e f ä n g n i ß s t r a f e i n einer inländischen Verhaftsanstalt zu gestatten sei (Art. 30), wird sich der ^Bundesrath mit der betheiligten Kantonsregierung verständigen.

VI.

Für die D u r c h l i e f e r u n g gelten im Wesentlichen dieselben Bedingungen, wie für die Auslieferung (Art. 32). Wenn die Bedingungen des Art. 32 durch den ersuchenden Staat erfüllt sind, so gestattet der Bundesrath den Transit und läßt den obersten.

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Polizeibehörden der Grenzkantone, wo der Durchzuliefernde da» schweizerische Gebiet betreten und wo er es verlassen soll, die nöthigen Instruktionen zugehen.

Der Durchtransport ist in gleicher Weise zu vollziehen, wie eine Auslieferung.

Die Polizeibehörde des Eintrittskantons hat über die Uebernahme des Durchzuliefernden durch ihre Organe, die des Austrittskantons über seine Uebergabe an die Grenzbehörden des Nachbarstaates, die letztere unter Anschluß einer Rechnung über die Gesammtkosten des Durchtransports, Bericht zu erstatten. Beim Durchtransport von Individuen, die aus Italien durch die Schweiz nach Deutschland oder umgekehrt ausgeliefert werden müssen, sind gemäß Art. 3, AI. 3, der Erklärung vom 25. Juli 1873 (ßundesbl.

1873, III, 569) die Kosten sogleich bei der Uebergabe dev Verbrecher zu erheben.

Wir benützen diesen Anlaß, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen^ sammt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 28. Juni 1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes.

Der Bundespräsident:

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft t Ringier.

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Kreisschreiben des Bundesrathes an sämmtliche Kantonsregierungen über die Vollziehung des Bundesgesetzes vom 22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande. (Vom 28. Juni 1892.)

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Jahr

1892

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28

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

06.07.1892

Date Data Seite

31-40

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