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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 4. April 1892.

(Vom 8. Juni 1892.)

Tit.

Der Regierungsrath des Kantons Basel-Landschaft theilt mit Schreiben vom 30. Mai 1892 dem Bundesrathe mit, daß das basel- , landschaftliche Volk unterm 22. Mai die vom Verfassungsrathe am 4. April beschlossene neue Verfassung angenommen habe.

Der Verfassungsrath hat am 30. Mai das Resultat der Volksabstimmung erwahrt. Er stellte fest, daß an der Abstimmung 9564 von 12,543 Stimmberechtigten theilgenommen, wobei 6038 für Annahme, 3392 für Verwerfung gestimmt haben, während 134 Stimmen ungültig waren ; er stellte ferner fest, daß innerhalb der gesetzlichen Frist keine Einsprachen erhoben worden sind, und erklärte demgemäß die Staatsverfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 4. April 1892 als angenommen.

Der Regierungsrath ersucht den Bundesrath, bei der Bundesversammlung die Gewährleistung dieser Verfassung wenn möglich noch in der gegenwärtigen Tagung auswirken zu wollen.

Tit. ! Sie haben den Text des neuen Grundgesetzes des Kantons Basel-Landschaft vor Augen.

Wir heben daraus zur Kennzeichnung das Werkes in Vergleichung mit der nun aufgehobenen Verfassung vom 6. März 1863 folgende Punkte hervor:

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I. Abschnitt.

Entgegen der bisherigen gesetzlichen Bestimmung, wonach die schweizerischen Aufenthalter in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten kein Stimmrecht besessen haben, wird in § 3 die öffentlichrechtliche Stellung der Aufenthalter dahin bestimmt, daß dieselben nach dreimonatlichem Aufenthalt von Ertheilung der Aufenthaltsbewilligung an gerechnet stimmberechtigt sind.

In Bürgergemeinde-Angelegenheiten sind nur die Ortsbilrger stimmberechtigt. Eine Ausnahme findet statt, wenn Armensteuern auf das Grundeigentum verlegt werden sollen. In diesem Falle haben die ansäßigen Nichtortsbürger, welche Liegenschaften besitzen, rnitzustirnmen.

Neu ist die Bestimmung (§ 8), wonach für die unentgeltliche Rechtshülfe von Unbemittelten in geeigneter Weise Vorsorge getroffen werden soll.

II. Abschnitt.

Die Initiative für die Gesetzgebung bestand schon in der Verfassung vom Jahr 1863, ist nun aber in § 12 der neuen Verfassung in der Weise geordnet, daß 1500 Stimmberechtigte befugt sind, jederzeit das Begehren um Erlaß eines neuen oder um Aufhebung oder Abänderung eines bestehenden Gesetzes, eines allgemein verbindlichen Beschlusses oder e i n e r v o m L a n d r a t h e r l a s s o n e n V e r o r d n u n g zu stellen.

Neu ist die Bestimmung, daß die Wahl des Mitgliedes des Stänclerathes nicht mehr durch den Landrath, sondern durch das Volk geschieht und daß die Amtsdauer des Mitgliedes des Ständerathes nicht wie bisher eine einjährige, sondern wie diejenige der Mitglieder des Nationalrathes eine dreijährige ist und mit derjenigen der letztern zusammenfällt (§ 13).

Während bisher der Erlaß der zur Einführung und Vollziehung von eidgenössischen und kantonalen Gesetzen erforderlichen Verordnungen, soweit solche keine Abänderung bestehender Gesetze bewirken, dem Regierungsrathe zukam, ist nun in § 18 bestimmt, daß der Erlaß solcher Verordnungen nur dem Landrathe zustehe.

Durch den eben genannten Paragraphen wird auch festgesetzt, daß der Laudrath über eine neue einmalige Gesammtausgabe für denselben Gegenstand bis auf den Betrag von Fr. 100,000, sowie über jährlich wiederkehrende einzelne Ausgabeposten bis auf den Betrag von Fr. 10,000, soweit darüber nicht verfassuogs- oder gesetzmäßige Bestimmungen bestehen, selbständig beschließen kann.

642 Eine hauptsächliche Neuerung besteht darin, daß der Landrath nunmehr berechtigt ist, über Erhebung einer Vermögens-, Einkommens- und Erwerbssteuer bis auf l vom Tausend (auf das Vermögen berechnet) zu beschließen, während nach der bisherigen Gesetzgebung die Erhebung einer direkten Steuer in jedem einzelnen Falle dem Referendum mußte unterstellt werden.

Während nach der frühern Verfassung kein Mitglied des Kegierungsrathes zugleich Mitglied des schweizerischen Natioaalrathes sein konnte, ist in § 20 nun einfach bestimmt, daß nie mehr als ein Mitglied des Regierungsrathes der schweizerischen Bundesversammlung angehören dürfe.

la der frühern Verfassung war über die Wählbarkeit in den Landrath keine Bestimmung enthalten; die neue Verfassung regelt in § 27 den Ausschluß einer Anzahl von Beamten von der Wählbarkeit in den Laudrath.

III. Abschnitt.

Dieser Abschnitt behandelt die Grundlagen zur Erfüllung der Zwecke und Aufgaben des Staates.

Er bestimmt in Betreff des Schulwesens (§ 35), daß dem Staate das Oberaufsichtsrecht über das gesammte Unterrichtswesen zustehe und daß der Staat in Verbindung mit den Gemeinden für genügenden und unentgeltlichen Schulunterricht zu sorgen habe, den Besuch der Mittelschulen möglichst erleichtern und auch gewerbliche Schulen unterstützen solle.

Neu ist die io § 36 über das Kirchenwesen aufgenommene Bestimmung, daß dem Staate das Recht zustehe, über das Kirchenwesen die Oberaufsicht in gleichern Umfange wie bisher auszuüben.

In Betreff der Volkswirthschaftspflege wird erklärt, daß der Staat den Gemeinden, welche durch Armenlasten unverhältnißmäßig gedrückt sind, Unterstützungen zu gewähren und auch Privatvereine, welche die Hebung der ärmern Volksklassen bezwecken, zu unterstützen habe.

Der Landwirtschaftsbetrieb soll mögliehst gefördert werden ; deßhalb sind bezügliche Bestrebungen der Vereine und Genossenschaften vom Staate zu unterstützen.

In § 40 ist die Bestimmung aufgenommen worden, daß die Forstwirtschaft unter Aufsicht und Gesetzgebung des Staates stehe, welcher für Ausbildung des untern Forstpersonals sorge und solche Aufforstungen unterstütze, die gegen schädliche Witterungseiuüüsse Schutz gewahren können.

Zur Förderung des Katasterwesens in den Gemeinden leistet der Staat angemessene Beiträge.

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Die Steuer vom Vermögen, Einkommen und Erwerb soll mit einer Progression erhoben werden. Bei jedem Todesfalle, wo steuerpflichtiges Vermögen vorhanden ist, muß ein amtliches Inventar aufgenommen werden.

IV. Abschnitt.

Hier ist zu bemerken, daß die Revision der Verfassung entweder von einem Verfassungsrath oder durch den Landrath vorgenommen werden kann, währenddem bisher eine Verfassungsrevision nur durch einen Verfassungsrath konnte in's Werk gesetzt werden.

V. Abschnitt.

Neu ist, daß zur Ausmittlung des absoluten Mehrs bei Wahlen und Abstimmungen die leeren und verworfenen Stimmzettel in Abzug gebracht werden, während dies nach der bisherigen Gesetzgebung nicht (1er Fall war.

Bis zum Erlaß bezüglicher Gesetze ist festgesetzt: 1. daß der Staat an sämrntliche Gemeinden Beiträge von wenigstens Fr. 500 auf jede Lehrstelle und von Fr. 100 auf jede Arbeitslehrerinnenstelle leistet, an durch Schulkosten gedrückte Gemeinden weitere Beiträge leistet und daß die Lehrmittel den Schülern unentgeltlich verabfolgt werden. Die Kosten der gedruckten Lehrmittel trägt der Staat; die Auslagen für die übrigen Schulbedürfnisse haben die Gemeinden zu bestreiten ; 2. daß der Staat an die Korrektion der öffentlichen Gewässer, sowie an den Unterhalt der Ufer Beiträge von wenigstens 25 % der Kosten leistet; 3. daß die Kosten des Straßenunterhalts von der Staatskasse übernommen werden; 4. daß einige indirekte Steuern zu reduziren sind und die Progression der Vermögenssteuer in der Weise zu normiren ist, daß Vermögen bis auf Fr. 1000 keine Steuer, solche bis auf Fr. 30,000 den einfachen Ansatz bezahlen, zwischen Fr. 30,000 und Fr. 400,000 aber Zuschläge bis auf 150 °/o erfolgen.

Bei der Einkommens- und Enverbssteuer, wobei auch die Zinse von Kapitalien als Einkommen versteuert werden müssen, beginnt die Progression bei Fr. 3000, die Zuschläge zu dem einfachen Ansatz betragen bei Einkommen über Fr. 12,000 300%. Einkommen bis Fr. 500 bezahlen keine, solche bis auf Fr. 700 bloß die Hälfte und solche bis auf Fr. 900 bloß drei Viertheile des einfachen Ansatzes.

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Behufs Durchführung der Besteuerung wird eine kantonale Taxationskommission durch den Landrath gewählt.

Im

VI. Abschnitt wird bestimmt, daß die Verfassung mit dem 1. Januar 1893 in Kraft trete.

Tit.

Die Prüfung der einzelnen Artikel ergibt, daß diese neue Verfassung keine dem Bundesrechte widersprechenden Bestimmungen enthält.

Wir beantragen deßhalb, ihr die Gewährleistung des Bundes zu ertheileu, indem wir Sie bitten, den unten folgenden Beschlussesentwurf anzunehmen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 8. Juni

1892.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä si d e n t :

Hauser.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:« Ringier.

645 (Entwurf.)

Bundesbeschlnß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 4. April 1892.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 8. Juni 1892, in Betracht: daß diese Verfassung am 22. Mai 1892 vom Volke des Kantons Basel-Landschaft angenommen worden ist; daß dieselbe nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält; daß sie die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen Formen sichert; daß sie revidirt werden kann, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 4. April 1892 wird die Bundesgarantie ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 4. April 1892. (Vom 8.

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15.06.1892

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